Prozessbegleitender Mathematikunterricht Die Komplexität der Arbeit der Lehrerin / des Lehrers ist kaum fassbar und jede fachbezogene Darstellung verliert nur zu leicht wesentliche Elemente des ganz normalen Schulalltags aus dem Blickwinkel. Um den realen Anforderungen einigermaßen gerecht zu werden, gehe ich von drei unterscheidbaren Bereichen aus, die jedoch vielfältig miteinander vernetzt sind: a) Aufbau der Mathematik b) Entwicklungslogik des Kindes c) Lernen als sozialer Prozess 1. Mathematik lernen in der Schule Das Wesen der Mathematik bringt mit sich, dass ihre Inhalte, Konzepte und Prozeduren in einer bestimmten Abfolge den Lernenden angeboten werden müssen. Es ist z. B. immer wieder abzuklären, ob für den angestrebten Lernprozess alle mathematischen Voraussetzungen gegeben sind. Ausschlaggebend ist hier die fachliche Kompetenz der Lehrperson. Sie ist ausschlaggebend, ob ein entsprechendes Bewusstsein der Lehrenperson darüber gegeben ist, was die zentralen mathematischen Konzepte des jeweiligen Lernprozesses sind und wie gründlich sie durchdrungen und verstanden werden. Je tiefer das Verständnis der Lehrperson, umso präziser werden die Arbeitsanweisungen und Instruktionen sein; umso sicherer kann eine Reduktion auf den Kern einer Sache erfolgen. Dieser innere Aufbau der Mathematik deckt sich jedoch nicht von selbst mit der inneren Entwicklungslogik des Kindes. Das Darbieten von Lerninhalten funktioniert nicht als Einbahnstraße, sondern die Lehrperson muss auf Grund der verbalen und nonverbalen Reaktionen des Kindes (seiner Fehler, seiner Fragen, Mimik und Gestik) die Denkkonzepte des Kindes interpretieren und hinterfragen können. So wie kein Kind in seinem äußeren Aussehen einem anderen gleicht, so einzigartig und einmalig ist auch das Denken jedes Kindes. Erst wenn die Lehrperson die individuellen Konstruktionen eines Kindes versteht, kann sie ihre Instruktionen so anpassen, dass das mathematische Konzept vom Kind verarbeitet und in sein Denken integriert werden kann. Nur in einem offenen Austausch zwischen Kind und Lehrperson können die individuellen Konstruktionen des Kindes gemeinsam zu tragfähigen mathematischen Konzepten entwickelt werden. Mathematische Lehr- und Lerninhalte Instruktionen der Lehrerin/ des Lehrers Konstruktionen des Kindes Abb. 1: Dialogischer Lernprozess In einem respektvollen Dialog muss immer wieder überprüft werden, zu welchen Konstruktionen das Kind auf Grund der erhaltenen Instruktionen gekommen ist und ob diese sich mit den beabsichtigten Zielen decken. Die Kunst des Unterrichts besteht also darin, die „Logik der Mathematik“ in einer Form darzustellen, die von der momentanen Logik des Kindes verarbeitbar ist. Dieser skizzierte Prozess erfordert bereits im Rahmen einer Einzelförderung ein hohes Maß an fachlichem Hintergrundwissen und kommunikativen Kompetenzen. Der Schulalltag geht aber noch darüber hinaus, gilt es doch diesen Ablauf in einem Klassenverband umzusetzen. Ein vorwiegend direktiver Unterricht wird dies kaum leisten können. Lernen ist immer ein höchst