SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Mit Strahlung heilen – Was leistet die moderne Strahlenmedizin? Autor: Horst Gross Redaktion: Detlef Clas Regie: Maria Ohmer Sendung: Montag, 4. Juni 2012, 8.30 Uhr, SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. 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In vielen Fällen kann Krebs geheilt werden und in den meisten Fällen lässt er sich therapeutisch beherrschen. Maßgeblichen Verdienst an dieser Entwicklung hat eine relativ junge medizinische Fachdisziplin, die bei vielen Patienten grundlos Schrecken und Angst auslöst. Atmo 2 Musikakzent kurz Solo und unter Ansage weiter. Ansage: Mit Strahlung heilen Was leistet die moderne Strahlenmedizin? Eine Sendung von Horst Gross Musikakzent kurz Solo und dann unter Folgetext ausklingen lassen. Dann setzt wieder Atmo 1 Krankenhausflur ein. weiter Cut 1: HNO-Patient Mir hat eine Sache ein wenig darüber hinweg geholfen, als es nämlich hieß: Krebs, der gut strahlentherapeutisch zu behandeln ist. Hat mir das eigentlich wieder Zuversicht gegeben. Atmo 2 Musikakzent als Trenner unter Folgetext auslaufen lassen. Danach Atmo 1 Krankenhaus solo. Sprecherin: Kehlkopfkrebs lautet die Diagnose dieses Patienten. Er muss kurzfristig über einen Luftröhrenschnitt atmen. Aber der wird wieder verschlossen und außer einer kleinen Narbe am Hals bleibt kein Folgeschaden zurück. Die Strahlenmedizin macht‘s möglich. Noch vor wenigen Jahren musste man in solchen Fällen den ganzen Kehlkopf herausoperieren. Für die Betroffenen eine Katastrophe. Sie konnten nicht mehr sprechen, nicht mehr essen und waren durch die OP entstellt. [Die reduzierte Lebensqualität nach einem solchen Eingriff hat manchen Patienten dazu gebracht, ganz auf die Operation zu verzichten.] Die moderne Strahlentherapie hat die Situation grundlegend geändert. Kehlkopfkrebs ist heute heilbar, auch wenn dazu ein langer Krankenhaus-Aufenthalt und viel Geduld notwendig sind. Atmo 1 Krankenhaus kurz solo kombiniert mit Atmo 3 (Trage fährt vorbei) 2 weiter Cut 1: HNO-Patient Ich will gesund werden. Ich will wieder arbeiten können. Ich möchte also später sprechen können. Ich möchte essen können, normal. Atmo 1 kurz solo dann ausblenden. Atmo 2 Musikakzent als Trenner Sprecherin: Die Strahlenmedizin bekämpft den Krebs ohne Operation von außen. Mit energiereicher Strahlung wird der Tumor zum Einschmelzen gebracht. Entwickelt wurde dieser Therapieansatz bereits in den Fünfzigerjahren. Die ersten Strahlenbehandlungen waren aber eher der verzweifelte Versuch, beim fortgeschrittenen Krebs noch ein paar zusätzliche Lebenstage herauszuschlagen. Die damals eingesetzten Geräte gaben die Strahlen viel zu ungenau und schlecht dosiert ab. Die Lebensverlängerung erkaufte man sich mit massiven Hautverbrennungen, Durchfällen und einer Schädigung des Immunsystems. Der Berliner Strahlenmediziner Professor Volker Budach von der Charité erinnert sich: Cut 2: Budach Früher war es tatsächlich ja leider so, dass die Strahlentherapie immer so die letzte Stelle war, bevor es dann ans Sterben ging. Und das hat sich leider bei einigen Kollegen immer noch nicht so herumgesprochen, dass wir jetzt, sagen wir einmal, zu 70 Prozent wirklich kurative Patienten haben, das heißt Patienten, die wir heilen wollen. Heute ist die Zuweisung zu einer Strahlentherapie eigentlich eine klare Hoffnung für den Patienten, weil er damit eventuell die Heilung sich erkaufen kann. [Sprecherin: Nicht nur die Technik, auch die Qualifizierung der Ärzte war früher mehr als dürftig. Cut 3: Budach Die Strahlentherapie war damals, so vor 25, 30 Jahren, Kellerkind des Radiologen. Der stellte da irgendeinen seiner