Schneider et al. Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb Verlag Hans Huber Programmbereich Gesundheit Wissenschaftlicher Beirat: Ansgar Gerhardus, Bremen Felix Gutzwiller, Zürich Klaus Hurrelmann, Berlin Petra Kolip, Bielefeld Doris Schaeffer, Bielefeld © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. Wolfgang Schneider Uwe Gerecke Michael Kastner Jens Parpart Michael Peschke Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb Ein Praxisbuch für Betriebsmediziner und Personalmanagement Verlag Hans Huber © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. Lektorat: Dr. Klaus Reinhardt Herstellung: Daniel Berger Bearbeitung: Melanie Stasch, Heidelberg Umschlaggestaltung: Claude Borer, Basel Druckvorstufe: Claudia Wild, Konstanz Druck und buchbinderische Verarbeitung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Printed in Germany Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Anregungen und Zuschriften bitte an: Verlag Hans Huber Lektorat Medizin/Gesundheit Länggass-Strasse 76 CH-3000 Bern 9 Tel: 0041 (0)31 300 4500 [email protected] www.verlag-hanshuber.com 1. Auflage 2013 © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern (E-Book-ISBN [PDF] 978-3-456-95275-8) ISBN 978-3-456-85275-1 © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. 5 Inhalt Vorwort 7 Teil I: Theorie des psychosozialen Gesundheitsmanagements 11 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 Die Rahmenbedingungen Arbeit und psychische Gesundheit (W. Schneider) Psychosoziale Belastungen im Arbeitsprozess (M. Peschke, J. Parpart, U. Gerecke) Führung, Leistung und Gesundheit (M. Kastner) Die Zukunft der Arbeit (M. Kastner) 13 13 24 32 40 2. Organisationsbezogene Handlungsansätze des psychosozialen 53 Gesundheitsmanagements 2.1 Psychosoziales Gesundheitsmanagement als vernetztes und interdisziplinäres Handeln (M. Kastner und W. Schneider) 53 2.2 Der Betriebsarzt als Berater für Führungskräfte!? (J. Parpart, M. Peschke, U. Gerecke) 58 2.3 Professionalisierung der Betriebsärzte zu Experten für das psychosoziale Gesundheits­management (W. Schneider, U. Gerecke) 68 Teil II: Arbeitsmaterialien 3. Psychische Erkrankungen (W. Schneider) 3.1 Entstehung und Verlauf psychischer und psychosomatischer Erkrankungen 3.2 Erkennen von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen – Indikationsstellung zur vertiefenden fachspezifischen Diagnostik und Behandlung 75 75 86 4. Ausgewählte Erkrankungen und Problemfelder (W. Schneider) 4.1Depressionen 4.2Angsterkrankungen 4.3 Somatisierung und somatoforme Schmerzstörung 4.4 Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen 4.5 Suchtmittelmissbrauch und Alkoholabhängigkeit 4.6 Psychosen und hirnorganische Krankheiten 4.7Burn-out 4.8 Die posttraumatische Belastungsstörung 4.9 Mobbingprozesse und ihre Folgen 95 95 100 105 111 118 120 124 129 133 73 © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. 6 Inhalt 4.10 Psychosoziale Aspekte (chronischer) körperlicher Erkrankungen (W. Schneider, J. Parpart) 5. Grundprinzipien der Gesprächsführung und Beratung (W. Schneider, J. Parpart) 5.1 Grundsätze einer subjekt- und beziehungsorientierten Gesprächsführung und Kommunikation 5.2 Ausgewählte Beratungsgespräche in der Betriebsmedizin 139 143 143 150 Diagnostische Ansätze 161 Erstinterview und psychosomatische Anamnese (W. Schneider) 161 Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) (W. Schneider) 166 Diagnostik psychischer und psychosozialer Belastungen im Arbeitsprozess – Methoden, ­Aussagekraft, Reichweite und Grenzen (M. Peschke, J. Parpart, U. Gerecke) 169 6.4 Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit (W. Schneider) 178 6. 