sozialer Prozess. Es bedarf einer Lernorganisation, die es den Kindern ermöglicht, weitgehend selbständig und eigenverantwortlich zu arbeiten. In der Regel müssen dafür organisatorische Abläufe sorgfältig eingeübt werden (z.B.: Benutzung von Materialien; Ablegen und von fertigen Arbeiten; Zeiteinteilung; ….) und es wird eine langfristige Arbeit an den notwendigen sozialen Kompetenzen zu leisten sein (z.B.: sich in einer Gruppe angesprochen fühlen; mit einem Partner arbeiten können; Anstrengungsbereitschaft; Warten können; sich Hilfe holen; Bereitschaft anderen zu helfen;….). Die zentrale Herausforderung liegt hier darin, die innere Dynamik der gesamten Gruppe so zu gestalten, dass die Klasse eine lernfähige Gemeinschaft wird. Instruktionen und Interventionen der Lehrperson Logik der Mathematik (innerer Aufbau) Entwicklungslogik des Kindes Lernen als sozialer Prozess (Gruppendynamik) Abb. 2: Schulischer Lernprozess Fundiertes fachlich-methodisches Wissen ist die Voraussetzung, um den Kern mathematischer Konzepte in entsprechenden Lernformen zu planen und umsetzen zu können. Hat eine Lehrperson z. B. kein gründliches Wissen über die zentralen Konzepte des dekadischen Stellenwertsystems (fortschreitende Bündelung, Stellenwertschreibweise, Null als Platzhalter), so wird sie diese Inhalte auch nur oberflächlich unterrichten und damit viele Fehlvorstellungen und Missverständnisse bei den Kindern erzeugen. Sie wird auch damit zufrieden sein, wenn die Kinder in der Lage sind, eingeübte Abläufe zu reproduzieren und zu richtigen Ergebnissen zu kommen. Diese Art des Unterrichts kann unter dem Motto „Ich zeig dir, wie du das machst!“ zusammengefasst werden. Die Folge davon sind mehr oder weniger mechanisch eintrainierte Abläufe. Wird die Aufgabenstellung auch nur geringfügig abgeändert, kann die zu Grunde liegende Problemstellung vom Kind nicht mehr 2 erkannt und gelöst werden. Das Ziel sollte aber ein Unterricht nach dem Motto „Ich möchte es dir so erklären, dass du es verstehst!“ sein. Fachlich-methodisches Wissen ist auch die Basis, um mit den Denkweisen der Kinder in Kontakt zu kommen. Nur mit dieser Grundlage können Fragen gestellt und Aufgabenstellungen entwickelt werden, die auch ein Verständnis der vermittelten Inhalte sicherstellen. All das kann aber erst fruchtbar zur Wirkung kommen, wenn die Klasse als Ganzes in der Lage ist, miteinander zu arbeiten. Hier muss wohl auch die Realität zur Kenntnis genommen werden, dass die Lehrperson den weitreichenden Bedürfnissen der ganzen Gruppe unter den gegebenen Rahmenbedingungen oft nicht gerecht werden kann. Hier sind vor allem engagierte Kolleginnen und Kollegen gefährdet, langfristig über ihren Grenzen zu arbeiten und schließlich im Burnout zu landen. 