Ärzte ab. Die mussten dann im Keller ein bisschen bestrahlen, mit Geräten, die damals auch ganz schlechte Qualität hatten. Kobaltbombe oder Röntgenstrahler. Sprecherin: Heute dagegen wird kein radioaktives Material mehr als Strahlenquelle eingesetzt. Stattdessen erzeugt eine spezielle elektrische Röhre, der sogenannte Linearbeschleuniger, die therapeutische Strahlung. Der Berliner Strahlenmediziner Professor Budach: Cut 4: Budach Wobei die therapeutischen Strahlen, die wir anwenden, nichts weiter sind als ultraharte Röntgenstrahlen. Und wenn man dort den Stecker aus der Dose herauszieht, ist auch kein Strahl und keine Radioaktivität vorhanden. Das heißt, dann, wenn sie vom Tisch aufstehen, strahlt bei ihnen gar nichts mehr. Sie werden also nicht radioaktiv gemacht durch unsere Strahlentherapie.] Atmo 2 3 Sprecherin: Doch warum kann man mit Strahlung überhaupt einen Tumor oder eine Metastase behandeln? Strahlung gibt es schließlich auch in der Natur, und unsere Körperzellen können ihre Erbinformationen einigermaßen gut gegen Strahlenschäden schützen. Ganz anders sieht es bei Krebszellen aus. Sie sind aufgrund ihrer Biologie nicht in der Lage, Strahlenschäden an ihrer Erbinformation zu reparieren. Das ist das Prinzip, auf dem die moderne Strahlenmedizin basiert. Cut 5: Budach Wenn man aber jetzt während der Zellteilung auf diese Zellen Strahlung gibt, dann wird dieses ganze Genom, dieses ganze Material, diese Erbsubstanz ganz vermehrt geschädigt. Sprecherin: Bestrahlte Krebszellen können sich nicht mehr teilen. Der Tumor oder seine Metastasen sterben ab. Der kritische Punkt bei der Strahlentherapie ist die richtige Dosierung. Sie muss so hoch sein, dass das Tumorgewebe nachhaltig geschädigt wird. Gleichzeitig muss die Dosis so niedrig sein, dass sich das gesunde Umgebungsgewebe vom Strahlenschaden erholen kann. Dieses Ziel erreicht man am besten, wenn man die Strahlendosis auf mehrere Sitzungen verteilt. Cut 6: Budach Das ist das Prinzip dieser fraktionierten Strahlentherapie. Dass man eine Strahlentherapie eben nicht mit einer einzigen Bestrahlung in der Regel macht, sondern mit vielen kleinen Portionen. Sprecherin: Die fraktionierte Bestrahlung macht die Therapie wesentlich verträglicher. Der entscheidende Durchbruch kam allerdings erst mit einer neuen Bestrahlungstechnik. Moderne Geräte strahlen nicht mehr starr in den Patienten hinein, sondern sie kreisen um den Tumor herum. So wird die Belastung des Umgebungsgewebes weiter vermindert. Gleichzeitig kann die Dosis im Zielgewebe höher gewählt werden. Erst mit dieser neuen Technik, mit der intensitätsmodulierten Strahlentherapie oder kurz IMRT, hat die moderne Strahlentherapie den Durchbruch geschafft. Jetzt gibt es nur noch minimale Nebenwirkungen. [Cut 7: Brustkrebspatientin Also die Haut wird angegriffen. Sprecherin: ... berichtet eine Brustkrebspatientin über ihre Erfahrungen nach der ersten Bestrahlungssitzung. weiter Cut 7: Brustkrebspatientin Die Brust schwillt an und wird rot und es ist wie Sonnenbrand. Und es kann sich auch ein bisschen pellen, so wie nach dem Sonnenbrand und es ist so ein bisschen Spannungsgefühl. Etwas unangenehm eben. Aber keine wirklichen Schmerzen.] Sprecherin: Und vielleicht gehören auch sie bald der Vergangenheit an. 4 Atmo 2 Musik kurz als Trenner, dann solo, dann unter Folgetext ausklingen lassen. Atmo 4 ab Bestrahlungsraum setzt ein ab (optimal ab 0:33) oder alternativ Atmo 6 Sprecherin: Wir sind im Cyberknife-Zentrum der Berliner Charité. Hier wird eine neue hoch präzise Bestrahlungstechnologie getestet. Eine Art virtuelles Skalpell, mit dem man selbst kleinste Tumore tief im Körperinneren entfernen kann. Kernstück des