Mai 2016 Zusammenfassung Vortrag „Die Würde des Menschen im Alter – Demenz und weitere Veränderungen der kognitiven Leistung bei Tinnitus und Schwerhörigkeit“ Der Fokus des ersten Vortrags von Dr. Petra Brüggemann im Rahmen der 7. Berliner Stiftungswoche am 20. April 2016 in der Charité lag auf der Verbindung von Demenz und Hörschäden bzw. Tinnitus. Mit dem Alter nimmt bei vielen Menschen auch die Hörfähigkeit ab. Haarzellen und neuronale Strukturen im Innenohr können degenerieren, bei manchen Menschen wird die zentrale Verarbeitung im Gehirn langsamer. Zudem kann sich die Fähigkeit der „Sprachdiskrimination“ mit zunehmendem Alter verringern, dann werden höhere Frequenzen und Stimmen nicht mehr so gut erkannt bzw. unterschieden. Ebenso wie schlechteres Sehen kann auch schlechteres Hören zur Abnahme der sogenannten fluiden Intelligenz, der Fähigkeit des aktuellen Informationsmanagements, führen. Doch Betroffene können dies proaktiv angehen: Mit Hilfe von individuell angepassten Hörgeräten kann nicht nur das Hören, sondern bei vielen auch die Kommunikationsfähigkeit verbessert und damit eine soziale Abgrenzung verhindert werden. Eine multimodale Therapie kann zudem helfen, den Tinnitus im Alltag weniger wahrzunehmen. Zwei zentrale Aspekte hob Frau Dr. Brüggemann in diesem Vortrag besonders hervor: 1 Schlechtes Hören im Alter kann zu Wahrnehmungsdefiziten und dadurch teilweise sogar zu einer Minderung der fluiden Intelligenz und des eigenen „Arbeitsspeichers“ führen.1 Daher ist es besonders wichtig, Schwerhörigkeit früh zu erkennen und zu behandeln. Durch Hörgeräte und Therapien kann die Hörfähigkeit verbessert und damit auch das Fortschreiten von Demenz-Erkrankungen verlangsamt werden. Das belegen auch aktuelle Studien. 2 Das menschliche Hörsystem ist direkt mit dem limbischen System im Gehirn verbunden, das die Empfindungen und Emotionen steuert. Schlechtes Hören kann daher zu Angst und Depressionen führen.3 Auch Stress spielt eine große Rolle und kann sich negativ auswirken. Für ältere Menschen ist es auch aus diesem Grund besonders wichtig, Hörprobleme aktiv anzugehen und so psychischen Belastungen vorzubeugen. Vgl. Z.B. Lehrl & Seifert; HNO 2003; 51: 296-304 und Lin et al.; Arch Neurol 2011; 68 (2): 214-220, zu Verringerung der Sprachdiskriminierung siehe z.B. Grose u. Mamo; Ear & Hearing, 2010. 31: p. 755-760. 2 Vgl z.B. Lehrl et al.; HNO 2005; 53:852-862 und Acar et al., Arch Gerontol Geriatr 2010; 52 (3): 250-252 und Dawes et al.; PLOS one 2015; DOI: 10.1371 3 Vgl z.B. Nachtegaal et al., Ear & Hearing 2009; 30: 302-312 Mai 2016 Altersschwerhörigkeit kann die Lebensqualität erheblich beeinflussen, das zeigen auch verschiedene Studien. Bei einer Befragung von über 2.000 Schwerhörigen im Jahr 20154 wurde beispielsweise deutlich, dass Ängste und Depressionen unter schwerhörigen älteren Personen sehr häufig vorkommen. Zudem korreliert ein größerer Hörverlust offenbar auch mit einer geringeren physischen Fitness, da beispielsweise das Gleichgewicht, aber auch die Motivation, sich zu bewegen, eingeschränkt sind. Schwerhörige sind daher weniger belastbar und ermüden schneller.5 Leider gibt es bisher nur wenige empirische Daten zu Demenz und Schwerhörigkeit bzw. Tinnitus. Allerdings konnten erste Erhebungen bereits zeigen, dass kognitive Defizite und Demenz mit Einschränkungen der zentralen Hörverarbeitung verbunden sind. Ein möglichst frühzeitiger Ausgleich sensorischer (also auditiver, visueller und audiovisueller) Defizite kann daher helfen, die demenzielle Entwicklung zu verlangsamen. Eine große Schwierigkeit ist zudem, dass viele Menschen als dement wahrgenommen werden, obwohl sie eigentlich „nur“ schwerhörig sind.6 Wie sich jedoch in gerontologischen Studien bereits gezeigt hat, können ältere Hörgeschädigte durch das frühzeitige Tragen von Hörgeräten sowohl ihre psychosozialen als auch ihre kognitiven Funktionen verbessern. Verbessertes Hören mindert auch Ängste und Depressionen und trägt so zur verbesserten sozialen Integration bei. 4 Siehe Carlsson et al.; Disabil and rehabil 2015; 37: 1849-1856 Vgl. z.B. Carlsson et al.; Disabil and rehabil 2015; 37: 1849-1856 oder Chen et al., J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2015, 70(5): 654-661 6 Vgl. z. B. Trauschke, T., et al., Z Gerontol Geriatr. 2009; 42 (5): 385-390 5