DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN Von RAINER TRAUB Königin der Städte Ob Kleopatra das Vorbild des Kalksteinkopfs aus Rom (um 40 v. Chr.) war, ist umstritten 32 elche Pracht. Der Palast, in dem Kleopatra im Jahr 69 v. Chr. wohl zur Welt kam, stellte alles in den Schatten, was die Antike sonst zu bieten hatte. Da ragten Pfeiler aus Ebenholz und vergoldete Balken, Säulen aus Achat und Purpurstein. Mit Schildpatt verzierte Türen führten in Säle, deren Fußböden mit Onyx ausgelegt und die mit Elfenbein und Smaragden geschmückt waren; gepolsterte Sitze ruhten auf edlem Jaspis. So beschreibt der römische Dichter Lucan den unvergleichlichen Luxus von Kleopatras Welt. In diesem Ambiente wuchs die letzte Pharaonin in Alexandria auf, als zweite von drei Töchtern des Königs Ptolemäus XII., genannt „Auletes“ (Flötenspieler); zwei jüngere Brüder, denen sie jeweils für kurze Zeit in Geschwister- und Thronehe verbunden war, folgten. Keines der fünf Kinder sollte eines natürlichen Todes sterben, es war eine gewalttätige Ära. Die Spur von Kleopatras Mutter verliert sich im Dunkel der Geschichte. Es steht nicht einmal fest, ob sie identisch ist mit Kleopatra VI. Tryphaina, der Schwester und Ehefrau von Ptolemäus XII. Die starb, als Kleopatra zwölf war. Im Ungewissen liegen weithin auch Kleopatras Kindheit und Jugend. Die dürftige Quellenlage hängt nicht nur mit den zwei Jahrtausenden zusammen, die seitdem vergangen sind. In der antiken Welt wurde von der Kindheit nicht viel Aufhebens gemacht. Der persönliche Lebensweg war durch die Abstammung und das unwägbare Schicksal bestimmt. Die durchschnittliche Lebenserwartung beschränkte sich auf wenige Jahrzehnte, Kinder galten früh als erwachsen. Anstelle von feststehendem Wissen sind wir oft auf Vermutungen angewiesen, für die zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht. Die renommierte US-Autorin Stacy Schiff führt einige Hy- W SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 BPK / THE TRUSTEES OF THE BRITISH MUSEUM(L.); JEAN-CLAUDE GOLVIN (M.); CHRISTOPH GERIGK / FRANCK GODDIO / HILTI FOUNDATION (R.) Alexandrias Kulturglanz stellte sogar das übermächtige Rom in den Schatten. Die Metropole prägte auch Lebensart und Machtwillen der letzten Ptolemäerin. pothesen an, die ähnlich plausibel sind wie die Geburt im Palast: „Wir können als sicher annehmen, dass eine Amme sich ihrer annahm; dass ein Bediensteter ihre Kleinkind-Nahrung vorkaute, bevor er sie ihr in den zahnlosen Mund schob; dass ihr in der Kindheit nichts über die Lippen kam, das nicht zuvor auf Gift untersucht worden war; dass ihre Spielkameraden eine Brabbelrunde von hochgeborenen Kindern bildeten, die ‚Pflegegeschwister‘ hießen und dazu bestimmt waren, die königliche Entourage zu bilden. Von klein auf ging sie unbeschwert mit Politikern, Botschaftern, Gelehrten um und bewegte sich ganz selbstverständlich zwischen einer Schar purpurgekleideter Hofbeamter.“ Rekonstruktion Alexandrias (Canopische Straße) Die Bevölkerung Alexandrias schätzte der griechische Geschichtsschreiber Diodor im Jahr 59 v. Chr. – Kleopatra war damals zehn Jahre alt – auf 300 000 freie Bürger. Dazu kamen vielleicht noch einmal ebenso viele Sklaven und Fremde. Anderen Angaben zufolge betrug Alexandrias Gesamtbevölkerung zu jener Zeit eine halbe bis eine Million. Unabhängig davon, welche Zahl der Wirklichkeit näher kommt, hat zu jener Zeit allenfalls Rom eine ähnliche Größenordnung erreicht. Doch dessen