ifo Institut ifo dresden studien 33

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ifo dresden studien
33
Standortbedingungen in Polen, Tschechien und Ungarn
und die Position Sachsens im Standortwettbewerb
ifo dresden studien
von
Wolfgang Gerstenberger, Joachim Jungfer, Heinz Schmalholz
ifo Institut
33
für Wirtschaftsforschung
Niederlassung Dresden
ifo dresden studien
33
Standortbedingungen in Polen, Tschechien und Ungarn
und die Position Sachsens im Standortwettbewerb
Gutachten im Auftrag der Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH
von
Wolfgang Gerstenberger
Joachim Jungfer
Heinz Schmalholz
ifo Institut
für Wirtschaftsforschung
Niederlassung Dresden, 2002
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Gerstenberger, Wolfgang:
Standortbedingungen in Polen, Tschechien und Ungarn und die Position Sachsens im Standortwettbewerb / von Wolfgang Gerstenberger;
Joachim Jungfer; Heinz Schmalholz. ifo Institut für
Wirtschaftsforschung, Niederlassung Dresden. München: ifo Inst. für Wirtschaftsforschung, 2002.
(ifo Dresden-Studien; 33)
ISBN 3-88512-407-6
ISBN 3-88512-407-6
ISSN 0946-7920
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlags ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) oder auf andere Art zu vervielfältigen.
 by ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, 2002.
Druck: ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München
I
Vorwort
Welche unterschiedlichen Vorteile genießen Unternehmen, wenn sie in Sachsen, Tschechien, Polen oder Ungarn investieren? Welcher Standort ist der profitabelste? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Jedes der vier Länder
bemüht sich, mit zahlreichen Anreizen die anderen zu übertreffen, wenn es
darum geht, inländisches oder ausländisches Kapital anzuziehen.
Ein Vergleich ist in Anbetracht der zum Teil völlig unterschiedlichen Fördermaßnahmen auch relativ mühsam. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die
Höhe der Förderung sich vielfach nach bestimmten Kriterien der Rückständigkeit einer Region richtet, wie z. B. einer fehlenden Transportinfrastruktur oder
hoher Arbeitslosigkeit. Der Investor, der kostengünstiger produzieren möchte
oder neue Märkte erschließen will, steht vor einer schier unüberblickbaren Zahl
von Einzelinformationen. Zum einen muss er unterschiedliche monetär erfassbare Größen vergleichen, wie Lohnhöhe, Investitionszuschüsse, Investitionsbeihilfen, Steuernachlässe, Steuerbefreiungen oder -erleichterungen, Abschreibungsvergünstigungen, und das alles unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Arbeitsproduktivität und potenziellen Anlaufverluste zu Beginn der Produktion.
Zu den investitionsrelevanten Sachverhalten gehört aber noch weit mehr, z. B.
unternehmerische Dienstleistungen, die Transportinfrastruktur, das Telefonnetz,
die Existenz von Zulieferern, die Nutzungsmöglichkeiten von Forschungs- und
Entwicklungseinrichtungen sowie die Qualität des Humankapitals, Managementkenntnisse, welche eine moderne Marktwirtschaft erfordert oder die berufliche Ausbildung der Arbeitnehmer. Außerdem möchte der Investor wissen: Wie
hoch ist die Bereitschaft Überstunden, Wochenendarbeit oder Schichtdienst zu
leisten? Welche Regulierungen gibt es am Arbeitsmarkt? Wie groß ist die Macht
der Gewerkschaften?
Auch die Bedeutung der Behörden darf nicht übersehen werden. Sie können
entweder hilfsbereit sein oder Unternehmen stark behindern. Sie können die
Zusage von Fördermaßnahmen einhalten, verweigern oder Anträge mit einem
für Unternehmen unzumutbaren Tempo bearbeiten. Die Autoren der Studie
drücken sich dabei auch nicht vor dem Thema Korruption. Wo, wann und in
welchem Ausmaß ist Korruption unausweichlich? Kann man sich auf Gerichte
verlassen und berechtigte Forderungen durchsetzen? Welche Rolle spielt der
II
künftige EU-Beitritt bei der Reform des Rechtsystems? Wie werden EUVorschriften akzeptiert und durchgesetzt? Ebenso wichtig ist auch das persönliche Wohlergehen und die Lebensqualität für die an ausländischen Standorten
tätigen Mitarbeiter, insbesondere die Freizeitmöglichkeiten, das kulturelle Angebot und das Gesundheitswesen.
Alle diese Fragen werden in der vorliegenden Untersuchung systematisch behandelt. Die Studie wurde von der Wirtschaftsförderung Sachsen beim ifoInstitut Dresden in Auftrag gegeben und auch von der Zukunftsagentur Brandenburg bei der Durchführung unterstützt. Erarbeitet wurde sie von Wolfgang
Gerstenberger, Joachim Jungfer und Heinz Schmalholz. Die drei Wissenschaftler haben sich mit ähnlichen Fragestellungen schon häufig beschäftigt,
sodass es ihnen gelang, Schritt für Schritt die investitionsrelevanten Determinanten herauszuarbeiten und Ordnung in das Puzzle zu bringen, um interessierten Investoren ihre Entscheidungen bei der Standortwahl zu erleichtern.
München, im August 2002
Prof. Dr. Dr. H.C. Hans-Werner Sinn
Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung
III
INHALTSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
VI
VII
VIII
I.
ZIELE DER STUDIE
1
II.
NEUE ERKENNTNISSE DER TRANSFORMATIONSTHEORIE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE
BEURTEILUNG DER STANDORTATTRAKTIVITÄT
3
III.
STANDORTFAKTOREN IN DER ÖKONOMISCHEN THEORIE
7
1.
1.1
1.2
2.
3.
Traditionelle Standorttheorien
Volkswirtschaftslehre
Betriebswirtschaftslehre
Neuere Standorttheorien
Fazit: Untersuchungsrelevante Faktoren
7
7
8
10
14
IV.
STANDORTPOSITION DER LÄNDER IM SPIEGEL DER LITERATURAUSWERTUNG
17
1.
1.1
1.2
1.3
1.4
Arbeitskosten, Arbeitsproduktivität und Lohnstückkosten
Niveau und Entwicklung der Durchschnittslöhne
Lohndifferenzierung nach Branchen und Qualifikationen
Lohnnebenkosten
Lohnniveaus für ausländische Unternehmen dargestellt am Beispiel Tschechiens
und Ungarns
Arbeitsproduktivität
Entwicklung der Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe im Vergleich
Arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen
Rolle der Gewerkschaften
Mobilität der Arbeitskräfte
Sonstige Rahmenbedingungen
Steuern
Qualität der Infrastruktur
Unternehmensbezogene Infrastruktur
Bildungsinfrastruktur
Infrastruktur für Forschung, Entwicklung und Innovation
Netzwerke
Qualität staatlicher Institutionen
Korruption
Staatliche Fördermaßnahmen
Lebensqualität
17
18
20
21
1.5.
1.6
2.
2.1
2.2
2.3
3.
4.
5.
5.1
5.2
5.3
6.
7.
8.
9.
22
25
27
31
32
36
38
44
51
56
56
60
66
67
72
78
86
IV
10.
10.1
10.2
10.3.
11.
Besonders wichtige makroökonomische Indikatoren
Privatisierung und Direktinvestitionen
Wechselkurse
Länderrisikoindikatoren
Folgerungen aus der Literaturanalyse für die Attraktivität der MOE-Länder
als Investitionsstandort
88
88
90
96
99
V.
ERGEBNISSE DER UMFRAGE ZU AUSGEWÄHLTEN STANDORTBEDINGUNGEN
103
1.
1.1
1.2
1.2.1
1.2.2
1.2.3
1.2.4
1.2.5
1.3
1.4
2.
Informationsgewinnung
Schriftliche Befragung
Charakteristika der erfassten Unternehmen
Unternehmensgröße
Branchenzugehörigkeit
Investiertes Kapital
Status der Unternehmen
Absatzorientierung
Unternehmensinterviews
Darstellung der Ergebnisse
Rahmenbedingungen deutscher Investoren in Polen, Tschechien und
Ungarn im Vergleich zur Situation in Sachsen
Arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen
Motivation und Engagement der Beschäftigten
Abwesenheitsrate
Betriebsrat
Betriebsklima
Qualifikation und Verfügbarkeit von Mitarbeitern
Anlernzeiten
Industrielle Infrastruktur
Vorleistungsbezug
Qualität der inländischen Zulieferer
Nutzung des inländischen FuE-Potenzials
Qualität der Infrastrukturausstattung
Qualität der öffentlichen Dienste und der Verwaltung
Image von Behörden
Einhaltung von Zusagen
Fristen für Behördenvorgänge
Einflussnahme auf Verwaltungsvorgänge
Gerichtswesen
Staatliche Fördermaßnahmen
Bewilligungsdauer von Fördermaßnahmen
Einhaltung von Zusagen
Lebensqualität
Beurteilung der Standortwahl
Zusammenfassung
103
103
104
104
104
107
109
109
110
111
2.1
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.1.4
2.1.5
2.1.6
2.2
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.3
2.4
2.4.1
2.4.2
2.4.3
2.4.4
2.4.5
2.5
2.5.1
2.5.2
2.6
2.7
2.8
111
111
111
113
114
115
118
121
123
123
124
126
128
130
130
131
132
133
134
136
136
137
138
140
143
V
VI.
1.
1.1
1.2
1.2.1
1.2.2
1.2.3
1.3
1.4
2.
2.1
2.2
MODELLRECHNUNG ZUR FÖRDERPOLITIK: STEUERVERGÜNSTIGUNGEN
VERSUS INVESTITIONSZUSCHÜSSE UND -ZULAGEN
145
145
146
147
148
148
149
150
151
153
153
2.3
2.4
2.5
3.
Zum Untersuchungsansatz
Zum Konzept des Gegenwartswertes einer Investition
Grundstruktur des Modells
Erfassung von Produktionsbedingungen und des ökonomischen Rahmens
Anbindung des Fördersystems
Einbeziehung der übrigen Einflussgrößen auf den Gegenwartswert
Verdichtung der Vielzahl von Fördermaßnahmen zu Förderstufen
Möglichkeiten und Grenzen des Systems
Ergebnisse der Anwendung des Systems
Einfluss der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf den Gegenwartswert
Einfluss der Anpassung des Faktoreinsatzverhältnisses an die
abweichenden Faktorpreisrelationen
Einfluss der speziellen Investitionsfördermaßnahmen
Einfluss niedrigerer Gewinne in den ersten Betriebsjahren
Einfluss der Größe des Investitionsobjekts
Zusammenfassung
VII.
ZUSAMMENFASSUNG DER UNTERSUCHUNG
165
VIII.
ARGUMENTE FÜR DEN STANDORT SACHSEN IM VERGLEICH ZU POLEN, TSCHECHIEN UND
UNGARN
171
1.
2.
3.
4.
5.
Löhne
Infrastruktur
Rechtssicherheit sowie politische und administrative Risiken
Förderpolitik
Lebensqualität
LITERATURVERZEICHNIS
156
158
160
161
163
171
172
174
176
177
177
VI
TABELLENVERZEICHNIS
Seite
Tabelle IV.1
Tabelle IV.2
Tabelle IV.3
Tabelle IV.4
Tabelle IV.5
Tabelle IV.6
Tabelle IV.7
Tabelle IV.8
Tabelle IV.9
Tabelle IV.10
Tabelle IV.11
Tabelle IV.12
Tabelle IV.13
Tabelle IV.14
Tabelle IV.15
Tabelle IV.16
Tabelle IV.17
Tabelle IV.18
Tabelle IV.19
Tabelle IV.20
Tabelle IV.21
Tabelle IV.22
Tabelle IV.23
Tabelle IV.24
Tabelle IV.25
Tabelle IV.26
Tabelle V.1
Tabelle V.2
Tabelle V.3
Tabelle V.4
Tabelle V.5
Tabelle V.6
Tabelle V.7
Euro Referenzkurse der Europäischen Zentralbank
Veränderung des Konsumentenpreisindex
Höhe und Veränderung der Arbeitskosten im Vergleich
Bruttolohnkosten pro Monat nach ausgewählten Branchen im Vergleich
Gewicht der Lohnnebenkosten für die Arbeitskosten
Verdienste bei ausländischen Tochterunternehmen und bei lokalen
Firmen in Ungarn
Arbeitskosten 2000 in Sachsen und Tschechien im Vergleich
Arbeitsproduktivität im Unternehmenssektor im Jahr 2000
Entwicklung der Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe nach
Ländern
Gewerkschaften und Lohnverhandlungen
Unternehmen mit Tarifbindung oder Tariforientierung
Streiks und Aussperrungen in Polen, Ungarn, Deutschland und
Großbritannien im Vergleich
Arbeitsmobilität in Ungarn und in Polen
Gesetzliche Regelungen bezüglich Löhnen, Arbeitszeit u. ä.
Steuersätze in Mittel- und Osteuropa im Vergleich zu Deutschland
Infrastrukturausstattung
Ressourcen für Forschung und Entwicklung 1992 - 1999
Ergebnis einer Befragung der Weltbank von Managern über
Unzufriedenheit mit bestimmten institutionellen Faktoren (1997)
Umfang und Durchsetzung von Wirtschaftsgesetzen und Gesetzen
zur Regulierung des Finanzwesens
Korruptions-Index 2000 von Transparency International
Anteil der durch State Capture geschädigten Firmen
Anteil des Jahresumsatzes zur Bestechung von Verwaltungsbeamten
und Relation der staatlich besoldeten Richter zu privaten Anwälten
Investitionsbedingungen in den drei MOE-Ländern
Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt in Deutschland, Polen,
Tschechien und Ungarn (1997)
Stand der Privatisierung
Direktinvestitionen in Polen, Tschechien und Ungarn
Wechselkursregime und Geldpolitik
Internationale Länder-Bonitätsrangliste des Institutional Investor’s
Befragungsstatistik
Branchenstruktur der antwortenden Unternehmen
Am Standort investiertes Kapital
Unternehmensstatus
Absatzmarkt
Beurteilung der Mitarbeiter
Abwesenheitsrate
X
X
19
20
22
23
24
25
29
32
33
35
37
44
51
52
62
68
69
74
75
77
85
87
88
89
92
98
103
105
108
109
110
112
113
VII
Tabelle V.8
Tabelle V.9
Tabelle V.10
Tabelle V.11
Tabelle V.12
Tabelle V.13
Tabelle V.14
Tabelle V.15
Tabelle V.16
Tabelle V.17
Tabelle V.18
Tabelle V.19
Tabelle V.20
Tabelle V.21
Tabelle VI.1
Tabelle VI.2
Tabelle VI.3
Veränderung der Abwesenheitsrate gegenüber den Vorjahren
Beurteilung der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Qualifikation
Beurteilung der Beschaffungsprobleme qualifizierter Mitarbeiter
Umfang der Anlernzeiten neuer Mitarbeiter
Bedeutung und Quellen der bezogenen Vorleistungen
Maßnahmen zur Erhöhung des Qualitätsniveaus von Zulieferern
Nutzungsintensität inländischer FuE-Einrichtungen
Beurteilung der Reaktionsweise von Behörden auf betriebliche Anliegen
Beurteilung der im Verkehr mit Behörden in Kauf zu nehmenden Fristen
Mitteleinsatz zur Beschleunigung von Verwaltungsvorgängen
Nutzung von Gerichten zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen
Beurteilung verschiedener Faktoren der Lebensqualität
Beurteilung der Standortwahl
Gründe für eine Wiederholung der Standortwahl
Bündelung der Investitionsfördermaßnahmen und wichtiger
steuerlicher Rahmenbedingungen zu Förderstufen
Einfluss von Anlaufkosten auf das Vergleichsergebnis
Vergleich der Förderwirkung bei Investitionsobjekten unterschiedlicher
Größe
113
119
120
122
124
126
127
130
132
133
135
139
140
141
152
160
163
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung II.1
Abbildung IV.1
Abbildung IV.2
Abbildung IV.3
Abbildung V.1
Abbildung V.2
Abbildung V.3
Abbildung V.4
Abbildung V.5
Abbildung V.6
Abbildung V.7
Abbildung V.8
Abbildung V.9
Abbildung VI.1
Abbildung VI.2
Abbildung VI.3
Abbildung VI.4
Direktinvestitionen pro Kopf und kumulierte Privatisierungserlöse pro Kopf 6
Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Zentraleuropa seit 1995
27
Entwicklung der Preiswettbewerbsposition von Industrieunternehmen
aus Polen, Tschechien, Ungarn und Sachsen auf dem deutschen
Markt 1995 - 2001
30
Wechselkursstabilität
92
Anteil der Unternehmen mit Betriebsrat
115
Beurteilung der Beziehung zwischen Unternehmensleitung und
Belegschaft
116
Unternehmen mit deutscher Unternehmensleitung
117
Beurteilung der Qualifikation inländischer Zulieferer
125
Beurteilung der für die Logistik relevanten Verkehrsverhältnisse
128
Beurteilung der Qualität der Telekommunikationsinfrastruktur
129
Beurteilung der Einhaltung von behördlichen Zusagen
131
Beurteilung der Bewilligungsdauer von Fördermaßnahmen
136
Beurteilung der Einhaltung der Förderzusagen
137
Einfluss von Annahmen über die ökonomischen Rahmenbedingungen
auf das Vergleichsergebnis
155
Einfluss der Möglichkeit, in den MOE-Ländern arbeitsintensivere
Produktionsverfahren anzuwenden, auf das Vergleichsergebnis
157
Vergleich unter Einbeziehung aller Stufen der Investitionsförderung
159
Gegenwartswerte bei einem größeren Investitionsobjekt
162
VIII
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
AfA
Abschreibungen für Anlagen
bfai
Bundesstelle für Außenhandelsinformation (jetzt: Bundesagentur für Außenwirtschaft)
BMF
Bundesministerium der Finanzen
BMBF
Bundesministerium für Bildung und Forschung
BSP
Bruttosozialprodukt
CBS
Currency-Board-System
CIA
Central Intelligence Agency (Geheimdienst der USA)
Ck
Tschechische Krone
COMECON
Council for Mutual Economic Assistance (=Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe)
DBA
Doppelbesteuerungsabkommen
DGB
Deutscher Gewerkschaftsbund
DIHT
Deutscher Industrie- und Handelstag
DM
Deutsche Mark
DPIHK
Deutsch-Polnische Industrie- und Handelskammer
DTIHK
Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer
DUIHK
Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer
EBRD
The European Bank for Reconstruction and Development
ECOSTAT
Institute for Economic Analysis and Informatic, Budapest
ERP
European Recovery Program (Europäisches Wiederaufbauprogramm)
EU
Europäische Union
EUROSTAT
Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften
EWS
Europäisches Währungssystem
EZB
Europäische Zentralbank
Ft
Ungarischer Forint
FuE
Forschung und Entwicklung
FUP-Modell
Modell zur Analyse der Anreizwirkungen (FUP = Fördersysteme bei Unterschieden in den Produktionsbedingungen
GA
Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur"
GUS
Polnisches Statistikamt (Glowny Urzad Statystyczny)
G&V
Gewinn- und Verlustrechnung
IAB
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg
IEA
Internationale Energie-Agentur
IFS
International Financial Statistics
ILO
International Labour Organisation
IMF
International Monetary Fund
IMoe
Informationsagentur Mittel- und Osteuropa
ITDH
Hungarian Investment and Trade Development Agency
KBN
Staatskomitee für wissenschaftliche Forschung
IX
KfW
Kreditanstalt für Wiederaufbau
KMU
Klein- und mittelständische Unternehmen
KSH
Ungarisches Zentrales Statistikamt (Központi Statistztikai Hivatal)
MNU
Multinationale Unternehmen
MOE
Mittel- und Osteuropa
MOEL
Mittel- und osteuropäische Länder
NACE
Nomenclature des Activité économique dans les Communauté Européennes
ND
Nutzungsdauer
NfA
Nachrichten für Außenhandel
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
OWC
Ost-West-Contact
PHARE
Poland and Hungary: Assistance for the Reconstruction of the Economy
RGW
Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe
SMWA
Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit
TACIS
Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States
UNCTAD
United Nations Converence Trade and Development
USD
U.S.-Dollar
VIK
Vereinigung Industrieller Kraftwirtschaft
WIFO
Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung
WHO
World Health Organisation
WSI
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung
WTO
World Trade Organisation
Zl
Polnischer Zloty
X
Euro Referenzkurse der Europäischen Zentralbank
Jahresdurchschnittliche Devisenkursea) sowie Höchst- und Tiefstkurse
der tschechischen, polnischen und ungarischen Währung
- Preis eines Euros/Ecus in ausländischer Währung Jahr
Tschech.
Krone
Hoch/Tief
Ungar.
Forint
Hoch/Tief
Poln. Zloty
Hoch/
1996
33,99
34,83 / 33,08
187,20
200,99 / 174,32
3,38
3,60 / 3,13
1997
35,86
39,40 / 32,48
211,12
226,22 / 199,99
3,71
4,07 / 3,48
1998
36,17
39,04 / 33,99
241,02
261,37 / 223,54
3,93
4,35 / 3,71
1999
36,90
38,59 / 34,88
252,88
260,40 / 244,13
4,23
4,51 / 3,96
2000
35,65
37,11 / 34,23
260,76
276,21 / 254,55
4,02
4,33 / 3,82
2001
34,09
35,57 / 21,01
256,84
268,90 / 241,17
3,68
3,94 / 3,36
31,78
32,65 / 30,91
244,32
246,10 / 240,87
3,62
3,72 / 3,50
2002
b)
a) Berechnet als Durchschnitt aller Tageskurse eines ganzen Jahres nach www.oanda.com. - b) Bis
März.
Quelle:
DEUTSCHE BUNDESBANK (2001), Berechnungen des ifo Instituts als Durchschnitt aller
Tageskurse eines Jahres nach www.oanda.com.
Bei der Umrechnung in € wurde von den Verfassern der Studie der Jahresdurchschnittswert des jeweiligen Wechselkurses verwendet.
Veränderung des Konsumentenpreisindex
- gegenüber dem Vorjahr in % Jahr
EuroWährungsraum-
Deutschland
Tschechien
Ungarn
Polen
1996
2,2
1,4
8,6
19,8
18,5
1997
1,6
1,9
10,0
18,4
13,2
1998
1,1
1,0
6,8
10,3
8,6
1999
1,1
0,6
2,5
11,2
9,8
2000
2,3
1,9
4,0
10.0
8,5
2001
2,5
-0,5
5,0
8,0
6,3
Quelle:
EBRD (2001) und EUROPÄISCHE ZENTRALBANK (1998 und 2002), STATISTISCHES
BUNDESAMT (2001).
1
I.
Ziele der Studie
Bei der unternehmerischen Standortentscheidung war früher der Entscheidungshorizont in der Regel sehr eng gezogen. Er hatte regionale, bestenfalls
noch nationale Dimensionen. Doch in den letzten beiden Jahrzehnten hat die
Standortfrage aus der Sicht der Unternehmen einen neuen Stellenwert bekommen. Es geht verstärkt um einen Wettbewerb struktureller Unterschiede zwischen nationalen Systemen bzw. der Rahmenbedingungen für Standortentscheidungen und Investitionen. Diese Veränderungen haben dazu geführt, dass
sich die Unternehmensstrategien allenthalben globalisiert haben.
Das Ergebnis dieser Globalisierung ist ein weltweiter Standortwettbewerb. Wo
Deutschland in diesem Wettbewerb steht, zeigt die Bilanz seiner Direktinvestitionen: seit Jahren exportiert es wesentlich mehr Investivkapital als es importiert.
Im Durchschnitt der Neunziger Jahre machte die Defizitquote knapp 60 % aus.
Dies wird in der öffentlichen Diskussion als unübersehbarer Hinweis darauf gewertet, dass die Qualität des Investitionsstandorts Deutschland Defizite aufweist.
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gibt es neue Konkurrenten im internationalen Standortwettbewerb, nämlich die Länder Mittel- und Osteuropas (MOE).
Vor allem die am weitesten fortgeschrittenen Länder Polen, Tschechien und
Ungarn, die auf dem Sprung in die Europäische Union (EU) sind, entwickelten
sich zu Hauptkonkurrenten für Investitionen an Standorten in den neuen Bundesländern.
In dieser Studie wird versucht, die Standortqualität der drei genannten Länder
zu messen und ihre Stärken und Schwächen in Relation zum Wirtschaftsstandort Ostdeutschland - und hier insbesondere zum Freistaat Sachsen - herauszuarbeiten, soweit dies mit den Mitteln einer Literatur- und Dokumentenauswertung möglich ist. Danach soll auch offengelegt werden, wo noch Informationsdefizite bestehen, deren Beseitigung die Erhebung von Primärdaten (in schriftlicher oder mündlicher Form) vor Ort erforderlich machen würde.
2
3
II.
Neue Erkenntnisse der Transformationstheorie und ihre
Bedeutung für die Beurteilung der Standortattraktivität
Zu Beginn des Transformationsprozesses erschien den meisten Experten der
Liberalisierungsfortschritt primär von folgenden Faktoren abhängig (vgl. WELTBANK 1995, S. 20 ff.):
1. Inflationärer Druck (Ausmaß der zurückgestauten Inflation),
2. Abhängigkeit vom RGW-System,
3. Historische Tradition mit der Marktwirtschaft,
4. Eignung des Landes als Standort zum Aufbau neuer Handelsbeziehungen,
5. Höhe des Entwicklungsniveaus, gemessen am Humankapital und BSP/Kopf,
6. Grad der Industrialisierung,
7. Notwendigkeit des Aufbaus einer Eigenstaatlichkeit.
Zehn Jahre nach dem Beginn der Reformen zeigte sich jedoch, dass sich die
Liberalisierung auch bei Ländern mit ganz ähnlichen Ausgangsbedingungen
völlig unterschiedlich vollzog (vgl. FISHER/SAHAY 2000, HAVRYLYSHYN/MCGETTIGAN 1999). Behinderungen und Verzögerungen bei Investitionen der Weltbank
und anderer internationaler Organisationen warfen zahlreiche neue Fragen auf
und führten zu einer fast unüberschaubaren Flut wissenschaftlicher Untersuchungen. Die wichtigste Erkenntnis war, dass das "institutionelle Erbe" der
Planwirtschaft eine weit größere Rolle spielte, als zunächst angenommen: in
der totalitären Gesellschaft des Sozialismus verschwand de facto die Bedeutung von eigenständigen und freien Organisationen, wie Gewerkschaften oder
Berufsverbänden. Sie existierten zwar weiter, wurden aber in die Partei
zwangsintegriert und waren deshalb kein Forum für unabhängige Diskussionen.
Sobald unabhängige Bewegungen entstanden, wie z. B. die CHARTA 77 in
Tschechien, wurden sie von der Partei als Bedrohung empfunden. Um dem
vorzubeugen, wurden alle Organisationen streng überwacht und unbequeme
Personen wurden vom Geheimdienst diskreditiert. Dadurch entstand die sog.
"Nomenklatur", ein Netzwerk mit wechselseitiger Überwachung, das auch alle
Entscheidungsträger integrierte, die Umgang mit Geld hatten, sowie Freunde
und Familie mit einbezog. Funktionäre waren deshalb nur an der Planerfüllung
interessiert, und kannten nicht die besonderen Probleme einzelner Unternehmen.
4
Obwohl viele dieser Instrumente staatlicher Intervention zu Reformbeginn offiziell abgeschafft wurden, wirkten sie inoffiziell weiter. Die Entscheidungsträger
in den Betrieben und Banken reagierten instinktiv auf Anweisungen von Regierungsbeamten, auch wenn letztere dafür gar nicht mehr kompetent waren.
Jene Funktionäre, die den größten Machtverlust befürchteten, leisteten den
größten Widerstand gegen Reformen und nutzten hierzu alle Machtmittel, einschließlich Korruption (zur Bedeutung von Korruption und Kriminalität in der
Planwirtschaft vgl. OLSON 1995, S. 437 ff., ders. 2000). So ist es nicht erstaunlich, dass statistische Untersuchungen einen engen Zusammenhang zwischen
Zurückdrängung der Korruption, Liberalisierung der Wirtschaft, Einführung demokratischer Grundrechte und freien Wahlen sowie der Qualität staatlicher Institutionen zeigen (vgl. KAUFMANN ET AL. 1999, S. 2 ff., HELLMAN ET AL. 2000a).
Zur Frage der wichtigsten Bedingungen einer erfolgreichen Transformation besteht zwar nach wie vor keine völlige Einigkeit (vgl. ROLAND 2000, KOLODKO
2000, STIGLITZ 1999, KORNAI 2000), aber die überwiegende Zahl der Transformationstheoretiker hält folgende Faktoren für ausschlaggebend:
1. Je geringer die geographische Entfernung zur EU ist, desto rascher vollzog
sich die Liberalisierung. Diese Länder hatten in der Regel mehr Kontakt zum
Westen, deshalb wirkte die EU wie ein "externer Anker" (IMF 2000, S.
113 ff., EBRD 2000, S. 3 ff.). Dies gilt noch stärker für die Länder, die die
Mitgliedschaft in der EU oder Nato beantragten, denn sie unterlagen dem
stärksten Reformdruck.
2. Je größer die Erinnerung an die Marktwirtschaft war, desto größer war auch
der Reformwille. Beispielsweise gab es in Polen noch viele Menschen, die
sich an die Regeln und Institutionen des Marktsystems erinnerten.
3. Je größer die Außenhandelsabhängigkeit vom RGW war, desto weniger war
die Produktion an komparativen Kostenrelationen orientiert, und desto
schwieriger gestaltete sich die Umstrukturierung der Wirtschaft.
4. Je stärker makroökonomische Ungleichgewichte (z. B. Preisverzerrungen
und Subventionen, Spezialisierung auf Rüstungsproduktion) ausgeprägt waren, desto mehr wurden die Wettbewerbsnachteile verschleiert, was zu starken Anpassungsproblemen führte.
5
5. Je größer die Ausstattung des Landes mit natürlichen Ressourcen ist, desto
einseitiger war die gesamte Wirtschaft wegen der sozialistischen Arbeitsteilung auf diese Sektoren ausgerichtet.
Diese fünf Ausgangsbedingungen, die zum Teil miteinander zusammenhängen,
erklären statistisch zu etwas mehr als 50 % den Liberalisierungserfolg bei der
Transformation.1 In diesem Zusammenhang ist es nicht erstaunlich, dass die
EU-Beitrittsländer Ungarn und Tschechien sowie die baltischen Staaten die raschesten Fortschritte erzielten. Polen war das erste Land, welches das
BSP/Kopf vor Reformbeginn übertraf (1999 bereits 28 %). Im Jahr 2000 folgten
andere Staaten, darunter auch Ungarn und Tschechien.
Eine weitere interessante Entdeckung, die für die vorliegende Untersuchung
wichtig ist, war die Tatsache, dass die Art der Privatisierung von entscheidender
Bedeutung für den Zufluss an ausländischen Direktinvestitionen in der Periode
1989-1999 war. Je größer das Ausmaß der sog. strategischen Privatisierung im
Vergleich zur Privatisierung mit Koupons war, desto mehr wurden Betriebe an
ausländische Unternehmen verkauft, um dadurch westliches Kapital und Knowhow in das Land zu holen. Die Privatisierungserlöse waren um so größer, je
mehr nach strategischen Gesichtspunkten privatisiert wurde. Den engen statistischen Zusammenhang zwischen der Höhe der Privatisierungserlöse, die auch
wesentlich vom Tempo der Privatisierung beeinflusst werden und ausländischen Direktinvestitionen pro Kopf (r2 = 0,84), der zu 84 % den Zufluss ausländischer Direktinvestitionen erklärt, zeigt die folgende Abbildung II.1. Auch
Schwankungen beim Zufluss ausländischer Direktinvestitionen, insbesondere
nach Ungarn und Tschechien, sind nach Studien der EUROPEAN BANK FOR
RECONSTRUCTION AND DEVELOPMENT (EBRD) primär auf die jeweils verfolgten
unterschiedlichen Privatisierungsstrategien zurückzuführen.
Nach dem Ende der Privatisierung wird der Zufluss von Direktinvestitionen zunehmend von anderen Variablen abhängen. Allerdings kann jetzt schon, ohne
1
Mit Hilfe der Faktorenanalyse konstruierte die EBRD (2000, S. 19 f.) auf der Basis dieser fünf
Faktoren einen Index der Ausgangsbedingungen, der - gewichtet mit der Anzahl der Jahre
mit umfassender Liberalisierung - einen Korrelationskoeffizienten von r = 0,75 (r2 = 0,56)
aufweist. Berücksichtigt wurde auch die Anzahl der Jahre, in welchem ein Land nach dem
Start der Reformen bei der Preisliberalisierung relativ weit fortgeschritten war und fast vollständige Währungskonvertibilität erreicht hatte. Die so definierten "Ausgangsbedingungen"
korrelieren ähnlich hoch mit dem Anteil der Jahre, in welchen freie Wahlen durchgeführt wurden.
6
den folgenden Ausführungen vorauszugreifen, gesagt werden, dass die Bedeutung der strategischen Privatisierung noch einige Jahre nachwirken wird.
Abbildung II.1
Direktinvestitionen pro Kopf und kumulierte Privatisierungserlöse pro Kopf
- 1989 bis 1999, in USD -
Quelle:
EBRD (2000, S. 84).
7
III.
Standortfaktoren in der ökonomischen Theorie
1.
Traditionelle Standorttheorien
1.1
Volkswirtschaftslehre
Standorttheorie und Standortpolitik werden in den Lehrbüchern und Lexika der
Volkswirtschaftslehre selten explizit abgehandelt. Dies erklärt BRÖSSE (1996,
S. 288) unter anderem damit, dass nach Meinung vieler Ökonomen die Standortwahl ausschließlich das Ergebnis von Marktkräften sein soll.
In der volkswirtschaftlichen Raumwirtschaftslehre sind insbesondere zwei Namen für diese Untersuchung von Bedeutung, WEBER (1909) für den sekundären
Sektor und CHRISTALLER (1933) für den tertiären. Im Zentrum der Weberschen
Theorie stehen die Transportkosten und die Produktionsfaktoren, wobei er den
Ort des Absatzes als gegeben annimmt. Dabei werden zunächst Lohn- und Kapitalkosten als konstant angenommen. Den kostengünstigsten Standort erhält
man, wenn man die Transportkosten zwischen dem Produktionsort, den Rohstofflagern und dem Absatzort minimiert.
Christallers Theorie ist eigentlich eine Theorie zur Erklärung der Standorte von
Dienstleistungen. Er wollte wissen, ob es Gesetzmäßigkeiten gibt, welche die
Entwicklung von Orten mit zentraler Funktion bestimmen und untersuchte deshalb die Entstehung von städtischen Siedlungen. Er bezeichnete Güter, die eine
zentrale Funktion im Gemeinschaftsleben der Menschen erfüllen, als sog. "zentrale Güter" (z. B. Schuhe) und "zentrale Dienstleistungen" (z. B. Theater). Zentrale Güter und Dienstleistungen werden an einigen wenigen zentralen Orten
produziert bzw. angeboten und werden an vielen zerstreuten Orten konsumiert.
Die "Zentralität" eines Ortes ergibt sich aus dem "Bedeutungsüberschuss" seiner zentralen Einrichtungen, wie Krankenhäuser, Universitäten, Gymnasien,
Theater und alle speziellen Dienstleistungsgewerbe. Nach CHRISTALLER bildet
sich so ein System von zentralen Orten höherer und niedrigerer Reichweite.
Christallers Theorie ist für die Erklärung des sekundären Sektors zwar irrelevant, macht aber deutlich, dass eine Stadt mit einem hohen "Bedeutungsüberschuss" zentraler Infrastruktureinrichtungen an Attraktivität als Standort gewinnt. Unternehmen, die sich zwischen ähnlichen Standorten entscheiden müssen, werden denjenigen mit dem besseren Dienstleistungsangebot vorziehen.
8
1.2
Betriebswirtschaftslehre
Die Standorttheorie hat in der deutschen Betriebswirtschaftslehre eine lange
Tradition. Ihre theoretischen Grundlagen waren gegen Ende der 70er Jahre mit
der Erforschung der Managementprobleme multinationaler Unternehmen
(MNU) weitestgehend abgeschlossen.
Die Gründung ausländischer Niederlassungen folgt häufig einem bestimmten
Muster, nach dem zunehmend mehr Kapital und Management verlagert werden. Nach diesem Stufenmodell unterscheidet man folgende Phasen: 1. Export,
2. Lizenzvergabe, 3. Franchising, 4. Joint-Venture, 5. Auslandsniederlassung,
6. Gründung eines Betriebs oder einer Tochtergesellschaft.
Entscheidend bei einer Standortwahl ist immer die Zielsetzung des Unternehmens. Für die Analyse des Standortwahlproblems wurde in der Literatur eine
Reihe von Katalogen mit entscheidungsrelevanten Merkmalen entwickelt. Diese
werden gewichtet und anschließend die verschiedenen Standorte hinsichtlich
ihrer Qualität verglichen. Die Erfahrung zeigt, dass europäische, amerikanische,
japanische und chinesische Unternehmen bei der Gewichtung unterschiedliche
Präferenzen haben. Hohe Wertschätzung genießen bei den US-Unternehmen
traditionell die Sicherheit der Eigentumsrechte, relativ "gewerkschaftsfreie" Unternehmen, das Arbeitsrecht des Gastlandes, die Einstellung zur Arbeit sowie
die Aufgeschlossenheit der lokalen Bevölkerung gegenüber Amerikanern. Unabhängig von der Nationalität der Investoren werden in der deutschen Betriebswirtschaftslehre folgende länderspezifischen Faktoren als die wichtigsten
bezeichnet: Marktvolumen des Gastlandes, Wachstumsrate des Marktes, Beschränkungen des Gewinns, Verhalten der Regierung des Gastlandes gegenüber ausländischen Investoren, Gefahr der Verstaatlichung, Währungsstabilität,
Verfügbarkeit, Kosten und zuverlässige Existenz von Betriebsmitteln, Beschränkungen des Kapitalrückflusses, Investitionsanreize und Verfügbarkeit von
Bauland.
Eine typische Liste länderspezifischer Faktoren hat SCHÖLLHAMMER (1989,
S. 1962) nach einer statistischen Analyse der Standortwahl deutscher, britischer, französischer und amerikanischer MNU erstellt (vgl. Übersicht III.1).
Spätere amerikanische Untersuchungen kamen praktisch zu den gleichen Ergebnissen.
9
Übersicht III.1
USUnternehmen
Relative Bedeutung länderspezifischer Faktoren der Standortwahl aus der Sicht amerikanischer und europäischer Unternehmen
Europäische Unternehmen
1
Risikofaktoren
Kartellbestimmungen
Gesetze, die den Schutz des Eigentums garantieren
Aufgeschlossenheit der ausländischen Regierung gegenüber privaten Investitionen
Verfügbarkeit von Produktionsfaktoren
- Vorhandensein von Energie und Wasser
- Zuverlässigkeit von Betriebsmitteln
- Vorhandensein von finanziellen Anreizen durch die Regierung
- Vorhandensein geeigneten Baulands
- Vorhandensein lokaler Rohstoffe
- Vorhandensein geeigneter Arbeitskräfte
- Vorliegen freier Währungskonvertibilität
Marktpotenzial
- Wirtschaftliche Wachstumsrate
- Gesetzliche Einschränkung an einer 100 %-Beteiligung
- Existenz örtlicher Zulieferer
- Wachstumsrate des Marktes
- Größe des Marktes
- Gegenwärtige oder zukünftige Mitgliedschaft in gemeinsamen Märkten oder Freihandelszonen
- Bevölkerungsgröße
- Nähe zu Exportmärkten
Kostenfaktoren
- Steueranreize für Investitionen
- Arbeitsproduktivität
- Transferierbarkeit des Steueraufwands
- Lohn- und Gehaltshöhe
- Gewinnaufteilung ist üblich oder vorgeschrieben
- Baulandpreise
- Verfügbarkeit und Kosten von Exportfinanzierungen
- Lokale Kreditkosten
Wettbewerbsdruck
- Schutzzölle gegen ausländische Konkurrenten
- Bevorzugung von staatlichen Unternehmungen
- Patentfähigkeit der Produkte
- Konzentration von Konkurrenten
- Verhalten lokaler Konkurrenten gegenüber Auslandsinvestoren
Infrastruktur
- Ex- und Importmöglichkeiten
- Nähe zu Anbietern
- Effizienz der lokalen Transportsysteme
- Nähe zu Rohstoffquellen
Allgemeine Faktoren
- Arbeitsdisziplin
- Vorhandensein militanter oder kommunistisch beeinflusster Gewerkschaften
- Freiheit zu „Hire and Fire“
- de facto ausgeübte öffentliche Kontrolle
- Notwendigkeit spezieller Genehmigungen und Konzessionen
- Zölle und andere Importrestriktionen
- Intensität der Mitbestimmung auf Unternehmensebene
Politische Bedingungen
Angebotsbedingungen
Arbeitsbedingungen
Steuerhöhe und steuerliche Bedingungen
Wirtschaftliche Lage
Markt- und Wettbewerbsbedingungen
Gesetzliche Bedingungen und Beschränkungen
Finanzierungsbedingungen
Geographische Bedingungen (Kundennähe, Anbieternähe, Transportmöglichkeiten,
Verfügbarkeit und Kosten von geeigneten Grundstücken)
1
2
3
4
5
6
7
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Quelle:
SCHÖLLHAMMER (1989, S. 1962).
2
5
4
6
3
7
3
1
5
2
7
8
6
9
4
10
2.
Neuere Standorttheorien
Die im folgenden Punkt dargestellten Standortmerkmale beziehen sich in erster
Linie auf Untersuchungen internationaler Organisationen. Die wichtigste Quelle
ist hier der von der UNCTAD jährlich herausgegebene Worldinvestment Report.
In der Ausgabe von 1998 wurde unter Mitarbeit vieler namhafter Forscher die
umfassendste Zusammenstellung aller theoretischen und empirischen Untersuchungen zum Thema Direktinvestitionen der letzten Jahrzehnte erarbeitet. Dieser Untersuchung widmen auch IMF und Weltbank breiten Raum (vgl. MALLAMPALLY ET AL. 1998, S. 89 ff.). Weitere Analysen findet man auch in den von der
Weltbank herausgegebenen World Development Reports der letzten Jahre.
Nach Angaben der UNCTAD-Studie sind trotz Globalisierung und High-TechIndustrie nach wie vor die klassischen Standortfaktoren von Bedeutung. Die
Zahl der relevanten Merkmale erweitert sich jedoch ständig. In der folgenden
Übersicht III.2 werden die wichtigsten Aspekte in einer synoptischen Übersicht
zusammengestellt.
Die linke Seite des Schaubilds zeigt die politischen Determinanten des Gastlandes sowie in einer zweiten Gruppe von Faktoren, wie das Gastland ausländische Investitionen anregen kann. Auf der rechten Seite stehen die drei wichtigsten unternehmerischen Strategien, die entweder markt-, ressourcen- oder
effizienzorientiert sind. Bei der Diskussion der Ergebnisse sollen jedoch nur die
Zusammenhänge dargestellt werden, die für das Untersuchungsziel möglicherweise relevant sind.
1. Wichtigste Investitionsdeterminante ist nach wie vor die politische Stabilität.
Sogar bevorstehende Wahlen mit ungewissem Ausgang führen zur Zurückhaltung der Investoren. Deshalb finden auch nur 1 % aller Direktinvestitionen in Afrika statt, obwohl einige Länder äußerst lukrative Anreize bieten.
2. Ganz entscheidend ist das Investitionsklima. Es lässt sich durch Beobachtung der politischen Diskussionen über Direktinvestitionen leicht erforschen.
Einigkeit über den Nutzen ausländischer Investitionen gilt als guter Indikator.
Das Gegenteil trifft zu, wenn Gesetze zur Investitionsförderung erst nach
längeren Debatten erlassen werden. Auch die Zufriedenheit der einheimi-
11
Übersicht III.2
Host country determinants of foreign direct investment (FDI)
Host country determinants
Type of FDI classified by
motives of firms
Principal economic determinants in host countries
Policy framework for FDI
Market-seeking
Market size and per capita income
Economic, political, and social stability
Market growth
Rules regarding entry and operations
Access to regional and global markets
Standards of treatment of foreign affiliates
Country-specific consumer preferences
Policies on functioning and structure of markets (especially competition
and policies governing mergers and acquisitions)
Structure of markets
International agreements on FDI
Privatisation policy
Trade policy (tariffs and nontariff barriers (and coherence of FDI and trade
policies
Tax Policy
Economic determinants
Resource/asset-seeking
Raw materials
Low-cost unskilled labor
Skilled labor
Technological, innovative, and other created assets (for
example, brand names, including as embodied in individuals, firms, and clusters)
Physical infrastructure (ports, roads, power, telecommunications)
Business facilitation
Investment promotion (including image-building and investmentgenerating activities and investment-facilitation services)
Investment incentives
Hassle costs (related to corruption and administrative efficiency)
Social amenities (for example, bilingual schools, quality of life)
After-investment services
Quelle:
MALLAMPALLY ET AL. (1998).
Efficiency seeking
Cost of resources and assets listed above, adjusted for
productivity
Other input costs, such as transport and communication
costs to/from and within host economy and other intermediate products
Membership of a regional integration agreement conducive to the establishment of regional corporate networks
12
schen Unternehmer mit der kommunalen Wirtschaftsförderung gilt als positiver Indikator.
3. Das Verhalten der Investoren unterliegt einem gewissen Herdentrieb. Deshalb werden politische Risiken häufig zu spät erkannt.
