SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Aula Surfen im All Faszination Gravitationswellen Von Harald Lesch Sendung: Montag, 3. Oktober 2016 Redaktion: Ralf Caspary Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Aula können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/aula.xml Die Manuskripte von SWR2 Aula gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. 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Diese Entdeckung war zugleich noch einmal eine imposante Bestätigung der Relativitätstheorie. Nie zuvor hatte jemand diese Wellen genau messen können. Harald Lesch, Professor für Astrophysik an der LMU München, erklärt die Gravitationswellen. Harald Lesch: Eine E-Mail vor der Mittagspause änderte alles: Abgeschickt wurde die Nachricht nicht von einem Menschen, sondern von einem Computersystem bzw. vom Universum selbst – aus einer Entfernung von 1,3 Milliarden Lichtjahren. Aber das wusste Marco Drago nicht, als er auf die Messkurve schaute, die kurz zuvor aufgezeichnet worden war. Am 14. September 2015 um 11 Uhr 50 und 45 Sekunden mitteleuropäische Sommerzeit. Es gibt Ereignisse im Leben, die man immer in Erinnerung behält. Wahrscheinlich wissen Sie z.B. noch, was Sie am Tag des Anschlags auf das World Trade Center gemacht haben. Können Sie sich auch erinnern, was Sie am 14.9.2015 so gegen Mittag getan haben? Es war eine eigentlich welterschütternde Entdeckung, die uns aber gar nicht so richtig erschüttert hat. Die Entdeckung der Gravitationswellen gehört zu den Kapiteln der Astronomie, der Physik, die auf merkwürdige Weise auch Grenzen erkennen lassen. Denn die Suche nach diesen Erschütterungen der Raumzeit ist eine Suche, die uns an die technischen Grenzen bringt, weil die Effekte, die dort gemessen worden sind, sind so winzig, dass man sie sich nicht vorstellen kann. Kurzum: Bei dieser Entdeckung handelt es sich um eine Veränderung, eine Längenveränderung von einem 1000-stel Protonenradius. Wie groß ist denn ein Proton? Das hat man ja auch nicht immer parat. Diese Veränderung überhaupt messen zu können, ist jedenfalls schon eine grandiose Leistung gewesen: Gemessen wurde mit riesigen Anlagen, in denen Laserstrahlen über mehrere Kilometer von einem Spiegel zum anderen geschossen wurden, und die Veränderung des Lichtlaufweges dieser Laserstrahlen sollen darauf hindeuten, dass in 1,3 Milliarden Lichtjahren, Achtung: zwei schwarze Löcher miteinander verschmolzen sein sollen. Diese Materialschlacht, so kann man das wirklich nennen, hat dann dazu geführt, dass das Universum von Gravitationswellen durchsetzt worden. Das ist schon eine wirklich große Entdeckung gewesen. Ich würde Ihnen gerne die Geschichte darüber erzählen, was da eigentlich gefunden worden ist. Die Physik, insbesondere auch die Astrophysik gehört zur großen Inventur der Welt. Aus was besteht die Welt? Wir haben zu Beginn der Himmelserkundungen nach Planeten in unserem Sonnensystem gesucht. Wir wussten natürlich, dass es Sterne gibt, aber nicht wie viele. Heute schicken wir Sonden und Satelliten ins All, um herauszufinden, wie viele Sterne unsere Milchstraße hat. D.h. wir haben Planeten, Sterne, Milchstraßen. Inzwischen wissen 2 wir, dass Milchstraßen sich in Galaxienhaufen zusammensortieren und strukturieren und dass selbst diese Galaxienhaufen sich in gewaltigen Galaxien-Superhaufen zu einer Überstruktur im Universum entwickelt haben, die man nur noch als großes kosmisches Netz bezeichnen kann. Und dass sich in einem expandierenden Universum trotzdem Galaxien, Sterne und Planeten gebildet haben, das ist bereits für diese Art von Inventur ein Mysterium, denn normalerweise würde die Materie bei der Expansion seine Dichte verringern und nicht vergrößern. Es muss also eine Kraft vorhanden