Cyberknife ist ein umgebauter Industrieroboter. Er koordiniert die Strahlungsquelle und den Patienten auf der Behandlungsliege so perfekt, dass, bei sehr guter Verträglichkeit, eine bisher undenkbare Präzision erreicht wird. Cut 8: Kufeld Das ist hier ein ebenfalls robotergeführter Behandlungstisch aus Carbon. Da wird der Patient platziert. Sprecherin: Markus Kufeld, Oberarzt an der Strahlenmedizin der Charité, führt uns durch den Behandlungsraum des Cyberknife. Wer hier die Atmosphäre eines Versuchslabors erwartet, wird enttäuscht. Das Ganze erinnert eher an Raumschiff Enterprise. Die Designer haben ganze Arbeit geleistet. Es gibt keine einschüchternde Technik. Stattdessen entspannt leise Hintergrundmusik die Patienten, die die etwa zweistündige Behandlung auf einer schicken Liege verbringen. Mit leisem Surren positioniert der Roboter kontinuierlich Patient und Strahlenquelle. Alles wie von Geisterhand. weiter Cut 8: Kufeld Und dann übernimmt eigentlich schon das Bildortungssystem das Röntgenpositionierungssystem, das sehen sie hier. Da sind zwei Röntgenröhren an der Decke montiert. Und diese Röntgenröhren detektieren dann zum Beispiel die Schädelkalotte des Patienten. Gleichen das mit dem zuvor aus dem Planungs-CT erstellten virtuellen Röntgenbildern ab. Die Abweichung wird gemessen und automatisch vom Roboter gleich ausgeglichen. Sprecherin: Die Strahlenquelle selbst ist für den Patienten nicht zu erkennen. Cut 9: Kufeld Und der gesamte Linearbeschleuniger ist eigentlich in diesem kompakten Kopf vorne am Roboter montiert. Also da wird die Strahlung erzeugt. Sprecherin: Die Robotertechnik ermöglicht es, den Therapiestrahl mit höchster Schnelligkeit und Präzision zu steuern. Und das selbst, wenn der Patient sich bewegt oder atmet. Cut 10: Kufeld: [Das Gute ist aber wieder auch bei unserem System:] Der Patient kann sich während dieser zweieinhalb Stunden, wenn er nicht mehr liegen kann, oder sonstige Probleme, hat jederzeit melden. Wir können die Behandlung stoppen. Er kann sogar aufstehen. Kann zwischendurch zur Toilette gehen. Legt sich wieder hin. Wird wieder neu positioniert von unserem Positionssystem. Und dann kann die Behandlung fortgeführt werden. 5 Sprecherin: Nur eines kann der Strahlungsroboter nicht: Den Tumor oder die Metastasen im Körper selbst erkennen. Dazu muss vor der Bestrahlung eine Art Therapieblaupause angefertigt werden. Mit bildgebenden Verfahren wie Computer- oder Magnetresonanztomografie wird der Tumor exakt vermessen. Hier, in der Planungsabteilung des Cyberknifes. Cut 11: Kufeld [Anhand dieser Bilder wird die Bestrahlung geplant. An den Planungsrechnern. Und die haben wir hier in diesem Raum.] Und da haben wir jetzt ein kleines Meningiom im Gehirn, das gerade geplant wird. Da eine Lebermetastase. Sprecherin: Jede Bestrahlungssitzung wird zuerst im Computer simuliert. Cut 12: Kufeld Beim Cyberknife ist es ja so, dass wir aus vielen Einstrahlrichtungen, 100 bis zu 300, 400 verschiedenen Einstrahlrichtungen in den Tumor individuell berechnete Strahlen einstrahlen, die der Roboter sozusagen dann nacheinander anfährt. Sprecherin: Die Präzision des Cyberknife erlaubt es, auch Minitumore an kritischen Stellen, etwa mitten im Gehirn, anzugehen. Cut 13: Kufeld Unser System hat vom Planungs-CT über die Planung bis hin zur Applikation der Bestrahlung letztendlich eine Überallesgenauigkeit bei Kopfbehandlungen zum Beispiel von 0,6 bis 0,8 mm. Sprecherin: Eine solche Präzision im Submillimeterbereich erreicht bisher nur der Chirurg, wenn er einen Tumor unter dem Operationsmikroskop entfernt. Durch das virtuelle Strahlenskalpell gelingen solche Eingriffe jetzt praktisch nebenwirkungsfrei, ohne