SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Mit

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
Mit Strahlung heilen – Was leistet die moderne Strahlenmedizin?
Autor: Horst Gross
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Maria Ohmer
Sendung: Montag, 4. Juni 2012, 8.30 Uhr, SWR2
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
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Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die aus Zeitgründen in
der ausgestrahlten Sendung gekürzt wurden.
MANUSKRIPT
Atmo 1: Krankenhausflur kurz solo dann unter Cut 1
Cut 1: HNO-Patient
Die Diagnose „Sie haben einen Krebs“ ist immer ein Hammer für jeden Menschen im
ersten Moment.
Musik 2 Akzent beginnt unter Cut 1, kurz solo und dann unter Sprechertext weiter.
Sprecherin:
Die Diagnose Krebs wird in Deutschland jährlich etwa 200.000-mal gestellt. Was früher
eine Art Todesurteil war, ist heute zu einer ganz normalen Erkrankung geworden. In
vielen Fällen kann Krebs geheilt werden und in den meisten Fällen lässt er sich
therapeutisch beherrschen. Maßgeblichen Verdienst an dieser Entwicklung hat eine
relativ junge medizinische Fachdisziplin, die bei vielen Patienten grundlos Schrecken
und Angst auslöst.
Atmo 2 Musikakzent kurz Solo und unter Ansage weiter.
Ansage:
Mit Strahlung heilen
Was leistet die moderne Strahlenmedizin?
Eine Sendung von Horst Gross
Musikakzent kurz Solo und dann unter Folgetext ausklingen lassen. Dann setzt wieder
Atmo 1 Krankenhausflur ein.
weiter Cut 1: HNO-Patient
Mir hat eine Sache ein wenig darüber hinweg geholfen, als es nämlich hieß: Krebs, der
gut strahlentherapeutisch zu behandeln ist. Hat mir das eigentlich wieder Zuversicht
gegeben.
Atmo 2 Musikakzent als Trenner unter Folgetext auslaufen lassen. Danach Atmo 1
Krankenhaus solo.
Sprecherin:
Kehlkopfkrebs lautet die Diagnose dieses Patienten. Er muss kurzfristig über einen
Luftröhrenschnitt atmen. Aber der wird wieder verschlossen und außer einer kleinen
Narbe am Hals bleibt kein Folgeschaden zurück. Die Strahlenmedizin macht‘s möglich.
Noch vor wenigen Jahren musste man in solchen Fällen den ganzen Kehlkopf
herausoperieren. Für die Betroffenen eine Katastrophe. Sie konnten nicht mehr
sprechen, nicht mehr essen und waren durch die OP entstellt. [Die reduzierte
Lebensqualität nach einem solchen Eingriff hat manchen Patienten dazu gebracht, ganz
auf die Operation zu verzichten.] Die moderne Strahlentherapie hat die Situation
grundlegend geändert. Kehlkopfkrebs ist heute heilbar, auch wenn dazu ein langer
Krankenhaus-Aufenthalt und viel Geduld notwendig sind.
Atmo 1 Krankenhaus kurz solo kombiniert mit Atmo 3 (Trage fährt vorbei)
2
weiter Cut 1: HNO-Patient
Ich will gesund werden. Ich will wieder arbeiten können. Ich möchte also später
sprechen können. Ich möchte essen können, normal.
Atmo 1 kurz solo dann ausblenden.
Atmo 2 Musikakzent als Trenner
Sprecherin:
Die Strahlenmedizin bekämpft den Krebs ohne Operation von außen. Mit energiereicher
Strahlung wird der Tumor zum Einschmelzen gebracht. Entwickelt wurde dieser
Therapieansatz bereits in den Fünfzigerjahren. Die ersten Strahlenbehandlungen waren
aber eher der verzweifelte Versuch, beim fortgeschrittenen Krebs noch ein paar
zusätzliche Lebenstage herauszuschlagen. Die damals eingesetzten Geräte gaben die
Strahlen viel zu ungenau und schlecht dosiert ab. Die Lebensverlängerung erkaufte
man sich mit massiven Hautverbrennungen, Durchfällen und einer Schädigung des
Immunsystems. Der Berliner Strahlenmediziner Professor Volker Budach von der
Charité erinnert sich:
Cut 2: Budach
Früher war es tatsächlich ja leider so, dass die Strahlentherapie immer so die letzte
Stelle war, bevor es dann ans Sterben ging. Und das hat sich leider bei einigen
Kollegen immer noch nicht so herumgesprochen, dass wir jetzt, sagen wir einmal, zu 70
Prozent wirklich kurative Patienten haben, das heißt Patienten, die wir heilen wollen.