2. Lernstandserfassung mit Hilfe der Eggenberger Rechentests 0+ bis 4+ (ERT 0+ bis ERT 4+) Um für eine Klasse ein stimmiges Lernangebot im Bereich Mathematik planen und gestalten zu können, ist es notwendig die Lernausgangslage der Klasse zu kennen. Standardisierte Tests liefern dazu eine grundlegende Orientierung, die über Lernzielkontrollen, Tests und Schularbeiten hinausgeht. Im Besonderen, wenn eine Klasse neu übernommen wird, kann sich die Lehrperson damit auf ökonomische Weise einen objektiven Überblick verschaffen. Außerdem verfügt sie damit über schriftliche Unterlagen über das Leistungsniveau der Klasse zum Zeitpunkt der Übernahme. Bei der Entwicklung der Serie der Eggenberger Rechentests wurde vor allem darauf geachtet, dass sie für die Hand der Lehrperson einfach handhabbar sind und dass unmittelbar aus den Testergebnissen ganz konkrete Fördermaßnahmen für einzelne Kinder bzw. die gesamte Klasse abgeleitet werden können. Die Messergebnisse differenzieren vor allem im unteren Viertel der Normalverteilung sehr genau. Die gesamte Testserie bietet Einsatzmöglichkeiten beginnend mit den zwei letzten Kindergartenmonaten bis zur 5. Schulstufe und darüber hinaus für Förderzwecke. Das Faktorenmodell der Eggenberger Rechentests Die theoretische Grundlage der Testserie ist ein Faktorenmodell, das sich zum einen aus dem Aufbau der Mathematik selbst ergibt, zum anderen aber auch durch die Analyse der Testergebnisse im Rahmen der Entwicklungsarbeit bestätigt wurde (vgl. Schaupp et al., 2007, S. 46 ff). Für jeden mathematischen Lerninhalt lassen sich kognitive Voraussetzungen bzw. Grundfähigkeiten bestimmen. Zum Beispiel das Aufsagen der Zahlwortreihe ist zu Beginn lediglich eine Leistung des Sprachgedächtnisses und steht noch in keinem Zusammenhang mit dem mathematischen Konzept der Anzahl oder Menge. Gleichwohl ist es aber eine Grundbedingung für die Entwicklung der Zählfähigkeit und des Zahlbegriffes. Das Lösen von Textaufgaben setzt ein Mindestmaß an sinnerfassender Lesefertigkeit voraus. Weitere Beispiele von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten wären dazu: Raumlage, Reihenbildung; Klassifizieren, Abstraktionsfähigkeit; ….Diese Fähigkeiten werden in dem Faktor „Kognitive mathematische Grundfähigkeiten“ zusammengefasst und mit mehreren Skalen überprüft. 3 Mengen müssen genau bestimmt, ihrer Mächtigkeit nach geordnet und miteinander in Beziehung gesetzt werden können. (Fünf ist um eins mehr als vier; um eins weniger als sechs; ist kleiner als sieben; größer als...). Diese Konzepte werden von Schuljahr zu Schuljahr auf einen größeren Zahlenraum ausgeweitet und erfordern vor allem ein tragfähiges Verständnis des dekadischen Stellenwertsystems. Die sichere Orientierung im jeweiligen Zahlenraum wird in dem Faktor „Ordnungsstrukturen“ zusammengefasst. Ist der Zahlenraum erarbeitet und stabilisiert, können Mengen miteinander verknüpft und Rechenoperationen durchgeführt werden. Wesentlich dabei ist ein Verständnis für die den einzelnen Rechenoperationen zu Grunde liegenden Handlungen. Die Skalen des Faktors „Algebraische Strukturen“ überprüfen die angestrebten Rechenfertigkeiten der jeweiligen Schulstufe. Werden nun die oben angeführten Fähigkeiten und Fertigkeiten benutzt, um sie bei Textaufgaben anzuwenden, so erfordert dies ein reibungsloses Zusammenspiel von logischem Denken, Operationsverständnis, Rechenfertigkeiten