Hautschnitt und ohne Narkose. Cut 14: Kufeld Bei der Behandlung selbst spürt man nichts. Keine Schmerzen. Man spürt natürlich diese Strahlung nicht. Das ist der Vorteil. Aber man darf das nicht unterschätzen. Wir strahlen in einer Sitzung relativ hohe Strahlendosen ein. Und die Effekte, sowohl die positiven aber auch die nachteiligen Effekte, können Tage, Wochen, auch teilweise nach Monaten teilweise sogar noch nach Jahren auftreten. Sprecherin: Noch ist unklar, welche Einsatzgebiete das Strahlenskalpell in Zukunft abdeckt und auch über mögliche Spätfolgen besteht noch Unsicherheit. Doch schon jetzt zeichnet sich eine Indikation ab, bei der das Cyberknife der klassischen Chirurgie schon in naher Zukunft Konkurrenz macht. Cut 15: Budach Also wir haben bei den Frühstadien des Prostatakarzinoms bis zu einer Heilung von weit über 80 Prozent. 6 Sprecherin: ... erklärt Professor Volker Budach von der Charité Berlin. Erste klinische Studien lassen hoffen, denn Prostataeingriffe mit den Cyberknife führen offenbar seltener zu den typischen OP-Komplikationen wie Impotenz und Problemen beim Wasserlassen. Cut 16: Budach Das ist alles noch experimentell. Aber wenn das tatsächlich erfolgreich sein sollte, dann denke ich, werden die Patienten selber abstimmen. Denn wenn die eine Therapie haben, die eine Woche ohne irgendwelche Operationen und die entsprechenden Narkoserisiken usw. von sich geht und keine Inkontinenz und Impotenz beinhaltet, dann denke ich, werden die Patienten selber entscheiden, was für sie besser ist. Sprecherin: Mit IMRT-Technik und Cyberknife nimmt die moderne Strahlenmedizin der Krebserkrankung bereits jetzt schon vieles an Schrecken. Doch einfach wegbestrahlen kann man den Krebs leider immer noch nicht. Atmo 2 Musik als Trenner kurz solo, dann unter Folgecut weg. Cut 17: de Wit Also Krebs ist schon eine systemische Erkrankung. Sprecherin: Die Berliner Onkologin Frau Professor Maike de Wit vom Klinikum Vivantes in BerlinNeukölln. weiter Cut 17 de Wit Also es ist nicht so: An einer Stelle habe ich einen kleinen Knubbel und dann habe ich an einer anderen Stelle noch einen kleinen Knubbel und jeden kann ich einzeln wegmachen und dann ist es erstmal wieder lange gut. Sprecherin: Das Problem ist, dass der Krebs bereits in seinem Frühstadium streut. Deshalb muss die Bestrahlung in der Regel mit einer Chemotherapie kombiniert werden. Bei dieser Chemo werden Mittel eingesetzt, die den Stoffwechsel der gestreuten Krebszellen angreifen. Gleichzeitig hat die Chemo den Vorteil, dass der eigentliche Tumor strahlenempfindlicher wird. Die Therapie wird insgesamt effektiver, aber auch nebenwirkungsreicher. Wie weit man mit solchen Therapien gehen darf, muss immer zusammen mit den Patienten abgewogen werden. Cut 18: de Wit Wenn man natürlich weiß, dass jetzt schon überall im Körper die Zellen gekreist sind, dann muss man sich immer gut überlegen, wie aggressiv behandle ich gerade. Muss ich den Menschen überhaupt behandeln? Ist es sinnvoll? Bekomme ich den Tumor damit lange weg oder deutlich kleiner? Nehme ich Beschwerden weg? Was mache ich eigentlich mit dem Menschen? Wir behandeln ja keine einzelnen Tumore oder Knoten, sondern den Menschen als Ganzes. 