Heute ist die Zuweisung zu einer Strahlentherapie eigentlich eine klare Hoffnung für den
Patienten, weil er damit eventuell die Heilung sich erkaufen kann.
[Sprecherin:
Nicht nur die Technik, auch die Qualifizierung der Ärzte war früher mehr als dürftig.
Cut 3: Budach
Die Strahlentherapie war damals, so vor 25, 30 Jahren, Kellerkind des Radiologen. Der
stellte da irgendeinen seiner Ärzte ab. Die mussten dann im Keller ein bisschen
bestrahlen, mit Geräten, die damals auch ganz schlechte Qualität hatten. Kobaltbombe
oder Röntgenstrahler.
Sprecherin:
Heute dagegen wird kein radioaktives Material mehr als Strahlenquelle eingesetzt.
Stattdessen erzeugt eine spezielle elektrische Röhre, der sogenannte
Linearbeschleuniger, die therapeutische Strahlung. Der Berliner Strahlenmediziner
Professor Budach:
Cut 4: Budach
Wobei die therapeutischen Strahlen, die wir anwenden, nichts weiter sind als ultraharte
Röntgenstrahlen. Und wenn man dort den Stecker aus der Dose herauszieht, ist auch
kein Strahl und keine Radioaktivität vorhanden. Das heißt, dann, wenn sie vom Tisch
aufstehen, strahlt bei ihnen gar nichts mehr. Sie werden also nicht radioaktiv gemacht
durch unsere Strahlentherapie.]
Atmo 2
3
Sprecherin:
Doch warum kann man mit Strahlung überhaupt einen Tumor oder eine Metastase
behandeln? Strahlung gibt es schließlich auch in der Natur, und unsere Körperzellen
können ihre Erbinformationen einigermaßen gut gegen Strahlenschäden schützen.
Ganz anders sieht es bei Krebszellen aus. Sie sind aufgrund ihrer Biologie nicht in der
Lage, Strahlenschäden an ihrer Erbinformation zu reparieren. Das ist das Prinzip, auf
dem die moderne Strahlenmedizin basiert.
Cut 5: Budach
Wenn man aber jetzt während der Zellteilung auf diese Zellen Strahlung gibt, dann wird
dieses ganze Genom, dieses ganze Material, diese Erbsubstanz ganz vermehrt
geschädigt.
Sprecherin:
Bestrahlte Krebszellen können sich nicht mehr teilen. Der Tumor oder seine Metastasen
sterben ab. Der kritische Punkt bei der Strahlentherapie ist die richtige Dosierung. Sie
muss so hoch sein, dass das Tumorgewebe nachhaltig geschädigt wird. Gleichzeitig
muss die Dosis so niedrig sein, dass sich das gesunde Umgebungsgewebe vom
Strahlenschaden erholen kann. Dieses Ziel erreicht man am besten, wenn man die
Strahlendosis auf mehrere Sitzungen verteilt.
Cut 6: Budach
Das ist das Prinzip dieser fraktionierten Strahlentherapie. Dass man eine
Strahlentherapie eben nicht mit einer einzigen Bestrahlung in der Regel macht, sondern
mit vielen kleinen Portionen.
Sprecherin:
Die fraktionierte Bestrahlung macht die Therapie wesentlich verträglicher. Der
entscheidende Durchbruch kam allerdings erst mit einer neuen Bestrahlungstechnik.
Moderne Geräte strahlen nicht mehr starr in den Patienten hinein, sondern sie kreisen
um den Tumor herum. So wird die Belastung des Umgebungsgewebes weiter
vermindert. Gleichzeitig kann die Dosis im Zielgewebe höher gewählt werden. Erst mit
dieser neuen Technik, mit der intensitätsmodulierten Strahlentherapie oder kurz IMRT,
hat die moderne Strahlentherapie den Durchbruch geschafft. Jetzt gibt es nur noch
minimale Nebenwirkungen.
[Cut 7: Brustkrebspatientin
Also die Haut wird angegriffen.
Sprecherin:
... berichtet eine Brustkrebspatientin über ihre Erfahrungen nach der ersten
Bestrahlungssitzung.
weiter Cut 7: Brustkrebspatientin
Die Brust schwillt an und wird rot und es ist wie Sonnenbrand. Und es kann sich auch
ein bisschen pellen, so wie nach dem Sonnenbrand und es ist so ein bisschen
Spannungsgefühl. Etwas unangenehm eben. Aber keine wirklichen Schmerzen.]
Sprecherin:
Und vielleicht gehören auch sie bald der Vergangenheit an.
