Leitsatz: Zu den Anforderungen an die

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Leitsatz:
Zu den Anforderungen an die Strafbarkeit eines Unterlassungsdelikts.
OLG Dresden, 2. Strafsenat, Urteil vom 14. Februar 2014, Az: 2 OLG 25 Ss 788/13
Oberlandesgericht
Dresden
Strafsenat
Aktenzeichen: 2 OLG 25 Ss 788/13
Landgericht Leipzig 14 Ns 301 Js 23642/10
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Strafverfahren gegen
xxx
Verteidiger:
xxx
Nebenkläger:
xxx
Nebenklägervertreter:
xxx
wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der öffentlichen
Hauptverhandlung vom 14.02.2014, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Drath
Richter am Oberlandesgericht Denk
Richter am Oberlandesgericht Gorial
als Vorsitzender
als beisitzender Richter
als beisitzender Richter
Staatsanwalt Hensel
als Vertreter der
Generalstaatsanwaltschaft Dresden
Rechtsanwalt xxx
Rechtsanwalt xxx
als Verteidiger
als Verteidiger
Rechtsanwalt xxx
als Nebenklägervertreter
Justizhauptsekretär Kuntsche
als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
1.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des
Landgerichts Leipzig vom 14. Mai 2013 werden als unbegründet verworfen.
2.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die der Angeklagten insoweit
erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Die Nebenkläger haben die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen. Die der
Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse
auferlegt.
Die gerichtlichen Auslagen tragen die Nebenkläger und die Staatskasse je zur Hälfte.
Gründe
I.
Mit Anklageschrift vom 3. März 2011 hatte die Staatsanwaltschaft der Angeklagten
vorgeworfen, durch dieselbe Handlung durch Unterlassen fahrlässig einen Menschen getötet
und eine Körperverletzung begangen zu haben. Auf die unverändert zur Hauptverhandlung
zugelassene Anklage hatte das Amtsgericht die Angeklagte am 10. November 2011 wegen
fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50,00 EUR
verurteilt.
Auf die dagegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht das Urteil des
Amtsgerichtes aufgehoben und die Angeklagte freigesprochen. Die Berufungen der
Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, mit denen jeweils eine Verurteilung wegen
fahrlässiger Tötung angestrebt worden war, hat das Landgericht als unbegründet verworfen.
Gegen das freisprechende Urteil des Landgerichtes wenden sich die Revisionen der
Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Swantje und Marcus Reichl, mit denen jeweils die
Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich die in der 36. Woche schwangere Xxx
am 27. September 2008 gegen 17.00 Uhr auf Anraten der sie betreuenden Hebamme in die
Universitätsklinik Leipzig, weil sie ein Ziehen im Oberbauch verspürte. Xxx hatte bereits im
Jahr 2005 ein Kind mittels Kaiserschnitt (Sectio) zur Welt gebracht. Dabei war ein
sogenannter "T-Schnitt" durchgeführt worden, der jedoch nicht im Mutterpass vermerkt
worden war. Bei der Aufnahme in der Universitätsklinik Leipzig teilte Xxx der diensthabenden
Hebamme J mit, dass sie Schmerzen im Oberbauch habe und ihr erstes Kind durch
Kaiserschnitt entbunden hatte. Ein zwischen 18.46 Uhr und 19.14 Uhr geschriebenes CTG
ergab keine Unregelmäßigkeiten. Die Herztöne des ungeborenen Kindes waren in Ordnung.
Es wurde eine Wehentätigkeit von fünf Wehen pro zehn Minuten dokumentiert. Eine durch
die diensthabende Ärztin Dr. R. durchgeführte vaginale Untersuchung ergab einen unreifen
Muttermund. Xxx entschied sich, in der Klinik zu bleiben und wurde gegen 20.00 Uhr im
Tokolysezimmer untergebracht. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt Schmerzen, von denen die
diensthabende Hebamme im Gegensatz zu Xxx annahm, dass es sich um Senkwehen
handele. Um 21.00 Uhr führte die diensthabende Ärztin eine Ultraschalluntersuchung durch,
die einen zeitgerecht entwickelten Fötus, eine intakte Nabelschnur und eine über der
Mindestdicke liegende Narbendicke des Uterinsegmentes ergab.