repräsentative Prachtbauten entstanden erst in der Kaiserzeit – die Tiberstadt konnte sich weder im Hinblick auf die Architektur noch auf das allgemeine Zivilisations- und Kulturniveau mit Kleopatras Alexandria vergleichen. Antike Autoren heben die exquisite Erziehung hervor, die Kleopatra genoss. Wer ermessen will, wie sie kulturell aus dem Vollen schöpfte, muss sich klarmachen, welche herausragende Rolle ihre Heimatstadt Alexandria spielte. Die Palastanlage war ja nur eines von vielen Bauwerken, die Alexandrias Ruhm begründet hatten. Die Königin der Städte verfügte über ein Wahrzeichen, das gelegentlich zu den Sieben Weltwundern gezählt wurde: den Leuchtturm von Pharos auf der gleichnamigen, Alexandria vorgelagerten Insel. Er ist das Urbild aller modernen Leuchttürme und soll über 110, wenn nicht 160 Meter hoch aufgeragt haKleopatra und ihre Geschwister wur- ben. Bevor der Zahn der Zeit ihn in den als künftige Thronerben erzogen. Form von Erd- und Seebeben zernagte, Dazu gehörten regelmäßige Reisen nil- dürfte er mehr als ein Jahrtausend lang aufwärts, zum mehr als 300 Kilome- neben den Pyramiden von Gizeh zu ter entfernten Ptolemäerpalast in der den welthöchsten Gebäuden gehört heiligen altägyptischen Hauptstadt haben. Memphis. Dort hatte eine Priesterzunft Sein Leuchtfeuer war, wie es heißt, das Sagen, die die göttliche Abkunft mehr als 50 Kilometer weit sichtbar. Eivon Ägyptens Herrschergeschlecht in ner Legende zufolge hat kein Geringerer aufwendigen Kultfeierlichkeiten beglau- als Archimedes dafür einen Metallhohlbigte. spiegel als Tages-Lichtquelle konstru- SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 Granittorso der Ptolemäerkönigin Arsinoe II. 33 DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN liche Bewunderung entgegen, wie sie die Römer für die griechische Kultur hegten. In Kleopatras Spätzeit ragten die Obelisken des Pharaos Thutmosis III. aus dem 15. Jahrhundert v. Chr. neben dem zentralen Marktplatz („Emporion“) auf. Die Herrscherin hatte befohlen, sie vom alten Standort vor dem Sonnengott-Tempel in Heliopolis in ihre Hauptstadt zu schaffen und dort im Zentrum aufzustellen: vor dem Tempel „Kaisareion“, den sie für ihren Geliebten Marcus Antonius errichten ließ. Die makedonische Führungsschicht 299 und 277 v. Chr. angeblich kostete, wie die französische Archäologin Pascale Ballet berichtet, etwa in Form klei- Alexandrias machte sich auch gern eine waren gut investiert. Schnell machte es sich bezahlt, dass ner Pyramiden und Sphinxe an das alt- Pharaonentradition wie die MumifizieAlexander der Große die nach ihm be- ägyptische Erbe. Die Griechen brachten rung Verstorbener zu eigen. Die Nekronannte Stadt an einem für den Welthan- der uralten Kultur der Ägypter eine ähn- polen, in denen sie bestattet wurden, bildel optimalen Ort gegründet hatte. Im Norden ans Mittelmeer, im Süden an den Mareotis-See grenzend, verfügte sie Moderne Pharos-Illuzudem über ein bevorzugtes Klima; fristration, römisches Münzsche Winde linderten die afrikanische bild des Pharos aus der Hitze. Neben dem Meerhafen existierte Zeit des Kaisers Commoein Binnenhafen, der den ersteren an dus (180 bis 192 n. Chr.) Reichtum noch übertroffen haben soll. Durch ein Netz von Kanälen war er mit dem Nil verbunden. So entwickelte sich Alexandria zur Drehscheibe zwischen Afrika, Europa und Asien. Der Wohlstand Ägyptens, das mit Ressourcen wie Gold und Getreide ohnehin gesegnet war, konzentrierte sich hier. Hatte der