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Atmo 2 Musik kurz als Trenner, dann solo, dann unter Folgetext ausklingen lassen.
Atmo 4 ab Bestrahlungsraum setzt ein ab (optimal ab 0:33) oder alternativ Atmo 6
Sprecherin:
Wir sind im Cyberknife-Zentrum der Berliner Charité. Hier wird eine neue hoch präzise
Bestrahlungstechnologie getestet. Eine Art virtuelles Skalpell, mit dem man selbst
kleinste Tumore tief im Körperinneren entfernen kann. Kernstück des Cyberknife ist ein
umgebauter Industrieroboter. Er koordiniert die Strahlungsquelle und den Patienten auf
der Behandlungsliege so perfekt, dass, bei sehr guter Verträglichkeit, eine bisher
undenkbare Präzision erreicht wird.
Cut 8: Kufeld
Das ist hier ein ebenfalls robotergeführter Behandlungstisch aus Carbon. Da wird der
Patient platziert.
Sprecherin:
Markus Kufeld, Oberarzt an der Strahlenmedizin der Charité, führt uns durch den
Behandlungsraum des Cyberknife. Wer hier die Atmosphäre eines Versuchslabors
erwartet, wird enttäuscht. Das Ganze erinnert eher an Raumschiff Enterprise. Die
Designer haben ganze Arbeit geleistet. Es gibt keine einschüchternde Technik.
Stattdessen entspannt leise Hintergrundmusik die Patienten, die die etwa zweistündige
Behandlung auf einer schicken Liege verbringen. Mit leisem Surren positioniert der
Roboter kontinuierlich Patient und Strahlenquelle. Alles wie von Geisterhand.
weiter Cut 8: Kufeld
Und dann übernimmt eigentlich schon das Bildortungssystem das
Röntgenpositionierungssystem, das sehen sie hier. Da sind zwei Röntgenröhren an der
Decke montiert. Und diese Röntgenröhren detektieren dann zum Beispiel die
Schädelkalotte des Patienten. Gleichen das mit dem zuvor aus dem Planungs-CT
erstellten virtuellen Röntgenbildern ab. Die Abweichung wird gemessen und
automatisch vom Roboter gleich ausgeglichen.
Sprecherin:
Die Strahlenquelle selbst ist für den Patienten nicht zu erkennen.
Cut 9: Kufeld
Und der gesamte Linearbeschleuniger ist eigentlich in diesem kompakten Kopf vorne
am Roboter montiert. Also da wird die Strahlung erzeugt.
Sprecherin:
Die Robotertechnik ermöglicht es, den Therapiestrahl mit höchster Schnelligkeit und
Präzision zu steuern. Und das selbst, wenn der Patient sich bewegt oder atmet.
Cut 10: Kufeld:
[Das Gute ist aber wieder auch bei unserem System:] Der Patient kann sich während
dieser zweieinhalb Stunden, wenn er nicht mehr liegen kann, oder sonstige Probleme,
hat jederzeit melden. Wir können die Behandlung stoppen. Er kann sogar aufstehen.
Kann zwischendurch zur Toilette gehen. Legt sich wieder hin. Wird wieder neu
positioniert von unserem Positionssystem. Und dann kann die Behandlung fortgeführt
werden.
5
Sprecherin:
Nur eines kann der Strahlungsroboter nicht: Den Tumor oder die Metastasen im Körper
selbst erkennen. Dazu muss vor der Bestrahlung eine Art Therapieblaupause
angefertigt werden. Mit bildgebenden Verfahren wie Computer- oder
Magnetresonanztomografie wird der Tumor exakt vermessen. Hier, in der
Planungsabteilung des Cyberknifes.
Cut 11: Kufeld
[Anhand dieser Bilder wird die Bestrahlung geplant. An den Planungsrechnern. Und die
haben wir hier in diesem Raum.] Und da haben wir jetzt ein kleines Meningiom im
Gehirn, das gerade geplant wird. Da eine Lebermetastase.
Sprecherin:
Jede Bestrahlungssitzung wird zuerst im Computer simuliert.
Cut 12: Kufeld
Beim Cyberknife ist es ja so, dass wir aus vielen Einstrahlrichtungen, 100 bis zu 300,
400 verschiedenen Einstrahlrichtungen in den Tumor individuell berechnete Strahlen
einstrahlen, die der Roboter sozusagen dann nacheinander anfährt.
Sprecherin:
Die Präzision des Cyberknife erlaubt es, auch Minitumore an kritischen Stellen, etwa
mitten im Gehirn, anzugehen.
