Anleitung

Werbung
1 Problemstellung
„Die Fakten sind wohlbekannt, die Zusammenhänge scheinen sich dem Beobachter geradezu
aufzudrängen: Der Aufstieg des Nationalsozialismus von einer kleinen radikalen Splitterpartei mit
gerade 0,8 Millionen Anhängern zur weitaus größten Reichtagspartei nur vier bzw. fünf Jahre später
mit erst 13, dann sogar über 17 Millionen Wählern verlief parallel zum ebenfalls enormen Anstieg der
Arbeitslosigkeit. Betrug die Zahl der offiziell gemeldeten Erwerbslosen zum Zeitpunkt der
Reichstagswahl 1928 ‚nur‘ gut eine Million, so lag sie bereits Anfang 1932 bei rund 6 Millionen“
(Falter et al. 1983: 525, vgl. Tab. 1).
Tab. 1: Arbeitslosigkeit und NSDAP-Wähler 1928 – 1933*
NSDAP-Wähler
Arbeitslosenquote
1928
Sept. 1930
Juli 1932
Nov. 1932
März 1933
0.8%
18.3%
37.3%
33.1%
52.4%
(2.6 Mio.)
(6.4 Mio.)
(13.8 Mio.)
(11.7 Mio.)
(17.3 Mio.)
1.1%
14.4%
42.3%
39.6%
43.9%
(2.6 Mio.)
(3.0 Mio)
(5.4 Mio)
(5.4 Mio.)
(6.0 Mio.)
*Arbeitslosenquote bzw. Prozent der gültigen Stimmen, Absolutzahlen in Mio. in Klammern
Quelle: Falter et al. 1983, S. 526 f.
So herrscht unter heutigen Historikern weitgehend Einigkeit darüber, daß die Massenarbeitslosigkeit
der frühen 30er Jahre die Wahlerfolge der NSDAP kausal bedingt habe (vgl. etwa Helbich 1968: 89).
Für Jürgen Falter ist diese Frage nicht abschließend geklärt. Zwar bestreitet er nicht die Existenz einer
solchen Korrelation auf Reichsebene, hält aber den darauf basierenden Schluß, Arbeitslose selbst
hätten in erster Linie die NSDAP gewählt, für vorschnell. Seiner Ansicht nach operieren
entsprechende empirische Studien mit zu stark aggregierten Daten und/oder mit zu simplen
statistischen Verfahren, als daß sie (zuverlässig) einen (gültigen) direkten Zusammenhang von
Erwerbsstatus und Wahlverhalten ermitteln könnten (vgl. z. B. Frey/Weck 1981, Pratt 1948,
Waldmann 1973).
Infolge eigener empirischer Untersuchungen gelangen Falter et al. in der Kölner Zeitschrift für
Soziologie und Sozialpsychologie zu dem Ergebnis, daß zwischen Arbeitslosigkeit und NSDAP-Wahl
nicht nur kein positiver, sondern ein negativer Zusammenhang besteht. Vielmehr scheinen sich
Erwerbslose Anfang der 30er Jahre vermehrt der KPD zugewandt zu haben (vgl. Falter et al. 1983).
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
2
2 Daten & Operationalisierung
Falter wertet in seiner Studie Teile einer Datenbank aus, die im Rahmen eines von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft finanzierten Projektes unter seiner Leitung entstanden ist. Diese komplexe
Datenbank speist sich ausschließlich aus veröffentlichtem amtlichen Original-Datenmaterial und
enthält neben den Ergebnissen der Reichstagswahlen diverse sozialstrukturelle Merkmale aller
Gemeinden und Kreise des Deutschen Reiches für den Zeitraum von 1920 bis 1933.1 Die folgenden
Ausführungen beschränken sich auf Informationen, anhand derer Falters Operationalisierungen und
Berechnungen nachvollzogen werden können.
Die hier zu erläuternde Untersuchung bewegt sich auf Kreisebene, so daß anstelle der ursprünglich
6304 Fälle lediglich maximal 1246 Stadt- und Landkreise als Untersuchungseinheiten berücksichtigt
werden.
Die Stimmanteile der NSDAP und der KPD bei den Reichstagswahlen vom Juli 1932, November 1932
sowie März 1933 stellen die abhängigen Variablen, also das zu erklärende Phänomen dar. Die
entsprechenden Variablen sind in Tabelle 2 zu finden.