sein, die zu dieser Strukturbildung im Universum geführt hat und zwar auf allen Skalen, wiederum von Planeten, zu Sternen, zu Galaxien, zu Galaxienhaufen, zu Galaxien-Superhaufen usw. Das ist sozusagen die eine Seite der Inventur, die wir seit vielen Jahrhunderten betreiben und die mit der Entdeckung der Schwarzen Löcher durch die Gravitationswellen zu einem großartigen Triumph geführt worden ist. Ob das der letzte Triumph der Inventur im Universum sein wird, weiß ich noch nicht. Aber es ist auf jeden Fall ein Meilenstein gewesen. Auf der anderen Seite haben wir den Aufbau der Materie untersucht, aus was die Welt besteht: aus Molekülen, die wiederum aus Atomen, die wiederum aus Atomkernen umgeben von Elektronen. In den Atomkernen gibt es Nukleonen, die Nukleonen sind aufgebaut aus Quarks usw. Mit dem Higgs-Teilchen einen der letzten Triumphe der Teilchenphysik feiern können. D.h. wir sind auf der ganz großen und der extrem kleinen Ebene der Welt eigentlich extrem erfolgreich gewesen in dem, was man Inventur des Universums nennen kann. Was darin aber fehlt, das sind die Kräfte. Welche Kräfte sind dafür verantwortlich, dass die Welt sich selbst im Inneren zusammenhält, um mit Faust zu sprechen, der ja danach gesucht hat, was die Welt im Innersten zusammenhält, als ob diese Kraft – bei Faust – von außen käme. In der Physik wissen wir heute, dass diese Kraft von innen kommen muss, dass es sich um eine Eigenschaft handelt, die im Universum vorhanden sein muss. Diese Kraft hält uns am Boden, sie hält Erde und Mond zusammen, sie hält das Sonnensystem zusammen, sie hält die Sonne zusammen, sie hält die Milchstraße zusammen usw., das ist die Gravitation, die Schwerkraft, eine merkwürdige Kraft. Bei den Kräften, die die Materie aufbauen, also die elektromagnetische Kraft, die Kraft zwischen den Ladungen oder den Quasi-Ladungen im Atomkern, da können wir uns gut vorstellen, dass es dort einen Kraftvermittler gibt, der einem Elektron oder einem Proton jeweils mitteilt, dort befindet sich eine Elektron oder ein Proton. Man kann sich unter dieser Kraft etwas vorstellen. Man hat ein Vermittlerteilchen, einen Makler, der zwischen den Teilchen vermittelt. Und wenn ein Teilchen neutral ist, dann spürt es nichts von der elektrischen Kraft z.B. Und wenn ein Teilchen kein Atomkern ist, dann spürt es auch keine Kraft, die im Kern wirkt, denn die wirkt nur im Kern. Bei der Gravitation handelt es sich offenbar um etwas ganz anderes, denn während wir für die Kräfte, die die Materie aufbauen Feldtheorien entwickelt haben, die quantenmechanisch sind, d.h. die Kräfte werden immer nur in Form von Paketen übertragen, in Form von paketierten Wirkungen, das sind die sogenannten Quanten, handelt es sich bei der Gravitation offenbar um etwas ganz anderes. Sie wissen natürlich längst, dass ich über die allgemeine Relativitätstheorie rede. Und die ist nun mal eine klassische Theorie im Sinne von: Sie ist nicht quantenmechanisch, sie kennt keine quantenmechanischen Effekte, sie kennt nur das Kontinuum. Sie kennt keine Unterteilung in einzelne Pakete. Trotzdem sind die Physiker davon überzeugt, 3 wenn es denn dereinst einmal eine große vereinigte Theorie aller Kräfte geben sollte, dann müsste sie eine Quantentheorie sein oder sie wird gar nicht sein. Mit der Entdeckung der Gravitationswellen ist eine der präzisesten Bestätigungen der klassischen allgemeinen Relativitätstheorien vorgenommen worden. Da deutet sich eine Krise an. Die allgemeine Relativitätstheorie ist eine ganz andere Theorie als die quantenmechanischen Theorien. Die quantenmechanische Theorien sagen, dass ein Teilchen auf seine Umgebung wirkt. Das sind lokale Wirkungen. In der allgemeinen Relativitätstheorie verursacht die Anwesenheit von Materie, in