und Größenvorstellungen. Analysen der Testergebnisse belegen sehr deutlich, dass dies ein eigenständiges Anforderungsprofil ergibt. Der Faktor „Anwendung“ liefert unter anderem auch Hinweise darauf, ob Rechenfertigkeiten von Kindern nur mechanisch beherrscht werden, oder ob ein grundlegendes Operationsverständnis entwickelt worden ist, dass mit konkreten Sachsituationen in Beziehung gesetzt werden kann. Die hier angedeuteten Kategorien lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Kognitive mathem. Grundfähigkeiten Mathem. Ordnungsstrukturen Algebraische Strukturen Anwendung mathem. Kompetenzen Abb. 3: Faktorenmodell des ERT Aufbau, Durchführung und Auswertung am Beispiel des ERT 1+ Der ERT 1+ enthält insgesamt 16 Skalen mit jeweils drei bis sechs Items. In der folgenden Übersicht sind die Skalen kurz dargestellt, aus denen sich die vier Faktoren (Grundfähigkeiten, Ordnungsstrukturen, algebraische Strukturen und angewandte Mathematik) ergeben. Aus der Summe dieser Faktoren ergibt sich der Gesamtwert mathematische Leistung. Teil A: Skalen der Grundfähigkeiten und der Ordnungsstrukturen mit Aufgabenbeschreibung Nr. Skalenbenennung Erfassungsinhalt Aufgabenbeschreibung A1 Raumlage Raum-LageOrientierung Kennzeichnung von Kästchen in einem Raster nach Diktat A2 Zahlenansage Zahlencodierung Aufschreiben diktierter Zahlen A3 Kopfrechnen Kopfrechnen A4 Was passt nicht dazu Ergebnis diktierter Kopfrechnungen aufschreiben Vergleichen (visuelle Kennzeichnen der abweichenden Differenzierung) Formen 4 A5 Kreise alle Vierecke ein A6 Setze die Reihe fort A7 Zeichne gleich viele A8 Male das x-te Feld an A9 Teile gerecht auf A10 Schreibe Einernachbarn A11 Schreibe Zehnernachbarn A12 Zahlenvergleich Klassifizieren Unter verschiedenen Formen alle Vierecke einkreisen Serialität; Abfolgen Vorgegebene Reihen fortsetzen reproduzieren Elemente in der durch andere Einszueins-Zuordnung Formen vorgegebenen Anzahl zeichnen Ordinales Kennzeichnen der Position in Zahlverständnis einer Reihe Gesamtmengen auf Teilmengen Mengenoperation aufteilen ZahlenraumorientieEinernachbarn einsetzen rung mit Einern ZahlenraumorientieZehnernachbarn einsetzen rung mit Zehnern Numerische Von zwei Zahlen die größere Mengenperzeption einkreisen Faktor 1: Grundfähigkeiten (Summe aus A1 bis A9) Faktor 2: Ordnungsstrukturen (Summe aus A10 bis A12) Teil B: Skalen der algebraischen Strukturen und der angewandten Mathematik Nr Skalenbenennung Aufgabenbeschreibung . B1 Addieren Additionen, z.B.: 12 + 7 = ___ B2 Subtrahieren Subtraktionen, z.B.: 9 – 7 = ___ Additionen und Subtraktionen mit B3 Rechnen mit Zehnern ganzen Zehnern, z.B.: 40 + 50 = ___ Lösen von Textaufgaben, B4 Textrechnungen Ergebniszahl aufschreiben Faktor 3: Algebraische Strukturen (Summe aus B1 bis B3) Faktor 4: Angewandte Mathematik (B4) Mathematische Leistung gesamt (Summe aus Faktor 1, 2, 3, 4) Tabelle 1: Skalen des ERT 1+ Die Testdurchführung erfolgt im Klassenverband und beansprucht durchschnittlich zwei Unterrichtseinheiten. Nach der vollständigen Testdurchführung