20 ABB technik 4|10

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ABB technik 4|10
Leistungs­
elektronik in der
Energieversorgung
Halbleiter als Schlüsselelemente
elektrischer Netze
Claes Rytoft, Peter Lundberg,
Harmeet Bawa, Mark Curtis – Ange­
sichts des stetig steigenden Strom­
verbrauchs, der verstärkten Nutzung
alternativer Energiequellen an oft
entlegenen Orten und der zunehmen­
den Forderung nach einer höheren
Energieeffizienz und Netzzuverlässigkeit
befindet sich die Energiewirtschaft
zurzeit in einem raschen Wandel.
Viele der Veränderungen werden durch
Entwicklungen auf dem Gebiet der
Leistungshalbleiter und deren Einsatz
in verschiedenen Anwendungen
ermöglicht. Als zentrale Bauelemente
von Schaltgeräten helfen Leistungs­
halbleiter dabei, den Stromfluss zu
steuern und die für die jeweilige
Anwendung benötigte Wellenform und
Frequenz bereitzustellen. Halbleiter
sind das Herzstück zahlreicher Techno­
logien auf dem Energiesektor und ein
Schlüsselelement auf dem Weg zum
Stromnetz der Zukunft.
F
rüher wurden Stromnetze um
große zentrale Kraftwerke herum
errichtet, die eine vorhersehbare
und steuerbare Leistung auf stabile Weise in das Netz einspeisen. Trotz
stündlicher Bedarfsschwankungen floss
die Leistung in diesen Netzen nur in eine
Richtung. Ähnliche Bedarfsschwankungen
gibt es noch immer, doch aufgrund der verstärkten Nutzung erneuerbarer Energiequellen zur Senkung des CO2-Ausstoßes
müssen die Stromnetze heute auch
ein schwankendes
Energieangebot bewältigen. Mit dem
wachsenden Anteil
unbeständiger Energiequellen wie Sonne und Wind steigt
auch die Notwendigkeit einer Energiespeicherung und von Systemen zur
­Koordination der verfügbaren Erzeugungsquellen im Hinblick auf unterschiedliche
Verbrauchsstrukturen.
Schwankungen in Angebot und Nachfrage
können bis zu einem gewissen Grad durch
den Energiehandel ausgeglichen werden.
Doch der effiziente Transport der Elektrizität von der Quelle zum Verbraucher über
benachbarte Netze, möglicherweise über
große Entfernungen und in beide Richtungen, ist mit einer Vielzahl von Herausforde-
rungen verbunden. Erschwerend hinzu
kommt der stetig steigende Energiebedarf,
der bei gleichzeitiger Reduzierung der
Treibhausgasemissionen gedeckt werden
muss. Die Bereitstellung von mehr Kapazität im Hinblick auf eine zunehmende Zahl
von Elektrofahrzeugen und ein verstärktes
Bedarfsmanagement erhöhen die Komplexität und treiben die Entwicklung intelligenterer, flexiblerer und zuverlässigerer Netze
voran.
Halbleiter sind das Herzstück
zahlreicher Technologien auf
dem Energiesektor und ein
Schlüsselelement auf dem Weg
zum Stromnetz der Zukunft.
Eine Vielzahl von Technologien, bei denen
ABB Pionierarbeit geleistet hat, hilft der
Elektrizitätswirtschaft dabei, diese Anforderungen zu erfüllen. Die Technologien basieren größtenteils auf Leistungshalbleitern,
weshalb ABB ihre Produktionsanlagen für
Halbleiter erweitert hat, um ihre führende
Position auf diesem Gebiet zu festigen. Gemeinsam mit der Energiewirtschaft widmet
sich ABB der Entwicklung flexibler, effizienter und zuverlässiger Netze mithilfe innovativer leistungselektronischer Lösungen auf
Leistungselektronik in der Energieversorgung
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1 Gehäusetechnologien
Bei Modulen mit isoliertem Gehäuse ist der Halbleiter ➔ f galvanisch vom Kühlkörper ➔ c getrennt. Die
elektrische Verbindung innerhalb des Moduls erfolgt über sogenannte Bonddrähte. Bei einem Ausfall
schmelzen diese Drähte auf, und das Modul verliert seine Leitfähigkeit. Bei Druckkontaktmodulen tritt
der Laststrom durch eine Oberfläche ➔ k ein und verlässt das Modul auf der gegenüberliegenden Seite.