Gegen 21.45 Uhr trat die Angeklagte mit zwei Hebammenschülerinnen ihren Dienst an. Xxx
äußerte gegenüber einer der Schülerinnen, dass sie alle fünf Minuten Wehen habe.
Zwischen 22.30 Uhr und 23.00 Uhr hatte die Angeklagte erstmals persönlichen Kontakt mit
Xxx. Eine gegen 23.00 Uhr durchgeführte Untersuchung des Muttermundes ergab, dass
dieser geschlossen war. Bei dieser Untersuchung gab Xxx an, dass sie Schmerzen habe.
Zwischen 23.15 Uhr und 23.20 Uhr, während die Angeklagte einer anderen Patientin ein
CTG anlegte, erlitt Xxx einen Wehensturm und eine sich daran anschließende Uterusruptur.
Aufgrund dieser Ruptur lag der in der Fruchtblase befindliche Fötus getrennt und außerhalb
von der Gebärmutter in der freien Bauchhöhle. Die damit einhergehende Unterbrechung der
Sauerstoffzufuhr führte zum Hirntod des Fötus, der acht bis zehn Minuten nach der
Unterbrechung eintrat. Nach der Ruptur empfand Xxx keine Schmerzen mehr. Als ein gegen
23.30 Uhr geschriebenes CTG nur schlechte Herztöne ergab, wurde durch die
diensthabende Ärztin um 23.38 Uhr eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt und die
diensthabende Oberärztin Dr. P. verständigt. Diese ordnete zeitgleich mit einer durch sie
selbst vorgenommenen Ultraschalluntersuchung um 23.50 Uhr eine Notsectio an, die um
23.55 Uhr zur Entbindung des hirntoten Fötus führte. Nach einer künstlichen Beatmung des
Kindes wurde am 7. Oktober 2008 dessen Tod festgestellt.
II.
Die Urteilsgründe des Landgerichts tragen im Ergebnis den Freispruch vom Vorwurf der
fahrlässigen Tötung. Sie lassen auch keine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung
zu.
1.
Allerdings halten die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es den Beginn des
Geburtsaktes, damit den Beginn menschlichen Lebens und somit den Vorwurf der
fahrlässigen Tötung verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a)
Zur Frage, wann die Geburt beginnt, hatte der Bundesgerichtshof (BGHSt 10, 5) im
Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 9, 131; 26, 178) zunächst
lediglich die Ansicht vertreten, die Geburt beginne damit, dass "der Mutterleib versucht, die
Frucht auszustoßen", ohne diese Ausstoßungsversuche jedoch näher zu umschreiben. Als
solche Ausstoßungsversuche in Form von Wehen hat der Bundesgerichtshof sodann bei
regulärem Geburtsverlauf die Geburtswehen angesehen (BGHSt 31, 348 [355]), ohne dabei
jedoch zu entscheiden, ob dies schon die Eröffnungswehen oder erst die danach
einsetzenden Treib- und Presswehen sein können.
Aus medizinischer Sicht beginnt der normale Geburtsvorgang mit den Eröffnungswehen.
Diese Wehen, die in kurzen und meist rhythmischen Intervallen auftreten, erweitern die
oberen Abschnitte des Geburtsweges - insbesondere den Gebärmutterhalskanal und den
äußeren Muttermund - bis zur vollen Durchgangsfähigkeit; zugleich drängen sie den
vorangehenden Teil des Kindes (Kopf oder Steiß) in sie hinein bis zum äußeren Muttermund,
nach Ansicht mancher medizinischer Autoren oftmals sogar noch weiter bis zum
Beckenboden. Die Treib- und Presswehen befördern das Kind anschließend durch die
unteren Abschnitte des Geburtsweges hindurch und aus dem Mutterleib hinaus. Diese
biologisch-medizinischen Tatsachen machen deutlich, dass nicht erst die Treib- und
Presswehen, sondern schon die Eröffnungswehen zu den "Ausstoßungsversuchen des
Mutterleibes" zählen, denn sie realisieren in zeitlicher und lokomotorischer Hinsicht bereits
einen erheblichen Teil des Gesamtvorganges der Ausstoßung aus dem Mutterleib. Es
erscheint daher gerechtfertigt, den Beginn der Geburt auf den Zeitpunkt des Einsetzens der
Eröffnungswehen festzulegen. Diese Auffassung führt zugleich zu einem erstrebenswerten
Gleichklang der strafrechtlichen Begriffsbildung mit den medizinischen Anschauungen vom
Geburtsbeginn und ermöglicht den erweiterten Strafschutz, der deshalb geboten ist, weil
auch die Eröffnungsperiode zu jenem Zeitraum gehört, in dem beispielsweise bei
Wehenschwäche und bei starken Wehen, aber auch bei Vorliegen von Geburtshindernissen,
medikamentöse und operative Geburtshilfen erforderlich werden können (BGHSt 32, 194).
