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KAPITEL 6
KAPITEL 6: MESSUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN „LEISTUNGSKRAFT“ UND „WOHLFAHRT“ VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
Gliederung
6.1. Nationale Buchhaltung und Bruttoinlandsprodukt
6.2. Wohlfahrtsmessung durch das Pro-Kopf-Einkommen?
6.3. Determinanten des Pro-Kopf-Einkommens
6.4. Multiplikatoranalyse
6.1 Nationale Buchhaltung und Bruttoinlandsprodukt
Die nationale Buchhaltung hat zum Ziel, eine verlässliche Datenbasis für die
Messung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft zu Verfügung zu stellen. Die erhobenen Daten lassen sich auf verschiedene Weise
zu einem Indikator aggregieren, welcher allgemein als „Sozialprodukt“ bezeichnet wird. Das „Sozialprodukt“ gilt als einer der wichtigsten Indikatoren zur
Messung der Leistungsfähigkeit und der Wohlfahrt von Volkswirtschaften.
Güter- und Geldkreislauf
Es ist in der Makro-Ökonomie üblich, die ökonomischen Transaktionen zwischen den Akteuren in Kreisläufen (ähnlich dem Blutkreislauf) darzustellen.
Hierbei werden verschiedene Gruppen von Akteuren, wie z.B. Unternehmen
und Haushalte, aber auch Staat und Ausland als Ganzes betrachtet. Der
Kreislauf wird als geschlossen angenommen.
In der einfachsten Form lässt sich der monetäre Wirtschaftskreislauf wie folgt
interpretieren (vgl. Abb. 6.1): Alle ausbezahlten Einkommen werden von den
Haushalten zum Kauf von Gütern und Dienstleistungen verwendet; alle Einkommen aus Güterkäufen werden von den Unternehmen für den Kauf von
Produktionsfaktoren verwendet.
Konsumgüter
Abb. 6.1:
Einfacher
Wirtschaftskreislauf
Konsumausgaben
Unternehmen
Haushalte
Einkommen
Produktionsfaktoren
realwirtschaftliche Ströme
monetäre Ströme
Abb. 6.1: Einfacher Wirtschaftskreislauf (Vgl. Materialien zur Vorlesung)
Quelle: in Anlehnung an Frey, R.L., 2002, Wirtschaft, Staat und Wohlfahrt, S. 65
1
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
In komplexeren Modellen des Wirtschaftskreislaufs werden weitere Akteure
und weitere Transaktionen berücksichtigt (vgl. Abb. 6.2). Im einzelnen wird
folgendes mit erfasst:
Staat – Haushalte:
Staat – Unternehmen:
Unternehmen – Ausland:
Unternehmen – Haushalte:
Löhne, Steuern, Sozialtransfers
Steuern, Subventionen, Güterkäufe
Exporte, Importe (Waren und Dienstleistungen)
Einkommen, Waren und Dienstleistungen,
Produktionsfaktoren
Abb. 6.2:
Erweiterter
Wirtschaftskreislauf
Abb. 6.2: Erweiterter Wirtschaftskreislauf
Quelle: in Anlehnung an Frey, R.L., 2002, Wirtschaft, Staat und Wohlfahrt, S. 67
Definition des „Sozialprodukts“
Die im Wirtschaftskreislauf dargestellten Transaktionen werden im Rahmen
der nationalen Buchhaltung erfasst. Diese liefert die Daten zur Berechnung
des Sozialprodukts.
Das Sozialprodukt kann auf verschiedene Weise berechnet werden (vgl. Abb.
6.3). Am häufigsten wird das sogenannte Brutto-Inlandsprodukt herangezogen, da es als Indikator für die Leistung einer Volkswirtschaft besonders geeignet erscheint.
Definition: Das Sozialprodukt (SP) ist der Wert aller während eines
Jahres produzierten Gütern und Dienstleistungen.
Inlandsprodukt
(Wert aller Güter und
Dienstleistungen, die im Inland
produziert werden, inkl. von
Ausländern)
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
(Gross Domestic Product/GDP)
Definition:
Sozialprodukt
Inländerprodukt
(Wert aller Güter und
Dienstleistungen, die von den
Inländern produziert werden)
Abb. 6.3:
Inlandsprodukt,
Inländerprodukt, BIP
und BSP
Bruttosozialprodukt (BSP)
(Gross National Product/GNP)
Abb. 6.3: Inlandprodukt, Inländerprodukt, BIP und BSP
2
KAPITEL 6
Der Zusammenhang von Inlands- und Inländerprodukt kann der folgenden
Übersicht entnommen werden:
Abb. 6.4:
Ermittlung verschiedener
Sozialprodukts-Typen
Ermittlung verschiedener Sozialprodukts-Typen:
(Quelle: Bundesamt für Statistik: Statistisches Jahrbuch, 2003, S.241-243)
+
+
=
+
=
=
+
=
Wert der produzierten Waren und Dienstleistungen während
einer Periode
Vorleistungen
Nichtabzugsfähige Mehrwertsteuer
Nettoeinfuhrabgaben
Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen
Kapital- und Arbeitseinkommen aus der übrigen Welt
Kapital- und Arbeitseinkommen an die übrige Welt
Bruttoinländerprodukt zu Marktpreisen (Bruttovolkseinkommen [ehemals BSP])
Abschreibungen
Nettoinländerprodukt zu Marktpreisen
Subventionen
Verbrauchssteuern und Einfuhrabgaben
Nettoinländerprodukt zu Faktorkosten (auch: Volkseinkommen)
Abb. 6.4: Ermittlung verschiedener Sozialprodukts-Typen
Erläuterungen zur Berechnung verschiedener Sozialprodukts-Typen:
Vorleistungen:
Die Vorleistungen werden von der gesamten Wertschöpfung oder dem gesamten Umsatz für Güter und Dienstleistungen abgezogen. Vorleistungen
ergeben sich dadurch, dass Güter und Dienstleistungen in der Regel mehrere
Produktionsstufen durchlaufen und in jeder Produktionsstufe Wertschöpfung
entsteht. Die Vorleistung für eine Stufe ist die Wertschöpfung der vorgelagerten Stufe. Damit keine Doppel-rechnungen auftreten, müssen auf der Stufe
des Endkonsums die Wertschöpfungen der verschiedenen Vorstufen abgezogen werden.
Vorleistungen
Brutto versus Netto:
Die Differenz zwischen Bruttoinlands- bzw. -inländerprodukt und Netto-inlands- bzw. -inländerprodukt sind die Abschreibungen. Die Abschreibungen
sind der Wertverzehr an Maschinen, Produktionsanlagen u.ä. welcher während einer Periode auftritt.
Problem: Die Abschreibungen beziehen sich nur auf das Sachkapital, jedoch
gibt es auch Wertverzehr bei anderen volkswirtschaftlichen Kapitalarten (etwa
bei Naturkapital).
Brutto versus Netto
Marktpreise versus Faktorkosten:
Beim Sozialprodukt zu Marktpreisen sind die erstellten Güter und Dienstleistungen zu ihren Marktpreisen erfasst, d.h. die Preise enthalten auch Steuern
bzw. Subventionen. Durch die dahinter stehenden staatlichen Eingriffe werden
die Knappheitsverhältnisse der Güter und Dienstleistungen künstlich verzerrt.