4. War ein Land eine gewisse Zeit gegenüber ausländischen Direktinvestoren
sehr zurückhaltend, dauert es in der Regel mehrere Jahre, um aller Welt
glaubhaft zu machen, dass jetzt ein neues Investitionsklima herrscht. Die
Erfahrungen Irlands, Kanadas und Brasiliens haben gezeigt, dass dies nur
mit mehrjährigen teuren Werbekampagnen gelingt.
5. Die meisten Unternehmen müssen aus Angst vor feindlichen Übernahmen
expandieren. Deshalb wird die Geschwindigkeit, mit der Gastländer potenzielle Direktinvestoren über Investitionsmöglichkeiten informieren, immer
wichtiger (vgl. RICUPERO 2000, S. 1 ff.).
6. Der Direkterwerb einer Unternehmung ist die schnellste Möglichkeit, um in
einem fremden Markt sofort präsent zu sein. Andererseits sind die Gewinne
der Unternehmen bei einem Direkterwerb am niedrigsten, bei JointVentures erheblich größer und bei Neugründungen am größten.
7. Als günstig hat sich nach PORTER (1990, 1998) die Schaffung von sog. "industrial clusters" (einem Netzwerk von verwandten und unterstützenden Industrien mit hoher informeller Kommunikation) erwiesen. Sie können durch
gezielte Anreize und die Gründung unternehmensorientierter Forschungsinstitutionen gefördert werden. Als Musterbeispiel gilt hier Irland, wo inzwischen ca. die Hälfte der Arbeitnehmer in ausländischen Unternehmen arbeitet und wo die Wachstumsraten des BSP/Kopf in den letzten 15 Jahren
mehr als doppelt so hoch waren wie in Großbritannien (vgl. SAXENIAN 1994,
SENGENBERGER/PYKE 1992, SCHMITZ 1989).
8. Primär die Sprache und kulturelle Einrichtungen, wie Sportanlagen, Tanzlokale, Diskotheken, Nachtclubs usw., haben großen Einfluss auf die Bereitschaft der Mitarbeiter ausländischer Unternehmen sowie ihrer Familien, in
eine fremde Stadt zu ziehen. Häufig können solche Probleme gemildert
werden, z. B. durch die Einführung zweisprachiger Schulen.
13
9. Investment Promotion Agencies, die ausschließlich zur Anwerbung von Investoren gegründet werden und sich auch mit konkurrierenden Ländern befassen, erweisen sich als sehr förderlich. So meinte der Leiter der CZECHINVEST im Jahr 1998: "Bis jetzt stand die Tschechische Republik zu ihrem
Nachteil ständig mit Polen, Ungarn oder westeuropäischen Staaten im
Wettbewerb. Dieses Anreizpaket wird Tschechien befähigen, sich unter gleichen Bedingungen am Wettbewerb für mobile Direktinvestitionen zu beteiligen, die hochqualifizierte aber gering bezahlte Arbeitskräfte erfordern."
(MALLAMPALLY ET AL. 1998, S. 131, übersetzt v. Verf.). Effiziente Standortwerbung erfordert jedoch viel Zeit, hohes professionelles Können und ist
deshalb sehr teuer. Die meisten Transformationsländer verfügen allerdings
nicht über die erforderlichen finanziellen Ressourcen.
10. Die Geschichte der Nachkriegszeit zeigt eindeutig, dass offene, exportorientierte Länder den größten Zufluss an Direktinvestitionen erhielten.
11. Finanzielle Investitionsanreize spielten bei den meisten Investitionsentscheidungen keine ausschlaggebende Rolle. Bei ansonsten weitgehend identischen Standortbedingungen, die vor allem dann vorliegen, wenn ein
bestimmter Markt beliefert werden soll, beeinflussen sie allerdings stark die
Standortwahl (z. B. Nordfrankreich versus Südengland).
12. Je ähnlicher die Standortbedingungen in einem Land sind, desto bedeutender werden regionale Aspekte. Deshalb sollte die Regierung regulierend
eingreifen, wenn verschiedene Orte in einen ineffizienten "Beggar-my-neighbour-Wettbewerb" treten (vgl. WELTBANK 2000, S. 100).
13. Etwas widersprüchlich sind die Ergebnisse hinsichtlich der Löhne. Alle ökonometrischen Untersuchungen, bis zurück in die 60er Jahre, zeigen keinen
signifikanten Einfluss produktivitätsadjustierter Löhne. Auch Untersuchungen von 1997 über die Direktinvestitionen von 14 Ländern in 45 Gastländern
ergaben keinen Zusammenhang (vgl. MALLAMPALLY ET AL. 1998, S. 131).
Löhne gelten als ein Faktor unter vielen, der dann ausschlaggebend ist,
wenn alle anderen Faktoren gleich sind. In Anbetracht des hohen Humankapitalbestandes der EU-Beitrittskandidaten besteht vermutlich diese Bedingung. So geben nach einer Befragung der EBRD (2000, S. 16), die aber
nicht näher nach Ländern aufgeschlüsselt ist, von den Unternehmen, die in
Osteuropa investieren, ca. 45 % "billige Arbeitskräfte" als Investitionsmotiv
14
an, das ebenso wichtig ist wie "Steuern und Regulierungen". Allerdings nennen 60 % der Befragten die „Nähe zum Absatzmarkt“ als wichtigstes Motiv.
14. Besonders bemerkenswert ist, dass alle größeren ökonometrischen Analysen der UNCTAD, die ca. 140 Direktinvestitionen erfassen und seit 1980 alle
fünf Jahre durchgeführt werden, ergaben, dass die Marktgröße (gemessen
an der Höhe des BSP) die signifikanteste Variable ist und das BSP/Kopf
meist auch signifikant ist. Beide Variablen erklären ca. 60-70 % der Höhe
der Direktinvestitionen. Gelegentlich ist auch das Marktwachstum, gemessen an der durchschnittlichen Wachstumsrate des BSP der letzten fünf Jahre, von signifikanter Bedeutung.
Aufgrund der hier genannten Erkenntnisse lassen sich in Anbetracht der großen
Bedeutung der Privatisierungsstrategie noch keine profunden Schlüsse ziehen.
Dies bedarf weiterer Analysen, vor allem über institutionelle Fragen.
3.
Fazit: Untersuchungsrelevante Faktoren
Aus den bereits dargelegten Überlegungen hat sich heraus kristallisiert, dass
die in die nachfolgende tiefergehende Betrachtung einbezogenen Standortfaktoren im Falle Sachsens nicht auf solche Bezug nehmen wird, die für Investoren
in der Grundstoff- oder Schwerindustrie relevant wären. Realistischerweise wird
sich der Standortwettbewerb mit den östlichen Nachbarn schwerpunktmäßig auf
die verarbeitende Industrie beziehen. Unter diesem Aspekt spielen sicherlich
eine Reihe quantitativer Größen (z. B. Arbeitskosten, Arbeitszeit, Steuern etc.)
eine gewisse Rolle, entscheidender für eine Standortwahl dieser Zielgruppe
dürfte jedoch der Einfluss zahlreicher qualitativer Faktoren (z. B. Ausbildung
und Mobilität der Arbeitskräfte, staatliche Regulierungen, Infrastruktur, Effizienz
der Verwaltung, Bildungs- und Forschungssystem) sein.
In zahlreichen empirischen Untersuchungen zur Investitionstätigkeit deutscher
Unternehmen im Ausland, insbesondere in den mittel- und osteuropäischen
Ländern, findet man die oben genannten Faktoren - für einzelne Wirtschaftszweige unterschiedlich ausgeprägt - immer wieder (vgl. hierzu entsprechende
Übersichten in: KAUFMANN/MENKE 1997, S. 80 ff., STANKOVSKY 1998; S. 139 ff.,
BELITZ/ROULSTONE 1999, S. 55 ff.).
15
Nachfolgend werden die einzelnen Standortfaktoren in ihren Ausprägungen für
Polen, Tschechien und Ungarn im Vergleich zur Situation in Sachsen dargestellt. Wenn die Informationslage eine Aussage für Sachsen nicht zulässt, wird
auf Ostdeutschland oder auch Deutschland insgesamt Bezug genommen.
16
17
IV.
Standortposition der Länder im Spiegel der Literaturauswertung
1.
Arbeitskosten, Arbeitsproduktivität und Lohnstückkosten
Als Investitionsmotiv stehen die niedrigen Arbeitskosten2 in den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOE-Länder) bei Befragungen ausländischer Investoren immer noch an prominenter Stelle. Eine Frage ist, was genau unter Arbeitskosten zu verstehen ist. Bei der Diskussion um die Messung der wahren Bruttolohnkosten, kam ein Team von Wissenschaftlern der Weltbank (vgl. GARNETT
ET AL. 2000, S. 4) zu der Ansicht, dass man Lohnkosten nach kontrakt-bestimmten, freiwilligen und intangiblen Komponenten zerlegen müsse. Zu den
durch Vertrag vereinbarten Leistungen gehören neben dem Gehalt auch Zuschüsse zu den Fahrtkosten oder den Lebenshaltungskosten. Zu den freiwilligen Leistungen gehören z. B. häufig Gesundheitsfürsorge (Krankenversicherung), Mahlzeiten und zu den intangiblen die Sicherheit des Arbeitsplatzes, das
Prestige der Firma und gesellschaftliche Privilegien. Außerdem kann man noch
nach gegenwärtig „erwarteten“ (zukünftigen) Aspekten, wie Pensionsansprüchen differenzieren. Da man nicht alle Komponenten in Geld ausdrücken kann,
erschwert dies stark Lohnvergleiche. Am meisten macht sich dies bei den Sozialleistungen bemerkbar.
Im Folgenden wird von dem in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und
den darauf aufbauenden internationalen Statistiken verwendeten Begriff der
Arbeitskosten ausgegangen. Danach umfassen die Arbeitskosten die Bruttolöhne und -gehälter der beschäftigten Arbeitnehmer und die gesetzlichen und freiwilligen Sozialbeiträge der Arbeitgeber. Die Bruttolöhne und -gehälter beinhalten die Entlohnung - vor Abzug der Sozialbeiträge der Arbeitnehmer und der
Lohnsteuer -, die den Arbeitern, Angestellten, Auszubildenden, Volontären und
ähnlichen Arbeitnehmergruppen aus dem Arbeitsverhältnis zugeflossen sind.
Einbezogen sind Akkord-, Bandarbeits- und Prämienzuschläge, Leistungs-,
Schmutz- und Lästigkeitszulagen, Montagezuschläge, Zuschläge für Mehr-,
Nacht-, Schicht- und Sonntagsarbeit, sonstige tariflich oder frei vereinbarte Vergütungen und Zulagen, wie Familien- und Kinderzuschläge sowie Wohnungszuschüsse, Essensgeld und Fahrtkostenzuschüsse. Weiter sind enthalten Naturalvergütungen, Vergütungen für die durch Fest- und Feiertage, Urlaub, Krank2
Der Terminus Arbeitskosten wird hier synonym mit dem Ausdruck Bruttolöhne plus Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und sonstigen Nebenkosten verwandt.
18
heit usw. ausgefallene Arbeitszeit (Lohnfortzahlung), gesetzliche Zuschüsse
des Arbeitgebers zum Krankengeld, Jahressonderzuwendungen wie 13. Monatsgehalt, zusätzliches Urlaubsgeld, Gratifikationen, Gewinnbeteiligungen,
Erfolgs- und Treueprämien, Leistungen der Arbeitgeber nach den Vermögensbildungsgesetzen, Abfindungen beim Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem
Arbeits- bzw. Dienstverhältnis und ähnliche Leistungen. Auch Einkommen geringfügiger abhängiger Tätigkeit sind einbezogen.
Zunächst wird auf die durchschnittliche Höhe der so abgegrenzten Arbeitskosten pro Beschäftigten und damit auf die Lohnhöhe in den Vergleichsländern
eingegangen. Betrachtet werden die in der privaten Wirtschaft (Unternehmenssektor) bezahlten Löhne, der Staatssektor bleibt ausgeklammert. Dargestellt
wird die Lohnhöhe und ihre Entwicklung seit 1995 in nationaler Währung und in
einheitlicher Währung. Als gemeinsame Währung wird aus naheliegenden
Gründen der Euro verwendet. Um die Lasten der Unternehmen aus der Sicherung des sozialen Netzes in den verschiedenen Ländern deutlich zu machen,
wird auch der Einfluss der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung auf die
Lohnhöhe dargestellt. Weitere Abschnitte beschäftigen sich mit der Lohndifferenzierung nach Branchen und Qualifikationen und mit der Frage, welche Löhne ausländische Firmen im Vergleich zu inländischen Unternehmen bezahlen
müssen.
Der einfache Lohnvergleich vernachlässigt die Bedeutung der Arbeitsproduktivität für die Wettbewerbsfähigkeit bei den Produktionskosten eines Standorts. In
der Regel stehen den länderspezifischen Unterschieden in der Lohnhöhe
gleichgerichtete Differenzen in der Arbeitsproduktivität gegenüber. In welchem
Maße hierdurch die Kostenunterschiede nivelliert werden, kommt in der Höhe
und Entwicklung der Lohnstückkosten zum Ausdruck. Da das Ergebnis des internationalen Vergleichs stark von Bewegungen im Außenwert der Währung
beeinflusst sein kann, werden die Lohnstückkosten ebenfalls in nationaler Währung und in einheitlicher Währung betrachtet.
1.1
Niveau und Entwicklung der Durchschnittslöhne
Die von der OECD zusammengestellte und vergleichbar gemachte Datenbasis
erlaubt einen Vergleich der Arbeitskosten pro Beschäftigten im Durchschnitt des
Unternehmenssektors. Dieses heterogene Aggregat umfasst Aktivitäten der
19
Land- und Forstwirtschaft, des Bergbaus, der Industrie, des Baugewerbes, des
Handels- und Gastgewerbes, des Transportgewerbes, der Finanzdienstleister,
der unternehmensorientierten und der sozialen Dienste.
Wie Tabelle IV.1 zeigt, existierten im Jahr 2000 noch erhebliche Unterschiede
in den Arbeitskosten gemessen an den Jahresverdiensten im Unternehmenssektor. Die Kosten liegen bei einem Fünftel bis zu einem Viertel der Arbeitskosten in Deutschland. Auch in Sachsen bewegen sich die Jahresverdienste
(einschließlich Arbeitgeberbeiträge für Sozialversicherung) noch bei 80 % der
entsprechenden Werte im gesamtdeutschen Durchschnitt. Im Vergleich zu
Sachsen liegen damit die Löhne (brutto) in Polen, Tschechien und Ungarn im
Durchschnitt des Unternehmensbereichs bei einem Viertel bis zu einem Drittel
des sächsischen Niveaus.
Tabelle IV.1
Höhe und Veränderung der Arbeitskosten im Vergleich
Jahresverdienste 2000 im Unternehmenssektor
Euro
(D=100)
jahresdurchschnittliche Veränderungsrate 1995/2000 in %
in Euro
in nationaler
Währung
Polen
6.667
22
12,5
17,6
Tschechien
5.851
19
8,1
8,4
Ungarn
7.772
25
7,1
17,2
Deutschland
30.538
100
0,3
1,0
Sachsen
24.288
80
0,8
1,5
Quelle:
OECD ( 2002), Berechnungen des ifo Instituts.
Deutlich wird aus Tabelle IV.1, dass in den MOE-Ländern eine Aufholtendenz
bei den Löhnen besteht. In nationaler Währung stiegen die Arbeitskosten zwischen 8 und 18 % pro Jahr im Zeitraum 1995 bis 2000. In Deutschland und
Sachsen ist dagegen nur ein Anstieg von 1 - 2 % zu beobachten.3 Der kräftige
Lohnanstieg in Polen, Tschechien und Ungarn wurde durch Abwertungen der
Landeswährungen nur zu einem Teil kompensiert. Bei Lohnsteigerungen in Eu3
Da die Arbeitskosten als Quotient aus den Bruttoarbeitseinkommen (einschließlich Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung) und der Zahl der abhängig Beschäftigten errechnet worden sind, wird die Veränderungsrate im Jahresdurchschnitt auch durch Verschiebungen im
Verhältnis Teilzeit- zu Vollzeitkräften beeinflusst. In allen Ländern hat die Teilzeitbeschäftigung zugenommen. Die Veränderungsrate der Arbeitskosten wird hierdurch im Vergleich zur
effektiven Brutto-Lohnentwicklung etwas gedrückt.
20
ro in der Größenordnung von 12 % pro Jahr, wie sie in den letzten Jahren in
Polen zu beobachten waren, würde es bei anhaltender gedämpfter Lohnentwicklung in Sachsen nur bis 2014 dauern, bis die polnischen die sächsischen
Arbeitskosten eingeholt hätten. Bei den Wachstumsraten in Tschechien und
Ungarn würde 2020 das sächsische Lohnniveau annähernd erreicht.
Die Daten in Tabelle IV.1 beziehen sich, wie erwähnt, auf einen sehr heterogenen Bereich. Die Relationen zwischen den Ländern bleiben jedoch ähnlich ausgeprägt, wenn man die Ebene der Wirtschaftszweige betrachtet (vgl. Tabelle IV.2).
Tabelle IV.2
Bruttolohnkosten pro Monat nach ausgewählten Branchen im Vergleich
Bruttolohnkosten im Jahr 2000; in €/Monat
Sachsena)
Branche
Polen
Tschechien
Ungarn
Industrie
1.976
423
336
293
Textilindustrie
1.378
326
250
208
Chemische Industrie
2.220
576
-
473
Metallerzeugung und –bearbeitung
2.156
518
395
371
Maschinenbau
2.267
427
358
300
Herstellung von Kraftwagen und –teilen
2.324
479
-
384
a) Geschätzt auf der Basis von Daten für 1999.
Quelle:
STATISTISCHES BUNDESAMT (2001a), STATISTISCHES LANDESAMT
SACHSEN (2001), Berechnungen des ifo Instituts.
1.2
Lohndifferenzierung nach Branchen und Qualifikationen
DES
FREISTAATES
In den drei MOE-Ländern unterscheiden sich die branchenüblichen Gehälter
z. T. erheblich (vgl. Tabelle IV.2). Hinsichtlich der Rangfolge der Branchen, die
mehr oder weniger Löhne bezahlen, besteht jedoch Ähnlichkeit. In der kapitalintensiven chemischen Industrie wird besser entlohnt als in den Sparten der
Metall- und Elektroindustrie. Diese bietet wiederum bessere Verdienstmöglichkeiten als die Textilindustrie.
In Sachsen zählt die chemische Industrie zwar auch zu den Industriezweigen,
die überdurchschnittlich hohe Verdienste ermöglicht. Sie bleibt jedoch in der
Lohnhierarchie hinter dem Fahrzeugbau und dem Maschinenbau zurück.
21
Die Bezahlung in der Textilindustrie kann als Indikator für die Arbeitskosten im
Niedriglohnbereich genommen werden. Wird die branchenmäßige Lohndifferenzierung in den einzelnen Ländern anhand der Abweichung von den Verdienstmöglichkeiten in der Textilindustrie gemessen, so zeigt sich, dass die
Lohnspreizung in Sachsen durchaus nicht immer geringer ist als in den betrachteten MOE-Ländern. So bezahlt der sächsische Maschinenbau 58 % besser als die Textilindustrie, während in Ungarn und Tschechien die Bruttoverdienste der Maschinenbauer nur um 44 % und in Polen nur um 23 % über dem
Niedriglohnbereich liegen. Insgesamt hat Ungarn vor Sachsen, Polen und
Tschechien die ausgeprägteste Lohndifferenzierung nach Wirtschaftszweigen.
Je nach Qualifikation und Arbeitgeber variieren die Gehälter erheblich. Generell
gilt der Grundsatz, wer gute Leute beschäftigen will, muss sie auch gut bezahlen. Während niedrig qualifizierte Arbeitskräfte, gemessen an westlichen Maßstäben, noch immer relativ niedrige Gehälter oder Löhne beziehen, nähert sich
die Vergütung leitender Angestellter zunehmend westeuropäischem Niveau an.
So liegen in Ungarn die Gehälter für Personal mit akademischer Bildung in der
Industrie statistisch gesehen bei ca. 200 bis 290 % des Durchschnittsniveaus.
Bemerkenswert ist, dass nach Angaben der EBRD (2000) mehrere Indikatoren
(z. B. Ginikoeffizient oder Gehaltsrelationen zwischen verschiedenen Sektoren)
darauf hinweisen, dass die Spreizung der Gehälter während des Transformationsprozesses stark zugenommen hat. Am größten ist gegenwärtig die Einkommensungleichheit in Polen und Ungarn.
1.3
Lohnnebenkosten
Die Höhe der Arbeitskosten wird auch durch die Kosten der sozialen Sicherung
mitbestimmt. Diese müssen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam
getragen werden. Welches Gewicht die Kosten der sozialen Sicherung haben,
lässt sich an der Höhe der Lohnnebenkosten ablesen (vgl. Tabelle IV.3). Innerhalb der Personalzusatzkosten sind in den Reformländern die Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen der mit Abstand wichtigste Posten. Dies ist
darauf zurückzuführen, dass in diesen Ländern die Last der Sozialversicherungsbeiträge überwiegend, ja zum Teil ausschließlich, von den Arbeitgebern
getragen werden muss. Dass die Zusatzkosten in den Reformstaaten nicht
22
noch höher sind, liegt an der geringen Bedeutung von Sonderzahlungen und
freiwilligen Leistungen, wie beispielsweise Weihnachts- und Urlaubsgeld.
Tabelle IV.3
Gewicht der Lohnnebenkosten für die Arbeitskosten
Durchschnittliche Bruttostundenlöhne im Jahr 1999 in Euro
Kostenart
Westdeutschland
Ostdtld. /
Sachsen
Polen
Tschechien
25,17
- Direktentgelte
- Personalzusatzkosten
Ungarn
15,95
2,82
2,62
2,89
13,86
9,57
1,56
1,50
1,57
11,31
6,39
1,26
1,11
1,32
82
67
80
74
84
Arbeitskosten
Insgesamt
Davon:
Zusatzkostenquote
Quelle:
SCHRÖDER (2000), IMOE-Datenbank, Berechnungen des ifo Instituts.
Mit Personalzusatzkosten von 6,40 € liegt Ostdeutschland/Sachsen im internationalen Vergleich im Mittelfeld (vgl. SCHRÖDER 2000, S. 86). Die im Vergleich
zu Westdeutschland niedrigeren Zusatzkosten sind vor allem auf die in den
neuen Ländern niedrigeren Sonderzahlungen und Urlaubsvergütungen sowie
geringeren Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung zurückzuführen.
Die Lohnzusatzkostenquote zeigt, dass die Kosten der sozialen Sicherung in
Ostdeutschland/Sachsen das geringste Gewicht für die Höhe der gesamten
Arbeitskosten hat.
1.4
Lohnniveaus für ausländische Unternehmen dargestellt am
Beispiel Tschechiens und Ungarns
Entgegen den vor allem in den 60er bis 80er Jahren in der neomarxistischen
Literatur verbreiteten Thesen über die Ausbeutung der Entwicklungs- und
Schwellenländer durch MNU, bezahlen diese nicht geringere, sondern in der
Regel weit höhere Löhne als einheimische Unternehmen. In Südostasien lagen
sie häufig bis zu 100 % über denjenigen der einheimischen Unternehmen (vgl.
hierzu JUNGFER 1990, S. 364 ff.). Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe: Eine
höhere Bezahlung, welche ein Unternehmen bei großen Lohnunterschieden
zwischen dem Arbeitsmarkt des Gastlandes und des Heimatlandes gut verkraften kann, dient der Imagepflege des ausländischen Unternehmens. Zudem
23
zieht eine höhere Entlohnung eine große Zahl von Arbeitskräften an, sodass
sich die ausländischen Firmen die am besten qualifizierten Arbeitnehmer aussuchen können.
Wie wenig die Durchschnittsangaben von Lohnkosten zur Orientierung nützen,
zeigt ÉKES (2001) in einem Vergleich der Löhne, welche MNU bezahlen, die
sich im Wettbewerb mit einheimischen Unternehmen befinden (vgl. Tabelle IV.4). Da nach ÉKES in Ungarn etwa die Hälfte des BSP von ausländischen
MNU oder Joint-Ventures erstellt wird, hat die Tätigkeit der MNU wegen der
höheren Lohnzahlungen zu einer wachsenden Einkommensungleichheit geführt.
Tabelle IV.4
Verdienste bei ausländischen Tochterunternehmen und bei lokalen Firmen in Ungarn
- 1999 Verdienste in Tochterunternehmen ausländischer
Firmen in Relation zum Verdienst bei lokalen Firmen (lokale Firmen = 100)
Monatsverdienste insgesamt
Monatslohn
Monatsverdienste
insgesamt
Arbeiter ohne Ausbildung
154,3
132,8
Arbeiter mit Ausbildung
197,2
159,2
Angestellte mit Hochschulabschluss
135,2
126,6
Mittleres Management
285,0
256,2
Top Managers
252,6
238,2
Quelle:
ECOSTAT, zusammengestellt von ÉKES (2001).
Ähnlich ist die Situation in Tschechien. Die Consultingfirma KIENBAUM hat in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer
eine Erhebung bei Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen zur Höhe der
Arbeitskosten in Tschechien durchgeführt (vgl. KIENBAUM 2002). Bei der Befragung wurde auch versucht, die Kostenäquivalente für die Produktivitätsdifferenz
zwischen dem tschechischen Betrieb und einem vergleichbaren Betrieb in
Deutschland zu ermitteln. Dabei wurde nach drei Berufsgruppen differenziert.
Da die Angaben zu den Produktivitätsdifferenzen stark schwankten, wurde ein
Mittelwert gebildet, der in etwa dem Median entspricht.
In Tabelle IV.5 sind die Ergebnisse der Untersuchung von KIENBAUM den nationalen Durchschnittwerten gegenübergestellt, welche CZECHINVEST unter der
24
Überschrift „Cost Driver Analysis“ präsentiert.4. Die größten Unterschiede bestehen zwischen den offiziell angegebenen und tatsächlich gezahlten Grundgehältern (salaries). Sowohl bei den gelernten als auch bei den ungelernten Arbeitnehmern liegt hier die tatsächliche Vergütung bei den ausländischen Tochterunternehmen um 75 % bzw. 72 % höher als die Angaben von CZECHINVEST.
Bei den Ingenieuren mit mechanischer Fachrichtung beträgt die Abweichung
allerdings nur 9 %.
Tabelle IV.5
Arbeitskosten 2000 in Sachsen und Tschechien im Vergleich
- Werte in Euro pro Monat Sachsen (SN)
Qualifikation
Deutsche Tochterunternehmen (DTU) in
Tschechien (CZ)
Abweichung
DTU in
CZ
Czechinvest
Aufschlag- Arbeits- Aufschlag- Arbeits- (SN =100) Arbeitssatz
kosten
sätze
kosten CZ
kosten CZ
Arbeiter ohne Qualifikation
Bruttolohn
Arbeitgeberbeiträge zur
Sozialversicherung
1.380
20 %
Arbeitskosten
276
456
35 %
1.656
Produktivitätsdifferenz
160
616
20 %
Adjustierte Arbeitskosten
260
1.656
123
739
55%
Facharbeiter
Bruttolohn
Arbeitgeberbeiträge zur
Sozialversicherung
1.610
20 %
Arbeitskosten
322
745
35 %
1.932
Produktivitätsdifferenz
261
1.006
20 %
Adjustierte Arbeitskosten
431
1.932
201
1.207
38%
Maschinenbauingenieure
Bruttolohn
Arbeitgeberbeiträge zur
Sozialversicherung
Arbeitskosten
2.636
20 %
527
Quelle:
4
3.163
1.159
406
1.565
20 %
CZECHINVEST und KIENBAUM (2002).
http://www.czechinvest.org/
32 %
3.163
Produktivitätsdifferenz
Adjustierte Arbeitskosten
1.259
313
1.878
41 %
25
Unter Berücksichtigung der höheren Verdienste bei Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen, der Sozialbeiträge und der Produktivitätsdifferenz
schrumpfen die Lohnkostenvorteile Tschechiens gegenüber Sachsen stark zusammen. Bei den Arbeitern betragen die produktivitätsadjustierten Lohnkosten
in Tschechien 45 bis 62 % der sächsischen Kosten. Der Unterschied ist zwar
immer noch beträchtlich, aber lange nicht so hoch wie die CZECHINVEST-Angaben suggerieren. Erwartungsgemäß sind die Lohnkostenvorteile bei den ungelernten Arbeitern mit 55 % gegenüber Sachsen am größten, gefolgt von den
Ingenieuren mit 41 % und den Facharbeitern mit 38 %.
1.5.
Arbeitsproduktivität
Der einfache Lohnvergleich vernachlässigt die Bedeutung der Produktivität für
die Höhe der Produktionskosten. Nach Untersuchungen der INTERNATIONAL
LABOUR ORGANIZATION (ILO 2000a) und der OECD (2002) bestehen hier ähnlich
ausgeprägte Unterschiede zwischen den Industrieländern und den Transformationsländern wie bei den Löhnen. Die Arbeitsproduktivität wird an der Wertschöpfung pro Beschäftigten gemessen (vgl. Tabelle IV.6).
Tabelle IV.6
Arbeitsproduktivität im Unternehmenssektor im Jahr 2000
Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen
im Unternehmenssektor im Jahr 2000
Euro
USA =100
Sachsen =100
Zum Vergleich:
Arbeitskosten a)
Sachsen =100
USA
66.294
100
206
190
Deutschland
46.651
70
145
126
Irland
44.599
67
138
115
32.688
49
101
95
32.253
49
100
100
Griechenland
21.497
32
67
63
Portugal
17.337
26
54
50
Tschechien
7.664
12
24
24
Ungarn
6.794
10
21
32
Polen
6.081
9
19
27
Spanien
Sachsen
b)
a) Werte siehe Tabelle IV.1. - b) Werte aus den OECD-Angaben für Deutschland unter Nutzung der Ergebnisse des Arbeitskreises „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder“ abgeleitet.
Quelle:
OECD (2002); ARBEITSKREIS VOLKSWIRTSCHAFTLICHE GESAMTRECHNUNG
Berechnungen des ifo Instituts.
DER
LÄNDER,
26
Wie Tabelle IV.6 zeigt, rangieren Polen, Tschechien und Ungarn bei der Arbeitsproduktivität im Durchschnitt des Unternehmenssektors mit deutlichem Abstand am unteren Ende der ausgewiesenen OECD-Länder. Gemessen am produktivitätsstärksten Land, den Vereinigten Staaten von Amerika (USA), liegt die
Arbeitsproduktivität bei Verwendung des Wechselkurses für die Umrechnung in
die gemeinsame Währung gerade bei einem Zehntel. Die Unternehmen Sachsens erreichen ein ähnliches Niveau der Arbeitsproduktivität wie die spanischen
Unternehmen. Der Vorsprung gegenüber den MOE-Ländern ist beträchtlich: Die
Arbeitsproduktivität in Tschechien, Ungarn und Polen liegt nur bei einem Fünftel
bis zu einem Viertel des sächsischen Niveaus. Interessant ist, dass der Rückstand bei der Arbeitsproduktivität ausgeprägter ist als der Rückstand bei den
Arbeitskosten.
Ähnlich wie bei Löhnen und Arbeitskosten stellt sich auch bei der Arbeitsproduktivität die Frage, ob die MOE-Beitrittsländer aufholen und in welchem Tempo sich der Aufholprozess vollzieht. Abbildung IV.1 zeigt die Entwicklung seit
Mitte der neunziger Jahre in gemeinsamer Währung (Euro). Zum einen wurde
die Arbeitsproduktivität in Euro zu jeweiligen Preisen aus der Wertschöpfung in
laufenden Preisen je Erwerbstätigen in heimischer Währung und deren Wechselkurs zum Euro im jeweiligen Jahr berechnet. Die in diesem Teilbild dargestellte Produktivitätsentwicklung reflektiert also auch Veränderungen im Wechselkursgefüge. Zum anderen ist die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Preisen von 1995 dargestellt, umgerechnet in eine einheitliche Währung zu Wechselkursen von 1995. Die Veränderung dieser realen Werte spielt bei Tariflohnverhandlungen ein zentrale Rolle. Nach beiden Messansätzen zeigt sich bisher
kein Aufholen der MOE-Länder bei der Arbeitsproduktivität im Durchschnitt des
Unternehmenssektors. Auch die Unternehmen Sachsens kommen seit Mitte der
neunziger Jahre nur mehr in abgeschwächtem Tempo dem deutschen Durchschnitt näher.
Während also Polen, Tschechien und Ungarn bei den Löhnen, welche im Unternehmenssektor bezahlt werden, deutlich gegenüber Sachsen aufgeholt haben, ist eine vergleichbare Entwicklung bei der Produktivität des Faktors Arbeit
nicht zu beobachten. Dies impliziert, dass die Lohnstückkosten, also die Ausgaben für den Faktor Arbeit je Einheit Produktion, sich im Durchschnitt des Unternehmenssektors in den MOE-Ländern stärker erhöht haben als in Sachsen
und Deutschland insgesamt.
27
Abbildung IV.1
Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Zentraleuropa seit 1995
Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen im Unternehmenssektor
zu jeweiligen Preisen und Wechselkursen
Deutschland
Tschechische Republik
Polen
Sachsen
Ungarn
zu Preisen und Wechselkursen von 1995
Deutschland
Polen
Sachsen
60000
60000
50000
50000
40000
in Euro
in Euro
40000
30000
30000
20000
20000
10000
10000
0
0
1995
Quelle:
Tschechische Republik
Ungarn
1996
1997
1998
1999
2000
2001
1995
1996
1997
1998
1999
OECD (2002); ARBEITSKREIS VOLKSWIRTSCHAFTLICHE GESAMTRECHNUNG
Berechnungen des ifo Instituts.
2000
DER
2001
LÄNDER,
Die Wettbewerbsfähigkeit der MOE-Länder hat sich also von der Kostenseite
her in den letzten Jahren verringert. Da die Konstellation bei der Entwicklung
der Lohnstückkosten in der Industrie von besonderem Interesse ist, wird zum
Abschluss des Abschnitts hierauf eingegangen.
1.6
Entwicklung der Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe im
Vergleich
Die Lohnstückkosten werden bei gesamtwirtschaftlichen Analysen oder bei
Branchenanalysen als Quotient von Arbeitskosten und der Bruttowertschöpfung
zu konstanten Preisen definiert. Arbeitskosten (Bruttolöhne, Lohnnebenkosten)
und Bruttowertschöpfung werden dabei über die Unternehmen aufsummiert,
welche den zu untersuchenden Bereich bilden. Die Bruttowertschöpfung zu
28
konstanten Preisen dient als Proxi-Variable für die eigentlich benötigte mengenmäßige Entwicklung der Produktion. Bei einzelwirtschaftlichen Analysen
stehen dagegen in der Regel Daten zur erzeugten Produktionsmenge zur Verfügung. Üblicherweise wird bei makro- und mesoökonomischen Analysen die
Lohnstückkostenentwicklung als Index des Wertes zum Basisjahr berechnet.
Dieser entspricht der Lohnquote im Basisjahr. Die Entwicklung der Lohnstückkosten kann wiederum in nationaler Währung oder in einheitlicher Währung betrachtet werden. Erstere ist ein Maßstab für den Inflationsdruck von der Kostenseite her in dem betreffenden Land. Die Lohnstückkostenentwicklung in einheitlicher Währung ist dagegen ein Indikator für die Position der Wirtschaft eines
Landes im Kosten- und Preiswettbewerb. Sie wird auch maßgeblich von den
Veränderungen im Wechselkurs der Landeswährung beeinflusst.
Wie Tabelle IV.7 zeigt, waren die Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe
in Deutschland, in nationaler Währung (DM) gerechnet, seit 1995 weitgehend
stabil. Die Erhöhung von Löhnen und Lohnnebenkosten bewegte sich also im
Durchschnitt der deutschen Industrie im Rahmen des Wachstum der Arbeitsproduktivität. Im sächsischen verarbeitenden Gewerbe sind die Lohnstückkosten deutlich gesunken. Bei nur wenig stärkerem Lohnanstieg, ist die Arbeitsproduktivität deutlich schneller gestiegen als im gesamtdeutschen Durchschnitt. Im
verarbeitenden Gewerbe in Polen, Tschechien und Ungarn haben sich dagegen
die Lohnstückkosten, in Zloty, Kronen und Forint gerechnet, seit 1995 deutlich
erhöht. Am stärksten war dies in Ungarn der Fall. Aber auch in der tschechischen Industrie haben die Lohnstückkosten noch um mehr als ein Viertel zugenommen.
Wie die Entwicklung der relativen Lohnstückkosten in einheitlicher Währung
zeigt, ist die Erhöhung der Lohnstückkosten im Durchschnitt der Industrieunternehmen Polens, Tschechiens und Ungarns zum Teil durch Abwertungen der
Währung kompensiert worden. Nur der Forint, die Währung Ungarns, wurde in
der Phase des „Managed Floating“ aber so stark abgewertet, dass der Anstieg
der Lohnstückkosten überkompensiert wurde. Der Vorsprung war 2000 am
ausgeprägtesten. Mit der Freigabe des Forint im abgelaufenen Jahr ging ein
Teil des Kostenvorsprungs verloren. Der relative Lohnstückkostenanstieg in der
polnischen Industrie hielt sich in einer Marge von rd. 10 %. Die tschechische
Industrie musste dagegen einen kontinuierlichen Anstieg der relativen Lohnstückkosten hinnehmen. 2001 lagen sie um über ein Fünftel höher als 1995.
Wird die aus den Ergebnissen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der
29
Länder berechenbare Lohnstückkostenrelation zwischen dem sächsischen und
dem deutschen verarbeitenden Gewerbe auf die - von der OECD berechneten deutschen relativen Lohnstückkosten in einheitlicher Währung übertragen,5 so
hat die sächsische Industrie von der Kostenseite her seit 1995 im internationalen Vergleich deutlich an Preiswettbewerbsfähigkeit gewonnen.
Tabelle IV.7
Entwicklung der Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe nach Ländern
Brutto-Arbeitseinkommen je Einheit
Bruttowertschöpfung in Preisen von 1995
- Index, 1995=100 Land
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Lohnstückkosten in nationaler Währung
Tschechien
110,7
111,9
121,9
126,7
124,3
126,0
Polen
114,5
121,9
132,4
135,0
130,0
132,0
Ungarn
113,5
120,9
122,9
129,1
125,1
137,1
Deutschland
101,8
99,7
100,1
101,9
99,1
100,5
97,8
89,0
83,9
84,0
78,6
76,0
Sachsen
relative Lohnstückkosten in einheitlicher Währung
Tschechien
107,0
104,8
115,3
117,0
118,1
122,3
Polen
102,7
102,4
108,3
101,5
102,4
111,6
92,2
92,0
85,3
85,4
80,2
87,2
97,3
92,8
95,3
96,0
90,1
89,8
93,4
82,8
79,9
79,1
71,6
68,0
Ungarn
Deutschland
Sachsen
a)
a) Näherungswert, errechnet durch Übertragung der Lohnstückkostenrelation Sachsens zu Deutschland
in nationaler Währung auf die deutschen relativen Lohnstückkosten in einheitlicher Währung.
Quelle:
OECD (2002); ARBEITSKREIS VOLKSWIRTSCHAFTLICHE GESAMTRECHNUNG
Berechnungen des ifo Instituts.
DER
LÄNDER,
Die relativen Lohnstückkosten des verarbeitenden Gewerbes eines Landes in
einheitlicher Währung berechnet die OECD gegenüber der Lohnstückkostenentwicklung in allen anderen OECD-Ländern. Dementsprechend gehen in die
Berechnung auch die Wechselkursveränderungen gegenüber den Währungen
der anderen OECD- Ländern ein. Die relativen Lohnstückkosten eines Landes
im Vergleich zu deutschen Anbietern auf dem deutschen Markt können sich
hiervon unterscheiden, da es dabei allein auf die Entwicklung der nationalen
5
Dies kann nur ein Näherungswert für die relative Lohnstückkostenentwicklung der sächsischen Industrie gegenüber allen OECD-Ländern (ohne Deutschland) sein, da die Exportstruktur der sächsischen Industrie nach Abnehmerländern nicht exakt der deutschen Exportstruktur entspricht.
30
Lohnstückkosten im Vergleich zur deutschen Industrie und die Währungsveränderungen gegenüber der DM bzw. dem Euro ankommt. Wie Abbildung IV.2
zeigt, ergibt sich jedoch auch bei Fokussierung auf den deutschen Markt eine
ähnliche Konstellation wie im internationalen Vergleich.
Abbildung IV.2
Entwicklung der Preiswettbewerbsposition von Industrieunternehmen
aus Polen, Tschechien, Ungarn und Sachsen auf dem deutschen Markt 1995-2001
Relative Lohnstückkostenentwicklung im Vergleich zum
verarbeitenden Gewerbe Deutschlands
auf dem deutschen Markt
140
130
Index 1995=100
120
110
Tschechien
Ungarn
100
Polen
90
Sachsen
80
70
60
1996
Quelle:
1997
1998
1999
2000
2001
OECD (2002); Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder, Berechnungen des ifo Instituts.
Selbst im Vergleich zu Unternehmen aus Ungarn hat die sächsische Industrie
von der Lohnstückkostenentwicklung her ihre Preiswettbewerbsfähigkeit auf
dem deutschen Markt seit 1995 verbessern können. Gegenüber Anbietern aus
Polen und Tschechien war die Entwicklung der Lohnstückkosten erheblich
günstiger.
Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass sich der Vorteil der MOELänder bei den Arbeitskosten (Bruttolöhne, Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, sonstige Lohnnebenkosten) der Unternehmen zwar seit Mitte der
neunziger Jahre vermindert hat, aber auch 2000 gemessen an den nationalen
31
Durchschnittswerten immer noch ausgeprägt war. Das Lohnniveau in Tochterfirmen ausländischer Unternehmen liegt jedoch um mehr als 50 % höher als bei
Firmen mit lokalen Eigentümern. Dem Vorteil bei den Löhnen steht jedoch ein
ebenso ausgeprägter Rückstand bei der Arbeitsproduktivität im Durchschnitt
aller Unternehmen gegenüber. Im Vergleich zum Durchschnitt der Unternehmen Sachsens ist der Vorteil bei den Löhnen kleiner als der Nachteil bei der
Arbeitsproduktivität. Die Lohnstückkosten sind die Resultante aus Arbeitskosten
und Arbeitsproduktivität. In nationaler Währung gerechnet, sind die Lohnstückkosten der verarbeitenden Industrie in Polen, Tschechien und Ungarn seit 1995
weit stärker gestiegen als in Sachsen. Abwertungen von Zloty, Krone und Forint
haben dies nicht ausgleichen können. Auch in einheitlicher Währung gerechnet,
hat sich die Preiswettbewerbsfähigkeit der sächsischen Industrie von der Lohnstückkostenentwicklung her gegenüber industriellen Anbietern aus Ungarn, insbesondere aber gegenüber Anbietern aus Polen und Tschechien verbessert. In
einheitlicher Währung gerechnet, sind im Zeitraum 1995 bis 2001 die Lohnstückkosten der tschechischen verarbeitenden Industrie pro Jahr um über 9 %
stärker gestiegen als die Lohnstückkosten der sächsischen Industrie.
2.
Arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen
Im ersten Jahrzehnt unter marktwirtschaftlichen Verhältnissen haben sich in
den drei MOE-Ländern die Qualifikationen der Arbeitskräfte sukzessive an die
Erfordernisse moderner, im Wettbewerb konkurrierender Unternehmen angepasst. In allen drei Ländern gehen die ausländischen Investoren dazu über, die
von ihnen entsandten Führungskräfte durch lokale Mitarbeiter zu ersetzen, wobei der Kostenfaktor eine zentrale Rolle spielt. Dennoch gibt es im Hinblick auf
die Verfügbarkeit bestimmter Qualifikationen sowie arbeitsorganisatorischer
Rahmenbedingungen länderspezifische Besonderheiten, die nachfolgend dargestellt werden. Von zentraler Bedeutung für Investoren sind hierbei die Rolle
der Gewerkschaften, die Mobilität der Arbeitskräfte und in der weiteren Entwicklung der zunehmende Anteil der MNU, welche in Ungarn z. B. ca. 50 % des
BIP erzeugen und damit einen sehr großen Einfluss auf das Anforderungsprofil
der Lehrlingsausbildung ausüben.
Da sich berufsbezogene Lehrinhalte schlecht messen und vergleichen lassen,
wird gerne der Indikator Anlernzeit als Ersatzgröße herangezogen. Dieser Indikator ist jedoch sehr problematisch, da die Anforderungen von der Art der Pro-
32
duktion abhängen. Die Anlernzeit einer Näherin und einer Sachbearbeiterin lassen sich kaum miteinander vergleichen.
2.1
Rolle der Gewerkschaften
Die Rolle der Gewerkschaften in den Transformationsländern ist nicht vergleichbar mit derjenigen in den OECD-Ländern. Während des kommunistischen
Regimes bestand eine Zwangsmitgliedschaft, aber bei Lohnverhandlungen
hatten die Gewerkschaften keinerlei Funktion. In den mehr zurückgebliebenen
Transformationsländern, die zu den sog. "Spätreformern" zählen, gehören teilweise noch 90 % der Mitarbeiter eines Betriebes der Gewerkschaft an. Da die
leitenden Funktionäre in den Gewerkschaften der Transformationsländer nicht
ausgewechselt wurden, sind viele Arbeiter aus diesen Organisationen ausgetreten, weil die Gewerkschaften in ihre neuen Aufgaben nach Angaben der
EBRD (2000, S. 99) noch immer nicht ganz hineingewachsen sind. Das bekannteste Beispiel ist laut ILO (2000a, S. 3) die polnische Gewerkschaft SOLIDARITÄT, die den Reformbeginn einleitete, aber mit zunehmender Privatisierung
völlig bedeutungslos wurde. Vielfach entstanden in den fortgeschritteneren
Ländern neue Gewerkschaften, was zu einer gewissen Zersplitterung führte,
sodass die Macht der Gewerkschaften - trotz gelegentlicher Streiks - insgesamt
als sehr schwach gilt. Über ihre Bedeutung bei den unterschiedlichen Formen
der Lohnverhandlungen informiert Tabelle IV.8. Die ausgehandelten Löhne
gelten als eine Art von Mindeststandard, der in der Praxis um ca. 5 % übertroffen wird.