Durch hohen mechanischen Druck auf den Flächen wird ein niedriger elektrischer und thermischer
Widerstand in den Kontakten gewährleistet. Bei einem Ausfall verschmelzen der Silizium-Halbleiter ➔ l
und das Molybdän in ➔ i, sodass der Strom weiter fließen kann.
➔ a Leistungs- und
Steueranschlüsse
➔ b Bonddraht
➔ c Kühlkörper
➔
➔
➔
➔
a
d Keramik (meist AIN)
e Bodenplatte (meist AISIC)
f Halbleiter
g Gehäuse
a
g
l
f
e
c
i
i
k
j
k
h
Nahezu alle handelsüblichen Leistungshalbleiter
basieren heute auf Silizium. Mit der kontinuier­
lichen Optimierung des Siliziums ist die Leistungs­
fähigkeit von Halbleitern immer näher an die
physikalischen Grenzen gerückt, sodass in
dieser Hinsicht kaum noch Verbesserungen zu
erwarten sind. Die Gehäuse hingegen bieten
noch erhebliches Potenzial zur Verbesserung
der Leistungsfähigkeit.
Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Gehäusen
für Leistungshalbleiter: Isolierte Module, bei
denen der elektrische Stromkreis durch einen
Keramikisolator galvanisch vom Kühlkörper
getrennt ist, und Druckkontaktmodule, bei
denen der Strom vertikal durch das gesamte
Modul, also auch durch den Kühlkörper fließt.
Beide Gehäuseformen eignen sich für IGBTs
(Insulated-Gate Bipolar Transistors) und IGCTs
(Integrated Gate-Commutated Thyristors). In
der Praxis werden IGCTs derzeit jedoch nur in
Druckkontaktgehäusen angeboten, während
IGBTs in beiden Varianten erhältlich sind. Für
Systeme mit niedrigen Ausgangsleistungen
(meist unter 1 MW) werden heute vorwiegend
isolierte Module eingesetzt, da sich die
Schaltung kostengünstiger realisieren lässt.
der Basis speziell entwickelter Hochleistungshalbleiter ➔ 1.
Erneuerbare Energien
Die zuverlässigsten erneuerbaren Energiequellen wie starke Winde, intensive Sonneneinstrahlung oder große Mengen fließenden Wassers sind in der Regel in
entlegenen Regionen, weit entfernt von
den Ballungs- und Industriezentren, zu finden. In einigen Fällen ist der Transport der
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➔ k Kupfer
➔ l Halbleiter
a
b
d
➔ h Kühlkörper
➔ i CTE1-Kompensation (Mo)
➔ j Gehäuse (Keramik)
ABB technik 4|10
Netzspannung geladen und wieder ent­
laden. Dieser Ladestrom steigt mit der
Kabel­länge. Ab einer bestimmten Länge ist
der zum Aufladen des Kabels und seiner
Ummantelung benötigte Strom so hoch,
dass keine nutzbare Leistung mehr übrig
bleibt. Doch lange vor Erreichen dieser
Länge wird die Energieübertragung unwirtschaftlich. In einem Gleichstromkabel hingegen fließt kein Ladestrom, womit die gesamte Leistung nutzbar bleibt. Um einen
effizienten Energietransport über große
Entfernungen mit geringen Verlusten zu ermöglichen, entwickelte ASEA, das schwedische Vorgängerunternehmen von ABB,
Anfang der 1950er Jahre ein GleichstromÜbertragungssystem mit einer Nennleistung von 30 MW zur Anbindung der Insel
Gotland an das schwedische Festland ➔ 2.