erste Ptolemäerkönig den Pharos-Bau begonnen, so stellte dessen Sohn den Turm fertig und verband die kleine Insel, auf der er sich erhob, durch einen etwa 1,4 Kilometer langen Damm („Heptastadion“) mit dem Festland. Im Gegensatz zu den verwinkelten, engen Städten Italiens und Griechenlands war die Alexanderstadt, angeblich nach Vorgaben des Namenspatrons, geometrisch und großzügig geplant. Ihre Straßen, durch schattige Kolonnaden gegen die Hitze geschützt, waren von Reitern und Wagen bequem passierbar. iert; bei Nacht soll ein Öl- oder Pechfeuer diese Funktion erfüllt haben. Der Leuchtturm gab den Handelsschiffen Orientierung. Sie liefen bei Tag und Nacht den Hafen an, der tief genug für die größten Schiffe war. Die 21 Tonnen Silber, die der Turmbau zwischen etwa Ära Kleopatras des Nachts in Finsternis versanken. Das äußere Erscheinungsbild Alexandrias war vorwiegend griechisch geprägt. Einige über die Stadt verteilte Elemente lockerten aber die architektonische Einheitlichkeit auf. Sie erinnerten, Parallel zum Meeresufer erstreckte sich in westöstlicher Richtung über fünf Kilometer die prachtvolle 30 Meter breite Canopische Straße, die von der Palaststraße in nordöstlicher Richtung gekreuzt wurde. An dieser Stelle soll sich das Grabmal des Stadtgründers und Namensgebers befunden haben: So überlieferte es der griechische Geograf Strabon, der Alexanders Schöpfung als herrlichste Stadt der Welt pries. Ihre Marmorpracht erstrahlte bei Dunkelheit sogar in künstlichem Licht, während Roms Ziegelbauten noch in der 34 SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 PHOTOSHOT Alexandria wurde zur Drehscheibe zwischen Europa, Afrika und Asien. BPK | THE TRUSTEES OF THE BRITISH MUSEUM deten einen eigenen Stadtteil. Weniger betuchte Griechen konnten sich das freilich ebenso wenig leisten wie das Gros der Ägypter. Das nach Strabon schönste Gebäude der Stadt war der etwa 200 Meter breite Säulenbau „Gymnasion“. Dessen männliche Zöglinge, die Epheben, empfingen hier ihre Ausbildung als künftige Elite des Ptolemäer- SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 reichs. Einer von ihnen war Kaisar, der Sohn von Kleopatra und Cäsar. Zehn Jahre nach der Ermordung des römischen Diktators wählten Kleopatra und Marcus Antonius diesen Ort für das gigantische Fest, das sie 34 v. Chr. gaben: Auf goldenen Thronen inszenierten sie sich, wie Plutarch schreibt, als orientalisches Götter- und Herrscherpaar Isis und Dionysos. Feierlich vermachten sie ihren vier ptolemäisch-römischen Kindern ganze Königreiche – und lösten damit in Rom helle Empörung aus. Octavian nahm deshalb seine Rache bewusst am selben Ort, als er vier Jahre später Alexandria erobert hatte: Nach den Selbstmorden von Marcus Antonius und Kleopatra verkündete er im Gymnasion die römische Annexion Ägyptens. Der Direktor des Gymnasion, der „Gymnasiarch“, fungierte zugleich als eine Art Bürgermeister von Alexandria, und die Erziehung im Gymnasion zählte zu den Voraussetzungen für den Erwerb des alexandrinischen Bürgerrechts. Weitere Bedingungen dafür waren die fließende Beherrschung der griechischen Sprache, ein bestimmter Wohlstand und ein obligatorischer Dienst an der Gemeinschaft („Liturgía“). Am Königshof („Basileia“) Alexandrias bewahrheitete sich der altägyptische Wortsinn von „Pharao“ – „großes Haus“: Ganz nebenbei gehörten über hundert Gästezimmer zu Kleopatras Residenz. Nahe den Palastanlagen erhoben sich die Bauten, die den Wissenschaften und den