Form z.B. von Sternen, Planeten, aber auch Galaxien usw. Deformationen der Raum-Zeit. Die Raum-Zeit ist zunächst einmal ein rein mathematisches Gebilde, das sich dadurch auszeichnet, dass es die räumlichen Dimensionen (man könnte lapidar sagen: Höhe, Länge, Breite) verbindet mit der zeitlichen Dimension, dass es nicht ausreicht, nur einen Schnappschuss zu machen, wenn man die Welt verstehen will, sondern dass man sie in ihrem zeitlichen Verlauf anschauen muss. Während sich in diesem zeitlichen Verlauf die Dinge ändern, ändern sich auch die Geometrien. So z.B. war die Aussage von Einstein ganz einfach: Wenn es stimmen sollte, und daran hat er keinen Zweifel gehabt, dass die schwere Masse und die träge Masse dasselbe sind, dass es Äquivalenzprinzip gibt, dann ist die Ausbreitung von Licht davon betroffen. Die schwere Masse ist die Masse, die im Newton'schen Gravitationsgesetz auftaucht: Die Kraft zwischen zwei Massen ist proportional zum Produkt dieser beiden Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes. Und diese beiden Massen bezeichnet man als schwere Masse, die hat etwas mit Gravitation zu tun. Newton hat aber auch einen Satz aufgeschrieben, dass Kraft etwas ist wie Masse mal Beschleunigung. Das kann irgendeine Beschleunigung sein. Wieso muss das Gravitation sein? Es könnte Rotation sein usw. Das nennt man träge Masse. Für Newton war das noch nicht klar. Für Einstein war es die Idee, die Hypothese: Wenn die träge und schwere Masse äquivalent sind, dann hat das Konsequenzen für die Ausbreitung des Lichtes. Denn: Von außen betrachtet kann man nicht unterscheiden zwischen einem frei fallenden Fahrstuhl und einem Fahrstuhl, der fällt unter dem Einfluss der Gravitation. Mit anderen Worten: Jemand, der in einem geschlossenen Fahrstuhl sitzt und der sein Gewicht spürt, kann nicht unterscheiden, ob dieser Fahrstuhl beschleunigt wird nach oben oder ob sich der Fahrstuhl einfach ruhend in einem Gravitationsfeld befindet. Für Einstein sind beschleunigte Bezugssysteme und Gravitation dasselbe. Ein beschleunigtes Bezugssystem kann man sich einfach so vorstellen: Wenn man vor seinem geistigen Auge einen Fahrstuhl herunterfallen lässt, an dessen linke Seite ein Lichtstrahl eindringt, trifft dieser Lichtstrahl die rechte Seite des Fahrstuhls weiter unten. D.h. der Lichtstrahl ist im beschleunigten Bezugssystem gekrümmt. Und so hat Einstein vorgeschlagen, dass in der Nähe von schweren Massen, Sternen vor allen Dingen, die Lichtstrahlen von anderen Sternen gekrümmt sein müssten. Ich will die Geschichte nicht zu weit auswalzen, ich will darauf hinweisen, dass bereits diese erste Vorhersage nur wenige Jahre nach der Formulierung der allgemeinen Relativitätstheorie 1915 von Sir Arthur Eddington bei einer Sonnenfinsternis bestätigt wurde. Und das war der Beginn des Siegeszuges einer Theorie, die ganz anders funktioniert als alle anderen physikalischen Feldtheorien. Sie sagt nämlich, die Anwesenheit von etwas verändert die Geometrie, verändert die Strukturen, in denen Ursachen und Wirkungen sich verbreiten können, nämlich im schnellsten Fall mit 4 elektromagnetischen Wellen, und dass der Weg durch die elektromagnetischen Wellen durch die Anwesenheit von Massen stark beeinflusst werden kann. Je größer und konzentriert diese Masse ist, umso stärker werden die Lichtwege gekrümmt sein, bis sie dann schließlich bei einem besonders kompakten Objekt, nämlich einem schwarzen Loch, sogar so gekrümmt sind, dass sie das Objekt gar nicht mehr verlassen können. Das sind alles Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie, einer Theorie, die im starken Widerspruch steht zu den Theorien, aus denen die Materie aufgebaut ist. Und natürlich hat diese klassische Feldtheorie eine Vorhersage über