Das Besondere an dieser Verbindung war,
dass über sie große Energiemengen mit
Ab ca. 10 MW Ausgangsleistung ist hingegen
das Druckkontaktgehäuse die bevorzugte
Lösung. Dies hat vor allem folgende Gründe:
– Bei Systemen mit sehr hohen Ausgangs­
leistungen müssen die Halbleiter parallel
und/oder in Reihe geschaltet werden. Für
Letzteres bieten Druckkontaktgehäuse einen
erheblichen Vorteil, da die Module – jeweils
nur durch einen Kühlkörper getrennt – aufeinander gestapelt werden können. Ein Beispiel
hierfür sind HGÜ-Anlagen, in denen bis zu
200 Module in Reihe geschaltet werden.
– Ist ein garantiert unterbrechungsfreier
Stromfluss erforderlich (z. B. bei einem
Stromwechselrichter), muss ein Druck­
kontaktgehäuse verwendet werden. Im
Druckkontaktgehäuse verschmelzen beim
Versagen eines Halbleiters die metallischen
Polteile, wodurch ein niederohmiger Strom­p fad gewährleistet wird. In einem isolierten
Gehäuse hingegen fließt der Strom durch
Bonddrähte, die durch den Überstrom im
Fehlerfall aufschmelzen und den Stromfluss
unterbrechen.
Fußnote
1 CTE ist der Wärmeausdehnungskoeffizient
Elektrizität über große Entfernungen mithilfe
herkömmlicher Drehstrom-Übertragungssysteme wenig effizient oder auch gar nicht
möglich – zum Beispiel wenn Seekabel benötigt werden, um Offshore-Windparks mit
dem Festland zu verbinden. Das Problem
ist, dass Wechselstrom – ganz gleich ob
bei Höchst-, Hoch-, Mittel- oder Niederspannung – mit 50 oder 60 Hz (d. h. Perioden pro Sekunde) schwingt. In jeder Periode wird ein Wechselstromkabel mit der
Gemeinsam mit der
Energiewirtschaft
widmet sich ABB
der Entwicklung flexibler, effizienter und
zuverlässiger Netze.
geringen Verlusten per Seekabel übertragen werden konnten, was den Inselbewohnern eine zuverlässige und kostengünstige
Stromversorgung einbrachte. Seit dieser
ersten Anlage hat ABB die Technologie
weiterentwickelt und die empfindlichen
Quecksilberdampfventile zur Umwandlung
von Wechsel- in Gleichstrom und umgekehrt durch robuste Systeme auf der Basis
von Leistungshalbleitern ersetzt. Heute
werden einige der größten Städte der Welt,
darunter Shanghai, Delhi, Los Angeles und
Sao Paulo durch Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) mit Strom versorgt – und das oft über Tausende von
Kilo­metern. Daneben hat ABB mehrere
HGÜ-Seekabelverbindungen zwischen verschiedenen westeuropäischen Ländern
­realisiert, darunter auch die 580 km lange
NorNed-Verbindung zwischen Norwegen
und den Niederlanden. Außerdem zeichnet
ABB für die Anbindung verschiedener Offshore-Windparks verantwortlich, darunter
auch das Projekt Borwin 1 vor der deutschen Nordseeküste, der mit einer Entfernung von 128 km am weitesten vom Festland entfernte Windpark der Welt. Zur
2 Verlegung des HGÜ-Kabels nach Gotland
im Jahr 1954
3 Ventilhalle mit Thyristoren
4 Die 2.071 km lange UHGÜ-Verbindung von
Xiangjiba nach Shanghai
China
Shanghai
Xiangjiaba
Realisierung dieser Projekte hat ABB eine
Reihe von HGÜ-Systemen entwickelt, die
sich für eine Vielzahl von speziellen Anwendungen eignen.