Alternativ gibt es den Ansatz der Faktorkosten, der die tatsächlichen Knappheitsverhältnisse abbildet. Der Unterschied zwischen „Marktpreisen“ und
„Faktorkosten“ besteht in der Höhe der Verbrauchssteuern und der Subventionen. Steuern lassen die Preise zu hoch, Subventionen zu tief erscheinen.
Für Sozialproduktsangaben in Faktorkosten sind daher die Steuern abzuziehen und die Subventionen hinzu zu addieren.
Marktpreise versus
Faktorkosten
3
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
BIP-Vergleich ausgewählter Länder
Bemerkung: Am 15.12.03 wurde in der Schweiz das Europäische System der
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG 95) eingeführt. Das neue System bildet die ökonomische Realität besser ab als das vorhergehende und
erlaubt aussagekräftigere internationale Vergleiche. Infolge des Übergangs
vom ESVG 78 zum ESVG 95 haben sich die bisherigen Werte für das BIP
(sowohl Niveaugrössen als auch Wachstumsraten) verändert. Näheres zur
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR): Stat. Jahrbuch der Schweiz
2005, 230ff.
Das BIP pro Kopf variiert stark zwischen verschiedenen Ländern bzw. Ländergruppen. In Entwicklungsländern ist es typischerweise sehr viel kleiner als
in den Industrieländern (vgl. Tabelle 6.1).
Tabelle 6.1: BIP-Werte im internationalen Vergleich; für das Jahr 2012
Bevölkerung
in Millionen
China
BIP
in MRD US $
Pro-KopfBIP in US $
Pro-Kopf-BIP
in US $(PPP)
1‘351
8‘227
6‘091
9‘233
USA
314
15‘680
49‘965
49‘965
Japan
128
5‘960
46‘720
35‘204
82
3‘400
41‘514
40‘394
Schweiz
8
632
79‘052
52‘063
Israel
8
243
28‘930
27‘800*
Niger
17
6.6
383
665
Deutschland
Quelle: Weltbank: World Development Report 2013, http://data.worldbank.org/country
(*2010)
Bemerkung zu Tabelle 6.1
Kaufkraftkorrekturen
Beim Vergleich der für unterschiedliche Länder berechneten BIP’s wird zunächst die unterschiedliche Kaufkraft in diesen Ländern nicht angemessen
berücksichtigt. Um diesem Problem abzuhelfen, werden in der letzten Spalte
der obenstehenden Tabelle Kaufkraftkorrekturen (Purchasing Power ParityKorrekturen) miteinberechnet. Es wird dabei erfasst, wie viele Einheiten eines
bestimmten Warenkorbes (in $) mit dem Pro-Kopf-BIP im jeweiligen Land
konsumierbar sind verglichen mit dem Konsum für 1$ in den USA. Man vergleicht somit die Mengen, die ein Inländer im jeweiligen Land mit 1 $ kaufen
könnte mit der Menge, die er in den USA für 1 $ erhielte. Die Kaufkraftkorrektur führt für die meisten Entwicklungsländer zu einer Erhöhung des Pro-KopfEinkommens, für die meisten Industrieländer zu einer Senkung.
Bemerkung zur Ermittlung des BIP zu laufenden Preisen / Preisen eines
Basisjahres
In den Tabellen des Bundesamt für Statistik (www.bfs.admin.ch) erscheint das
BIP sowohl zu laufenden Preisen (nominal) als auch zu Preisen eines Basisjahres (real, z. B. 1990). Das Sozialprodukt zu Preisen eines Basisjahres wird
ermittelt, um denjenigen Teil einer Veränderung des BIP herausrechnen zu
können, der ausschliesslich auf Preisveränderungen zurückzuführen ist. Das
BIP zu Preisen eines Basisjahres (z.B. reales BIP) ermöglicht einen Vergleich
4
Tabelle 6.1:
Bruttoinlandsprodukt im
internationalen Vergleich
KAPITEL 6
der real produzierten Mengen von Waren und Dienstleistungen verschiedener
Jahre (Ermittlung von Wachstumsraten).
Man kann die oben erwähnte Preisbereinigung auf zwei Arten durchführen:
1. Man erfasst die Mengen des laufenden Jahres zu den jeweiligen
Einzelpreisen eines Basisjahres, oder
2. man bereinigt die nominal (zu laufenden Preisen) erfassten Mengen mit
einem geeigneten Inflationsindikator (z.B. Landesindex der Konsumentenpreise, LIK, vgl. Kapitel 8.3. dieser Vorlesung) indem man die nominal erfassten Werte werden durch einen geeigneten Preisindex dividiert.
Die Erfassung der Mengen zu den jeweiligen Einzelpreise des Basisjahres
birgt ein statistisches Problem, denn einerseits wurden zum Zeitpunkt des
Basisjahrs einige Waren und Dienstleistungen noch nicht produziert (Innovationen – z.B. DVD-Player), und andererseits sind einige Waren und Dienstleistungen in ihrer Qualität besser geworden (technischer Fortschritt – z.B. bei
Computern). Es wird deshalb im allgemeinen ein geeigneter Inflationsindikator
zur Hilfe genommen (Art 2; Hinweis: analoge Probleme hat man allerdings
auch beim Inflationsindikator, siehe Kapitel 8.3. dieser Vorlesung: Bedeutung
von Inflation).
Mögliche Erfassungsarten des Bruttoinlandsprodukts
1. Entstehungsrechnung/Produktionsansatz
Wert aller produzierten Waren und Dienstleistungen (Wertschöpfung/
Produktion im Inland). Hierzu zählen Landwirtschaftsproduktion, Industrie- und
Gewerbeproduktion sowie Produktion in den Dienstleistungsbranchen und
beim Staat. Alle produzierten Waren und Dienstleistungen werden gemäss
ihrer Umsätze erfasst (vgl. Tab. 6.2.).
Tabelle 6.2: Bruttoinlandsprodukt gemäss Produktionsansatz
Tabelle 6.2:
Bruttoinlandsprodukt
gemäss
2012p Produktionskonto
In Mio. Franken, zu laufenden Preisen
Code
Gliederung
Verw.
I
P.1
P.2
D.21
D.31
B.1*b
Produktionskonto
Produktionswert
Vorleistungen
Gütersteuern
Gütersubventionen
Bruttoinlandprodukt
2010
Aufk.
Verw.
1'149'796
608'469
Verw.
1'167'377
614'172
34'212
-2'875
572'665
2011p
Aufk.
Aufk.
