Patientenorientierte Schmerztherapie Schmerz und Schmerz ist vielerlei „Schmerz – wissen wir doch alles“ sagen die Ärzte, „Schmerz – ein häufig vernachlässigtes Patientenproblem“ sagen die Patientenverbände. Meinen sie das Gleiche oder reden sie aneinander vorbei? Zwei Sichtweisen – zwei medizinische Welten. die Behandlung der anhaltenden, eher gleichmäßigen Schmerzen um die Behandlung der Schmerzspitzen. An der Schmerzursache, also den auslösenden Mechanismen und Strukturen, orientiert sich die „Mechanismen-orientierte Schmerztherapie“. Insbesondere der neuropathische Schmerz steht hier im Fokus. Schmerz kann unterschiedlich definiert sein (siehe Zitate): rein biologisch, oder die Definition bezieht die Gesamtheit der persönlichen psychosozialen Auswirkungen und Einflüsse in die Betrachtung mit ein. In Ansätzen geht darauf das Konzept der „multimodalen“ Schmerztherapie ein. Die Hausärzte sehen sich aber von vornherein der biopsychosozialen Einheit verpflichtet – ein Begriff, der ihnen gern madig gemacht wird, aber der durch die WHO mit der ICF – Internationale Klassifikation der Funktionsstörungen – als offizielles Prinzip der Gesundheitsbetrachtung akzeptiert und ausgestaltet worden ist. Die Schmerzdauer ist ein Faktor der gefürchteten Chronifizierung, bei der der ursprüngliche „Zweck“ der Schmerzen, die Warnfunktion verloren geht und ein Dauerzustand unabhängig von einer Schmerzursache entsteht. Hier spielen die psychosozialen Faktoren des Patien- Was bedeutet das für die hausärztliche Schmerztherapie? Sie orientiert sich einerseits an den biologischen Schmerzcharakteristika und wählt vor allem nach diesen Gesichtspunkten die Medikamente und gegebenenfalls die weiteren schmerztherapeutischen Methoden zur Schmerzbekämpfung aus: • Schmerzstärke • Schmerzursache • Schmerzdauer • Schmerzort • Komorbidität Daraus resultieren jeweils spezifische Konzepte, die das ursprüngliche WHOStufenschema weiterentwickeln bzw. ablösen. An der Schmerzstärke orientiert sich das Konzept der Behandlung bzw. Prävention von Durchbruchschmerzen, wie auch das eigentliche Stufenschema: Es ergänzt 40 Der Allgemeinarzt 12/2013 Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen beschrieben wird. (International Association for Study of Pain). ten eine Rolle, aber auch unabhängig von diesen Risikofaktoren spielen sich auf der biologischen Ebene Prozesse ab, die die Schmerzempfindung verstärken. Eine intensive Schmerztherapie von Anfang an vermindert die Chronifizierungsgefahr, ist also in gewissem Sinne „Zukunftsarbeit“. Komorbidität und Alter des Patienten schränken die Möglichkeiten, nicht aber die Notwendigkeit einer zufriedenstellenden Schmerztherapie ein. Die Therapie bei Multimorbidität und den physiologischen Altersveränderungen des Organismus erfordert viel spezifisches Wissen über die Pharmakodynamik der verwendeten Wirkstoffe. Für die Zufriedenheit mit der Schmerztherapie spielt aber eine andere Ebene eine wichtige Rolle: Schmerz beeinträchtigt die Aktivitäten und damit die Teilhabe am öffentlichen Leben, von der Kommunikation bis hin zu liebgewordenen Beschäftigungen und Vergnügungen. Der Erfolg der Schmerztherapie kann mit der Schmerzskala gemessen, die Vermeidung von Schmerzspitzen im Tagebuch dokumentiert werden. Für den Patienten wichtiger ist aber die Verbesserung der Funktionalität, beispielsweise der Mobilität. Jeder kleine Fortschritt zählt. Und so sollten wir auch die Therapieziele an den Aktivitäten festmachen und vereinbaren. Damit erreichen wir eine wichtige Gemeinsamkeit mit dem Patienten, er fühlt sich verstanden und angenommen, das aktiviert dann auch seine Mitwirkung. Schmerz ist eine geschädigte Körperfunktion, die zu Beeinträchtigungen von Aktivitäten und Teilhabe (und damit Lebensqualität) führt, modifiziert durch positive und negative Kontextfaktoren. (Definition in Anlehnung an die ICF der WHO). Fazit: Die Wahl der Arzneimittel ist einerseits Mittel zum Zweck, andererseits noch lange keine patientenorientierte Schmerztherapie. Der Hausarzt verfügt zwar nicht über alle speziellen Techniken, aber seine Patientennähe, seine praktizierte biopsychosoziale Einheit fällt viel mehr ins Gewicht. Um den hausärztlichen Behandlungsanforderungen gerecht zu werden, hat das IhF – mit produktneutraler Unterstützung der Firma Grünenthal – ein entsprechendes Fortbildungsmodul erarbeitet, das bei den IhF-Kompakttagen angeboten wird. Dr. med. Diethard Sturm Facharzt für Allgemeinmedizin, 09125 Chemnitz www.allgemeinarzt-online.de