Wellenlösungen gemacht. Elektromagnetische Wellen sind uns in gewisser Weise vertraut, denn wir sind ständig von ihnen umgeben, z.B. immer wenn Sie Ihre Messgeräte oder Ihre Telefongeräte usw. nutzen, sind Sie von elektromagnetischen Wellen umgeben. Genauso muss es Gravitationswellen geben, nämlich dann, wenn Massen sich sehr stark verändern. Das tun sie, wenn Massen einander umkreisen, dann ändert sich ständig das Schwerkraftfeld. Das müsste zu einer Emission, also zur Abgabe von Gravitationswellen führen. Sie tun es natürlich auch, wenn Sterne explodieren in gewaltigen Super-Nova-Explosionen. Dann müssten auch Gravitationswellen festzustellen sein. Aber gerade diese Objekte, die sich umeinander drehen, damit die messbar Gravitationswellen aussenden, dafür muss es sich um Objekte handeln, die am Ende eines Sternenlebens stehen. Nicht nur schwarze Löcher können das tun, sondern auch Neutronensterne. Neutronensterne sind die letzte stabile Tankstelle vor der Autobahn der schwarzen Löcher. Wenn große Sterne am Ende ihres Lebens unter ihrer eigenen Masse zusammenfallen, dann kann je nach dem, wie der Ausgangsstern war, im Inneren des Sterns ein Neutronenstern entstehen. Der ist ungefähr 10 km groß und hat etwa zwei bis drei Sonnenmassen, dreht sich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit um sich selbst. Mit einer Periode von wenigen Millisekunden gibt er, wenn die Hülle des explodierenden Sterns langsam verschwunden ist, auch Radiosignale ab, die sogenannten Pulsare. Diese Neutronensterne sind eigentlich die Bestätigung, dass Quantenmechanik, also die Theorie von der Struktur der Materie und die Theorie von der Entwicklung der Sterne ganz eng miteinander zusammenhängen. Denn dass diese Neutronensterne nicht zu schwarzen Löchern geworden sind, also Objekte, in denen nur noch die attraktive immer anziehende Gravitation regiert, sondern dass sie vorher einen stabilen Materie-Zustand bekommen haben, das kann die Quantenmechanik erklären – mit dem sogenannten Pauli-Prinzip. Beim Pauli-Prinzip geht es um die NichtKompressionsfähigkeit der Materie. Man kann sie nicht beliebig durchdringen. Das merkt man dann, wenn man mit der Faust auf den Tisch schlägt. Man kann die Materie nicht durchdringen, weil dann die Materie so zusammengepresst wird, dass dann die Quantenmechanik dem einen Druck entgegensetzt. Das nennt man PauliPrinzip. Und das wurde durch die Entdeckung der Neutronensterne bestätigt. Man hat dadurch, dass die Neutronensterne extrem genaue Radiosignale abgeben, bereits in den 70er-Jahren Objekte, wo zwei Neutronensterne sich gegenseitig umkreisen. Nach der allgemeinen Relativitätstheorie müssten diese beiden Objekte Gravitationswellen abgeben, und die Abgabe der Gravitationswellen müssten die Umkreisungs-Bahnen der beiden Objekte verändern. Und genau das hat man in den 70er- und 80er-Jahren gemessen. Und das wurde bereits mit einem Nobelpreis belohnt. Man hatte also schon längst einen indirekten Nachweis für Gravitationswellen durch die sogenannten Binär-Pulsare. Was noch fehlte, war eine direkte Messung von Gravitationswellen. 5 Wie schwierig das ist, merkt man vielleicht an dem, was ich anfangs sagte, dass nämlich die Längenänderungen, die solche Gravitationswellen bei den Experimenten mit sehr langen Laser-Lauflängen von einigen Kilometern auslösen, die Längenveränderungen, die mit den Veränderungen der Raum-Zeit zusammenhängen, in der Größenordnung von einem Tausendstel des Protonenradius' sind. Ein Proton ist 10-15 Meter groß. Das ist wirklich nicht viel. Wenn man sich die Spitze seines Zeigefingers anschaut und nähme an, man würde ein Gramm daraus abschneiden, dann hat man bereits eine Billion Trillionen da drin. Das ist eine Eins mit 24 Nullen. Man ahnt also