1‘185‘521
625‘390
34'945
-3'048
585'102
Entstehungsrechnung
34‘811
-3‘091
591‘851
Quelle: BFS (Link zur Statistik)
2. Verwendungsrechnung
Verwendung der produzierten Waren und Dienstleistungen. Die produzierten
Waren und Dienstleistungen können entweder von den privaten Haushalten
bzw. den privaten Organisationen ohne Erwerbscharakter 1 verwendet werden
(„letzter Verbrauch“ = Konsum der privaten Haushalte und POoE), vom Staat
(Staatsausgaben), vom Ausland (Nettoexporte = Exporte – Importe von Waren
und Dienstleistungen) oder von den Unternehmen (Investitionen = „Konsum“
der Unternehmen): (vgl. Tab. 6.3.). Verwendung bedeutet dabei vor allem
Konsum oder Investition. Die Teile des Einkommens der privaten Haushalte
und POoE, die nicht konsumiert werden, stellen die Ersparnis dar. Die Ersparnis (S) entspricht ex-post gesehen den Investitionen (I) der Unternehmen.
Diese Identität lässt sich dadurch plausibel machen, dass die Ersparnisse der
1
Abgekürzt: POoE.
5
Verwendungsrechnung
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
privaten Haushalte und POoE den Banken zur Verfügung stehen, die wiederum den Unternehmen Kredite gewähren, aus denen diese ihre Investitionen
finanzieren.
Ergänzung: Die Sparquote wird definiert als Quotient aus Gesamtersparnissen
und BIP. Diese Sparquote entspricht laut der Identitätsgleichung (I = S) der
Investitionsquote, d.h. dem Quotient aus Investitionen und BIP.
Tabelle 6.3: Bruttoinlandsprodukt nach Verwendungsarten
Tabelle 6.3:
Bruttoinlandsprodukt
nach Verwendungsarten
In Mio. Franken, zu laufenden Preisen
Code
P.3
S.14+S15
S.13
P.5
P.51
P.5111be
P.5111c
P.52
P.53
P.6
P.61
P.62
P.7
P.71
P.72
B.1*b
Gliederung
Konsumausgaben
1
Private Haushalte und POoE
Staat
Bruttoinvestitionen
Bruttoanlageinvestitionen
Ausrüstungen
Bau
Vorratsveränderungen
Nettozugang an Wertsachen
Exporte
Warenexporte
Dienstleistungsexporte
Importe
Warenimporte
Dienstleistungsimporte
Bruttoinlandprodukt
2010
394'751
331'823
62'928
116'158
115'012
62'979
52'033
1'704
-559
296'349
204'053
92'296
234'593
190'874
43'719
572'665
2011p
399'868
335'415
64'453
124'503
120'319
65'782
54'537
4'328
-144
299'878
208'727
91'151
239'147
194'324
44'823
585'102
2012p
405'905
339'785
66'120
124'192
119'000
65'838
53'161
7'760
-2'567
309'529
212'386
97'143
247'775
196'879
50'896
591'85
Quelle: BFS (Link zur Statistik)
3. Verteilungsrechnung
Hier wird erfasst, wie sich das Bruttoinlandsprodukt bzw. Bruttonationaleinkommen auf verschiedene Gruppen verteilt (vgl. Tab. 6.4). Man unterscheidet
die funktionale Einkommensverteilung (Aufteilung der Einkommen nach Produktionsfaktoren: unselbständige und selbständige Arbeit [Löhne, Gewinne],
Boden [Bodenrente] und Kapital [Zinsen]) und die personelle Einkommensverteilung (Aufteilung der Einkommen nach Personen).
Tabelle 6.4: Bruttoinlandsprodukt und Bruttonationaleinkommen (funktionale
Verteilung)
In Mio. Franken, zu laufenden Preisen
Code
D.1
B.*2n
K.1
D.2
D.3
B.1*b
D.1r
D.1p
D.4r
D.4p
B.5*b
Gliederung
Arbeitnehmerentgelt
Nettobetriebsüberschuss
Abschreibungen
Produktions und Importabgaben
Subventionen
Bruttoinlandprodukt
Arbeitnehmerentgelt aus der übrigen Welt
Arbeitnehmerentgelt an die übrige Welt
Vermögenseinkommen aus der übrigen Welt
Vermögenseinkommen an die übrige Welt
Bruttonationaleinkommen
2010
339'607
110'972
103'396
37'457
-18'767
572'665
2'596
17'113
120'343
68'316
610'174
2011p
353'097
108'447
104'967
38'115
-19'524
585'102
2'575
18'676
90'155
68'714
590'441
2012p
362'313
104'593
106'906
38'486
-20'447
591'851
2'650
20'087
114'586
77'021
611'979
Quelle: BFS (Link zur Statistik)
6
Verteilungsrechnung
Tabelle 6.4:
Bruttoinlandsprodukt und
Bruttonationaleinkommen
(funktionale Verteilung)
KAPITEL 6
6.2 Wohlfahrtsmessung durch das Pro-Kopf-Einkommen?
Um die wirtschaftliche Leistungskraft von Volkswirtschaften vergleichen zu
können bzw. um einen Wohlstandsvergleich zwischen verschiedenen Ländern
machen zu können, ist es sinnvoll, die Bevölkerungsgrösse der Volkswirtschaften zu berücksichtigen. Im Allgemeinen verwendet man das Pro-KopfBIP (BIP / Bevölkerung) für die erwähnten Vergleiche. Die Aussagekraft des
Pro-Kopf-BIP als Wohlstandsindikator ist jedoch beschränkt. Dafür lassen sich
im wesentlichen 4 Gründe anführen: 2
a) Nicht-Berücksichtigen von aussermarktlichen Leistungen
Wegen der Bewertung zu Marktpreisen bleiben ökonomische Aktivitäten, wie
etwa die Eigenproduktion der Haushalte (Nachbarschaftshilfe, Hausarbeit,
Subsistenzwirtschaft) oder die Freiwilligenarbeit in Firmen aussen vor. Das SP
erfasst die ökonomischen Aktivitäten also nur unvollständig (Schätzungen der
OECD: zwischen 50% und 80% der Leistungen fehlen). Informationen des
Bundesamts für Statistik zeigen etwa, dass in der Schweiz im Jahr 2010 640
Mio. Stunden unbezahlt gearbeitet worden sind (im Vergleich zu 750 Mio. bezahlten Stunden), und dass ihr Wert ca. 40% des BIP anzusetzen ist. 3
b) Nicht-Berücksichtigung der „Schattenwirtschaft“
Mit Schattenwirtschaft“ werden diejenigen ökonomischen Aktivitäten bezeichnet, die den Ämtern (z.B. Steuerbehörden) und insbesondere den statistischen Ämtern nicht gemeldet werden. Dies geschieht häufig deswegen, weil
die Zahlung von Steuern oder von Sozialversicherungen für Mitarbeitende
vermieden werden soll. In verschiedenen Ländern fallen diese nicht ausgewiesenen ökonomischen Aktivitäten unterschiedlich hoch aus. Für die
Schweiz etwa wird grob mit 9% des ausgewiesenen BIP gerechnet, für Italien
mit ca. 30%, für Deutschland mit ca. 15%. Diese Angaben sind aber mit hohen
Ungenauigkeiten und Unsicherheiten behaftet.