Tabelle IV.8
Gewerkschaften und Lohnverhandlungen
Gewerkschaftsmitglieder Ebene der Lohnverhandlungen
- in % -
National
Tschechien
35
Ungarn
40
Polen
Sachsen
+
30
a) Laut Auskunft des DGB-Büros Dresden.
Quelle:
EBRD (2000, S. 99).
Betrieb
+
61
a)
Sektoral
Gewerkschaftsmitglieder
involviert in Lohnverhandlungen
- in % 20
40
+
10
30
33
Nach Auskunft der Pressestelle des DGB-Landesbezirks Sachsens (DGB 2001)
beträgt der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Arbeitnehmer in Sachsen
ca. 30 %. Bemerkenswert ist, dass nach Angaben des DGB die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in Sachsen seit vielen Jahren einen sinkenden Trend
aufweist. Dies liegt zum großen Teil an der Friktionsarbeitslosigkeit. Wer arbeitslos wird, tritt meist aus der Gewerkschaft aus, aber nicht wieder ein, wenn
er einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat. So verließen nach vorläufigen Schätzungen des DGB im Jahr 2000 ca. 5 % der Mitglieder die Gewerkschaften
Sachsens.
Nach einer Stichprobe des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB;
vgl. KOHAUT/SCHNABEL 2001) auf der Basis von 14.000 west- und ostdeutschen
Betrieben, die im Jahr 2000 über die Tarifbindung in West- und Ostdeutschland
erstellt wurde, ergaben sich folgende Werte (vgl. Tabelle IV.9 ):
Tabelle IV.9
Unternehmen mit Tarifbindung oder Tariforientierung
Neue Bundesländer
Branchentarifvertrag
Alte Bundesländer
23,2 %
45,4 %
Firmentarifvertrag
4,3 %
2,7 %
Kein Tarifvertrag
72,5 %
51,9 %
42,8 %
39,1 %
Davon orientieren sich an einem Tarifvertrag
Quelle:
KOHAUT/SCHNABEL (2001).
Tabelle IV.9 veranschaulicht deutlich die geringere Bedeutung der Tarifverträge
für Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland. Zählt man die Bedeutung
der Tarifverträge für diese drei Gruppen zusammen, so binden oder orientieren
sich in Ostdeutschland nur 59,0 % der Betriebe an einen Tarifvertrag während
es in Westdeutschland 68,4 % sind. Allerdings müssen diese Zahlen für Ostdeutschland mit Vorsicht interpretiert werden, da in den neuen Bundesländern
vom Flächentarifvertrag abweichende Regelungen relativ häufig sind.
Leider wird der Begriff der Tariforientierung nicht einheitlich verwendet. So
spricht ALLEN (2002) von der „Reichweite der Tarifabkommen“, die er für
Deutschland, Frankreich, Irland, Niederlande und Griechenland im Jahr 1996
mit 90 % beziffert; im Gegensatz zu Großbritannien, wo sie für das Jahr 1994
mit 25,6 % angegeben wird.
34
Insbesondere auf Seiten der Unternehmerverbände wird vielfach die Ansicht
vertreten, die wirkliche Tariforientierung sei sehr hoch, weil sich die meisten
Unternehmen bei jeder Tarifrunde an den „Geleitzug“ hängen, weshalb sich das
Tarifgefüge kaum ändert. Lohnerhöhungen sollten sich ausschließlich am
Wachstum der Gewinne oder der Wertschöpfung orientieren. Unter diesen Bedingungen würde sich die Rangfolge der Entlohnung nach Berufen rasch ändern. (z. B. die Relation Kfz-Mechaniker versus Orgelbauer). Ausgenommen
einige Sonderfälle, wie die Bauindustrie, sei dies aber nicht der Fall.
Obwohl in einigen EU-Beitrittsländen die Arbeitsgesetzgebung teilweise als restriktiver gilt als der acquis communautaire6, der die Beitrittsvoraussetzungen
für die EU definiert, mahnen die EU und die ILO immer wieder die Implementierung und Durchsetzung des sog. "sozialen Dialogs" an. Es sollen einvernehmlich Regelungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern erarbeitet werden,
wie sie von der EU im "Weißpapier" (1995), niedergeschrieben wurden. Das
Weißbuch enthält die Minimum-Standards, welche die EU festgelegt hat (vgl.
EBRD 2001).
In ihren Beschreibungen der Situation unterscheiden sich teilweise die einzelnen Analysen. Während die ILO mehrfach an die Regierungen Polens und Ungarns appellierte, Gesetze zur Einhaltung elementarer Rechte der Arbeitnehmer
(ILO 2000b) zu erlassen, ist Ungarn nach Analyse der EBRD bei der Umsetzung des acquis hinsichtlich Beschäftigung und sozialer Probleme relativ fortgeschritten. Noch mehr trifft dies gemäß dieser Quelle für Tschechien zu. Laut
CZECHINVEST steht es den Arbeitern jederzeit frei, eine Gewerkschaft zu gründen; allerdings interessiert sie das kaum.
Polen hinkt dagegen bei den meisten noch zu lösenden Problemen hinterher
(z. B. Gleichstellung der Frau bei Löhnen), die hier aus Platzgründen nicht alle
aufgeführt werden. In Polen und Ungarn beklagen zudem EU und EBRD die
mangelnde Berücksichtigung von Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz
(EBRD 2000, S. 110 f.). Insgesamt seien die meisten EU-Beitrittsländer aber so
weit fortgeschritten, dass die Umsetzung des acquis für die Unternehmen keine
große finanzielle Belastung darstellt.
6
Der acquis communautaire (kurz: acquis) umfasst den gemeinschaftlichen Besitzstand der
EU. Er zielt auf die Fähigkeit der Beitrittsländer, die aus der Mitgliedschaft erwachsenden
Verpflichtungen (Rechts- und Verwaltungsvorschriften etc.) zu übernehmen und sich die
wirtschafts- und währungspolitischen Ziele der EU zu eigen zu machen.
35
In Anbetracht der Klagen internationaler Organisationen über die Bedeutungslosigkeit der Gewerkschaften überrascht indes die Streikhäufigkeit, in einigen
MOE-Ländern (vgl. Tabelle IV.10). In Ungarn gab es zwischen 1997 und 1999
mit ca. 244.300 verlorenen Arbeitstagen die größten Produktionseinbußen
durch Streiks in den MOE-Ländern. In der Summe sind das 18 Mal mehr verlorene Streiktage als in Deutschland. Nur für Tschechien waren (entweder wegen
gar keiner Streiks oder vermutlich wegen einer sehr geringen Zahl) keine Daten
angegeben. Obwohl ständig beklagt wird, in Polen seien die Gewerkschaften
seit der Wende machtlos, scheint in Polen die Bereitschaft zu streiken zu wachsen. 1997 gingen in Polen durch Streiks und Aussperrungen 27.800 Arbeitstage
verloren, 1998 waren es 42.741 und 1999 106.893 Tage. Im gleichen Zeitraum
gingen dagegen in ganz Deutschland, das ungefähr über die doppelte Einwohnerzahl verfügt, in den drei gleichen Jahren nur 36.500 Arbeitstage verloren.
Tabelle IV.10
Streiks und Aussperrungen in Polen, Ungarn, Deutschland und Großbritannien
im Vergleich
- 1996-1999 1997
1998
1999
1997-99
(Summe)
Polen
Anzahl der Fälle
35
37
920
992
Verlorene Arbeitstage
27.800
42.741
106.893
177.434
Beteiligte Arbeitnehmer
14.200
16.907
27.149
58.256
216
166
205
587
1.923
392
241.959
244.274
853
1447
16.685
18.985
...
...
...
Verlorene Arbeitstage
13.472
4.286
18.749
36.507
Beteiligte Arbeitnehmer
13.472
4.286
187.749
205.507
216
166
205
587
234.700
282.400
241.800
767.900
139.00
92.700
140.900
233.739
Ungarn
Anzahl der Fälle
Verlorene Arbeitstage
Beteiligte Arbeitnehmer
Deutschland
Anzahl der Fälle
Zum Vergleich
Großbritannien
Anzahl der Fälle
Verlorene Arbeitstage
Beteiligte Arbeitnehmer
Quelle:
STATISTISCHES BUNDESAMT (2001a).
36
In Ostdeutschland gab es nach Auskunft des DGB in dem erwähnten Zeitraum
in Sachsen überhaupt keine Streiks. Auch in den anderen neuen Bundesländern gab es – abgesehen von kurzen Warnstreiks – keine durch Streiks verlorenen Arbeitstage. Streiks sind in den neuen Bundesländern unpopulär. Im Gegensatz zu den alten Bundesländern sind hier die Menschen sogar eher bereit,
Opfer zu bringen, um die Existenz ihres Unternehmens und ihren eigenen Arbeitsplatzes nicht zu gefährden.
Die Tatsache, dass die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft wenig mit den
durch Streiks und Aussperrungen verlorenen Arbeitstagen zu tun hat, zeigt das
Beispiel Großbritannien, ein Land in dem nur noch ca. 30 % der Löhne einer
Tariforientierung unterliegen (vgl. ALLEN 2002). Trotz der relativ geringen Zahl
an Gewerkschaftsmitgliedern in den USA erreichten die US-Amerikaner im Jahr
1998 mit mehr als 5,1 Millionen durch Streiks verlorenen Arbeitstagen einen
Spitzenwert, selbst wenn man berücksichtigt, dass ihre Einwohnerzahl
280 Millionen beträgt, sodass man das „Phänomen Gewerkschaft“ aus einem
ganz anderen Blickwinkel sieht - ein Sachverhalt, der in der betriebswirtschaftlichen Literatur allgemein bekannt ist.
2.2
Mobilität der Arbeitskräfte
Insgesamt gelten die Arbeitsmarktstatistiken der Transformationsländer als sehr
schlecht und entsprechen nicht dem ILO-Standard. Gelegenheitsarbeiten werden meist den Behörden nicht mitgeteilt, ebenso wenig Kurzarbeit. In den
meisten Ländern ist die Arbeitslosenunterstützung so gering, dass die Entlassenen häufig den Gang zur Behörde wegen der langsam arbeitenden Bürokratie meiden. Tendenziell befinden sich unter den Arbeitslosen entweder ganz
junge oder relativ alte Arbeitnehmer mit geringer Ausbildung.
Die Mobilität der Arbeitskräfte (gemessen am Arbeitsplatzwechsel der beschäftigten Arbeitnehmer) ist in den meisten Transformationsländern sehr hoch.
Während in der ökonomischen Theorie hohe Arbeitslosigkeit meist mit Immobilität in Verbindung gebracht wird, trifft in den Transformationsländern das Gegenteil zu. So ist z. B. in Russland die Mobilität der Arbeitskräfte sogar größer
als in Polen (EBRD 2000, S. 110).
37
In der folgenden Tabelle IV.11 werden die Arbeitnehmer erfasst, die innerhalb
des angegebenen Jahres mindestens einmal den Arbeitsplatz gewechselt haben.
Tabelle IV.11
Arbeitsmobilität in Ungarn und in Polen
- in % der Beschäftigten Ungarn (1999)
Permanent beschäftigt während des Jahres
1. Arbeitsplatzwechsel Beschäftigter
85,8
Polen (1998)
87,1
5,4
4,9
Davon aus dem staatlichen Sektor in %
62,1
78,0
Davon aus dem privaten Sektor in %
16,8
22,0
8,9
8,0
Davon kommen aus dem privaten Sektor
54,1
77,6
Davon kommen aus dem staatlichen Sektor
27,4
22,4
14,3
12,9
2. Beschäftigungszugang aus der Gruppe der
Entlassenen oder Inaktiven
Wechsel insgesamt (1+2)
Quelle:
EBRD (2000, S. 105).
Die Tabelle indiziert eine hohe Mobilität der Arbeitnehmer in Polen und Ungarn.
Für Tschechien fehlen entsprechende Zahlenangaben, jedoch dürfte die Lage
dort nicht anders aussehen. Generell ist die Mobilität um so höher, je jünger die
Arbeitnehmer sind und je besser ihre Ausbildung ist. Frauen sind erheblich immobiler als Männer, weil sie das mit einem Arbeitsplatzwechsel verbundene
Risiko scheuen. Allerdings ist die Mobilität aus dem Umland in die Ballungsräume wegen des Wohnungsmangels in Tschechien und Polen sehr gering.
Innerhalb der Städte ist sie dagegen sehr hoch. Bietet sich den Arbeitnehmern
die Möglichkeit, zu einem attraktiverer Arbeitsplatz zu wechseln, geschieht dies
viel rascher als in Deutschland.
Das wichtigste Kriterium für die Wahl eines Arbeitsplatzes ist vor allem bei
Frauen, dass er als "sicher" gilt. Eine Studie über die gegenwärtige Arbeitsgesetzgebung zeigt, dass bei Entlassungen meist Vorschriften existieren, die mit
den EU-Standards kompatibel sind. Diese werden jedoch häufig umgangen.
Mangelnde Bereitschaft, Arbeitnehmer umzuschulen, nennt die EBRD als einen
der häufigsten Gründe für "unfaire Entlassung" (EBRD 2000, S. 110). Ebenso
werden fehlende Reformen bei Abfindungen genannt. Wer in Polen z. B. nach
20jähriger Tätigkeit in einem Betrieb entlassen wird, hat Anspruch auf eine Ab-
38
findung von 18 Monatsgehältern. Die tatsächlich bezahlten Abfindungen sind
aber häufig viel niedriger.
2.3
Sonstige Rahmenbedingungen
Generell bietet Polen ausländischen Investoren hoch motivierte Arbeitskräfte.
Eine relativ gute Verfügbarkeit besteht bei Arbeitern, technischem Personal und
Verwaltungsangestellten. In Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit gibt es häufig
eine Vielzahl von Bewerbern, die aber nicht immer den üblichen Anforderungen
an Fremdsprachenkenntnissen, Flexibilität und Zuverlässigkeit entsprechen. In
der Nähe von Wirtschaftszentren kann es schwierig werden, qualifiziertes Personal zu finden. Mit einem Altersanteil von 42 % unter 40 Jahren ist das Arbeitskräftepotenzial eins der jüngsten in Europa.
Die Personalsuche ist aber umso schwieriger, je höher die Anforderungen an
den Ausbildungsgrad sind. So gut wie leer gefegt ist praktisch der Arbeitsmarkt
für Hochschulabsolventen mit ausreichender Berufserfahrung, dazu mit soliden
Kenntnissen der deutschen oder englischen Sprache. Dies gilt besonders für
Manager und hochkarätige Spezialisten. Übliche Wege der Personalrekrutierung sind Anzeigen in der Tages- und Fachpresse (auch Internetanzeigen) oder
die Werbung in Hoch- und Fachschulen. Generell hoch ist die Fluktuationsrate
und entsprechend niedrig die Hemmschwelle zum gegenseitigen Abwerben von
Mitarbeitern, sodass Fachkräfte schnell bereit sind, bei entsprechend besserer
Bezahlung den Arbeitgeber zu wechseln. Besonders unter jungen Leuten ist
"Job-Hopping" sehr verbreitet, um schnell auf der Gehaltsleiter nach oben zu
steigen.
Nach einer Umfrage der Personalberatung KIENBAUM vom April 2000 unter Führungskräften deutscher Unternehmen in Polen (vgl. BFAI-INFO OSTEUROPA 2000,
S. 9 ff.) sollten nach Polen entsandte Fachkräfte über folgende Fähigkeiten und
Eigenschaften verfügen: Geduld, Offenheit gegenüber den Menschen und der
Mentalität, Einfühlungsvermögen, Anpassungsfähigkeit, gute Kenntnisse des
Marktes und der Branche sowie Sprachkenntnisse.
In der gleichen Umfrage nannten deutsche Führungskräfte folgende typischen
Eigenschaften, die ihnen an ihren polnischen Mitarbeitern auffielen: hohe Motivation, Lernbereitschaft, Kreativität, Höflichkeit, Hierarchiedenken (gleichzeitig
39
aber einen ausgeprägten Individualismus), Emotionalität, Gastfreundschaft und
Nationalstolz.
Die tägliche Arbeitszeit darf acht Stunden nicht überschreiten (durchschnittlich
42 Stunden pro Woche gerechnet auf drei Monate). Pro Tag sind maximal vier
Überstunden zulässig (150 pro Jahr). Als Arbeitstage gelten alle Tage außer
Sonn- und Feiertage.
Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von
18 Arbeitstagen nach einem Jahr Beschäftigung, von 20 Arbeitstagen nach
sechs Jahren sowie von 26 Arbeitstagen nach zehn Jahren Beschäftigung.
Schul- und Ausbildungsjahre werden Beschäftigungszeiten angerechnet. Demnach zählt der Besuch einer Oberschule als vier Beschäftigungsjahre, die berufliche Oberschule als sechs und ein abgeschlossener Hochschulabschluss als
acht Beschäftigungsjahre. Ein Urlaubsanspruch verjährt erst nach drei Jahren.
Es ist üblich, für familiäre Anlässe, wie Hochzeit, Geburt, Todesfälle etc. zwei
weitere Tage bezahlte Freistellung zu gewähren. Der Mutterschaftsurlaub beträgt ab dem Jahr 2001 26 Wochen für ein Kind bzw. 36 Wochen bei Mehrlingsgeburten. Weiterhin kann ein Erziehungsurlaub bis zu drei Jahren beantragt werden.
Tarifverhandlungen in der Privatwirtschaft finden fast ausschließlich auf der betrieblichen Ebene statt. Flächentarifverträge sind dagegen äußerst selten. Dafür
fehlen oftmals schon rein formale Voraussetzungen wie Tarifpartner mit einem
ausreichend großen Verhandlungsmandat. Nicht nur die Gewerkschaften sind
zersplittert, auch auf der Arbeitgeberseite gibt es konkurrierende Organisationen.
Durch Streiks gingen in Polen im Jahr 1998 rund 42.700 Arbeitstage (1997:
27.800) verloren (vgl. auch Tabelle IV.10). Auch 1999 kam es zu zahlreichen
Streiks, insbesondere in der Landwirtschaft, im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie im Bergbau.
Seit den Mitte 1999 eingeführten scharfen Kontrollen bei krank geschriebenen
Arbeitnehmern, der Überprüfung von Attesten der Ärzte, die Krankschreibungen
vornehmen, sowie der Verhängung harter Strafen bei Verstößen gegen diesbe-
40
zügliche Vorschriften7 ist der einst traditionell hohe Krankheitsstand in Polen auf
elf Tage pro Jahr und Arbeitnehmer gesunken.
Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber
im Krankheitsfall nur für max. 35 Tage jährlich. Die Höhe des Anspruchs ist auf
80 % des Bruttolohns beschränkt (nicht, wenn die Krankheit durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde, bei Berufskrankheiten oder Schwangerschaftsbeschwerden).
Die Tschechische Republik verfügt über Arbeitskräfte mit einem guten Grundwissen, insbesondere in naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern.
Im Jahre 1995 erzielten 13-jährige Schüler europaweit die besten Testergebnisse in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften (vgl. OECD 2000).
Besonders bemerkenswert ist, dass die Tschechische Republik bei der PISAStudie (OECD 2001b) besser abgeschnitten hat als Deutschland. Deutschland
liegt zwar vor Ungarn und Polen, aber der Abstand Tschechiens zu Deutschland ist größer als derjenige Deutschlands gegenüber den beiden anderen
MOE-Ländern. Vergleicht man den Prozentsatz der in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern verliehenen Grade, liegt Tschechien gemäß einer Untersuchung aus dem Jahr 1998 unter den OECD Ländern mit ca. 34 % vor
Deutschland mit ca. 33 %. Bei Ungarn waren es 28 % und bei Polen nur 20 %
(OECD 2000).
Besonders hoch ist auch der Anteil der Menschen, die englisch oder deutsch
sprechen können. Hier übertrifft Tschechien alle MOE-Staaten. Mit zunehmendem Alter nimmt die Fähigkeit, Englisch zu beherrschen, zugunsten der Qualifikation in Deutsch ab. Dieser Sachverhalt ist historisch leicht verständlich.
Wenig zufriedenstellend ist die Lehrlingsgausbildung, die immer noch unter
staatlicher Regie abläuft. Während der Berufsschulzeit absolvieren die Schüler
häufig Praktika in den Betrieben, um eine realitätsbezogene Ausbildung zu bekommen. Durch den starken Einfluss von neuen Technologien wurden die jun7
Da sich viele Polen vor Mitte 1999 krank schreiben ließen, um wochenlang im Ausland, vor
allem in Deutschland, schwarz zu arbeiten, erließ die Regierung harte Gesetze, um solche
Missbräuche zu verhindern. Vertrauensärzte der Krankenkassen dürfen unangemeldet Arztpraxen überprüfen und Kranke zu Hause besuchen. Ärzten, die Gefälligkeits-Atteste ausstellen, wird die Berechtigung, Patienten krank zu schreiben bis zu einem Jahr entzogen.
Schon bei kleineren Mängeln kann dieser Entzug für ein Vierteljahr dauern. Auch den Arbeitnehmern drohen massive Sanktionen (vgl. o. V. 1999).
41
gen Arbeitskräfte und ihre Lehrer mit völlig neuem Wissen konfrontiert. Da das
Wissen der Lehrer sehr unterschiedlich ist, sind auch die weiterführenden Berufsschulen nicht miteinander vergleichbar (vgl. EUROPEAN TRAINING FOUNDATION 1999). Die Laufbahnen an der Berufsschule gelten als sehr rigide und werden der Vielfältigkeit der Anforderungen nicht gerecht.
Nachdem seit der Wende sieben größere Studien zur Reform des Berufschulwesens erarbeitet wurden, die wenig Einfluss hatten, wurde mit Mitteln der EUFörderprogramme PHARE und TACIS eine umfangreiche Untersuchung unter Mitarbeit von ca. 20 Autoren finanziert, um erst einmal eine Bestandsaufnahme
durchzuführen. Es würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen hierauf näher
einzugehen. Hervorgehoben werden sollen nur die wichtigsten Punkte: Die Betriebe verfügen über zu wenig Anreize, unmotivierte Lehrlinge für die Praxis
auszubilden, eigene Schulen zu gründen oder gut betreute Praktika anzubieten.
Das Schulsystem ist sehr rigide und ermöglicht nicht das Wechseln in ein verwandtes Fach, ohne die investierte Zeit bis zum Abschluss zu 100 % zu verlieren. Deshalb gibt es auch relativ viele „drop-outs“ (Schulversager, welche die
Schule verlassen). Trotz Mithilfe ausländischer Experten wird es noch Jahre
dauern, bis das Schulsystem den modernen Anforderungen entspricht. Dies ist
auch der Grund dafür, dass der Staat Direktinvestoren finanziell fördert, wenn
sie Arbeitskräfte anlernen oder schulen.
Die Arbeitszeitregelungen sind flexibel. Einmal im Jahr werden ausländische
Direktinvestoren und ihre lokalen Zulieferer im Auftrag der tschechischen Investitionsförderagentur CZECHINVEST nach ihren Vorhaben in Tschechien befragt.
Im Jahr 1999 meldeten 49 % der ausländischen Unternehmen, dass sie in ihren
tschechischen Tochtergesellschaften an jedem Arbeitstag eine Rund-um-dieUhr-Produktion betreiben (vgl. o. V. 2000a). 26 % der Unternehmen arbeiteten
sieben, 16 % sechs Tage pro Woche.
Die Regel-Wochenarbeitszeit hat das Arbeitsministerium auf 42,5 Stunden festgesetzt. Bei Tarifverhandlungen haben jedoch die Gewerkschaften 40 Stunden
als Regelarbeitszeit durchgesetzt (vgl. U.S. Department of State 2000b). Für
Arbeit in der Spätschicht werden i. d. R. keine Zuschläge gezahlt. Die Prämie
für die Nachtschicht betrug Mitte 2000 4,30 Ck pro Stunde. Die ÜberstundenZusatzvergütung beträgt 25 % des regulären Stundenlohns, die Zusatzvergütung für Arbeit an gesetzlichen Feiertagen 50 %.
42
Die Mindesturlaubszeit beträgt drei Wochen pro Jahr. Sie erhöht sich auf vier
Wochen für Arbeitnehmer, die seit 15 oder mehr Jahren berufstätig sind. In bestimmten Branchen gelten Tarifverträge mit höheren Urlaubsansprüchen.
Die Frist für eine ordentliche Kündigung beträgt für den Arbeitnehmer zwei Monate zum Monatsende, für den Arbeitgeber i. d. R. drei Monate. Bei betriebsbedingten Kündigungen muss der Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe von zwei
Monatsgehältern leisten. Auch befristete Arbeitsverträge können Arbeitgeber
oder Arbeitnehmer durch eine ordentliche Kündigung auflösen. Kündigungsschutzvorschriften gelten u. a. für Fälle kurzfristiger gesundheitlicher Probleme,
für die Ableistung des Militärdienstes, für die Ausübung öffentlicher Ämter sowie
für Schwangerschaft oder Alleinerziehung eines Kindes unter drei Jahren.
Hinsichtlich der Zahl der Arbeitskonflikte lag Tschechien im internationalen Vergleich bis etwa 1997 als ein Land mit hohem Arbeitsfrieden außerordentlich
günstig. Seit der letzten Rezession häufen sich indes Streiks und spontane Arbeitsniederlegungen wegen Massenentlassungen, der Nichtzahlung von Löhnen sowie Betriebsschließungen.
In Ungarn wird die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte inzwischen von den
Unternehmen als entscheidendes Standortproblem angesehen. Dabei spielen
zwei Faktoren eine Rolle: In den infrastrukturell gut entwickelten Regionen
Westungarn und im Großraum Budapest, führt die Dichte der Betriebsansiedlungen zu einer Nachfrage nach qualifiziertem Personal, die in vielen Fällen das
Angebot übersteigt. In Ostungarn dagegen entspricht das Ausbildungsniveau
nicht den Anforderungen der Unternehmen. Generell scheinen die ungarischen
Schulen und Universitäten mit ihrer Ausbildung nicht mehr den modernen Anforderungen von Industrie und Dienstleistungssektor gerecht zu werden. Die
größte Personalknappheit wird von den Unternehmen im Bereich der Informationstechnologie und in dem Sektor Marketing, Vertrieb und Verkauf gemeldet.
Um diesen Engpass zu beseitigen, investieren die Unternehmen in immer stärkerem Maß in betriebliche Ausbildung und Schulung, teilweise in Zusammenarbeit mit den örtlichen Schulen und Universitäten. Ziel ist die duale praxisnahe
Ausbildung.
Für die Personalbeschaffung stehen die üblichen Wege wie Zeitungsanzeigen,
staatliche Arbeitsvermittlung und private Arbeitsvermittler und Personalberater
43
zur Verfügung. Während im Allgemeinen das Angebot an geschulten Facharbeitern, insbesondere in den technischen Bereichen, recht gut ist, besteht ein
erheblicher Mangel an guten Führungskräften, insbesondere was Marketing,
Controlling und Datenverarbeitung anbetrifft. Die Gehälter für entsprechende
Mitarbeiter liegen daher überdurchschnittlich hoch.
Die reguläre Arbeitszeit beträgt acht Stunden täglich, 40 Stunden in der Woche.
Für Überstunden wird neben dem normalen Lohn ein Zuschlag in Höhe von
50 % des Gehalts gezahlt oder ein Freizeitausgleich gewährt. Leitende Angestellte haben keinen Anspruch auf Überstundenzuschläge. Für Nachtarbeit
werden Zuschläge in Höhe von 15 % der Grundvergütung gewährt. Der Urlaubsanspruch ist altersabhängig. Arbeitnehmer unter 21 Jahren haben einen
gesetzlichen Anspruch auf 20 Tage, Arbeitnehmer über 45 Jahre auf 30 Tage.
Im Krankheitsfall hat der Arbeitnehmer in den ersten 15 Arbeitstagen Anspruch
auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber in Höhe von 80 % des Bruttoverdienstes. Danach erhält er ein Krankengeld in Höhe von 70 % des Durchschnittsverdienstes im vorangegangenen Jahr. Davon trägt zwei Drittel die Sozialversicherung und ein Drittel der Arbeitgeber. Frauen haben Anspruch auf
24 Wochen unbezahlten Entbindungsurlaub sowie auf Erziehungsurlaub bis
zum dritten Lebensjahr des Kindes.
Eine Kündigung hat schriftlich zu erfolgen. Die ordentliche Kündigungsfrist seitens des Arbeitgebers beträgt mindestens 30 Tage. Sie erhöht sich in Abhängigkeit von der Dauer des Arbeitsverhältnisses um bis zu 60 Tage bei 20 oder
mehr Dienstjahren. Bei befristeten Arbeitsverträgen ist eine ordentliche Kündigung nicht möglich. Das befristete Arbeitsverhältnis kann vorzeitig gelöst werden, wenn der Arbeitgeber für eine nachstehende Zeit (höchstens ein Jahr) im
Voraus den Arbeitslohn entrichtet. Bei einer rechtmäßigen Kündigung sind
i. d. R. Abfindungen zu zahlen. Sie betragen bei einem Arbeitsverhältnis von
drei Jahren mindestens ein Monatsgehalt und erhöhen sich entsprechend der
Dauer der Beschäftigung auf sechs Monatsgehälter, wenn das Arbeitsverhältnis
mindestens 25 Jahre betrug.
Die Streikbereitschaft nahm in den letzten Jahren vor allem aufgrund steigender
Lebenshaltungskosten zu (vgl. auch Tabelle IV.10).
Tabelle IV.12 gibt einen synoptischen Überblick hinsichtlich der wichtigsten arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen.
44
Tabelle IV.12
Gesetzliche Regelungen bezüglich Löhnen, Arbeitszeit u. ä.
Ostdeutschland/
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
Vergütung
Tarifverträge
freie Vereinbarung
freie Vereinbarung
freie Vereinbarung
Mindestlohn
Arbeitslosen/Soziallhilfe
700 Zl (174 €)
4.000 Kc (112€)
22.500 Ft (86€)
(2000)
40.000 Ft (155€)
(2001)
50.000 Ft (205€)
(2002)
Wochenarbeitszeit
39,2 Stunden
42 Stunden
43 Stunden
40 Stunden
Zulässige
Überstunden
48 Stunden
150/Jahr
k. A.
144/Jahr - max.
4 Std. an vier
aufeinander folgenden Tagen
Gesetzliche
Feiertage
10
Urlaubsanspruch
10
28,3
(mittlerer Tarifurlaub)
18-26 Tage
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
max. 6 Wochen
Probezeit
max. 6 Monate
Kündigung
gesetzliche und
rahmentarifvertragliche Fristen
Quelle:
BFAI
3.
Steuern
10
9
15-20 Tage
(häufig kommt
eine Extrawoche
= 5 Tage dazu)
20 Tage
(unter 21 Jahre)
max. 35 Tage
Nein
80 % der BruttoVergütung für
max. 15 Tage
max. 3 Monate
max. 3 Monate
max. 3 Monate
Frist: Arbeitnehmer 2 Monate,
Arbeitgeber: 3
Monate
schriftlich; Frist
seitens des Arbeitgebers 30 bis
60 Tage je nach
Dienstjahren
30 Tage
(über 45 Jahre)
(2000), WSI-Tarifdatenbank.
Das Steuersystem in Polen kennt direkte (Körperschaft-, Einkommen- und Agrarsteuer) und indirekte Steuern (Mehrwert- und Verbrauchsteuer) sowie sonstige Steuern und Abgaben (Erbschaft-, Schenkungsteuer, lokale Steuern u. a.)
(vgl. BFAI Datenbank). Eine Gewerbesteuer wird nicht erhoben. Für Kapitalgesellschaften mit ausländischer Beteiligung gibt es keine steuerlichen Sonderregelungen.
45
Mehrwertsteuer
Auf den Umsatz aller Waren und Dienstleistungen innerhalb Polens wird eine
Mehrwertsteuer erhoben. Steuerpflichtig sind alle natürlichen und juristischen
Personen, die eine in Polen zugelassene Wirtschaftstätigkeit ausüben. Die Bemessungsgrundlage schließt Zölle und Verbrauchsteuern ein. Es gibt einen
vollen Steuersatz (22 %), einen ermäßigten (7 %, z. B. für verschiedene Lebensmittel, Baumaterialien und -leistungen, Musikinstrumente, Rechtsdienstleistungen; Pharmazeutika) und einen Nullsteuersatz (z. B. Exporte, Bücher).
Unbearbeitete Agrarprodukte, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Bildung, Gesundheitsdienstleistungen, Landverkäufe u. a. sind von der Mehrwertsteuer ausgenommen. Die Angleichung an EU-Standards wird zu einigen
Änderungen führen, wie die schrittweise Belastung der Landwirtschaft mit der
Mehrwertsteuer und die Angleichung der ermäßigten Sätze an das in der EU
übliche Niveau.
Körperschaftsteuer
Steuersubjekte sind alle juristischen Personen (Ausnahmen: u. a. Kirche und
kirchennahe Organisationen, landwirtschaftliche Einrichtungen, gemeinnützige
Organisationen) sowie rechtlich unselbständige Organisationen (z. B. Zweigniederlassungen), nicht aber Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit.
Gesellschaften mit Sitz in Polen sind unbeschränkt steuerpflichtig (d. h. der
Weltumsatz wird besteuert), Gesellschaften mit Sitz oder Geschäftsführung im
Ausland sind nur beschränkt steuerpflichtig (d. h. besteuert wird nur das in Polen erwirtschaftete Einkommen). Joint Ventures und Tochtergesellschaften
deutscher Unternehmen sind unbeschränkt steuerpflichtig.
Bemessungsgrundlage sind die Einkünfte abzüglich der abzugsfähigen Betriebsausgaben. Verluste, die in einem Steuerjahr entstehen, können mit dem in
fünf darauf folgenden Jahren erzielten Einkommen verrechnet werden. Ein
Verlustrücktrag ist nicht möglich. Seit Anfang 1999 müssen Steuerklärungen
nur noch alle sechs Monate abgegeben werden (zuvor monatlich).
Gemäß dem Körperschaftsteuergesetz wurde der Steuersatz vom 01.01.2001
von 30 % auf 28 % gesenkt. Ein Steuersatz von 20 % gilt für Einkünfte aus Dividenden, Lizenzgebühren, Warenzeichen und Geschmacksmustern und für
den Know-how-Transfer. Die Körperschaftsteuer ist auf die Besteuerung der
Dividenden anrechenbar.
46
Ausländische Firmenvertretungen oder Niederlassungen in Polen werden besteuert, sofern nicht im deutsch-polnischen Doppelbesteuerungsabkommen
andere Regelungen vereinbart wurden. Dieses besagt, dass Unternehmen des
einen Vertragsstaates im Staat der anderen Vertragspartei nur dann besteuert
werden können, wenn sie dort eine Betriebsstätte unterhalten. In Polen besteuert werden demzufolge deutsche Unternehmen, die in Polen eine feste Geschäftseinrichtung unterhalten, wie z. B. den Ort der Geschäftsführung, Zweigniederlassungen, Geschäftsstellen, Fabrikationsstätten, Werkstätten, Stätten
zum Rohstoffabbau sowie Bauausführungen/Montagen, die länger als zwölf
Monate dauern.
Auch ein Handelsvertreter mit der Vollmacht zum Vertragsabschluss gilt als
Betriebsstätte, sofern er nicht lediglich im Einkauf für das Unternehmen tätig ist.
Keine Betriebsstätten sind z. B. reine Lagereinrichtungen, reine Einkaufs- und
Servicebüros, Kommissionäre sowie Einrichtungen zur Informationsbeschaffung
oder zur Werbung.
Einkommensteuer
Die Einkommensteuer wird auf jegliche Einkünfte aus unselbständiger oder
selbständiger Erwerbstätigkeit, aus Renten und staatlichen Zuwendungen, Liegenschaften u.ä. erhoben.
Ausländische natürliche Personen sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig,
sofern sie ihren Wohnsitz in Polen haben oder sich mehr als 183 Tage des
Steuerjahres in Polen aufhalten. Nur zeitweilig in Polen beschäftigte Personen
sind beschränkt steuerpflichtig (d. h. besteuert wird nur das in Polen erzielte
Einkommen).
Bemessungsgrundlage ist das Einkommen, d. h. die Einkünfte abzüglich der
Werbungskosten und sonstiger abzugsfähiger Aufwendungen (z. B. Sozialversicherungsbeiträge). Von der Einkommensteuerpflicht ausgenommen sind Einkünfte aus land- und forstwirtschaftlicher Tätigkeit sowie Einkünfte, die der Erbschaft- oder Schenkungsteuer unterliegen. Es gibt eine Reihe von Vergünstigungen und Abzugsmöglichkeiten (z. B. für Wohnung, Bildung, karitative und
medizinische Ausgaben).
Einnahmen aus Zinsen von Sparkonten und Bankguthaben, die nicht im Zusammenhang mit einer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit stehen,
47
zählen zu steuerfreien Einnahmen. An Individuen ausgezahlte Dividenden werden pauschal mit einem Satz von 20 % versteuert.
Die Steuersätze sind progressiv gestaffelt. Seit dem Jahr 2001 betragen die
Staffelsätze 19 bis 40 % vom Jahresdurchschnittsverdienst. Steuerjahr ist das
Kalenderjahr, das Wirtschaftsjahr kann aber auch anders gewählt werden, was
für den Investor bei der Berechnung der Steuer eine Umrechnung erforderlich
macht.
Das Steuer- und Abgabensystem der Tschechischen Republik setzt sich in
erster Linie aus der Mehrwertsteuer, speziellen Verbrauchssteuern, der Einkommen- und Körperschaftsteuer, der Immobiliensteuer, der Grunderwerbbzw. Immobilientransfersteuer, der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie aus
Straßenbenutzungsgebühren zusammen (vgl. BFAI-Datenbank).
Mehrwertsteuer
Der Regelsatz der Mehrwertsteuer (und zugleich der Einfuhrumsatzsteuer) beträgt 22 %, der ermäßigte Satz für bestimmte Waren und Dienstleistungen 5 %.
Mehrwertsteuerpflichtig sind alle diejenigen Unternehmen, die in mindestens
drei aufeinanderfolgenden Monaten Umsatzerlöse von 750.000 Ck und mehr
erzielt haben (dies entspricht einem Jahresumsatz von 3 Mill. Ck). Mehrwertsteuererklärungen müssen monatlich eingereicht werden bzw. vierteljährlich, wenn der Vorjahresumsatz des Unternehmens oder der für das Geschäftsjahr geplante Umsatz weniger als 10 Mill. Ck beträgt.
Einfuhrumsatzsteuer
Bei Importen ist die Einfuhrumsatzsteuer auf den Zollwert zzgl. Zollabgaben
und aller sonstigen an die Zollbehörde zu entrichtenden Gebühren zu zahlen.
Spezielle Verbrauchsteuern
Speziellen Verbrauchsteuern unterliegen vor allem Flüssigbrennstoffe, Schmiermittel und andere Erdölderivate, ferner Branntwein, Bier, Wein und andere alkoholische Getränke sowie Tabak und Tabakerzeugnisse. Die Verbrauchsteuern wurden für jede Produktgruppe als fester Betrag je Maßeinheit festgelegt.
Besteuerungsgrundsätze
Auf dem Gebiet der Tschechischen Republik gegründete und im tschechischen
Handelsregister eingetragene Unternehmen werden als Steuerinländer be-
48
trachtet und unterliegen der Besteuerung mit ihrem Weltumsatz. Im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassungen sowie ständige Betriebsstätten ausländischer Personen oder Unternehmen unterliegen ebenfalls der tschechischen Steuer, jedoch nur mit den in Tschechien erzielten Einkünften und dies
auch nur dann, wenn sie nicht aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens
von der Steuerpflicht ausgenommen sind. Seit Anfang 2000 sind solche juristischen Personen, deren tatsächliche Geschäftsleitung sich auf dem Gebiet der
Tschechischen Republik befindet, unbeschränkt steuerpflichtig.
Eine ständige Betriebsstätte ist eine feste Geschäftseinrichtung in der Tschechischen Republik. Das Konzept der ständigen Betriebsstätte ist sehr weit gefasst. Für ausländische Unternehmen, die Dienstleistungen in der Tschechischen Republik über mehr als 183 Tage im Kalenderjahr erbringen, wird eine
ständige Betriebsstätte unterstellt.
Körperschaftsteuer
Der Körperschaftsteuersatz beträgt 35 %. (1999: 35 %). Neben Löhnen und
Vormaterialien sind steuerlich abzugsfähig:
- Abschreibungen,
- Beiträge zur Sozialversicherung,
- Ratenzahlungen im Rahmen des sog. operativen Leasing (entspricht etwa
dem deutschen Mietkauf),
- Unter Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Zahlungen im Rahmen von
Finanzleasing-Vereinbarungen,
- Immobiliensteuern,
- Bestimmte Aufwendungen für den Arbeits- und Umweltschutz,
- Reisespesen,
- Forderungen gegenüber Schuldnern, bei denen die Eröffnung von Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt wird,
- Vertragsstrafen.
Verluste können in einem Zeitraum von sieben Jahren vorgetragen werden, um
sie mit zu versteuernden Gewinnen zu verrechnen.
Das Steuersystem in Ungarn setzt sich aus einer Reihe von direkten und indirekten Steuern zusammen. Zu ersteren gehören die persönliche Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer, die indirekte Besteuerung erfolgt über die
Mehrwert- und Verbrauchsteuer sowie verschiedene Sondersteuern (z. B. Um-
49
weltschutzabgaben). Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von recht beträchtlichen lokalen Steuern, wie die Grund- und Gebäudesteuer, die örtliche
Gewerbesteuer sowie Kommunalsteuern für Unternehmen und Privatpersonen
(vgl. BFAI-Datenbank).
Mehrwertsteuer
Der allgemeine Mehrwertsteuersatz beträgt 25 %. Für Produkte des Grundbedarfs (das sind die meisten Nahrungsmittel und Bücher sowie einige andere
Waren und Dienstleistungen) wird ein reduzierter Satz von 12 % angewendet.
Bestimmte medizinische Erzeugnisse und Arzneimittel unterliegen einem Steuersatz von 0 %. Die entsprechenden Steuersätze gelten auch für Importwaren.
Für exportierte Waren und Dienstleistungen gilt der Nullsteuersatz.
Körperschaftsteuer
Die Gesellschaftsteuer (entspricht bei Unternehmen der Körperschaftsteuer)
wird - unabhängig von der Organisationsform - von allen Gesellschaften und
Unternehmen erhoben. Sie trifft auch gemeinnützige Gesellschaften, Anwaltskanzleien und Versicherungsgesellschaften. Ausländische Organisationen und
Unternehmen, die in Ungarn eine Niederlassung betreiben, sind im Inland steuerpflichtig, wenn sie unternehmerische Tätigkeiten ausüben.
Bei der Besteuerung von Unternehmen wird ein Körperschaftsgrundsteuersatz
von 18 % auf den Gewinn angewendet. Bei der Ausschüttung von Gewinnen an
ausländische Gesellschaften und Privatpersonen fällt eine Dividendensteuer
von 20 % an. Wenn die Gewinne in Ungarn investiert oder an eine in Ungarn
ansässige Gesellschaft überwiesen werden, entfällt diese Steuer. Ausschüttungen an inländische Privatpersonen unterliegen einer gesonderten Regelung.
Der Dividendensteuersatz von 20 % wird bei Ausschüttungen an in Deutschland
ansässige Anteilseigner durch die Regelungen des deutsch-ungarischen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) gemindert. Nach Art. 10 des DBA werden
Dividenden im Normalfall mit einem Steuersatz von 5 oder 15 % (bei Minderheitsbeteiligungen unter 25 %) belastet.
Einkommensteuer
Die Einkommensteuer bezieht sich auf das aus verschiedenen Quellen stammende persönliche Einkommen und ist stufenweise progressiv. Der Steuersatz
liegt zwischen 20 und maximal 40 %. Ausländische Staatsbürger sind grundsätzlich nur mit ihrem aus inländischen Quellen stammenden Einkommen in
50
Ungarn steuerpflichtig. Zum Einkommen zählen aber auch Sachbezüge wie
Dienstwohnung, Dienstwagen u. ä.
Bei Einkommen aus unselbständiger Arbeit sind Ausländer in Ungarn steuerpflichtig, wenn ihr üblicher Aufenthaltsort im Inland liegt, bzw. wenn sie in einem
Kalenderjahr mehr als 183 Tage im Land verbringen oder die Vergütungen von
einer im Tätigkeitsstaat ansässigen Person, bzw. von einer dort gelegenen Betriebsstätte oder einer anderen festen Einrichtung des Arbeitgebers gezahlt
werden. Auch die im Inland geleistete unselbständige Arbeit, die im Ausland
bezahlt wird, unterliegt in Ungarn grundsätzlich der Versteuerung, wenn die betroffene Person sich länger als ein halbes Jahr im Land aufhält.