7 Sprecherin: Deshalb kommt dem Aufklärungsgespräch in der Strahlentherapie eine so zentrale Rolle zu. Es muss realistisch und offen geführt werden. Gleichzeitig muss dem Patienten aber auch eine neue Perspektive eröffnet werden. Cut 19: de Wit Wenn ich jemandem das Konzept erkläre, dann ist eigentlich das größte Geschocktsein schon vorbei. Weil das Schlimmste ist, erst einmal die Diagnose zu erfahren und das Gefühl zu haben, ich habe Krebs und ich werde sterben. Und die Aussage ist: Sie haben Krebs. Sie werden sicher auch irgendwann sterben, aber vielleicht nicht jetzt an dem Krebs, denn wir können ihn mit unseren verschiedenen Methoden sehr gut behandeln. Sprecherin: Dass auch die Bestrahlung mit dazugehört, verängstigt viele Patienten. So wie diese Frau mit Brustkrebs. Cut 20: Brustkrebspatientin Man weiß dann, dass man etwas Bösartiges hat und dass eben solche fremden Sachen auf einen zukommen, die auch erst einmal bedrohlich wirken. Diese Worte wie Nuklearmedizin, Strahlenmedizin, die wirken erst einmal bedrohlich. Da muss man sich erst einmal darauf einstellen und daran gewöhnen. Sprecherin: Dazu kommt, dass die meisten Menschen falsche Vorstellungen über die Gefahren einer Strahlentherapie haben. Man assoziiert damit eine besonders schlechte Prognose oder zusätzliche Qualen und Verstümmelungen. Die Berliner Onkologin Frau Professor Maike de Wit: Cut 21: de Wit Und dass Dinge passieren, die man überhaupt nicht merkt und nicht fühlt. Die so unsichtbar sind und trotzdem sehr gefährlich sein können. Dann haben die Leute nach der Aufklärung natürlich konkrete Ängste. Zum Beispiel nehme ich jemand mit einem Hals-Nasen-Ohren-Tumor, der hat dann hinterher vielleicht Angst, dass er nie wieder eine vernünftige Speichelproduktion hat und dass das Essen ganz schwer geht. Das sind dann konkrete Ängste. Sprecherin: So ging es auch dem Patienten mit dem Kehlkopfkarzinom. Das offene Gespräch über mögliche Komplikationen der Bestrahlung, aber auch über die Chancen, die sich daraus ergeben, machen ihn sehr zuversichtlich. Cut 22: HNO-Patient Es kann also sein, dass sie zum Beispiel eine Zeit lang Schluckbeschwerden haben. Es kann also sein, dass sie Spracheinschränkungen haben. Das ist auch alles eingetroffen. Aber so wie es im Moment aussieht, wird das alles wieder weggehen. Sprecherin: Das einzige Unangenehme, was mit Sicherheit zurückbleibt, ist die Erinnerung an die enorme psychische Belastung. Denn beim Kehlkopfkrebs ist die Strahlentherapie aus 8 technischen Gründen besonders heikel. Der Kopf des Patienten muss während der Behandlung kurzzeitig fixiert werden. Atmo 4 Behandlungsraum. Ansage ist hörbar. Weiter unter Folgecut. Cut 23: HNO-Patient Und was für mich eigentlich am unangenehmsten war, am Anfang, das ist, dass man praktisch den Kopf fixiert bekommt mit einer Kunststoffmaske. Aber dieses wirklich festgeschnallt sein, festgeschraubt sein auf dieser Platte, erzeugte bei mir am Anfang einen hohen Stress. weiter Atmo 4 Behandlungsraum kurz Solo Sprecherin: Auch wenn jede Bestrahlungssitzung nur wenige Minuten dauert, dem Patienten kommt diese Zeit wie eine Ewigkeit vor. Denn während der Bestrahlung ist man alleine. Der Bestrahlungsraum ist durch dicke Betonwände und eine Stahltür komplett von der Umwelt abgeschottet. weiter Atmo 4 Behandlungsraum Cut 24: Brustkrebspatientin Und dann kommt man dann in den Raum. Das ist natürlich alles etwas ungewohnt und dieses riesige Gerät, was da hin und her fährt. Dann wird man in Position gelegt. Und dass eine Bestrahlung jetzt an sich nicht wehtut, das war mir vorher klar. weiter Atmo 4 Behandlungsraum Sprecherin: Wir sind in einem Bestrahlungsraum der Charité. Eine Patientin mit Brustkrebs wird auf ihre Behandlung vorbereitet. Unter Aufsicht der MTA legt sie sich auf den Behandlungstisch und dann beginnt die eigentliche Prozedur. Ursula Vogel, MTA, also medizinisch-technische Assistentin an der Berliner Charité: Cut 25: Vogel Der normale Patient, zum Beispiel eine Mammapatientin, also eine Frau, die Brustkrebs hat, die liegt auf dem Rücken, hat die Arme oben. Es ist etwas hart. Sie könnte sich bewegen, aber sie soll es möglichst