Künsten gewidmet waren. Zum einen die legendäre Bibliothek mit ihren Hunderttausenden Schriftrollen, die das gesamte Wissen der Antike umfasst haben sollen. Zum anderen das „Museion“: Den neun Musen geweiht, zog es die besten Philosophen, Literaten, Künstler und Naturwissenschaftler der hellenistischen Welt an. Einst war Aristoteles persönlich der Lehrer des jungen Alexander gewesen. In den nachfolgenden Jahrhunderten, in denen Athen vom ptolemäischen Alexandria beerbt wurde, spielten dort die großen Gelehrten der alten Welt eine ähnliche Rolle für den jeweiligen Herrschernachwuchs am Nil. Als Ausnahmegestalt selbst unter den Universalgelehrten der Antike sticht Erathostenes von Kyrene (ca. 276 bis 194 v. Chr.) hervor. In Breite und Tiefe seiner 35 DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN Kenntnisse soll der „Wissensathlet“, wie ihn die Griechen verehrungsvoll nannten, Aristoteles ähnlich gewesen sein. Er wirkte als Philosoph, Poet, Geograf, Mathematiker und Astronom – und leitete rund ein halbes Jahrhundert die Bibliothek von Alexandria. Ein weiterer Polyhistor und einer seiner Nachfolger war Aristarchos von Samos. Er kam bereits zu dem Schluss, dass die Erde sich um die Sonne dreht, während die auf Aristoteles zurückgehende Orthodoxie unseren Planeten noch für den Nabel der Welt hielt. Kleopatras Heimatstadt war auch für ihre medizinischen Traditionen berühmt. Jahrhunderte vor und nach Christus kamen die besten Ärzte aus Alexandria. Nirgends gab es so exakte Kenntnisse über die menschliche Anatomie wie hier. Diesem Zweck diente allerdings nicht nur die Öffnung von Leichen. Dem medizinischen Fortschritt wurden auch Menschenopfer von unvorstellbarer Grausamkeit dargebracht: Auf königlichen Befehl schaffte man Häftlinge aus den Kerkern Alexandrias zu Chirur- gen, deren Messer sich den Weg zu Sehnen, Knochen und inneren Organen der Unglücklichen bei lebendigem Leib bahnten. Von Anfang an war die Zusammensetzung der alexandrinischen Bevölkerung multikulturell, wenngleich das makedonisch-griechische Element überwog. Aus dem Dorf Rhakotis, das schon vor der Gründung Alexandrias existiert hatte, ging das ägyptische Fischer- und Handwerkerviertel Alexandrias hervor, das südlich der Pharos-Insel im Westen Alexandria zur Zeit Kleopatras Prachtstraßen und ein Weltwunder 2 Königsviertel Judenviertel 10 3 4 Königshafen 1 5 6 Antirhodos Königlicher Privathafen Osthafen Galeerenhafen Kap Lochias 1. Regierungsgebäude 2. Pan-Tempel 3. vermutetes Alexandergrab 36 4. Wohnsitz Cäsars 5. Timonium /Altersruhesitz von Marcus Antonius 6. Königliche Villa 7. Isis-Heiligtum 8. Kanal zum Mareotis-See 9. Heptastadion-Damm 10. Canopische Straße: angeblich 30 Meter breit SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 Griechische Siedler ließen sich in Alexandrias besten Vierteln nieder. v. Chr. ein. Das bis dahin rein griechische Ptolemäerheer hatte eine drohende Niederlage gegen den syrischen König nur mit Hilfe einer ägyptischen Phalanx gerade noch abwenden können. Nun wurden erstmals Ehen zwischen der Stadt lag. Die einheimischen Ägypter nieder, wo sie im Handel sowie im Remachten die griechischen Zuwanderer gierungs- und Armeedienst lukrative Ägyptern und Griechen legalisiert. Ein gewisser Teil der griechischen Siedler mit den lokalen Arbeitstechniken ver- Stellungen fanden. Die offizielle Sprache war Griechisch, begann Ägypterinnen zu heiraten und traut. Da in Griechenland und auf den vorgelagerten Inseln