Tab. 2: Variablen zu Wahlergebnissen
RTW 1932A
RTW 1932B
RTW 1933
Anzahl gültiger Stimmen
N327GS
N32NGS
N333GS
Anzahl NSDAP-Stimmen
N327NSDA
N32NNSDA
N333NSDA
Anzahl KPD-Stimmen
N327KPD
N32NKPD
N333KPD
Für jede Untersuchungseinheit, also jeden Kreis, liegen Angaben über die absolute Anzahl gültiger
Wählerstimmen sowie die jeweilige Stimmanzahl für NSDAP und KPD vor. Da die Zahl der
Wahlberechtigten bzw. die Wahlbeteiligung der innerhalb verschiedenen Kreise variiert, empfiehlt es
sich, mit relativen Stimmanteilen zu operieren, die leicht mit SPSS berechnet werden können.
Allerdings sollten unterschiedlich große Kreise nicht zu gleichen Teilen in statistische Berechnungen
eingehen, da sonst die Ergebnisse verzerrt würden. Die Bildung entsprechender Fallgewichte wird im
nachfolgenden Abschnitt erläutert.
Der folgende SPSS-Befehl generiert eine Variable NSDA32AN, die angibt, wieviel Prozent der
gültigen Stimmen bei der Reichstagswahl im Juli 1932 auf die NSDAP fielen. Die Stimmanteile für
die anderen Wahlen bzw. die KPD-Stimmanteile lassen sich analog berechnen.
COMPUTE NSDA32AN = (n327nsda / n327gs) * 100 .
VARIABLE LABELS NSDA32AN 'Anteil NSDAP 1932A' .
EXECUTE .
1
‚Wahl- und Sozialdaten der Kreise und Gemeinden des Deutschen Reiches von 1920 bis 1933‘, ZA-Studiennr. 8013
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
3
Neben der Arbeitslosigkeit, deren Einfluß auf die NSDAP-Wahlerfolge geprüft werden soll, werden
einige weitere Merkmale als unabhängige Variablen spezifiziert.
Als wichtiger Prädiktor für das Wahlverhalten gilt die Konfession, wobei dem Katholizismus ein
besonderer Stellenwert zukommt.
Seit sich die katholische Zentrumspartei in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts etablierte,
erhielt sie in Siedlungsgebieten, in denen überwiegend Katholiken lebten, sehr großen Zuspruch.
Falter begründet dies mit einer starken Milieuverwurzelung: „In der Tat hatte sich im Verlauf des 19.
Jahrhunderts in den katholischen Traditionsgebieten Deutschlands eine regelrechte, nach außen
weithin abgeschottete katholische Subkultur mit eigenen Vereinen für jeden Lebenszweck, eigenen
Moralvorstellungen und einer eigenen, auf die Unterstützung der katholischen Partei(en) gerichteten
Wahlnorm herausgebildet, gegen die der einzelne – nicht nur bildlich gesprochen – nur unter
Androhung der Exkommunikation aus dem Milieu verstoßen konnte“ (Falter 1991: 172). Daher war es
„über Jahrzehnte hinweg (...) die selbstverständliche Pflicht jedes bekennenden Katholiken, nicht nach
regionalen oder funktionalen, klassen- oder schichtorientierten Gesichtspunkten, sondern nach
Maßgabe der konfessionellen Zugehörigkeit zu wählen, und das konnte eben nur bedeuten:
unabhängig von Herkunft, Stand oder Einkommen seine Stimme der Zentrumspartei oder, wenn man
in Bayern lebte, der Bayerischen Volkspartei zu geben“ (ebd.: 172). Über diese positive Wahlnorm
hinaus gab es in der Weimarer Republik eine negative Wahlnorm der katholischen Kirche gegenüber
dem Nationalsozialismus. So brachten hohe Würdenträger der Amtskirche ihre Ablehnung der
NSDAP öffentlich zum Ausdruck, was zweifellos von zuweilen feindseligen antikatholischen
Stellungnahmen nationalsozialistischer Ideologen bestärkt wurde (vgl. ebd.: 189).
„Innerhalb der protestantischen Bevölkerungsmehrheit dagegen gab es weder eine direkte
Entsprechung zum politischen Katholizismus noch ein einheitliches, einer bestimmten Wahlnorm
verpflichtetes sozialmoralisches Milieu. Eine negative Wahlnorm bestand allenfalls hinsichtlich der
beiden katholischen Parteien und der Kommunisten, nicht jedoch hinsichtlich der Nationalsozialisten“
(ebd.: 190). Während manche Landeskirchen eine politische Einflußnahme der Kirche offziell
ablehnten, gab es daneben „eine nicht zu übersehende weltanschauliche Nähe starker Strömungen der
evangelischen Kirche zum Nationalsozialismus, der von nicht wenigen evangelischen Theologen als
eine Art nationale Erneuerungsbewegung gepriesen wurde“ (ebd.: 191). Falter betrachtet die
Hinwendung vieler evangelischer Geistlicher zum Nationalsozialismus im Kontext der traditionellen
Obrigkeitsverbundenheit des deutschen Protestantismus sowie des damals teilweise noch
außerordentlich virulenten Gegensatzes zum Katholizismus (vgl. ebd.: 191).
