Einleitung Blick in die Vergangenheit Wer in die medizinische Vergangenheit blickt, stößt sehr bald darauf, dass die Mundgesundheit unserer Vorfahren alles andere als stabil war. Die individuelle Zahngeschichte belastete und verkürzte oft das Leben der Menschen. Die Untersuchung von Kinderschädeln ergab z. B., dass viele Kinder früher am „Zahnfieber“ starben. Doch traurige Zahnschicksale sind auch aus der Neuzeit überliefert. Ein bekanntes, sehr gut dokumentiertes Beispiel einer solchen „Zahngeschichte“ bietet Josefine de Beauharnais Bonaparte. Geboren als Tochter eines reichen Plantagenbesitzers auf der Zuckerrohrinsel Martinique hatte sie als Kind stets Zugang zu „kariogener Kost“ in Form von Zuckerrohrprodukten. Fünfzehnjährig kam sie nach Frankreich und geriet zunächst in die Mühlen der Französischen Revolution. 1796 heiratete sie Napoleon, der sie 1804 zur Kaiserin von Frankreich machte (siehe Bild von 1808). Da sie so besonders hübsch und sehr modebewusst war, wurden in dieser Zeit über zweihundert Porträts von ihr angefertigt. Aber auf keinem dieser Bilder sieht man sie lächeln. Dies hatte einen besonderen Grund. Ihr Gebiss war von Karies zerstört, was entstellend wirkte. Bei Empfängen oder auf Festen hielt sie sich stets einen Fächer vor den Mund, um ihre schlechten Zähne zu verstecken und ihren Mundgeruch zurückzuhalten. 1810 wurde sie von ihrem Mann wegen Kinderlosigkeit geschieden und starb mit einundfünfzig Jahren auf ihrem Schloss „Malmaison“ – wahrscheinlich an den Folgen eines Mundbodenabzsesses im linken Unterkiefer. 5 1. Grundlagen der Kommunikation Teil I: Grundlagen der Prophylaxe 1. Grundlagen der Kommunikation Nachdem der behandelnde Zahnarzt die Diagnose erstellt und den Befund erhoben hat, wird er den Patienten an seine Prophylaxemitarbeiterin weiterleiten. Ihr obliegt es nun, die Professionelle Zahnreinigung durchzuführen und den Patienten umfassend zu informieren und zu motivieren. Das vorsichtige aber doch gründliche Arbeiten am Patienten setzt manuelles Geschick voraus, denn nur durch gründliches Debridement und Scaling können gezielt die schädlichen Ablagerungen von den Zähnen entfernt werden. Keine Putztechnik kann eine Parodontitis verhindern, solange noch Zahnstein und Konkremente im Sulcus vorhanden sind. Die beste und gründlichste Professionelle Zahnreinigung wird auf Dauer keine Verbesserung des Krankheitsbildes bringen, wenn der Patient nicht lernt, auch zu Hause effizient seine Zähne zu reinigen. Wer mit anderen Menschen ins Gespräch kommen möchte, wer sie motivieren und überzeugen möchte, der muss zusätzliche Fähigkeiten mitbringen, der sollte neben technischem Verständnis auch über kommunikative und psychologische Kompetenzen verfügen. Hier ist sicherlich Erfahrung der beste Lehrmeister. Über die Jahre lernt man, mit verschiedenen Mentalitäten und Charakteren umzugehen. Wichtig ist, dass man dem Patienten richtig zuhört und ihn versteht. Es gibt kein Patentrezept, mit dem sich jeder Patient richtig motivieren lässt. Die Prophylaxemitarbeiterin kann noch so versiert sein, sich perfekt auf Belagsentfernung und Scaling verstehen und sich bestens mit allen Hilfsmittel auskennen, dies alles wird nichts nützen, wenn kein kommunikatives Geschick vorhanden ist. Im Laufe der Jahre habe ich aufgrund meiner Arbeit mit den unterschiedlichsten Patiententypen viel Erfahrung sammeln können. Daraus