Nahezu alle Länder haben also eine höhere Wohlfahrt als es durch das offizielle BIP angegeben wird. Das Ausmass des „Fehlers“ der offiziellen Angaben
variiert allerdings, und zwar in einer nicht genau spezifizierbaren Weise. Die
entsprechenden BIP-Angaben, ebenso wie auch Angaben etwa zur Staatsquote (Anteil der Staatsausgaben am BIP) oder zur Fiskalquote (Anteil der
Steuerzahlungen am BIP) geben daher nur eine grobe Orientierung. Kleinere
Unterschiede haben i.d.R. keine statistische Signifikanz.
c) Kontra-intuitive Effekte
Eine Reihe von wohlstands- bzw. wohlfahrtsverringernde Phänomenen erhöhen das BIP-pro-Kopf, wie zum Beispiel:
• Naturkatastrophen (Reparaturmassnahmen  höheres BIP)
• Gesundheitswesen (mehr kranke Menschen  höheres BIP)
• Umweltschäden/Verkehrsunfälle (mehr Umweltreparaturen/ mehr
Verkehrsunfälle  höheres BIP)
Ergänzende Bemerkungen zum Themenbereich „Umweltaspekte und Nationale Buchhaltung“ :
1. Abschreibungen, d.h. Wertverzehr von Kapital, beziehen sich ausschliesslich auf Maschinen bzw. Sachkapital. Im Sozialprodukt (BIP)
wird der Umwelt-Verbrauch (Verbrauch an natürlichen Ressourcen)
nicht ausgedrückt. Durch das BIP kann also keine Aussage über Umweltaspekte getätigt werden. Umweltaspekte, wie z.B. der Verlust an
2
3
Vgl. ZEW Konjunkturreport Oktober 2004: “Bruttonlansprodukt: Der falsche Kompass?”, S. 6f.
G.S.: „Unbezahlt heisst unsichtbar“, NZZ, 29.9.2012, S. 29.
7
Wohlfahrtsrechnung durch
das Pro-Kopf-Einkommen?
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
natürlichen Ressourcen, werden bei der Berechnung des BIP nicht beachtet.
Ausweg: Ergänzende Indikatorensysteme für den Umweltbereich. (Vgl.
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/02/06.html )
2. Reparaturen von Umweltschäden (Aufforstung, Einrichtung von Naturschutzgebieten) erhöhen das Bruttoinlandprodukt (generell: das SP).
Die Reparaturen sind jedoch nicht wirklich wohlfahrtssteigernd. Bestenfalls können frühere Wohlfahrtsniveaus wieder erreicht werden. Reparaturen von Umweltschäden sind höchstens Ersatz-, sicher keine
Erweiterungsinvestitionen (Vgl. Netto- versus Bruttoinvestitionen).
d) Qualitative/immaterielle Aspekte werden nicht berücksichtigt
Eine Reihe von immateriellen Faktoren sind für die Wohlfahrt eines Landes
wichtig, gehen aber nicht direkt in das BIP mit ein, dies sind zum Beispiel:
• Politische Sicherheit
• Einhaltung der Menschenrechte
• Soziale Integration von Randgruppen
• Meinungsfreiheit
• Wahrgenommene Zufriedenheit der Bevölkerung. Zur Frage,
inwieweit die wahrgenommene Zufriedenheit der Bevölkerung („das
Glück“) in das BIP integriert werden kann, gibt es inzwischen viele
Diskussionen (s.a. Materialien auf www.vwl.ethz.ch). In der
Schweiz soll es ab 2014 ein neues Indikatorensystem des
Bundesamts für Statistik geben, das das BIP mit Faktoren zur
Zufriedenheit ergänzt (vgl. „Gesamtschau: Ergänzung des BIP“).
Die OECD hat unlängst einen „Better Life Index“ veröffentlicht, der
aus 11 Kriterien besteht, die jeder im Internet gemäss eigenen
Vorstellungen gewichten kann (Quelle: P. Bernau: „Glück statt
BIP“,
in
FAZ
vom
10.07.2011,
S.
39;
http://www.oecdbetterlifeindex.org/).
e) Personelle Einkommensverteilung der privaten Haushalte
Die Einkommensverteilung wird ebenfalls nicht im BIP berücksichtigt. Es ist
zur Beurteilung der Wohlfahrt eines Landes aber wichtig, zu untersuchen, wie
sich das Einkommen auf die einzelnen Personen oder Gruppen verteilt (vgl.
Abb. 6.5). Hierbei bedient man sich in der Regel der Lorenzkurve bzw. des
Gini-Koeffizienten.
Die Lorenzkurve stellt die Verteilung des Einkommens auf die einzelnen
Haushalte dar. Auf der Ordinate werden die aufsummierten (kumulierten) Einkommensanteile und auf der Abszisse die aufsummierten (kumulierten) Anteile der Haushalte (bei den unteren Einkommensklassen beginnend) abgetragen. Falls jeder Haushalt über ein gleich hohes Haushaltseinkommen verfügen würde, entspräche die Verteilungskurve der Diagonalen in Abb. 6.6. Je
ungleicher die Verteilung ist, desto stärker ist die tatsächliche Verteilungslinie
(Lorenzkurve) gekrümmt und desto weiter liegt sie unter der Diagonalen.
8
KAPITEL 6
Abb. 6.5:
Einkommensverteilung
der privaten Haushalte
Abb. 6.5: Einkommensverteilung der privaten Haushalte (2000) 25 % der Haushalte haben ein Einkommen unter 5'204 Franken (monatlich); sie haben einen Anteil
am Gesamteinkommen von 10 %. 25 % der Haushalte haben ein Einkommen von
5‘204-7'683 Franken (monatlich); sie haben einen Anteil am Gesamteinkommen von
19 %. 25 % der Haushalte haben ein Einkommen von 7‘684-10'661 Franken (monatlich); sie haben einen Anteil am Gesamteinkommen von 26 %. 25 % der Haushalte
haben ein Einkommen von mehr als 10'661 Franken (monatlich); sie haben einen
Anteil am Gesamteinkommen von 45 %. Quelle: BFS, Statistisches Jahrbuch der
Schweiz 2003, S. 849
100%
Abb. 6.6:
Lorenzkurve der
Einkommensverteilung
in der Schweiz
90%
80%
70%
60%
C
50%
40%
30%
B
20%
A
10%
0%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Aufsummierte Anteile der Haushalte (in %)
Abb. 6.6: Lorenzkurve der Einkommensverteilung in der Schweiz (2000) Punkt A:
25 % der Haushalte (mit einem Einkommen unter 5000 Franken [monatlich]) haben
einen Anteil am Gesamteinkommen von 10 %. Punkt B: 50 % der Haushalte (mit einem Einkommen unter 7300 Franken [monatlich]) haben einen Anteil am Gesamteinkommen von 28 %. Punkt C: 75 % der Haushalte (mit einem Einkommen unter 10400
Franken [monatlich]) haben einen Anteil am Gesamteinkommen von 54 %, d.h. auch,
dass 25 % der Haushalte (mit einem Einkommen von mehr als 10400 Franken [monatlich]) 46 % des Gesamteinkommens erhalten. Die Diagonale ist die Gleichverteilungslinie; Die faktische Verteilungslinie (Verbindung der Punkte A, B und C) stellt die
Lorenzkurve dar. Quelle: BFS, Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2003, S. 849
Gini-Koeffizient
Um die in der Lorenzkurve enthaltene Information über die Einkommens-verteilung eines Landes in einem numerischen Indikator auszudrücken, verwendet man den Gini-Koeffizienten. Dieser setzt die in der Abbildung 6.7 bezeichneten Flächen A und B zueinander in Beziehung.