Durch die Reform der Unternehmensbesteuerung wurde der Standort
Deutschland für Investoren etwas attraktiver. Ab dem Jahr 2001 beträgt nun
der Körperschaftsteuersatz einheitlich 25 % (vgl. BMF 2001). Gleichzeitig wurde
ein Systemwechsel vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren
vollzogen. Der Höchststeuersatz für die Einkommensteuer wird stufenweise von
51 % im Jahre 2001 auf 48,5 % (2001/2002) gesenkt und ab dem Jahr 2005
wird er nur noch 42 % betragen. Der Eingangssteuersatz wurde sukzessive gesenkt und der Grundfreibetrag schrittweise angehoben.
Die Gewerbesteuer bleibt jedoch in der bisherigen Form bestehen. In Sachsen
betrug der durchschnittliche Hebesatz für Gemeinden ab 50.000 Einwohner
438 % im Jahr 1999 und lag damit knapp über dem Bundesdurchschnitt
(428 %), wobei die restlichen vier neuen Bundesländer deutlich unter dem
sächsischen Hebesatz liegen. Bei Einzelunternehmen und Gesellschaftern von
Personengesellschaften wird die Gewerbesteuer in pauschaler Form auf die
Einkommensteuer angerechnet. Außerdem wird die tarifliche Einkommensteuer
bei Einkünften aus Gewerbebetrieb ermäßigt. Dadurch wird der Unternehmer in
den meisten Fällen in vollem Umfang von der Gewerbesteuer entlastet.
Ein Wermutstropfen bei der deutschen Unternehmenssteuerreform ist die zur
Gegenfinanzierung erfolgte Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen
in Form niedrigerer Sätze und längerer Fristen. So wird seit Beginn 2001 die
degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter auf maximal 20 %
des jeweiligen Buchwertes bzw. das zweifache der linearen Abschreibung begrenzt. In den amtlichen Abschreibungstabellen werden längere Nutzungszeiten
51
für Wirtschaftsgüter ausgewiesen. Von der Wirtschaft wird dies als ein erneutes
Investitionshemmnis beklagt.
In Tabelle IV.13 werden die wichtigsten in Punkt drei behandelten Steuerarten
und Steuersätze synoptisch dargestellt.
Tabelle IV.13
Steuersätze in Mittel- und Osteuropa im Vergleich zu Deutschland
- Stand: Anfang 2001 Land
Mehrwertsteuer
Einkommensteuer
Körperschaftsteuer
Dividendensteuer
Polen
22 %
progressiv; ge28 %
staffelt
von
19
bis
ermäßigte Sätze:
40 %
7 % und 0 %
20 %
Tschechische Republik
22 %
25 %
Ungarn
Deutschland
progressiv; 15
bis 40 % vom
Jahresdurchschnittsverdienst
35 %
Normalsatz:
25 %
Präferenzsätze:
12 % und 0 %
drei Stufen:
20 %, 30 %,
40 %
18 %
20 %
(Zinsen, Honorare,
Lizenzgebühren)
(entfällt bei Reinvestition)
16 %;
Spitzensteuersatz 48,5 %
25 % (inkl. Solidaritätszuschlag und
Gewerbesteuer ca.
38 - 40 %)
25 %
ermäßigter Satz:
5%
ermäßigter Satz:
7%
Eingangssteuersatz 19,9 %
Quelle:
IMOE-Datenbank.
4.
Qualität der Infrastruktur
bei Ausschüttungen im Ausland
bei Reinvestition
in Sachanlagen
oder immaterielle
Vermögensgegenstände 20 %
aus Aktien, Anteilen an GmbH
und Genossenschaften
Der Ausbau der physischen Infrastruktur ist immer noch ein wesentliches Element des Transformationsprozesses in den MOE-Ländern. Neben dem Nachholbedarf infolge ungenügender Investitionen, Instandhaltung und Erneuerung
in früheren Jahren besteht für die Beitrittsländer auch der Zwang, die Anpassung an europäische Normen zu bewerkstelligen (vgl. BEHRING ET AL. 2000). In
Tabelle IV.14 ist der derzeitige Stand der Infrastruktur synoptisch dargestellt.
52
Tabelle IV.14
Infrastrukturausstattung
Straßennetz
Länge
ƒ insgesamt
- km
2
- pro 100 km
Eisenbahnnetz
Streckenlänge
ƒ insgesamt km
darunter:
- mehrgleisig (km)
- elektrifiziert (km)
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
1999
1999
1999
1999
13.722
74
174.221
56
55.432
70
53.267
58
3.170
23.986
9.444
7.711
1.064
971
7.938
11.627
1.929
2.843
n.v.
2.184
430
237
405
315
12,66
96,44
41,03
25,26
4.133
3.207
5.605
3.264
6,0
3,7
4,8
5,5
40,7
31,5
32,2
28,9.
Telefonanschlüsse
Anschlüsse/1.000 Einwohner
Energieversorgung
ƒ Primärenergieverbrauch
(in Mill. t Öleinheiten)
ƒ Elektrizitätsverbrauch
(kWh pro Kopf)
ƒ Elektrizitätspreise für d. Industriea)
(in USCents/kWh)
ƒ Durchschnittlicher Wirkungsgrad
der Stromerzeugung
a) Umgerechnet nach jeweiligen Wechselkursen. - Anm.: n. v. = nicht verfügbar
Quelle:
GUS, KSH, EU (2000a-d), IEA, VIK.
Im Hinblick auf die Verkehrsinfrastruktur haben die in Polen ansässigen Unternehmen unter starken Wettbewerbsnachteilen gegenüber ihren westeuropäischen Konkurrenten zu leiden. Das Straßennetz ist im Hinblick auf das steigende Verkehrsaufkommen unterentwickelt. Der Kraftwagenbestand hat sich seit
1990 mit rund 12 Mill. Fahrzeugen mehr als verdoppelt. Insbesondere fehlen
Autobahnen zwischen den größeren Städten. Zwar ist für die nächsten 10 bis
15 Jahre ein intensiver Ausbau - mit Priorität von vier Strecken mit insgesamt
über 2.600 km - geplant, aber die meisten Projekte sind noch nicht einmal in der
Projektierungsphase. Das übrige Straßennetz (davon knapp 210.000 km asphaltiert) ist größtenteils in schlechtem Zustand. Zu den größten Mängeln des
polnischen Straßennetzes gehört, dass nur 0,5 % der Nationalstraßen für Lkw
mit einer Achslast von 11,5 Tonnen geeignet sind, vor allem vor dem Hintergrund, dass 79 % des Frachtaufkommens auf der Straße transportiert werden.
Die Überholung des bestehenden umfangreichen Schienennetzes (ca.
53
24.000 km, davon rund 96 % mit westeuropäischer Schienenbreite, 11.600 km
elektrifiziert) wird vorbereitet.
Die fünf polnischen Ostseehäfen sind wichtige Handelsknotenpunkte. In den
Seehäfen werden jährlich ca. 60 Mill. t verladen, sie sind damit aber erst zu ca.
80 % ausgelastet. Die schiffbaren Wasserstraßen Polens haben eine Gesamtlänge von 3.812 km. Die Binnenschifffahrt ist in Bezug auf das Transportvolumen unbedeutend. Der Ausbau der Oder zu einer wirtschaftlich nutzbaren
Wasserstraße ist unter ökologischen und finanziellen Gesichtspunkten ein heiß
umstrittenes Thema. Im Luftverkehr spielt der Gütertransport nur eine geringfügige Rolle (0,003 % des Frachtaufkommens). Der Flugverkehr dient überwiegend der Personenbeförderung (1997: rund 2,3 Mill. Passagiere, 4,9 Mrd. Passagierkilometer).
Im Zuge der Privatisierung des polnischen Telekommunikationsnetzes wird die
Modernisierung vorangetrieben, die aufgrund der teilweise hohen Telefongebühren bei gleichzeitig geringer Qualität des Telefonnetzes dringend erforderlich ist. Zudem sind die Wartezeiten für einen Festnetzanschluss infolge des
großen Bedarfs immer noch lang. Ende 2001 belief sich die Zahl der Fernsprechteilnehmer des Festnetzes auf rund 13 Mill., damit hatten etwa 30 von
100 Einwohnern einen Anschluss. Während das internationale Netz inzwischen
fast ganz von digitalen Zentralen bedient wird und das inländische Ferngesprächsnetz zu über 90 %, gilt das für das Ortsnetzwerk erst zu einem Drittel.
Bislang befindet sich Polen - gemessen an der Anzahl der Mobilfunkteilnehmer - auf Platz acht im internationalen Vergleich. Wird die prognostizierte
Marktdurchdringung mit Mobilanschlüssen als Grundlage genommen, muss das
Land innerhalb der MOE-Länder lediglich Ungarn den Vortritt lassen. Dort besitzen 20 von 100 Einwohnern ein Handy, in Polen 12 (vgl. UMANN 2000). Der
Abstand zu Westeuropa ist dagegen noch beträchtlich.
Die noch überwiegend in Staatsbesitz befindlichen Energieversorgungsunternehmen bedürfen einer gründlichen Modernisierung, um über langfristig zuverlässige Energiequellen mit hoher Produktivität und relativ niedrigen Energiepreisen zu verfügen.
In Tschechien müssen alle Transportwege (Straße, Schiene, Luft, Wasser)
umfassend modernisiert werden. Im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur
wurden bei der Anbindung an das transeuropäische Netz einige Fortschritte
54
gemacht, und zwar durch den beschleunigten Bau der Autobahn D 5 (PragNürnberg) um Pilsen und den Bau der Autobahn D 8 (Prag-Dresden-Berlin). Im
Schienenverkehr wird der tschechische Teil der Bahnlinie Berlin-Prag-Wien bis
zum Jahre 2004 vorrangig zum Hochgeschwindigkeitskorridor ausgebaut. Die
wichtigsten Verbindungen des dichten Eisenbahnnetzes befinden sich zur Zeit
im Umbau, um die Verkehrsgeschwindigkeit zu erhöhen.
Die nutzbaren Binnenwasserstraßen mit Anbindung an das europäische Binnenwasserstraßennetz belaufen sich auf rund 300 km. In deutsch-tschechischer
Zusammenarbeit werden die Verkehrsverhältnisse auf der Elbe zwischen Aussig und Magdeburg verbessert. Dabei geht es in erster Linie um die Vertiefung
der Fahrrinne, um künftig verstärkt Containertransport zu ermöglichen. Das
neue Terminal des Prager Flughafens, auf den 95 % des Passagier- und 85 %
des Frachtaufkommens entfallen, soll 2003 durch ein weiteres ergänzt werden.
Die Telekommunikationsinfrastruktur Tschechiens wird - insbesondere was das
Festnetz und die Mobiltelefondienste betrifft - stark ausgebaut, um der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden.
Zur Förderung der Sicherheit und Qualität der Energieversorgung hat die Regierung mit Beginn des Jahres 2001 ein neues Energiegesetz in Kraft gesetzt,
mit dem eine schrittweise Harmonisierung an die EU-Rechtsnormen erreicht
werden soll. Bis zum Jahr 2002 sollen Subventionen bei den Strom- und Gaspreisen für Haushalte völlig entfallen, was zu einer Erhöhung der Strompreise
um jährlich rund 15 % bis zum Jahr 2002 führt. Dringend erforderlich ist eine
Verbesserung der Energieeffizienz, da die Energieintensität Tschechiens
durchschnittlich doppelt so hoch ist wie in den EU-Mitgliedsstaaten.
Die Transportinfrastruktur in Ungarn ist relativ gut entwickelt, verglichen mit
anderen MOE-Ländern. Im Straßennetz sind vierspurige Autobahnen nur in einem Teil des Landes vorhanden. Die Regierung hat angekündigt, innerhalb der
nächsten sieben Jahre alle größeren Städte an vierspurige Autobahnen anzubinden. Gegenwärtig werden Pläne vorbereitet, die den Bau eines europäischen Korridors von Venedig über Triest nach Kiew via Ungarn vorsehen. Das
Schienennetz ist gut ausgebaut und verbindet die großen und mittleren Städte.
Ca. 158 Millionen Passagiere und 43 Millionen Tonnen Güter werden jährlich
über die rund 7.700 km Schienen (davon 2.184 km elektrifiziert) transportiert.
Die meisten Strecken müssen für schnellere Züge modernisiert werden.
55
Ungarns Hauptflughafen befindet sich in Budapest. Der Ausbau der bislang
vorhandenen zwei Terminals hat die Abfertigungskapazität verdoppelt. Ein Inlandsflugnetz ist nur rudimentär vorhanden. Einige größere Städte verfügen
über Flughäfen für Privatmaschinen. Es ist geplant, frühere sowjetische Militärbasen in Passagier- und Frachtflughäfen umzuwandeln.
Das Telekommunikationsnetz ist hochentwickelt und in einigen Regionen schon
zu 100 % digitalisiert. Dieses Niveau ist im Vergleich zur Ausgangsbasis des
Jahres 1990 beachtlich. Die Anschlussrate im Telefonkabelnetz belief sich im
Jahr 2000 auf über 30 Anschlüsse pro 100 Einwohnern. Mit Hilfe von Investitionen ausländischer Gesellschaften wurden jährlich bis zu 300.000 neue Anschlüsse geschaffen und die Wartezeit auf einen Anschluss auf weniger als einen Monat gesenkt. Noch dynamischer als das drahtgebundene Telefonnetz
entwickelt sich auch in Ungarn das Mobiltelefonnetz.
Im Versorgungsbereich ist die Privatisierung der Gas- und Elektrizitätserzeugung und -verteilung weitgehend abgeschlossen. Die ausländischen Käufergesellschaften modernisieren die Versorgungsinfrastruktur bei gleichzeitiger Kapazitätserweiterung. Rund 43 % der Elektrizitätserzeugung in Ungarn stammt
von den staatseigenen PAKS Kernkraftwerken, die bis zum Jahr 2005 die Produktion verdoppeln wollen. Die Preise für Gas und Elektrizität sind stark gestiegen und werden in Kürze in etwa das europäische Niveau erreichen.
Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass im Zuge der EUErweiterung am ehesten die Hauptstadtregionen der MOE-Länder ohne
Schwierigkeiten im Binnenmarkt bestehen können, da die Agglomerationen
über eine relativ gute Ausgangsbasis, was den Wohlstand und die Entwicklungsbedingungen betrifft, verfügen (vgl. ABRAHAM/ESER 1999). Hier vollzieht
sich die Transformation wesentlich schneller. Zudem zeichnet sich eine Arbeitsteilung zwischen den mittel- und osteuropäischen Metropolen ab:
• Warschau als Tor zum Osten auf der Achse Berlin-Minsk-Moskau,
• Budapest als Finanzmetropole der MOEL,
• Prag als kulturelles Zentrum Mittel- und Osteuropas,
• Bratislava als das räumlich am nächsten zu einer westlichen Großstadt
(Wien) gelegene Zentrum Mittel- und Osteuropas.
56
Als sekundäre Wachstumszentren entwickeln sich die Regionen an den wichtigsten Verkehrsachsen und Entwicklungskorridoren aufgrund des leichteren
Zugangs zu ausländischem Kapital. Hierzu zählen i. d. R. auch die westlich gelegenen Regionen der MOEL mit ihrer größeren Nähe zu westlichen Märkten.
Ein wichtiger Faktor hierbei ist die Lage an den transeuropäischen Netzen (Helsinki-Korridore).
5.
Unternehmensbezogene Infrastruktur
Die insbesondere für wissensbasierte Industrie- und Dienstleistungsunternehmen zentralen Standortfaktoren betreffen die Verfügbarkeit und die Qualität von
Einrichtungen für Bildung, Forschung und Entwicklung. Diese Institutionen determinieren stark die Entwicklungspotenziale der Unternehmen durch die Hervorbringung entsprechenden Humankapitals und die Bereitstellung von Knowhow.
5.1
Bildungsinfrastruktur
Seit dem Jahr 1990 stieg die Zahl der Studierenden in Polen von 394.000 auf
rund 1,5 Millionen im Jahr 2000. Der Prozentsatz von Studenten an der Bevölkerung im Alter von 19 bis 24 Jahren stieg damit von 13,1 auf 38,2 %. Da die
staatlichen höheren Bildungseinrichtungen den starken Anstieg der Studierenden nicht mehr bewältigen konnten, kam es zur Gründung zahlreicher privater
Institutionen, deren Anzahl sich 1999 auf 171 belief. Die Qualität der Ausbildung
in diesen Privateinrichtungen ist sehr unterschiedlich und die Anerkennung der
dort getätigten Abschlüsse wird seitens des Bildungsministeriums nicht immer
erteilt. In einigen Fällen mussten private Hochschulen auf staatliche Anordnung
hin wieder geschlossen werden.
Von dem erweiterten Bildungsangebot hat vor allem die junge Bevölkerung in
Kleinstädten, in denen es keine staatliche Hochschule gab, profitiert. Aber auch
in den Großstädten bekamen Schulabgänger damit zusätzliche Möglichkeiten,
ein Hochschulstudium zu absolvieren.
Die Berufliche Ausbildung befindet sich erst im Aufbau und weist zum Teil ähnliche Probleme auf wie diejenige der Tschechischen Republik.
57
In der Tschechischen Republik gibt es z. Z. annähernd 45.000 Studenten an
den sieben Technischen Universitäten. Das "Bakkalaureat" kann nach drei Jahren erworben werden, aber die meisten Studierenden verbleiben an der Universität für weitere zwei Jahre bis zum Diplom. Von den Gesamtabschlüssen entfallen rund 50 % auf die naturwissenschaftlichen und technischen Wissenschaften.
Weniger günstig als für die technische Intelligenz sieht der Qualifikationsstandard im kaufmännischen Bereich aus. Zur Aufarbeitung der Qualifikationsdefizite bei Kenntnissen über die Funktionsweise der Marktwirtschaft führen ausländische Investoren im Lande selbst oder in ihren Stammhäusern Management-, Finanz-, Marketing- und andere Kurse durch. Daneben werden On-thejob-Schulungen, Bildungsurlaube im Ausland, Fortbildungsmaßnahmen durch
Vertragsfirmen, spezielle Seminare an Hochschulen sowie öffentliche Workshops angeboten.
Das tschechische System der beruflichen Bildung einschließlich des Berufsschul- und Industriefachschulwesens hat sich noch nicht den Anforderungen
eines modernen Schulwesens angepasst. Auch in Tschechien gibt es eine organisatorische und rechtliche Trennung zwischen allgemeiner und theoretischer
Ausbildung einerseits und praktischer Ausbildung - meist mit dem Lernort Betrieb. Es wäre jedoch verkehrt, von einem System zu sprechen, das dem deutschen ähnlich ist, wie man vielfach lesen kann. (vgl. LAUTERBACH 1995ff., S. CZ115). Zunächst litt das System der tschechischen Berufsausbildung unter den
Kinderkrankheiten aller Transformationsstaaten und versuchte, die straffe zentralistische staatliche Patronage abzuschaffen (vgl. OKI, 2001, S. 3). Die berufliche Ausbildung gilt aber nach wie vor als unzureichend und mangels Erfolg ist
der Einfluss des Staates inzwischen wieder sehr groß geworden.
Mit Hilfe der EUROPEAN TRAINING FOUNDATION (1999) wurde aus Mitteln der EUFörderprogramme PHARE und TACIS eine Studie unter Mitarbeit von ca. 20 nationalen und internationalen Institutionen erarbeitet, um erst einmal eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Probleme zu leisten. Im Rahmen dieser
Analyse können nur einige wichtige Aspekte dargestellt werden. Das größte
Problem Tschechiens ist, dass der theoretische Unterricht völlig an den Anforderungen des Arbeitsmarktes vorbeizielt. Dies wirkt auf die Schüler demotivie-
58
rend, insbesondere auf jene die arbeitslos sind.8 Überall fehlt es an Anreizen:
für die Betriebe, Auszubildende einzustellen; für die Sozialpartner, sich zusammen zu setzen und geeignete Curricula auszuarbeiten und für Berufsschullehrer
sich fortzubilden. Ein wachsender Druck zur Modernisierung der beruflichen
Ausbildung geht nur von den internationalen Direktinvestoren sowie ihren ausländischen Zulieferern aus. Die Regierung plant inzwischen durch eine bessere
Berufsausbildung die zunehmende Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen (vgl.
EUROPEAN TRAINING FOUNDATION 1999, S. VII).
Trotz dieser kritischen Darstellung soll, jedoch erwähnt werden, dass Tschechien bei der Pisa Studie deutlich besser abgeschnitten hat als Deutschland,
und noch weit besser als Ungarn und Polen (vgl. OECD 2001b). Das Ergebnis
der Pisa-Studie wurde vielfach falsch interpretiert. Die OECD weist ausdrücklich
darauf hin, dass sie überhaupt nichts über die Qualität von Schulabschlüssen
aussagt. Dies ist besonders wichtig, da kein Land, das an der Studie teil nahm,
so viele Schüler hat wie Deutschland, die wegen einer scharfen Selektion bis
zum 15. Lebensjahr eine Klasse wiederholt haben.
An den 60 höheren Bildungseinrichtungen (darunter vier Universitäten) Ungarns studieren rund 120.000 Studenten. Knapp 14 % aller Studierenden erhalten eine Ausbildung an privaten Hochschuleinrichtungen. Offen bleibt aber
die Frage, ob die Qualität dieser Hochschulen, und damit die Qualität der Absolventen dieser Hochschulen, die oft nur über ein bis zwei Fakultäten verfügen, gegenüber den staatlichen Hochschulen den Anforderungen der Praxis
standhalten wird (vgl. PRAHL 1999).
Durch Dezentralisierung der Kompetenzen im Bildungswesen und in der beruflichen Bildung wurde eine Umstrukturierung in diesem Bereich durchgeführt, um
gut ausgebildete Arbeitskräfte für den veränderten Arbeitsmarkt zu qualifizieren.
Die Allgemeine Schule wurde als Pflichtschule von acht auf zehn Jahre verlängert. Danach vermitteln Berufsschulen in den ersten zwei und die Berufsmittelschulen während vier Jahren Allgemeinbildung. Innerhalb des Schulsystems
8
„This negative labour market development has particularly affected those groups struggling
with disadvantage, such as school-leavers (especially those leaving basic and secondary
schools), low-skilled persons, Romanies, and persons with disabilities....Current discussion
about continuing vocational education and training view its inadequate development as being
due to the absence of incentives, and propose that state bodies and representatives social
partners should jointly prepare and introduce a suitable system of incentives.” (EUROPEAN
TRAINING FOUNDATION,1999 S. V ff.).
59
wird durch diese Veränderung die Berufswahl hinausgeschoben (vgl. LAUTERBACH 1995 ff., S. H-119 f.).
Auch in Ungarn lässt die Qualität der Berufsausbildung zu wünschen. Während
in Deutschland über 85 % einen Beschäftigungsabschluss aufweisen, sind es in
Ungarn nur 63 % (vgl. LIST 2002, S. 26).
Das duale Ausbildungssystem in Deutschland gilt bei der Ausbildung von
Lehrlingen als eines der besten der Welt. Es wurde von zahlreichen anderen
Ländern übernommen. Nach der Grundschule oder der mittleren Reife arbeiten
die Lehrlinge zwei oder drei Jahre unter Aufsicht eines Meisters in einem Betrieb und werden in gewissen Abständen auf der Berufschule von Fachlehrern,
die ein Studium absolviert haben, unterrichtet. Diese Kombination ermöglicht,
dass die Lehrlinge das, was sie in der Schule gelernt haben, unmittelbar danach im Betrieb praktisch anwenden können.
Die Inhalte der Prüfung bestimmt die Industrie- und Handelskammer. Der Unterricht ist in Module eingeteilt. Einige davon sind obligatorisch, andere richten sich
nach dem erstrebten Beruf. Die Lehrinhalte werden in erster Linie durch die
Anforderungen des Arbeitsmarktes, der Betriebe und des Lehrpersonals bestimmt. Alle Interessenvertreter diskutieren gemeinsam den zu vermittelnden
Stoff, bzw. handeln ihn gemäß ihren Interessen aus.
Seit einigen Jahren sind die Berufschulen viel flexibler als früher. Die Schüler
haben die Möglichkeit, mehrere Qualifikationen zu erwerben, die ihre Chancen
am Markt erhöhen. Auch Abiturienten, die z. B. Automechaniker werden wollen,
oder junge Menschen, welche ihren Beruf wechseln wollen, können bis zum
25. Lebensjahr die Berufschule besuchen und eine neue Lehre entsprechend
ihren Neigungen beginnen und ein Zertifikat erwerben. Beim Vergleich der Beschäftigungsabschlüsse liegt Deutschland mit 84 % weit über dem Durchschnitt.
Nur die USA und Tschechien weisen mit 86 % bzw. mit 85 % geringfügig höhere Werte auf (vgl. LIST 2002, S. 26).
Der große Erfolg des dualen Systems zeigt sich an der traditionell geringen Jugendarbeitslosigkeit, die weit unter derjenigen aller anderen Industrieländern
liegt, weit vor Japan, Spanien Frankreich und auch den USA.
60
Der Vorteil des dualen überbetrieblichen Ausbildungssystems gegenüber einer
rein betrieblichen Ausbildung zeigen die USA, wo die Lehrlinge nur ein „on-thejob-training“ durchlaufen, dessen Inhalte rein firmenspezifisch und nicht zertifiziert sind. Deshalb hat die Lehrlingsausbildung für andere Firmen meist nur einen geringen Wert. Dies macht sich auch deutlich in hohen Einkommensdisparitäten ausgebildeter Lehrlinge mit gleichem Beruf bemerkbar (vgl. BOSCH 1999,
S. 2, KORITKO/HERMANN 2000, S. 10).
Zu Beginn der Wende gab es in Ostdeutschland zu wenig Betriebe, die in der
Lage waren, Lehrlinge auszubilden. Dieser Mangel ist inzwischen noch nicht
völlig behoben. Die Angebots-Nachfrage-Relation betrug im Jahr 2000 93,2 %.
Aufgrund der angespannten Ausbildungsplatzsituation hilft der Staat, indem er
das fehlende Ausbildungsangebot durch eine betriebsnahe Lehrlingsausbildung
ergänzt, bei welcher 1990 auf Sachsen 3.780 Stellen entfielen. Außerdem wird
in kleineren Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten die Schaffung eines Ausbildungsplatzes mit 3.000 DM gefördert. „Der Zuschuss wurde in ausgewählten
gewerblich-technischen Berufen von 4.000 DM auf 8.000 DM und für männliche
Auszubildende von 3.000 DM auf 5.000 DM angehoben.“ (SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ARBEIT 2001, S. 31).
Besonderes Ansehen haben sächsische Jugendliche in Deutschland durch ihre
Neigung zu naturwissenschaftlichen Fächer erregt. Sachsen ist das einzige
Bundesland, in welchem 35 % aller Gymnasiasten Mathematik als Leistungskurs wählen und sächsische Schüler haben schon mehrere Mathematikwettbewerbe mit einem deutlichen Vorsprung vor Bayern und Baden-Württemberg
gewonnen (vgl. SCHMALHOLZ 2001).
5.2
Infrastruktur für Forschung, Entwicklung und Innovation
Am Ende der neunziger Jahre bestand in Polen die Infrastruktur für Zwecke der
Forschung und Entwicklung (FuE) aus etwa 250 staatlichen FuE-Instituten
(darunter: Universitäten und Kollegs, die Polnische Akademie der Wissenschaften mit 82 Forschungseinheiten sowie ca. 230 Forschungsinstitute und zentrale
Laboratorien, die verschiedenen Ministerien unterstellt sind) mit insgesamt ca.
50.000 Beschäftigten (vgl. SCHMALHOLZ 2000 und die dort angegebene Literatur). Die weitere Existenz dieser Forschungseinheiten in ihrer jetzigen Form ist
noch nicht endgültig gesichert. Ihre Finanzierung erfolgt zu 30 % durch das
61
STAATSKOMITEE FÜR WISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNG (KBN), dem zentralen Entscheidungsorgan für die Vergabe staatlicher Forschungsgelder. Die übrigen
Mittel müssen aus Zuwendungen und Forschungsaufträgen (in erster Linie von
KBN, EU-Fonds und Industrie) gewonnen werden.
1998 standen aus dem Regierungshaushalt ca. 2 Mrd. DM für den Wissenschaftsbereich zur Verfügung. Davon entfielen auf die Grundlagenforschung
33 %, die angewandte Forschung 29 % und FuE 38 %. Zweckbezogen verteilten sich die Mittel auf institutionelle und programmatische Förderung öffentlicher FuE-Einrichtungen (52 %), spezifische Forschungsprojekte einzelner Wissenschaftler bzw. Teams (17 %), Bauten und Ausrüstungen für Forschungszwecke (11 %) sowie Subventionen für Forschungsprojekte von besonderer
Bedeutung für die Industrie (9 %) und der Rest auf Hilfen für Bibliotheken und
einige Sonderprogramme.
Mit rund 62 % kommt der Großteil aller von polnischen Einrichtungen getätigten
FuE-Ausgaben aus dem Regierungsbudget, 37 % aus anderen inländischen
Quellen. Der Anteil der Finanzierung aus dem Ausland beträgt knapp 2 %. Die
Finanzierungsstruktur zeigt im Vergleich zu Deutschland und der EU insgesamt
einen fast doppelt so hohen staatlichen Anteil. Auch als FuE-durchführender
Sektor hat der polnische Staat im Gegensatz zur EU ein deutlich höheres Gewicht wegen der geringen FuE-Stärke des Wirtschaftssektors. Für die jüngere
Vergangenheit verzeichnet die offizielle Statistik einen Rückgang des Anteils
der FuE-Ausgaben am BIP. Von ca. 2 % Ende der 80er Jahre sank die Quote
auf 0,82 % im Jahre 1994 und 0,76 % im Jahr 1997 (vgl. Tabelle IV.15).
Im Wirtschaftssektor Polens finden FuE-Aktivitäten außer in größeren Unternehmen mit eigenen FuE-Einheiten auch in branchenspezifischen FuE-Einrichtungen (Institute, Forschungszentren und Laboratorien) statt, die überwiegend
von einzelnen Wirtschaftsbranchen finanziert werden. Einer der Schwachpunkte
im polnischen Forschungssystem ist offenbar die Schwierigkeit, Forschungsergebnisse dieser Institutionen in kommerziell erfolgreiche Innovationen umzusetzen, d. h. sie forschen an den Unternehmen vorbei. Ein Indiz hierfür könnte die
Fokussierung der Forschungsförderung auf „Wissenschaft“ und weniger auf
„Technologie“ sein. Eine weitere Tatsache ist, dass die veröffentlichten polnischen Wissenschaftsergebnisse überwiegend aus den Gebieten Chemie und
Physik stammen.
62
Tabelle IV.15
Ressourcen für Forschung und Entwicklung 1992-1999
a) Anteil der FuE-Ausgabena) am Bruttoinlandsprodukt
- in % Land
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
Polen
0,83
0,83
0,77
0,70
0,72
0,72
0,73
0,75
Tschechische Rep.
1,72
1,21
1,10
1,01
1,03
1,16
1,26
1,27
Ungarn
1,05
0,98
0,89
0,73
0,65
0,72
0,68
0,68
Europäische Union
1,90
1,89
1,84
1,84
1,81
1,80
1,81
1,85
Deutschland
2,41
2,35
2,26
2,26
2,26
2,29
2,31
2,38
n.v.
2,05
n.v.
1,94
n.v.
2,12
n.v.
2,38
Sachsen
a) Staats-, Hochschul- und Wirtschaftssektor. - Anm.: "-" = kein Wert vorhanden; n.v. = nicht vorhanden
wegen fehlender Angaben über den Wirtschaftssektor.
b) Anzahl des FuE-Personals
- je 1.000 Erwerbspersonen Land
Polen
Tschechische Rep.
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
-
-
4,6
4,9
4,8
4,9
4,9
-
12,0
8,0
7,3
4,4
4,5
4,5
4,4
4,6
Ungarn
5,3
5,2
5,2
4,8
4,9
5,2
5,1
5,2
Europäische Union
9,3
9,3
-
9,5
9,5
9,4
-
-
Deutschland
-
-
-
11,6
11,5
11,5
11,6
11,6
Sachsen
-
-
-
8,6
n.v.
9,4
n.v.
9,5
a) Staats-, Hochschul- und Wirtschaftssektor. - Anm.: "-" = kein Wert vorhanden; n.v. = nicht vorhanden
wegen fehlender Angaben über den Wirtschaftssektor.
Quelle:
OECD (2001a), Statistisches Bundesamt (2001), BMBF (2001), Statistisches Landesamt Sachsen (2001), Berechnungen des ifo Instituts.
Ein gravierendes Problem für die Qualität der FuE-Leistungen aus dem öffentlichen Wissenschaftssektor in Polen stellen die niedrigen Gehälter dar, die der
Staat bezahlen kann. Noch Anfang der 90er Jahre war ein erheblicher „externer
brain-drain“, d. h. die Abwanderung der Wissenschaftler ins Ausland, zu verzeichnen. Dieser Trend ist zwischenzeitlich zurückgegangen, aber der „interne
brain-drain“, d. h. die Abwanderung vom öffentlichen Sektor in die Privatwirtschaft, bereitet weiterhin ernsthafte Sorgen.
Die forschungspolitischen Aktivitäten der polnischen Regierung zielen als Folge
der EU-Beitrittsverhandlungen verstärkt auf die Harmonisierung der polnischen
FuE-Landschaft mit den in den EU-Mitgliedsstaaten anzutreffenden Strukturen
ab. Nach nur geringer Beteiligung am 4. Rahmenprogramm der EU wurde die
63
Teilnahme Polens am 5. Rahmenprogramm intensiviert und damit ein weiterer
Schritt im Hinblick auf eine stärkere internationale Einbindung seiner Forschungslandschaft realisiert.
Seit der Wende hat sich die Zahl der FuE-Mitarbeiter in der Tschechischen
Republik drastisch reduziert. Einschließlich der Forscher in den privatisierten
Forschungsinstituten und Industriebetrieben betrug ihre Zahl 1993 noch rund
40.000 und wurde 1997 auf etwas mehr als 23.000 geschätzt. Davon sind gegenwärtig rund 50 % in der Industrie, 30 % in staatlichen Forschungseinrichtungen und 20 % an den Hochschulen beschäftigt.
Hauptträger der öffentlich finanzierten FuE-Aktivitäten sind derzeit in erster Linie die nunmehr verkleinerte Akademie der Wissenschaften und die Hochschulen. Bei einem Teil der Ministerien, wie z. B. dem Umwelt- oder Landwirtschaftsministerium, sind einzelne Forschungsabteilungen eingerichtet worden,
in denen zusammen mit den erstgenannten Institutionen rund 30 % der FuELeistungen erbracht werden.
Die neue Einstellung zur Rolle des Staates bei der Förderung von FuE beeinflusste auch ihre Finanzierungsweise aus dem Staatshaushalt. Die Mittel für
den Betrieb der Forschungsinstitutionen wurden stufenweise gesenkt und
gleichzeitig wurde damit begonnen, die zur Förderung konkreter Projekte bestimmten Mittel (Grants) zu erhöhen, die im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen vergeben wurden. An dieser Entwicklung war der neugeschaffene RAT FÜR
FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG bei der Regierung der Tschechischen Republik
maßgebend beteiligt.
Bemerkenswert ist die starke internationale Zusammenarbeit Tschechiens mit
europäischen Forschungsorganisationen und die Beteiligung an bedeutenden
Programmen der multilateralen europäischen Zusammenarbeit (COST, EUREKA
u. a.), die neues Know-how ins Land bringen. Das Assoziierungsabkommen
zwischen der Tschechischen Republik und der Europäischen Kommission ermöglichte bereits die Teilnahme am 4. Rahmenprogramm der EU und findet
seine verstärkte Fortsetzung im derzeit laufenden 5. Rahmenprogramm.
Der tschechische Wirtschaftssektor ist im Vergleich zu Polen stärker am FuEProzess beteiligt, begünstigt durch eine Vielzahl geschaffener Joint Ventures
mit ausländischen Industrieunternehmen, die auch eine entsprechende Nach-
64
frage nach FuE-Leistungen entfalten. Auf dem Territorium von Forschungsinstituten entstanden bislang 30 Technologiezentren, um vor allem kleinen Firmen, wenn auch nicht mit Finanzhilfen, so doch durch die Schaffung von Zugangsmöglichkeiten zu industrierelevantem Know-how zu unterstützen.
Die tschechische Forschungspolitik ist primär auf die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der FuE-Infrastruktur gerichtet, um nach einem EU-Beitritt mit den anderen Mitgliedsstaaten bezüglich FuE-Qualität u. ä. Schritt halten zu können.
Die im Zuge des Reformprozesses in Ungarn ergriffenen Maßnahmen zur Umstrukturierung seiner wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen nach westlichem Muster dauern noch an. Die FuE-Infrastruktur umfasst neben 35 Universitäten und Hochschulen 68 akademische FuE-Institute im Bereich der Naturwissenschaften, 178 Forschungseinrichtungen in der gewerblichen Wirtschaft
sowie 56 sonstige FuE-Einrichtungen. Insgesamt konnte das vergleichsweise
kleine Land trotz einschneidender Sparmaßnahmen in den letzten Jahren sein
wissenschaftlich-technisches Niveau halten und sogar in Teilbereichen verbessern.
Im Hochschulbereich wurde die Forschung neu belebt, und die in den zurückliegenden Jahren von starken Reduzierungen geprägte Personalstruktur der
wissenschaftlichen Einrichtungen beginnt sich zu stabilisieren. Wissenschaftler
und Techniker sind teilweise in den sich etablierenden privaten innovativen
Unternehmen untergekommen, ein Teil wanderte ins Ausland ab (Brain-drain),
und viele Wissenschaftler wurden frühzeitig pensioniert. Das verbliebene Wissenschaftspersonal gilt zumeist als hoch qualifiziert. Durch die Einrichtung spezifischer FuE-Programme konnten innovative Forscherteams unterstützt und die
Universitätsforschung neu belebt werden. Große Hoffnungen richten sich auf
die Ausweitung der europäischen und internationalen Zusammenarbeit, auf die
Zulassung zu internationalen Wettbewerben und auf ausländische Transferleistungen im technologie- und wirtschaftsorientierten Wissenschaftsbereich.
Angesichts der anderen gewaltigen Aufgaben der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ist seitens der Regierung kurzfristig nicht mit höheren
Zuschüssen für Forschung und Entwicklung zu rechnen. Der Staat trug mit über
50 % der FuE-Ausgaben auch 1997 noch den Hauptanteil des ungarischen
FuE-Budgets. Forschung und Entwicklung wird in Ungarn aufgrund fehlender
65
privatwirtschaftlicher Impulse noch auf Jahre hinaus der intensiven staatlichen
Unterstützung bedürfen.
Die Regierung beabsichtigt, verstärkt ökonomische Gesichtspunkte, wie z. B.
Kosten-/Erlösfaktoren, Gewinn für die Gesellschaft, langfristige Entwicklungsmöglichkeiten, als Kriterien in das FuE-Fördersystem einzuführen. Damit - so
die Überlegungen - können reine Zuschüsse oder die Finanzierung von Betriebskosten entfallen. Andererseits sollen FuE-Bereiche, die wegen ihres Profils, z. B. Ausbildung oder Grundlagenforschung, nicht gewinnorientiert arbeiten
können, weiterhin aus dem zentralen Budget finanziert werden.
Zur Unterstützung des Technologietransfers wurden bislang drei Institute (BAY
ZOLTÁN STIFTUNG) - auf den Gebieten Materialforschung, Biotechnologie und
Logistik - gegründet, die ähnliche Aufgaben wahrnehmen wie in Deutschland
die FRAUNHOFER-Institute; d. h. sie erbringen Leistungen auf dem Gebiet der
angewandten Forschung für kleine und mittlere Unternehmen.
Zur Unterstützung des Unternehmenssektors sind von ehemals 20 bis 25 industriellen FuE-Instituten bis zum Jahr 1996 noch acht übrig geblieben, die
möglichst alle privatisiert werden sollen. Rezession, Reorganisationsanstrengungen und Rationalisierungsmaßnahmen erlauben es der Industrie nur in sehr
beschränktem Umfang, Ausgaben für FuE zu tätigen. Angewandte Forschung
und experimentelle Entwicklung ohne staatliche Unterstützung gibt es daher
kaum noch, denn als Folge des Verlustes internationaler Märkte, der Marktveränderungen und der Privatisierung haben die meisten Unternehmen ihre direkten FuE-relevanten Aktivitäten eingestellt. Mit etwas mehr als einem Drittel trug
der Wirtschaftssektor 1997 zum gesamten ungarischen FuE-Budget bei und lag
damit in etwa in der Größenordnung des Beitrags der polnischen Wirtschaft. Ein
Ansteigen der FuE- Förderung im Zuge von Joint Ventures sowie durch das
Engagement multinationaler Unternehmen wird allerdings erwartet. Ausländische Unternehmen, die das technisch-wissenschaftliche Niveau des Standorts
Ungarn bereits für Produktionsstätten nutzen, planen den Aufbau von Forschungs- und Entwicklungszentren vor Ort.
Die Maßnahmen der nationalen Forschungspolitik zielen primär darauf ab,
durch die Erhöhung der technologischen Leistungsfähigkeit den industriellen
Aufbau Ungarns und die Annäherung an die westlichen Industrienationen zu
beschleunigen.
66
Insgesamt gesehen, ist zu konstatieren, dass alle Transformationsländer gemeinsame Problemfelder aufweisen: das Ungleichgewicht zwischen der starken
Präsenz „akademischer“ Wissenschaft und der (noch) schwachen industriellen
FuE, die Zunahme des Anteils von älteren Wissenschaftlern, insbesondere in
den Natur- und Technikwissenschaften, sowie die noch nicht abgeschlossene
Reform der Forschungsinfrastruktur.
Sachsen verfügt mit 14 Hochschulen, rund 50 außeruniversitären FuE-Einrichtungen sowie 40 Industrieforschungseinrichtungen und 42 Technologiezentren
über eine differenzierte Hochschul- und Forschungslandschaft. Diese Institutionen stellen als Quellen neuen Wissens die Basis für eine hohe Innovationsneigung der Wirtschaft dar.
5.3
Netzwerke
Nicht nur die High-Tech-Industrien sind von einem raschen Wandel der Märkte
und Technologien betroffen, sondern in zunehmenden Maße auch die übrigen
volkswirtschaftlichen Sektoren. Bei immer kürzer werdenden Produkt- und
Technologiezyklen gewinnen Innovationsbereitschaft, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen eine zentrale Bedeutung. Als Antwort darauf
haben in der Industrie in den letzten Jahren tiefgreifende Reorganisationsprozesse hin zu mehr disaggregierten, flexiblen Produktionsarrangements, also zu
industriellen Netzwerken, stattgefunden.
Branchenspezifische Unternehmensnetzwerke existieren in den analysierten
Ländern in bestimmten Branchen wie z. B. im Informationstechnologiesektor
und in der Automobilindustrie. Es gibt aber auf Seiten der lokalen Hersteller in
den drei Ländern noch Probleme, die einer verstärkten Einbeziehung als Zulieferer in Netzwerke entgegenstehen, wie Beispiele aus Polen zeigen, wo von inländischen Produzenten angebotene Materialien und Produkte oftmals teurer
sind als in Deutschland, da die polnischen Hersteller, um die Qualitätsanforderungen ausländischer Automobilbauer zu erreichen, Teile aus dem Ausland zukaufen müssen (vgl. STEFANIAK 1999, S. 10 ff.).
67
6.
Qualität staatlicher Institutionen
Sowohl Auswahl als auch Messung der Qualität von Institutionen, die eine
Marktwirtschaft erfordert, ist äußerst problematisch (vgl. RODRIK 1999). Als die
Weltbank erkannte, dass das Scheitern ihrer Beratung hauptsächlich an unzureichenden Institutionen lag, konstruierte sie nach mehrjährigen Vorarbeiten
(vgl. das Hintergrundpapier von BRUNETTI/KISUNKO/WEDER 1997) einen Index,
den sie "Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns" nannte (vgl. WELTBANK 1997,
S. 38 ff.), ein Terminus, der im Vergleich zu dem englischen ("Institutional obstacles for doing business") etwas unglücklich wirkt, sich aber inzwischen etabliert hat. Er besteht aus folgenden Subindikatoren: "1. Unvorhersehbare Veränderungen der Gesetze oder der Politik, 2. Instabile Regierung, 3. Unsichere Eigentumsrechte, 4. Unzuverlässiges Rechtswesen, 5. Korruption." Dieser Index
steht nach einer ökonometrischen Analyse in signifikantem Zusammenhang mit
Wachstum und Investitionen (vgl. WELTBANK 1997, S. 42 u. 198 ff.). Die Indexwerte für die einzelnen Länder wurden aus Firmenbefragungen gewonnen.
Die Ergebnisse basieren auf der Einschätzung der Verhältnisse durch Investoren in über 3.600 Firmen in 69 Industrie- und Entwicklungsländern. Es handelt
sich dabei um die erste Beurteilung dieser Thematik, die nicht auf pauschalen
Meinungsäußerungen sondern auf der Basis eines ausgefeilten standardisierten Fragebogens mit 25 Multiple-Choice-Fragen basiert. Der Test wurde auch in
mehrere Sprachen übersetzt, insbesondere in diejenigen der MOE-Länder. Die
Analyse sollte alle größeren Unternehmen eines Landes abdecken. Falls die
Antworten nicht auf postalischem Weg eingingen, erschienen die Mitarbeiter der
Weltbank selbst im Betrieb. Eine hohe Antwortquote des Fragebogens konnte
nur erreicht werden, wenn völlige Anonymität und das Versprechen, keine detaillierten Angaben über einzelne Länder zu machen, zugesichert wurden. Sehr
detaillierte Angaben zur Verteilung der Antworten, Betriebsgröße, Branchen,
usw., allerdings nur zu den sieben Ländergruppen, enthält das erwähnte Hintergrundpapier von BRUNETTI ET AL. (1997).