Cut 13: Kufeld
Unser System hat vom Planungs-CT über die Planung bis hin zur Applikation der
Bestrahlung letztendlich eine Überallesgenauigkeit bei Kopfbehandlungen zum Beispiel
von 0,6 bis 0,8 mm.
Sprecherin:
Eine solche Präzision im Submillimeterbereich erreicht bisher nur der Chirurg, wenn er
einen Tumor unter dem Operationsmikroskop entfernt. Durch das virtuelle
Strahlenskalpell gelingen solche Eingriffe jetzt praktisch nebenwirkungsfrei, ohne
Hautschnitt und ohne Narkose.
Cut 14: Kufeld
Bei der Behandlung selbst spürt man nichts. Keine Schmerzen. Man spürt natürlich
diese Strahlung nicht. Das ist der Vorteil. Aber man darf das nicht unterschätzen. Wir
strahlen in einer Sitzung relativ hohe Strahlendosen ein. Und die Effekte, sowohl die
positiven aber auch die nachteiligen Effekte, können Tage, Wochen, auch teilweise
nach Monaten teilweise sogar noch nach Jahren auftreten.
Sprecherin:
Noch ist unklar, welche Einsatzgebiete das Strahlenskalpell in Zukunft abdeckt und
auch über mögliche Spätfolgen besteht noch Unsicherheit. Doch schon jetzt zeichnet
sich eine Indikation ab, bei der das Cyberknife der klassischen Chirurgie schon in naher
Zukunft Konkurrenz macht.
Cut 15: Budach
Also wir haben bei den Frühstadien des Prostatakarzinoms bis zu einer Heilung von
weit über 80 Prozent.
6
Sprecherin:
... erklärt Professor Volker Budach von der Charité Berlin. Erste klinische Studien
lassen hoffen, denn Prostataeingriffe mit den Cyberknife führen offenbar seltener zu
den typischen OP-Komplikationen wie Impotenz und Problemen beim Wasserlassen.
Cut 16: Budach
Das ist alles noch experimentell. Aber wenn das tatsächlich erfolgreich sein sollte, dann
denke ich, werden die Patienten selber abstimmen. Denn wenn die eine Therapie
haben, die eine Woche ohne irgendwelche Operationen und die entsprechenden
Narkoserisiken usw. von sich geht und keine Inkontinenz und Impotenz beinhaltet, dann
denke ich, werden die Patienten selber entscheiden, was für sie besser ist.
Sprecherin:
Mit IMRT-Technik und Cyberknife nimmt die moderne Strahlenmedizin der
Krebserkrankung bereits jetzt schon vieles an Schrecken. Doch einfach wegbestrahlen
kann man den Krebs leider immer noch nicht.
Atmo 2 Musik als Trenner kurz solo, dann unter Folgecut weg.
Cut 17: de Wit
Also Krebs ist schon eine systemische Erkrankung.
Sprecherin:
Die Berliner Onkologin Frau Professor Maike de Wit vom Klinikum Vivantes in BerlinNeukölln.
weiter Cut 17 de Wit
Also es ist nicht so: An einer Stelle habe ich einen kleinen Knubbel und dann habe ich
an einer anderen Stelle noch einen kleinen Knubbel und jeden kann ich einzeln
wegmachen und dann ist es erstmal wieder lange gut.
Sprecherin:
Das Problem ist, dass der Krebs bereits in seinem Frühstadium streut. Deshalb muss
die Bestrahlung in der Regel mit einer Chemotherapie kombiniert werden. Bei dieser
Chemo werden Mittel eingesetzt, die den Stoffwechsel der gestreuten Krebszellen
angreifen. Gleichzeitig hat die Chemo den Vorteil, dass der eigentliche Tumor
strahlenempfindlicher wird. Die Therapie wird insgesamt effektiver, aber auch
nebenwirkungsreicher. Wie weit man mit solchen Therapien gehen darf, muss immer
zusammen mit den Patienten abgewogen werden.
Cut 18: de Wit
Wenn man natürlich weiß, dass jetzt schon überall im Körper die Zellen gekreist sind,
dann muss man sich immer gut überlegen, wie aggressiv behandle ich gerade. Muss
ich den Menschen überhaupt behandeln? Ist es sinnvoll? Bekomme ich den Tumor
damit lange weg oder deutlich kleiner? Nehme ich Beschwerden weg? Was mache ich
eigentlich mit dem Menschen? Wir behandeln ja keine einzelnen Tumore oder Knoten,
sondern den Menschen als Ganzes.
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Sprecherin:
Deshalb kommt dem Aufklärungsgespräch in der Strahlentherapie eine so zentrale
Rolle zu. Es muss realistisch und offen geführt werden. Gleichzeitig muss dem
Patienten aber auch eine neue Perspektive eröffnet werden.