haben sich einige Erkenntnisse ergeben, die ich hier als Tipps an meine Kolleginnen weitergeben möchte: 1.1 Tipps für eine erfolgreiche Kommunikation Zu motivieren heißt, jemanden durch Sprache, Beispiele, Demonstrationen und Übungen Wissen zu vermitteln und ,damit zum Handeln anzuregen. Ganz wichtig: Sprechen Sie den Patienten immer mit dem Namen an und begrüßen Sie ihn herzlich. Hören Sie gut zu und widersprechen Sie nie offen, sondern lenken Sie das Gespräch auf einen anderen Weg. „Mut machen“, statt kritisieren, ist das 17 4. Von der Vielfältigkeit der Kinderprophylaxe Man lässt sie zusammenbeißen, den Unterkiefer vorschieben, und versucht, von außen über beide Kiefer hinweg, möglichst kleine Kreise zu beschreiben! Wichtig ist es, das Zahnfleisch immer mit einzubeziehen und gründlich mitzuputzen. Das mögen Kinder häufig nicht, aus Angst vor Schmerzen oder weil das Zahnfleisch schon leicht beim Putzen blutet. Die Reinigung des marginalen Zahnfleischsaumes ist aber wichtig, um die Gingiva gesund zu erhalten. Meist sind die Zähne so klein, dass die Innenflächen bei der Reinigung der Kauflächen schon mitgesäubert werden. Sollte sich bei der Anfärbung mit Revelatoren aber herausstellen, dass hier doch viele Beläge anhaften, sollten auch die Innenflächen mit kleinen Kreisen von den Eltern nachgereinigt werden. Wichtig ist es auch bei kleinen Kindern, immer in einer festen Systematik vorzugehen. Man fängt rechts an den Außenflächen an und geht dann von rechts nach links Zahn für Zahn weiter, bis man links hinten am letzten Molaren wieder ankommt. Die Kauflächen reinigt das Kind alleine. Es ist wichtig, dass eine systematische Zahnreinigung den Kindern von Anfang an in Fleisch und Blut übergeht. Tipp Im Kleinkindalter kann es hilfreich sein, sich von den Eltern Zeichnungen zeigen oder beschreiben zu lassen. Dadurch kann man die motorische Handfertigkeit der Kinder beurteilen. Sind die Zeichenstriche noch starr und gerade, wird das Kind auch nur mit Hin- und Herbewegungen in der KAI-Technik arbeiten können. Entstehen aber auf dem Papier bereits große Kreise und runde Formen, kann man beginnen, die Putzbewegungen kreisförmig anzulegen und zu lehren. Achtung: Auch im Kleinkindalter ist Zahnseide angesagt! Eine Approximalraumkaries zwischen Milchmolaren entsteht oft so tief und weit unten am Sulcusrand, dass diese erst viel zu spät optisch entdeckt werden kann. Die Eltern sollten auch schon in diesem Alter täglich mit der Flossette arbeiten. 4.6 Kindesalter fünf bis sechs Jahre (Fones-Technik) Auch hier werden alle Kauflächen vom Kind in Horizontal-Technik gereinigt. Zusätzlich müssen drei Außenflächenbereiche in Rotationstechnik (nach Fones) gereinigt werden. Dazu werden die Zähne im Kopfbiss aufeinander gestellt, anderenfalls entstehen sogenannte „Putzschatten“, das heißt, man erreicht nicht alle Zahnflächen, 33 8. Gibt es die „richtige“ Zahnbürste? 8.5.4 Superbrush Diese Spezialbürste ist so gearbeitet, dass drei Bürstenköpfe gleichzeitig arbeiten und drei Flächen gleichzeitig gereinigt werden können. Bei manuell und motorisch eingeschränkten Patienten ist sie die Bürste der Wahl. Es wird rundherum mit leichten Rüttelbewegungen gearbeitet. 