Unter den sieben Ländergruppen befanden sich aus den MOE-Ländern (Albanien, Bulgarien, Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Makedonien,
Polen, Slowakei, Türkei) 771 Fragebögen und aus der Gruppe der 11 OECDLänder mit dem höchsten BSP/Kopf waren es 254. Dies ermöglicht einen Vergleich, der in der Tabelle IV.16 wiedergegeben werden soll.
68
Tabelle IV.16
Ergebnis einer Befragung der Weltbank von Managern über Unzufriedenheit mit
bestimmten institutionellen Faktoren (1997)
Mittel- und
Osteuropa
- in % -
OECD-Länder mit
hohem Einkommen
- in % -
Unvorhersehbare Änderungen der
Gesetze und der Politik
65
32
2,0
Instabile Regierung
35
20
1,8
Unsichere Eigentumsrechte
80
55
1,5
Unzuverlässiges Rechtswesen
70
42
1,7
Korruption
45
15
3,0
Subindikator
Quelle:
MOE/OECD
WELTBANK (1997, S. 40), Berechnungen des ifo Instituts.
Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist deutlich ausgeprägt, insbesondere bei den Indikatoren "Korruption" sowie "unvorhersehbare Änderungen von
Gesetzen und der Politik". Die Tatsache, dass 80 % der Unternehmen in den
MOE-Ländern unsichere Eigentumsrechte beklagen, deutet daraufhin, dass in
Polen, Ungarn und Tschechien die Werte auch wahrscheinlich relativ hoch sind.
Eine völlig andere Untersuchung stammt von der EBRD, die regelmäßig die
Veränderungen in allen Transformationsländern, ausgenommen die ostasiatischen (Vietnam, Laos und China), untersucht. Da sich die Rechtssicherheit in
den meisten Transformationsländern tendenziell ständig verbessert, publiziert
die EBRD halbjährlich die wichtigsten Veränderungen. Sie untersucht, bis zu
welchem Ausmaß (extensiveness) die erforderlichen Gesetze zur Regelung des
Geschäftslebens (commercial law) nach westlichen Vorstellungen überhaupt
existieren. Hierzu zählen neben vertraglichen Vereinbarungen auch Verpfändungen, Konkurse, und das Gesellschaftsrecht. Ein zweiter Indikator misst, wie
stark sie durchgesetzt werden.
Die Evaluierungen der Indikatoren wurden von den Rechtsanwälten durchgeführt, mit denen die EBRD als einer der größten Investoren dieser Region zusammenarbeitet. Sie betont ausdrücklich, dass es sich um sehr subjektive Einschätzungen handelt. Bei größeren Urteilsdifferenzen wurden jedoch zusätzliche Befragungen durchgeführt. Die Bewertung erstreckt sich auf ein Kontinuum
von 1 bis 4+. Dabei bedeutet z. B. eine 1 bei dem Indikator "Ausmaß", dass die
Gesetze entweder nur in rudimentärer Form existieren oder äußerst widersprüchlich und unverständlich sind, kein Schutz von Eigentümern der Gesell-
69
schaften besteht und die Regierung bisher nichts unternommen hat, um diesen
Zustand zu ändern. Note 4+ dagegen bedeutet praktisch OECD-Niveau.
Analog wurde ein zweiter Indikator "Regulierungen des Finanzwesens" konstruiert. Er bezieht sich auf alle Gesetze zur Regulierung des Bank- und Börsenwesens, inklusive der Kontrollorgane zur Aufsicht des Bank- und Kreditwesens sowie der Strafgesetzgebung. Auch bei diesem Indikator wird zwischen
Ausmaß und Durchsetzung unterschieden. Zur Orientierung wurde in die Tabelle IV.17 ein Durchschnittswert der übrigen EU-Beitrittskandidaten, die auch
zu den Transformationsländern zählen, mit aufgenommen, außerdem Russland
sowie das Land mit der schlechtesten Einstufung aller Transformationsländer
(Weißrussland).
Tabelle IV.17
Umfang und Durchsetzung von Wirtschaftsgesetzen und Gesetzen zur Regulierung des
Finanzwesens
- Stand: Ende 2000 Land
Wirtschaftsgesetze
Ausmaß
Durchsetzung
Finanzgesetze
Ausmaß
Durchsetzung
Tschechien
3
3+
4
3-
Ungarn
4
4-
4
4
Polen
4-
4
4
4
Russland
4-
3
3
3-
1
2+
2+
2
3,7
3,5
3,3
2,8
Weißrussland
Durchschnittswerte der anderen
EU-Beitrittsländer
Quelle:
EBRD (2000, S. 34 ff.), Berechnungen des ifo Instituts.
Wie aus der Tabelle IV.17 deutlich zu erkennen ist, erreichen Ungarn und Polen
Spitzenplätze. Interessant ist das relativ schlechtere Abschneiden Tschechiens,
das auf Druck der EU mehr als zehnmal das Konkursgesetz geändert hat. Allerdings weist dieses Gesetz immer noch zahlreiche Mängel auf, sodass sich
Konkurse ewig in die Länge ziehen. Wegen der mangelhaften Bankenaufsicht
wurde die tschechische Regierung zudem mehrfach von der EU gemahnt, die
Durchsetzung der Gesetze zu gewährleisten. Bemerkenswert ist, dass sich
nach dieser Untersuchung Ungarn und Polen deutlich von Tschechien abheben.
70
Ein besonderes Kapitel bilden die Gesetze und Vorschriften zum Erwerb von
Immobilien, welche sowohl in Polen als auch in Tschechien in den letzten Jahren ständig geändert wurden. Vielfach enthalten sie inkonsistente oder unverständliche Regeln. Außerdem herrschen vom deutschen Gesetz abweichende
Vorstellungen darüber, was eine Immobilie ist. Diese Regelungen wirken sich
nachteilig für zahlreiche Aspekte aus, welche Finanzierungs- oder Haftungsprobleme betreffen, weil Immobilien stark ihre Funktion als Sicherheit verlieren.
Nach gegenwärtigem Stand (Anfang 2000) gelten folgende Regeln: in Polen ist
der Erwerb von Immobilien nur polnischen Staatsbürgern oder polnischen juristischen Personen gestattet (vgl. KWASNIK 2000). Als polnische juristische Person gilt auch ein deutsches Unternehmen, wenn es seinen Sitz in Polen hat und
mindestens 50 % der Aktienanteile von polnischen natürlichen oder juristischen
Personen gehalten werden. Ausgenommen hiervon sind jedoch ausländische
Immobiliengesellschaften. Außerdem gibt es für den Bodenerwerb noch mehrere Sonderregelungen für natürliche Personen. Meist müssen letztere eine Genehmigung zum Kauf einer Immobilie beim Innenministerium einholen. Eine
ausländische Bank darf aber als Hypothekengläubigerin Immobilien erwerben,
allerdings nur dann, wenn sich bei einer Zwangsversteigerung kein polnischer
Käufer (den Staat mit eingeschlossen) findet.
In Tschechien unterscheidet das Gesetz streng zwischen Eigentum an Boden
und an Gebäuden (vgl. HUMLOVÁ-UELTZHÖFFER 2000). Der Erwerb von Boden
ist "Devisenausländern" gar nicht oder nur unter komplizierten Bedingungen
gestattet. Als Deviseninländer gilt jede natürliche oder juristische Person mit
Daueraufenthaltsrecht. Eine ausländische Firma kann über die Gründung einer
Gesellschaft tschechischen Rechts Immobilien erwerben. In das Grundbuch
dürfen Pfandrechte, Verfügungsbeschränkungen, Dienstbarkeiten und dingliche
Vorverkaufsrechte eingetragen werden. Probleme ergeben sich jedoch aus
zahlreichen "absurden" Gesetzen. So muss z. B. bei Pfandrechten immer die
ursprüngliche Schuld in das Grundbuch eingetragen werden, auch wenn sie
schon zu 99 % getilgt ist. Die Eintragung gilt nicht ab Stellung des Antrags sondern ab Eintrag. Da man nie weiß, wann die Eintragung erfolgt, kann man sich
mit privaten Spezialversicherungen gegen die Folgen einer verspäteten Eintragung versichern.
Das tschechische Recht kennt auch im Konkursfall keine Rangfolge, sondern
entscheidend ist die zeitliche Reihenfolge der Eintragung. Viele Grundbuchein-
71
träge sind zwar rechtlich unwirksam, werden aber häufig von Gerichten trotzdem anerkannt. Nach einer Studie von Juristen werden über das tschechische
Bodenrecht in deutschen Medien häufig falsche Behauptungen oder unzulässige Verallgemeinerungen einzelner Vorschriften aufgestellt.
In Ungarn ist das "Landgesetz" erheblich auslandsfreundlicher. Ausländer dürfen bis zu 6.000 Quadratmeter Land erwerben (vgl. OROSZLÁN 2000). Zudem
darf Land bis zu 300.000 ha gepachtet werden. Je nach wirtschaftlicher Bedeutung (z. B. Weinbau, Waldbewirtschaftung, Obstplantagen, Fischteiche)
enthält das Gesetz Ausnahmen. Der Kauf von Ackerland ist dagegen Ausländern in der Regel untersagt.
Bei der Bewertung der EBRD, die am häufigsten zitiert wird, drängt sich der
Eindruck auf, dass zwischen den Einstufungen 3, 4 und 4+ die Bewertung nicht
mehr genügend differenziert. Die Note 4+ wurde seinerzeit eingeführt, weil man
zu euphemistisch bei der Vergabe der Note 4 war (vgl. CLEMENT/JUNGFER 1998,
S. 32). In Anbetracht der Aussagen des EU-Fortschrittsberichts ist bei den Bewertungen der EBRD aber erheblicher Zweifel angebracht. Nach der EU gebührt zweifellos Ungarn der erste Platz, dann folgt mit deutlichem Abstand Polen und danach ebenfalls mit noch größerem Abstand Tschechien. Alle drei
Länder leiden an einem Mangel an gut ausgebildeten Richtern. Wegen der unterschiedlichen juristischen Berufe, wie Richter, Notar oder Rechtspfleger, die
teilweise unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen haben, sofern der jeweilige Beruf überhaupt existiert, ist ein Vergleich der Zahl der Richter pro Million Einwohner wenig aussagekräftig.
In ihrem abschließenden Gesamturteil meint die EU (2000c, S. 17) zu Ungarn:
"Insgesamt ist das Funktionieren der Justiz weiterhin zufriedenstellend. Die Lage am Obersten Gerichtshof ist allerdings besorgniserregend." Der Oberste Gerichtshof ist die höchste Berufungsinstanz. Etwa 80-90 % aller Verfahren werden in erster Instanz innerhalb eines Jahres abgehandelt. Wegen des zunehmenden Arbeitsanfalls gelang es aber nicht, den "Aktenberg" am Obersten Gerichtshof trotz Erhöhung der Zahl der Richter um ca. 20 % im Jahr 2000 abzubauen. Weitere Einstellungen sind geplant. Während jedoch Tschechien und
Polen noch längere Zeit auf gut ausgebildete Juristen warten müssen, gilt dies
nicht für Ungarn. Das Ansehen eines unabhängigen Juristen ist in Ungarn groß,
was dieses Studium bei der Jugend sehr populär macht.
72
Ganz anders sieht es dagegen in Polen aus. So beklagt die EU (2000a, S. 24 u.
99 ff.) vor allem die unzureichende Bekämpfung der "organisierten Kriminalität",
die fehlende "Aufsicht über Finanzinstitutionen außerhalb des Bankensektors",
zu langwierige Konkursverfahren und mahnt scharf die Mängel des Rechtswesens an, insbesondere bei der Justizreform, "denn in der Beitrittspartnerschaft
festgelegte mittelfristige Prioritäten sind noch nicht erfüllt." In der Region um
Warschau, welche das größte Wachstumszentrum Polens ist, ist das Justizwesen völlig überlastet, sodass die Dauer relativ einfacher juristischer Entscheidungen unverhältnismäßig lang ist. "Die Durchschnittsdauer eines Strafverfahrens, die landesweit sechs Monate beträgt, erreicht in Warschau 40 Monate.
Das Gleiche gilt für Handelssachen und Eintragungen ins Grundbuch. In der
Hauptstadt können Grundbuchangelegenheiten bis zu zwei volle Jahre in Anspruch nehmen, verglichen mit einem landesweiten Durchschnitt von 3,7 Monaten..." (EU 2000a, S. 18 f.) Die amerikanische Handelskammer beklagt besonders unklare Vorschriften, bei deren Verletzung "drakonische Strafen für
kleinere Irrtümer" (U.S. DEPARTMENT OF STATE 2000a, S. 74) verhängt werden.
Bei größeren Disputen meiden U.S.-Investoren polnische Gerichte und wenden
sich an internationale Schiedsgerichte, an deren Urteil Polen aufgrund von vier
internationalen Abkommen gebunden ist (vgl. U.S. DEPARTMENT OF STATE
2000a, S. 70 f.) Solche Verfahren sind jedoch nicht immer erzwingbar.
In Tschechien (vgl. EU 2000b, S. 20 f.) mangelt es den Richtern an ausreichendem Basiswissen, insbesondere an "Kenntnissen über Wirtschaftskriminalität,
Korruption und Geldwäsche". Ein wichtiges Gesetz zu einer Generalreform des
Justizwesens wurde ständig verschoben, inzwischen bis in das Jahr 2002. Hinzu kommt noch, dass die Gerichte wegen schon länger zurückliegender krimineller Delikte wie "Firmenausplünderung" völlig überlastet sind. Den gegenwärtigen Zustand des Justizwesens bezeichnet die EU "trotz aller Anstrengungen"
als "immer noch bei weitem nicht zufriedenstellend".
7.
Korruption
Korruption wirkt wie eine zusätzliche Steuer, hemmt das Wirtschaftswachstum,
verringert die Investitionen und beeinträchtigt stark die Höhe ausländischer Investitionen. Deshalb wurden ihre Ursachen gründlich erforscht. Korruption ist
um so weniger ausgeprägt, je weniger staatliche Monopole, insbesondere im
Rohstoffsektor oder der Infrastruktur existieren, je transparenter politische Dis-
73
kussionen und Entscheidungen sind, je unabhängiger die Gerichte und die Notenbank sind, je transparenter die Finanzierung der Parteien ist und je geringer
die Gehaltsunterschiede der Bediensteten des öffentlichen Sektors im Vergleich
zur Privatwirtschaft sind (vgl. WORLDBANK 2000).
Die meisten Korruptionsfälle treten im Rahmen der Privatisierung auf. Während
größere Unternehmen mit der Korruption leichter fertig werden, ist sie für viele
Klein- und Mittelbetriebe ein schwer überwindbares Investitionshindernis.
Die bekanntesten und am häufigsten zitierten Untersuchungen zur Korruption,
stammen von der in Berlin ansässigen Organisation TRANSPARENCY INTERNATIONAL, die insbesondere mit der Weltbank und der EBRD zusammenarbeitet.
TRANSPARENCY erstellt seit einigen Jahren den Corruption Perception Index
(CPI) für ca. 90-100 Länder, falls genügend Quellen vorhanden sind, und berechnet aufgrund der unterschiedlichen Einschätzung die Standardabweichung
für jedes Land. Das Land mit der geringsten Korruption erhält den höchsten
Punktwert, das korrupteste Land dagegen den niedrigsten. Ein Land mit dem
Punktwert 10 wird als "äußerst sauber" und ein Land mit 0 "als äußerst korrupt
wahrgenommen". Die Spalte N in Tabelle IV.18 informiert über die Zahl der
Quellen, bei welchen es sich meist um Länderrisikoanalysen oder Angaben bedeutender Großinvestoren handelt. Der Index 2000 umfasst neun Länder weniger als der von 1999, was Vergleiche erschwert. TRANSPARENCY zieht, soweit
möglich, 16 Untersuchungen pro Land heran und ein Land muss mindestens in
drei Untersuchungen vorkommen, um aufgenommen zu werden. Da sich die
Korruption nicht schlagartig verändert, wird ein Durchschnitt aus drei Jahren
gebildet.
Am "saubersten" sind die skandinavischen Länder. In der folgenden (stark verkürzten) Tabelle IV.18 liegt Finnland auf Platz 1, weit vor Deutschland, das den
17. Platz einnimmt. Als korruptestes Land wurde Nigeria mit Rangplatz 90 eingeschätzt. Die Unterschiede zwischen Tschechien (4,3) und Polen (4,1) sind in
Anbetracht der relativ hohen Standardabweichung unbedeutend. Ungarn, das
mit einem CPI-Wert von 5,2 den 31. Platz belegt und damit unter den drei Beitrittsländern den besten Platz einnimmt, folgt aber mit deutlichem, signifikanten,
Abstand zu Deutschland ebenso wie Tschechien mit einem Punktwert von 4,3
auf dem 42. Rangplatz.
74
Demnach haben vor allem Tschechien und Polen noch einen großen Reformbedarf. Wegen der großen Unsicherheiten bei der Bewertung empfiehlt
TRANSPARENCY große Zurückhaltung bei der Interpretation.
Tabelle IV.18
Korruptions-Index 2000 von Transparency International
Rang
1
Land
Finnland
CPI-Punktwert
Standardabweichung
N*
10,0
0,6
8
10
14
USA
7,8
0,8
17
Deutschland
7,6
0,8
8
31
Ungarn
5,2
1,2
10
42
Tschechien
4,3
0,9
10
43
Polen
4,1
0,8
11
82
Russland
2,1
1,1
10
90
Nigeria
1,2
0,6
4
* N = Zahl der verwendeten Untersuchungen.
Quelle:
TRANSPARENCY INTERNATIONAL (2000).
Nach einer finanziell sehr aufwendigen Untersuchung der Weltbank (vgl.
WORLDBANK 2000) über die Formen, Ursachen und Bekämpfungsmöglichkeiten
der Korruption unter Mitarbeit der EBRD und zahlreicher anderer internationaler
und nationaler Institutionen, an der außerdem 37 Autoren und viele bedeutende
Persönlichkeiten, wie Justizminister und andere Politiker insbesondere aus
Russland, Tschechien und anderen Ländern, teilgenommen haben, wurden
3.000 Manager von Unternehmen und Mitarbeiter von NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) aus 22 Transformationsländern zur Korruption befragt.
Der Bericht enthält Anhörungen, empirische Untersuchungen, Querschnittsanalysen und einige sehr detaillierte Berichte über die Korruption in einigen
Transformationsländern.
Die Untersuchung zeigte, dass Korruption aus zwei (statistisch unabhängigen)
Faktoren besteht und zwar State Capture (Bestechung der Regierung bzw.
höchster Beamter), und Administrative Capture (Bestechung staatlicher Verwaltungsangestellter). State Capture, bereits 1999 von der EBRD erforscht, bezieht sich auf Handlungen von Einzelnen oder Gruppen, die sowohl im staatlichen als auch im privaten Sektor tätig sind, um die Gesetzgebung zu beeinflussen, Regulierungen, Beschlüsse und andere politische Maßnahmen der Regierungspolitik zum eigenen Vorteil herbeizuführen. Dies geschieht durch illegale
75
und intransparente Zuwendung an Regierungsmitglieder oder hohe Beamte mit
weitreichenden Befugnissen (z. B. Vollmacht zur eigenmächtigen Annullierung
einer Steuerschuld oder Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Verwendung
von Zentralbankgeldern).
Typische Fälle von Administrative Capture sind dagegen: illegale Zahlungen
zum Erhalt von Lizenzen und Regierungsaufträgen, illegale Zahlungen an Polizisten oder an staatliche Kontrolleure kleinerer Unternehmen, die angebliche
Gesetzesverstöße monieren. Häufig müssen solche illegalen "Abgaben" gleich
an mehrere Kontrolleure innerhalb kurzer Zeit, teilweise mehrfach bezahlt werden.
Wie aus der Tabelle IV.19 über State Capture zu ersehen ist, schneiden Ungarn, Polen und Tschechien im Verhältnis zu den übrigen EU-Beitrittskandidaten sowie gegenüber Russland und Aserbaidschan (dem Land mit dem höchsten Ausmaß an State Capture) wieder am besten ab.
Tabelle IV.19
Anteil der durch State Capture geschädigten Firmen
- in % Parlament
Gesetzgebung
Land
Erlässe
d. Präsidenten
Ungarn
12
7
Polen
13
Tschechien
18
Russland
Zentralbank
Strafgerichte
Kaufm.
Verträge
Parteienfinanzierung
State
Capture
Index
8
5
5
4
7
10
6
12
18
10
12
11
12
9
9
6
11
35
32
47
24
27
24
32
Asserbaidschn.
41
48
39
44
40
45
41
Durchschnitt
der anderen EUBeitrittsländer
21
18
17
17
16
24
19
Quelle:
WORLDBANK (2000, S. 13), Berechnungen des ifo Instituts.
Immerhin fühlen sich noch in Ungarn, dem Land mit der besten Performance
aller Transformationsländer, 12 % der Firmen durch Gesetze, die von bestochenen Abgeordneten erlassen wurden, geschädigt, in Tschechien sind es sogar 18 % der befragten Unternehmen. Besonders bemerkenswert ist auch, dass
in Polen 18 % der Unternehmen angeben, durch Korruption in Prozessen bei
geschäftlichen Angelegenheiten vor den Gerichten (Commercial Courts), benachteiligt zu werden. Gerichtsentscheidungen und der illegale Umgang mit
76
Geld der Zentralbank wurde von den Autoren mit aufgenommen, weil in der
Phase des Übergangs zur Marktwirtschaft Gerichte als Institutionen betrachtet
werden, deren Aufgabe es ist, Recht zu schaffen. Die Zentralbank gilt in den
Augen der Geschäftsleute als die Institution, welche die Aufgabe hat, die neuen
Regeln zur Ordnung des Geldwesens einzuführen (vgl. HELLMAN ET AL. 2000a,
S. 19 ff.).
Wegen der Weigerung des tschechischen Parlaments, der Zentralbank die Unabhängigkeit zu gewähren - eine zentrale Bedingung für einen EU-Beitritt - ist
es nicht sehr erstaunlich, dass 12 % der befragten Unternehmen angeben,
durch illegale Fehlleitungen von Kapitalströmen aufgrund korrupter Machenschaften der Notenbank, Nachteile zu erleiden. Im Vergleich zu Russland oder
Aserbaidschan sehen diese Zahlen freilich noch relativ bescheiden aus.
Wettbewerb und Preisliberalisierung sind nach Untersuchungen der Weltbank
das wichtigste Mittel zur Bekämpfung von State Capture. Überhöhte Preise gewähren Spielraum für illegale Zahlungen (vgl. WORLDBANK 2000, S. xvi). Die
EBRD, die jährlich den Wettbewerb evaluiert, gibt Ungarn, Polen und Tschechien die gleiche Note, und zwar eine 3 (innerhalb des Kontinuums zwischen
1 und 4+). Beim Indikator Preisliberalisierung werden Ungarn und Polen mit je
3+ und Tschechien minimal schlechter mit 3 bewertet (vgl. EBRD 2000, S. 14).
Da die EU stark auf Verbesserung des Wettbewerbs und auch der Preisliberalisierung drängt, sind vermutlich bald Verbesserungen bei State Capture zu erwarten.
Die Tabelle IV.20 gibt Auskunft über Administrative Capture. Das Ausmaß an
Administrative Capture ist in Tschechien am größten. Hier müssen die Unternehmen 2,3 % vom Umsatz abgeben. Etwas überraschend wirkt dagegen der
schlechte Platz Ungarns (1,8 %) im Verhältnis zu Polen (1,3 %), der mit den
EU-Berichten und denjenigen der US-Handelskammer nicht ganz kompatibel
ist. Da Kroatien von allen Transformationsländern den besten Wert (1,2 %) hat,
wurde es ebenfalls mit aufgenommen.
Die rechte Spalte der Tabelle informiert darüber, was ein staatlich besoldeter
Richter des untersten Ranges gemessen am Einkommen eines Anwalts in der
Privatwirtschaft mit gleicher Ausbildung verdient. Mehrere statistische Untersuchungen ergaben eine hohe statistische Korrelation zwischen Korruption und
Unterbezahlung von Juristen im öffentlichen Dienst (vgl. WELTBANK 1997, S. 10,
77
WORLDBANK 2000). Außerdem hemmt die Unterbezahlung stark ihre Motivation,
sich mit den neuen Gesetzen zu beschäftigen und verleitet zur Abwanderung in
den Privatsektor. Allerdings ist dies wegen des ungewöhnlich hohen Ansehens
des Justizwesens in Ungarn nicht so.
Tabelle IV.20
Anteil des Jahresumsatzes zur Bestechung von Verwaltungsbeamten und Relation der
staatlich besoldeten Richter zu privaten Anwälten
Land
Bestechungsanteil in %
des Jahresumsatzes
Gehaltsrelation Richter/
privater Anwalt in %
Kroatien
1,2
54
Ungarn
1,8
37
Polen
1,3
27
Tschechien
2,3
47
Russland
3,8
16
Aserbaidschan
5,8
10
Andere EU-Beitrittsländer
2,1
41
Quelle:
Übertragen aus den Schaubildern von WORLDBANK (2000, S. xvii), EBRD (2000, S. 26)
sowie Berechnungen des ifo Instituts.
Insbesondere für kleine Firmen stellt Administrative Capture eine großes Hindernis da. Da einige Autoren behaupten, MNU förderten den Import marktwirtschaftlicher Institutionen, andere Autoren dagegen meinen, ein hohes Ausmaß
an Korruption läge durchweg an den MNU, wurde diese Frage näher untersucht
(vgl. HELLMAN ET AL. 2000b). Die Studie zeigte, dass MNU weder eine große
Rolle beim Import ausländischer Institutionen spielen, noch fördern sie entscheidend die Korruption. Ein Anreiz zur Beseitigung korrupter Strukturen besteht allerdings indirekt, weil Firmen aus Industrieländern bei Direktinvestitionen
korrupte Länder eher meiden.
Nach den Fortschrittsberichten der EU, die sich ebenfalls intensiv mit Korruptionsbekämpfung beschäftigen, unternehmen die Länder unterschiedliche Anstrengungen im Kampf gegen die Korruption. Am weitesten scheint Ungarn zu
sein, das erkannt hat, dass ohne eine gut funktionierende Verwaltung die Bekämpfung der Korruption nicht möglich ist. Außerdem gibt es in Ungarn demnächst für besonders gefährdete Berufe (z. B. Zöllner und Polizisten) ein Antikorruptionstraining mit psychologischen Schulungskursen gegen typische Bestechungsversuche.
78
Wegen des ineffizienten Rechtswesens bemühen sich in Polen viele Unternehmen, durch Bestechung ihre Angelegenheiten zu beschleunigen (vgl. EU
2000a, S. 19 f.). Unzureichende Kontrollen, fehlende Rechenschaftspflicht, "übermäßige aber schlecht organisierte Bürokratie" nennt die EU als "korruptionsfördernde" Faktoren. Bemängelt wird besonders, dass die von der EU schon
lange geforderte Ausarbeitung einer "Gesamtstrategie zur Korruptionsbekämpfung", die "unbedingt mit einer Verwaltungsreform einhergehen muss", um die
"Unabhängigkeit des öffentlichen Dienstes" zu fördern, fehlt.
Für MNU aus den USA ist es nach Angaben des U.S. DEPARTMENT OF STATE
(2000a) nicht schwer, in Polen zu investieren, und Korruption ist bei guter Beratung kein Hindernis. Nach Durchsicht aller Quellen drängt sich aber der Eindruck auf, dass es für ausländische Klein- und Mittelbetriebe zur Zeit noch extrem mühsam und sehr teuer ist, dort zu investieren.
Gravierende Probleme scheinen auch in Tschechien zu bestehen. Die EU zitiert
hier Meinungsumfragen, nach denen jeder 5. Tscheche den Eindruck hat, dass
das Alltagsleben völlig von der Korruption durchdrungen sei, und zwar "am
meisten in der Staatsverwaltung, gefolgt von Polizei und Staatsschutz, Gesundheitswesen, dem Bankensektor und den politischen Kreisen" (EU 2000b,
S. 21 f.). Gegen mehrere Richter laufen Prozesse wegen vorsätzlicher Verzögerung oder anderer Tatbestände der Korruption. Um das Vertrauen der ausländischen Investoren zurückzugewinnen, verkündete die Regierung seit 1998 propagandistisch die Kampagne "Saubere Hände".
8.
Staatliche Fördermaßnahmen
Die in den betrachteten MOE-Ländern für Investoren möglichen Fördermaßnahmen sind recht vielfältig, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen. Eine
Übersicht über die länderspezifischen Investitionsbedingungen gibt Tabelle IV.21 am Ende dieses Abschnitts.
Polen verfügt nur über eine beschränkte Anzahl von Steuerinstrumenten zur
Lenkung ausländischer Investitionen. Bedingt durch die Mitgliedschaft des Landes in der OECD, WTO und künftig auch in der EU, wird sich das Instrumentarium staatlicher Eingreifmöglichkeiten noch weiter einengen. Praktisch verblie-
79
ben sind die Möglichkeiten, Privatisierungen vorzunehmen, Steuererleichterungen zu gewähren sowie regionale Entwicklungsprogramme aufzulegen.
Steuererleichterungen
Das Finanzministerium kann auf Antrag Steuerleichterungen gewähren. Voraussetzung ist, dass das beantragende Unternehmen Gewinne in Höhe von
mindestens 8 % der Gesamteinnahmen erzielt. Für Betriebe der Nahrungsmittelerzeugung, Bauwirtschaft, Fischereiwirtschaft und des Tourismus gilt ein ermäßigter Satz von 4 %, in der Abfallverwertung von 2 %. Steuerermäßigungen
sind auch bei der Inanspruchnahme von Lizenzrechten, Patenten und Forschungsergebnissen möglich.
Investitionserleichterung
Im Fall neuer Investitionen in Höhe von mindestens 2 Mill. Euro können innerhalb des ersten Geschäftsjahres die Investitionskosten voll geltend gemacht
werden. In den folgenden drei Jahren können jeweils 10 % der Investitionskosten von den Jahreseinnahmen abgezogen werden. Stammen Gewinne über
drei Jahre zu mehr als 50 % aus Exporten, sind bis zu 30 % der Investitionskosten abzugsfähig.
Zollfreier Import von Sacheinlagen
Importierte Sacheinlagen ausländischer Kapitalseigner sind von Zollabgaben
befreit. Als Sacheinlagen gelten Gegenstände des Anlagevermögens wie Maschinen, Transportmittel etc. Diese dürfen innerhalb einer Frist von drei Jahren
nach Zollabfertigung nicht veräußert werden, sonst wird die Nachzahlung der
Einfuhrabgaben fällig.
Sonderwirtschaftszonen
Polen verfügt über 15 Sonderwirtschaftszonen und zwei gesonderte Gewerbegebiete, in denen weitere Steuerbefreiungen und Investitionsermäßigungen erteilt werden können. Es sind hauptsächlich die Begünstigungen, Präferenzen
und Befreiungen von Einkommen- und Liegenschaftsteuern, die Ermöglichung
steuerlicher Anrechenbarkeit von Investitionsausgaben sowie die Möglichkeit
der Anwendung höherer Abschreibungssätze auf Anlageinvestitionen, mit denen Investoren 50 bis 75 % ihrer tatsächlichen Aufwendungen zurückerhalten
können. Da die Rückflüsse über eine verlängerte Periode von 10 bis 20 Jahren
gewährt werden, und das unabhängig von der Höhe des investierten Kapitals,
wären Rückflüsse über die Höhe des investierten Kapitals hinaus möglich.
80
Die EU drängt auf eine Rücknahme dieses Instruments der Investitionsförderung mit der Begründung, dass die dort gewährten Steuererleichterungen eine
Wettbewerbsverzerrung darstellten. Polens Regierung hält vorerst aus wirtschaftlichen Gründen an den Zonen fest, in denen bislang rund 2 Mrd. USD
investiert und ca. 32.000 Arbeitsplätze geschaffen wurden. Eine übereilte Abkehr vom Konzept der Sonderwirtschaftszonen würde zudem dem Image Polens als sicherem Investitionsstandort schaden.
Die Geschichte der Investitionsförderung in der Tschechischen Republik ist
relativ kurz und wurde Anfang 2000 erstmals auf eine gesetzliche Grundlage
gestellt. Das Gesetz bietet den Investoren folgende Fördermöglichkeiten an:
- Einkommen-/Körperschaft-Steuerermäßigungen,
- Zuwendungen an Gemeinden für technische Einrichtungen auf dem Gebiet,
in dem die Produktion stattfinden wird, sowie die Übertragung von staatlichen
Grundstücken an Gemeinden für Bauten,
- finanzielle Unterstützung für die Schaffung neuer Arbeitsplätze,
- finanzielle Unterstützung für Maßnahmen im Rahmen der Mitarbeiterumschulung.
Der Antragsteller muss folgende gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen:
- Aufbau eines neuen Produktionsbetriebes oder Erweiterung bzw. Modernisierung eines bestehenden Produktionsbetriebes zwecks Einführung einer
neuen Produktion, Erweiterung bzw. Modernisierung der bestehenden Produktion,
- Aufwendungen in der verarbeitenden Industrie in den Bereichen Luft- und
Raumfahrt, Verkehrsmittel und Anlagen, Computer, Informationstechnologie,
Elektronik, Radiokommunikation, Telekommunikation, Pharmazeutik,
- in weiteren Bereichen der verarbeitenden Industrie unter der Bedingung,
dass ein Teil der Fertigungsstraße Bestandteil einer Maschineneinrichtung ist
und die Anschaffungskosten dieses Teiles der Fertigungsstraße mindestens
50 % der gesamten Anschaffungskosten der Fertigungsstraße betragen,
- Anschaffung von Maschineneinrichtung zu einem Wert von mindestens 40 %
des Gesamtwertes der angeschafften Vermögensgegenstände,
- die Produktion muss umweltfreundlich sein,
die Investition für die Anschaffung der Vermögensgegenstände muss mindestens 350 Mill. Ck betragen, wobei hiervon mindestens 145 Mill. Ck durch
Eigenkapital gedeckt sein müssen.
81
Sollte die Investition in einem Landkreis realisiert werden, in dem zur Zeit der
Antragstellung die Arbeitslosenquote um mindestens 25 % höher ist als die
durchschnittliche Arbeitslosenquote für das vergangene Halbjahr, wird die Mindestgrenze der Investition von 350 Mill. auf 175 Mill. Ck herabgesetzt, wobei die
Hälfte dieses Betrages durch das Eigenkapital gedeckt sein muss.
Unterstützung bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze
Ein Investor, dem eine Subvention zugesagt wurde, kann unter bestimmten
Voraussetzungen eine weitere finanzielle Unterstützung erhalten. Die Unterstützung für die Schaffung neuer Arbeitsplätze beträgt 200.000, 120.000 oder
80.000 Ck für jeden neu gebildeten Arbeitsplatz, wobei die Höhe von der in dem
betreffenden Landkreis erreichten Arbeitslosenquote abhängt. Im Rahmen der
Umschulungsmaßnahmen der Mitarbeiter kann der Arbeitgeber einen Zuschuss
in Höhe von 35 %, 30 % oder 25 % der Umschulungskosten erhalten. Auch hier
hängt die Höhe von der erreichten Arbeitslosenquote in dem betreffenden
Landkreis ab.
Befreiung vom Einfuhrzoll
Um eine Befreiung von den Einfuhrzöllen zu erreichen, muss sich der Gesamtwert der importierten Maschinen und Anlagen auf mindestens 10 Mill. Ck belaufen. Die importierten Maschinen und Anlagen müssen eine technologische
Einheit bilden oder deren Bestandteil darstellen und dürfen nicht in der Tschechischen Republik produziert werden. Es ist weiter erforderlich, dass die importierten Maschinen und Anlagen innerhalb eines Jahres nach ihrer Herstellung in
die Tschechische Republik eingeführt werden und es muss gewährleistet sein,
dass derjenige, der die Zollbefreiung geltend macht, Deklarant ist und die Ware
für die Dauer von mindestens vier Jahren nach der Einfuhr nicht verkauft.
Ungarn bietet ausländischen Investoren zahlreiche Vergünstigungen auf steuerrechtlicher Grundlage sowie direkte und indirekte Leistungen aus verschiedenen Fonds.
Steuervergünstigungen
Steuerlich bietet Ungarn für Unternehmen günstige Bedingungen. Der Körperschaftsteuersatz ist mit 18 % sehr niedrig und Gewinne, die im Land reinvestiert
werden, sind steuerfrei. Weitere Befreiungen bzw. Ermäßigungen werden für
besonders erwünschte Investitionen gewährt. Dazu gehören u. a. größere Be-
82
teiligungen in Wachstumsbereichen sowie Investitionen in besonderen Zielgebieten der Wirtschaftsförderung.
Die Körperschaftsteuer kann bis zu zehn Jahre ab dem zweiten Jahr nach Abschluss der Investition (letztmalig 2011) vollständig erlassen werden:
- bei einer Investition von mindestens 10 Mrd. Ft im produzierenden Gewerbe,
- bei einer Zunahme der Beschäftigung von mindestens 500 Personen im Vergleich zum Jahr vor der Investition und
- für jedes Jahr, in dem der Nettoumsatz mindestens um 5 % des Investitionsvolumens zugenommen hat, und zwar entweder gegenüber dem Vorjahr oder im Durchschnitt der Jahre seit dem Abschluss der Investition.
Die Körperschaftsteuer kann bis zu fünf Jahre nach Abschluss der Investition
(letztmalig 2002) um die Hälfte ermäßigt werden:
- bei einer Investition von mindestens 1 Mrd. Ft im produzierenden oder im Beherbergungsgewerbe,
- bei produzierenden Betrieben für jedes Jahr, in dem der Nettoumsatz mindestens um 5 % des Investitionsvolumens zugenommen hat, und zwar entweder gegenüber dem Vorjahr oder dem Durchschnitt der Jahre seit dem
Abschluss der Investition,
- bei Beherbergungsbetrieben für jedes Jahr, in dem der Nettoumsatz um mindestens 25 % oder 600 Mill. Ft zugenommen hat, und zwar entweder gegenüber dem Vorjahr oder dem Durchschnitt der Jahre seit dem Abschluss der
Investition.
Steueranreize in bestimmten Regionen:
Ungarn kennt verschiedene Arten von Fördergebieten, in denen Steueranreize
in unterschiedlicher Höhe gewährt werden:
1. Gesellschaftlich und wirtschaftlich unterentwickelte Regionen sind Gebiete,
die hinsichtlich demographischer und wirtschaftlicher Indikatoren hinter dem
Landesdurchschnitt zurückbleiben.
2. Prioritätsregionen sind Gebiete, die im Juni des vorangegangenen Steuerjahres eine Arbeitslosenquote von mehr als 15 % aufwiesen.
3. Unternehmenszonen legt die Regierung per Beschluss fest. Alle Fördergebiete konzentrieren sich im Osten und Südwesten. Am größten sind die gesellschaftlich und wirtschaftlich unterentwickelten Regionen; die meisten
Prioritätsregionen sind ein Teil davon. Unternehmenszonen liegen meist in
Grenznähe.
83
In gesellschaftlich und wirtschaftlich unterentwickelten Regionen sowie Prioritätsregionen kann die Körperschaftsteuer bis zu zehn Jahre ab dem 2. Jahr
nach Abschluss der Investition (letztmalig 2011) vollständig erlassen werden:
- bei einer Investition von mindestens 3 Mrd. Ft im produzierenden Gewerbe,
- bei einer Beschäftigungszunahme von mindestens 100 Personen gegenüber
dem Jahr vor der Investition und
- für jedes Jahr, in dem der Nettoumsatz mindestens um 5 % des Investitionsvolumens zugenommen hat, und zwar entweder gegenüber dem Vorjahr oder im Durchschnitt der Jahre seit dem Abschluss der Investition.
In Prioritätsregionen und Unternehmenszonen kann die Körperschaftsteuer bis
zu fünf Jahre ab Abschluss der Investition (letztmalig 2002) vollständig erlassen
werden:
- bei Investitionen im produzierenden oder im Beherbergungsgewerbe,
- bei produzierenden Betrieben für jedes Jahr, in dem der Nettoumsatz gegenüber dem Vorjahr um mindestens 5 % des Investitionsvolumens gestiegen
ist; in Unternehmenszonen beträgt dieser Wert nur 1 %. Investoren mit Sitz
und Betriebsstätte in einer Prioritätsregion oder Unternehmenszone, welche
die genannten Voraussetzungen zur Steuerbefreiung nicht erfüllen, können:
a) entweder 6 % des Investitionsaufwands für Maschinen und Ausrüstungen, die mindestens drei Jahre im Betrieb verbleiben, und für Infrastruktur - in Unternehmenszonen auch für Gebäude im Jahr des Abschlusses der Investition (letztmalig 2002) von der Körperschaftsteuer
abziehen oder
b) schneller abschreiben, und zwar Gebäude mit 10 % statt 2 % p.a. und
neue Maschinen und Ausrüstungen vollständig im Anschaffungsjahr
statt mit 30 % p. a.
Für die Zeit nach Ungarns EU-Beitritt muss das System der steuerlichen Investitionsanreize überarbeitet werden, da diese nicht vollkommen konform mit dem
Wettbewerbsrecht der Union sind. Ein Großteil der Zollfreigebiete, die exportorientierte Unternehmen im Land derzeit noch relativ leicht errichten können,
dürfte den Beitritt nicht "überleben". Parallel dazu gleicht Ungarn seine Programme zur Wirtschaftsförderung immer stärker an diejenigen der EU an. Diese
Förderprogramme richten sich hauptsächlich an mittelständische Unternehmen
und bestimmte - wirtschaftlich benachteiligte - Regionen. Hinzu kommen u. a.
Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen sowie zur Förderung des Umweltschutzes und der Energieeinsparung.
84
Unternehmen, die in Sachsen investieren, erhalten umfangreiche Mittel als Investitionsanreize im Rahmen der Förder- und Investitionsprogramme durch das
Land Sachsen und den Bund.
Insbesondere werden aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GA) nichtrückzahlbare Investitionszuschüsse bis zu 35 % für Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft zur Schaffung und
Sicherung von dauerhaften qualifizierten Arbeitsplätzen, Förderung des Strukturwandels und der optimalen Nutzung von Produktionsfaktoren ausgereicht.
•
GA-Zuschüsse
Sind nichtrückzahlbare Investitionszuschüsse, die - bei Einhaltung der Voraussetzungen - zur Schaffung und Sicherung von dauerhaften qualifizierten
Arbeitsplätzen gewährt werden. Zuschüsse erhalten private Unternehmen
der gewerblichen Wirtschaft entsprechend einer Positivliste. Förderfähige
Kosten sind: Anschaffungs- und Herstellungskosten der zum Investitionsvorhaben zählenden Wirtschaftsgüter des Sachanlagevermögens, unter
Umständen immaterielle Wirtschaftsgüter, geleaste Wirtschaftsgüter (nicht
förderfähig sind Ersatzinvestitionen, PKW und sonstige Transportmittel, gebrauchte und geringwertige Wirtschaftsgüter). Die Förderhöhe beträgt bis
zu 35 % der förderfähigen Investitionskosten (einschließlich Investitionszulage) und kann bei KMU um 15 % erhöht werden.
•
Investitionszulage
Diese Zulagen in Höhe von 10 % (bei KMU 20 %) werden Steuerpflichtigen
im Sinne des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes auf die Anschaffung und Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens erteilt, außer für geringwertige Wirtschaftsgüter, PKW und Luftfahrzeuge und müssen drei Jahre im Unternehmen verbleiben.
Bei mittelständischen Investoren kommen als Förderinstrumente noch das Mittelstandsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sowie das Europäische Wiederaufbauprogramm (ERP) zur Anwendung. Die vom Umfang her
bedeutendsten staatlichen Fördermaßnahmen waren in den vergangenen Jahren die Zuschüsse zu Investitionen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe
"Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur".
85
Tabelle IV.21
Investitionsbedingungen in den drei MOE-Ländern
Polen
Tschechische Republik
Gesellschaftsform
100 %ige Auslandsbeteiligung möglich. In einigen
Fällen Beschränkung durch reservierte Anteile für
Arbeitnehmer. AG: Mindestkapital 1.000.000 Zl.; GmbH
(auch Ein-Mann-GmbH): Mindestkapital 4.000 Zl. Unselbständige Vertretung und Zweigniederlassung auch
möglich
Anteilserwerb an tschechischen Unternehmen bis
100 % oder Neugründung möglich. AG: Mindestkapital
1 Mill. CK. GmbH: Mindestkapital 100.000 CK. OHG,
KG, GmbH & Co. KG möglich
Anteilserwerb an ungarischen Unternehmen bis
100 % möglich. AG: Mindestkapital 10 Mill. Ft.,
mind. 30 % oder 5 Mill. Ft als Bareinlage. GmbH:
Mindestkapital 3 Mill. Ft, mindestens 30 % oder 1
Mill. Ft als Bareinlage. OHG und KG möglich; GU
(Gemeinschaftsunternehmen, Vereinigung)
Gründungs-/ Auflösungsprocedere
I.d.R. keine Genehmigung erforderlich; Ausnahmen:
Immobilienerwerb, See- und Flughäfen, Transport,
Finanzdienstleistungen, Rechtsberatung. Nur Wirtschaftssubjekte sind insolvenzfähig. Antragstellungspflicht nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, aber keine
strafrechtlichen Sanktionen bei Zuwiderhandlungen.
Dinglich gesicherte Forderungen werden an erster
Stelle befriedigt. Auch verspätete Forderungen werden
anerkannt.