relative Armut die Umgangssprache der Ägypter Demo- erlernte deren Sprache. Auch wenn manch ein ptolemäischer herrschte, zog Ägypten zahlreiche grie- tisch; Hieroglyphen zu schreiben verchische Siedler an. Sie wurden entweder standen nur die pharaonischen Priester. Herrscher ägyptische Konkubinen hielt, mit Landgütern versorgt oder ließen Eine Vertiefung der ägyptisch-grie- konnte von einer durchgreifenden ethsich in den besten Vierteln Alexandrias chischen Koexistenz setzte im Jahr 217 nischen Verschmelzung, wie sie Alexan- Mittelmeer MareotisSee ÄGYPTEN Suezkanal 8 Nil 100 km Nekropolis Rhakotis Kairo ILLU ST RATIO N: YANN BE RNARD heutige Küstenlinie Alexandria Suez 9 7 Westhafen 11 11. Leuchtturm von Pharos Dieser wird gelegentlich zu den Sieben Weltwundern gezählt, möglicherweise war er mehr als 100 Meter hoch. Erbaut wurde er im 3. Jahrhundert vor Christus. SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 Pharos 37 DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN ALEXANDRIAS BIBLIOTHEK Wissen der Welt Private Sammlungen von Büchern, genauer gesagt von Papyrusrollen, existierten schon lange vor der Gründung Alexandrias. Wie im Lyzeum des Aristoteles fanden sie sich meist in den „Gymnasien“, den geistigen Zentren der griechischen Stadtstaaten. In Alexandria aber befahlen die ersten Ptolemäerkönige viel Ehrgeizigeres: die Errichtung einer Universalbibliothek, die erstmals das gesamte Wissen der Welt umfassen sollte. Ptolemäus I. ernannte im Jahr 284 v. Chr. Zenodotos von Ephesus zum Gründungsdirektor der Bibliothek. Der griechische Philologe verantwortete unter anderem die erste textkriti- 38 sche Homer-Ausgabe aufgrund von Handschriftenvergleichen und diente als Lehrer von Ptolemäus II. Die Bibliothek war den jeweiligen Herrschern direkt unterstellt, die für ihr Projekt keine Ausgaben scheuten. Und keine List: So soll den Athenern eine erhebliche Kaution für die leihweise Überlassung etlicher Originale von Sophokles, Euripides und Aischylos zwecks Anfertigung von Abschriften gezahlt worden sein; die unverzügliche Rückgabe der Urschriften im Bestzustand wurde garantiert. Auf königlichen Befehl kopierte man flugs die Werke der großen Dramatiker auf feinstem Papyrus und reihte die Originale in die Bibliothek ein. Die Athener bekamen die Kopien zurück mit dem Kommentar, statt der zerlesenen Originale erfreue man sie mit völlig neuen Ausgaben, obendrein schenke man ihnen auch noch die Kaution. An der Peripherie des alexandrinischen Palasts gelegen, soll die Hauptbibliothek 400 000 Schriftrollen enthalten haben; ein kleinerer Bestand war den weniger prominenten Lesern in einer Filiale im Serapion-Tempel zugänglich. Wann die legendäre Bibliothek endgültig untergegangen ist, darüber streiten die Experten bis heute. Bei einem Symposion in Alexandria, dessen Beiträge 2008 als Buch gedruckt wurden („What Happened to the Ancient Library of Alexandria?“), herrschte aber die Auffassung vor, dass nur ein Teil der Bestände schon der Feuersbrunst zum Opfer fiel, die Cäsar 48 v. Chr. im Alexandrinischen Krieg entfachte, indem er die Ptolemäerflotte anzünden ließ. SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 BAO / MAURITIUS IMAGES / IMAGEBROKER In der Bibliothek von Alexandria Holzschnitt, um 1870 CHRISTOPH GERIGK / FRANCK GODDIO / HILTI FOUNDATION der dem Großen vorgeschwebt haben mag, weiterhin keine Rede sein. In Sprache, Lebensart und Kulturniveau unterschieden sich die ptolemäischen