8.5.5 Cross-Bürsten Modern sind momentan sogenannte Cross Bürsten mit Borstenfeldern, bei denen die Borsten Enden unterschiedlich lang sind und sich überkreuzen. Die Borstenenden dieser Bürsten sind aber, im Gegensatz zu anderen Zahnbürsten, mit Sägeschnitt, poliert! Es gibt ein neues technisches Verfahren, Kunststoffborsten vor der Besteckung der Bürstenköpfe zu polieren. Dadurch sind diese Bürsten empfehlenswert, so z. B. für Jugendliche mit einem hohen API-Index. Aber meines Erachtens haben sie mit ca. 5 € pro Stück einen stolzen Preis! Andere empfehlenswerte Bürsten kosten die Hälfte! 8.6 Die Aufbewahrung von Zahnbürsten Alle Zahnbürsten, gleich ob normale Handzahnbürsten oder Elektrische Bürsten, müssen trocken aufbewahrt werden. Die Austrocknung des Borstenfeldes ist nur dann gewährleistet, wenn Zahnbürsten mit dem Kopf nach oben stehend an der Luft aufbewahrt werden. Es macht auch Sinn, mehrere Zahnbürsten gleichzeitig zu benutzen, damit zwischenzeitlich immer lange Trocknungszeiten gegeben sind. Zwischen permanent nassen Borsten können gefährliche pathogene anaerobe Bakterien und Keime wachsen. 8.7 Die Kombination von Bürste und Paste Wichtig: Zahnbürsten werden immer zusammen mit Zahncremes eingesetzt. Zahnbürsten können auch trocken benutzt werden, sie entfernen dann sogar noch mehr Plaques. Zahnpasten sind ein zusätzliches sinnvolles Mittel, um die Zähne zu polieren, zu erfrischen und zu fluoridieren. Beides ist sachkundig aufeinander abzustimmen, wozu ein Informationsgespräch in der Praxis unerlässlich ist. Nur durch eine fachkundige Prophylaxeassistentin können wild übertriebene Werbeversprechen relativiert werden. Die Auswahl der Zahnpflegemittel wird so ideal und individuell begrenzt und auf den Patienten abgestimmt. 57 9. Patientenfall I: Paradontitispatient, Raucher 9. Patientenfall I: Paradontitispatient, Raucher 9. Patientenfall I: Paradontitispatient, Raucher 9.1 Der Patient Herr Bodo Balz ist 58 Jahre alt, Diabetiker, und raucht stark. Er nimmt unregelmäßig seine Termine in der Praxis wahr. Stets bietet sich das gleiche Bild. Die Zähne sind schlecht gepflegt, das Zahnfleisch blutet, überall finden sich weiche und harte Beläge, außerdem neigt der Patient zu Mundgeruch. Obwohl ihm in den letzten Sitzungen immer wieder die Wichtigkeit einer systematischen Zahnpflege nahegebracht und gezeigt wurde, ist festzustellen, dass er nur kurz die Kauflächen der Zähne schrubbt. Der Patient beteuert, er würde regelmäßig fädeln, aber die Interdentalräume sind voller Speisereste (food debris). Seit der letzten Sitzung sind keine Fortschritte erzielt worden. Im Gegenteil, die Taschentiefenmessung ergibt eine deutliche Verschlechterung. Bei Herrn Balz sind die Taschen 4 mm tief, im hinteren Molarenbereich sogar 6 bis 7 mm. Der API beträgt 80 %, der SBI 100 %. Am Zahn 32 befindet sich eine „aktive Tasche“. Das bedeutet, dass sich hier eine tiefe Zahnfleischtasche gebildet hat, aus der sich aufgrund einer Infektion Eiter entleert. Hier ist unbedingt der behandelnde Zahnarzt zu verständigen, der überprüft, ob unter Umständen ein Röntgenbild gemacht werden muss oder ob ein Antibiotikum zum Einsatz kommen sollte. Auch die schlechte Mundhygiene-Situation ist mit dem Behandler zu bespechen. Tipp Bei Taschenexudationen, Pusentleerungen und unklaren Schleimhautveränderungen immer den behandelnden Zahnarzt dazu rufen oder einen kurzfristigen Termin zur Abklärung bei ihm vereinbaren. 