Klassische HGÜ
Die klassische HGÜ (nach engl. High-Voltage Direct Current auch „HVDC Classic“ genannt) ist, wie der Name bereits andeutet,
die Vorreitertechnologie, bei der anfangs
noch Quecksilberdampfventile verwendet
wurden. Heute erfolgt die Umwandlung
des Stroms mithilfe von Thyristoren (siehe
die Beschreibung der Halbleiterelemente in
„Halbleiter entmystifiziert“ auf Seite 27 der
ABB Technik 3/2010). Die Thyristoren werden in Reihe geschaltet und in Modulen
angeordnet, wobei jeder Thyristor eine
Spannung von 8,5 kV bewältigen kann.
Diese Module mit Druckkontakt-Gehäusen
werden wiederum in Reihe geschaltet und
so gestapelt, dass sie ein Thyristorventil mit
der gewünschten Gesamtspannung ergeben ➔ 3. Die Schaltfrequenz jedes Thyristors beträgt in dieser Anwendung 50 Hz
(bzw. potenziell 60 Hz). Das System wird in
erster Linie zur Übertragung großer Leistungen über weite Entfernungen entweder
über Land oder unter Wasser verwendet
und ermöglicht die Kopplung von Stromnetzen zur Verbesserung der Stabilität, wo
dies mit der herkömmlichen Drehstromtechnik nicht möglich ist. Heutige HGÜSysteme zeichnen sich durch eine sehr
hohe Belastbarkeit und eine hervorragende
Zuverlässigkeit aus. Die Umrichterverluste
sind niedrig und die Ausrüstungskosten bei
dieser vergleichsweise ausgereiften Technologie überschaubar. In den Stromnetzen
der Zukunft wird die HGÜ eine bedeutende
Rolle spielen, und ABB ist in der einzigartigen Lage, alle wichtigen Komponenten von
den Kabeln, Umrichtern und Transformatoren bis hin zu den Leistungshalbleitern fertigen zu können.
Ultrahochspannungs-Gleichstrom­
übertragung
Dank jüngster technischer Fortschritte sind
mit der Ultrahochspannungs-GleichstromÜbertragung (UHGÜ) inzwischen Nennspannungen von bis zu 800 kV möglich.
Um dieses Spannungsniveau zu erreichen,
wurde ein neuer 6-Zoll-Thyristor mit einer
Fläche von 130 cm² eingeführt, durch den
der Normalstrom ohne Beeinträchtigung
der Schaltfrequenz auf 4.000 A erhöht werden konnte. Solche Innovationen ermög­
lichen den größten Sprung in der Übertragungskapazität und -effizienz seit mehr als
zwei Jahrzehnten. Zurzeit wird diese Technologie genutzt, um 6.400 MW über eine
Entfernung von 2.071 km vom Wasserkraftwerk in Xiangjiaba im Südwesten Chinas nach Shanghai im Osten des Landes
zu transportieren, um ca. 31 Millionen Menschen mit sauberem Strom zu versorgen ➔ 4.
HVDC Light
Eine nützliche Variante der klassischen
HGÜ ist die in den 1990er Jahren von ABB
entwickelte HVDC-Light®-Technologie. Bei
dieser Technologie werden Transistoren
anstelle von Thyristoren zur Umwandlung
des Stroms verwendet. HVDC Light ermöglicht ebenfalls die Übertragung von
Strom über große Entfernungen mithilfe
umweltschonender Erd- und Seekabel
oder Freileitungen. Mithilfe von schnellen,
5 StakPak™-Modul mit IGBTs
Silizium-Wafer mit Chips
StakPakTM-Modul
Einzelner IGBT-Chip
Submodul
ABB hat mehrere
HGÜ-Seekabel­
verbindungen
­z wischen verschiedenen westeuro­
päischen Ländern
realisiert, darunter
auch die 580 km
lange NorNed-Verbindung zwischen
Norwegen und den
Niederlanden.