schon, wie klein ein Atomkern sein muss, Vielleicht wurde Ihnen in Ihrem Physikunterricht an der Schule von Ernest Rutherforder erzählt, der festgestellt hat, wie klein so ein Atomkern sein muss im Vergleich zum Atom. Wenn nämlich ein Atom so groß ist wie ein Bundesligastadion, dann ist ein Atomkern, in dem sich praktisch alle Masse befindet, so groß wie ein Reiskorn im Mittelpunkt des Anstoßkreises. Alles, was ein Atom ausmacht, steckt in dem Atomkern drin, nur umgeben von einer riesigen Elektronenhülle. In USA, Italien, vor allen Dingen aber hier in Deutschland bei Geo600 in Hannover werden mit den Gravitationswellen-Detektoren solche winzigen Längenänderungen gemessen. Lichtverstärkung durch stimulierte Emission der Laser, das ist die Methode mit der man der Gravitation nahe kommen will. Warum nimmt man einen Laser? Weil ein Laserlicht eine extrem genaue präzise Lichtquelle ist und man damit sehr präzise messen kann. Und weil dieses Licht sehr intensiv und präzise ist, ist das die schärfste Klinge, wenn man in der Natur etwas untersuchen will. So wurden die Gravitationswellen entdeckt. Genau das geschah nach vielen Monaten des Aufbaus eines großen Experiments in den Vereinigten Staaten. Aber das Ganze war ein großes weltweites Konsortium. Das geschah also nun am 14. September 2015; um 11.50 Uhr war es so weit: Ein Gravitationswellensignal wurde detektiert, dass zwei schwarze Löcher miteinander verschmolzen seien. In einem Abstand von 1,3 Milliarden Lichtjahren von uns entfernt müssen also vor 1,3 Milliarden Jahren zwei solcher Sternleichen miteinander verschmolzen sein. Die eine Leiche müsste 29 Sonnenmassen gehabt haben, die andere Leiche 35 Sonnenmassen. Und am Ende kam eben nicht ein Loch heraus mit 64, sondern nur mit 61, weil drei Sonnenmassen tatsächlich in Form von Gravitationswellen abgestrahlt wurden. Denn wie wir alle wissen: E ist gleich mc 2. Die Energie und die Masse sind also direkt miteinander korreliert. Wenn wir also die Beobachtung von Gravitationswellen machen, messen wir natürlich Energie, und die muss einer Masse entsprechen. Inzwischen ist noch ein anderes Objekt dieser Art gefunden worden mit einem etwas schwächeren Signal. Aber summa summarum wissen wir heute: Es gibt tatsächlich Objekte dort draußen, wo sich zwei schwarze Löcher so nahe kommen, dass sie miteinander verschmelzen. Und das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein Objekt, das eine Sonnenmasse hat, hat einen Radius von drei Kilometern. Diesen Radius nennt man Schwarzschild-Radius. Das heißt also: Ein schwarzes Loch von 30 Sonnenmassen hat gerade mal eine Ausdehnung von 90 Kilometern. Das ist so gut wie nichts. In astronomischen Zusammenhängen, wo man sonst nur über Lichtjahre spricht – das sind zehn Billionen Kilometer – ist das eigentlich gar nichts. Und in der Tat hat sich die Verschmelzung dieser beiden Sonnen, dieser Sonnenreste, dieser Sternreste, dieser schwarzen Löcher auf einer Fläche abgespielt, die nur halb so groß ist wie Hessen, wenn man das mal so 6 zusammenrechnet. Es ist schon lustig, dass wir in einem Abstand von 1,3 Milliarden Lichtjahren ein Ereignis sehen, dass gerade einmal auf einer Fläche stattgefunden hat, die halb so groß ist wie Hessen. Und was haben wir daraus gelernt? Wir haben daraus gelernt, dass es offenbar Sterne oder Vorläufer von diesen Sternleichen gegeben haben muss, in denen diese beiden schwarzen Löcher entstanden sind. Und heute geht man davon aus, dass es sich dabei um relativ große Riesensterne handelt, in denen zwei Kerne entstanden sind, die dann in relativ kurzer Zeit nach dem Tod dieses Sterns miteinander verschmolzen sind. Vor allen Dingen aber hat man damit gezeigt, dass die Allgemeine Relativitätstheorie in allen ihren Vorhersagen