Cut 19: de Wit
Wenn ich jemandem das Konzept erkläre, dann ist eigentlich das größte Geschocktsein
schon vorbei. Weil das Schlimmste ist, erst einmal die Diagnose zu erfahren und das
Gefühl zu haben, ich habe Krebs und ich werde sterben. Und die Aussage ist: Sie
haben Krebs. Sie werden sicher auch irgendwann sterben, aber vielleicht nicht jetzt an
dem Krebs, denn wir können ihn mit unseren verschiedenen Methoden sehr gut
behandeln.
Sprecherin:
Dass auch die Bestrahlung mit dazugehört, verängstigt viele Patienten. So wie diese
Frau mit Brustkrebs.
Cut 20: Brustkrebspatientin
Man weiß dann, dass man etwas Bösartiges hat und dass eben solche fremden Sachen
auf einen zukommen, die auch erst einmal bedrohlich wirken. Diese Worte wie
Nuklearmedizin, Strahlenmedizin, die wirken erst einmal bedrohlich. Da muss man sich
erst einmal darauf einstellen und daran gewöhnen.
Sprecherin:
Dazu kommt, dass die meisten Menschen falsche Vorstellungen über die Gefahren
einer Strahlentherapie haben. Man assoziiert damit eine besonders schlechte Prognose
oder zusätzliche Qualen und Verstümmelungen. Die Berliner Onkologin Frau Professor
Maike de Wit:
Cut 21: de Wit
Und dass Dinge passieren, die man überhaupt nicht merkt und nicht fühlt. Die so
unsichtbar sind und trotzdem sehr gefährlich sein können. Dann haben die Leute nach
der Aufklärung natürlich konkrete Ängste. Zum Beispiel nehme ich jemand mit einem
Hals-Nasen-Ohren-Tumor, der hat dann hinterher vielleicht Angst, dass er nie wieder
eine vernünftige Speichelproduktion hat und dass das Essen ganz schwer geht. Das
sind dann konkrete Ängste.
Sprecherin:
So ging es auch dem Patienten mit dem Kehlkopfkarzinom. Das offene Gespräch über
mögliche Komplikationen der Bestrahlung, aber auch über die Chancen, die sich daraus
ergeben, machen ihn sehr zuversichtlich.
Cut 22: HNO-Patient
Es kann also sein, dass sie zum Beispiel eine Zeit lang Schluckbeschwerden haben. Es
kann also sein, dass sie Spracheinschränkungen haben. Das ist auch alles eingetroffen.
Aber so wie es im Moment aussieht, wird das alles wieder weggehen.
Sprecherin:
Das einzige Unangenehme, was mit Sicherheit zurückbleibt, ist die Erinnerung an die
enorme psychische Belastung. Denn beim Kehlkopfkrebs ist die Strahlentherapie aus
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technischen Gründen besonders heikel. Der Kopf des Patienten muss während der
Behandlung kurzzeitig fixiert werden.
Atmo 4 Behandlungsraum. Ansage ist hörbar. Weiter unter Folgecut.
Cut 23: HNO-Patient
Und was für mich eigentlich am unangenehmsten war, am Anfang, das ist, dass man
praktisch den Kopf fixiert bekommt mit einer Kunststoffmaske. Aber dieses wirklich
festgeschnallt sein, festgeschraubt sein auf dieser Platte, erzeugte bei mir am Anfang
einen hohen Stress.
weiter Atmo 4 Behandlungsraum kurz Solo
Sprecherin:
Auch wenn jede Bestrahlungssitzung nur wenige Minuten dauert, dem Patienten kommt
diese Zeit wie eine Ewigkeit vor. Denn während der Bestrahlung ist man alleine. Der
Bestrahlungsraum ist durch dicke Betonwände und eine Stahltür komplett von der
Umwelt abgeschottet.
weiter Atmo 4 Behandlungsraum
Cut 24: Brustkrebspatientin
Und dann kommt man dann in den Raum. Das ist natürlich alles etwas ungewohnt und
dieses riesige Gerät, was da hin und her fährt. Dann wird man in Position gelegt. Und
dass eine Bestrahlung jetzt an sich nicht wehtut, das war mir vorher klar.
