Gesundheit & Lebenshilfe Lawinenopfer Bei einem Kurs wird die richtige Bergung von Lawinenopfern geübt. Unter einer Lawine Krankenhaus Salzburg Nur 30 Prozent der Verschütteten überleben die ersten 30 Minuten unter einer Schneelawine. Welche Faktoren ihr Leben bedrohen und wie geholfen werden kann, weiß Primarius Dr. Peter Paal. Er war nicht nur lange Zeit als Notarzt bei Lawinenunfällen im Einsatz, sondern beschäftigt sich auch wissenschaftlich mit den Themen Unterkühlung und Sauerstoffmangel. Primarius PD Dr. Peter Paal MBA EDAIC EDIC, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin, ÖÄK-Diplom für Notfallmedizin, Sportmedizin und Neuraltherapie, seit 1. November 2016 Vorstand der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am Salzburger BrüderKrankenhaus Granatapfel: Wie groß sind die Überlebenschancen, wenn ein Mensch unter eine Lawine gerät? Primarius Paal: Zehn bis 25 Prozent der Betroffenen sterben in den ersten Minuten an ihren Verletzungen, zum Beispiel an Kopfoder Halswirbelsäulenverletzungen, oder sie werden durch den schweren Schnee zermalmt. Wenn die Lawine zum Stehen kommt, beginnt der Kampf um den Sauerstoff. Sind die Atemwege frei, hängen die Überlebenschancen davon ab, wie groß die Lufthöhle vor Mund und Nase ist. Nach 30 Minuten leben noch rund 30 Prozent der Verschütteten, nach ein bis zwei Stunden nur noch zehn bis 15 Prozent. Zum Sauerstoffmangel kommt nach einer Stunde die Unterkühlung des Körpers als mögliche Todesursache hinzu. Was bewirkt der Sauerstoffmangel im Körper? Bekommen Gehirn und Herz keinen Sauerstoff, kommt es in wenigen Minuten zu unumkehrbaren Schäden dieser Organe. Bei Herzstillstand stirbt der normal warme Körper (37,5 Grad) unwiederbringlich nach fünf Minuten. Bei einer erniedrigten Körperkerntemperatur sinkt aber der Sauerstoffbedarf: 6 granatapfel 2 ∙ 2017 pro Grad Celsius Abkühlung um ca. sieben Prozent – das heißt, bei einer Körpertemperatur von 28 Grad ist der Sauerstoffbedarf nur mehr halb so hoch wie bei 37,5 Grad, bei 20 Grad ist der Bedarf nur noch ein Fünftel des Ausgangswertes. Damit ist bei Unterkühlung ein Herzstillstand wesentlich länger überlebbar. Voraussetzung ist aber, dass der Patient zuerst abkühlt und dann den Herzstillstand erleidet. So ist dokumentiert, dass die niedrigste ungewollte Körpertemperatur, die jemals überlebt wurde, 13,7 Grad betrug: Die Frau war beim Schifahren ins Eis eingebrochen und vom Bachwasser umspült worden. Sie konnte aufgrund des niedrigen Wasserstandes immer atmen, aber von ihren Begleitern nicht mehr herausgezogen werden. Als das Notarzthubschrauberteam eintraf, fand es eine klinisch tote Frau vor: Sie war bewusstlos, ohne Atmung und Herzschlag. Aber sie konnte erfolgreich wiederbelebt werden, weil sie zuerst abgekühlt war und dann erst den Herzstillstand mit dem Sauerstoffmangel erlitten hatte. Sie waren maßgeblich an der Erarbeitung von internationalen Richtlinien für die Bergung, den Transport und die Behandlung von Fotos: Barmherzige Brüder Salzburg, ARochau/Fotolia.com VON BRIGITTE VEINFURTER Lawinenopfer Unterkühlungsopfern beteiligt. Können Sie diese kurz zusammenfassen? Gibt es mehrere Opfer, aber nur unzureichend viele HelferInnen, so muss der Notarzt vor Ort eine sogenannte Triage durchführen, das heißt, er muss abwägen, welcher Patient höhere Überlebenschancen hat. Leblose Patienten, die offensichtlich tödliche Verletzungen haben oder deren Atemwege mit Schnee verlegt sind und die länger als 35 Minuten unter dem Schnee verschüttet waren, brauchen nicht wiederbelebt werden. Alle anderen Patienten, die leblos sind, aber entsprechend den Kriterien Überlebenschancen haben (zum Beispiel freie Atemwege, tief unterkühlt und dann erst einen Herzstillstand erlitten), werden unter Wiederbelebung ins Krankenhaus gebracht. Auch die Krankenhäuser werden entsprechend dem Verletzungsmuster ausgewählt: Leicht unterkühlte oder verletzte Personen werden ins nächste Krankenhaus transportiert, das die Verletzungen versorgen