6.1 6.2 6.3 7. Psychotherapeutische Methoden, Grundprinzipien und Versorgungsmodelle (W. Schneider) 7.1 Psychotherapie und die psychotherapeutische Versorgung 7.2 Die Psychoanalyse und psychodynamische Ansätze 7.3 Verhaltenstherapeutische Methoden 185 185 193 200 Anhänge Anhang 1: Beurteilungsbogen zur Psychosomatischen Basisdiagnostik Anhang 2: Ratingbogen zur Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit Anhang 3: Ausgewählte Bücher Anhang 4: Ausgewählte Verbände und Organisationen 205 207 209 217 219 Autoren 221 Sachregister 223 © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. 7 Vorwort Psychosoziale Themen gewinnen in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung und ihnen kommt öffentlich ein hohes Maß an Aufmerksamkeit zu. Die Akzentuierungen dieser Thematik umfassen die Gesundheits- und Wellnessbewegung, die das körperliche und psychische Wohlbefinden betonen und dieses fördern wollen. Diese Zielsetzung liegt ganz auf der Linie der Weltgesundheitsorganisation, die Gesundheit als vollständiges körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden definiert. Zugleich wird über die besonderen psychosozialen Belastungen der postmodernen und globalisierten Gesellschaft geklagt, und es wird vielfach von einer Zunahme der psychischen und psychosomatischen Erkrankungen seit spätestens Mitte der 90er Jahre auf nationaler und internationaler Ebene gesprochen. Dabei weisen epidemiologische Untersuchungen, die auf der Grundlage des DSM – das diagnostische Manual der USamerikanischen Psychiatrie – erhoben wurden, eine Jahresprävalenz von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen von 25 bis 30 % auf. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten für psychische und psychosomatische Erkrankungen sind in den letzten 15 Jahren deutlich gestiegen, und die Krankschreibungen umfassen längere Zeiträume, als bei den meisten anderen Erkrankungen. Auch die Psychopharmakaverordnungen und die Berentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund psychischer und psychosomatischer Erkrankungen haben im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen (Schneider, in diesem Band). Jedoch sollten diese Entwicklungen durchaus kritisch gesehen werden, da auf dem Feld der psychischen Erkrankungen die Schwellen, ab denen von einer psychischen Erkrankung gesprochen wird, heruntergesetzt werden und immer weniger Symptome/Probleme hinreichen, um eine Diagnose zu erhalten. Die Anzahl an Diagnosen, die in den psychiatrischen diagnostischen Systemen aufgeführt sind, hat sich z. B. im DSM zwischen 1950 und 1990 mehr als verdreifacht. Und auch in der Psychiatrie wird zunehmend die Erfassung von Risikoprofilen angestrebt und hat auf prominenter Seite zu heftiger Kritik geführt (siehe die Diskussion um das DSM-V, z. B. Frances, 2013). Dies würde vor allem zu einer Stigmatisierung und Verunsicherung der so Diagnostizierten führen und die frühe und nachhaltige Verschreibung von Psychopharmaka sei die Folge. Eine gewisse kritische Einstellung gegenüber der immer wieder öffentlich geäußerten Zunahme von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen und Problemen sollte gerade auch von Akteuren des Gesundheitsmanagements bewahrt werden, damit diese sich nicht unreflektiert an sicherlich bestehenden (Psycho-)Pathologisierungs- und Medikalisierungstendenzen beteiligen. Als relevante Verursachungsfaktoren für die unterstellte Zunahme der psychischen Erkrankungen wird in der Regel ein Zusammenhang zwischen den gestiegenen Anforderungen an die psychosozialen Kompetenzen der Individuen und den gesellschaftlichen Veränderungen infolge der Globalisierung hergestellt. Dabei wird insbesondere auf die Verdichtung und Intensivierung von Arbeit sowie die zunehmende Entgrenzung von Arbeit und Privatleben Bezug genommen. Dazu würden Umstrukturierungsprozesse in der Arbeitswelt einen hohen Anpassungsdruck aufseiten der Arbeitnehmer erzeugen, dies sowohl in Hinblick auf © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. 