Untertanen zu stark. Vor allem verband die wohlhabende und selbstbewusste griechische Elite Alexandrias nichts mit der Masse bäuerlicher Fellachen. Zu einer Assimilation kam es im Lauf mehrerer Jahrhunderte bei höher gebildeten Ägyptern und bei den Juden – neben den Griechen die zweite Immigrantengruppe. Aus Judäa kommend, hatten sich viele Juden schon unter dem ersten Ptolemäerkönig in Alexandria angesiedelt. Sie wurden mit offenen Armen empfangen, bauten sich eine große Synagoge und bewohnten ein eigenes Stadtviertel. Binnen kurzem gaben sie ihr angestammtes Hebräisch auf und gingen zum Griechischen über. Es ist charakteristisch, dass die Hauptstadt der Ptolemäer „Alexandria bei Ägypten“ genannt wurde: Die Metropole mit der unvergleichlichen Strahlkraft wurde eher als autonome Einheit denn als Teil Ägyptens wahrgenommen. Kleopatra wurde erzogen als privilegierte Erbin der griechischen Kultur und als gottgleiche Pharaonin. Lesen lernte sie, indem sie erst das griechische Alphabet sang und dann die Gestalt der Buchstaben ertastete, die ihr Lehrer in eine Holztafel ritzte. Generell war harter Drill die pädagogische Norm, von der auch eine Prinzessin nicht ausgenommen war. Außer an Feiertagen musste an jedem Tag gebüffelt werden, ein freies Wochenende war unbekannt. Der poetische Abgott des hellenistischen Zeitalters hieß Homer. Gebildete Griechen sogen seine Verse gleichsam mit der Muttermilch auf. Schon Alexander der Große soll allzeit mit einer Homer-Ausgabe unter dem Kopfkissen geschlafen haben. Als „intellektueller Atlas und moralischer Kompass“ hätten Homers Epen der Welt von Kleopatra gedient, schreibt Biografin Schiff. Zumindest Teile von „Ilias“ und „Odyssee“ soll Kleopatra auswendig gekonnt haben. Zum griechischen Bildungskanon gehörten daneben Äsops Fabeln die großen Dramen von Aischylos und Sophokles, die Geschichtsschreibung von Herodot und Thukydides und vieles mehr. Um eine Papyrusrolle zu lesen, bedurfte es beider Hände: Während die SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 Die sphinxhafte Granitstatue ( 1. Jh. v. Chr.) stellt König Ptolemäus XII. dar (im Meer vor Alexandria) 39 Astronom Hipparchos auf der Sternwarte von Alexandria Buchillustration, 1876 Das gesamte Wissen der antiken Welt und die besten Gelehrten ihrer Ära standen Kleopatra zur Verfügung. Und sie eignete sich eine Fremdsprache nach der anderen an: „Sie wusste ihre Zunge wie ein vielstimmiges Instrument mit Leichtigkeit in jede ihr beliebende Sprache zu fügen“, berichtet Plutarch, „und bediente sich nur im Verkehr mit ganz wenigen Barbaren eines Dolmetschers; den meisten erteilte sie persönlich Bescheid, so den Äthiopen, Troglodyten, Hebräern, Arabern, Syrern, Medern und Parthern.“ Die letzte ptolemäische Herrscherin war die erste aus ihrer Dynastie, die sich die Mühe machte, auch die ägyptische Umgangssprache Demotisch zu erlernen. Aus den Berichten der Historiker und allerlei überlieferten Anekdoten geht hervor, dass Kleopatra hohe Intelligenz und ein tief verankertes Selbstbewusstsein besaß und über umfassende Bildung, Schlagfertigkeit und Witz verfügte. Weniger genau wissen wir über ihr Äußeres Bescheid. Auf alten Münzen fällt vor allem ihre hervorspringende Nase ins Auge. Dass sie von überwältigender Schönheit ge40 wesen sei, wurde erst einige Jahrhunderte nach ihrem Tod zum Stereotyp römischer Geschichtsschreiber. Damit sollte ihre angeblich magisch-hexenhafte Wirkung auf Roms starke Männer erklärt