sollen für jedes Kind einzelne Untertestsummenwerte, Faktorenwerte und der Gesamtwert (als Rohwerte) ermittelt werden. Dazu wird grundsätzlich für jede richtig bearbeitete Aufgabe ein Punkt gezählt. Zu den Rohwerten (= Anzahl der richtigen Lösungen) werden dann mit Hilfe der Normentabellen die entsprechenden Prozentrangwerte ermittelt. Im unten angeführten Beispiel hat das Kind einen Gesamtrohwert von 56 (von 74 Beispielen wurden 56 richtig gelöst). Dieser Rohwert entspricht einem Prozentrang von 11. Das bedeutet: Bei einer Testung von 100 Kinder im selben Alter, würden mit großer Wahrscheinlichkeit nur 11 Kinder ein schlechteres Ergebnis liefern, alle übrigen ein besseres. Für die Interpretation der Prozentrangergebnisse wurde festgelegt: Prozentrangwerte (PR) von 100 bis 25 - gute bzw. durchschnittliche Leistung Prozentrangwerte (PR) kleiner als 25 - schwache Leistung 5 Prozentrangwerte (PR) kleiner bzw. gleich 16 - Rechenschwäche / Dyskalkulie Prozentrangwerte (PR) kleiner bzw. gleich 5 - starke Rechenschwäche / Dyskalkulie. Prozentrangwerte (PR) kleiner bzw. gleich 1 - massive Rechenschwäche / Dyskalkulie. Einzeldiagnose - Fallbeispiel Auswertungsblatt Name d. Schülers/in: ................Elisabeth............................... Klasse: 2b Geburtsdatum: .................... Testdatum: 03 Okt.. Alter: 100 Monate A1 Raumlage 4 ≤2 A2 Zahlenansage 5 ≤4 5 A3 Kopfrechnen Was passt nicht dazu? Kreise alle Vierecke ein Setze die Reihe fort Zeichne gleich viele Male das x-te Feld an Teile gerecht auf 5 ≤3 4 4 ≤2 2 Summe A1bis A9 max. 36 6 ≤3 4 31 3 ≤2 3 3 ≤2 3 3 ≤2 3 3 ≤1 3 Schreibe 4 Einernachbarn Schreibe A11 4 Zehnernachbarn Kreise größere A12 6 Zahl ein ≤3 4 ≤2 4 ≤5 5 A4 A5 A6 A7 A8 A9 A10 krit. Werte * Skalenbenennun g Max. Punkte Erreichte Summenwerte Punkte in den der 4 Faktoren Skalen RohRW PR PR wert 4 Nr. B1 Addieren 6 ≤4 5 B2 Subtrahieren 6 ≤4 1 B3 Rechnen Zehnern 6 ≤3 4 mit B4 (angewandte Mathematik) 6 ≤3 Grundfähigkeiten 35 Summe A1 bis B4 max . 74 Summe A10 bis A12 max. 14 13 Summe B1 bis B3 max. 18 Summe 1 bis 15 (max. 90) 56 11 31 Algebraische Strukturen 4 Ang. Math. 6 2 2 Mathem. Leistung Ordnungsstrukturen 10 max. 6 Textrechnungen Gesamtwert Mathem. Leistung RW PR Benötigte Arbeitszeit in min Teil A krit. Wert: ≤ 26 20 min PR: 49 Teil B krit. Wert: ≤ 14 7 min PR: 65 Tabelle 2: Auswertungsblatt ERT 1+ 6 Im oben angeführten Beispiel liegt demnach bei einem PR von 11 eine eindeutige Rechenschwäche vor. Auf der Faktorenebene wird ersichtlich, dass die Bereiche „Kognitive Grundfähigkeiten“ und „Ordnungsstrukturen“ unauffällig sind. Massive Probleme gibt es dagegen in den Faktoren „Algebraische Strukturen“ und „Angewandte Mathematik“. Auf der Skalenebene werden die Probleme noch weiter eingegrenzt. Bei folgenden Skalen (grau unterlegt) werden die kritischen Werte (PR ≤ 16) unterschritten: - A4 Was passt nicht dazu? (Klassifizieren) - A12 Kreise die größere Zahl ein (Zahlenvergleich) - B2 Subtrahieren - B4 Textaufgaben Neben den eingegrenzten Problembereichen sind aber auch die Informationen über