Leistungselektronik in der Energieversorgung
­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­23
6 Ventilhalle mit IGBTs
7 Bedeutende HVDC-Light- und SVC-Anlagen
Projekt
Anzahl der
Umrichter
gategesteuerten Halbleiterschaltern, sogenannten Insulated-Gate Bipolar Transistors
(IGBTs), konnten jedoch moderne Spannungszwischenkreis-Umrichter
(Voltage
Source Converter, VSC) in das System integriert werden, die eine schnelle Einspeisung und Aufnahme von Blindleistung er-
mit etwa 200.000 IGBT-Chips in Reihe
­geschaltet (➔ 5 und ➔ 6). Jedes StakPakModul besteht aus mehreren (2, 4 oder 6)
Submodulen. Die Schaltfrequenz des IGBT
lässt sich anwendungsspezifisch festlegen
und liegt normalerweise im Bereich von
­einigen hundert Hertz bis 1 kHz. Durch
die Anordnung von
IGBTs auf diese
Weise entsteht ein
kompakter, sehr gut
regelbarer leistungselektronischer Umrichter, der in der
Lage ist, auch in
Netzregionen ohne
zusätzliche Stromquellen eine hohe
Spannungsstabilität
zu gewährleisten.
Das erste HVDC-Light-Projekt war eine
10-kV-Versuchsleitung in Hällsjön-Grängesberg (Schweden), die 1997 fertiggestellt
wurde. Seitdem wurden zahlreiche Umrichterstationen errichtet. Die größte hat
einen maximalen Abschaltstrom von 4.000 A
und kann unter Kurzschlussbedingungen
bis zu 18 kA standhalten ➔ 7.
ABB ist in der einzigartigen Lage,
von den Kabeln, Umrichtern und
Transformatoren bis hin zu den
Leistungshalbleitern alle wichtigen Komponenten für das Netz
der ­Zukunft fertigen zu können.
möglichen. Aufgrund ihrer überragenden
Fähigkeit, die Wechselspannung an den
Anschlusspunkten zu stabilisieren, ist diese
Technologie ideal für Windparks, wo es
aufgrund unterschiedlicher Windgeschwindigkeiten zu starken Spannungsschwankungen kommen kann. Die ausgezeichnete
Regelbarkeit und Flexibilität dieser Systeme hat außerdem zu einem verstärkten
Einsatz bei der Anbindung von Öl- und
Gasplattformen an das Festland und bei
der Kopplung von Stromnetzen geführt.
Die ausgezeichnete Regelbarkeit von
HVDC Light ist im Wesentlichen auf die
IGBT-Halbleiterelemente zurückzuführen.
Genau wie Thyristoren können IGBTs in
Reihe geschaltet werden, um eine höhere
Nennspannung zu erreichen.