8 Vorwort deren permanente Weiterbildungsbereitschaft und auch die Bereitschaft und Fähigkeit, neue Arbeitsverhältnisse einzugehen. Zudem werden prekäre Arbeitsverhältnisse (Teilzeitarbeit, Niedriglohnarbeit und Zeitarbeit) als ursächlich für die psychosozialen Beeinträchtigungen vieler Betroffener betrachtet. Seitens der Arbeitswelt wird ein hohes Ausmaß an psychosozialen Belastungen berichtet, zu denen insbesondere auch die «weichen» Faktoren – wie Führung, (pathologische) Kommunikations- und Interaktionsformen, fehlende Transparenz in Entscheidungsprozessen oder soziale Ungerechtigkeit – zählen. Auf diesem Hintergrund haben sich moderne Krankheitskonzepte herausgebildet, die als Ausdruck einer Folge von überfordernden Arbeits- und Lebensbedingungen angesehen werden. Dazu gehören zum einen das Burnout-Syndrom, das verkürzt als direkte Folge von insbesondere psychosozialen Überforderungen und einem zu hohen Engagement im Arbeitsprozess angesehen wird und zum anderen Mobbingprozesse bzw. ihre Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Individuen, die ebenfalls als Ausdruck von kritischen bzw. pathologischen Interaktions- und Kommunikationsformen in den Betrieben und Organisationen verstanden werden. Die Sensibilität für diese Problemstellungen hat sich gesellschaftlich auf unterschiedlichsten Ebenen enorm erhöht. Dies betrifft sowohl die Politik, die Gewerkschaften, das medizinische Versorgungssystem und deren Akteure sowie die Betriebe und Organisationen aber auch die Individuen. Psychosoziale Fragestellungen haben sich entsprechend in arbeitsrechtlichen Bestimmungen und Betriebsvereinbarungen niedergeschlagen. Um dieser Entwicklung zu begegnen, haben sich sowohl innerhalb einer Vielzahl von Organisationen und im Bereich der Personalentwicklung als auch im medizinischen Versorgungssystem in den letzten 20 Jahren unterschiedlichste psychosoziale Aktivitäten entwickelt, die zum Einen präventiv über die positive Veränderung der Arbeitsbedingungen und In- teraktionsformen ansetzen (Verhältnisprävention) und zum anderen auf die Verbesserung der Selbstwirksamkeit und des Gesundheitsverhaltens von Individuen (Verhaltensprävention) abzielen. Bei den unterschiedlichen Aktivitäten zum Gesundheitsmanagement – und dies gilt insbesondere für die Beratung einzelner Mitarbeiter – muss jedoch berücksichtigt werden, dass es in der Regel nicht die Arbeitsbedingungen allein sind, die zu etwaigen psychischen Beeinträchtigungen führen, sondern dass diese zumeist das Resultat einer Wechselwirkung zwischen dem Individuum und seiner privaten wie beruflichen Umwelt darstellen. Diese Sichtweise ist bei der Zielsetzung von Maßnahmen des Gesundheitsmanagements differenziert zu berücksichtigen. Das hier vorliegende Buch zum psychosozialen Gesundheitsmanagement beinhaltet im ersten Teil relevante theoretische und ausgewählte empirische Befunde zu den psychosozialen Herausforderungen der Arbeitswelt in einer globalisierten postmodernen Gesellschaft und berücksichtigt natürlich auch die besonderen psychosozialen Bedrohungen, die durch (Langzeit-)Arbeitslosigkeit bzw. drohende Arbeitslosigkeit für die Individuen resultieren. Neben dem Aspekt der psychosozialen Anforderungen/Belastungen für die Individuen werden auch die möglichen negativen Folgen von tendenziell überlastenden Arbeitsanforderungen für die Individuen charakterisiert und kritisch diskutiert. Im Weiteren werden präventive Ansätze zur Förderung von «gesunden», motivierenden und zufriedenstellenden Arbeitsbedingungen dargelegt, wobei der Fokus insbesondere auf die Aspekte der Führung sowie einer positiven Kommunikations- und Interaktionsform im Rahmen einer mitarbeiterorientierten und sozial bzw. gerecht ausgerichteten Organisa­ tionskultur gelegt wird. Diese Anforderungen an die Kultur und an die soziale Verantwortung von Organisationen und Unternehmen sind gerade unter dem Eindruck des