Investitionen in allen Bereichen möglich. Für Joint
Venture mit Staatsunternehmen, Banken, Versicherungen, Bergbau, im Verteidigungssektor Genehmigungspflicht, Zustimmung des Finanzministeriums bzw. der
Staatsbank. Registrierung beim Gewerbeamt. Insolvenzverfahren kann wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit eröffnet werden. Antragspflicht bei
Überschuldung. Sicherungsgläubiger werden vorrangig
befriedigt. Verspätete Forderungen werden anerkannt.
Investitionen in allen Bereichen möglich, außer
Verteidigung, Sicherheit des Staates. Lizenzpflicht
im Bereich Pharmazie. Gewerbeerlaubnis für Groß
und Einzelhandelstätigkeit, Banken, Versicherungen, Außenhandelstätigkeit. Nur Kaufleute bzw.
Unternehmer sind insolvenzfähig (ausgenommen
Einzelunternehmen). Pflicht des Vergleichsverfahrens vor Eröffnung des Konkurses. Antragstellung
von Amts wegen mögl. Sicherungsgläubiger werden
nach Deckung der Verfahrenskosten befriedigt.
Steuervorschriften
Körperschaftsteuer: 30 %; Einkommensteuer progressiv
19 - 40 %. Dividendensteuer (ohne DBA): 20 %. Mehrwertsteuer Normalsatz: 22 %, Präferenzsätze O %
(Export von Waren und Dienstleistungen, aber Aufzeichnungspflicht laut Art. 27 des poln. UstG; 7 %
Pharmaprodukte). Besondere Präferenzbestimmungen
in Sonderwirtschaftszonen (z. B. Befreiung von Körperschaftssteuer). Diese Zonen müssen lt. EU-Recht
mittelfristig verändert bzw. aufgelöst werden.
Körperschaftsteuer: 35 %; Einkommensteuer: progressiv, 15 - 32 %. Dividendensteuer (ohne DBA): 25 %.
Mehrwertsteuer: 22 % (5 % ermäßigt). Begünstigt: für
bestimmte Investitionen im Produktionsbereich ab 10
Mill. $: Befreiung von Körperschaftsteuer (5 Jahre).
Verlustvortrag: bis 7 Jahre.
Körperschaftsteuer: 18 %; Einkommensteuer: 20 40 %; Dividendensteuer (ohne DBA): 20 %. Mehrwertsteuer: Normalsatz 25 %, Präferenzsätze 12 %,
0 %. Steuervergünstigungen max. 100 % für Investitionen über 3 Mrd. Ft für max. 10 Jahre in wirtschaftlich unterentwickelten Regionen.
Eigentumsrecht
Erwerb von Grund und Boden grundsätzlich nur mit
Genehmigung des Innenministeriums Warschau möglich, aber zumeist unproblematisch. Erbnießbrauchsverträge sind verbreitet.
Für Ausländer kein Eigentum an Grund oder Gebäuden, aber indirekt über Unternehmen tschechischen
Rechts möglich.
Grunderwerb grundsätzlich möglich. Genehmigung
der Kommune (i.d.R. erteilt). Für Unternehmen
ungarischen Rechts keine Genehmigungspflicht;
Gebäudeeigentum, langfristige Pachtverträge
Devisentransfer
Freier Gewinn- und Kapitaltransfer. Bei Transfer Gewinnsteuer: 20 %, mit DBA: 15 % bzw. 5 %. Umtausch
von Zloty-Gewinnen gewährleistet. Devisenkonten
möglich.
Freier Gewinn- und Kapitaltransfer. Bei Transfer Gewinnsteuer: 25 %; mit DBA 15 % bzw. 5 %. Für tschechische natürliche o. juristische Personen Meldepflicht
für Auslands- o. Devisenkonten.
Freier Gewinn- und Kapitaltransfer. Bei Transfer
Gewinnsteuer: 20 % mit DBA 15 % bzw. 5 % .
Umtausch von Forint-Gewinnen problemlos. Devisenkonten möglich.
Abkommen
Investitionsschutzabkommen vom 10.11.1989. DBA von Investitionsfördervertrag vom 02.10.1990 mit der e1972, Revisionsabkommen zur DBA vom 04.06.98
hem. CSFR gilt weiter. Fortgeltung des DBA mit der
paraphiert.
CSFR vom 19.12.1980.
Quelle:
DIHT (2000).
Ungarn
Investitionsschutzabkommen vom 30.04.1986.
Doppelbesteuerungsabkommen vom 18.07.1977.
86
Ausländische Unternehmen wurden dabei mit der gleichen Quote gefördert wie
deutsche Unternehmen. Die großzügige Förderung von Investitionen war eine
Ursache für die Konzentration der ausländischen Unternehmen auf kapitalintensive Branchen im verarbeitenden Gewerbe. Von den zahlreichen anderen
Förderprogrammen in den neuen Bundesländern, die sich vorwiegend an kleine
und mittlere Unternehmen richteten, konnten viele ausländische Unternehmen
aufgrund ihrer Größe und der Zugehörigkeit zu internationalen Konzernen indes
nicht profitieren (vgl. BELITZ/BRENKE/FLEISCHER 1999).
9.
Lebensqualität
Die Angaben zur Umweltqualität in den Transformationsländern sind nicht immer vergleichbar. Wichtige Umweltindikatoren sind der SO2- und der NOx-Gehalt der Luft.
Der Schwefeldioxyd-Anteil (gemessen in Mikrogramm/m3) lag mit einem Durchschnitt von 35 in Prag, 39 in Budapest und 12 in Warschau, jeweils gemessen
im Jahr 1997, sogar deutlich unter dem Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 40. Ausgenommen Warschau, lagen dagegen Prag und Budapest bei den Stickoxyden etwas schlechter als der WHO-Grenzwert erlaubte.
Allerdings weist die EBRD daraufhin, dass die Meßmethoden unterschiedlich
und daher nicht miteinander vergleichbar sind. Wegen der Zunahme der Motorisierung dürften diese Werte aber inzwischen weit über das zulässig Maß gestiegen sein.
Etwas deutlicher wird dagegen der amerikanische Geheimdienst CIA (CENTRAL
INTELLIGENCE AGENCY), der bekanntlich über sehr zuverlässige Datenbanken
verfügt. Dort heißt es über Polen (vgl. CIA 2000a, S. 2): Dank dem Rückgang
der Schwerindustrie und dem wachsenden Umweltbewusstsein der postkommunistischen Regierungen, hat sich die Umweltverschmutzung seit 1989 kontinuierlich verringert. Nichtsdestotrotz bleibt die Luftverschmutzung wegen der
Schwefeldioxyd-Emissionen aus den Anlagen, die mit Kohle heizen, ein ernstes
Problem. Der dadurch entstandene saure Regen hat große Waldschäden verursacht. Die Hauptverursacher der Wasserverschmutzung sind die Industrie
und die kommunalen Einrichtungen. Ein sehr großes Problem bildet zudem der
leichtfertige Umgang mit Müll.
87
Über Tschechien wird berichtet (vgl. CIA 2000b, S. 2), dass die Wasser- und
Luftverschmutzung in den Gebieten nordwestlich von Böhmen und in Nordmähren rund um Ostrava so gravierend ist, dass sie ein ernsthaftes gesundheitliches Risiko darstellt. Saurer Regen ist im ganzen Land verbreitet und zerstört
die Wälder.
Zu Ungarn heißt es (CIA 2000c, S. 2), dass zwar sehr viele Abkommen zur
Umweltverbesserung beschlossen worden sind (z. B. was die Luftverschmutzung mit Stickstoffoxyden anbetrifft), aber einige wenige müssen noch ratifiziert
werden. Die Annäherung an die EU-Standards auf dem Gebiet der effizienten
Energieerzeugung, der Abfallentsorgung und Wasserverschmutzung erfordert
noch große Investitionen in die Infrastruktur.
Alle drei Länder haben mehrere Abkommen zur Umweltverbesserung unterzeichnet, die vielfach jedoch noch nicht ratifiziert worden sind. Aus Platzgründen kann aber hierauf nicht näher eingegangen werden. Gemäß den EU-Fortschrittsberichten bleibt jedoch festzuhalten, dass die Umweltprobleme aller drei
Beitrittsländer erheblich gravierender sind als in Sachsen.
Die von der WELTBANK (2001, S. 278 ff.) im Weltentwicklungsbericht 2000/2001
für das Jahr 1997 wiedergegebenen Zahlen über die Lebenserwartung, welche
in der folgenden Tabelle IV.22 wiedergegeben werden, scheinen jedoch bei den
Beitrittskandidaten in keinem klar erkennbaren Zusammenhang mit der unterschiedlichen Umweltqualität zu stehen. Wichtige andere Daten, z. B. über den
Zugang zu hygienisch unbedenklichem Wasser, fehlen leider für alle drei Beitrittsländer. Auch andere wichtige gesundheitsrelevante Informationen fehlen
entweder vollständig oder sind so veraltet, dass die nicht mehr aussagekräftig
sind.
Tabelle IV.22
Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt in Deutschland, Polen, Tschechien, Ungarn
- 1997 Deutschland
Polen
Tschechien
Ungarn
M
W
M
W
M
W
M
W
74
80
67
70
71
78
66
75
M = männlich, W = weiblich.
Quelle:
WELTBANK (2001, S. 278 f.)
88
Sieht man einmal von der Tatsache ab, dass Deutschland hinsichtlich der Lebenserwartung besser abschneidet als die Beitrittskandidaten, so lässt sich bei
den drei übrigen Ländern feststellen, dass Tschechien, am zweitbesten abschneidet gefolgt von Ungarn und Polen. Bemerkenswert ist, dass der Abstand
zwischen Männern und Frauen im jedem Staat unterschiedlich groß ist. Warum
er jedoch in Ungarn am größten ist, entzieht sich unserer Kenntnis.
10.
Besonders wichtige makroökonomische Indikatoren
10.1
Privatisierung und Direktinvestitionen
Wie Tabelle IV.23 zeigt, ist die Privatisierung in allen drei Ländern weit fortgeschritten. Die Bewertung der kleinen Privatisierung mit 4+ zeigt, dass die kleine
Privatisierung in den drei Beitrittsländern inzwischen sogar völlig abgeschlossen
ist.
Tabelle IV.23
Stand der Privatisierung
Länder
Große Privatisierung Kleine Privatisierung
Polen
Tschechien
Ungarn
Russland
Weißrussland
Quelle:
Anteil des Privatsektors am BSP
3+
4+
70 %
4
4+
80 %
4
4+
80 %
3+
4
70 %
1
2
20 %
EBRD (2000, S. 14).
Bei der großen Privatisierung besteht jedoch noch ein gewisser Nachholbedarf.
Allerdings erscheint es fraglich, ob Polen und Russland auf eine Stufe gestellt
werden können. Im Jahre 1998 und 1999 gelang es in Polen, mit ausländischer
Hilfe große Erfolge bei der Privatisierung des Bankensektors zu erreichen. Der
Anteil der faulen Kredite hat sich zwar geringfügig erhöht, aber die ausländischen Banken, die inzwischen mehr als 50 % aller Einlagen besitzen, erwirtschaften höhere Gewinne als die polnischen Banken und haben westliche Standards eingeführt. Der Bankensektor in Russland dagegen ist noch, vorsichtig
formuliert, ziemlich marode. Der Anteil des privaten Sektors am BSP ist in den
letzten zehn Jahren in den drei Beitrittsländern sukzessive gestiegen. Dabei
89
muss jedoch angemerkt werden, dass auch hier große Messprobleme bestehen.
Verzögerungen bei der Privatisierung ergaben sich in Polen in einigen Branchen der Schwerindustrie, vor allem bei Stahlmühlen und im Bergbau. Die
EBRD (2000, S. 194) meint, Polen müsse hier noch einiges tun, um das Investitionsklima zu verbessern. In Anbetracht der schwierigen Probleme dieser
Branchen führt Polen unter Assistenz der Weltbank ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm durch, um z. B. defizitäre Minen zu identifizieren und
zu schließen. Wegen der Proteste und Forderungen der Gewerkschaften im
Zusammenhang mit Massenentlassungen hat sich die Privatisierung verzögert.
Allein im Stahlsektor soll die Belegschaft bis zum Jahr 2003 von 87.000 auf
38.000 Arbeitskräfte reduziert werden. Wegen des starken Widerstands der
Gewerkschaften zeigten ausländische Investoren bisher fast keinerlei Interesse
an diesen Krisenbranchen. Trotzdem rechnet Polen auch hier in nächster Zeit
mit massiven ausländischen Direktinvestitionen. Diesen Schätzungen schließt
sich auch die EBRD an, nach deren Schätzungen die ausländischen Direktinvestitionen im Jahre 2000 von 6,64 Mrd. USD (1999) auf 10 Mrd. USD gestiegen sein sollen (vgl. Tabelle IV.24).
Tabelle IV.24
Direktinvestitionen in Polen, Tschechien und Ungarn
- 1995-2000a), in Mrd. USDb) 1995
1996
1997
1998
1999
2000
kumuliert kumuliert
1999
1989-99
1989-99 pro Kopf
- in USD - pro Kopf
1999
in %
des BSP
Polen
1,13
2,74
3,04
4,97
6,64
10,0
20,04
518
172
4,3
1.447
476
9,2
1.764
140
2,9
Tschechien
2,53
1,28
1,28
2,64
4,91
6,0
14,9
Ungarn
4,4
1,99
1,65
1,45
1,41
1,65
17,78
a) Schätzung. - b) falls nicht anders angegeben.
Quelle:
EBRD (2000).
Auffallend ist, dass in Polen und in Tschechien - ganz im Gegensatz zu Ungarn - in den Jahren 1999 und 2000 mehr als zwei Drittel aller Direktinvestitionen stattgefunden haben. Die Ursachen hierfür liegen, wie bereits erwähnt, an
der Privatisierungsstrategie.
90
In Tschechien ist die große Privatisierung weitestgehend abgeschlossen. Die
Verhandlungen mit einigen ausländischen Investoren im Rahmen der strategischen Privatisierung stehen kurz vor Vertragsunterzeichnung. Der Staat hält
allerdings noch kleinere Anteile an einigen Unternehmen, die als sanierungsbedürftig gelten. Dies mag daran liegen, dass es der tschechischen Regierung
sogar gelungen ist, einige völlig bankrotte Betriebe an ausländische Investoren
zu verkaufen, nur weil diese unbedingt im Land präsent sein wollten (vgl.
EBRD, 2000, S. 154).
In Ungarn ist der Privatisierungsprozess fast völlig abgeschlossen. Da die einheimischen Betriebe wegen der hohen Profitabilität ausländischer Unternehmen
der Konkurrenz nicht gewachsen sind, ist es möglich, dass einige in Konkurs
gehen und dann an Ausländer verkauft werden (vgl. EBRD 2000, S. 170).
Bei der Darstellung der Direktinvestitionen muss noch ein ganz zentraler Aspekt
berücksichtigt werden. Ausländische Direktinvestoren erzielen in den Transformationsländern zwar generell höhere Renditen als die einheimischen Unternehmen. Bei Joint Ventures sind ihre Renditen jedoch erheblich geringer als bei
vollständigen Neugründungen.
Nach Untersuchungen des IMF gilt diese Regel jedoch nicht generell. Direktinvestoren in den fortgeschritteneren Industrieländern (wie z. B. in Deutschland
oder Frankreich) erzielen bei der Gründung von Banken zu ca. 90 % in der Regel niedrigere Renditen als in ihren Heimatländern, weil die deutschen oder
französischen Unternehmen die Usancen ihres Landes weit besser kennen und
erheblich besser informiert sind als die Ausländer.
10.2
Wechselkurse
Vor einem endgültigen Beitritt in die EU und vor der Einführung des Euros müssen Polen, Tschechien und Ungarn Mitglied im Europäischen Währungssystem
(EWS II) werden, die Maastricht-Kriterien erfüllen, freien Kapitalverkehr einführen und ein bestimmtes Wechselkursregime etablieren. Das bedeutet, dass die
Kurse ihrer Währungen nach Festlegung eines Referenzkurses nur noch um
plus/minus 15 % um diesen schwanken dürfen. Allerdings haben sie auch die
Freiheit, den Grad der Schwankung ihres Wechselkurses innerhalb dieses Korridors weiter einzuengen.
91
Da insbesondere der Devisenkurs kleinerer Länder zu überschießenden Reaktionen neigt, haben viele dieser Länder ihre Währung eng an die eines größeren Handelspartners fest gebunden, wie z. B. in der Vergangenheit Österreich
oder Holland9 an Deutschland. Dieses System funktioniert aber nur, wenn das
Land, das seine Währung an eine andere Währung koppelt, eine solide Geldund Haushaltspolitik betreibt und außerdem keinerlei Zweifel aufkommen lässt,
die gewählte Parität zu verteidigen, andernfalls bricht das System auseinander.
Zudem gibt es nicht absehbare, sog. externe Schocks, die das Wechselkurssystem verkraften muss. Hierzu zählen nicht nur Veränderungen der TERMS OF
TRADE, wie abrupte Ölpreissteigerungen, sondern auch plötzliche Zinserhöhungen in einem großen Land. So führte z. B. die deutsche Wiedervereinigung wegen des erhöhten Kapitalbedarfs zu abrupt steigenden Zinsen (und damit der
stärksten Rentenbaisse seit der Weltwirtschaftskrise), sodass das Europäische
Währungssystem eine massive Krise erlitt und reformiert werden musste. Jene
Länder, welche ohnehin nur mit hohen Zinsen ihre Devisenbilanz ausgleichen
konnten, sahen sich gezwungen, ihre Währung meist relativ stark abzuwerten.
Da erst seit gut zehn Jahren umfangreiche Erfahrungen über die Auswirkungen
des freien Kapitalverkehrs mit Schwellenländern bestehen, ist inzwischen eine
schier unübersehbare Flut an Literatur über die Problematik unterschiedlicher
Wechselkursregime entstanden. Zudem wird in zahlreichen Abhandlungen über
die Gefahren, die den EU-Beitrittsländern drohen können, gewarnt (vgl. KELLER
ET AL. 2000, OSBAND/RIJCKGHEM 2000, S. 238 ff.). So ist es auch nicht erstaunlich, dass gegenwärtig alle EU-Beitrittskandidaten unterschiedliche geld- und
währungspolitische Konzeptionen verfolgen. Wie aus der folgenden Tabelle IV.25 zu erkennen ist, sind alle drei Länder zu flexibleren Systemen übergegangen, was in Anbetracht der erwähnten Krisen bei festen Wechselkursen
nicht überrascht.
Wegen der Spannung zwischen autonomer Geldpolitik und autonomer Währungspolitik spricht KRUGMAN (vgl. KRUGMAN/OBSTFELD 2000, S. 713 ff.) von einem Trilemma zwischen Wechselkursstabilität, monetärer Autonomie und frei9
Streng genommen stimmt dieses häufig zitierte Beispiel nicht ganz. So bezahlte man z. B.
am 13.03.1979 für eine DM 108,37 Gulden, am 24.09.1979, 110,537 und am 21.03.1983
112,673 Gulden (vgl. COVITT 1987, S. 646).Trotz restriktiver Einkommenspolitik musste Holland zeitweise seine Währung abwerten, um nicht die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu
verlieren.
92
em Kapitalverkehr (vgl. Abbildung IV.3). Man kann sich tendenziell nur für zwei
dieser drei Ziele entscheiden.
Tabelle IV.25
Wechselkursregime und Geldpolitik
a)
Land
System
Vorheriges
System
Währungskorb
Polen
Marktbestimmter
flexibler Währungskorb
(12. April 2000)
Währungskorb
(Januar 1990)
Inflationsziel
Tschechien
Schmutziges
Floaten
(Mai 1997)
Fester Währungskorb
(Dezember 1990)
Inflationsziel
Ungarn
Angekündigter
Gleitkurs
Stufenflexibilität
70 % €b)
30 % USD
Geldpolitischer
Rahmen
Impliziertes
Inflationsziel
a) Datum der Einführung in Klammern. - b) Vorher DM.
Quelle:
IMF (1997), IFS, KOPITZ 1999, zitiert nach SHERMAN (2000, S. 14).
Abbildung IV.3
Wechselkursstabilität
Wechselkursstabilität
Kapitalverkehrskontrollen
monetäre
Autonomie
Quelle:
Currency
Board
Floating
Freier Kapitalverkehr
ifo Institut, eigener Entwurf.
Dies zeigt folgendes einfache Beispiel: In Industrieländern passt sich der Realzins (Nominalzins minus Inflationsrate) dem internationalen Niveau an, und erhöht sich um die erwartete Abwertungsrate (vgl. FISHER 2001, S. 8). Soll nun die
93
Inflation durch restriktive Geldpolitik bekämpft werden, muss der Zins etwas
über diesem Wert liegen. Bei festen Wechselkursen induziert eine solche Maßnahme aber sofort einen Kapitalimport, der die Geldmenge erhöht und die Bemühungen zur Inflationsbekämpfung konterkariert.
Wählt man dagegen die Ziele Wechselkursstabilität und freien Kapitalverkehr,
muss das Ziel "monetäre Autonomie" geopfert werden und z. B. ein CurrencyBoard-System (CBS) eingeführt werden.10 Während 1990 ein CBS eher als eine
historische Kuriosität galt, wurde es inzwischen immer beliebter, insbesondere
bei jenen Ländern, welche ihre Handelspartner von der Stabilität ihrer Währung
überzeugen mussten.
Hinsichtlich der Ursachen und Therapie von Währungskrisen sind die führenden
Theoretiker völlig zerstritten (vgl. KRUGMAN/OBSTFELD 2000, S. 715, FISHER
2001 und die dort angegebene Literatur). Dies ist einer der Gründe weshalb
STIGLITZ, Chefökonom der Weltbank von 1996 bis Ende 1999, die Weltbank
verließ (vgl. STIGLITZ 2000).
Auffallend bei allen großen Währungskrisen seit 1994 ist die Tatsache, dass es
sich immer um Länder mit festen Wechselkursen handelte: Mexiko 1994, Thailand, Indonesien und Korea 1997, Russland und Brasilien 1998 und Argentinien
und Türkei im Jahr 2000. Während Länder mit anpassungsfähigeren Wechselkursen, wie z. B. Südafrika und Israel 1998 oder die Türkei 1998, solche starken Krisen vermeiden konnten, von welchen die anderen Länder heimgesucht
wurden. Es ist also nicht leicht, makroökonomische Ungleichgewichte bei festen
Wechselkursen längere Zeit aufrechtzuerhalten.
Generell lassen sich mehrere Arten von Kapitalimporten unterscheiden, die
wichtigsten davon sind aus der Sicht des Auslands: 1. Direktinvestitionen,
2. Aktienkäufe, 3. Anleihenkäufe entweder von privaten oder staatlichen
Schuldnern, 4. Bankkredite und 5. Portfolioinvestitionen.
10
Bei einem Currency-Board-System (CBS) besteht die Geldbasis nur aus Fremdwährung,
weshalb die Zentralbank über keine nationalen Notenbestände verfügt. Rein theoretisch
bräuchte man sogar gar keine Zentralbank. Historisch gesehen entstand dieses System aus
der Kolonialzeit, da die Kolonisatoren ihre Währung mitbrachten oder sich gegen den Verfall
einer Währung schützen wollten.
94
Direktinvestitionen oder größere Beteiligungen an Unternehmen erschweren es
den Investoren, bei einer Krise das Kapital aus dem Land sofort abzuziehen.
Bei Aktienbeteiligungen wäre das zwar rasch möglich, aber wegen des Kursverfalls warten die meisten lieber das Ende der Krise ab, wenn es sich um ein
profitables Unternehmen handelt. Schwieriger wird die Lage bei Investmentfonds, die ja eigentlich der Risikostreuung dienen sollen. Dabei wird jedoch von
vielen Makroökonomen verkannt, dass die Satzungen der Investmentfonds bestimmte Qualitätskriterien vorsehen. So kann eine Bestimmung lauten, dass
z. B. nur Aktien, die von den internationalen Rating-Agenturen mit AAA oder
AAB+ bewertet werden, in das Portfolio aufgenommen werden dürfen, oder das
Rating, welches sich auf das ganze Land bezieht, eine bestimmte Qualität aufweisen muss. Sinkt nun die Qualität einiger Aktien gemessen an ihrem Rating
z. B. von AAB+ auf AAB-, ist der Fondsmanager verpflichtet, diese Aktien zu
verkaufen. So kann eine Kettenreaktion entstehen die häufig als sog. DominoEffekt, „contagion“ oder „herding“ (vgl. hierzu CHADHA 2001) bezeichnet wird.
Der dramatische Kursverfall des Koreanischen Won und des Thailändischen
Baht wurde z. B. von den amerikanischen Pensionskassen ausgelöst. Nachdem
das Länderrating sich für mehrere ostasiatische Länder verschlechtert hatte,
löste dies einen schlagartigen Verkauf ostasiatischer Aktien aus, was zu einer
drastischen Abwertung historischen Ausmaßes führte.
Der Kurs der eigenen Währung verschlechtert sich und der Wert der Auslandsschulden in inländischer Währung kann sich drastisch erhöhen. Je schlechter
das Rating, desto höhere Zinsen müssen bezahlt werden, was die Krise ungeheuerlich verschärfen kann, weil sich dadurch der Wert der Auslandsschulden
stark erhöht.
Für die Beurteilung der Wechselkurse der Beitrittsländer ist der sog. BalassaSamuelson-Effekt von Bedeutung. Länder, die schneller als andere wachsen,
tendieren zur Aufwertung ihrer Währung. Nach ROGOFF (1999) korreliert die
Höhe des BSP/Kopf mit der Kaufkraft der Währung relativ hoch (r2 = 0,44). Da
davon ausgegangen werden kann, dass die drei Beitrittsländer höhere Wachstumsraten haben werden als die EU, sind zwei Effekte möglich:
Bei flexiblen Wechselkursen wird es zu einer Aufwertung der Währung der Beitrittskandidaten kommen, was deren exportorientierte Unternehmen benachteiligt und ihre Importe verbilligt. Bei festen Wechselkursen tritt dagegen nur eine
95
reale Aufwertung der Währung auf, d. h. dass das Preisniveau schneller steigen
wird als in der EU. Das Besondere dabei ist jedoch, dass dies wegen des internationalen Wettbewerbs und dem dadurch bedingten Produktivitätsfortschritt
kaum für die handelbaren Güter gilt, sondern mehr für die nicht-handelbaren
Güter (z. B. Hotelübernachtungen u. a. Dienstleistungen sowie für fast den gesamten Bausektor). Konkret heißt dies, dass die Preise der handelbaren Güter
bei festen Wechselkursen erheblich stärker zunehmen als bei flexiblen. Das
Gefüge des gesamten Preisniveaus verändert sich, weil nicht handelbare
Dienstleistungen, wie z. B. Reparaturen oder Wohnungsvermietungen drastische Preissteigerungen erfahren. Die Bedeutung des BALASSA-SAMUELSONEffekts ist hinsichtlich ihres Ausmaßes zwar umstritten (vgl. HIERZU SACHVERSTÄNDIGENRAT 2001), weil vielfach die monetäre Disziplin ignoriert wird.
Nach Meinung des Sachverständigenrates ist der Effekt bei den neuen Beitrittsländern aber so stark – vorausgesetzt sie haben ein aufholendes Wachstum - dass er bei allen Überlegungen berücksichtigt werden muss.
Ganz besonders wichtig ist, dass der Staatshaushalt solide finanziert wird und
die Preisniveausteigerungen in etwa denjenigen der EU entsprechen. Inflationsbekämpfung mit restriktiver Geldpolitik führt zu höheren Zinsen. Bei flexiblen
Kursen ist damit eine unerwünschte Aufwertung der Währung verbunden. Bei
festen Wechselkursen induzieren die Zinsen einen inflationstreibenden Kapitalimport, gegen den kleine Länder praktisch machtlos sind. Die Erfahrungen
lehren, dass die Freigabe des Kapitalverkehrs sehr gut vorbereitet werden
muss. Bei falschem „Sequencing“ sind große Katastrophen möglich (vgl. EICHENGREEN ET AL. 1999, JOHNSTON 1998). Die Vorschriften der deutschen
Bankaufsicht verlangen äußerste Klarheit und Transparenz. Die Unterlassung
von Wertberichtigungen fauler Kredite führt zum Ausweis von Scheingewinnen
und ist ein Betrug der Bankaktionäre. Deshalb sind Bankenkrisen ostasiatischen oder japanischen Stils in Deutschland gar nicht möglich.
Wie sich nun die Kapitalströme in den Beitrittsländern entwickeln werden, ist
schlecht prognostizierbar und wäre Gegenstand einer eigenen Abhandlung. Mit
Sicherheit wird es jedoch einige Probleme geben, vor allem in Polen und
Tschechien. Sinn des freien Kapitalverkehrs ist die Maximierung des Weltsozialprodukts, d. h. dass das Kapital dorthin strömt, wo es die höchste Rendite
erzielt. Dies ist jedoch in der Regel nur dann gegeben, wenn es im Privatsektor
(oder im Staatsektor nach marktwirtschaftlichen Kriterien) investiert wird.
96
Wenn Leistungsbilanzdefizite durch Direktinvestitionen finanziert werden, dann
ist das problemlos. Bei den drei Beitrittskandidaten ist die künftige Situation
schwer zu beurteilen, da das Staatsbudget in einigen Ländern direkt aus den
Direktinvestitionen, induziert durch die Privatisierungen, finanziert wurde. Nach
dem Ende der Privatisierung muss jedoch der Haushalt aus Steuern solide finanziert werden und nicht durch Kredite. Ansonsten muss sich der Staat zu höheren Zinsen verschulden, sodass sich die privaten Investitionen vermindern.
Es kommt zum sog. „Crowding out“ (vgl. GRAY/WOO 2000) bei gleichzeitiger Erwartung, dass nach der Haushaltskonsolidierung eine Zinssenkung eintritt, die
den Kurs der eigenen Währung drastisch sinken lässt. Eine derartige problematische Entwicklung könnte in Polen in ein oder zwei Jahren durchaus auftreten.
Nach Berechnungen der EBRD (2000, S. 88) besteht bei den Transformationsländern ein relativ enger statistischer Zusammenhang zwischen Kapitalaufnahme im Ausland durch inländische Unternehmen und dem von der EBRD konstruierten Liberalisierungsindex (r2 = 0,48). Die Investoren glauben also an ein
höheres Wirtschaftswachstum. Zudem gibt es Untersuchungen, die zeigen,
dass bei Aktiengesellschaften die Relation Aktienkurs/Buchwert des Unternehmens mit zunehmender Liberalisierung wegen der positiven Erwartungen steigt.
Das heißt, Kapitalimporte sind unausweichlich.
Da es sich bei Finanzkrisen um schwer durchschaubare Zusammenhänge handelt (wer versteht schon den Zusammenhang zwischen Budgetdefizit und Kapitalimport!), gewinnt das Urteil einer ganz kleinen Zahl von Finanzgurus und
Ratingagenturen, die über die Massenmedien verbreitet werden, ein ungeheueres Gewicht, sodass es bei kleineren Krisen zu einem krisenverschärfenden
„Herdenverhalten“ kommt (vgl. RICHARDS/DEDDOUCHE 1999).
10.3.
Länderrisikoindikatoren
In den vorangegangenen Abschnitten wurde anhand zahlreicher Faktoren die
Standortqualität der einzelnen Länder beschrieben. Welchen Stellenwert diese
Standorte in den Augen von Investoren haben, zeigt sich zum einen an den tatsächlich getätigten Direktinvestitionen und in der Einschätzung der einzelnen
Länder seitens professioneller Ratingagenturen anhand verschiedener Indikatoren als Orientierungshilfe für potenzielle Investoren.
97
Um das Länderrisiko für die Banken besser zu erfassen, haben sich eine Reihe
von Ratingagenturen gebildet, die miteinander im Wettbewerb stehen und praktisch alle volkswirtschaftlich wichtigen Determinanten in einer Bewertungsziffer
ausdrücken. Demnach können Länder genauso wie Aktienkurse nach ihrer
Qualität bewertet werden. Häufig stehen unterschiedliche Zielsetzungen hinter
einer Länderrisikoanalyse. Gelegentlich sind sie Kriterium staatlicher Exportförderung, indem sie eine Exportversicherung ermöglichen, wie z. B. die HERMESBürgschaften, häufig sind sie auch für internationale Kreditverträge relevant.
Die Einstufung durch Ratingagenturen entscheidet, inwieweit der zu entrichtende Zins über oder unter dem mittleren Kapitalmarktzins liegt. Je besser das Rating ist, desto geringer ist der Zins und desto mehr drängen sich die Banken
danach, Kredite auszureichen. Ist das Rating dagegen schlecht, gilt der gleiche
Sachverhalt vice versa. Deshalb bemühen sich alle Länder, ein gutes Rating zu
erhalten. Außerdem informieren Länderrisikoindikatoren Direktinvestoren über
die Qualität der Wirtschaftspolitik eines Landes.
Die Finanzkrisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass sowohl bei Direkt- als
auch bei Portfolioinvestitionen durch solche Ratingagenturen ein sehr großer
Einfluss ausgeübt wurde. Insbesondere bei den Ländern, deren Kapitalmärkte
sich erst entwickeln, haben solche synoptische Indikatoren eine immer größere
Bedeutung erlangt. RICHARD/DEDDOUCHE (1999) haben dieses Phänomen näher
untersucht. Da es in der Gruppe der sog. Emerging Markets, zu welchen auch
die Transformationsländer zählen, nur wenig oder gar keine Ratingagenturen
gibt, können schon Nachrichten einer einzigen ausländischen Agentur schwerwiegende Folgen haben.
Interessanterweise besteht hier, analog zu den Direktinvestitionen, ein großer
Unterschied zwischen der Wirkung guter oder schlechter Nachrichten. Während
schlechte Nachrichten schnell eine Krise auslösen können, gilt bei guten Nachrichten keineswegs das Gegenteil! Sie haben immer schwächere Reaktionen
zur Folge, weil sie nicht sofort von den Unternehmen in aller Welt verkündet
werden.
Auch der IMF (vgl. MATHIESON/SCHINASI 2000, S. 54) weist auf die Bedeutung
der Ratingagenturen hin. Nach den Angaben VON MOODY´S, STANDARD AND
POORS und FITCH IBCA haben sich im Juli des Jahres 2000 Ungarn und Polen
gegenüber Juni 1999 verbessert:
98
Ungarn
Polen
von (Baa2/BBB/BBB) auf
von (Baa3/bbb/bbb+) auf
(Baa1/BBB+/BBB+)
(Baa1/BBB+/BBB+)
Besonders bekannt ist auch das Bonitätsrating des INSTITUTIONAL INVESTORs,
der für alle Länder der Welt eine „Länder-Bonitäts-Liste“ erstellt. Das Rating
gründet sich auf Informationen internationaler Banken. Diese ordnen jedes
Land auf einer Skala zwischen 0 und 100 ein. 100 bedeutet das geringste Risiko. An der Erhebung nehmen im Abstand von sechs Monaten 75 bis 100 Banken teil. Die Namen der Teilnehmer sind streng vertraulich und die Banken
dürfen ihr eigenes Land nicht bewerten. Die Wertungen werden anschließend
mit einer speziellen Formel gewichtet, die den weltweit operierenden Banken
mit großen Forschungsabteilungen ein größeres Gewicht beimisst. Da zwischen
den Ratingagenturen großer Wettbewerb besteht, ist die Formel des INSTITUTIONAL INVESTORs natürlich streng geheim. Die Bewertung ausgewählter Länder zeigt die Tabelle IV.26.
Sowohl die Untersuchungen des INSTITUTIONAL INVESTORs als auch die von IMF
zitierten Bewertungen zeigen, dass sich die Einstufung der drei MOE-Länder
2001 im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert hat. Allerdings bekommt Ungarn
beim INSTITUTIONAL INVESTOR, ähnlich wie bei den Indikatoren zur Messung der
Qualität der Institutionen, wiederum den besten Platz im Vergleich der drei EUBeitrittsländer. Interessant ist bei dieser Bewertung die große Übereinstimmung
zwischen den von uns bereits zitierten Indikatoren über die Qualität der Investitionen.
Tabelle IV.26
Internationale Länder-Bonitätsrangliste des INSTITUTIONAL INVESTORs
- September 2001 Rang
Land
Bonitätsindex
Veränderung zum Vorjahr
1
Schweiz
93,8
-1,8
2
Deutschland
92,8
-1,8
6
USA
91,6
0,0
32
Ungarn
62,0
-2,9
34
Tschechien
60,5
-0,4
38
Polen
59,2
-3,0
Russland
26,8
+0,1
5,9
-0,6
92
145
Quelle:
Afghanistan
INSTITUTIONAL INVESTOR (2001).
99
11.
Folgerungen aus der Literaturanalyse für die Attraktivität der
MOE-Länder als Investitionsstandort
Interessant ist, dass die hier vorgelegte Untersuchung auf fast allen Gebieten
Sachsen durchweg bessere Rahmenbedingungen für Direktinvestitionen bescheinigt als den drei MOE-Ländern. Um so mehr stellt sich die Frage, warum
Investoren überhaupt Standorte in Polen, Tschechien oder Ungarn bevorzugen.
Dies hat folgende Gründe:
1. Wie die ökonometrischen Analysen gezeigt haben, erklärt die Höhe der Privatisierungserlöse den Zufluss an Direktinvestitionen im Zeitraum von 1989
bis 1999 zu 84 %, d. h. es bleiben eigentlich nur noch 16 % statistisch ungeklärter Varianz in der Investitionstätigkeit in diesem Zeitraum, die den Einfluss anderer Determinanten reflektiert.
2. Eine solche Determinante ist z. B. die Wettbewerbsstärke der deutschen
Volkswirtschaft im Finanzdienstleistungswesen. Die Renditen ausländischer
Banken sind in den MOE-Staaten größer als jene der Konkurrenz vor Ort, so
dass der Kauf von Banken in MOE-Staaten eine sehr lukratives Geschäft ist.
In den fortgeschrittenen Industriestaaten ist es dagegen umgekehrt. Mehrere Untersuchungen zeigen, dass ausländische Direktinvestitionen im Bankensektor in hochentwickelten Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien in der Regel geringere Profite bringen als die der einheimischen Konkurrenz. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Ausländer eine geringere
Kenntnis der landesüblichen Usancen haben.
3. Wenn aber die Ursachen für Direktinvestitionen in den MOE-Staaten ziemlich eindeutig erklärt werden können, kann auch gefolgert werden, dass
nach dem Ende der Privatisierung der in These 1 angesprochene Zusammenhang zwischen Privatisierungserlösen und Direktinvestitionen zunehmend schwächer werden wird. Nach dem Ende der Privatisierung werden
völlig andere Gründe das Verhalten der Direktinvestoren leiten. Nur Polen
und Tschechien werden noch kurze Zeit ausländische Investoren bis zum
endgültigen Abschluss der strategischen Privatisierung anziehen. Auf kurze
Sicht können deshalb nur vorsichtige Prognosen im Hinblick auf die Entwicklung der Direktinvestitionen in den nächsten Jahren anhand der theoretischen und empirischen Analysen erstellt werden.
100
4. Da Ungarn bisher ausschließlich nach strategischen Gesichtspunkten privatisiert hat, ist es dort von allen Beitrittskandidaten am besten gelungen,
ein Netzwerk aufzubauen, das weitere Direktinvestitionen nach sich ziehen
wird. Inwieweit allerdings die Tatsache, dass gut ausgebildete Arbeitskräfte
in Ungarn bereits knapp sind, eine Investitionsbremse darstellen, und wie
schnell Ungarn in der Lage ist, durch seine vielen Bildungsinitiativen den
Mangel zu beheben, ist unklar. Dies kann nur durch eine Befragung vor Ort
geklärt werden.
5. Da die Marktgröße in allen statistischen Untersuchungen sich als wichtige
Variable erwiesen hat, muss sie bei Polen unbedingt berücksichtigt werden.
Nach Angaben des U.S. DEPARTMENT OF STATE (2000a) exportieren die amerikanischen Firmen zwar ca. 60 % der in Polen erzeugten Güter in die
USA, aber sie rechnen mit sehr hohen Wachstumsraten (bis zu 30 %), was
die Belieferung des polnischen Binnenmarktes anbetrifft, insbesondere bei
elektronischen Produkten. Ob solche Absatzerwartungen realisierbar sind,
bleibt allerdings dahingestellt.
6. Trotz der schlechten Umweltqualität in den Beitrittsländern lassen sich ausländische Investoren von den dadurch verursachten gesundheitlichen Risiken nicht von einem Engagement abschrecken. Dies ist nur mit der Marktnähe zu anderen Ländern begründbar. Ferner kann man davon ausgehen,
dass die Nachzügler bei der Transformation, wie Russland, Ukraine oder
Rumänien, sich längerfristig auch zu funktionsfähigen Marktwirtschaften
entwickeln werden. Wäre dem nicht so, würden sie eine zu große Abhängigkeit von Auslandsfinanzierungen durch den IMF eher vermeiden. Andererseits suchen viele Unternehmen die Nähe zu diesen Ländern, da es sich um
potenziell riesige Märkte handelt.
7. Amerikanische Investoren, die immerhin nach Deutschland die zweite Position in den MOE-Staaten einnehmen und daher mit den Mentalitäten der
Region einigermaßen vertraut sind, legen auf die Einstellung der lokalen
Bevölkerung gegenüber amerikanischen Staatsbürgern großen Wert. Im
Hinblick auf die Akzeptanz des Standorts Ostdeutschland müssen Anstrengungen unternommen werden, um die in der Skandalpresse hochgespielten
Ereignisse gegen Ausländer zu vermeiden
101
8. Im Vergleich zu den MOE-Staaten hat Sachsen Standortvorteile aufgrund
- der günstigen Infrastruktur,
- der exzellenten beruflichen Ausbildung,
- der hohen Qualität der Institutionen,
- der geringen Wartefristen bei Genehmigungsverfahren,
- der zu vernachlässigenden Korruption
- und der viel geringeren Kriminalität,
- des guten Angebots qualitativ hochwertiger Finanzdienstleistungen und
- der Tatsache, dass keine Wechselkursrisiken bestehen.
Diese Faktoren sollen deshalb bei der Investitionsförderung für Sachsen
deutlich hervorgehoben werden.
9. Um diesen Prozess zu beschleunigen und das Image des Investitionsstandorts Sachsen zu fördern, ist es sinnvoll, auf die hervorragenden Leistungen
von Schülern und Studenten, die in allen naturwissenschaftlichen Fachrichtungen über dem Bundesdurchschnitt liegen, hinzuweisen und weitere Forschungsinstitute, die unternehmensbezogene Forschung betreiben, anzusiedeln sowie die Verfügbarkeit und den Zugang zu Know-how zu verbessern.
Hieraus könnte ein sich selbst verstärkender Regelkreis werden.
10. Was die berufliche Ausbildung der Lehrlinge anbetrifft, verfügt Sachsen über das bewährte duale deutsche System, welches in idealer Weise überbetriebliche berufstheoretische und berufspraktische Ausbildung aufeinander abstimmt, ein System, um das Deutschland von vielen Ländern beneidet wird und das auch zahlreiche Länder übernommen haben.
Als Fazit der Literaturanalyse bleibt festzuhalten, dass wichtige Sachverhalte
- darunter auch sensible Themen wie Korruption, Bestechung und Rechtssicherheit - aufgezeigt werden konnten, anhand derer eine Bewertung der Standortqualitäten Sachsens und der drei MOE-Länder möglich ist .
Deutlich geworden ist aber auch, dass aus der Sicht potenzieller Investoren
relevante qualitative Aspekte nur unzureichend ermittelt werden konnten. Um
diese Informationslücke zu schließen, wurde eine schriftliche Befragung bei Investoren in Sachsen, Ungarn und Tschechien durchgeführt, welche durch persönliche Interviews ergänzt wurden.
102
103
V.
Ergebnisse der Umfrage zu ausgewählten Standortbedingungen
1.
Informationsgewinnung
1.1
Schriftliche Befragung
Im Spätsommer 2001 wurde von den in Warschau, Prag und Budapest ansässigen Deutschen Industrie- und Handelskammern (DIHK) eine schriftliche Umfrage bei ihren Mitgliedsfirmen durchgeführt. Selektionskriterien für das Adressenmaterial waren Unternehmensgröße und Branchenzugehörigkeit. Einbezogen werden sollten vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) des verarbeitenden Gewerbes (Industrie).
Um die für diese Länder ermittelten Befunde mit der Situation in Sachsen vergleichen zu können, führte das ifo Institut im Februar 2002 bei den im Freistaat
ansässigen Tochterunternehmen überwiegend ausländischer, aber auch deutscher Investoren ebenfalls eine schriftliche Befragung mit gleichlautendem Fragebogen durch (vgl. Tabelle V.1).
Tabelle V.1
Befragungsstatistik
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
Insgesamt
Angeschriebene Unternehmen
243
117
120
750
1.230
Befragungsteilnehmer
46
38
103
86
273
1 - 49 Beschäftigten
12
10
27
27
76
50 - 199 Beschäftigten
17
13
39
30
99
200 - 499 Beschäftigten
11
8
23
15
57
500 - 999 Beschäftigten
2
3
4
9
18
darunter:
Unternehmen mit
1.000 u.m. Beschäftigten
2
2
7
3
14
44
36
100
84
264
bis zu 250 Beschäftigten
32
28
76
61
197
über 250 Beschäftigten
12
8
24
23
67
Insgesamt a)
nachrichtlich: darunter
Unternehmen mit
a) Differenz zur Teilnehmerzahl wegen fehlender Angaben bei den Beschäftigten.
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
104
Tabelle V.1 enthält die in den einzelnen Ländern angeschriebene Zahl an Unternehmen sowie die Anzahl der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen.