„Während es dem katholischen Klerus vor 1933 strikt untersagt war, für den Nationalsozialismus
öffentlich einzutreten oder gar die Parteimitgliedschaft zu erwerben (...), gaben viele evangelische
Pfarrer ihre Sympathie für die NSDAP offen zu erkennen. Nicht wenige schlossen sich zwischen 1930
und 1933 der Partei an, was durchaus eine nicht zu unterschätzende Vorbildwirkung auf das
Kirchenvolk ausgeübt haben dürfte. Dies läßt vermuten, daß innerhalb weiter (...) protestantischer
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
4
Kreise (...) nach 1930 ein für den Nationalsozialismus günstiges politisches Klima geherrscht haben
dürfte, das die massenhaften Konversionen von den protestantisch-bürgerlichen Parteien zur NSDAP
begreiflich macht“ (ebd.: 192 f.).
Falter geht demnach davon aus, daß die NSDAP in den minderheitlichen Kreisen, in denen
überwiegend Katholiken lebten, schlechter abschnitt als in protestantisch geprägten Gebieten.
Tabelle 3 enthält Variablen, die die konfessionelle Gliederung der Kreise abbilden.
Tab. 3: Variablen zur konfessionellen Gliederung (1925)
C25POP
Wohnbevölkerung 1925
C25PROT
Anzahl der Protestanten
C25KATH
Anzahl der Katholiken
C25JUDEN
Anzahl der Juden
Falter verwendet für seine Analysen den Katholikenanteil als Prädiktor für die NSDAP-Wahl. Eine
solche Variable läßt sich wie folgt mit SPSS bilden:
COMPUTE KATH25N = (C25KATH / C25POP) * 100 .
VARIABLE LABELS KATH25N 'Anteil Katholiken 1925' .
EXECUTE .
Den übrigen unabhängigen Variablen kommt eher eine Kontrollfunktion zu. Sie beziehen sich auf die
weit verbreitete ‚Mittelstandshypothese‘, derzufolge die NSDAP ihre Wahlerfolge hauptsächlich den
mittleren Schichten, vor allem dem sogenannten ‚neuen‘ (unselbständigen) Mittelstand verdankt.
Falter bezieht dazu nicht eindeutig Stellung. Einerseits führt er dagegen an, daß Arbeiter bereits Ende
der 20er Jahre über ein Drittel der NSDAP-Mitglieder stellten, was vermuten läßt, daß sie
überdurchschnittlich häufig dem Nationalsozialismus zugeneigt waren. Dies soll anhand einer
unabhängigen Variablen überprüft werden, die den Arbeiteranteil an den Erwerbspersonen eines
Kreises angibt.
Andererseits differenziert Falter die Arbeitslosen zusätzlich nach ihrer beruflichen Stellung, da man
annehmen könnte, daß – gemäß der Mittelstandshypothese – arbeitslose Angestellte eher NSDAP
gewählt haben als arbeitslose Arbeiter.
Tabelle 4 enthält die Namen der Originalvariablen, aus denen entsprechende Prädiktoren gebildet
werden können. Auch diese Merkmale geben die absolute Anzahl z. B. der Erwerbspersonen der
Kreise wieder und müssen dementsprechend modifiziert werden.
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
5
Tab. 4: Variablen zu Erwerbsstatus & beruflicher Stellung (1933)
C33POP1
Wohnbevölkerung 1933
C33ERWP
Erwerbspersonen überhaupt
C33ERLOS
Erwerbslose von Erwerbspersonen
C33ANGS
Angestellte von den hauptberuflich Erwerbstätigen
C33ARBEI
Arbeiter von den hauptberuflich Erwerbstätigen
C33ELOAN
erwerbslose Angestellte
C33ELOAR
erwerbslose Arbeiter
Der folgende SPSS-Befehl generiert eine Variable, die angibt, wieviel Prozent der Erwerbspersonen (=
Erwerbstätige + Erwerbslose) 1933 arbeitslos waren.
COMPUTE ERLOS33N = (C33ERLOS / C33ERWP) * 100 .