weiter Atmo 4 Behandlungsraum
Sprecherin:
Wir sind in einem Bestrahlungsraum der Charité. Eine Patientin mit Brustkrebs wird auf
ihre Behandlung vorbereitet. Unter Aufsicht der MTA legt sie sich auf den
Behandlungstisch und dann beginnt die eigentliche Prozedur. Ursula Vogel, MTA, also
medizinisch-technische Assistentin an der Berliner Charité:
Cut 25: Vogel
Der normale Patient, zum Beispiel eine Mammapatientin, also eine Frau, die Brustkrebs
hat, die liegt auf dem Rücken, hat die Arme oben. Es ist etwas hart. Sie könnte sich
bewegen, aber sie soll es möglichst nicht. Eine Brustkrebspatientin liegt vielleicht 5 bis
6 Minuten auf dem Tisch. Das hält die gut aus. Das ist kein Problem.
Sprecherin:
Aber auch nur deshalb, weil man während der Therapie über die Gegensprechanlage
mit der Außenwelt verbunden ist. Den MTAs kommt jetzt eine wichtige Aufgabe zu: Sie
steuern nicht nur das Gerät; sie müssen den Patienten auch über diese bangen
Minuten des Ausgeliefertseins hinweghelfen. Da ist viel Einfühlungsvermögen gefragt.
Cut 26: Patient HNO
Bei den Bestrahlungen, die jetzt zum Beispiel länger gehen. Es gibt ja jetzt zum Beispiel
Ganzkörperbestrahlungen. Das kann schon mal eine dreiviertel Stunde gehen. Da
gehen die dann mit den Patienten richtig auf eine Reise zum Beispiel. Dann erzählen
die Damen ihnen, wir gehen jetzt auf einer Reise. Stellen sie sich bitte vor, sie steigen
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jetzt ins Flugzeug. Wir heben ab. Wir schweben über den Wolken. Und dank dieser
Betreuung, dank dieser Kommunikation, übersteht man eigentlich auch die Bestrahlung
verhältnismäßig gut.
Sprecherin:
Doch es gibt noch weitere kritische Situationen, die beim Patienten zum psychischen
Trauma führen können.
Atmo 5 Wartebereich mit Ansage „Kabine …“
Sprecherin:
Neuere Studien zeigen, dass auch die Wartesituation vor der Bestrahlung eine
erhebliche psychische Gefährdung sein kann. Man sieht bei anderen Patienten
körperliche Veränderungen, hört von deren Problemen und projiziert das Ganze voreilig
auf das eigene Schicksal. Quälende Ängste sind die Folge. Eine Patientin berichtet über
ihre Erfahrung:
weiter Atmo 5 Wartebereich mit Ansage
Cut 27: Brustkrebspatientin
Diese Wartezimmergespräche, dass man da vorsichtig sein sollte, das ist schon richtig.
Wenn man negative, schlimmere Sachen hört, die machen etwas mit einem. Die gehen
richtig rein. Also man muss darauf vorbereitet sein, denke ich. Und man muss eine
Einstellung haben, wie man damit umgeht. Man darf das nicht zu doll aufnehmen. Und
immer wissen, jeder Körper reagiert anders.
Sprecherin:
Deshalb muss diese Problematik auch unbedingt im Vorbereitungsgespräch auf die
Strahlentherapie thematisiert werden. Nur so kommt es zu dem Vertrauensverhältnis
zwischen Arzt und Patient, das notwendig ist, um die Strapazen der Strahlentherapie
durchzuhalten.
Cut 28: Brustkrebspatientin
Nachher muss man sich einfach entscheiden, Vertrauen zu haben. Das war für mich so,
dass ich mich dann entschieden habe. Okay, da bin ich gut aufgehoben. Ich hab
Vertrauen. Ich werde aufgeklärt. Und dann muss man das loslassen und über sich
ergehen lassen.
Atmo 2 Musik Akzent
Sprecherin:
Strahlen- und Chemotherapie kombiniert, haben zu erstaunlichen Erfolgen im Kampf
gegen den Krebs geführt. So kann man heute fast 100 Prozent der Patientinnen mit
Brustkrebs im Frühstadium heilen. Leider wartet die Medizin bei anderen Krebsarten
immer noch auf ähnliche Erfolge. Beim Krebs der Bauchspeicheldrüse ist die Prognose
immer noch düster, trotz aller Therapieversuche. Das liegt mit daran, dass die
komplexen Vorgänge, mit denen der Krebs sich den Organismus zu Eigen macht,
immer noch nicht verstanden sind.
Sprecherin:
Professor Jürgen Debus vom Ionenstrahl-Therapiezentrum der Universität Heidelberg:
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Cut 29 / 30: Debus
Wir hatten früher eine sehr einfache Vorstellung eines Tumors. Verstanden ihn einfach
als eine Ansammlung von Tumorzellen, ähnlich einer Schimmelkultur. Sozusagen eine
einfache Ansammlung, die dort frei im Gewebe wächst.