b)
Das Landgericht hat das Einsetzen der Eröffnungswehen verneint. Diese Ansicht hat es auf
die Angaben des Sachverständigen Dr. H. gestützt. Die Beweiswürdigung dieser
sachverständigen Beratung zeigt jedoch einen Rechtsfehler auf.
Zwar darf sich der Tatrichter mangels hinreichender eigener Kenntnisse auf den für die
Urteilsfindung maßgeblichen Wissensgebieten darauf beschränken, sich der Beurteilung von
Sachverständigen hinsichtlich der einschlägigen Fachfragen anzuschließen. Doch ist er dann
verpflichtet, die wesentlichen Grundlagen anzugeben, an die die Schlussfolgerungen des
Gutachtens anknüpfen, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen (BGHSt 12,
311; 34, 29).
Hier hat das Landgericht einzig die Angabe des Sachverständigen Dr. H., der Muttermund
sei noch geschlossen gewesen, als Beleg dafür genommen, dass die Eröffnungswehen noch
nicht eingesetzt hatten. Vor dem Hintergrund der dargestellten und auch vom Landgericht
zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Frage des Geburtsbeginns sowie der
Feststellung von Wehentätigkeit hätte es aber näherer Darlegung bedurft, aus welchem
Grund die Geburt im vorliegenden Fall gleichwohl noch nicht begonnen hatte. Soweit
Eröffnungswehen gerade dazu dienen, die oberen Abschnitte des Geburtsweges insbesondere den Gebärmutterhalskanal und den äußeren Muttermund - bis zur vollen
Durchgangsfähigkeit zu erweitern, hätte mit Blick auf die Feststellung regelmäßiger
Wehentätigkeit aufgeklärt werden müssen, warum allein ein noch geschlossener Muttermund
gegen die Annahme von Eröffnungswehen spricht. Diesen sich aus den Urteilsgründen
ergebenden Widerspruch hätte das Landgericht aufklären müssen.
Auch bei einer Unterstellung des Beginns der Eröffnungswehen konnte das Landgericht
gleichwohl nicht zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung gelangen, weil der
Tatbestand auch aus weiteren Gründen nicht erfüllt ist.
2.
a)
Zutreffend ist das Landgericht zunächst davon ausgegangen, dass die Angeklagte den
Tatbestand der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen begangen haben könnte.
Die Angeklagte hatte Xxx nach den Urteilsfeststellungen um 23.00 Uhr untersucht und dabei
erfahren, dass Xxx Schmerzen hatte. Sie hat gleichwohl nicht die diensthabende Ärztin über
diese Erkenntnis unterrichtet, obwohl eine solche Unterrichtung zur Anordnung und
Durchführung eines objektiv notwendigen Kaiserschnittes hätte führen können und der
Angeklagten auch tatsächlich möglich gewesen wäre.
b)
Weiterhin zutreffend hat das Landgericht auch die bei einem Unterlassungsdelikt zu
fordernde Garantenstellung der Angeklagten bejaht und deren Grundlage zu Recht in §§ 3, 4
des Sächsischen Hebammengesetzes (SächsHebG) erblickt, nach denen Hebammen
Schwangeren und Gebärenden Hilfe zu leisten, dabei deren Gesundheit zu schützen und zu
erhalten haben sowie erforderlichenfalls dafür zu sorgen haben, dass ein Arzt beigezogen
wird. Hinsichtlich Xxx hatte die Angeklagte diese Garantenstellung mit Dienstantritt
eingenommen.
c)
Das Landgericht hat jedoch nicht rechtsfehlerfrei die Kausalität der unterlassenen Handlung
für den Tod des Fötus verneint.
Das Landgericht hat sich von der Überlegung leiten lassen, dass bei einer Information der
diensthabenden Ärztin und der Oberärztin ein sich anschließender Kaiserschnitt nicht vor
24.00 Uhr hätte durchgeführt werden können; zu diesem Zeitpunkt sei jedoch schon der
Hirntod des Fötus eingetreten (UA S. 19).