VARIABLE LABELS ERLOS33N 'Anteil Erwerbslose an Erwerbspersonen 1933' .
EXECUTE .
Eine Variable, die angibt, wieviel Prozent der Arbeiter erwerbslos sind, läßt sich folgendermaßen
berechnen:
COMPUTE ELOARN2 = (C33ELOAR / (C33ELOAR + C33ARBEI)) * 100 .
VARIABLE LABELS ELOARN2 'Anteil erwerbslose Arbeiter an allen Arbeitern 1933' .
EXECUTE .
Eine Variable, die angibt, wieviel Prozent der Angestellten erwerbslos sind, läßt sich folgendermaßen
berechnen:
COMPUTE ELOANN2 = (C33ELOAN / (C33ELOAN + C33ANGS)) * 100 .
VARIABLE LABELS ELOANN2 'Anteil erwerbslose Angestellte an allen Angestellten 1933' .
EXECUTE .
Eine Variable ARBEIN2, die angibt, wieviel Prozent der Erwerbspersonen Arbeiter (Arbeitslose wie
Erwerbstätige) sind, wird wie folgt generiert:
COMPUTE ARBEIN2 = ((C33ARBEI + C33ELOAR) /C33ERWP) * 100 .
VARIABLE LABELS ARBEIN2 'Arbeiteranteil (inkl. Arbeitsl. Arb. an Erwerbspersonen) 1933'.
EXECUTE .
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
6
3 Vorgehen/Methode
Um den Effekt von Arbeitslosigkeit auf die Wahlergebnisse der NSDAP zu überprüfen, bedient Falter
sich der linearen multiplen Regressionsanalyse.
Im folgenden Beispiel wird der Stimmenanteil der NSDAP bei der Reichstagswahl vom Juli 1932 als
abhängige Variable spezifiziert, deren Varianz durch die Arbeitslosenquote, den Anteil der Katholiken
sowie den Arbeiteranteil der Kreise erklärt werden soll.
Da die Zahl der Wahlberechtigten bzw. die Wahlbeteiligung nicht in allen Kreisen gleich groß ist,
sollten sie nicht ‚gleichberechtigt‘ behandelt werden. Das heißt, kleine Kreise sollten mit einem
geringeren ‚Gewicht‘ in die Analyse eingehen als Kreise mit überdurchschnittlich vielen Wählern.
Um diese Ungleichheiten ausgleichen zu können, muß man zunächst die Gesamtbevölkerung der zu
berücksichtigenden Kreise bestimmen. Da nicht unbedingt davon auszugehen ist, daß für alle 1246
Kreise gültige Werte für alle zu verwendenden Merkmale des Beispielmodells vorliegen, ermittelt
man allerdings zunächst die für das vorliegende Modell gültigen Fälle.
Der folgende SPSS-Befehl bildet für das vorliegende Beispiel eine Filtervariable, die diejenigen Fälle
auswählt, für die bei allen zu berücksichtigenden Merkmale gültige Werte vorliegen.
COMPUTE filterM1 =(kath25n >= 0.1 & erlos33n >= 0.1 & arbein2 >= 0.1 & nsda32an >= 0.1).
VARIABLE LABEL filterM1 'Gültige Fälle: Kath. & erwerbslos & Arbeiter & Wahl NSDAP 1932A'.
FILTER BY filterM1.
EXECUTE .
Die Überprüfung der eingeschlossenen Fälle (z. B. anhand einer Häufigkeitsauszählung) ergibt eine
Fallzahl von n = 918. Um nun die Gesamtbevölkerungszahl dieser 918 Kreise zu erhalten, ‚gewichtet‘
man diese mit ihrer jeweiligen Einwohnerzahl (Variable C33POP1, vgl. Tab. 4). Dies bewirkt, daß
nicht mehr die Kreise als solche die Untersuchungseinheiten darstellen, sondern ihre Einwohner. Eine
Häufigkeitsauszählung z. B. der Arbeitslosenquote basiert nach dieser Gewichtung nicht mehr auf
einer Stichprobe von n = 918 Kreisen, sondern auf n = 61.679.348 Einwohnern.
Dieses Procedere läßt sich anhand des folgenden SPSS-Befehls technisch umsetzen.
WEIGHT
BY c33pop1 .
FREQUENCIES VARIABLES = erlos33n
/FORMAT=NOTABLE
/ORDER ANALYSIS.
WEIGHT
OFF.