Wir haben in den letzten Jahren sehr, sehr viel gelernt aus der modernen Biologie, aus
der Molekularbiologie, dass es dort zu einer ganz komplexen Wechselwirkung kommt,
zwischen den Tumorzellen und dem Körper des Patienten. Der Tumor sendet auch
Signale aus in den gesamten Körper, sodass es dort auch zu einer Immunantwort
kommt. Und aus dieser Tumor-Patient-Wechselwirkung lernen wir im Moment ganz,
ganz viel.
Sprecherin:
Dabei stellt sich auch die Frage, ob man nicht einfach die falsche Strahlung zur
Krebsbehandlung nutzt. Vielleicht kann ein anderer Strahlungstyp die Wechselwirkung
zwischen Tumor und Organismus besser in den Griff bekommen. Die Idee war, statt der
natürlichen, auch auf der Erde vorkommenden Röntgenstrahlung, die nur im Weltall
vorkommende kosmische Ionenstrahlung einzusetzen. Man muss die kosmische
Strahlung allerdings auf der Erde künstlich erzeugen. Dazu braucht man riesige
Generatoren: die Teilchenbeschleuniger. Professor Debus nimmt uns mit in eine solche
Anlage. Hier in Heidelberg wird seit 2010 kosmische Ionenstrahlung für medizinische
Zwecke eingesetzt.
Atmo 6 Treppe und Stimme Debus. Tür geht auf.
Cut 31: Debus
Wir haben zum Beispiel Stromkosten, die liegen in der Größenordnung von fast einer
Million Euro pro Jahr, um diese Teilchen in der Weise zu beschleunigen.
Sprecherin:
Wir sind im Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum. Schon die Ausdehnung der
Anlage macht deutlich, dass hier etwas ganz Außergewöhnliches geschieht.
Cut 32: Debus
Das Gerät braucht einen Platz von etwa 60 auf 70 Meter. Das heißt, das ist keine kleine
Technologie, sondern das ist schon eine größere Turnhalle. Wobei der Patient den
Großteil dieser Technik nicht sieht. Er ist in einem Behandlungsraum, der
vergleichsweise wiederum klein ist und dementsprechend auch nicht so sehr
angsteinflößend ist.
Sprecherin:
Die erzeugte Strahlung wird durch Magnetfelder gebündelt und in den
Behandlungsraum umgeleitet. Der Patient sieht nur ein unscheinbares Loch in der
Wand über der Behandlungsliege. Ermutigende Erfolge gibt es bereits, und zwar bei der
Krebserkrankung, die bisher als praktisch unheilbar galt: dem Karzinom der
Bauchspeicheldrüse.
Cut 33: Debus
Also Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine der wesentlichen Erkrankungen, mit denen wir
uns hier im Uniklinikum Heidelberg beschäftigen. Wir behandeln pro Jahr über 400
Patienten mit bösartigem Bauchspeicheldrüsenkrebs.
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Sprecherin:
Die Ionenbestrahlung kann den Tumor zwar nicht eliminieren, aber sie verbessert die
Chancen, den Tumor danach mit einer OP in den Griff zu bekommen.
Cut 34: Debus
Das macht man, indem man den Tumor so bestrahlt, dass man dort eine Remission
erreicht. D. h., dass der Tumor sich so stark verkleinert, dass er zum Beispiel von den
gefährlichen Stellen sich entfernt. Dass er zum Beispiel von den Gefäßen sich ablösen
lässt und dann der Chirurg im nächsten Ansatz dort den Tumor entfernen kann.
Sprecherin:
Möglich wird dies, weil die Ionenteilchen prinzipiell anders funktionieren als
konventionelle Strahlentherapien mit Röntgenstrahlen.
Cut 35: Debus
Die normale Strahlentherapie, die mit Röntgenstrahlen funktioniert, hat den Nachteil,
dass diese Röntgenstrahlung durch den Körper durch und durch geht.
Sprecherin:
Und deshalb wird auch das Umgebungsgewebe angegriffen. Ideal wären aber
Strahlungsteilchen, die nur im Zielgewebe wirken, weil sie nur dort ihre Energie
freisetzen.
Cut 36: Debus
Und diese Teilchen haben genau diesen Effekt. Das heißt, man kann sie so steuern,
dass sie bis zum Tumor laufen, dort sogar den größten Teil ihrer Energie abgeben und
danach nicht mehr weiterfliegen und im Tumor steckenbleiben. Sodass man Gewebe
besser schonen kann, weil man angrenzende Strukturen einfach überhaupt nicht mit
Dosis belastet.