nicht. Eine Brustkrebspatientin liegt vielleicht 5 bis 6 Minuten auf dem Tisch. Das hält die gut aus. Das ist kein Problem. Sprecherin: Aber auch nur deshalb, weil man während der Therapie über die Gegensprechanlage mit der Außenwelt verbunden ist. Den MTAs kommt jetzt eine wichtige Aufgabe zu: Sie steuern nicht nur das Gerät; sie müssen den Patienten auch über diese bangen Minuten des Ausgeliefertseins hinweghelfen. Da ist viel Einfühlungsvermögen gefragt. Cut 26: Patient HNO Bei den Bestrahlungen, die jetzt zum Beispiel länger gehen. Es gibt ja jetzt zum Beispiel Ganzkörperbestrahlungen. Das kann schon mal eine dreiviertel Stunde gehen. Da gehen die dann mit den Patienten richtig auf eine Reise zum Beispiel. Dann erzählen die Damen ihnen, wir gehen jetzt auf einer Reise. Stellen sie sich bitte vor, sie steigen 9 jetzt ins Flugzeug. Wir heben ab. Wir schweben über den Wolken. Und dank dieser Betreuung, dank dieser Kommunikation, übersteht man eigentlich auch die Bestrahlung verhältnismäßig gut. Sprecherin: Doch es gibt noch weitere kritische Situationen, die beim Patienten zum psychischen Trauma führen können. Atmo 5 Wartebereich mit Ansage „Kabine …“ Sprecherin: Neuere Studien zeigen, dass auch die Wartesituation vor der Bestrahlung eine erhebliche psychische Gefährdung sein kann. Man sieht bei anderen Patienten körperliche Veränderungen, hört von deren Problemen und projiziert das Ganze voreilig auf das eigene Schicksal. Quälende Ängste sind die Folge. Eine Patientin berichtet über ihre Erfahrung: weiter Atmo 5 Wartebereich mit Ansage Cut 27: Brustkrebspatientin Diese Wartezimmergespräche, dass man da vorsichtig sein sollte, das ist schon richtig. Wenn man negative, schlimmere Sachen hört, die machen etwas mit einem. Die gehen richtig rein. Also man muss darauf vorbereitet sein, denke ich. Und man muss eine Einstellung haben, wie man damit umgeht. Man darf das nicht zu doll aufnehmen. Und immer wissen, jeder Körper reagiert anders. Sprecherin: Deshalb muss diese Problematik auch unbedingt im Vorbereitungsgespräch auf die Strahlentherapie thematisiert werden. Nur so kommt es zu dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, das notwendig ist, um die Strapazen der Strahlentherapie durchzuhalten. Cut 28: Brustkrebspatientin Nachher muss man sich einfach entscheiden, Vertrauen zu haben. Das war für mich so, dass ich mich dann entschieden habe. Okay, da bin ich gut aufgehoben. Ich hab Vertrauen. Ich werde aufgeklärt. Und dann muss man das loslassen und über sich ergehen lassen. Atmo 2 Musik Akzent Sprecherin: Strahlen- und Chemotherapie kombiniert, haben zu erstaunlichen Erfolgen im Kampf gegen den Krebs geführt. So kann man heute fast 100 Prozent der Patientinnen mit Brustkrebs im Frühstadium heilen. Leider wartet die Medizin bei anderen Krebsarten immer noch auf ähnliche Erfolge. Beim Krebs der Bauchspeicheldrüse ist die Prognose immer noch düster, trotz aller Therapieversuche. Das liegt mit daran, dass die komplexen Vorgänge, mit denen der Krebs sich den Organismus zu Eigen macht, immer noch nicht verstanden sind. Sprecherin: Professor Jürgen Debus vom Ionenstrahl-Therapiezentrum der Universität Heidelberg: 10 Cut 29 / 30: Debus Wir hatten früher eine sehr einfache Vorstellung eines Tumors. Verstanden ihn einfach als eine Ansammlung von Tumorzellen, ähnlich einer Schimmelkultur. Sozusagen eine einfache Ansammlung, die dort frei im Gewebe wächst. Wir haben in den letzten Jahren sehr, sehr viel gelernt aus der modernen Biologie, aus der Molekularbiologie, dass es dort zu einer ganz komplexen Wechselwirkung kommt, zwischen den Tumorzellen und dem Körper des Patienten. Der Tumor sendet auch