Nun lassen sich die Anteile der Bevölkerung jedes Kreises an der Gesamtbevölkerung ermitteln. Auf
Basis dieses Wissens kann jedem Kreis ein entsprechendes ‚Gewicht‘ zugeteilt werden, mit dem er in
die Analyse eingehen soll, ohne daß die ursprüngliche Fallzahl von n = 918 verändert wird.
Der allgemeine SPSS-Befehl für die Generierung der kreisspezifischen Gewichte lautet:
COMPUTE GEWM1 = 918 * (C33POP1/61679348).
exe.
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
7
Die folgende Gleichung veranschaulicht die Berechnung eines solchen Gewichts beispielhaft:
918 * 50.000/61.679.348 = 0,75
Während ein durchschnittlich großer Kreis mit dem Gewicht 1 in die Datenanalyse eingehen würde,
wird einem unterdurchschnittlich großen Kreis mit 50.000 Einwohnern ein Gewicht von 0,75
zugewiesen.
Gewichtet man die Daten vor der Analyse mit diesem modellspezifischen Gewicht,2 werden die
Größenungleichheiten zwischen den Kreisen ausgeglichen.
Für die vorliegende Fragestellung kommen zwei Varianten der linearen Regression in Betracht. Der
folgende SPSS-Befehl3 fordert eine lineare Regression nach der Einschlußmethode (METHOD =
ENTER), d. h. alle als unabhängige Variablen spezifizierten Merkmale werden gleichzeitig
berücksichtigt.
WEIGHT BY gewm1.
REGRESSION
/MISSING LISTWISE
/STATISTICS COEFF OUTS R ANOVA
/CRITERIA=PIN(.05) POUT(.10)
/NOORIGIN
/DEPENDENT nsda32an
/METHOD=ENTER kath25n arbein2 erlos33n .
WEIGHT OFF.
Alternativ dazu bietet es sich an, die Prädiktoren schrittweise in die Gleichung aufzunehmen
(METHOD = STEPWISE). Dieses Vorgehen ermöglicht zu ermitteln, inwiefern die einzelnen
Variablen zur Erklärung der Varianz der abhängigen Variablen beitragen. 4
WEIGHT BY gewm1.
REGRESSION
/MISSING LISTWISE
/STATISTICS COEFF OUTS R ANOVA CHANGE
/CRITERIA=PIN(.05) POUT(.10)
/NOORIGIN
/DEPENDENT nsda32an
/METHOD=STEPWISE kath25n arbein2 erlos33n .
WEIGHT OFF.
Tabelle 5 zeigt die Ergebnisse der hier erläuterten Beispielregression. Zunächst fällt auf, daß alle drei
Prädiktoren einen negativen Effekt auf das Wahlergebnis der NSDAP haben. Die Koeffizienten (B)
sind folgendermaßen zu interpretieren: Steigt der Anteil der Arbeitslosen um 10 Prozentpunkte, so
2
Modellspezifisch deshalb, weil in das vorliegende Modell nur Fälle eingehen, die für die verwendeten Merkmale gültige
Werte haben, und auf Basis dieser beschränkten Fallzahl die Gewichte berechnet werden.
3
Die Befehlsfolge für die Regression erhält man im SPSS für Windows Menü über die Schaltflächen ‚Analysieren‘,
‚Regression‘, ‚Linear‘; bei der Methode ist ‚Einschluß‘ auszuwählen, alles andere ist sinnvoll voreingestellt.
4
Im SPSS-Menü geht man analog zur Einschlußmethode vor, wählt allerdings ‚schrittweise‘ als Methode und muß zusätzlich
unter ‚Statistik‘ ‚Änderung in R-quadrat‘ aktivieren.
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
8
sinkt der Stimmenanteil der NSDAP – unter Konstanthaltung des Katholiken- und Arbeiteranteils –
um 3,92 Prozentpunkte.
Tab. 5: Regression der Stimmanteile der NSDAP bei der RTW 1932 A*
B
SE
Konstante
61.930
1.309***
Katholikenanteil
-0.289
0.008***
(-0.770)
Arbeiteranteil
-0.175
0.033***
(-0.148)
Erwerbslosenanteil
-0.392
0.038***
(-0.281)
R2-Zuwachs durch Katholikenanteil
48.2%
R2-Zuwachs durch Arbeiteranteil
1.1%
R2-Zuwachs durch Erwl.-Anteil
13.9%
Erklärte Varianz R2
63.3%
Kreise jeweils mit ihrer Einwohnerzahl 1933 gewichtet. Beta-Koeffizienten in Klammern.