Anders als Thyristoren, die über einen
Gate­strom angesteuert werden, ist zur
Steuerung von IGBTs nur ein kleines Spannungssignal erforderlich. Für ein HVDCLight-System mit einer Nennleistung von
300 MW werden 6.000 StakPak-Module
­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­24
ABB technik 4|10
Flexible Drehstrom-Übertragungs­
systeme (FACTS)
Die in Wechselstromnetzten auftretende
Blindleistung stellt seit jeher eine beson­
dere Herausforderung dar. Diese Komponente der Wechselstromleitung wird von
Kondensatoren, Transformatoren und Induktionsmotoren verbraucht, die häufig in
Drehstromnetzen zu finden sind. Der durch
diese Elemente im System verursachte
Leistungsverlust ist auf die Erzeugung von
Magnetfeldern (bei induktiven Elementen)
bzw. elektrischen Feldern (bei kapazitiven
Elementen) zurückzuführen, wodurch sich
die im System verfügbare Wirkleistung
Jahr der
Inbetrieb- nahme
1 Hällsjön
2
1997
2 Hagfors (SVC)
1
1999
3 Gotland
2
1999
4 Directlink
6
2000
5 Tjæreborg
2
2002
6 Eagle Pass
2
2000
7 Moselstahlwerke (SVC) 1
2000
8 Cross Sound Cable
2
2002
9 Murraylink
2
2002
10Polarit (SVC)
1
2002
11Evron (SVC)
1
2003
12Troll A
4
2005
13Holly (SVC)
1
2004
14Estlink
2
2006
15Ameristeel (SVC)
1
2006
16ZPSS (SVC)
1
2006
17Mesnay (SVC)
1
2008
18Martham (SVC)
1
2009
19Liepajas (SVC)
1
2009
20Siam Yamato (SVC)
1
2009
21BorWin 1 (Nord E.ON 1) 2
2010
22Caprivi Link 2
2010
23Valhall
2
2010
24Liepajas Metalurgs (SVC) 1
2010
25Danieli – GHC2 (SVC)
1
2011
26 Danieli – UNI Steel (SVC) 1
2011
27 EWIP
2012
2
­ ffektiv verringert (zur Erklärung von Wirke
und Blindleistung siehe Seite 35 der ABB
Technik 3/2009). Unter induktiven Bedingungen können Blindleistungskompen­
satoren wie Kondensatorbänke ➔ 8 automatisch zugeschaltet werden, um die
Systemspannung zu erhöhen. Unter kapazitiven Bedingungen können Drosselspulen
verwendet werden, um Blindleistung aufzunehmen und so die Systemspannung zu
senken. Wird die Blindleistung nicht lokal
kompensiert, fließt sie durch die Übertragungsleitungen, was zur Destabilisierung
des Netzes und sogar zu Blackouts führen
kann. Der Begriff FACTS umfasst eine
Gruppe von Technologien, mit denen die
Sicherheit, Kapazität und Flexibilität von
Übertragungsnetzen verbessert werden
kann. Diese Systeme können entweder in
Reihenschaltung – z. B. thyristorgesteuerte
Reihenkondensatoren (TCSCs) oder thyristorgesteuerte Reihendrosselspulen (TCSRs)
– oder in Parallelschaltung – z. B. statische
Blindleistungskompensatoren (SVCs) oder
statische
synchrone
Kompensatoren
(STATCOMs) – in neue oder vorhandene
Übertragungsnetze integriert werden. Diese Systeme ermöglichen eine Optimierung
8 Kondensatorbank
des Leistungsflusses und Stabilisierung der
Spannung durch Kompensation der Blindleistung mithilfe leistungselektronischer
Elemente.
TCSCs und TCSRs
Thyristoren können zur automatischen Zuschaltung von Kondensatoren (in Form von
TCSCs) oder Drosselspulen (in Form von
TCSRs) zur Stabilisierung der Spannung
verwendet werden. TCSCs eignen sich besonders zur Spannungsstabilisierung an
Kuppelleitungen zwischen Übertragungsnetzen. Der brasilianische Energieversorger
Eletronorte betreibt zum Beispiel seit Frühjahr 1999 einen TCSC und fünf in Reihe
geschaltete Festkondensatoren von ABB
an der 500-kV-Kuppelleitung zwischen
dem nördlichen und südlichen Teil seines
Netzes ➔ 9. Insgesamt hat ABB hier Reihenkondensatoren für etwa 1.100 Mvar installiert, die eine hohe dynamische Stabilität in
beiden miteinander gekoppelten Netzen
gewährleisten.