9
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
100%
Abb. 6.7:
Herleitung des GiniKoeffizienten mit Hilfe
der Lorenzkurve
Aufsummierte Einkommensanteile (in%)
90%
80%
70%
60%
50%
40%
A
30%
B
20%
10%
0%
0%
20%
10%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Aufsummierte Anteile der Haushalte (in %)
Abb. 6.7: Herleitung des Gini-Koeffizienten mit Hilfe der Lorenzkurve
Die Fläche A umfasst den Bereich, welcher durch die Gleichverteilungslinie
und die Lorenzkurve begrenzt ist. Die Fläche A+B beinhaltet den Bereich unterhalb der Gleichverteilungslinie.
Der Gini-Koeffizient ist folgendermassen definiert:
Gini - Koeffizient : G =
A
A+B
Zusammenhang Lorenzkurve - Gini-Koeffizient:
Lorenzkurve entspricht der Diagonalen im Schaubild  extreme
Gleichverteilung
G = 1: Fläche A ist identisch mit Fläche A+B, d.h. viele erhalten fast nichts
und genau einer erhält das gesamte Volkseinkommen  extreme
Verteilungsungleichheit
G = 0:
Je näher der Gini-Koeffizient also bei 0 liegt, desto gleichmässiger ist das Einkommen verteilt. Der Gini-Koeffizient für die Schweiz aus dem Jahr 2011 beträgt gemäss dem Bundesamt für Statistik 0,297, und ist damit im internationalen Vergleich eher klein. Für eine detaillierte Analyse der Einkommensunterschiede zwischen Privathaushalten (vgl. z.B. Medienmitteilung des BFS
„Grosse Einkommensunterschiede (...)“) 4.
Die folgende Tabelle zeigt den Gini-Koeffizienten für verschiedene OECDLänder 5:
4
5
www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/medienmitteilungen.Document.49708.html
OECD: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
10
KAPITEL 6
Tabelle 1: Levels and trends in the Gini Coefficient of inequality in the
distribution of equivalised household disposable income mid1980s to late-2000s
Austria
Belgium
Czech Republic
Denmark
Estonia
Finland
France
Germany
Greece
Hungary
Ireland
Italy
Luxembourg
Netherlands
Poland
Portugal
Slovak Republic
Slovenia
Spain
Sweden
United Kingdom
Iceland
Norway
Switzerland
Turkey
Australia
Canada
Japan
New Zealand
United States
0,26
0,27
0,26
0,25
0,31
0,26
0,29
0,30
0,32
0,27
0,30
0,34
0,27
0,29
0,31
0,36
0,25
0,24
0,31
0,26
0,34
0,28
0,25
0,28
0,41
0,34
0,32
0,33
0,33
0,38
0,407
0,325
1,139
0,524
1,163
-0,098
0,719
-0,759
-0,014
-0,651
0,360
0,475
0,320
-0,172
-0,530
1,095
0,768
0,543
-0,259
0,642
0,396
0,373
0,860
0,478
Empty cells: Data not available. Source: OECD, Society at a Glance 2011:
OECD Social Indicators, Paris 2011, p. 67.
Neben Unterschieden in der Einkommensverteilung können auch Unterschiede in der Vermögensverteilung für die Beurteilung der Wohlfahrt von
Bedeutung sein. Hierzu wäre zuerst zu definieren, was man genau unter Vermögen versteht. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Sach- bzw. Geldvermögen, Humanvermögen (Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen eines Landes), Naturvermögen und Sozialvermögen („Spielregeln“, nach denen
ein Land funktioniert). Statistiken werden weltweit vor allem zum Sach- bzw.
Geldvermögen geführt. Die folgende Tabelle zeigt die entsprechenden durchschnittlichen Vermögenswerte verschiedener Länder:
Tabelle 2: Länder mit den höchsten Durchschnittsvermögen (CHF)
Schweiz
439 486
Australien
333 473
Norwegen
306 723
Luxemburg
260 325
Japan
253 174
Frankreich
249 482
USA
246 268
Singapur
242 578
Grossbritannien
234 679
Schweden
222 750
Quelle: Credit Suisse: Global Wealth Report 2012.
11
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
Ähnlich wie beim Einkommen kann man sich auch beim Vermögen nicht nur
für Durchschnittswerte, sondern für die Verteilung interessieren. Das methodische Vorgehen ist dabei im Wesentlichen identisch.
Fazit zu 6.2:
Die Aussagekraft des BIP pro Kopf als Wohlstandsindikator ist eher gering. Es
ist allerdings möglich, Indikatoren zu verwenden, die die oben geschilderten
wohlfahrtsrelevanten Aspekte, welche nicht in das BIP eingehen, zusätzlich
berücksichtigen. Die Gewichtung der einzelnen Faktoren macht jedoch Werturteile erforderlich. Wie wichtig ist zum Beispiel die Einkommensverteilung im
Vergleich zum Pro-Kopf-Einkommen? Wegen dieser Werturteils-Problematik
sind die Indikatoren nicht unbedingt überzeugender als das BIP/Kopf, wenn
man eine Aussage über die Wohlfahrt eines Landes machen will.
Ein Beispiel für einen einfachen kombinierten Indikator ist der “Human Development Index” (HDI), der jedes Jahr vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (engl. United Nations Development Program, UNDP) erstellt
wird. Er kombiniert das Pro-Kopf-Einkommen mit einem Bildungs- und einem
Gesundheitsindikator und gewichtet alle drei Bereiche gleich stark. Wegen
seiner relativen Einfachheit hat sich dieser kombinierte Indikator bisher international
vergleichsweise
gut
durchgesetzt
(Link:
http://hdr.undp.org/en/statistics/hdi/).
6.3 Determinanten des Pro-Kopf-Einkommens
Bei der Betrachtung des realen BIP über die letzten Jahrzehnte sind zwei
Phänomene zu beobachten:
Determinanten des
Pro-Kopf-Einkommens
In der langen Frist steigt das reale BIP. In anderen Worten: der Wert der produzierten Güter und Dienstleistungen nimmt im Zeitverlauf zu. Man spricht in
diesem Zusammenhang von Wachstum des realen BIP. Die Trendlinie in Abb.
6.8 bzw. 6.9 zeigt die Entwicklungs- oder Wachstumstendenz des realen BIP.
In der kurzen und mittleren Frist schwankt das reale BIP um seinen langfristigen Trend. Diese Schwankungen oder Fluktuationen nennt man Konjunkturschwankungen. Man teilt diese in verschiedene Zyklen ein. Von Boom oder
Hochkonjunktur spricht man, wenn das reale BIP höher ist als der langfristige
Trend, von Rezession oder „konjunktureller Flaute“, wenn das reale BIP niedriger ist als der langfristige Trend (vgl. Abb. 6.8 und 6.10).
Abb. 6.8:
Die Entwicklung des
realen BIP mit Trendlinie
12
KAPITEL 6
Abb. 6.8: Die Entwicklung des realen BIP (1925-2009) mit Trendlinie Quelle: BFS
(2011): „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung 2008“, S. 8.