die Kompetenzen des Kindes genauso wertvoll. Sie sind die entscheidende Grundlage, auf die jede weitere Entwicklung aufgebaut werden muss. Beispiel eines Klassenprofils auf Faktorenebene Das Klassenprofil bietet einen guten Überblick über den Leistungsstand der ganzen Klasse. Problemfelder einzelner Kinder können horizontal abgelesen werden, auch besonders leistungsstarke Kinder sind gut erkennbar. In der vertikalen Lesung wird sichtbar, wie viele und welche Kinder der Klasse bei einzelnen Bereichen noch Probleme haben. ERT 1+ Faktorenebene Klasse: 2a Datum: 12. Nov. Name NR Maximalwerte Faktor 1 Grundfähigkeiten 36 Faktor 2 Ordnungsstrukturen Faktor 3 Algebraische Strukturen 14 18 Faktor 4 Anwendung (Textrechnen) 6 MATHEM. LEISTUNG 74 RW PR RW PR RW PR RW PR RW PR 43 14 69 18 87 4 32 68 64 1 N.N. 32 2 ZEIT Teil ZEIT Teil A B N.N. 29 20 14 69 18 87 6 89 67 56 3 N.N. 29 20 11 17 18 87 3 15 61 25 4 N.N. 31 35 13 31 15 31 6 89 65 44 5 N.N. 34 70 14 69 18 87 4 32 70 79 6 N.N. 30 27 14 69 16 45 5 60 65 44 7 N.N. 31 35 12 22 15 31 5 60 63 33 8 N.N. 17 0 10 14 2 0 0 0 29 0 9 (Jan) 28 15 13 31 14 21 1 2 56 11 10 N.N. 26 7 14 69 14 21 4 32 58 16 11 N.N. 31 35 14 69 15 31 6 89 66 50 12 N.N. 30 27 13 31 13 14 3 15 59 18 13 N.N. 29 20 14 69 18 87 5 60 66 50 14 N.N. 34 70 14 69 18 87 4 32 70 79 15 N.N. 34 70 14 69 17 63 5 60 70 79 16 N.N. 26 7 14 69 18 87 5 60 63 33 17 N.N. 29 20 14 69 15 31 5 60 63 33 18 N.N. 29 20 14 69 18 87 5 60 66 50 19 N.N. 30 27 14 69 14 21 4 32 62 29 20 N.N. 26 7 12 22 18 87 5 60 61 25 21 26 14 18 27 N.N. 32 43 10 14 14 21 2 6 58 16 22 N.N 30 27 14 69 10 4 3 15 57 13 28 23 (Waltraud) Kritische Werte 22 2 6 3 15 31 0 0 43 2 29 28 ≤16 10 ≤16 13 ≤16 3 ≤16 58 ≤16 26 22 14 Tabelle 3: Klassenprofil Faktorenebene 7 In der oben dargestellten Klasse gibt es sechs Schüler mit einem auffälligen Gesamtwert. Bei diesen Kindern kann davon ausgegangen werden, dass sie einem lehrplanorientierten Unterricht mit Sicherheit nicht folgen können. Vertiefende Einzeldiagnosen zeigen bei solchen Testergebnissen häufig Entwicklungsrückstände von ein bis drei Jahren. Die massivsten Probleme gibt es bei den Schülern mit der Nr. 8 (PR 0) und der Nr. 23 (PR 2). Zu diesen sechs Kindern mit auffälligen Gesamtwerten kommen noch vier Schüler (Nr. 3, Nr. 12, Nr. 16 und Nr. 20), die zwar auffällige Werte auf der Faktorenebene haben, beim Gesamtwert aber im Bereich der Norm liegen. Gezielte Angebote in den betreffenden Bereichen erscheinen hier ebenfalls sinnvoll. Bei den Kindern Nr. 12, Nr. 16 und Nr. 20 kommt noch hinzu, dass bei einem oder beiden Testteilen die kritischen Arbeitszeiten überschritten wurden. Ableitung von Fördermaßnahmen für die Klasse auf der Skalenebene a) Empfohlene Arbeitsschwerpunkte für die gesamte Klasse Klassenprofile enthalten oft auch Skalen, bei denen alle Kinder ausreichende Kompetenzen aufweisen. Es kommt aber auch immer wieder vor, dass bei einzelnen Skalen mehr als die Hälfte einer Klasse auffällig ist. Es macht Sinn, zu diesen konkreten mathematischen Inhalten Schwerpunkte in der Jahresplanung