Die Antwortquote fällt in den vier Befragungsregionen sehr unterschiedlich aus,
wobei Tschechien mit einer Quote von 85,8 % an der Spitze liegt, gefolgt von
Polen mit 32,5 %, während die Quote in Ungarn mit 11,5 % deutlich geringer ist.
Mit 18,9 % fällt die in Sachsen erzielte Rücklaufquote zufriedenstellend aus.
1.2
Charakteristika der erfassten Unternehmen
1.2.1
Unternehmensgröße
Im Hinblick auf die Beschäftigtengrößenklassen gehören die meisten Unternehmen (37,5 %) in die Kategorie „50 bis unter 200 Beschäftigte“ (vgl. Tabelle V.1).
Die Gruppe der Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten hat einen Anteil
an allen Antwortenden von 28,8 %. Rund ein Drittel der Unternehmen entfällt
auf die beschäftigungsstärkeren Klassen, und zwar 21,6 % auf die Größenklasse „200 bis 499 Beschäftigte“, 6,8 % auf die Gruppe „500 bis 999 Beschäftigte“
und 5,3 % der Unternehmen haben 1.000 oder mehr Beschäftigte.
In den Statistiken der Europäischen Union sind kleine und mittlere Unternehmen als solche definiert, wenn sie nicht mehr als 250 Beschäftigte aufweisen.
Nach dieser Klassifikation haben sich 197 Unternehmen - 76,4 % -, die unter
die KMU-Definition der EU fallen, an der schriftlichen Befragung in den vier Regionen beteiligt.
1.2.2
Branchenzugehörigkeit
Die Zusammenfassung der meldenden Unternehmen zu Wirtschaftszweigen erfolgte anhand der Angaben im Fragebogen über das vom Befragungsteilnehmer hergestellte Produkt. Für jedes Produkt wurde mittels der vom Statistischen
Bundesamt herausgegebenen „Klassifikation der Wirtschaftszweige - Ausgabe
1993“ die für den EUROSTAT-Raum relevante NACE-Nummer ermittelt, anhand derer dann 12 größere Branchengruppen gebildet wurden. Die Angaben
variierten stark und umfassten nicht nur Industrieprodukte sondern auch Bauleistungen sowie eine Vielzahl dem Dienstleistungsgewerbe zuzuordnende Geschäftstätigkeiten. Tabelle V.2 enthält die aus den Angaben gebildeten Wirt-
105
schaftszweige und die Verteilung der hierunter subsumierten Unternehmen aus
den vier Befragungsregionen.
Unter den der Industrie zuzurechnenden Wirtschaftszweigen ist die Branche
„Metallerzeugung und -verarbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen“ am
stärksten besetzt (36 Teilnehmer), gefolgt vom Maschinenbau (31) und dem
Fahrzeugbau (30). Zu „Herstellung von Büromaschinen, EDV-Geräten, Elektrotechnik“ sind 28 Betriebe zu rechnen. 26 Unternehmen entfallen auf den Bereich „Kokerei, Mineralölverarbeitung, Chemische Industrie, Gummi- und Kunststoffwaren“, 19 auf „Glas, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden“. Mit
16 Teilnehmern ist der Wirtschaftszweig „Holz-, Papier-, Druck- und Verlagsgewerbe“ und mit 14 Teilnehmern „Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerbe“ besetzt. Zum „Nahrungs- und Genussmittelgewerbe“ zählen 11 Unternehmen.
Sieben Teilnehmer stellen Produkte aus der Sparte „Möbel, Schmuck, Musikinstrumente“ her. Zusätzlich beteiligten sich fünf Unternehmen aus dem Baugewerbe. Insgesamt 41 Teilnehmer zählen zu den Dienstleistungsunternehmen.
Tabelle V.2
Branchenstruktur der antwortenden Unternehmen
Branche
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn Gesamt
Nahrungs- und Genussmittelgewerbe
-
4
3
4
11
Textil-, Bekleidungs-, Ledergewerbe
5
-
4
5
14
Holz-, Papier-, Druck-, Verlagsgewerbe
5
4
4
3
16
Kokerei, Mineralölverarbeitung, Chem.
Ind., Gummi-/Kunststoffwaren
7
7
9
3
26
Glas, Keramik, Verarbeitung. Steine/Erden
-
4
11
4
19
Metallerzeugung und -verarbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen
3
4
20
9
36
Maschinenbau
7
2
14
8
31
Herstellung von Büromaschinen, EDVGeräten, Elektrotechnik
7
2
10
9
28
Fahrzeugbau/sonstiger Fahrzeugbau
3
4
17
6
30
Möbel, Schmuck, Musikinstrumente
-
-
3
4
7
Baugewerbe
1
1
1
2
5
Dienstleistungen
Insgesamta)
6
2
6
27
41
44
34
102
84
262
a) Die Differenz zu „insgesamt“ in Tabelle I-1 resultiert aus den fehlenden Angaben der teilnehmenden
Unternehmen zur Frage nach dem hergestellten Produkt.
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
106
Die bei der Befragung in Sachsen erfassten Unternehmen gehören mehrheitlich mit je sieben Teilnehmern den Branchen „Kokerei, Mineralölverarbeitung,
Chemische Industrie, Gummi- und Kunststoffwaren“, „Maschinenbau“ und „Herstellung von Büromaschinen, EDV-Geräten und Elektrotechnik“ an. Damit liegt
der Anteil der Investitionsgüterindustrie deutlich über dem des Konsumgütergewerbes, das mit je fünf Meldungen aus dem „Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerbe“ sowie dem „Holz, Papier-, Druck-, Verlagsgewerbe“ beteiligt ist.
Aus den Bereichen „Metallerzeugung und -verarbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen“ und „Fahrzeugbau/sonstiger Fahrzeugbau“ tragen je drei Unternehmen zu den Ergebnissen bei. Ein Bauunternehmen und sechs Dienstleistungsunternehmen komplettieren das sächsische Sample.
In Polen sind die meisten Unternehmen in dem Bereich „Kokerei, Mineralölverarbeitung, Chemische Industrie, Gummi- und Kunststoffwaren“ zu finden. Die
übrigen Industriebranchen weisen bis auf den „Maschinenbau“ und „Herstellung
von Büromaschinen, EDV-Geräten und Elektrotechnik“ mit je zwei Unternehmen eine identische Besetzung mit jeweils vier Befragungsteilnehmern auf.
Zwei Bereiche blieben unbesetzt und zwar das „Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerbe“ sowie die Branche „Möbel, Schmuck, Musikinstrumente“. Auf das
Baugewerbe entfiel eine Nennung und zwei Meldungen kamen aus dem
Dienstleistungsgewerbe.
Bei den tschechischen Teilnehmern dominiert der Bereich „Metallerzeugung
und -verarbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen“ mit 20 Unternehmen,
gefolgt vom „Fahrzeugbau“ mit 17 Teilnehmern und dem „Maschinenbau“ mit
14 Meldungen. Es folgen die Branche „Glas, Keramik, Verarbeitung von Steinen
und Erden“ mit 11 Nennungen, „Herstellung von Büromaschinen, EDV-Geräten
und Elektrotechnik“ mit 10 zugehörigen Unternehmen. Der Bereich „Kokerei,
Mineralölverarbeitung, Chemische Industrie, Gummi- und Kunststoffwaren“ hebt
sich mit neun Teilnehmern noch deutlich von den übrigen Industriezweigen ab.
Je vier Meldungen entfallen auf das „Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerbe“
und das „Holz-, Papier-, Druck- und Verlagsgewerbe“. Jeweils drei Teilnehmer
weisen das „Nahrungs- und Genussmittelgewerbe“ und die Branche „Möbel,
Schmuck, Musikinstrumente“ auf. Ein Betrieb des Baugewerbes und sechs
Dienstleistungsunternehmen komplettieren das tschechische Sample.
Die an der Umfrage in Ungarn beteiligten Industrieunternehmen haben ihre
Produktionsschwerpunkte in den Bereichen „Metallerzeugung und -verarbei-
107
tung, Herstellung von Metallerzeugnissen“ sowie „Herstellung von Büromaschinen, EDV-Geräten und Elektrotechnik“, die jeweils neun Meldungen zu verzeichnen haben. Danach folgen die Branchen „Maschinenbau“ (acht Teilnehmer) und „Fahrzeugbau“ (sechs Nennungen). Während das „Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerbe“ mit fünf Repräsentanten beteiligt ist, entfallen auf
die Bereiche „Nahrungs- und Genussmittelgewerbe“, „Glas, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden“ sowie auf die Sparte „Möbel, Schmuck, Musikinstrumente“ jeweils vier Nennungen. Die geringste Besetzung innerhalb der Industrie weisen die Branchen „Holz-, Papier-, Druck- und Verlagsgewerbe“ und
„Kokerei, Mineralölverarbeitung, Chemische Industrie, Gummi- und Kunststoffwaren“ mit je drei Unternehmen auf. Das Baugewerbe ist mit zwei Betrieben
beteiligt. Die hohe Anzahl von 27 Dienstleistungsunternehmen ist damit zu erklären, dass in Ungarn alle 750 Mitgliedsfirmen der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK) befragt wurden, die zu etwa 40 % nicht
dem Industriesektor angehören.
1.2.3
Investiertes Kapital
Die an ausländischen Standorten getätigten Investitionen unterscheiden sich
kaum, wenn die dabei eingesetzten Investitionssummen nach Größenklassen
differenziert werden (vgl. Tabelle V.3). Es dominieren in allen drei Ländern diejenigen Investitionen, die einen Kapitaleinsatz zwischen 1 Mill. DM und 10 Mill.
DM erforderten. Während in Polen diese Größenordnung bei 40 % der dort gegründeten Unternehmen liegt, fällt fast jedes zweite Unternehmen in Tschechien und Ungarn in diese Kategorie. Jeweils rund ein Viertel der Auslandstöchter deutscher Unternehmen weisen eine Investitionssumme zwischen
10 und 50 Mill. DM auf. Rund ein Fünftel der Unternehmen in den drei Ländern
wurde mit einer Investitionssumme von unter 1 Mill. DM errichtet. Zwischen
50 und 100 Mill. DM wurden bei jeweils rund 6 % der Unternehmensgründungen in Polen und Ungarn investiert, während diese Summe von nur rund 4 %
der in Tschechien investierenden Unternehmen aufgewendet wurde. Der Anteil
der Investitionen, der 100 Mill. DM übersteigt, ist in Polen mit knapp 9 % am
höchsten, gefolgt von Tschechien (rund 6 %) und Ungarn (rund 4 %).
Ein Investment für die in Sachsen errichteten Niederlassungen deutscher und
ausländischer Investoren war im Durchschnitt mit höheren Investitionssummen
verbunden als bei den drei zuvor betrachteten Länder. Der Schwerpunkt lag
dabei im Bereich 10 Mill. bis 50 Mill. DM, die in jedes dritte Unternehmen inves-
108
tiert wurden. Knapp jedes fünfte Investitionsprojekt absorbierte nur zwischen
1 Mill. bis 10 Mill. DM an Finanzmitteln. Im gleichen Ausmaß wurden auch
Großprojekte durchgeführt, die jeweils mit über 100 Mill. DM Investitionssumme
ausgestattet waren. Derartige Investitionsvolumina finden sich nur bei Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten. Rund jedes siebente Investitionsvorhaben erforderte einen Aufwand zwischen 50 Mill. und 100 Mill. DM. Der gleiche Anteil an Investitionsfällen war mit jeweils weniger als 1 Mill. DM zu bewerkstelligen. Die kleinsten Unternehmen waren hierbei in 80 % der Fälle das
Investitionsobjekt.
Tabelle V.3
Am Standort investiertes Kapital
- Angaben in % Investitionssumme
(in DM)
bis 1 Mill.
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
13,9
17,1
21,2
19,4
1 Mill. bis 10 Mill.
19,4
40,0
45,9
45,8
mehr als 10 Mill. bis 50 Mill.
33,3
28,6
23,5
25,0
mehr als 50 Mill. bis 100 Mill.
13,9
5,7
3,5
5,6
mehr als 100 Mill.
19,4
8,6
5,9
4,2
mehr als
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Für die MOE-Länder stellt sich die Situation differenziert dar. Mit einer Investition von weniger als 1 Mill. DM konnten in Ungarn rund 86 % der Unternehmen
etabliert werden, die der kleinsten Beschäftigtengrößenklasse (bis zu 49 Mitarbeiter) zuzurechnen sind. Dieser Anteil beläuft sich in Polen nur auf 60 % und in
Tschechien lediglich auf knapp 53 %. Für die beiden letztgenannten Länder
reichten die Investitionen in jeweils 40 % der Gründungen aus, auch Unternehmen in der Größenordnung 50 bis 199 Beschäftigte zu etablieren. In Ungarn
war dies nur bei rund 14 % der Engagements der Fall. Im Übrigen gilt grosso
modo der Zusammenhang, dass höhere Investitionssummen mit der Unternehmensgröße steigen. Investitionen über 100 Mill. DM stehen demnach auch
fast ausschließlich mit Unternehmen im Zusammenhang, die 1.000 und mehr
Beschäftigte aufweisen.
Ein enger Zusammenhang zwischen Investitionssumme und Wirtschaftszweig
lässt sich nicht feststellen. In allen vier Untersuchungsregionen variiert die Größenordnung der in den einzelnen Branchen vorgenommenen Investitionen sehr
stark.
109
1.2.4
Status der Unternehmen
Von den bei der Befragung in Sachsen erfassten Unternehmen sind über zwei
Drittel 100-%-Tochterunternehmen ausländischer Muttergesellschaften, lediglich knapp 18 % befinden sich vollständig im Besitz deutscher Unternehmen
(vgl. Tabelle V.4). Vereinzelt sind auch deutsche Unternehmen mit geringeren
Quoten an in Sachsen ansässigen Betrieben beteiligt.
Die in den Befragungssamples der drei MOE-Länder erfassten Unternehmen
sind überwiegend 100-%-Töchter deutscher Investoren. Während sich Tschechien und Ungarn in ihrer Beteiligungsstruktur stark ähneln, findet sich der
höchste Anteil an Tochterunternehmen, die zu 100 % im Eigentum deutscher
Muttergesellschaften sind, in Polen.
Tabelle V.4
Unternehmensstatus
- Angaben in % Sachsen
D
Unternehmen ohne Beteiligung
a)
A
Polen
a)
D
a)
Tschechien
D
a)
Ungarn
Da)
76,9
26,3
8,6
3,0
4,9
Beteiligung eines Unternehmens mit
weniger als 50 %
2,6
5,3
0,0
2,0
3,7
Beteiligung eines Unternehmens mit
50 % bis unter 100 %
2,6
0,0
17,1
25,3
28,4
100-%-Tochter eines Unternehmens
17,9
68,4
74,3
69,7
63,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
Insgesamt
a) D = Beteiligung seitens eines deutschen Unternehmens; A = Beteiligung seitens eines ausländischen
Unternehmens.
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
1.2.5
Absatzorientierung
Die in Sachsen ansässigen Unternehmen beliefern überwiegend den bundesdeutschen Markt (vgl. Tabelle V.5). Fast zwei Drittel distribuieren an eine Vielzahl von Abnehmern; nur knapp jedes siebte Unternehmen steht mit einem
festen inländischen Auftraggeber in Geschäftsbeziehungen. An ihre Mutterfirma
liefern nur etwas mehr als 20 % der sächsischen Betriebe.
110
Tabelle V.5
Absatzmarkt
- Angaben in % Unternehmen beliefern
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
-
den Inlandsmarkt allgemein
64,7
70,6
40,7
-
einen festen inländischen Auftraggeber
14,7
20,6
13,2
5,1
-
die Mutterfirma
20,6
8,8
46,2
35,4
100,0
100,0
100,0
100,0
Insgesamt
Quelle:
59,5
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Ein vergleichbares Bild bietet sich bei der Betrachtung der Absatzmarktorientierung für die in den drei MOE-Ländern ansässigen Unternehmen. Die bei der
Befragung in Polen erfassten Unternehmen beliefern zu mehr als zwei Dritteln
den Inlandsmarkt. Der hohe Anteil an Firmen, deren Produktion für einen festen
Auftraggeber bestimmt ist, legt die Vermutung nahe, dass es sich hierbei um
die Substitution von Exportlieferungen deutscher Unternehmen durch die Gründung von Fertigungsstätten in Polen handelt. Beteiligt sind hierbei vor allem die
Branchen „Fahrzeugbau“ und „Herstellung von Büromaschinen, DV-Geräten,
Elektrotechnik“. In Tschechien beliefern die Unternehmen unter 200 Beschäftigten in etwa gleichem Maße den Binnenmarkt als auch ihre Mutterfirmen, wobei
im letzteren Fall von der Funktion dieser Betriebe als verlängerte Werkbank
ausgegangen werden kann. Die Belieferung des ungarischen Marktes ist die
Domäne der kleineren Unternehmen, während die größeren (ab 200 Beschäftigte) häufiger die Mutterfirma beliefern als den Markt ihres Sitzlandes. Bei der
sektoralen Betrachtung fällt auf, dass nahezu alle Industrien sowohl den inländischen Markt als auch ihre Mutterunternehmen beliefern. Lediglich die Unternehmen in der Branche „Herstellung von Büromaschinen, EDV-Geräten und
Elektrotechnik“ liefern ausschließlich an die jeweiligen Mutterfirmen.
1.3
Unternehmensinterviews
In Ergänzung zu der schriftlichen Umfrage fanden in den drei mittel- und osteuropäischen Untersuchungsländern noch vertiefende Interviews mit an der
schriftlichen Umfrage beteiligten Unternehmen statt. Dabei konnten in Polen
und Ungarn jeweils vier Expertengespräche durchgeführt werden und in Tschechien zwei.
111
Um weitere Informationen über die mit den Auslandsinvestitionen zusammenhängenden Unternehmensentscheidungen zu erhalten, wurden aus dem Kreis
der in den drei MOE-Ländern vor Ort aufgesuchten Firmen fünf Unternehmen
ausgewählt und ebenfalls Interviews bei den jeweiligen Muttergesellschaften in
Deutschland durchgeführt. Ein Gesprächspartner konnte aus unternehmensinternen Gründen nur im Rahmen eines Telefoninterviews befragt werden.
1.4
Darstellung der Ergebnisse
Zu beachten ist, dass die nachfolgend dargestellten Befragungsergebnisse
nicht gewichtet sind und lediglich Befunde des jeweiligen Berichtskreises widerspiegeln. Aufgrund der großen Unterschiede in den einzelnen Samples hinsichtlich der Anzahl antwortender Unternehmen sowie der dabei erfassten Unternehmensgrößen und Branchen wird auf eine Darstellung der Ergebnisse
nach Größenklassen und Wirtschaftszweigen verzichtet und diese nur dort, wo
es von der Sache her angebracht erscheint, explizit erwähnt.
2.
Rahmenbedingungen deutscher Investoren in Polen, Tschechien
und Ungarn im Vergleich zur Situation in Sachsen
2.1
Arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen
2.1.1
Motivation und Engagement der Beschäftigten
Die in Sachsen ansässigen Unternehmen stellen hinsichtlich Motivation und
Engagement ihren Mitarbeitern sehr gute Noten aus und im Vergleich zu den
Ergebnissen für die drei MOE-Vergleichsregionen sogar die besten (vgl. Tabelle V.6). Unter den insgesamt zwischen „sehr gut“ und „gut“ beurteilten Eigenschaften ist die Bereitschaft zur Leistung von Überstunden am ausgeprägtesten, während die weiteren Beurteilungskriterien auf gleichem Niveau liegen.
Die Unternehmen in allen drei MOE-Ländern beurteilen ihre Mitarbeiter ebenfalls überdurchschnittlich. In Polen machten bei allen vorgegebenen Variablen
70 % bis knapp 90 % der Unternehmen die Angabe „sehr gut“ oder „gut“. Die
positivsten Urteile kommen dabei von den KMU. Die sektorale Betrachtung
zeigt keine Ausreißer hinsichtlich einer Abweichung von der überwiegend posi-
112
tiven Bewertung. Die gleichen Aussagen gelten tendenziell auch für die Angaben der Befragungsteilnehmer in Tschechien und Ungarn.
Tabelle V.6
Beurteilung der Mitarbeiter
- Durchschnittswertea) Beurteilung bezüglich
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
- Motivation und Engagement
1,8
1,9
2,2
2,1
- Belastbarkeit
1,9
2,2
2,4
2,1
- Bereitschaft Überstunden zu leisten
1,6
1,8
2,1
1,8
- Bereitschaft zur Wochenendarbeit
1,8
2,2
2,6
2,3
- Bereitschaft zur Schichtarbeit
1,8
1,9
2,5
2,4
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (sehr gut = 1 bis sehr schlecht = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
In den Unternehmensgesprächen wurde bestätigt, dass neben den niedrigen
Arbeitskosten vor allem die in den drei Ländern vorzufindenden flexiblen arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen als bedeutende Standortvorteile aus
Sicht der deutschen Investoren anzusehen sind. Hierzu gehören - wie beispielsweise am Standort Polen - insbesondere
- die flexible Handhabung befristeter Arbeitsverträge (eine Verlängerung derartiger Verträge wäre in Deutschland nicht möglich),
- keine Notwendigkeit zur Aufstellung von Sozialplänen bei Kündigungen,
- die problemlose Durchführung von Schichtarbeit.
Allerdings wurde von Unternehmen in Ballungsgebieten in allen drei Ländern
berichtet, dass aufgrund des knappen Angebots an Arbeitskräften, diese schon
die Arbeitsplatzwahl unter den Gesichtspunkten treffen „wo muss ich Schichtarbeit leisten oder an Wochenenden arbeiten“ und dann eher weniger „stressige“
Jobs präferieren.
Hinsichtlich der von den befragten Unternehmen durchweg positiv bewerteten
Motivation der Arbeitskräfte muss man bei allen drei MOE-Ländern jedoch berücksichtigen, dass die (junge) Arbeiterschaft wegen des fehlenden Elternvorbilds, nämlich durch eigene Leistungsbereitschaft materiellen Erfolg zu erreichen, etwas weniger belastbar ist.
113
2.1.2
Abwesenheitsrate
Die Abwesenheitsrate der Betriebsangehörigen sächsischer Unternehmen ist
- zumindest im Vergleich mit der Situation in den ausgewählten MOE-Ländern als „normal“ zu bezeichnen (vgl. Tabelle V.7). Bezogen auf eine Abwesenheitsrate bis 10 % weist Sachsen - außer im Vergleich mit Polen - mit einer Quote
von knapp 90 % den günstigsten Wert auf. Allerdings gibt es im Einzelfall bei
größeren Unternehmen auch darüber liegende Abwesenheitsraten. Die aktuelle
Entwicklung zeigt im Vergleich zu den Vorjahren eine hohe Stabilität, was Fehlzeiten in sächsischen Unternehmen betrifft (vgl. Tabelle V.8). Die schon günstigen Relationen gewähren hier natürlich auch weniger Spielraum für eine Senkung der Abwesenheitsrate als im Falle der in Tschechien oder Ungarn ansässigen Unternehmen.
Tabelle V.7
Abwesenheitsrate
- Angaben in % Rate lag 2000 bei
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
- unter 5 %
75,0
87,5
34,1
57,8
- über 5 % bis 10 %
13,9
12,5
45,5
29,7
- über 10 % bis 15 %
5,6
-
11,4
6,3
- über 15 % bis 20 %
2,8
-
8,0
6,3
- über 20%
2,8
-
-
-
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Tabelle V.8
Veränderung der Abwesenheitsrate gegenüber den Vorjahren
- Angaben in % Rate war 2000
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
- höher
11,6
7,4
18,6
6,7
- gleich
69,8
55,6
53,6
62,7
- niedriger
18,6
37,0
27,8
30,7
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Für die polnischen Befragungsteilnehmer stellt sich die Abwesenheitsrate ebenfalls kaum als Problem dar (vgl. auch Fußnote 6). Knapp 90 % meldeten eine
Abwesenheitsrate von unter 5 %, mehr als 10 % wurde von keinem Unternehmen gemeldet (vgl. Tabelle V.7). Während etwa jedes zweite Unternehmen im
114
Jahr 2000 die gleiche Rate wie in den Vorjahren beibehielt, sank bei rund einem
Drittel dieser Wert im Vorjahresvergleich (vgl. Tabelle V.8). Lediglich jedes vierzehnte Unternehmen gab eine Zunahme der Abwesenheitsrate an. Die insgesamt gesehen günstige Situation ist über alle Größenklassen und Wirtschaftszweige hinweg zu beobachten.
Auch in Tschechien und Ungarn weisen 80 % bzw. knapp 90 % der Unternehmen eine Abwesenheitsrate von unter 10 % auf, wobei insbesondere die kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten überwiegend unterhalb 5 %
liegen. Diese Beobachtung gilt für alle Branchen gleichermaßen ohne merkliche
Abweichungen. Wie schon für Polen festgestellt, verteilen sich die Meldungen
über gleichbleibende oder niedrigere Raten im Vergleich zu den Vorjahren über
alle Größenklassen und Wirtschaftszweige in ähnlicher Weise.
2.1.3
Betriebsrat
Naturgemäß verfügen nur die Belegschaften größerer Unternehmen über einen
Betriebsrat. In Sachsen fallen knapp zwei Drittel der erfassten Unternehmen in
diese Kategorie, während über alle Befragungsteilnehmer in den drei MOELändern hinweg betrachtet nur etwa jedes sechste polnische Unternehmen die
Existenz einer entsprechenden Belegschaftsvertretung meldete, und dies in
Tschechien und Ungarn immerhin bei rund jedem vierten Betrieb der Fall war
(vgl. Abbildung V.1).
In Sachsen gibt es Belegschaftsvertretungen in allen Wirtschaftszweigen; anteilsmäßig am geringsten sind sie jedoch im Dienstleistungsbereich. Für Polen
liegen nur aus den drei Branchen „Nahrungs- und Genussmittelgewerbe“, „Herstellung von Büromaschinen, DV-Geräten, Elektrotechnik“ und dem Fahrzeugbau entsprechende Meldungen vor. Nennenswerte Angaben für Tschechien
finden sich ebenfalls nur in den Wirtschaftszweigen „Herstellung von Büromaschinen, DV-Geräten, Elektrotechnik“ und dem Fahrzeugbau und für Ungarn
aus den Branchen „Metallerzeugung- und -bearbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen“ und „Herstellung von Büromaschinen, DV-Geräten, Elektrotechnik“.
115
Abbildung V.1
Anteil der Unternehmen mit Betriebsrat
- Angaben in % -
80
65,2
60
40
25,3
25,6
Tschechien
Ungarn
17,1
20
0
Sachsen
Polen
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
2.1.4
Betriebsklima
Im Hinblick auf die Beurteilung der zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft bestehenden Beziehungen müssen sich die sächsischen Unternehmen
hinter Polen einreihen, liegen aber vor den beiden anderen MOE-Ländern (vgl.
Abbildung V.2). Rund 90 % der antwortenden Unternehmen beurteilen das Verhältnis zwischen Management und Belegschaft als „sehr gut“ (25 %) oder „gut“
(66 %).
Auch in Polen entfällt mit rund 89 % - wie in Tschechien und Ungarn mit jeweils
rund 80 % - das Urteil auf diese beiden Wertungen. Das hieraus resultierende
Gesamtbild zeigt im MOE-Länder-Vergleich, dass das Betriebsklima in Polen
am besten beurteilt wurde und Ungarn und Tschechien ähnliche Befunde aufweisen.
Bei einer nach Unternehmensgrößenklassen differenzierten Betrachtung ist
festzustellen, dass die Ergebnisse für Tschechien - mit Ausnahme der größten
Beschäftigtenkategorie - teilweise deutlich schlechter ausfallen als für die beiden anderen Vergleichsländer.
116
Abbildung V.2
Beurteilung der Beziehung zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft
- Durchschnittswerte a) -
3,0
2,5
2,0
2,2
1,9
1,8
Sachsen
Polen
2,0
1,5
1,0
0,5
0,0
Tschechien
Ungarn
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (sehr gut = 1 bis sehr schlecht = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Ein relevanter Faktor hierfür - ebenso wie für die Beurteilung der Zusammenarbeit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften - ist die Besetzung der Unternehmensleitungen in den betrachteten MOE-Ländern mit aus Deutschland entsandten Kräften oder mit aus dem jeweiligen Sitzland rekrutierten Management.
Abbildung V.3 zeigt, dass insgesamt betrachtet die Unterschiede zwischen den
drei MOE-Ländern nicht ins Gewicht fallen und jeweils rund die Hälfte der
Tochterfirmen von deutschem Führungspersonal geleitet werden. Nur in einigen
der interviewten Unternehmen war eine Doppelspitze mit einem aus dem jeweiligen Sitzland stammenden leitenden Angestellten anzutreffen. Dagegen ist das
mittlere Management - vor allem im technischen Bereich - überwiegend mit einheimischen Führungskräften besetzt. Typisch ist folgender Satz eines Gesprächspartners: „Wenn nicht die erste Garnitur an Führungskräften aus
Deutschland kommt, dann ist die entsandte zweite Garnitur schlechter als die
erste aus Land XY.“
Deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern ergeben sich in der
größenklassenspezifischen Differenzierung. So haben 70 % der befragten Unternehmen mit unter 50 Beschäftigten in Polen eine deutsche Leitung, während
dies in Tschechien nur bei einem Drittel der Fall ist und in Ungarn nur etwa je-
117
des zweite Unternehmen dieser Größenordnung eine deutsche Geschäftsführung hat. Bei der nächsten Größenklasse (50 bis 199 Beschäftigte) kehrt sich
die Rangfolge um, wobei über die Hälfte der Unternehmen in Ungarn eine deutsche Leitung aufweist, aber nur rund 39 % der Unternehmen in Polen. Bei den
größeren Unternehmen mit 500 bis unter 1.000 Beschäftigten kommt in Tschechien das Management ausschließlich aus Deutschland und bei den noch größeren Unternehmen immerhin noch zu über 70 %. In Polen und Ungarn liegen
die Vergleichswerte bei 33 1/3 %. Lediglich das Führungspersonal der höchsten
Beschäftigtengrößenklasse kommt bei der Hälfte der Unternehmen in Polen aus
Deutschland.
Abbildung V.3
Unternehmen mit deutscher Unternehmensleitung
- Angaben in % -
100
87
80
60
50
48
45
Polen
Tschechien
Ungarn
40
20
0
Sachsen
Quelle: ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
In Polen werden die Branchen „Metallerzeugung und -bearbeitung, Herstellung
von Metallerzeugnissen“ und „Herstellung von Büromaschinen und DV-Geräten,
Elektrotechnik“ mehrheitlich von inländischem Führungspersonal geleitet. In
Tschechien fallen neben dem Metallbereich noch die Wirtschaftszweige „Holz-,
Papier-, Druck- und Verlagsgewerbe“ sowie „Glas, Keramik, Verarbeitung von
Steinen und Erden“ darunter. Auch in Ungarn wird die Metallbranche überwiegend von einheimischen Managern geleitet, ebenso der Glas- und Keramiksektor, aber auch der „Maschinenbau“.
118
Von den in Sachsen ansässigen Tochterunternehmen deutscher und ausländischer Investoren werden nur 13 % von einem nicht-deutschen Top-Management geleitet. Diese sechs Fälle sind gleichmäßig auf die Unternehmensgrößenklassen „unter 50“, „unter 200“ und „unter 500“ Beschäftigte verteilt.
2.1.5
Qualifikation und Verfügbarkeit von Mitarbeitern
Die sächsischen Befragungsteilnehmer beurteilen das Qualifikationsniveau
ihrer Mitarbeiter durchweg als „gut“ (vgl. Tabelle V.9). Lediglich angelernte und
ungelernte Arbeiter erhalten die Note „befriedigend“ und werden damit ebenso
eingeschätzt wie ihre Kollegen in den drei mittel- und osteuropäischen Vergleichsregionen, während das mittlere Management, die kaufmännischen Angestellten und die Facharbeiter in Sachsen am besten benotet werden.
Die Qualifikation der Mitarbeiter in den Unternehmen deutscher Investoren wird
in allen drei MOE-Ländern ebenfalls deutlich überdurchschnittlich beurteilt.
Während das mittlere Management und die Facharbeiter in den untersuchten
Ländern nahezu gleich gute Noten erhalten, wird die Qualität kaufmännischer
Angestellter von den in Polen ansässigen Unternehmen etwas schlechter bewertet. Bezüglich der Qualität angelernter und ungelernter Arbeiter ergibt sich
im Durchschnitt das Urteil „befriedigend“. Differenziert nach Größenklassen und
Branchenzugehörigkeit sind keine gravierenden Abweichungen in der Beurteilung festzustellen. Die auf die Bewertung „sehr gut“ bis „befriedigend“ entfallenden Meldeanteile liegen in beiden Segmenten zwischen 70 und 90 %.
Die Qualifikation determiniert neben anderen Einflussfaktoren entscheidend die
Lohnhöhe. Aus den Unternehmensgesprächen ergab sich, dass alle international tätigen Unternehmen an den Standorten in Mittel- und Osteuropa deutlich
überdurchschnittliche Löhne bezahlen. Ein Beispiel aus Polen zeigt, dass der
Monatsverdienst eines Arbeiters bei einem Multi das Doppelte eines Arbeiters
in einem rein polnischen Unternehmen betragen kann (2.000 Zl/545 € zu
1.000 Zl/270 €). Für Führungskräfte ist die Bezahlung in Polen so hoch wie in
Deutschland, wobei Spitzenverdiener 40.000 Zl/Monat (10.870 €) erzielen. Das
Durchschnittsgehalt der Manager liegt aber bei 25.000 Zl/Monat (6.790 €).
Hierbei ist auch die Anpassungsgeschwindigkeit der Lohnentwicklung eine für
Investitionsentscheidungen relevante Größe. So hat sich im Falle eines deutschen Investors in Ungarn der Lohn für die zu den Spitzenverdienern in diesem
119
Werk zählenden NC-Fräser (Stundenlohn in Ungarn 5 €, in Deutschland 18 €)
in den letzten fünf Jahren dreimal erhöht und bei Angelernten, deren Durchschnittslohn sich in diesem Beispiel auf 1,50 €/Stunde (Brutto plus Prämie) belief, immerhin noch zweimal. Ebenso musste ein Unternehmen in Tschechien
den vor einigen Jahren noch geltenden Stundenlohn von 1,80 € deutlich anheben. Trotzdem ist der heutige Stundensatz noch vier- bis fünfmal niedriger als in
Deutschland.
Tabelle V.9
Beurteilung der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Qualifikation
- Durchschnittswertea) Beurteilung bezüglich
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
- mittleres Management
2,0
2,3
2,2
2,2
- kaufmännische Angestellte
2,0
2,6
2,3
2,2
- Facharbeiter
2,0
2,3
2,2
2,3
- an- und ungelernte Arbeiter
2,7
2,7
2,7
2,8
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (sehr gut = 1 bis sehr schlecht = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Diese Spanne relativiert sich jedoch bei der Betrachtung der Lohnstückkosten,
also unter Einbeziehung des Outputs pro geleisteter Arbeitsstunde bzw. pro Arbeiter. Ein weiteres Beispiel aus Ungarn zeigt, dass dortige Firmen unter inländischer Regie einen Pro-Kopf-Umsatz von rund 11.250 € (3 Mill. Ft) erzielen.
Ausgehend davon, dass in Deutschland ein Arbeiter den gleichen Output erwirtschaftet wie sechs Arbeiter in Ungarn, summieren sich auch die in Ungarn
gezahlten Löhne zum Lohnniveau in Deutschland auf, sodass der angebliche
Produktionskostenvorteil nivelliert wird. Dieser in Nuancen in allen drei Ländern
zu beobachtende Tatbestand, wird von ausländischen Investoren dahin gehend
kommentiert, dass auch von Seiten der Politik auf Effektivität der Arbeitsprozesse nicht so großen Wert gelegt wird, um eine höhere Arbeitslosigkeit zu
vermeiden. Der Preis hierfür ist eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit
der einheimischen Unternehmen.
Die Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter ist ein wichtiger Standortfaktor für die
Investoren. Die diesbezügliche Einschätzung der sächsischen Unternehmen
fällt zwar differenziert aus, lässt sich aber dahingehend interpretieren, dass - mit
Ausnahme von Ingenieuren - die Beschaffung von kaufmännischem Personal
und Facharbeitern keine großen und die Verfügbarkeit von angelernten Mitar-
120
beitern nur geringe Probleme darstellen (vgl. Tabelle V.10). In den drei MOEVergleichsländern stellt sich dieser Sachverhalt für alle Berufsgruppen schwieriger dar, mit Ausnahme der etwas günstigeren Verfügbarkeit von Ingenieuren
in Polen und in Ungarn.
Je nach Standort in den drei MOE-Ländern stellen sich die Beschaffungsschwierigkeiten im Vergleich untereinander unterschiedlich schwierig dar. Die
Anwerbung kaufmännischer Angestellter stellt die deutschen Tochterunternehmen in Polen und Tschechien im Durchschnitt vor ein mittelschweres Problem.
In Ungarn scheint dagegen die Gewinnung von Mitarbeitern für diesen Bereich
eher kleinere Probleme zu bereiten. Qualifizierte Ingenieure und Facharbeiter
sind in Tschechien am schwierigsten zu beschaffen, während dies von den
Unternehmen in Polen und Ungarn nur als ein mittelschweres Problem eingestuft wird. Die Akquirierung ungelernter Mitarbeiter stellt in allen drei Ländern
ein vergleichsweise kleines Problem dar.
Während sich für Polen im Hinblick auf Größe und Branchenzugehörigkeit der
Unternehmen keine auffälligen Häufigkeiten ergeben, sind es in Tschechien insbesondere die kleinsten Unternehmen, die Probleme bei der Beschaffung von
kaufmännischen Mitarbeitern, Ingenieuren und Facharbeitern angeben. Dieses
Problem melden vor allem Unternehmen aus dem Fahrzeug- und dem Maschinenbau. In Ungarn ist es ebenfalls der Maschinenbau, der Beschaffungsprobleme hinsichtlich kaufmännischer Angestellter und Ingenieuren meldet.
Tabelle V.10
Beurteilung der Beschaffungsprobleme qualifizierter Mitarbeiter
- Durchschnittswertea) Probleme bezüglich
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
- kaufmännischem Bereich
2,6
3,4
3,4
2,7
- Ingenieuren
3,2
2,9
3,8
3,0
- Facharbeiten
2,7
3,0
3,7
3,0
- angelernten Mitarbeitern
1,9
2,4
2,4
2,2
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (keine = 1 bis sehr große = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
In den Interviews äußerten ausschließlich in Ballungsgebieten ansässige Unternehmen Probleme bei der Beschaffung von Fachkräften mit höherer Qualität,
weil dort eine niedrige Arbeitslosigkeit besteht. In Verbindung mit dem Woh-
121
nungsmangel in den Ballungsgebieten ist eine Rekrutierung aus anderen Gebieten nahezu unmöglich. Zudem verhindern die mit dem Pendeln von Arbeitskräften zusammenhängenden Kosten eine entsprechend hohe Mobilität, wie ein
Beispiel aus Tschechien zeigt: Ein durchschnittlicher Verdienst von umgerechnet 409 € im Monat in Tschechien entspricht derzeit einer DM-Kaufkraft von
970 €, aber: Sprit- und Autokosten bewegen sich auf Weltniveau, d. h. bei diesem Gehalt lohnen sich 20 km Fahrt zur Arbeit nicht mehr.
Andererseits besteht in den Regionen mit noch quantitativ hohem Mitarbeiterpotenzial (z. B. Ostungarn und Ostpolen) ein Qualitätsproblem. Diese Aussage
trifft auch für Regionen in Tschechien zu, in denen früher schwerpunktmäßig
Bergbau oder Schwerindustrie angesiedelt waren.
2.1.6
Anlernzeiten
Neu angeworbene Mitarbeiter können meistens nicht gleich in die betrieblichen
Abläufe integriert werden, sondern müssen erst eine gewisse Einarbeitungszeit
absolvieren. Auch Führungskräfte sind hiervon nicht ausgenommen. In Sachsen benötigt in 39 % der meldenden Unternehmen die Managementausbildung
rund vier Monate und in einem gleich großen Anteil der Unternehmen vier Monate bis knapp einem Jahr (vgl. Tabelle V.11).
Gegenüber den MOE-Vergleichsländern benötigen damit in Sachsen mehr Unternehmen eine längere Zeit für diese Phase. Auch im Angestelltenbereich ist in
Sachsen nach einem Vierteljahr erst bei 46 % der antwortenden Unternehmen
das Personal auf dem betrieblichen Anforderungsstand, während dies in Polen
im gleichen Zeitraum immerhin schon in 50 % der Unternehmen der Fall ist, in
Tschechien in 75 % und in Ungarn sogar in 83 %. Die gleiche Reihenfolge ergibt sich auch bei der Facharbeiterschaft. Hier attestieren in Sachsen nach einem Vierteljahr 59 % der Unternehmen, dass die Facharbeiter entsprechend
angelernt sind, in Polen tun dies im gleichen Zeitraum 67 %, in Tschechien
75 % und in Ungarn 87 % der befragten Unternehmen. Bei Hilfsarbeitern ist die
Situation in allen betrachteten Regionen ähnlich, wobei nach zwei Monaten in
fast allen Betrieben die hierfür vorgesehenen Kräfte voll einsetzbar sind.
Die bis auf den Hilfsarbeiterbereich für Sachsen im Vergleich mit den MOELändern durchgängig ermittelten längeren Anlernzeiten hängen zum einen mit
den unterschiedlichen Anforderungsprofilen an die jeweilige Tätigkeit in den
122
einzelnen Ländern zusammen und zum anderen mit der in Sachsen gebotenen
größeren Palette an unternehmensinternen und -externen Ausbildungsmöglichkeiten in Form von Seminarteilnahmen, aufwendigen Traineeprogrammen u. ä.,
deren Anspruchsniveau sich an westdeutschen Maßstäben orientiert.
Tabelle V.11
Umfang der Anlernzeiten neuer Mitarbeiter
- Angaben in % Zeitraum
(in Wochen)
bis 4
Sachsen
Fü
Polen
Tschechien
Ungarn
A
F
H
Fü
A
F
H
Fü
A
F
H
Fü
A
F
H
-
7
37
84
3
11
37
79
1
18
34
86
13
30
45
87
4 bis 8
13
23
11
10
3
20
12
15
9
29
27
11
11
31
25
6
9 bis 12
23
16
21
3
28
29
18
3
26
28
14
2
32
22
17
3
13 bis 16
3
12
13
-
-
6
6
-
8
6
5
1
6
7
2
3
17 bis 20
13
16
5
-
9
11
12
3
9
8
3
-
8
3
1
-
21 bis 24
3
2
3
-
3
-
-
7
3
4
-
5
-
1
-
25 bis 48
23
16
8
3
18
17
6
-
22
6
11
-
9
5
5
1
49 bis 72
13
5
3
-
18
3
6
-
15
-
1
-
13
2
3
-
73 bis 96
3
3
-
-
-
-
3
-
-
-
-
-
-
-
1
-
97 bis 120
8
-
-
-
12
-
-
2
1
1
-
1
-
-
-
121 bis 144
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
2
-
-
-
-
-
-
-
6
3
-
-
1
1
-
-
-
-
-
-
über 144
Anm.: Fü = Führungskräfte, A = Angestellte, F = Facharbeiter, H = Hilfsarbeiter.
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Im MOE-Länder internen Vergleich entfallen in Polen und Tschechien noch
nennenswerte Häufigkeiten auf Zeiträume von einem halben Jahr bis knapp
anderthalb Jahre Einarbeitungszeit für den Managementbereich. In Ungarn geben dagegen jeweils über 10 % der Unternehmen auch Fristen von weniger als
einem Monat oder zwischen einem und zwei Monaten für die Einarbeitung an.
Der Großteil der Unternehmen in allen drei Ländern (zwischen 60 und 80 %)
setzen für die Einarbeitung von Angestellten - vor allem im kaufmännischen
Bereich - einen Zeitraum bis zu 12 Wochen an. Diese Einarbeitungsfristen gelten auch für Facharbeiter, wobei mehr als ein Drittel schon nach vier Wochen
mit den Gegebenheiten des Unternehmens gut vertraut sind. Größenklassenund branchenspezifisch streuen die Angaben sehr stark, sodass Einzelaussagen kaum möglich sind.
123
Das Thema Einarbeitungs- bzw. Ausbildungszeit war bei fast jedem Unternehmensgespräch ein wichtiges Thema. Unabhängig von der Branche wurden
hierfür übereinstimmend Fristen von bis zu einem Jahr für die Qualifizierung
von Ingenieuren und Technikern in den Unternehmenszentralen in Deutschland
genannt.
Im Facharbeiterbereich ist ein in den drei Ländern fehlendes Ausbildungssystem, das mit dem deutschen dualen System vergleichbar wäre, ein großes
Manko. Über erste Ansätze, eine duale Berufsausbildung zu etablieren, wurde
in Budapest und in Warschau berichtet. Bis derartige Initiativen sich flächendeckend auswirken, bleibt den Unternehmen zur Aufrechterhaltung bzw. Steigerung der Produktivität kein anderer Ausweg, als betriebsinterne Aus- und Weiterbildung zu betreiben und entsprechende Anreizsysteme zu bieten, um gut
ausgebildete Mitarbeiter im Betrieb zu halten.
2.2
Industrielle Infrastruktur
2.2.1
Vorleistungsbezug
Die von den Unternehmen für die Produktion am jeweiligen Standort erforderlichen Vorleistungen wie Rohstoffe, Vorprodukte oder Bauteile können aus dem
Land stammen, in dem der Investor seinen Sitz hat, von der Muttergesellschaft
aus Deutschland bezogen werden oder aus einem Drittland importiert werden.