kann. PatientInnen, die schwerer unterkühlt sind, das heißt Kriterien wie eine Körpertemperatur unter 28 Grad, niedrigen Blutdruck und schwere Herzrhythmusstörungen aufweisen, sollen in ein Krankenhaus mit einer Herz-Lungen-Maschine gebracht werden. Denn in diesem Fall könnte jederzeit ein Herzstillstand auftreten, der am erfolgreichsten mittels Reanimation und gleichzeitiger Wiedererwärmung an einer Herz-Lungen-Maschine behandelt werden könnte. Wie werden die Verunglückten im Krankenhaus versorgt? Unterkühlte Personen werden mit warmen Decken, Warmluftgebläsen, Infusionen und Heizmatten aufgewärmt. Erleiden sie einen Herzstillstand, kommen sie zur Reanimation an eine Herz-Lungen-Maschine und werden dort aufgewärmt. An leblosen Patienten werden weitere Untersuchungen durchgeführt, Es ist dokumentiert, wie zum Beispiel die Messung dass die niedrigste des Körper-Kaliums. Dieser kommt in jeder ungewollte Körper­ Mineralstoff Körperzelle in sehr hoher temperatur, die jemals Konzentration vor, der normale überlebt wurde, obere Grenzwert liegt bei fünf. 13,7 Grad betrug. Ist der Wert über acht, dann muss man davon ausgehen, dass massive Zellschäden aufgetreten sind, weil viel Kalium aus den zerstörten Zellen freigesetzt wurde, was mit dem Überleben nicht vereinbar ist. Wenn der Kalium-Wert 7 Gesundheit & Lebenshilfe Lawinenopfer Dies ist die große Krux in der Notfallmedizin: Wir können bei einem Herzstillstand oft das Herz wieder in Gang setzen, verlieren aber das Gehirn. niedrig ist, gibt es hingegen Überlebenschancen. Dann werden eine Wiederbelebung an der Herz-Lungen-Maschine und eine Wiedererwärmung mit sechs bis acht Grad pro Stunde durchgeführt. Bei ausreichender Körpertemperatur (über 30 Grad) sollte das Herz wieder zu schlagen beginnen, falls nicht, ist der Patient unwiederbringlich tot. Es gibt Lawinenopfer, wie vor einigen Jahren der holländische Prinz Friso von Oranien-Nassau, die zwar gerettet werden, aber trotzdem schwere Hirnschäden erleiden. Als Prinz Friso gefunden wurde, waren schon erhebliche Hirnschäden infolge eines Erstickungs-Herzstillstands eingetreten. Das Herz konnte mit starken Medikamenten wiederbelebt werden. Doch das Gehirn hatte bereits Schaden genommen. Es ist gegenüber einem Sauerstoffmangel das empfindlichste Organ und es gibt leider kein Medikament, das untergegangene Gehirnzellen retten könnte. Dies ist die große Krux in der Notfallmedizin: Wir können bei einem Herzstillstand oft das Herz wieder in Gang setzen, wir verlieren aber das Gehirn. Eine Folge eines schweren, aber nicht tödlichen Sauerstoffmangels ist eine Gehirnschwellung. Diese endet häufig tödlich. Manchmal ist sie aber nicht so massiv und der Patient stirbt nicht, bleibt aber in einem vegetativen Bewusstseinszustand mit einem ansonsten normal funktionierenden Körper. In so einem Zustand befand sich Prinz Friso. Nach einem Herzstillstand kann ein Patient auch wieder sein Bewusstsein erlangen, falls kein Hirnschaden stattgefunden hat oder nur gering war. In der Regel wachen PatientInnen innerhalb von Tagen nach dem Herzstillstand auf, und die Gehirnfunktion kann sich in den ersten Wochen beträchtlich erholen. Äußerst unwahrscheinlich ist eine Erholung der Gehirnfunktionen über ein Jahr nach dem überlebten Herzstillstand. Der Körper kann aber weiter am Leben erhalten werden. Nahrung und Wasser müssen ihm zugeführt werden und er muss gepflegt werden. Liegt keine Patientenverfügung vor, muss das Betreuungsteam unter Berücksichtigung des Patientenwunsches und in Absprache mit den Angehörigen und eventuell unter Einbeziehung eines Ethik­ teams die weitere Vorgehensweise festlegen. Möglich ist in einer solchen Situation alles, von einer maximalen Therapiefortführung bis hin zu einer Therapie-Limitierung oder einem Therapie-Abbruch. Primarius Dr. Elmar Hofer (r.) war 27 Jahre lang Vorstand der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am BrüderKrankenhaus. Am 1. November 2016 übergab er die Leitung an Primarius Dr. Peter Paal. 8 granatapfel 2 ∙ 2017