werden. Plutarch dagegen, der nur etwa ein Jahrhundert nach Kleopatras Tod schrieb, hielt fest, dass sie äußerlich keine besonders auffällige Erscheinung war. Bezaubernd aber sei ihre Persönlichkeit, Ruf als Königin der Städte prägte den hochentwickelten Stolz und Unternehmungsgeist seiner wohlhabenden Bürger, die sich selbst wie kleine Könige fühlten. Sie zürnten über die ständigen Steuererhöhungen, die Auletes ihnen abpresste, um die immensen Bestechungsgelder für Roms gierige Machthaber zu finanzieren. Schon vor seiner Vertreibung hatte sich Auletes, zwischen den verschiede- Kleopatras Machtinstinkt war ebenso ausgeprägt wie ihr Charisma. ihre unmittelbare Wirkung auf andere Menschen gewesen. Ähnlich hochentwickelt wie ihr Charisma waren ihr Machtinstinkt und ihre kaltblütige Entschlusskraft. Sie bedurfte ihrer, um die politischen Wirren und Bürgerkriege zu überleben, die schon ihre Kindheit und Jugend überschatteten. Sie war gerade elf Jahre alt, als ihr seit mehr als 20 Jahren herrschender Vater Ptolemäus XII. („Auletes“) durch einen Aufstand aus Alexandria vertrieben wurde – schon manchem seiner Vorgänger war es so ergangen. Alexandrias nen Polit-Fraktionen am Tiber lavierend, für den mächtigen Ex-Konsul und Imperator Pompeius entschieden. Der setzte gemeinsam mit seinem Dauerrivalen Cäsar einen Senatsbeschluss durch, der Auletes im Jahr 59 v. Chr. als rechtmäßigen König bestätigte und ihn zum „Freund und Bundesgenossen des römischen Volkes“ erhob. Dafür bezahlte Auletes die runde Summe von 6000 Silbertalenten – was den Einkünften eines ganzen Jahres aus Ägypten entsprach. Pompeius und Cäsar teilten sich ihr Schutzgeld; das Bündnis währte aber nicht lang. SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 AKG rechte den Korpus hielt, rollte die linke den bereits gelesenen Teil auf. AP / DDP IMAGES DIE ÄGYPTISCHE KÖNIGIN Als die Römer ein Jahr danach das traditionell zum Ptolemäerreich gehörende Zypern ihrem Imperium als Provinz einverleibten, erhoben sich die Alexandriner 58 v. Chr. gegen den hilflosen und untätigen Auletes; statt seiner setzten sie die von Auletes verstoßene Schwestergemahlin Kleopatra VI. Tryphaina mit ihrer Tochter Berenike IV. auf den Thron. Der verjagte Herrscher suchte in Rom Zuflucht, die ihn jetzt erst recht teuer zu stehen kam. Mit ungeheuren Summen, für die er im Lauf seines Exils Kredite vom Bankier Rabirius Postumus aufnehmen musste, erkaufte er sich neuerlich die Protektion von Pompeius. Der schickte schließlich im Jahr 55 v. Chr. einen seiner Gefolgsleute, Gabinius, mit einer römischen Streitmacht nach Ägypten. Die Wiedereinsetzung als König kam vordergründig Auletes zugute; vor allem aber wollte Schutzpatron Pompeius sich den Zugriff auf Ägypten sichern. Mit den Gabinius-Truppen zog Rabirius Postumus in Alexandria ein. Als Auletes’ Finanzminister („Dioiket“) holte der sein Geld so rücksichtslos wieder herein, dass er einen erneuten Aufruhr provozierte und zum eigenen Schutz nach Rom zurückgeschafft wurde. Zu den Gabinius-Truppen gehörte auch der Reiteroffizier Marcus Antonius, der in Alexandria wohl erstmals die nun 13-jährige Königstochter Kleopatra zu Gesicht bekam; knapp anderthalb Jahrzehnte später sollte sie seine Geliebte werden. Wo sich die Heranwachsende während des dreijährigen väterlichen Exils aufhielt, ist ungewiss. Ob sie sich ihre enorme Bildung beim Herumreisen mit ihrem Vater aneignen konnte, erscheint fraglich. Besonders die Erlernung der ägyptischen