Das BIP der Schweiz ist in der jüngsten Zeit ähnlich wie in anderen Ländern
gesunken, allerdings weniger stark. Im Jahr 2011 wuchs das BIP/Kopf um
1,2%. Für das Jahr 2012 wird ein Zuwachs von 1% erwartet.
Abb. 6.9:
BIP pro Kopf
Abb. 6.9: BIP pro Kopf Quelle: NZZ, 31.10.2012, S. 33.
Reales BIP
Boom
Fluktuationen - idealisiert
Rezession
Boom
Rezession
Abb. 6.10:
Fluktuationen –
idealisiert
Boom
W
hs
ac
m
tu
d
fa
sp
Laufendes BIP
Langfristiger Trend
Zeit
Abb. 6.10: Fluktuationen – idealisiert
13
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
In dieser idealisierten Darstellung der Entwicklung des realen BIP lassen sich der
langfristige Trend und die einzelnen Konjunkturzyklen erkennen. Für die Trendlinie ist
angenommen, dass das reale BIP über die Zeit steigt. Das laufende BIP (blaue Linie)
zeigt, dass die Werte des realen BIP kurz- bzw. mittelfristig schwanken. Wenn die
tatsächlichen realen BIP-Werte oberhalb der Trendlinie liegen, befindet sich die
Volkswirtschaft in einer Boomphase. Wenn die tatsächlichen realen BIP-Werte unterhalb der Trendlinie liegen befindet sich die Volkswirtschaft in einer Rezessionsphase.
6.3.1 Wachstumsdeterminanten
In den letzten Jahrzehnten ist das reale BIP der Schweiz mit mehr oder weniger grossen Raten gewachsen (vgl. Bundesamt für Statistik: Statistisches
Jahrbuch der Schweiz 2005, S. 224-229). Generell wird ein positives Wirtschaftswachstum als wünschenswert angesehen. Hierfür sind vor allem vier
Gründe ausschlaggebend:
• Wachstum ermöglicht eine bessere materielle Versorgung der Menschen,
was vor allem für Entwicklungsländer wichtig ist. Entwicklungsländer können indirekt – nicht zuletzt auf dem Weg höherer Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit – vom Wachstum der Industrieländer profitieren, vorausgesetzt, entsprechender politischer Wille ist vorhanden. Eine bessere
materielle Versorgung in Entwicklungsländern bringt weltweit und gerade
auch für Industrieländer verschiedene „Dividenden“, u.a. eine Friedensdividende und eine Handelsdividende (vgl. WBGU (2004): Welt im Wandel –
Armutsbekämpfung durch Umweltpolitik)
• Bei Wachstum ist eine Umverteilung in Richtung auf eine gleichere Einkommensverteilung leichter möglich als ohne Wachstum, da lediglich die
Zuwächse, nicht aber bereits vorhandene Besitzstände anders verteilt
werden können. Ob es tatsächlich zu solchen Umverteilungen kommt,
hängt vom politischen Willen der Länder ab. Wachstum ist in diesem Sinne
eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für Umverteilung.
• Beim Wachstum ist es relativ leicht möglich, dass zusätzliche Aufgaben,
etwa im Bereich des Aufbaus von Infrastruktur, Bildungs- oder Gesundheitssystemen durch den Staat wahrgenommen werden. Auch hier muss
wieder nur der BIP-Zuwachs in die entsprechenden Verwendungen geschoben werden. Aber auch hier ist der politische Wille eines Landes entscheidend und Wachstum ist wieder nur eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für eine Veränderung staatlicher Aktivitäten.
• Wachstum macht es möglich, dass Arbeitsplatzverluste in Bereichen mit
arbeitssparendem technischen Fortschritt durch zusätzliche Arbeitsplätze
in neu entstehenden oder wachsenden Bereichen kompensiert werden, so
dass netto keine Arbeitsplatzverluste eintreten. Voraussetzung hierfür ist
allerdings, dass einzelne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht zuletzt durch Umschulungen in die Lage versetzt werden, entsprechende
Branchenwechsel oder Tätigkeitswechsel zu vollziehen. Der Abbau von
Arbeitsplätzen in einzelnen Bereichen ist im übrigen als sinnvolle strukturverändernde Dynamik anzusehen. Es wird auf diese Weise möglich, weltweit die komparativen Kostenvorteile zu nutzen (vgl. Kap. 7 zum Aussenhandel). Darüber hinaus gibt es Anreize für technologische Weiterentwicklungen und Neuentwicklungen von Prozessen und Produkten, wovon
ein wohlfahrtssteigernder Effekt ausgeht.
Welches sind nun die wichtigsten Grössen, die für Wirtschaftswachstum sorgen können?
Die folgende Abbildung 6.11 zeigt wichtige Wachstumsdeterminanten auf.
Relative Preise und Institutionen sowie deren Veränderungen haben direkt
14
KAPITEL 6
(über die Produktionsfunktion) oder indirekt (über die Produktionsfaktoren)
Einfluss auf die mittel- und langfristigen Veränderungen des Sozialproduktes.
Determinanten für Wirtschaftswachstum
Abb. 6.11:
Determinanten des
Wachstums
Produktionsfunktion: Y = f (Faktor 1, Faktor 2, ...)
∆
Y
Faktormenge
Preise
f
∆
Institutionen
Faktorqualität
(Innovation)
Abb. 6.11: Schematische Übersicht wichtiger Wachstumsdeterminanten
Bei den Produktionsfaktoren sind quantitative Veränderungen, wie etwa
zusätzliches Sachkapital, oder qualitative Veränderungen, wie etwa
Verbesserungen beim Humankapital als Folge besserer Aus- und
Weiterbildung und verbesserten technologischen Wissens zu beachten. Als
makroökonomische
Produktionsfaktoren
sind
dabei
Sachkapital,
Humankapital, Naturkapital und Sozialkapital anzusehen. Zwischen ca. 1950
und ca. 1980 wurde vor allem die Bedeutung von zusätzlichem Sachkapital für
das Wirtschaftswachstum betont. Dementsprechend war Wachstumspolitik vor
allem auf Massnahmen zur Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis
(insbes. Sparquote) sowie der Investitionen ausgerichtet. Erst nach 1980
wurde zusätzlich auf die grosse Bedeutung des Humankapitals und
Naturkapitals für das Wirtschaftswachstum gesehen. So wurde
Wachstumspolitik zunehmend auf die Förderung von Forschungs- und
Entwicklungsanstrengungen in Firmen sowie auf Bildungspolitik ausgerichtet.
Man erkannte, dass mehr Wissen und bessere Bildung neben direkten
positiven Effekten auch indirekte positive Effekte (sogenannte spill-overs etwa
durch Lerneffekte in einer Branche, ausgelöst durch besseres Know How in
einer vor- oder nachgelagerten Branche) haben kann. Darüber hinaus wurde
auch den Aspekten der Nachhaltigkeit, speziell der Nachhaltigkeit in
ökologischer Hinsicht, mehr Bedeutung beigemessen. Wachstumspolitik
wurde in diesem Sinne auch zu einer Politik des “optimalen” Abbaus
natürlicher Ressourcen (vgl. Vorlesung Umweltökonomie).