***: Signifikant mit Irrtumswahrscheinlichkeit von max. 1%.
Datenquelle: Wahl- und Sozialdaten der Kreise und Gemeinden des Deutschen Reiches
1920 – 1933, ZA-Studie Nr. 8013
Analog dazu sinkt der NSDAP-Stimmenanteil um 2,89 bzw. 1,75 Prozentpunkte, wenn der
Katholiken- respektive Arbeiteranteil um 10 Prozentpunkte steigt - jeweils bei gleichzeitiger Kontrolle
der anderen unabhängigen Variablen. Der Eindruck, der Erwerbslosenanteil hätte den stärksten Effekt
auf die Wahlneigung, trügt jedoch: Betrachtet man die standardisierten Regressionskoeffizienten, die
direkt miteinander vergleichbar sind, so stellt sich der Anteil der Katholiken mit Abstand als
einflußreichste Variable heraus. Dies spiegelt auch die untere Tabellenhälfte wider: 48,2% der durch
das Modell erklärten Varianz der abhängigen Variablen gehen auf das Konto der Konfession.
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
9
4 Ergebnisse
Tabelle 6 zeigt die Resultate von insgesamt vier von Falter et al. geschätzten Regressionsmodellen.
Auffällig ist, daß alle unabhänigen Variablen sowohl bei der Reichstagswahl vom Juli 1932, als auch
im März 1933 negative Effekte auf den Stimmenanteil der NSDAP haben. Dabei scheint
Erwerbslosigkeit zunächst den größten Einfluß auszuüben: Ein 10%iger Anstieg der Arbeitslosenquote
ließ die NSDAP bei der Wahl 1932 3,1 Prozentpunkte verlieren, im März darauf sogar 4,5. Ein Blick
auf die standardisierten Koeffizienten läßt jedoch erkennen, daß der Konfessionsfaktor den mit
Abstand stärksten Effekt auf die Wahlchancen der NSDAP ausübt, Arbeitslosigkeit rangiert an zweiter
Stelle. Aber auch ein hoher Urbanisierungsgrad5 sowie der Arbeiteranteil eines Kreises haben
zweifellos – nach Kontrolle der jeweils anderen im Modell enthaltenen Variablen – zu beiden
Zeitpunkten einen negativen Einfluß auf das Wahlergebnis der Nationalsozialisten.
Tab. 6: Regression der Stimmanteile von NSDAP und KPD 1932 bis 1933 auf Erwerbslosigkeit*
1932 A
NSDAP
KPD
Konstante
50.0
–6.65
Urbanisierungsgrad1
-0.04
Katholikenanteil
Arbeiteranteil
Erwerbslosenanteil
Erklärte Varianz R2
1933
NSDAP
KPD
-0.01
-0.05
-0.004
(-0.14)
(-0.05)
(-0.19)
(-0.02)
-0.25
0.03
-0.19
0.17
(-0.78)
(0.01)
(-0.65)
(-0.09)
-0.10
0.24
-0.12
0.19
(-0.09)
(0.34)
(-0.12)
(0.28)
-0.31
0.61
-0.45
0.60
(-0.21)
(0.65)
(-0.34)
(0.68)
63.6%
68.8%
60.1%
70.9%
1.4%
13.6%
3.6%
14.4%
R2-Zuwachs durch
Var. Erwerbsl.
* Hierarchische Regressionsanalyse mit Erwerbslosigkeit als letzter in die Gleichung eingeführte Variable.
Kreise jeweils mit ihrer Einwohnerzahl 1933 gewichtet. Beta-Koeffizienten in Klammern. 1) Urbanisierungsgrad
= % Einwohner in Gemeinden über 5000 Einwohner
Quelle: Falter et al. 1983: 539
Betrachtet man den Stimmenanteil der KPD, so zeichnet sich ein geradezu entgegengesetzter Trend
ab. Bis auf den Urbanisierungsgrad haben alle unabhängigen Merkmale einen positiven Effekt auf das
Wahlergebnis, wobei die Arbeitslosenquote eindeutig den stärksten Einfluß hat. Der Arbeiteranteil
5
Die Generierung einer Variablen, die den Urbanisierungsgrad eines Kreises wiedergibt, ist technisch sehr aufwendig - daher
wurde im Abschnitt ‚Daten & Operationalisierung‘ darauf verzichtet.
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
10
rangiert an zweiter Stelle, wohingegen weder der Urbanisierungsgrad, noch der Katholikenanteil der
untersuchten Kreise nennenswerte Effekte auf die Wahlchancen der KPD zu haben scheinen.