Ursächlichkeit liegt bei (unechten) Unterlassungsdelikten vor, wenn bei Vornahme der
pflichtgemäßen Handlung der tatbestandsmäßige Schadenserfolg ausgeblieben wäre, dieser
also entfiele, wenn die Handlung hinzugedacht würde. Der im Schrifttum weithin vertretenen
Auffassung, es genüge bereits, dass die Vornahme der unterlassenen Handlung das Risiko
des Erfolgseintritts (erheblich) vermindert hätte (sog. Risikoerhöhungstheorie), ist die
Rechtsprechung bisher nicht gefolgt. Soweit sie verlangt, dass durch die gebotene Handlung
der Schadenserfolg "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" vermieden worden
wäre, ist damit nicht gemeint, dass der Zusammenhang zwischen Ursache und Erfolg hier
weniger eng zu sein brauche, als er sonst - bei der Ursächlichkeit positiven Tuns vorausgesetzt wird; vielmehr liegt darin nur die überkommene Beschreibung des für die
richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes (vgl. BGHSt 37, 106 m.w.N.).
Nach
diesen
Grundsätzen
weist
die
Ursachenzusammenhangs einen Rechtsfehler auf.
Verneinung
eines
hypothetischen
Das Landgericht hat sich auch insoweit sachverständig beraten lassen. Es ist dabei je nach
Vorliegen des klinischen Befundes von drei Szenarien und damit einhergehenden Standards
ausgegangen. Grundsätzlich ist bei einer vorangegangenen Kaiserschnittentbindung auch
noch eine natürliche Geburt möglich. Bei einer hinzukommenden Schmerzbekundung kann
eine eilige Sectio durchgeführt werden, die innerhalb einer Stunde durchgeführt werden
kann. Bei weiter hinzutretenden Anzeichen einer Uterusruptur ist eine Notsectio
durchzuführen.
Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung des Landgerichts, dass allenfalls eine eilige Sectio
indiziert war, die unter Beachtung der Hierarchien der Klinik nicht vor 24.00 Uhr und damit
nach dem Hirntod des Fötus hätte durch geführt werden können, grundsätzlich nicht zu
beanstanden.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist jedoch insoweit eine Lücke auf, als das
Landgericht nicht in seine Überlegungen für einen hypothetischen Kausalverlauf eingestellt
hat, dass bei einer Unterrichtung der diensthabenden Ärztin und der Oberärztin die
Uterusruptur während der Vorbereitungen für eine eilige Sectio eingetreten wäre und sodann
zu einer Notsectio hätte übergegangen werden können.
Die Notsectio ist um 23.50 Uhr angeordnet worden und hat zu einer Entbindung um 23.55
Uhr, mithin nur 5 Minuten nach deren Anordnung geführt. Bei einer unverzüglichen
Anordnung einer Notsectio zum Zeitpunkt der Uterusruptur um 23.15 Uhr wäre der 8 bis 10
Minuten nach der Ruptur eingetretene Hirntod zu vermeiden gewesen. Hierzu hätte es
jedoch weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob zum Zeitpunkt der Ruptur bereits mit einer
Notsectio tatsächlich begonnen worden wäre.
3.
Die Frage des hypothetischen Kausalverlaufs bedarf jedoch keiner endgültigen
Beantwortung, weil der Angeklagten - entgegen der Auffassung des Landgerichts - keine
objektive Sorgfaltspflichtverletzung hinsichtlich des Unterlassens vorgeworfen werden kann.
a)
Bei der Beurteilung der Frage einer Sorgfaltspflichtverletzung ergeben sich Art und Maß
anzuwendenden Sorgfalt aus den Anforderungen, die bei einer Betrachtung
Gefahrenlage "ex ante" an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in
konkreten Lage und der sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (Fischer, StGB
Aufl. § 15 Rdnr. 16 m.w.N.).
der
der
der
61.
Für die Beurteilung ärztlichen Handelns ist der Standard eines erfahrenen Facharztes, also
das zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis und Erfahrung bewährte, nach
naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, von einem durchschnittlichen Facharzt
verlangte Maß an Kenntnis und Können maßgebend. Da aus medizinischen Maßnahmen
besonders ernste Folgen entstehen können und der Patient regelmäßig die Zweckmäßigkeit
oder Fehlerhaftigkeit der Handlung nicht beurteilen kann, sind an das Maß der ärztlichen
Sorgfalt hohe Anforderungen zu stellen (BGH NJW 2000, 2754).