entsprechend umfangreich einzuplanen. Diese Schwerpunktarbeit sollte dann auch durch Lernzielkontrollen evaluiert werden. Die skalenweise Betrachtung eines Klassenprofils ist auch geeignet, Stärken und Schwachpunkte des didaktisch-methodischen Konzeptes der Klassenlehrerin / des Klassenlehrers aufzuzeigen und kann als Grundlage für eine kritische Reflexion dienen. b) Zusammenstellung von Fördergruppen (Symptomtraining) Sind bei einer Skala nur wenige Kinder betroffen, können diese zu Fördergruppen zusammengefasst werden. Hier werden auch jene SchülerInnen erfasst, die einen unauffälligen Gesamtwert (evt. auch unauffällige Faktorenwerte) haben und nur bei einzelnen Skalen unter dem kritischen Wert liegen. Während leistungsstarke SchülerInnen Angebote für aktiv-entdeckendes mathematisches Arbeiten erhalten, können die Fördergruppen die entsprechenden Inhalte nachentwickeln. Gute Schüler können hier auch eine unterstützende Funktion für schwächere übernehmen. Im Rahmen dieses Symptomtrainings wird es sich allerdings auch bei einigen SchülerInnen herausstellen, dass sie damit nicht zu den erwarteten Fortschritten kommen. Hier ist mit einer vertiefenden Einzeldiagnose das tatsächliche Ausmaß der Lücken zu ermitteln. c) Hinweise für erforderliche vertiefende Einzeldiagnosen Für SchülerInnen die auf ein Symptomtraining nicht ansprechen und jene, die im Gesamtwert des Klassenprofils extrem auffällig sind, ist eine vertiefende Einzeldiagnose zu empfehlen. Es ist zu anzunehmen, dass diese Kinder mit den Inhalten des Klassenunterrichts völlig überfordert sind und schon lange mit nicht tragfähigen mathematischen Konzepten arbeiten. 8 ERT 1+ Klassenprofil / Skalenebene RAUM -LAGE ZAHLEN ANSAGE KOPFRECH VERGLEI- KLASSICHEN FIZIER. max 1 4 5 5 4 4 5 5 2 4 5 5 3 4 5 4 4 5 5 4 5 Klasse: 2a Datum: 12. Nov. SERIA -LITÄT EINSZU -EINS ORDINAL MENGENTEILEN ZR-OR EINER ZR-OR ZEHNER ZAHLENVERGL: ADD SUBTR ZEHNERRECHN. TEXTRECH 6 3 3 3 3 4 4 6 6 6 6 6 3 3 3 3 3 3 4 4 6 6 6 6 4 1 3 2 3 3 3 4 4 6 6 6 6 6 4 4 4 3 2 1 2 2 3 6 6 6 6 3 4 4 2 3 3 3 3 4 3 6 6 5 4 6 5 4 4 3 3 3 3 4 4 6 6 6 6 4 6 4 5 4 3 4 3 1 3 3 4 4 6 5 6 5 5 7 3 5 5 4 2 3 3 3 3 3 3 6 6 6 3 5 8 1 5 1 2 4 3 0 0 1 4 1 5 2 0 0 0 9 2 4 5 4 3 3 3 3 1 3 4 6 6 6 2 1 10 4 5 5 0 0 3 3 3 3 4 4 6 5 5 4 4 11 4 5 5 4 4 3 3 3 0 4 4 6 6 5 4 6 12 4 5 5 1 3 3 3 3 3 4 3 6 6 5 2 3 13 2 5 5 3 4 3 1 3 3 4 4 6 6 6 6 5 14 4 5 5 4 4 3 3 3 3 4 4 6 6 6 6 4 15 4 5 5 4 5 3 3 2 3 4 4 6 5 6 6 5 16 1 4 5 3 4 3 0 3 3 4 4 6 6 6 6 5 17 4 5 5 1 2 3 3 3 3 4 4 6 5 5 5 5 18 1 4 5 4 3 3 3 3 3 4 4 6 6 6 6 5 19 3 5 4 1 5 3 3 3 3 4 4 6 6 5 3 4 20 4 5 5 1 2 3 2 1 3 4 2 6 6 6 6 5 21 4 4 4 4 6 3 3 3 1 4 0 6 6 6 2 2 22 2 5 5 4 6 3 1 3 1 4 4 6 5 4 1 3 23 1 5 5 0 2 3 3 3 0 0 0 6 5 6 4 0 krit. ≤2 ≤4 ≤3 ≤2 ≤3 ≤2 ≤2 ≤2 ≤1 ≤3 ≤2 ≤5 ≤4 ≤4 ≤3 ≤3 Tabelle 4: Klassenprofil Skalenebene Interpretation des oben dargestellten Klassenprofils auf Skalenebene Die Skalen mit den meisten betroffenen Kindern sind: Klassifizieren (11 Kinder) Vergleichen (8 Kinder) Diese Inhalte sollten Arbeitsschwerpunkte für die gesamte Klasse