Differenziert man die Arbeitslosen nach erwerbslosen Arbeitern und Angestellten, so zeigt sich
folgendes Bild (vgl. Tab. 7): Sind die Arbeitslosen Arbeiter, so senkt ein Anstieg der entsprechenden
Quote den Stimmenanteil der NSDAP nach wie vor. Ein erhöhter Anteil erwerbsloser Angestellter
jedoch wirkt sich durchweg – und als einziger berücksichtigter Prädiktor - positiv auf den Wahlerfolg
der Nationalsozialisten aus. Allerdings trägt der Anteil arbeitsloser Arbeiter in einem, wenn auch
insgesamt kleinen, aber erheblich größeren Maß zur Erklärung der Varianz bei als der Anteil
erwerbsloser Angestellter.
Tab. 7: Regression der Stimmanteile von NSDAP und KPD auf erwerbslose Arbeiter / Angestellte*
1932 A
1933
NSDAP
KPD
NSDAP
KPD
Konstante
52.3
–12.9
64.0
–11.2
Urbanisierungsgrad
-6.06
0.56
-0.07
0.02
(-0.2)
(0.06)
(-0.27)
(0.10)
-0.25
-0.17
-0.18
-0.02
(-0.78)
(0.03)
(-0.62)
(-0.08)
-0.18
0.63
-0.26
0.31
(-0.16)
(0.51)
(-0.25)
(0.46)
-0.14
0.21
-0.35
0.23
(-0.14)
(0.33)
(-0.39)
(0.38)
0.07
0.19
0.32
0.12
(0.04)
(0.16)
(0.19)
(0.11)
62.8%
65.9%
60.0%
67.3%
0.6%
10.2%
2.8%
10.5%
0.03%
0.5%
0.7%
0.2%
Katholikenanteil
Arbeiteranteil
Erwerbslose Arbeiter
Erwerbslose Angestellte
Erklärte Varianz R2
R2-Zuwachs durch
erwerbsl. Arbeiter
R2-Zuwachs durch
erwerbsl. Angestellte
* Hierarchische Regressionsanalyse mit erwerbslosen Arbeitern als vorletzter und ewerbslosen Angestellten als
letzter in die Gleichung eingeführten Variablen. Kreise jeweils mit ihrer Einwohnerzahl 1933 gewichtet. BetaKoeffizienten in Klammern. „Erwerbslose Arbeiter“ = Prozentsatz der Arbeiter, die erwerbslos sind etc.
Quelle: Falter et al. 1983: 540
Dies läßt aber nicht unbedingt den Schluß zu, daß erwerbslose Angestellte eher NSDAP, erwerbslose
Arbeiter eher KPD gewählt haben, denn auch der KPD-Stimmenanteil bei beiden hier betrachteten
Reichstagswahlen wird positiv vom Anteil erwerbsloser Angestellter beeinflußt. Die damit
zusammenhängende Erklärungszuwächse (0,5 bzw. 0,2 Prozentpunkte) sind im Vergleich zu den
entsprechenden Werten für erwerbslose Arbeiter (10,2 resp. 10,5 Prozentpunkte) allerdings sehr
gering.
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
11
Die Ausgangsfrage, ob die NSDAP in Gebieten mit besonders hohen Arbeitslosenquoten
überdurchschnittlich erfolgreich war, kann anhand der vorliegenden Resultate zweifellos verneint
werden. Auch wenn Erwerbslosigkeit im Vergleich zu anderen möglichen Faktoren nicht den stärksten
negativen Effekt zu verzeichnen hat, und arbeitslose Angestellte zum Nationalsozialismus tendierten,
kann die weit verbreitete Meinung, Arbeitslose hätten dem Nationalsozialismus den Weg geebnet, hier
nicht unterstützt werden. Die KPD hingegen konnte offenbar stark von der Arbeitslosigkeit der frühen
30er Jahre profitieren.
Um weiterhin auf Falters Kritik an anderen empirischen Studien zurückzukommen – auch er muß sich
den Vorwurf gefallen lassen, u. U. auf einem Aggregationseffekt beruhende Ergebnisse erzielt zu
haben. Dem kommt er aber zuvor, indem er diese Problematik (von sich aus) thematisiert: „Da der
Wahlakt natürlich nicht von Gebietseinheiten, sondern von Einzelpersonen vollzogen wird, hängt die
substantielle Interpretation solcher Ergebnisse letztlich davon ab, ob die festgestellten Beziehungen
primär auf Individual- oder eher auf Kontexteffekten beruhen, d. h., ob es tatsächlich Arbeitslose
waren, die überdurchschnittlich häufig KPD wählten und der NSDAP weitgehend die Stimme
vorenthielten, oder ob es sich hierbei in erster Linie im Personen handelte, die sich durch
Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise zwar bedroht gefühlt haben, selbst aber nicht arbeitslos waren“
(Falter et al. 1983: 550). Hinter einem negativen statistischen Zusammenhang zwischen
Erwerbslosigkeit und NSDAP-Wahl auf Gebietsebene könnte sich im Fall eines Kontrasteffektes eine
positive Beziehung auf der Ebene der einzelnen Wähler verbergen. Dies würde bedeuten, daß eine
hohe NSDAP-Affinität von Arbeitslosen durch eine besonders geringe NSDAP-Neigung von
Nichtarbeitslosen überkompensiert würde.