6.3.2 Konjunkturdeterminanten
Interessante Fragen im Zusammenhang mit Konjunkturzyklen sind:
•
Aus theoretischer Sicht
Welches sind die Ursachen für besonders steile bzw. flache Konjunkturzyklen?
•
Aus wirtschaftspolitischer Sicht:
15
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
-
Was kann man tun, um Konjunkturzyklen möglichst lang und flach zu
machen, um auf diese Weise die Anpassungskosten für die Ökonomie möglichst gering zu halten?
Seit dem negativen Wachstum des BIP im Jahr 2003 ist die Schweizer
Wirtschaft wieder gewachsen, mit einer Rate von 1.9% im Jahr 2005 sogar
kräftig. Dies ist auf eine anhaltend starke Inlandnachfrage zurückzuführen.
Diese setzt sich aus dem Konsum der privaten Haushalte, POoE und des
Staats sowie aus den Investitionen zusammen. Während der Konsum der
privaten Haushalte und POoE gestiegen ist, hat jener des Staats leicht
nachgelassen. Die Investitionen haben insbesondere durch die
Finanzdienstleistungen, die Maschinen-, die chemische und die
Uhrenindustrie zum Wachstum beigetragen. Darüber hinaus hat auch die
ausländische Nachfrage zum Schweizer Wirtschaftswachstum im Jahr 2005
beigetragen 6.
Grundsätzlich bestehen folgende Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die
Gesamtnachfrage durch staatliche Wirtschaftspolitik:
• Direkte zusätzliche (oder verringerte) Staatsausgaben, zur kurzfristigen
Erhöhung (Senkung) des BIP
• Indirekte Einflussnahme auf die Konsum- oder Investitionsausgaben der
Privaten. So führt beispielsweise eine Verringerung (Erhöhung) von
Einkommenssteuern tendenziell zu einem Anstieg (Rückgang) der
Konsumausgaben. Oder eine Senkung (Erhöhung) der Zinsen erzeugt
tendenziell einen Anstieg (Rückgang) der Investitionsausgaben, weil die
Finanzierungskosten von Projekten – verglichen mit der Rendite der
Projekte – geringer (höher) werden. Eine Veränderung von Zinsen kann
durch geldpolitische Massnahmen herbeigeführt werden (vgl. dazu Kapitel
8 der Vorlesung).
Im Folgenden werden nun die Wirkungen zusätzlicher Staatsausgaben bzw.
verringerter oder erhöhter Einkommenssteuern auf die Höhe des BIP
betrachtet. Es geht dabei um den Versuch, die Höhe des BIP kurz- bis
mittelfristig zu beeinflussen. Langfristige Wachstumswirkungen sind in der
Regel weder beabsichtigt noch beobachtbar. Es zeigt sich, dass die BIPEffekte die Höhe der anfänglichen zusätzlichen Staatsausgaben bzw. der
reduzierten oder erhöhten Steuern um ein Vielfaches übersteigen können.
6.4 Multiplikatoranalyse
Multiplikatoranalyse
Frage: Wie kann mit Hilfe staatlicher Politik in eher kurzer Frist auf die Höhe
des Sozialproduktes Einfluss genommen werden?
Antwort:
Grundsätzlich ist möglich:
1. eine Erhöhung/Senkung der Staatsausgaben
2. eine Erhöhung/Senkung der Steuern
3. eine Kombination aus Veränderung von Staatsausgaben
und Veränderung von Steuern
Ein einfaches Modell:
Die Effekte von Veränderungen der Staatsausgaben bzw. Steuern werden
nun in einem einfachen Modell analysiert.
6
Vgl. Bundesamt für Statistik / BfS (2006). Volkswirtschaftliche Gesamtrechung der
Schweiz 2005. Erste Schätzungen. Neuchâtel: S. 5f.
16
KAPITEL 6
Folgende Annahmen werden gemacht:
a) Gesamtnachfrage:
YN = C + I + ASt + (X – M)
YN:
C:
I:
ASt:
X-M:
Gesamtnachfrage
Konsumausgaben der Privaten
Investitionen
Staatsausgaben
Saldo der Leistungsbilanz (Aussenbeitrag)
b) Gesamtangebot:
YA
c) Gleichgewicht am Gütermarkt:
YA = YN = Y
d) Bestimmung der Konsumausgaben:
c:
C = c ⋅ Y + Cautonom
marginale Konsumquote der privaten Haushalte (einkommensabhängig)
Man geht davon aus, dass der Konsum mit zunehmenden Einkommen steigt.
Die marginale Konsumquote c bringt zum Ausdruck, um wieviel die Konsumausgaben steigen, wenn das Einkommen um eine zusätzliche Einheit erhöht
wird (0 < c ≤ 1).
Begriff:
Marginale
Konsumquote (c)
Cautonom: autonomer Konsum (einkommensunabhängiger Anteil des Konsums)
Zu 1: Herleitung des einfachen Staatsausgaben-Multiplikators:
In t = 0: Ausgangsgleichgewicht
Y0 = c ⋅ Y0 + Cautonom + I + A0St + ( X – M)
In t = 1: Erhöhung der Staatsausgaben (A1St > A0St)
Y1 = c ⋅ Y1 + Cautonom + I + A1St + ( X – M)
Differenz (t1 zu t0):
∆ASt = A1St − ASt0
Herleitung:
Einfacher
StaatsausgabenMultiplikator
∆Y = Y1 − Y0
∆Y = c ⋅ ∆Y + ∆ASt
∆Y ⋅ (1 − c) =∆ASt
1
∆=
⋅ ∆ASt
Y
1− c
Ergebnis: Zusätzliche Staatsausgaben erhöhen das Sozialprodukt um mehr
als den eigentlichen Ausgabenbetrag, und zwar wegen des Multiplikator-Prozesses (siehe unten).
17
Beispiel:
Einfacher
StaatsausgabenMultiplikator
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
Beispiel: c = 0,8
Multiplikator : 5
1
1
= = 5
1 − 0,8 0,2
Eine Erhöhung der Staatsausgaben bei einer marginalen Konsumquote von
c = 0,8 erhöht das gleichgewichtige Sozialprodukt um das Fünffache des ursprünglichen Betrages der Staatsausgabenerhöhung.
Interpretation des Multiplikatorprozesses bei einer Veränderung der
Staatsausgaben:
Eine Erhöhung der Staatsausgaben erhöht die Gesamtnachfrage und somit
auch das Volkseinkommen um den Betrag ∆ASt. Dadurch werden selbstverstärkende Kreislaufmechanismen ausgelöst, die dafür sorgen, dass der Gesamteffekt grösser ist als der zusätzliche Ausgabenbetrag.