Sprecherin:
Im Gegensatz zum Cyberknife in Berlin, das sich nur für kleine Tumore eignet, kann die
Ionenstrahlung in Heidelberg auch große Tumore mit fast gleicher Präzision angehen.
Außerdem bremst dieser Strahlentyp besser das Tumorwachstum, weil die
Ionenteilchen auch die Blutversorgung der Tumore zerstören. Noch ist unklar, welchen
Stellenwert die kosmische Strahlung im Kampf gegen den Krebs in Zukunft einnehmen
wird. Die ersten angelaufenen Studien jedenfalls lassen hoffen.
Atmo 2 Musik Trenner über
Atmo 4 Bestrahlungsraum
Sprecherin:
Zurück in der Strahlentherapie der Charité Berlin. Tausende Patienten werden hier
jährlich behandelt. Für die meisten endet die Therapie mit dem Sieg über den Krebs.
Doch was ist mit den anderen, mit denen, deren Krebs schon zu weit fortgeschritten ist?
Auch ihnen kann man mit Strahlung helfen, etwa dadurch, dass man Metastasen
eliminiert, die auf Nerven drücken und Schmerz verursachen. Solche Fälle sind oft
tragisch. Die medizinisch-technische Assistentin Ursula Vogel hat täglich mit dieser
Problematik zu tun:
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Cut 37: Vogel
Also wir hatten so eine Patientin, die war 17 Jahre alt. Hatte ein Eierstockkarzinom. Wir
wussten, es ist aussichtslos. Sie hatte so schlimme Schmerzen, sie konnte kaum auf
dem Tisch legen. Und sie hat nur geschrien. Und ich hab dann nur übers Mikrofon:
Bitte, bitte halte durch. Wir möchten dir helfen und das ist deine Chance, dass die
Schmerzen aufhören und das ging auch. Sie hat ganz wunderbar mitgemacht, aber
man hat gehört, sie kann nicht, sie hat höllische Schmerzen. Wir konnten ihr aber die
Schmerzen nehmen und das war schon ein großer Erfolg. Und danach war's aber so für
mich und meine Kollegen, wir sind fast zusammengebrochen, weil dieses tiefe Leid, das
lässt einen auch nicht gleichgültig.
Sprecherin:
Die Therapeuten sind bei diesen Fällen in der Zwickmühle. Um die Beschwerden
effektiv zu lindern, muss man die Strahlung extrem hoch dosieren. Doch das darf man
nur, wenn man sich sicher sein kann, dass die Lebenstage begrenzt sind. Denn hohe
Strahlendosen führen zu Langzeitschäden.
Cut 38: de Wit
Ja, man hat halt gewisse Erfahrungen und weiß ungefähr, wie lange die Menschen
noch leben und dementsprechend setzt man auch seine Dosis ein.
[Sprecherin:
... berichtet die Berliner Onkologin Frau Professor Maike de Witt.]
Cut 39: de Wit
Also wir wissen zum Beispiel, wenn wir eine Hirnbestrahlung machen, dass es dann
nach einer gewissen Zeit zu Gedächtnisstörungen und ähnlichen Dingen kommen kann.
Wenn wir jetzt einen Patienten haben, nehmen wir jemanden mit einem Lungenkrebs,
der früher nur ein halbes Jahr lebte. Da brauchte man überhaupt keine Sorge haben,
dass der solche Gedächtnisstörungen irgendwann bekommt. Inzwischen lebt er aber
vielleicht 2, 3, 4 Jahre und dann wird er diese Gedächtnisstörungen erleben und
darunter auch leiden.
Sprecherin:
[Und das muss man unbedingt vermeiden. Der Patient kann solche
Dosisentscheidungen nicht selbst treffen. Es fehlen ihm das Fachwissen und die
Erfahrung. Auch der Einsatz supermodernster Strahlentechnik macht nur Sinn, wenn
Nutzen und Schaden den Wünschen der Betroffenen entsprechend abgewogen
werden. Hier ist und bleibt der Faktor Mensch unersetzlich.
Cut 40: de Wit
Ein guter Arzt sollte versuchen den Wunsch des Patienten herauszufiltern. Selbst wenn
der Patient diesen Wunsch noch gar nicht kennt. Indem man versucht zu ergründen,
was ist das für eine Person. Ist das jemand, der unbedingt bis zum letzten Atemzug
kämpfen will, oder traut der sich nur nicht nein zu sagen? Das sind die Dinge, die man
hören muss. Die man herausbekommen muss, im Gespräch mit dem Patienten. Weil
der Patient einem manchmal auch gar nicht von sich aus genau sagen kann, was er
will.
Atmo 2 Musik startet unter Text dann kurz solo und dann ausblenden.
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