sein. Die Bildung von Fördergruppen (Symptomtraining) wäre für folgende Skalen wünschenswert: Raumlage (7 Kinder) Einszueins-Zuordnung (7 Kinder) Rechnen mit Zehnern (7 Kinder) Mengen teilen (6 Kinder) Anwendung (6 Kinder) Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Stärken dieser Klasse im Bereich der Rechenfertigkeiten mit einstelligen Zahlen liegt (Addition; Subtraktion, Kopfrechnen). Vielfältige „Nachentwicklungsarbeit“ fällt dagegen im Bereich der Grundfähigkeiten an. Die sechs Kinder im Bereich der angewandten Mathematik könnten als Hinweis interpretiert werden, dass im Unterricht der praktischen Benutzung der Rechenfertigkeiten mehr Beachtung geschenkt werden sollte. 3. Leitlinien für einen prozessbegleitenden Mathematikunterricht Sollen möglichst viele Kinder ein für ihre Weiterentwicklung nützliches Lernangebot bekommen, so ist eine gründliche Lernstandserfassung unerlässlich. Sie ist allerdings aber nur der erste und oft auch der leichteste Schritt. Eine Klasse zu einer lernfähigen Gemeinschaft zu entwickeln in der individuelles, eigenverantwortliches Lernen und gegenseitiges Helfen tatsächlich stattfinden kann, ist eine wahre Kunst und eine permanente Herausforderung. Als Orientierungshilfe möchte ich abschließend ein paar Grundsätze anbieten: Vertrauensbasis schaffen Die Kinder sollen sich erzählen trauen, was und wie sie denken; richtig oder falsch ist unwichtig Lösungsschritte begründen lassen – auch RICHTIGE Kinder sind gewohnt, nur bei falschen Lösungen gefragt zu werden Falsche Lösungen durch gezielte Fragen weiterentwickeln, Widersprüche im Denken der Kindes durch entsprechende Fragestellungen erzeugen Erklärungen der Kinder, denen die Lehrerin/der Lehrer nicht folgen kann, sind der „Schlüssel zum Denken des Kindes“ Ohne ein Verständnis der Konstruktionen des Kindes ist eine effektive Förderung unmöglich 10 Die Diagnose ist abgeschlossen, wenn die Denkkonzepte des Kindes beschreibbar sind Was denkt das Kind über Zahlen; Rechenoperationen, Stellenwert, … Die Förderarbeit sollte möglichst nahe am Lernprozess erfolgen; prozessorientiert und diagnosegeleitet Erkennbare emotionale Reaktionen oder Blockaden müssen angesprochen werden Testergebnisse zeigen, was Kinder selbständig ausführen können. Die Tragweite dieser Ergebnisse ist aber immer unterschiedlich. Der direkte Austausch mit dem einen Kind zeigt zum Beispiel, dass seine Fehler nur durch oberflächliche Unachtsamkeiten zustande gekommen sind und dass das Kind sehr wohl die zu Grunde liegenden mathematischen Konzepte verstanden hat. Bei einem anderen Kind dagegen stellt sich heraus, dass die Aufgaben auch mit Hilfestellungen nicht lösbar sind und noch gravierendere Lernrückstände sichtbar werden. Wie auch immer das Ergebnis aussieht, wir sollten es ernst nehmen. Die Lehrplanvorgaben sind das Ziel, aber der Ausgangspunkt ist und bleibt das Kind. Schaupp, H. / Holzer, N./ Lenart, F (2007): ERT 1+ Eggenberger Rechentest. Diagnostikum für Dyskalkulie für das Ende der 1. Schulstufe bis Mitte der 2. Schulstufe. Bern: Huber, Hogrefe AG 11