Vorliegens eines «Raubtierkapitalismus», unter dessen Rahmenbedingungen mehr und mehr Menschen in so- © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. Vorwort 9 ziale und psychisch prekäre Lebenssituationen geraten, umzusetzen. Im zweiten Teil des Buches werden relevante Informationen zur Verfügung gestellt, die für präventive, aber auch basale diagnostische, beraterische und rehabilitative Aufgaben durch unterschiedlichste Akteure in Organisationen und Unternehmen von Bedeutung sind. Einen breiten Raum nehmen dabei die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen ein, für die relevante Symptome sowie charakteristische Verläufe und Behandlungsansätze akzentuiert dargelegt werden. Um einen hohen Praxiswert zu erreichen, werden die Prinzipien und Vorgehensweisen bei der Gesprächsführung vermittelt und beispielhaft verdeutlicht. Gleiches gilt auch für die Darstellung der relevanten psychosomatischen und psychotherapeutischen diagnostischen Vorgehensweisen. So besteht das Ziel des Buches darin, für Betriebsmediziner, aber auch für andere Arztgruppen, die an psychosomatischen Problemstellungen und dem Erwerb notwendiger Kompetenzen auf den Ebenen der Diagnostik und Beratung interessiert sind, relevantes Wissen und notwendige praktische Fähigkeiten zu vermitteln. Das Buch umfasst so u. a. die Inhalte, Kenntnisse und Fertigkeiten, die im Rahmen der ärztlichen Weiterbildung zur Psychosomatischen Grundversorgung aufgeführt werden. Jedoch fehlen zwangsläufig die praktischen Übungen oder die Arbeit mit Patienten (Life oder per Videodokumentation), wie wir sie in unseren Seminaren und Workshops regelhaft integrieren und die bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine sehr positive Resonanz erhalten. Um dieses Manko zumindest zum Teil auszugleichen, haben wir vielfach mit Beispielen und Fallvignetten gearbeitet sowie Orientierungshilfen für das Vorgehen bei allgemeinen und spezifischen Beratungsansätzen gearbeitet. Mit einem großen Teil der unterschiedlichen Arbeitshilfen oder Praxisanleitungen haben wir in unseren Seminaren zur Psychosomatischen Grundversorgung bereits positive Erfahrungen gemacht und haben dieses Buch unter anderem auch als Ar- beitsgrundlage für unsere Workshops verfasst. Es reflektiert und systematisiert unsere Inhalte und unser methodisches Vorgehen in den entsprechenden Seminaren. Aufgrund unserer vielfältigen Erfahrung in der Arbeit mit nicht ärztlichen Akteuren des Psychosozialen Gesundheitsmanagements sind wir davon überzeugt, dass viele Aspekte des vorliegenden Buches auch für Personen, die im Bereich des Personalmanagements, der Human Resources oder auch der Organisationsentwicklung tätig sind, von Interesse sind und auch deren Verständnishorizont und praktische Tätigkeit verbessern können. Die Autoren dieses Buches kommen aus der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie, der Arbeitsmedizin, der Allgemeinmedizin, der Arbeitspsychologie und der Organisationsentwicklung. Allen gemeinsam ist, dass sie sich seit Langem sowohl wissenschaftlich als auch praktisch zu psychosozialen Fragen der Betriebs- und Organisationswelt engagieren und zu einem Teil gemeinsame Seminare zur Psychosomatischen Grundversorgung und Psychotherapie, Workshops für Führungskräfte und HR-Management aber auch wissenschaftliche Veranstaltungen zu dieser Thematik durchgeführt haben. Auf dem Hintergrund dieser vielfältigen Erfahrungen und des gemeinsamen Arbeitens ist dieses Buch entstanden. Wir hoffen, dass sich dies in der Qualität des Buches niedergeschlagen hat. Für die Autoren Wolfgang Schneider, im Juni 2013 Literatur Frances, A. (2013). Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen. Köln: Dumont Schneider, W., Kap. 1.1 in diesem Buch © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. 11 Teil I: Theorie des psychosozialen Gesundheitsmanagements © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. 