9.2 Kommunikation Die Compliance (Mitarbeit) dieses Patienten ist denkbar schlecht. Bei diesem schwierig zu motivierenden Patienten sollte der behandelnde Zahnarzt unbedingt hinzugezogen werden und ihm deutlich klarmachen, unter wel109 13. Patientenfall M: Der Seniorpatient 13. Patientenfall M: Der Seniorpatient 13.1 Der Patient Herr Richard Pirol ist 82 Jahre alt und lebt in einem Seniorenheim. Der Patient nimmt unterschiedlichste Medikamente, der Speichelfluss ist reduziert, wodurch sich das Kariesrisiko stark erhöht. Herr Pirol sitzt im Rollstuhl und wird von seiner Lebensgefährtin alle halbe Jahre in die Praxis gebracht, wo regelmäßig eine gründliche Zahn- und Prothesenreinigung stattfindet. Er kann selbst kaum noch laufen und er muss mit Hilfe seiner Begleitung vorsichtig auf den Behandlungsstuhl gehoben werden. Im Oberkiefer trägt er eine Vollprothese, im Unterkiefer besitzt er noch 12 eigene Zähne. Die Schleimhaut im Oberkiefer ist stark gerötet, der behandelnde Zahnarzt hat einen SoorAbstrich angeordnet, der im mikrobiologischen Labor untersucht wird. Alle Zahnhälse sind weit freigelegt. Da die Zahnreinigung nur noch eingeschränkt durchzuführen ist, weisen die Zähne im Unterkiefer Zahnhalsdefekte und Initialkaries auf. Für einen bewegungseingeschränkten Patienten wie Herrn Pirol sollte die Prophylaxemitarbeiterin die Unterstützung einer Kollegin erhalten. Tipp Rollstuhlpatienten sollten immer zu zweit betreut werden. 13.2 Kommunikation Sprechen Sie den Patienten direkt an. Dabei stellen Sie fest, ob und inwieweit Sie mental und akustisch verstanden werden. Sprechen Sie laut und deutlich, sprechen Sie aber bitte nicht mit jedem älteren Patienten automatisch laut. Beziehen Sie unter Umständen die Begleitperson mit in die Beratung ein, vor allem, wenn es um Terminabsprachen geht. Wenn etwas erklärt und gezeigt werden muss, braucht der Patient regelmäßig seine Brille. Lagern Sie den Patienten nicht zu tief und spülen Sie dessen Mund mit Chlorhexidin-Lösung bei einer guten Absaugung selbst aus. Das Krankheitsbild und das erhöhte Kariesrisiko müssen mit einfachen verständlichen Worten 121 Glossar Glossar Abrasion Abnutzung der Zähne abrasiv scheuernd, abnutzend ActinobacillusParodontitisleitkeim actinomycetemcomitans Aerobier Bakterien, die nur in Anwesenheit von Sauerstoff leben AerosoleTröpfchennebel AktinomycetenParodontalbakterien akut plötzlich beginnend, schnell verlaufend Allergie Überempfindlichkeitsreaktion Aminfluorid Fluorid mit besonderer Oberflächennahaftung Anaerobier Bakterien, die ohne Sauerstoff leben können Anamnese Vorgeschichte einer Krankheit Anatomie Lehre von Form und Bau des Körpers Anorexie/BulimieEssstörungen anorganisch unbelebt attached Gingiva angewachsenes Zahnfleisch, gestippelt Antigene Stoffe, die spezifische Antikörper erzeugen AntikörperImmunkörper Apatit kristallines Kalziumphosphat approximalbenachbart ApproximalraumkariesZahnzwischenraumkaries Ätiologie Lehre von den Krankheitsursachen Attrition Form der Abrasion Baby bottle syndrom baking soda Bakterien Bazillen Bebrütung Bifurkation Bürstenfeld Fläschchenkaries Backpulver einzellige Lebewesen, Krankheitserreger stäbchenförmige Mikroben Wärmebehandlung von Bakterien Zweigabelung der Zahnwurzeln besteckter Zahnbürstenkopf Capillaren Cario-L-Pop Test kleinste Gefäße Schnelltest zur Feststellung der Lactobazillenzahl langsam verlaufend Massagetechnik nach PAR-Behandlung Medikament zur chemischen Plaquekontrolle chronisch Charters Zahnputztechnik Chlorhexidin digluconat 126