Signale aus in den gesamten Körper, sodass es dort auch zu einer Immunantwort kommt. Und aus dieser Tumor-Patient-Wechselwirkung lernen wir im Moment ganz, ganz viel. Sprecherin: Dabei stellt sich auch die Frage, ob man nicht einfach die falsche Strahlung zur Krebsbehandlung nutzt. Vielleicht kann ein anderer Strahlungstyp die Wechselwirkung zwischen Tumor und Organismus besser in den Griff bekommen. Die Idee war, statt der natürlichen, auch auf der Erde vorkommenden Röntgenstrahlung, die nur im Weltall vorkommende kosmische Ionenstrahlung einzusetzen. Man muss die kosmische Strahlung allerdings auf der Erde künstlich erzeugen. Dazu braucht man riesige Generatoren: die Teilchenbeschleuniger. Professor Debus nimmt uns mit in eine solche Anlage. Hier in Heidelberg wird seit 2010 kosmische Ionenstrahlung für medizinische Zwecke eingesetzt. Atmo 6 Treppe und Stimme Debus. Tür geht auf. Cut 31: Debus Wir haben zum Beispiel Stromkosten, die liegen in der Größenordnung von fast einer Million Euro pro Jahr, um diese Teilchen in der Weise zu beschleunigen. Sprecherin: Wir sind im Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum. Schon die Ausdehnung der Anlage macht deutlich, dass hier etwas ganz Außergewöhnliches geschieht. Cut 32: Debus Das Gerät braucht einen Platz von etwa 60 auf 70 Meter. Das heißt, das ist keine kleine Technologie, sondern das ist schon eine größere Turnhalle. Wobei der Patient den Großteil dieser Technik nicht sieht. Er ist in einem Behandlungsraum, der vergleichsweise wiederum klein ist und dementsprechend auch nicht so sehr angsteinflößend ist. Sprecherin: Die erzeugte Strahlung wird durch Magnetfelder gebündelt und in den Behandlungsraum umgeleitet. Der Patient sieht nur ein unscheinbares Loch in der Wand über der Behandlungsliege. Ermutigende Erfolge gibt es bereits, und zwar bei der Krebserkrankung, die bisher als praktisch unheilbar galt: dem Karzinom der Bauchspeicheldrüse. Cut 33: Debus Also Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine der wesentlichen Erkrankungen, mit denen wir uns hier im Uniklinikum Heidelberg beschäftigen. Wir behandeln pro Jahr über 400 Patienten mit bösartigem Bauchspeicheldrüsenkrebs. 11 Sprecherin: Die Ionenbestrahlung kann den Tumor zwar nicht eliminieren, aber sie verbessert die Chancen, den Tumor danach mit einer OP in den Griff zu bekommen. Cut 34: Debus Das macht man, indem man den Tumor so bestrahlt, dass man dort eine Remission erreicht. D. h., dass der Tumor sich so stark verkleinert, dass er zum Beispiel von den gefährlichen Stellen sich entfernt. Dass er zum Beispiel von den Gefäßen sich ablösen lässt und dann der Chirurg im nächsten Ansatz dort den Tumor entfernen kann. Sprecherin: Möglich wird dies, weil die Ionenteilchen prinzipiell anders funktionieren als konventionelle Strahlentherapien mit Röntgenstrahlen. Cut 35: Debus Die normale Strahlentherapie, die mit Röntgenstrahlen funktioniert, hat den Nachteil, dass diese Röntgenstrahlung durch den Körper durch und durch geht. Sprecherin: Und deshalb wird auch das Umgebungsgewebe angegriffen. Ideal wären aber Strahlungsteilchen, die nur im Zielgewebe wirken, weil sie nur dort ihre Energie freisetzen. Cut 36: Debus Und diese Teilchen haben genau diesen Effekt. Das heißt, man kann sie so steuern, dass sie bis zum Tumor laufen, dort sogar den größten Teil ihrer Energie abgeben und danach nicht mehr weiterfliegen und im Tumor steckenbleiben. Sodass man Gewebe besser schonen kann, weil man angrenzende Strukturen einfach überhaupt nicht mit Dosis belastet. Sprecherin: Im Gegensatz zum Cyberknife in Berlin, das sich nur für kleine Tumore eignet, kann die Ionenstrahlung in Heidelberg auch