Falter et al. begegnen diesem Verdacht mit der Durchführung ökologischer Regressionsanalysen, die
es
u.
U.6
erlauben,
Schlüsse
von
bekannten
Aggregatbeziehungen
auf
unbekannte
Individualbeziehungen zu schließen. Diese lassen erkennen, daß „Arbeitslose in der Tat
überdurchschnittlich häufig KPD und SPD, jedoch nur in geringem Maß NSDAP gewählt haben.
Erwerbslose Angestellte scheinen dabei, wie schon lange im Schrifttum vermutet, eher für die
NSDAP, erwerbslose Arbeiter dagegen erheblich stärker für die KPD gestimmt zu haben“ (ebd.: 550).
Bezüglich der Wahlerfolge der Nationalsozialisten vermuten die Autoren letztlich folgendes:
„Tatsächlich scheinen in Bezug auf den NSDAP-Anstieg die von der Erwerbslosigkeit ausgehenden
Einflüsse höchst mittelbarer Natur gewesen zu sein: Ohne Zweifel trugen sie zum allgemeinen Klima
der Angst und Hoffnungslosigkeit bei, von dem auch Wähler in Gebieten erfaßt worden sind, die von
der Geißel der Arbeitslosigkeit (wenn auch nicht unbedingt von der generellen Wirtschaftskrise) eher
verschont blieben. Aufgrund der sozialstrukturellen Gegebenheiten und der – zumindest in den
protestantischen Landstrichen dominierenden – ‚rechten‘ politischen Traditionen dieser Kreise neigten
deren Einwohner dazu, ihr erschüttertes Vertrauen in die wirtschaftliche Problemlösungskompetenz
der Parteien durch die Wahl der für sie in Frage kommenden Opposition, die am Ende der Weimarer
6
Die Daten müssen dazu bestimmten, strengen Modellannahmen genügen.
Arbeitslosigkeit & Nationalsozialismus
12
Republik von einer so radikalen antiparlamentarischen Alternative wie der NSDAP, also der rechten
Antisystempartei schlechthin verkörpert wurde, zu manifestieren“ (ebd.: 551).
5 Literatur
Falter, J.; Link, A.; Lohmöller, B.; de Rijke, J.; Schumann, S.: (1983): Arbeitslosigkeit und
Nationalsozialismus. Eine empirische Analyse des Beitrags der Massenerwerbslosigkeit zu den
Wahlerfolgen der NSDAP 1932 und 1933.
In: KZfSS, Jg. 35, 525 – 554
Falter, J. (1991): Hitlers Wähler. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Frey, B. S.; Weck, H. (1981): Hat Arbeitslosigkeit den Aufstieg des Nationalsozialismus bewirkt?
In: Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 196: 1 - 31
Hänisch, D. (1989): Inhalt und Struktur der Datenbank „Wahl- und Sozialdaten der Kreise und
Gemeinden des Deutschen Reiches von 1920 bis 1933“.
In: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 14, No. 1: 39 – 67
Helbich, W. (1968): Die Bedeutung der Reparationsfrage für die Wirtschaftspolitik der Regierung
Brüning.
In: Jasper, G. (Hg.): Von Weimar zu Hitler 1930 – 1933: 72 – 98, Köln/Berlin
Pratt, S. A. (1948): The Social Basis of Nazism and Communism in Urban Germany.
Diss., Michigan-University
Waldmann, L. K. (1973): Models of Mass Movements. The Case of the Nazis.
Diss., Chicago/Ill.
6 Fragen
 habe keine Aufgaben formuliert, aber in der Datei FalterReadMe.doc steht, was wo zu finden ist.
Der
Syntax
zur
Generierung
aller
möglichen
Variablen
liegt
vor,
ebenso
Gewichtungsvariablen für mindestens 6 Regressionsmodelle, etc. s. => FalterReadMe.doc
für
2
Herunterladen