SVCs
Sowohl bei der klassischen HGÜ als auch
bei der UHGÜ müssen am Anschlusspunkt
an das Drehstromnetz statische Blindleistungskompensatoren (SVCs) eingesetzt
werden, um Blindleistung einzuspeisen
oder aufzunehmen. Der Grund dafür ist,
dass HGÜ-Systeme lediglich Wirkleistung
übertragen können, womit sie eine wirk­
same Sperre für Blindleistungsflüsse darstellen. Dies kann einerseits dabei helfen,
die dominoartige Ausbreitung von Blindleistungsflüssen über das gesamte Netz
und dadurch verursachte Spannungszusammenbrüche und Blackouts zu verhindern, aber andererseits auch die Verfügbarkeit von Blindleistungsquellen reduzieren. Zum Ausgleich dieses Defizits müssen
an den Anschlusspunkten SVCs installiert
9 TCSC in Imperatriz, Brasilien
werden, die bei Bedarf Blindleistung lokal
bereitstellen oder aufnehmen, um die Stabilität sicherzustellen.
Eine der Folgen der Kopplung von Stromnetzen für den Energiehandel ist eine erhöhte Anfälligkeit für sich ausbreitende
Probleme. Die Kopplung von Drehstromnetzen mithilfe von HGÜ-Systemen bietet
zwei Vorteile: Zum einen bilden sie wie
oben beschrieben eine Sperre für Blindleistungsflüsse, und zum anderen ermöglichen
sie die Kopplung von Netzen mit unterschiedlichen Frequenzen bzw. Netzen mit
gleicher Nennfrequenz, aber ungleichem
Phasenverhältnis bzw. beidem (d. h. unterschiedliche Frequenz und Phasenanzahl).
Solche Verbindungen müssen nicht lang
sein. Es genügt eine Kurzkupplung in Form
einer sogenannten Back-to-Back-Station,
bei der die statischen Wechselrichter und
Gleichrichter im selben Gebäude untergebracht sind.
STATCOM
Ähnlich wie bei der HVDC-Light-Technologie, bei der die Funktion des Spannungszwischenkreis-Umrichters (VSC) durchIGBTs realisiert ist, um eine schnelle
Einspeisung und Aufnahme von Blindleistung zu gewährleisten, kommen IGBTs
auch bei der SVC-Light®-Technologie zum
Einsatz. SVC Light ist ein statischer synchroner Kompensator (STATCOM), der
ähnlich wie ein thyristorbasierter SVC funktioniert, jedoch auf einem Spannungszwischenkreis-Umrichter (VSC) basiert. Die
IGBT-Halbleiterelemente für SVC Light werden in StakPaks angeordnet und in Reihe
geschaltet, um die erforderliche Spannung
zu erreichen ➔ 10. Die bessere Regelbarkeit
von IGBTs ermöglicht eine höhere Netzqualität und die Reduktion von Flicker, wie er
zum Beispiel durch den Betrieb von Lichtbogenöfen verursacht wird. Licht­bogenöfen
10 SVC-Light-Stapel
Die Bereitstellung
von mehr Kapazität
im Hinblick auf eine
zunehmende Zahl
von Elektrofahrzeugen und ein verstärktes Bedarfsmanagement erhöhen
die Komplexität und
treiben die Entwicklung intelligenterer,
flexiblerer und zuverlässigerer Netze
voran.
Leistungselektronik in der Energieversorgung
­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­25
11 SVC Light mit Energy Storage
12 Zunahme der Übertragungskapazität in den letzten Jahren
Klassische HGÜ
Übertragungskapazität (MW)
HVDC Light
Spannung (V)
Übertragungskapazität (MW)
800
p
Ka
zit
nu
pa
an
ng
400
Ka
Sp
ät
600
4.000
2.000
Verluste (%)
800 1.000
6.000
Verlu
s
az
itä
t
3
te
1
200
1970
1990
Jahr
2000
2010
2010
Jahr
Bedeutende Innovationen
Kapazität seit 2000 versechsfacht
Spannung seit 1970 von 100 kV
auf 800 kV gestiegen
SVC Light mit
Energy Storage
ermöglicht die
­unabhängige
und dynamische
Regelung von
Wirk- und Blindleistung im Netz.
sind nicht nur große Verbraucher von Wirkleistung, sondern auch von Blindleistung.