große Tumore mit fast gleicher Präzision angehen. Außerdem bremst dieser Strahlentyp besser das Tumorwachstum, weil die Ionenteilchen auch die Blutversorgung der Tumore zerstören. Noch ist unklar, welchen Stellenwert die kosmische Strahlung im Kampf gegen den Krebs in Zukunft einnehmen wird. Die ersten angelaufenen Studien jedenfalls lassen hoffen. Atmo 2 Musik Trenner über Atmo 4 Bestrahlungsraum Sprecherin: Zurück in der Strahlentherapie der Charité Berlin. Tausende Patienten werden hier jährlich behandelt. Für die meisten endet die Therapie mit dem Sieg über den Krebs. Doch was ist mit den anderen, mit denen, deren Krebs schon zu weit fortgeschritten ist? Auch ihnen kann man mit Strahlung helfen, etwa dadurch, dass man Metastasen eliminiert, die auf Nerven drücken und Schmerz verursachen. Solche Fälle sind oft tragisch. Die medizinisch-technische Assistentin Ursula Vogel hat täglich mit dieser Problematik zu tun: 12 Cut 37: Vogel Also wir hatten so eine Patientin, die war 17 Jahre alt. Hatte ein Eierstockkarzinom. Wir wussten, es ist aussichtslos. Sie hatte so schlimme Schmerzen, sie konnte kaum auf dem Tisch legen. Und sie hat nur geschrien. Und ich hab dann nur übers Mikrofon: Bitte, bitte halte durch. Wir möchten dir helfen und das ist deine Chance, dass die Schmerzen aufhören und das ging auch. Sie hat ganz wunderbar mitgemacht, aber man hat gehört, sie kann nicht, sie hat höllische Schmerzen. Wir konnten ihr aber die Schmerzen nehmen und das war schon ein großer Erfolg. Und danach war's aber so für mich und meine Kollegen, wir sind fast zusammengebrochen, weil dieses tiefe Leid, das lässt einen auch nicht gleichgültig. Sprecherin: Die Therapeuten sind bei diesen Fällen in der Zwickmühle. Um die Beschwerden effektiv zu lindern, muss man die Strahlung extrem hoch dosieren. Doch das darf man nur, wenn man sich sicher sein kann, dass die Lebenstage begrenzt sind. Denn hohe Strahlendosen führen zu Langzeitschäden. Cut 38: de Wit Ja, man hat halt gewisse Erfahrungen und weiß ungefähr, wie lange die Menschen noch leben und dementsprechend setzt man auch seine Dosis ein. [Sprecherin: ... berichtet die Berliner Onkologin Frau Professor Maike de Witt.] Cut 39: de Wit Also wir wissen zum Beispiel, wenn wir eine Hirnbestrahlung machen, dass es dann nach einer gewissen Zeit zu Gedächtnisstörungen und ähnlichen Dingen kommen kann. Wenn wir jetzt einen Patienten haben, nehmen wir jemanden mit einem Lungenkrebs, der früher nur ein halbes Jahr lebte. Da brauchte man überhaupt keine Sorge haben, dass der solche Gedächtnisstörungen irgendwann bekommt. Inzwischen lebt er aber vielleicht 2, 3, 4 Jahre und dann wird er diese Gedächtnisstörungen erleben und darunter auch leiden. Sprecherin: [Und das muss man unbedingt vermeiden. Der Patient kann solche Dosisentscheidungen nicht selbst treffen. Es fehlen ihm das Fachwissen und die Erfahrung. Auch der Einsatz supermodernster Strahlentechnik macht nur Sinn, wenn Nutzen und Schaden den Wünschen der Betroffenen entsprechend abgewogen werden. Hier ist und bleibt der Faktor Mensch unersetzlich. Cut 40: de Wit Ein guter Arzt sollte versuchen den Wunsch des Patienten herauszufiltern. Selbst wenn der Patient diesen Wunsch noch gar nicht kennt. Indem man versucht zu ergründen, was ist das für eine Person. Ist das jemand, der unbedingt bis zum letzten Atemzug kämpfen will, oder traut der sich nur nicht nein zu sagen? Das sind die Dinge, die man hören muss. Die man herausbekommen muss, im Gespräch mit dem Patienten. Weil der Patient einem manchmal auch gar nicht von sich aus genau sagen kann, was er will. Atmo 2 Musik startet unter Text dann kurz solo und dann ausblenden. 13 ***** 14