Sprache und Schrift war ohne den Kontakt mit Priestern kaum vorstellbar. Einige Kleopatra-Biografen vermuten deshalb, dass ihre Heldin sich im Umfeld eines Tempels aufhielt – womöglich in der altägyptischen Hauptstadt Memphis. Die dortige Priester- SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 schaft wahrte ihre Loyalität zum flüchtigen König, das aufständische Alexandria war fern. Der Althistoriker Wolfgang Schuller hält es dagegen für wahrscheinlicher, dass die Tochter den Vater ins Exil begleitete. Wie auch immer: Der von Roms Gnaden wiedereingesetzte Auletes ließ seine Tochter Berenike umbringen, da sie sich mit ihrer inzwischen verstorbenen Mutter Kleopatra Tryphaina erdreistet hatte, seinen Thron zu besetzen. Nun erhob er das nächstälteste Kind als Kleopatra VII. zu seiner Mitregentin. In dieser Funktion, über die wir nichts Näheres wissen, blieb sie bis zum Tod ihres Vaters im Jahr 51 v. Chr. Der hatte ein Testament in zwei Ausfertigungen hinterlassen, von denen eine kreten Quellen, die wir über Kleopatras Regierungszeit besitzen. Auf einer Stele wird berichtet, dass sie am 22. März des Jahres 51 v. Chr. nach dem Tod des bisherigen heiligen Buchis-Stiers an der Zeremonie der Einführung des neuen teilnahm: „Und jedermann konnte die Königin erblicken.“ Von einem männlichen Mitregenten ist nicht die Rede. Doch hinter den Mauern des alexandrinischen Palasts schwelte ein Machtkampf, der anderthalb Jahre später offen ausbrach. Denn der nominell mitregierende Ptolemäus XIII. war von Vormündern umgeben, die in seinem Namen handelten und kein Interesse hatten, sich von einer selbstbewussten jungen Königin dominieren zu lassen. Immerhin konnten sie sich auf das Testament des verstorbenen Königs berufen. Im Namen von Ptolemäus XIII. setzten der Eunuch Potheinos und der General Achillas durch, dass ab Oktober des Jahres 50 in offiziellen Dokumenten der junge König vor der Königin erschien – die scheinbare Formalität hatte eminent politische Bedeutung. Bald wuchs sich das Ringen zum Bürgerkrieg aus, in dem die Partei des Kindkönigs mit General Achillas vorerst die stärkere war. Kleopatra musste aus Alexandria fliehen. Sie dachte aber nicht daran, sich wie ein hilfloses Weib der Übermacht zu beugen. Statt Ruinen des sich in ihr Schicksal zu Serapiontempels fügen, begann sie, auf pain Alexandria, 1947 lästinensischem Gebiet ein Söldnerheer zu rekrutieren. Inzwischen war auch in Rom das in Alexandria blieb, während die andere in Rom von Pompeius verwahrt wurde. Zweckbündnis zwischen Pompeius und Diesem letzten Willen zufolge sollten von Cäsar zerbrochen. In einem erbitterden zwei Töchtern und zwei Söhnen, die ten Bürgerkrieg hatte Cäsar seinem RiAuletes hinterließ, jeweils die beiden Äl- valen beim nordgriechischen Pharsalos teren gemeinsam seine Nachfolge antre- eine schwere Niederlage beigebracht. ten. Die 18-jährige Kleopatra erbte dem- Der floh über das Mittelmeer nach nach mit ihrem 10-jährigen Bruder Ptole- Ägypten, dessen Machthaber, wie er mäus XIII. in Geschwisterehe den Thron. glaubte, tief in seiner Schuld standen und helfen würden. Aber Cäsar setzte Ungeachtet dieses Testaments be- dem Fliehenden nach. In Alexandria handelte die erwachsene Schwester den wollte er ihn fassen – und nach Alexankleinen Bruder offenbar als das Kind, das dria wollte auch Kleopatra unbedingt er war – und trat als Alleinherrscherin zurück. Eine legendäre Begegnung stand an. auf. Das beweist eine der wenigen kon- 41