Um den schnell schwankenden Blindleistungsverbrauch dieser Öfen zu kompensieren, ist eine ebenso schnelle Kompensa­
tionseinrichtung erforderlich. Diese schnelle
Reaktion kann mithilfe moderner IGBTTechnologie realisiert werden. Dank dieser
stufenlos regelbaren und hoch belastbaren
Halbleiterelemente ist SVC Light in der
Lage, hohe dynamische Blindleistungsanforderungen im Bereich von mehreren zehn
MVA bis über 100 MVA zu erfüllen.
SVC Light mit Energy Storage
Die zunehmende Nutzung erneuerbarer
Energien bringt ein gewisses Maß an Instabilität in das Netz. Um die Stabilität und Zuverlässigkeit des Netzes zu verbessern, hat
ABB ein neues Mitglied der FACTS-Familie
entwickelt: SVC Light® mit Energy Storage ➔ 11. Hierbei handelt es sich um ein
dyna­misches Energiespeichersystem auf
der Basis von Lithium-Ionen-Akkus, das
nicht nur wie SVC Light Blindleistung, sondern auch Wirkleistung bereitstellen kann
und somit eine Alternative zum Ausbau der
Übertragungs- und Verteilungskapazität
zur Deckung von Spitzenlasten darstellt.
Die typische Nennleistung und Speicherkapazität des Systems liegt derzeit bei 20 MW
für 15 bis 45 Minuten, doch eine Skalierung
auf bis zu 50 MW für 60 Minuten und länger ist möglich.
Kapazität seit 2000 verzehnfacht
Verluste seit 2000 von 3 % auf 1 %
je Umrichter gesunken
tem, das in klassischen HGÜ-, SVC- und
SVC-Light-Anlagen sowie in einer­ Reihe
weiterer Anwendungen zur schnellen und
exakten Steuerung von Halbleitern eingesetzt wird, um eine präzise Spannungs- und
Leistungsregelung zu ermöglichen.
In heutigen Strommetzen ist ein höheres
Maß an technischer Raffinesse erforderlich,
um trotz der unbeständigen Natur von
­erneuerbaren Energiequellen wie Wind,
Sonne, Wellen und Gezeiten eine stabile,
zuverlässige und bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen. Um die neuen Anforderungen an das Stromnetz zu erfüllen,
werden fortwährend innovative leistungselektronische Systeme mit verbesserter
Leistungsfähigkeit in neue und vorhandene
Netzstrukturen integriert.
Die Leistungsfähigkeit der klassischen HGÜ
und von HVDC Light ist in den letzten zehn
Jahren deutlich gestiegen ➔ 12. In der Zukunft wird die Entwicklung der Halbleitertechnologie in visionären Projekten wie
Deser­tec und Gleichstromnetzen ihre Fortsetzung finden.
Claes Rytoft
ABB Power Systems
Zürich, Schweiz
[email protected]
Peter Lundberg
ABB Grid Systems
Västerås, Schweden
[email protected]
MACH2 -Leitsystem
Die Einführung leistungselektronischer
Komponenten in das Stromnetz liefert auch
die Grundlage für ein wirksames Lastflussmanagement. Um eine maximale Leistungsfähigkeit sicherzustellen, wurden effiziente Werkzeuge zur Steuerung, Überwachung und Analyse von HGÜ-Systemen
entwickelt. Das MACH2TM-System von ABB
ist ein leistungsstarkes Leit- und SchutzsysTM
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ABB technik 4|10
Harmeet Bawa
ABB Power Products and Power Systems
Zürich, Schweiz
[email protected]
Mark Curtis
ABB Corporate Communications
Zürich, Schweiz
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