13 1. Die Rahmenbedingungen 1.1 Arbeit und psychische Gesundheit W. Schneider Seit dem Jahrtausendwechsel und insbesondere in den letzten Jahren sind die Themen der psychischen und psychosomatischen Erkrankungen zunehmend in der öffentlichen und politischen Diskussion. Betont werden ihre epidemiologische, versorgungs- und sozialpolitische sowie volkswirtschaftliche Bedeutung. Dabei wird in der Regel ein Zusammenhang zwischen den gestiegenen Anforderungen und Belastungen der Arbeitswelt und dem Auftreten psychischer Erkrankungen diskutiert und diese Sichtweise hat auf unterschiedlichen politischen und fachpolitischen Ebenen eine breite Resonanz gefunden. Für prekäre und unsichere soziale Lebenslagen, zu denen insbesondere die Arbeitslosigkeit oder die Arbeitsplatzunsicherheit gehören, wird ein gegenüber den Erwerbstätigen noch höheres Risiko psychisch zu erkranken berichtet. 1.1.1 Epidemiologische, versorgungs- und sozialpolitische Bedeutung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen Epidemiologische Schätzungen aus einem Gesundheitssurvey, der 1998 durchgeführt wurde sowie auf der Basis einer Auswertung europäischer Daten (Jacobi et al., 2004) gehen davon aus, dass die Jahresprävalenz psychischer und psychosomatischer Erkrankungen der europäischen Bevölkerung bei ca. 30 % liegt; die Befunde der im Jahr 2012 veröffentlichten DEGES-Studie (Wittchen et al., 2012) gehen von einer Jahresprävalenz psychischer Erkrankungen von 33 % bei Frauen und von 25 % bei den Männern aus. Führend sind dabei die Angsterkrankungen mit über 14,5 % und die Depressionen (ca. 12 %), gefolgt von den Sucht­ erkrankungen sowie den somatoformen Störungen (Jacoby et al., 2004; Jacoby, 2012). Die Depressionen stellen aufgrund ihrer hohen Tendenz zur Chronifizierung und einem u. U. auch ätiologisch zu wertenden Zusammenhang zu körperlichen Erkrankungen (Haug et al., 2012) sowohl auf der Versorgungsebene als auch volkswirtschaftlich die relevanteste psychische Erkrankung dar. In einer jüngst durchgeführten (fragebogenbasierten und mittels eines computergestützten ärztlichen Interviews) repräsentativen Untersuchung von nahezu 8000 Individuen zwischen 18–79 Jahren (Hapke et al., 2012) fand sich bei 8,1 % der Teilnehmer (10,2 % Frauen und 6,1 % Männer) eine aktuelle Depression. Bemerkenswert war, dass die Jahresprävalenz bei den 18- bis 29-jährigen mit 9,9 % am höchsten und bei den über 65-jährigen Teilnehmern am niedrigsten war. Ebenfalls von Interesse ist der Befund, dass die Häufigkeit von Depressionen mit dem sozialen Status der Teilnehmer sinkt. Insgesamt wies in dieser Studie jede dritte Frau und jeder vierte Mann eine klinisch relevante psychische Erkrankung auf, unabhängig davon, ob diese behandelt wurde oder nicht. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen psychischer Erkrankungen sind in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angewachsen (z. B. Klusen, 2012), wobei die Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen von 2006 bis 2011 um © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. 14 Teil I: Theorie des psychosozialen Gesundheitsmanagements mehr als 60 % bei der Techniker Krankenkasse zugenommen haben. Eine ähnliche Entwicklung findet sich auch bei anderen großen gesetzlichen Krankenkassen, wobei sich jedoch deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von der Versichertenstruktur (Geschlecht, Alter, Sozialstruktur, Branchenstruktur) sowie des Fallmanagements und ggf. unterschiedlicher Prozeduren der Fallaufbereitung und -dokumentation zeigen. Nach einer zusammenfassenden Auswertung der Entwicklung der Arbeitsunfähigkeitszeiten der Techniker Krankenkasse TK, der Deutschen Angestellten Krankenkasse DAK, der Allgemeinen Orts Krankenkasse AOK und der Betriebskrankenkassen durch die Bundespsychotherapeutenkammer (2012) sind ca. 12,5 % aller betrieblichen Fehltage durch psychische Erkrankungen bedingt; von 2000–2011 hat sich der Anteil der Arbeitsunfähigkeitstage bei diesen Krankenkassen verdoppelt. Von Bedeutung ist auch, dass die AU-Zeiten bei diesen Patienten besonders lang andauern (30 Tage im Schnitt für alle psychische Erkrankungen, für die Depressionen sogar 39 Tage). Arbeitslose weisen bei den unterschiedlichen gesetzlichen Krankenversicherungen nahezu die doppelte Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen auf als erwerbstätige Versicherte (z. B. BKK 27,2 Tage gegenüber 14,1 Tage bei Erwerbstätigen im Jahr 2010; Tk 24,8 Au-Tage bei den Arbeitslosen gegenüber 13,8 Tagen bei den Erwerbstätigen). Dabei nehmen die psychischen Erkrankungen nach den Krankheiten des Muskel-Skelettsystems den 2. Platz bei den AU-Schreibungen ein. Bei Arbeitslosen entfielen 25,7 % auf die psychischen Erkrankungen; demgegenüber waren bei den erwerbstätigen Versicherten nur 12,0 % der Arbeitsunfähigkeitstage durch psychische Erkrankungen begründet. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Statistiken der Krankenversicherungen seit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nur noch die Empfänger des Arbeitslosengeldes I berücksichtigen, sodass Langzeitarbeitslose ALG-II-Empfänger in diesen nicht berücksichtigt sind. Deshalb ist davon auszu- gehen, dass die Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen bei dem Gesamt an Arbeitslosen noch höher liegen wird. Die Verschreibung von Psychopharmaka hat ebenso in relevanter Weise zugenommen; die Antidepressivaverschreibung hat sich in den Jahren von 2000 bis 2010 verdoppelt; für Frauen ist sie sogar um 130 % abgestiegen (TK, 2011). Auch bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten stellen die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen seit 2010 mit einem Anteil von 40 % die größte Krankheitsgruppe (Irle/Fischer, 2012). Dabei ist weiter bemerkenswert, dass die Berentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wegen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen deutlich früher erfolgen als bei anderen Erstdiagnosen (um ca. drei Jahre). Auch bei der Inanspruchnahme von Privaten Berufsunfähigkeitsrenten nehmen die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen eine führende Position ein (Grundmann, 2012). Wenn weiter berücksichtigt wird, dass den psychosozialen Faktoren auch ein großer Einfluss auf die Chronifizierungsprozesse von Organerkrankungen zukommt, lässt sich die Bedeutung psychischer und sozialer Prozesse auf die Gesundheit leicht ermessen. Dennoch wird die oftmals in den Medien, aber auch von der Politik, den Gewerkschaften und zeitweise auch von Fachgesellschaften verbreitete These von der Zunahme der psychischen Erkrankungen infolge des Anwachsens der psychosozialen Anforderungen und Belastungen nicht durch die epidemiologischen Befunde gestützt. Wir finden sicherlich eine Veränderung der diagnostischen aber auch therapeutischen Vorgehensweisen bei den Ärzten, die wohl deutlich häufiger als vor etwa 15– 20 Jahren die Diagnose einer psychischen Erkrankung stellen, die Patienten deshalb krankschreiben oder Psychopharmaka (wie im Fall der Depressionen) verschreiben. Ergänzend kommt sicherlich seitens der Bevölkerung eine Problemsicht und -bewertung hinzu, die offener für psychische Themen ist, die die entspre- © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage. 1. Die Rahmenbedingungen 15 chenden diagnostischen Vorgehensweisen der Ärzte forciert. Zunehmend wird jedoch innerhalb der Fachgruppen der Psychiatrie, Psychosomatik und auch der Klinischen Psychologen kritisiert, dass die modernen psychiatrischen Diagnosemodelle (DSM-IV, ICD-10 und das im Mai eingeführte DSM-5) den Krankheitsbegriff ausweiten und immer neue psychische Erkrankungen definieren würden und die