Ähnliche Anforderungen müssen auch an den verantwortungsvollen Beruf der Hebamme
gestellt werden. Denn auch die Hebamme ist gemäß § 2 Satz 1 SächsHebG verpflichtet,
ihren Beruf gewissenhaft und entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinischen
Wissenschaft auszuüben.
Im Rahmen dieser Berufsausübung entspricht es nach der Leitlinie 015/030
(Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme in der Geburtshilfe - aus ärztlicher Sicht) der
Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. dem Stand der deutschen
Geburtsmedizin, dass die Hebamme die Schwangere in eigener Verantwortung, wenn auch
als Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfin des Arztes, betreut. Dazu gehört unter anderem die
Vorbereitung der Geburt, das Anlegen des CTG sowie dessen laufende Kontrolle und
generell die Beobachtung der Schwangeren. Im Fall einer Gebärenden mit
Schwangerschafts- oder Geburtsrisiken ist der Arzt unverzüglich zu informieren.
Diesen Anforderungen hat die Angeklagte entsprochen. Bis zu ihrem ersten Kontakt mit Xxx
war diese bereits seit den frühen Abendstunden durch eine andere Hebamme betreut und
durch die diensthabende Ärztin untersucht und betreut worden. Der Zustand von Xxx, von
der lediglich der vorangegangene Kaiserschnitt, der eine natürliche Geburt nicht ausschließt,
nicht jedoch der "T-Schnitt" bekannt war, hatte sich seit der Aufnahme nicht verändert.
Sämtliche Untersuchungen hatten keinen Anlass zur Sorge gegeben. Für eine
Fortschreibung des CTG bestand keine Notwendigkeit. Die Ultraschalluntersuchung hatte
stabile uterine Wandverhältnisse gezeigt. Typische Anzeichen einer Uterusruptur waren nicht
vorhanden.
Von
der
besonderen
Schnittführung bei
der
vorangegangenen
Kaiserschnittentbindung konnte und musste die Angeklagte keine Kenntnis haben, weil diese
besondere Form der Schnittführung nicht in den Mutterpass eingetragen war, dort auch nicht
eingetragen wird und auch Xxx nicht bekannt war. Auch die von der Angeklagten selbst
durchgeführte vaginale Untersuchung um 23.00 Uhr ergab keine Veränderung des
Zustandes. Das Unterlassen einer Mitteilung an die diensthabende Ärztin, dass Xxx
Schmerzen habe, war deshalb nicht pflichtwidrig, zumal auch dieser Zustand dem zuvor
betreuenden Personal seit mehreren Stunden bekannt war.
b)
Vor diesem Hintergrund scheitert ein Fahrlässigkeitsvorwurf schließlich auch daran, dass der
weitere Verlauf für die Angeklagte nicht voraussehbar war.
4.
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen würden auch nicht den Schuldspruch einer
fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzung durch Unterlassen tragen. Zwar kann auch
das Aufrechterhalten erheblicher Schmerzen den Begriff der Körperverletzung erfüllen.
Allerdings muss dieses Aufrechterhalten pflichtwidrig sein (vgl. OLG Hamm NJW 1975, 604
m.w.N.). Dies vermag der Senat aufgrund der vom Landgericht getroffenen Feststellungen,
dass die Angeklagte gegen 22.00 Uhr mit der diensthabenden Ärztin über Xxx gesprochen
hatte und dabei die Verabreichung eines Schmerzmittels erwogen und offenbar nicht für
notwendig angesehen worden war (UA S. 10), nicht zu erkennen.
III.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die der
Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 Satz 1 StPO.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision der Nebenkläger beruht auf § 473 Abs. 1
Satz 1 StPO. Die insoweit der Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen fallen allein
gemäß § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO der Staatskasse zur Last; die gerichtlichen Auslagen
tragen die Nebenkläger und die Staatskasse je zur Hälfte (vgl. Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl.
§ 473 Rdnr. 11; BGH, Urteil vom 30. November 2005, Az.: 2 StR 402/05, - juris).
Drath
Vorsitzender Richter am
Oberlandesgericht
Denk
Richter am
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Gorial
Richter am
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