bestätigt worden ist. In allen! Und das ist angesichts der Konkurrenz, die diese Theorie hat, nämlich zu den Quantenfeldtheorien, zu den Theorien, die den Aufbau der Materie darstellen, eigentlich eine Katastrophe. Denn man hoffte natürlich, irgendwann mal die Abweichung zu sehen, dass die Allgemeine Relativitätstheorie zu einer Quantengravitationstheorie umformuliert werden muss. Stattdessen scheint diese Theorie aus dem Jahr 1915 immer besser und besser zu werden. Je älter sie wird, umso besser wird sie bestätigt. Es ist für die Physik durchaus nicht unkritisch, dass hier Vorstellungen über die Vereinigung der Kräfte auf einmal auf den Prüfstand gestellt werden. Scheinbar ist es doch nicht so einfach, wie die alten Griechen sich das ursprünglich mal vorgestellt haben. Man müsse nur lange genug nachdenken, dann fände sich schon die richtige Theorie. Wir wissen in der Tat, dass Kräfte miteinander zu vereinigen sind. Die elektromagnetische Kraft zum Beispiel ist vereinigt worden mit der sogenannten schwachen Kernkraft, die für den radioaktiven Zerfall zuständig ist. Aber weiter sind wir nicht gekommen. Wir wissen heute auch, dass es ein Feld gibt, das das gesamte Universum durchsetzt, überall – das Higgs-Feld. Auch das ist wunderbar bestätigt worden. Das hat aber alles mit den Gravitationswellen, die wir hier gemessen haben, überhaupt nichts zu tun. Wenn die Allgemeine Relativitätstheorie aber so gut ist, wie sie zu sein scheint, dann wird man in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht sogar die Gravitationswellen des Urknalls feststellen können. So nahe wird man dem Urknall nicht mehr kommen können. Also die Gravitationswellen sind sozusagen das allererste Zeichen von Physik, von Unterschied zwischen Ursache und Wirkung im Universum. Es gab ja vor einigen Jahren schon mal eine Meldung, man hätte das was gefunden. Es hat sich allerdings herausgestellt, dass diese Meldung mehr der Ökonomisierung der Wissenschaft geschuldet war als ordentlicher wissenschaftlicher Forschung. Da sind einige Leute zu früh nach vorne geprescht mit ihren Ergebnissen, weil sie einfach schneller sein wollten als die Konkurrenz. Aber das nur am Rande. Es hat sich als Fehler herausgestellt. Trotzdem wird man weitersuchen, denn man erwartet eigentlich schon auch vom Urknall, also der Veränderung von riesengroßen Massen, tatsächlich Gravitationswellen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Als ich diese Meldung gehört habe, dass man jetzt Gravitationswellen gefunden hat, habe ich darauf gewartet, dass es endlich mal wieder Gravitationsskeptiker gibt. So wie es ja zum Beispiel Klimawandelskeptiker gibt. Bei Klimawandelskeptikern ist ja klar: Sobald die neuen Daten über den Klimawandel veröffentlich werden, gibt es sofort Politikerinnen und Politiker verschiedener Couleur, die dann sagen: Nein, das kann überhaupt nicht sein! Diese 7 ganzen Klimaforscher machen das ja alles nur, um Forschungsgelder zu bekommen. Es gibt überhaupt keinen Klimawandel!! – Man kennt das ja. Vor allem aus den Vereinigten Staaten kennt man das ja sehr deutlich. Da muss man sich immer wundern. Und ich habe mich gewundert, dass nach der Entdeckung der Gravitationswellen nicht sofort die Gravitationswellenskeptiker auf den Plan getreten sind und gesagt haben: Das kann doch alles überhaupt nicht sein! Die machen doch diese Forschung nur, um ihre Gravitationswellenforschung weiter zu betreiben, um Geld dafür zu kriegen! – Das ist ja auch nicht billig. Aber: Überraschung! Niemand hat sich hingestellt und hat diese Präzisionsmessung irgendwie kritisiert. Im Gegenteil: Die Pressekonferenz, wo die Entdeckung der Gravitationswellen annonciert worden ist, war, als würde eine Mondlandung annonciert. Amerika war stolz! Komisch, dass