Schwelle, ab wann wir von einer psychischen Erkrankung sprechen, heruntergesetzt werden würde (z. B. Francis, 2013; Stieglitz/Hiller, 2013; Schneider, 2013). Diese Diagnosesysteme gehen so vor, dass sie für diagnostische Klassen (z. B. einer Depression oder Angststörung) Kriterien – Symptome oder Verlaufsangaben – formulieren, die erfüllt sein müssen, damit diese Diagnose vergeben werden kann. «Gemessen» werden diese Symptome entweder klinisch (bei der Exploration), mit Fragebögen oder mit strukturierten Interviews. In diesem Zusammenhang ist dann von Bedeutung, wie viele Symptome/Kriterien erfüllt sein müssen, damit eine Diagnose (z. B. Depression) vergeben werden kann. Ein besonderes Problem stellt weiter die Frage dar, wie ausgeprägt eine Befindlichkeitsstörung sein muss, damit wir es in den Rang eines Symptoms erheben können – d. h. wie nachhaltig muss ein Gefühl von Niedergeschlagenheit sein, das wohl jeder aus seinem Alltag kennt, damit wir es als Symptom einer Depression werten. Setzen wir die Zahl an Symp­ tomen herunter, ab der wir die Diagnose einer Depression vergeben, sagen beispielsweise, dass fünf Symptome über einen definierten Zeitraum vorhanden sein müssen anstelle von sieben, erhöhen wir zwangsläufig die Anzahl von Depressionsdiagnosen, die Sensitivität für das Auffinden von Depressionen wird größer. Erhöhen wir die Anzahl an Symptomen, sinkt die Sensitivität der diagnostischen Zuordnung, wir haben jedoch weniger Fehldiagnosen (Spezifität der Diagnostik). Die operationalisierten psychia­ trischen Diagnosesysteme sind den Weg der Erhöhung der Sensitivität gegangen und dies hat zu einer rasanten Zunahme von Diagnosen ge- führt. Frances (2013), der als Chairman entscheidend an der Entwicklung des DSM-IV mitgewirkt hat, kritisiert die Ausweitung der psychiatrischen Diagnosen sowie die Absenkung der diagnostischen Schwellen bereits für das DSMIV und führt aus, dass mit dem DSM-5 – das im Mai 2013 offiziell eingeführt worden ist – dieser Weg rasant weiter verfolgt wird, was zu einer Pathologisierung weiter Teile der Bevölkerung führen würde. Auf der Basis eines so beschriebenen diagnostischen Verständnisses weisen m. E. die «Psychoexperten» wie auch die Ärzte im System der Primärversorgung, eine starke Tendenz dahingehend auf, ihre Patienten, die sie oftmals über vielgestaltige diagnostische und therapeutische Prozeduren inklusive intensiver somatischer Verfahren erst zu solchen gemacht haben, häufig und oftmals zu lange «krank» schreiben und therapieren, wobei die medikamentöse Behandlung einen großen Stellenwert aufweist. Dadurch werden tendenziell Pathologisierungsund Chronifizierungsprozesse initiiert und fortgeschrieben, die für die Individuen viel Leid mit sich bringen und letztlich zu der großen Zahl an Berentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei psychischen und psychosomatischen Patienten führen. Wenn wir die kritische Perspektive an den vorherrschenden diagnostischen Systemen ernst nehmen, müssen die epidemiologischen Befunde natürlich auch kritisch gesehen werden, da diese auf der Basis dieser diagnostischen Systeme und Methoden erhoben worden sind. Wir würden auch hier eine Tendenz zur Überdiagnostik annehmen. So formuliert Frances, dass man wohl davon ausgehen müsse, dass ca. 5–10 % einer Bevölkerung eine psychische Erkrankung aufweisen würden. Diese zu erkennen und angemessen zu behandeln, sei die Aufgabe einer verantwortungsvollen Psychiatrie. Frances Kritik an der psychiatrischen Praxis der Überdiagnostik (overdiagnosis) setzt dabei grundlegend an. «Normales» Empfinden, Erleben und Verhalten werde als krank gewertet und behandelt; dahinter stehe ein handfestes © 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Wolfgang Schneider, Uwe Gerecke, Michael Kastner, Jens Parpart, Michael Peschke; Psychosoziales Gesundheitsmanagement im Betrieb. 1. Auflage.