Versuchen wir uns dies an folgendem Beispiel zu verdeutlichen: Sei c = 0,8;
∆ ASt = 100 GE (GE: Geldeinheiten). Im Multiplikatorprozess passiert folgendes:
• Die Gesamtnachfrage steigt durch die Staatsausgabenerhöhung zunächst
um 100 GE. Die Erhöhung der Gesamtnachfrage schafft Einkommen für
die privaten Haushalte (Arbeiter und Unternehmer) ⇒ ∆ Y1 = 100 GE
• Einen Teil der verfügbaren Einkommen werden die privaten Haushalte
sparen. Bei einer marginalen Konsumquote von 0,8 werden die Haushalte
20 % des zusätzlichen Einkommens sparen, d.h. 20 GE, und 80 % des
zusätzlichen Einkommens konsumieren, d.h. 80 GE ⇒ ∆ C1 = 80 GE
• Die ursprüngliche Staatsausgabenerhöhung wirkt dadurch ein zweites Mal
auf die Gesamtnachfrage. Die Erhöhung der Gesamtnachfrage durch den
höheren Konsum der privaten Haushalte erhöht das Volkseinkommen
nämlich um 80 GE, d.h. insgesamt steigt das Volkseinkommen durch die
Staats-ausgabenerhöhung bereits um 180 GE.
⇒ ∆ Y2 = 80 GE; ∆ Y1 + ∆ Y2 = 180 GE
• Die Erhöhung des Volkseinkommens wirkt wiederum ein drittes Mal auf
den Konsum der privaten Haushalte.
• Die ursprüngliche Staatsausgabenerhöhung von 100 GE erhöht das Volkseinkommen (bei einer marginalen Konsumquote von 0,8) durch den Multiplikatorprozess insgesamt um 500 GE.
Der gesamte Effekt hat die Form einer unendlichen geometrischen Reihe:
∆Y = ∆Y1 + c ⋅ ∆Y1 + c ⋅ (c ⋅ ∆Y1) + c ⋅ (c ⋅ (c ⋅ ∆Y1)) + ... ⇒ ∆Y = ∆Y1/(1-c).
Bemerkung: Je kleiner die marginale Konsumquote ist, desto kleiner ist der
Multiplikator.
Zu 2: Herleitung des einfachen Steuer-Multiplikators:
Steuer-Multiplikator
Auch eine Veränderung der Steuereinnahmen kann zu einem Multiplikatoreffekt führen.
Im folgenden wird angenommen, dass der Staat durch eine Einkommens-besteuerung ein Steueraufkommen von T erzielt.
Da eine Besteuerung das für den Konsum verfügbare Einkommen verringert,
ergeben sich die Konsumausgaben aus folgender Gleichung:
18
KAPITEL 6
C = c ⋅ Yv + Cautonom, mit Yv= Y – T.
Es wird nun angenommen, dass im Zeitpunkt t=1 die Steuern gesenkt werden.
In t = 0: Ausgangsgleichgewicht
Y0 = c ⋅ Y0 – c ⋅ T0+ Cautonom + I + ASt + ( X – M)
In t = 1: Senkung der Steuer bei gleichbleibenden Staatsausgaben (T1 < T0):
Y1 = c ⋅ Y1 – c ⋅ T1 + Cautonom + I + ASt + ( X – M)
Differenz (t1 zu t0):
Herleitung:
Einfacher SteuerMultiplikator
∆T = T1 − T 0
∆Y = Y1 − Y0
∆Y = c ⋅ ∆Y − c ⋅ ∆T
∆Y ⋅ (1 − c) = −c ⋅ ∆T
Y
∆=
−c
⋅ ∆T
1− c
Ergebnis: Eine Senkung der Steuern erhöht das Sozialprodukt, und zwar um
mehr als den ursprünglichen Steuersenkungsbetrag (|∆T|).
Beispiel: c = 0,8 ⇒ Multiplikator: -0,8 / 0,2 = -4
Eine Senkung der Steuern erhöht das gleichgewichtige Sozialprodukt um das
Vierfache des ursprünglichen Betrags der Steuersenkung.
Vergleich von Steuer- und Staatsausgaben-Multiplikator
Beim Vergleich zwischen dem Staatsausgaben- und dem Steuer-Multiplikator
fällt auf, dass der Steuermultiplikator kleiner ist. Dies ist darauf zurück-zuführen, dass eine Steuersenkung (-erhöhung) nicht unmittelbar in voller Höhe
nachfragewirksam wird, sondern nur mittelbar über eine Erhöhung der privaten Konsumausgaben. Die Staatsausgabenerhöhung wirkt hingegen direkt.
Wenn eine Regierung eine Budgetsanierung plant, sollte beachtet werden,
dass eine Rücknahme der Staatsausgaben eine grössere Verringerung des
Volkseinkommens nach sich zieht als eine Erhöhung des Steueraufkommens
um den gleichen Betrag. In dieser Hinsicht hätte also eine einnahmenseitige
Budgetsanierung weniger Nachteile.
Zu 3: Multiplikator für steuerfinanzierte Staatsausgaben (HaavelmoTheorem)
Die bisherigen Ergebnisse der Multiplikatoranalyse ändern sich, wenn berücksichtigt wird, dass Staatseinnahmen über Steuereinnahmen finanziert werden.
Es wird im folgenden angenommen, dass der Staat ein Steueraufkommen von
T erzielt, mit welchem Staatsausgaben in Höhe von ASt finanziert werden.
Es gelte:
ASt =T
und auch: ∆ ASt =∆T
19
Haavelmo-Theorem
MESSUNG DER « LEISTUNGSKRAFT» UND « WOHLFAHRT » VON VOLKSWIRTSCHAFTEN
Es müssen nun sowohl die Veränderungen der Staatsausgaben als auch des
Steueraufkommens berücksichtigt werden. Die Veränderung des gleich-gewichtigen Sozialprodukts wird dann durch die Kombination beider Multiplikatoren bestimmt:
ΔY
=
ΔY =
1
c
⋅ ∆A St −
⋅ ∆T
1-c
1-c
1-c
⋅ ∆A St = 1⋅ ∆A St
1-c
Ergebnis:
Bei einer steuerfinanzierten Erhöhung der Staatsausgaben erhöht/vermindert
sich das Volkseinkommen genau um den Betrag der Staatsausgaben. Dieser
Effekt wird als Haavelmo-Effekt bezeichnet.
Werden zusätzliche Staatsausgaben durch zusätzliche Steuern finanziert, so
fällt der expansive Effekt aus der Ausgabenerhöhung dem kontraktiven Effekt
aus der Steuererhöhung zum Opfer und es bleibt lediglich die Ausgabenerhöhung an sich, welche das gleichgewichtige Sozialprodukt erhöht. Weitergehende Multiplikatoreffekte fallen – netto betrachtet – nicht an.
Literatur
Mankiw, N. G. & Taylor, M. P. (2012).  Grundzüge der
Volkswirtschaftslehre. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart.
Kapitel 22
Frey, R. L. (2002): Wirtschaft, Staat und Wohlfahrt, 10. überarbeitete Auflage,
Basel - Frankfurt / M. S. 67-79
Kleinewefers, H./Pfister, R./Gruber, W. (1993): Die schweizerische Volkswirtschaft, 4. vollständig neu bearbeitete Auflage, Frauenfeld, S. 337-361
WBGU; Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2004): Welt im Wandel – Armutsbekämpfung durch Umweltpolitik. Berlin
 Empfohlen
20
Haavelmo-Effekt
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