die Amerikaner nicht stolz sind auf ihre Klimaforscher. Wir Europäer sind auch nicht so wirklich stolz auf unsere Klimaforscher. Woher kommt das? Wieso nehmen wir solche Ergebnisse, die irgendwo vom Rande des Universums stammen, in 1,3 Milliarden Lichtjahren irgendwann mal entstanden sind und mit einer hirnerweichenden Präzision gemessen werden – wieso nehmen wir die so hin und freuen uns? So nach dem Motto: Wir sind alle Gravitationswelle. – Aber wenn es darum geht, dass die gleiche Physik mit den gleichen Methoden auch hochpräzise Veränderungen unserer direkten Umwelt wahrnimmt und sie an uns weitergibt und uns auffordert: Hört mal, so können wir aber nicht weitermachen! Wenn wir so weitermachen, ändert sich auf unserem Planeten so viel, dass es die Lebensbedingungen von vielen, vielen Menschen betreffen wird. – Wenn es also relevant wird, dann ziehen wir, auf Deutsch gesagt, den Schwanz ein. Dann wollen wir mit dieser Grundlagenforschung nichts mehr zu tun haben. Es ist gerade so, als wenn wir uns bei der Suche nach irgendwelchen interessanten Dingen am Rande des Universums davon ablenken, dass wir hier auf der Erde durchaus auch hochinteressante und vor allem auch hochrelevante Probleme haben, die wir nur durch die Kombination von Grundlagenforschung und Technologie lösen können. Interessant, nicht? Wie man von Gravitationswellen zum eigenen Handlungshorizont kommen kann. Ich finde nur, man darf das nicht aus dem Auge verlieren. Denn alle Grundlagenforschung gehört mit zu dem großen Projekt der Aufklärung. Das haben Sie schon wieder vergessen, ja? Es gab mal ein großes Projekt der Aufklärung. Es wird ja jetzt gerne davon gesprochen, dass wir an einem Ende der Fakten stehen. Aber wir Wissenschaftler produzieren einfach immer weiter Fakten. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass diese Fakten auch so untergebracht und veröffentlicht werden müssen, dass die Öffentlichkeit davon erfährt, wie toll diese Methodik der empirischen Forschung ist. Zu dieser Methodik gehört vor allen Dingen auch, dass wir immer und immer wieder unsere Hypothesen bestätigen. Dass wir keine Meinungen vertreten, soweit es geht, sondern immer wieder aufs Neue empirische Hypothesen aufstellen. Und die müssen an der Erfahrung scheitern können. Zu dieser Erfahrung gehört die objektive Faktensituation – und nicht Meinungen, Gefühle usw. Ich weiß, dass es nicht ganz so einfach ist, davon abzusehen. Aber in Zeiten, in denen immer mehr Menschen der Meinung sind, ihre gefühlten Meinungen zu veröffentlichen, könnte es hin und wieder mal ganz vernünftig sein, sich auf der Faktenseite umzusehen, wie es wirklich aussieht. Und dann sieht es eigentlich sehr gut aus. Nicht nur bei den Gravitationswellen. ***** 8 Harald Lesch lehrt theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; seine Forschungsschwerpunkte sind: Schwarze Löcher, Neutronensterne und kosmische Plasmaphysik. Lesch ist Fachgutachter für Astrophysik bei der DFG und Mitglied der astronomischen Gesellschaft. Im Juni 2005 wurde ihm von der DFG der Communicator-Preis verliehen. Dieser persönliche Preis wird an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, die sich in hervorragender Weise um die Vermittlung ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse in die Öffentlichkeit bemüht haben. Harald Lesch ist Moderator u.a. der ZDF-Fernsehsendung "Leschs Kosmos". Bücher (Auswahl): - Wie das Staunen ins Universum kam - Ein Physiker und ein Biologe über kleine Blumen und große Sterne. (zus. mit Christian Kummer). Patmos-Verlag. - Sterne – Wie das Licht in die Welt kommt. (zus. mit Jörn Müller). Goldmann-Verlag. - Quantenmechanik für die Westentasche. Hörbuch. Legato-Verlag. - Physik für die Westentasche. Legato-Verlag. 9