Wie Tabelle V.12 zeigt, beziehen die in Sachsen ansässigen Unternehmen in
etwa gleichgewichtig ihre Vorleistungen aus dem eigenen Bundesland, den übrigen Bundesländern oder dem Ausland. Beim Vergleich der in den MOELändern ansässigen Unternehmen ist zu erkennen, dass sie zum größten Teil
ihre Vorleistungen aus dem jeweiligen Sitzland oder aus Deutschland beziehen.
Drittländer tragen hierzu nur bei knapp der Hälfte der Unternehmen in Tschechien, bis zu knapp zwei Dritteln bei den in Polen produzierenden Betrieben bei.
Nahezu alle Unternehmen in Polen und Tschechien nutzen entsprechende Versorgungsquellen in Deutschland, in Ungarn sind es nur knapp 80 % der deutschen Tochterunternehmen. Hier kommt der Hauptanteil aus dem eigenen
Land.
124
Tabelle V.12
Bedeutung und Quellen der bezogenen Vorleistungen
- Angaben in %; Mehrfachnennungen möglich Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
SN aBL aL
S
D
aL
S
D
aL
S
D
aL
95
89
95
87
97
65
94
96
49
93
79
60
von 1 % bis 20 %
44
15
54
26
30
75
28
26
67
32
27
71
mehr als 20 % bis 40 %
19
49
14
22
14
20
17
14
25
10
12
25
mehr als 40 % bis 60 %
22
18
17
19
30
-
26
24
4
13
15
-
mehr als 60 % bis 80 %
6
18
9
22
13
-
8
16
4
14
19
4
mehr als 80 % bis 100 %
8
-
6
11
13
5
21
20
-
31
27
-
Durchschnittliche Quote
32
38
30
39
49
12
45
46
9
48
42
10
... % der Unternehmen beziehen Vorleistungen aus ...
davon beziehen ... % der
Unternehmen im Umfang
Anm.: SN = Sachsen, aBL = andere Bundesländer, S = Sitzland, D = Deutschland, aL = andere Länder.
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Im Durchschnitt enthalten die in Polen hergestellten Produkte knapp 50 % Vorleistungsanteil aus Deutschland, während die Produkte in Tschechien tätiger
Unternehmen nur einen Anteil von 46 % aufweisen und in Ungarn der Vorleistungsanteil aus Deutschland lediglich 42 % beträgt. Demgegenüber enthalten
ungarische Produkte den höchsten einheimischen Anteil, aber auch den
höchsten Anteil von aus Drittländern stammenden Vorleistungen.
2.2.2
Qualität der inländischen Zulieferer
Die Unternehmen am Standort Sachsen sind mit Zulieferanten sehr zufrieden
(vgl. Abbildung V.4). Dieses Urteil dürfte sich primär auf die Qualität der von in
Sachsen oder in anderen deutschen Bundesländern ansässigen Betrieben gelieferten Produkte stützen. Im Vergleich zu den MOE-Ländern ist dies die beste
Beurteilung der Zuliefererseite.
Ihre Zulieferer im jeweiligen MOE-Sitzland bewerten die Unternehmen mit „gut
bis befriedigend“ im Durchschnitt schlechter als die sächsischen Unternehmen.
Noch schlechtere Noten vergeben nur die größten Unternehmen in Polen
(1.000 und mehr Beschäftigte) und die Unternehmen mit 500 bis 999 Beschäftigten in Ungarn, die sich eher weniger zufrieden äußern. In Polen sind es
Unternehmen aus der Investitionsgüterindustrie (Metallbranche, Maschinenund Fahrzeugbau, DV-Industrie und Elektrotechnik), die mit der Qualität ihrer
125
Zulieferer unzufrieden sind, während in Ungarn daneben auch vereinzelt Unternehmen aus der Grundstoff- und Konsumgüterindustrie schlechte Noten vergeben.
Abbildung V.4
Beurteilung der Qualifikation inländischer Zulieferer
- Durchschnittswertea) -
3,5
3,0
2,5
2,7
2,6
2,5
Polen
Tschechien
Ungarn
2,1
2,0
1,5
1,0
0,5
0,0
Sachsen
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (sehr gut = 1 bis sehr schlecht = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Die Formulierung „inländischer Zulieferer“ bezeichnet nicht notwendigerweise
ein polnisches, tschechisches oder ungarisches Unternehmen. Viele Lieferanten der an der Umfrage beteiligten Unternehmen sind ebenfalls Töchter deutscher Investoren und haben sich im Gefolge ihrer Kunden in dem jeweiligen
Sitzland niedergelassen.
Die Erhöhung des Qualitätsniveaus ihrer Zulieferer ist ein laufendes Anliegen
der beziehenden Unternehmen. Hierzu setzen sie eine breite Palette an Maßnahmen ein (vgl. Tabelle V.13). Das Ergebnis zeigt, dass über 60 % der in
Sachsen ansässigen Unternehmen auf Zulieferer zurückgreifen können, die die
mit dem Begriff des Qualitätsmanagements verbundenen Produkt- und Produktionsstandards praktizieren. Nach Vorgaben arbeiten nur für jedes fünfte Unternehmen die beauftragten Zulieferanten.
Zwar stehen auch in allen drei MOE-Ländern Elemente des Qualitätsmanagements, wie sie in den einschlägigen Normen ISO 9001 u. ä. enthalten sind, im
Vordergrund der Qualitätssicherung, aber in deutlich geringerem Umfang wie in
126
Sachsen. An zweiter Stelle stehen die Vorgaben der Vorleistungen beziehenden Unternehmen, die die Zulieferer vertraglich binden, bestimmte Qualitätsstandards einzuhalten.
Tabelle V.13
Maßnahmen zur Erhöhung des Qualitätsniveaus von Zulieferern
- Angaben in % Sachsen
Qualitätsmanagement
Polen
Tschechien
Ungarn
61,3
44,4
37,3
34,5
Beratung
6,5
14,8
10,2
17,2
Schulung
12,9
7,4
10,2
12,1
Vorgaben
19,4
25,9
35,6
22,4
Reklamation
0
3,7
3,4
5,2
Wechsel des Zulieferers
0
3,7
3,4
8,6
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Beratung und Schulung der Zulieferer durch die jeweiligen Bezieher ist auch ein
häufig gewählter Weg, um das Qualitätsniveau zu sichern oder zu erhöhen. Die
Beschränkung auf bloße Reklamation fehlender Qualitätseigenschaften wird nur
von wenigen Unternehmen als einzige Maßnahme zur Abstellung der Mängel
angesehen, ebenso der Wechsel zu einem leistungsfähigeren Zulieferanten.
2.2.3
Nutzung des inländischen FuE-Potenzials
Umfasst die Produktionspalette der Unternehmen nur Standardprodukte, kommen sie in der Regel ohne anspruchsvolles externes Know-how, gewissermaßen mit den Bordmitteln des eigenen Betriebes aus. Sollen jedoch neue Produkte entwickelt und produziert werden, ist entsprechendes Know-how erforderlich, das entweder aus den Unternehmen selbst, aus den Muttergesellschaften oder aus externen in- oder ausländischen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen (FuE) stammen kann.
Die Angaben in Tabelle V.14 zeigen einen hohen Know-how-Bedarf der in
Sachsen ansässigen Unternehmen. Jedes vierte Unternehmen nutzt regelmäßig das von Universitäten produzierte Wissen und immerhin noch knapp die
Hälfte greift fallweise darauf zurück. Ebenso werden die anderen externen
Know-how-Produzenten von Fall zu Fall von immerhin 30 % bis 40 % der Un-
127
ternehmen in Anspruch genommen. Hierin kommt die Bedeutung der sächsischen Forschungslandschaft als wichtigem Standortfaktor zum Ausdruck.
Ein Blick auf die Nutzungsintensität solcher Einrichtungen in den MOE-Vergleichsländern zeigt, dass der Anteil der Unternehmen, die permanent mit entsprechenden Einrichtungen in Kontakt sind, verschwindend gering ist. Ist dies
jedoch der Fall, dann sind auch in allen drei Ländern primär Universitäten die
Kooperationspartner dieser Unternehmen.
Tabelle V.14
Nutzungsintensität inländischer FuE-Einrichtungen
- Angaben in % Sachsen
Polen
FuE-Einrichtung
a
b
c
Universitäten
26
46
28
Außeruniversitäre staatliche
FuE-Einrichtungen
a
Tschechien
b
c
8
44
47
a
Ungarn
b
c
a
b
c
7
33
60
11
34
55
10
43
47
3
51
46
1
26
73
1
29
70
Private FuE-Einrichtungen
5
30
65
-
44
56
1
26
73
1
28
71
Sonstige FuE-Einrichtungen
6
31
63
3
30
67
1
25
74
7
20
73
Anm.: a = regelmäßig, b = fallweise, c = nie.
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Etwa 30 bis 40 % der Unternehmen nutzen zumindest von Fall zu Fall die FuEEinrichtungen ihres Sitzlandes als Know-how-Quelle. Auch hier sind die Universitäten die am häufigsten in Anspruch genommenen Einrichtungen, gefolgt von
den außeruniversitären staatlichen Forschungsinstitutionen sowie von privaten
oder in sonstiger Trägerschaft befindlichen Einrichtungen. In den drei Ländern
finden sich einzelne Unternehmen in allen Wirtschaftszweigen, die zumindest
manchmal auf das FuE-Potenzial des Sitzlandes zugreifen. Bei den regelmäßig
Kontakt haltenden Unternehmen finden sich eher solche aus den Branchen
Maschinen- und Fahrzeugbau sowie Elektrotechnik.
Ein in den Unternehmensgesprächen mehrfach genannter Grund für eine Kooperation mit den Hochschulen ist die Akquisition von Absolventen primär technischer Disziplinen.
128
2.3
Qualität der Infrastrukturausstattung
Produzierende Unternehmen müssen für ihren Geschäftsbetrieb mit Rohmaterialien und/oder Vorprodukten beliefert werden und ihre Halb- und/oder Fertigerzeugnisse vertreiben. Deshalb sind die Qualität der Straßen, Verkehrsdichte
u. a. m. wichtige Faktoren für die Durchführung der logistischen Prozesse.
Die in Sachsen tätigen Unternehmen beurteilen die hier vorzufindenden Verhältnisse nur zufriedenstellend, d. h. noch verbesserungsfähig (vgl. Abbildung V.5). Im Vergleich mit den drei MOE-Ländern fallen die Aussagen für
Tschechien und Ungarn in etwa ähnlich aus, während die Situation in Polen
deutlich schlechter eingeschätzt wird. Der Bewertung der Verkehrsverhältnisse
in Sachsen dürften die Respondenten einen Vergleich mit der Situation in
Westdeutschland zugrunde gelegt haben und eine vergleichbare Situation auch
für Sachsen postulieren. Allerdings bleibt auch die häufig in der Öffentlichkeit
geführte Diskussion über einen Nachholbedarf Ostdeutschlands bei der Infrastrukturausstattung nicht ohne Einfluss auf eine Beurteilung dieses Sachverhalts.
Abbildung V.5
Beurteilung der für die Logistik relevanten Verkehrsverhältnisse
- Durchschnittswertea) -
5,0
3,8
4,0
3,0
2,7
2,6
2,5
Tschechien
Ungarn
2,0
1,0
0,0
Sachsen
Polen
a) Angegebene Werte sind Mittelw erte aus sechs Antw ortkategorien (sehr gut = 1 bis sehr schlecht = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Die Ergebnisse zeigen im internen MOE-Vergleich einen deutlichen Unterschied in der Qualitätsbeurteilung durch die in Ungarn oder Tschechien ansäs-
129
sigen Unternehmen, welche die vorzufindenden Verkehrsverhältnisse insgesamt gesehen ebenfalls als zufriedenstellend bewerten, während die Situation
in Polen als „unbefriedigend“ angesehen wird.
Übereinstimmend schilderten die in Polen interviewten Gesprächspartner mit
zum Teil drastischen Beispielen die chaotischen Straßenverkehrsverhältnisse.
Primär liegt dies an einem nahezu gänzlich fehlenden Autobahnnetz.
Die in Sachsen verfügbare moderne Telekommunikationsinfrastruktur drückt
sich in der Bestnote aus, die die sächsischen Unternehmen hierfür im Vergleich
zu den anderen Vergleichsregionen vergeben, wobei der Abstand zu Ungarn
nur gering und zu Polen deutlich ausfällt (vgl. Abbildung V.6).
Abbildung V.6
Beurteilung der Qualität der Telekommunikationsinfrastruktur
- Durchschnittswertea) -
4,0
2,9
3,0
2,3
2,0
1,9
2,0
1,0
0,0
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (sehr gut = 1 bis sehr schlecht = 6).
Quelle: ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Für die MOE-Länder untereinander ergibt die Beurteilung in diesem Punkt die
gleiche Länderreihenfolge, aber mit weniger deutlichem Abstand zu dem Urteil
der in Polen ansässigen Unternehmen, die immerhin den Zustand als „befriedigend“ bewerten, während für Ungarn das Urteil „gut“ lautet, ebenso mit leichten
Abstrichen auch für Tschechien.
Dieser Befund wird durch die Unternehmensgespräche in den drei Ländern gestützt, wobei lediglich seitens der polnischen Gesprächspartner auf Leistungs-
130
mängel der Telekommunikationsinfrastruktur (z. B. zu geringe Übertragungsgeschwindigkeiten für Daten und Bilder) hingewiesen wurde.
2.4
Qualität der öffentlichen Dienste und der Verwaltung
2.4.1
Image von Behörden
Das Urteil der sächsischen Unternehmen bezüglich der Reaktionen von Behörden auf Landes- oder kommunaler Ebene auf ihre betrieblichen Anliegen
lässt sich mit dem Begriff „zuvorkommend“ beschreiben (vgl. Tabelle V.15). Allerdings gilt auch für Sachsen wie für die Befunde in den MOE-Vergleichsländern, dass die Zoll- und Steuerbehörden demgegenüber etwas schlechter abschneiden.
Das von den deutschen Unternehmen in den MOE-Sitzländern über die Arbeitsweise des jeweiligen Behördenapparats abgegebene Urteil lässt sich nur
schwer mit dem Bild eines kundenfreundlichen Dienstleistungsunternehmens in
Einklang bringen.
Tabelle V.15
Beurteilung der Reaktionsweise von Behörden auf betriebliche Anliegen
- Durchschnittswertea) Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
Regierungsbehörden
2,3
3,4
3,2
3,0
Kommunen
2,4
2,9
2,5
2,8
Zoll-/Steuerbehörden
2,7
4,0
3,2
3,4
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (äußerst hilfsbereit = 1 bis oppositionell = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Am besten werden in allen drei mittel- und osteuropäischen Ländern die kommunalen Behörden bewertet, mit denen die Unternehmen im Allgemeinen die
geringsten Probleme haben. Anders sieht es mit den häufig vom eigentlichen
Unternehmensstandort weit entfernten Regierungsstellen auf regionaler oder
landesweiter Ebene aus, deren Verhalten nicht zur vollen Zufriedenheit der
Unternehmen ausfällt. Noch schlechter werden zumindest in Ungarn und Polen
die Zoll-/Steuerbehörden beurteilt. Exemplarisch hierzu soll eine Aussage eines
deutschen Geschäftsführers in Ungarn dienen: „Der Zoll ist unser größter Geg-
131
ner. Jede Lieferung bereitet irgendein Problem, vor allem Maschinenteile, die
zur Reparatur nach Deutschland und retour geschickt werden.“
2.4.2
Einhaltung von Zusagen
Das von den Unternehmen in allen vier Regionen über die Reaktionen der Behörden gezeichnete Bild hängt nicht zuletzt mit der Beurteilung deren Verlässlichkeit im Hinblick auf die Einhaltung einmal gegebener Zusagen zusammen.
Hierbei zeigt sich, dass die sächsischen Unternehmen diesbezüglich keine
Klagen vorzubringen haben und der Einhaltungsquote der Behörden in Sachsen die Bestnote unter allen Vergleichsregionen erteilen (vgl. Abbildung V.7).
Die entsprechende Benotung durch die in Tschechien und Ungarn ansässigen
Unternehmen lässt vermuten, dass derartige Zusagen meistens seitens der Behörden eingehalten werden. In Polen reicht es nur zum Urteil „häufig eingehalten“.
Abbildung V.7
Beurteilung der Einhaltung von behördlichen Zusagen
- Durchschnittswertea) -
4,0
3,2
3,0
2,0
2,4
2,4
Tschechien
Ungarn
2,0
1,0
0,0
Sachsen
Polen
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (immer = 1 bis niemals = 6).
Quelle: ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Über die Beeinträchtigung der getätigten Direktinvestition durch einen überwiegend problematischen Umgang mit den Behörden klagte fast jeder deutsche
Gesprächspartner in Polen. Beispielhaft soll hier die Zusage für den Bahnanschluss eines Werkes in Südpolen genannt werden, dessen Genehmigung sei-
132
tens der Zentralbehörde in Warschau schriftlich vorliegt, dessen Umsetzung
jedoch an der Arbeitsweise der nachgelagerten Behörden gescheitert ist. Der
Gesprächspartner postulierte aus dieser Erfahrung heraus, dass die polnischen
Behörden zuverlässiger und schneller werden müssen. In bestimmten sensiblen
Märkten (z. B. landwirtschaftliche Produkte) werden im Zusammenhang mit Privatisierungsvorhaben stehende administrative Vorgänge auch seitens politischer Institutionen mit Rücksicht auf das eigene Wählerpotenzial verzögert.
2.4.3
Fristen für Behördenvorgänge
Ansiedlungswilligen Unternehmen können schwerwiegende Probleme daraus
entstehen, dass die mit bestimmten Verwaltungsvorgängen verbundenen Bearbeitungszeiten sich unvertretbar lange hinziehen. Von Unternehmensseite werden die für die Gründung eines Unternehmens und für die Erteilung von Förderzusagen in Sachsen verstreichenden Zeiträume als den eigenen Erwartungen
weitgehend entsprechend angesehen, lediglich die Fristen für die Erteilung von
Baugenehmigungen werden leicht ungünstiger beurteilt (vgl. Tabelle V.16).
Beim Vergleich mit den MOE-Ländern sind - außer bei Gründungs- und Genehmigungsformalitäten in Ungarn - deutliche Abstände, die teilweise nahezu
bei zwei Benotungspunkten liegen, zu konstatieren.
Während im internen MOE-Ländervergleich die Fristen im Zusammenhang mit
der Gründung eines Unternehmens in Polen und Tschechien noch weitgehend
als akzeptabel angesehen werden und die Erwartungen der Unternehmen in
Ungarn nahezu erfüllt werden, werden die Fristen für die Erteilung von Baugenehmigungen in Polen und Ungarn im Vergleich dazu graduell etwas schlechter
bewertet. Am schlechtesten werden in allen drei Ländern die Bearbeitungszeiten für Förderanträge beurteilt, die als gerade noch akzeptabel gelten.
Tabelle V.16
Beurteilung der im Verkehr mit Behörden in Kauf zu nehmenden Fristen
- Durchschnittswertea) Beim Vorgang
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
- Gründung eines Unternehmens
2,5
3,1
3,5
2,3
- Baugenehmigung
2,9
3,5
3,5
2,9
- Förderzusage
2,5
4,3
4,0
3,4
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (Fristen entsprechen den betrieblichen Erwartungen völlig = 1 bis Fristen entsprechen den betrieblichen Erwartungen überhaupt nicht = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
133
Ein in Tschechien und Ungarn geschäftlich engagierter Gesprächspartner bezeichnete die Bewältigung und Zeitdauer administrativer Vorgänge für Investoren in Ungarn als wesentlich unkomplizierter als in Tschechien (z. B. Erteilung
einer Aufenthaltsgenehmigung nahm dort zwei Jahre in Anspruch). Die Gesprächspartner in allen drei Ländern stimmten darin überein, dass für erfolgreiche Investitionen nicht nur der Markt entscheidend ist, sondern schon im Vorfeld ein Partner, der über entsprechende Kontakte zu den relevanten Behörden
verfügt und die erforderlichen Vorgänge vor Ort abwickeln kann.
2.4.4
Einflussnahme auf Verwaltungsvorgänge
Eine schleppende Bearbeitung von Verwaltungsvorgängen und die eingeschränkte Verlässlichkeit von Zusagen legt den Einsatz verschiedener Maßnahmen nahe, um diesbezüglich günstigere Situationen zu schaffen. Wie die
Befunde in Tabelle V.17 zeigen, ist dieser Zusammenhang für die MOE-Vergleichsländer deutlich ablesbar.
In Sachsen korrespondiert die Intensität der von den Unternehmen zur Beschleunigung von Verwaltungsvorgängen angewendeten Instrumentarien mit
dem hohen Zufriedenheitsgrad bei der Durchführung administrativer Angelegenheiten. Am häufigsten werden erforderliche Abstimmungsprozesse über den
Einsatz persönlicher Kontakte abgewickelt. Dass politische Kontakte hierbei
genutzt werden, ist aus Sicht der Unternehmen nur manchmal der Fall. Immerhin wird auch die Zahlung nützlicher Aufwendungen nicht gänzlich ausgeschlossen, wenn auch nur - anders als in den Vergleichsregionen - sehr selten
hierzu die Erfordernis besteht.
Tabelle V.17
Mitteleinsatz zur Beschleunigung von Verwaltungsvorgängen
- Durchschnittswertea) Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
persönliche Kontakte
1,9
1,6
1,6
1,9
politische Kontakte
3,4
2,6
3,7
3,3
nützliche Aufwendungen
5,0
2,8
3,5
3,5
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (immer = 1 bis nie = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
134
Auch in den drei MOE-Ländern werden von den Unternehmen zur Verkürzung
von Verwaltungsvorgängen primär persönliche Kontakte genutzt, die insbesondere auf lokaler Ebene oft zu den entsprechenden Behörden bestehen. Politische Kontakte kommen dagegen eher weniger häufig zum Einsatz. Nicht überraschend ist, dass sogenannte „Beschleunigungszahlungen“ in Polen tendenziell häufiger üblich sind als in Tschechien oder Ungarn.
In den Unternehmensgesprächen wurden aber gerade in Bezug auf Ungarn die
gravierendsten Vorfälle geschildert. So legte der Geschäftsführer eines metallverarbeitenden Betriebs dar, dass die Verlegung eines Gasanschlusses auf seinem Werksgelände solange hinausgezögert wurde, bis alle 16 beteiligten Firmen „geschmiert“ wurden. Im gleichen Unternehmen hat eine Mitarbeiterin des
Gesundheitsamtes bei einer Inspektion im Dezember signalisiert, dass sie ein
Weihnachtsgeschenk der Firma erwarte, sonst müsse sie einige Beanstandungen melden. Der „Bitte“ wurde entsprochen.
Informationen aus Interviews in den beiden anderen Ländern bestätigen diese
Aussagen dahingehend, dass solche Zahlungen insbesondere im Zusammenhang mit der Durchführung von Infrastrukturprojekten (z. B. Anschlüsse an Versorgungsnetze, Straßen- und Gleisbau u. ä.) stehen.
2.4.5
Gerichtswesen
Ein Weg, um bestehende Rechtsansprüche gegenüber Behörden, anderen
Unternehmen oder Privaten durchzusetzen, ist der Gang vor die Gerichte. Wie
die Befragungsergebnisse zeigen, wird dieser Weg eher zögerlich von den Unternehmen beschritten und jeweils von Fall zu Fall entschieden (vgl. Tabelle V.18).
Die sächsischen Unternehmen sehen die Erfordernis einer gerichtlichen Auseinandersetzung eher selten gegeben. Eine stichprobenartige Nachfrage bei
denjenigen Unternehmen, die vor Gericht gegangen sind, ergab überwiegend
aus dem allgemeinen Geschäftsbetrieb resultierende Anlässe, wie sie auch an
jedem Standort in den alten Bundesländern zum Unternehmensalltag gehören.
In allen drei MOE-Ländern sind es vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen, die mehrheitlich Angaben auf diese Frage mit den Ausprägungen „immer“ oder „oft“ gemacht haben, während die größeren Unternehmen hierbei
135
eher eine zurückhaltende Inanspruchnahme signalisieren. Zur Interpretation
dieser Ergebnisse, die sowohl lauten kann „ein Gang vor Gericht ist nicht erforderlich“ oder aber „ein Gang vor Gericht wäre eigentlich erforderlich, ist jedoch
sinnlos“, gab es bei den Gesprächen mit Unternehmen in den MOE-Ländern
einige erhellende Aussagen.
Tabelle V.18
Nutzung von Gerichten zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen
- Durchschnittswertea) Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
Verwaltungsgerichte
3,9
3,5
4,0
3,8
Zivilgerichte
3,8
3,5
4,1
3,8
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (immer = 1 bis nie = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
In allen Unternehmensgesprächen in Polen wurde die zu geringe Rechtssicherheit im Land kritisiert. Dafür werden häufige Änderungen bestehender Gesetze
oder der Erlass neuer Gesetze verantwortlich gemacht, für die dann entsprechende Durchführungsbestimmungen oft erst zwei Jahre später herauskommen. Die Folge ist, dass die Behörden Gesetze interpretieren, wie sie wollen,
weil die Auslegung noch nicht bekannt ist. Diese Situation führt zu einer „Konjunktur“ der Consultants, die zwar viel Geld verdienen, aber den Unternehmen
häufig keine brauchbaren Informationen liefern können.
Eine mit dem Rechtssystem ungewöhnliche Erfahrung in Polen wurde von allen
dort besuchten Gesprächspartnern geschildert, nämlich die Unmöglichkeit, ein
Hypothekendarlehen als Finanzierungsquelle zu nutzen, da nicht das Finanzierungsinstitut sondern der Staat mit Vorkaufsrecht an erster Stelle im Grundbuch
steht. Falls der Eigentümer Schulden beim Staat nicht begleichen kann, hat
dieser den Zugriff auf das Objekt. Es ist nicht verwunderlich, dass kein Kreditinstitut ein derartig schlecht gesichertes Darlehen vergibt.
136
2.5
Staatliche Fördermaßnahmen
2.5.1
Bewilligungsdauer von Fördermaßnahmen
Ein wichtiger Aspekt für Investoren ist neben den schon genannten Fristen für
verschiedene Verwaltungsakte auch die Dauer der Bewilligung von Fördermaßnahmen für Investitionen. Das von den sächsischen Unternehmen abgegebene Urteil spiegelt die schon zuvor dargestellten Befunde über die große Zufriedenheit mit der Behördenlandschaft wider. Nahezu 80 % der Befragungsteilnehmer - auch in den jeweiligen Unternehmensgrößenklassen - bekunden,
dass die Bewilligungsdauer von Fördermaßnahmen aus betrieblicher Sicht voll
akzeptierbar sind (vgl. Abbildung V.8). Diese Zustimmungsquote liegt damit
15 Prozentpunkte über der für die MOE-Vergleichsländer günstigsten Beurteilung durch die in Ungarn ansässigen Unternehmen und um über 30 Prozentpunkte über der aus Polen stammenden schlechtesten Bewertung.
Abbildung V.8
Beurteilung der Bewilligungsdauer von Fördermaßnahmen
- Akzeptanz der Fristen in % -
100
80
78,9
57,4
60
63,8
47,6
40
20
0
Sachsen
Quelle:
Polen
Tschechien
Ungarn
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Der interne MOE-Länder-Vergleich zeigt, dass die Einschätzung „Fristen sind
akzeptabel“ eine Spanne von knapp 50 % in Polen über etwas mehr als 50 % in
Tschechien sowie bis knapp zwei Drittel in Ungarn ausmacht. Keine einheitlichen Ergebnisse zeigen die Unternehmensangaben nach Größenklassen.
Während in Polen nur ein Viertel der kleinsten Unternehmen mit der Bewilli-
137
gungsdauer für Fördermaßnahmen zufrieden sind, sind es in Tschechien und
Ungarn jeweils über 60 %.
2.5.2
Einhaltung von Zusagen
Auch bei der Frage, inwieweit Förderzusagen auch tatsächlich eingehalten
werden, zeigt sich das gleiche Bild: Die in Sachsen ansässigen Unternehmen
stellen den Zuwendungsgebern ein gutes - im Vergleich aller Regionen das
beste - Zeugnis aus, resultierend aus der Tatsache, dass gegebene Zusagen
auch meistens eingehalten werden (vgl. Abbildung V.9).
Abbildung V.9
Beurteilung der Einhaltung der Förderzusagen
- Durchschnittswertea) -
5,0
3,6
4,0
2,9
2,7
Unternehmen in
Tschechien
Unternehmen in
Ungarn
3,0
2,1
2,0
1,0
0,0
Unternehmen in
Sachsen
Unternehmen in
Polen
a) Angegebene Werte sind Mittelw erte aus sechs Antw ortkategorien (immer = 1 bis niemals = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
In Bezug auf die MOE-Länder erfährt die Frage nach der Einhaltung von Förderzusagen tendenziell eine schlechtere Beurteilung als die generelle Frage
nach der Einhaltung behördlicher Zusagen. Während in Polen das Gesamturteil
daraufhin deutet, dass derartige Zusagen nur manchmal eingehalten werden,
sind die Unternehmen in Ungarn und Tschechien der Ansicht, dass dies zumindest oft der Fall ist.
138
Überraschender als die oben genannten Ergebnisse waren die Aussagen der
Mehrzahl der Gesprächspartner, dass sie keine Investitionsfördermaßnahme in
Anspruch genommen haben. Die Zitate hierzu lauten, wie z. B. „habe nicht gewusst, wo Fördermöglichkeit bestehen könnte“ (Polen), „finanzielle Zuschüsse
sind Peanuts“ (Polen) oder „Förderung durch den SZÉCHENYI-Plan ist zu kompliziert, deshalb blieb die Firma bislang erfolglos bei der Suche nach Fördergeldern“ (Ungarn).
Die Problematik der Inanspruchnahme von Fördermitteln in Tschechien schildert ein interviewtes Unternehmen. Zweimal erhielt das Unternehmen eine
50%ige Förderung vom Staat (510.000 €). Trotz der zwischenzeitlich aufgetretenen konjunkturellen Probleme muss die Firma die geförderten Arbeitsplätze
bis 2004 beibehalten, da sonst die Rückzahlung von 10 Mill. Ck (ca. 290.000 €)
erfolgen muss.
2.6
Lebensqualität
Eine bedeutende Rolle spielen bei Standortentscheidungen die sogenannten
„weichen“ Standortfaktoren, vor allem für aus Deutschland zu den ausländischen Niederlassungen entsandtes Personal, welche wichtige Lebensbedingungen des Alltags prägen.
Unter den zumeist zwischen „gut“ und „befriedigend“ ausfallenden Urteilen gibt
es jedoch einige besonders auffallende Einschätzungen (Tabelle V.19). So nähert sich die Beurteilung des Eigentumsschutzes in Polen eher der Aussage
„unbefriedigend“ und die Qualität des öffentlichen Gesundheitswesens wird als
ziemlich „schlecht“ eingestuft. Auch das Angebot an internationalen Schulen in
Polen wird von den deutschen Managern als unbefriedigend angesehen. Was
das kulturelle Angebot betrifft, erhält der Standort Ungarn die Bestnote.
Insbesondere bei der Bewertung der „weichen“ Standortfaktoren seitens der in
Sachsen ansässigen Unternehmen ist zu vermuten, dass die Antwortenden als
Benchmark bei den einzelnen Variablen die jeweilige Situation in Westdeutschland vor Augen hatten und vor dem Hintergrund des Anspruches, gleiche Bedingungen auch am Standort Sachsen realisiert zu sehen, ihr Urteil fällten. Insgesamt schneidet Sachsen im Vergleich zu der Beurteilung der einzelnen Faktoren an den Standorten in den drei MOE-Ländern hervorragend ab - in
139
der Rangfolge des Abstandes zur Bestnote in einem MOE-Land - beim Schutz
des Eigentums vor Diebstahl, der Qualität des öffentlichen Gesundheitswesens
und der Qualität der Umwelt. Bei der Mehrzahl der Faktoren liegen die Einschätzungen für die jeweilige Situation in Sachsen und in Ungarn auf einem
vergleichbaren Level. Demgegenüber fällt die Bewertung einzelner Faktoren in
Tschechien teilweise nur gering ab, während sie in Polen fast durchgängig
deutlich schlechter ausfällt.
Tabelle V.19
Beurteilung verschiedener Faktoren der Lebensqualität
- Durchschnittswertea) Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
Schutz für die persönliche Sicherheit
2,4
3,1
2,6
2,2
Schutz des Eigentums gegen Diebstahl
2,9
3,8
3,6
3,3
Qualität des öffentlichen Gesundheitswesens
2,8
4,8
3,3
3,9
Qualität des privaten Gesundheitswesens
2,5
3,1
2,8
2,5
Möglichkeiten zur sportlichen Freizeitgestaltung
2,8
3,3
2,6
2,6
Qualität der Umwelt
2,7
3,5
3,0
3,1
Angebot an internationalen Schulen
3,5
4,1
3,4
2,8
kulturelles Angebot
2,4
3,0
2,7
2,1
a) Angegebene Werte sind Mittelwerte aus sechs Antwortkategorien (sehr gut = 1 bis sehr schlecht = 6).
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Einige bemerkenswerte Ergebnisse zeigt die Beurteilung dieser Standortfaktoren für Sachen, wenn allein diejenigen Unternehmen betrachtet werden, die
eine ausländische Unternehmensleitung haben. Fast durchgehend ergibt sich
dann eine um mindestens 1/10-Note bessere Bewertung im Vergleich zu allen
Antwortenden. Am deutlichsten sind die Unterschiede bei „Möglichkeiten zur
sportlichen Freizeitgestaltung“, wobei das ausländische Management hier die
Note 2,3 vergibt im Vergleich zur Benotung durch alle Befragten mit dem
Wert 2,8. Ähnlich bei dem Faktor „kulturelles Angebot“, wo sich ein Unterschied
zwischen 2,0 durch die Gruppe mit ausländischer Unternehmensleitung zu 2,4
durch alle Unternehmen ergibt. Es gibt jedoch auch den umgekehrten Fall: Bei
der Einschätzung des „Angebots an internationalen Schulen“ vergeben die von
ausländischem Personal geleiteten Unternehmen mit 3,8 eine etwas schlechtere Zensur als die Gesamtheit der Meldenden mit 3,5. Generell indizieren diese
Befunde, dass der Standort Sachsen bei ausländischen Unternehmensvertretern ein gutes Image genießt.
140
2.7
Beurteilung der Standortwahl
Das Fazit aus den Einzelurteilen der befragten Unternehmen über die an ihrem
jeweiligen Standort vorzufindenden Rahmenbedingungen ergibt sich aus den
Antworten auf die Frage „ob die getroffene Standortwahl heute nochmals so
getroffen würde“.
Die Angaben in Tabelle V.20 zeigen, dass nahezu alle in Ungarn ansässigen
Unternehmen diese Frage bejahen, während in Tschechien und Polen um die
90 % der Unternehmen die gleiche Wahl noch einmal treffen würden. Auch die
in Sachsen befragten Unternehmen würden nahezu komplett den gleichen
Standort noch einmal beziehen.
Tabelle V.20
Beurteilung der Standortwahl
Entscheidung würde nochmals so getroffen seitens der Unternehmen in
Angaben in %
Sachsen
95,3
Polen
88,9
Tschechien
91,7
Ungarn
96,3
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Die Gründe für eine erneute Wahl des Standortes sind vielfältig (vgl. Tabelle V.21). In Polen ansässige Unternehmen nennen als Hauptgrund den mit rund
40 Mill. Einwohnern interessanten polnischen Binnenmarkt, gefolgt von der als
günstig eingeschätzten Lage des gewählten Standorts (z. B. Nähe zur Grenze
oder Zentrallage in Europa). Eine im Hinblick auf die Geschäftstätigkeit vorteilhafte Gesamtsituation - allgemein als „günstige Rahmenbedingungen“ bezeichnet - sieht rund jedes fünfte antwortende Unternehmen. Niedrige Arbeitskosten
sowie hohe Motivation und Flexibilität der Mitarbeiter werden dagegen nur in
geringem Umfang explizit genannt. Ebenfalls werden eine gute Zusammenarbeit mit der Administration und das Erreichen der Unternehmensziele eher
spärlich attestiert. Allerdings gab knapp ein Drittel der in Polen befragten Unternehmen keine Erläuterungen, was für eine Wiederholung der Standortwahl ausschlaggebend gewesen wäre.
141
Jedes fünfte in Tschechien ansässige Unternehmen verweist auf die günstige
Standortlage, insbesondere zur Grenze, was in den meisten Fällen gleichbedeutend mit einer günstigen Entfernung zur Muttergesellschaft ist. Daneben
spielen Flexibilität und Qualität der Arbeitskräfte sowie niedrige Arbeitskosten
nicht die herausragende Rolle. Auch der Faktor „Absatzmarkt“ ist kein schlagendes Argument für eine erneute Standortwahl. Allerdings liegen die viele
Faktoren abdeckenden Sammelposten „günstige Gesamtsituation“ und „Erreichung der Unternehmensziele“ zusammen genommen über dem Wert für Polen. Auch in Tschechien machten über zwei Drittel der Unternehmen keine näheren Angaben, weshalb sie die gleich Standortwahl nochmals treffen würden.
Tabelle V.21
Gründe für eine Wiederholung der Standortwahl
- Angaben in % Entscheidung würde nochmals so getroffen seitens der Unternehmen wegena)
- günstiger Standortlage
- interessantem Absatzmarkt
- niedrigen Arbeitskosten
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
25,0
22,6
20,4
12,5
2,3
32,3
8,6
6,3
4,5
6,5
11,8
11,3
15,9
9,7
12,9
8,8
- guter Zusammenarbeit mit den Behörden
6,8
6,5
-
2,5
- Fördermöglichkeiten
9,1
-
-
-
13,6
19,4
15,1
6,3
2,3
3,2
11,8
25,0
52,3
32,3
35,9
36,2
- Motivation/Flexibilität der Arbeitskräfte
- günstiger Gesamtsituation
- Erreichung der Unternehmensziele
ohne nähere Angabe von Gründen
a) Mehrfachnennungen möglich.
Quelle:
ifo Institut, Unternehmensbefragung 2001/2002.
Die Aussagen jedes vierten Unternehmens in Ungarn, das zur Standortfrage
antwortete, lassen sich unter der Rubrik „Erreichung der Unternehmensziele“
subsumieren. Der sehr niedrige Wert für den zweiten Sammelposten „günstige
Gesamtsituation“ lässt erkennen, dass die Trennschärfe zwischen diesen beiden Kategorien nicht immer gegeben ist. Nur jedes achte beurteilt den gewählten Standort von der Lage her als günstig. Niedrige Arbeitskosten als ausschlaggebender Faktor rangieren noch vor der Qualität der Arbeitskräfte und
den Chancen, die der ungarische Markt bietet. Über ein Drittel der an der Befragung teilnehmenden Unternehmen machte keine Angaben über die Gründe,
die eine nochmalige Wahl des Standorts wahrscheinlich erscheinen lassen.
142
Im Hinblick auf die Angaben der in Sachsen ansässigen Unternehmen gibt es
im Vergleich zu den Unternehmen mit Standort in den MOE-Ländern einige
bemerkenswerte Unterschiede. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nur
knapp über die Hälfte der sächsischen Unternehmen eine Begründung abgaben, fällt die starke Betonung der Verfügbarkeit motivierter und flexibler Arbeitskräfte auf. Ebenso wird noch deutlicher als in den MOE-Ländern dem Standort
Sachsen eine günstige Lage bescheinigt, allerdings vor dem Hintergrund, dass
die Region nicht unbedingt der bevorzugte Absatzmarkt für die dort produzierten Güter ist. Anders als vielleicht erwartet, wird das Vorhandensein niedriger
Arbeitskosten nur von wenigen Unternehmen explizit erwähnt, ist aber auch im
Zusammenhang der Aussage jedes siebten Antwortenden zu sehen, dass für
den Betrieb eine günstige Gesamtsituation am Standort Sachsen gegeben ist.
Eine spezifische Antwortkategorie, die bei den Nennungen der deutschen Unternehmen aus Mittel- und Osteuropa nicht vorkommt, stellt die Herausstreichung günstiger Fördermöglichkeiten als Standortfaktor dar, wobei sich auch
die gute Zusammenarbeit mit Behörden noch etwas günstiger darstellt als an
anderen Standorten.
Hinsichtlich der Gründe von Unternehmen, die den jetzt eingenommenen
Standort nicht noch einmal wählen würden, lassen sich aufgrund der spärlichen
und unterschiedlichen Angaben keine Schwerpunkte erkennen. In Polen ist ein
Unternehmensstandort durch seine Lage an der Oder vom Hochwasser bedroht, ein anderes Unternehmen meldete, dass durch die zwischenzeitlich veränderte Investitionsplanung der Mutterfirma der heutige Standort nicht mehr
zum Zuge kommen würde.
In Tschechien nennen immerhin vier von sieben Unternehmen die entsprechende Gründe: Fachkräftemangel, aber auch Probleme mit dem vorhandenen
Personal (z. B. fehlende Motivation, wenig Teamfähigkeit u. a.). Auch die Aussage, dass die Tschechische Republik als Markt zu klein ist, findet sich unter
den Angaben.
Unter den vier in Ungarn ansässigen Firmen, die ihre Standortentscheidung
revidieren würden, gipfelt die Aussage eines Antwortenden über seine derzeitige Situation in der Feststellung „Investorenunfreundlich“, bedingt durch die das
Arbeitsrecht betreffende Gesetzgebung sowie die rasante Lohnentwicklung.
143
Auch unter den sächsischen Unternehmen fanden sich zwei ablehnende Meinungen bezüglich einer erneuten Standortwahl in diesem Bundesland. Während
dies ein Befragungsteilnehmer an den sich nunmehr über 12 Jahre hinziehenden Vertragsauseinandersetzungen mit der Treuhandgesellschaft und der jetzigen Nachfolgeorganisation festmacht, attestiert der Geschäftsführer eines U.S.amerikanischen Tochterunternehmens dem Standort Deutschland - nicht spezifisch dem Standort Sachsen - ein allgemein nicht unternehmerfreundliches politisches Umfeld. Aus beiden Fällen lassen sich natürlich keine verallgemeinerungsfähigen Schlussfolgerungen ziehen.
2.8
Zusammenfassung
Die Analyse der Umfrage bei Tochterunternehmen deutscher Investoren in den
drei mittel- und osteuropäischen Ländern hat ergeben, dass diese ihren derzeitigen Standort in Polen, Tschechien oder Ungarn durchweg als gut beurteilen.
Würde aus allen Angaben ein Länderranking konstruiert, so würde in der Reihenfolge der Benotung Ungarn Platz 1 einnehmen, gefolgt von Tschechien und
Polen würde das Schlusslicht bilden.
Auch wenn unterstellt werden kann, dass die Beantwortung der Fragebogen
i. d. R. durch das deutsche oder deutschsprechende Management der Unternehmen vorgenommen wurde, und die Führungskräfte sich ungern selbst ein
schlechtes Zeugnis ausstellen möchten, liegen die meisten Ergebnisse doch in
schon aus dem Literaturstudium ermittelten plausiblen Bereichen.11 Der Fragebogen bot an mehreren Stellen die Möglichkeit, Defizite, Missstände oder
Probleme zu thematisieren. Dass dies nur in verschwindend geringem Umfang
geschah, ist zusammen mit der über 90 %-Rate derjenigen Melder, die den jetzigen Standort bei einer erneuten Standortwahl noch einmal präferieren würden, ein weiteres Indiz dafür, dass das positive Gesamtbild in der Realität existiert.
Ein Vergleich mit den Befragungsergebnissen bei den in Sachsen ansässigen
Tochterunternehmen deutscher und ausländischer Investoren ergibt in den allermeisten Fällen eine sehr positive Beurteilung der investitionsrelevanten
11
Siehe hierzu auch die in den laufenden Länderberichten des F.A.Z.Instituts enthaltenen Umfrageergebnisse der jeweiligen Auslands-IHK, die ähnliche Bewertungen widerspiegeln.
144
Rahmenbedingungen in diesem Bundesland. Besonders hervorstechende Positionen in dieser Positivliste betreffen dabei die Beurteilung der Mitarbeiter,
insbesondere hinsichtlich deren Qualifikation und Motivation, die in hohem Maße genutzte FuE-Infrastruktur sowie die Unterstützung durch einen äußerst
kompetenten und hilfreichen Behördenapparat, der insbesondere im Hinblick
auf die betrieblichen Belangen voll entsprechenden Bearbeitungszeiten und
Einhaltungsquoten bei Investitionsfördermaßnahmen gelobt wird.
Dass nahezu alle Unternehmen die erneute Standortwahl nochmals zu Gunsten
Sachsens treffen würden, ist aus der Gesamtbeurteilung der Rahmenbedingungen heraus nicht verwunderlich.
145
VI.
Modellrechnung zur Förderpolitik: Steuervergünstigungen versus
Investitionszuschüsse und -zulagen
Die Anreizsysteme, die in Polen, Tschechien und Ungarn eingesetzt werden,
um ausländische Investoren zu attrahieren, unterscheiden sich fundamental von
dem in Sachsen praktizierten System. Während in Sachsen die Investoren im
Rahmen der Regional- und Ostförderung Investitionszuschüsse erhalten, setzen die genannten zentraleuropäischen Länder in erster Linie auf Steuervergünstigungen für Investoren. Ein Vergleich der Förderwirkung dieser unterschiedlichen Anreizsysteme ist nicht ohne Weiteres möglich. Im Folgenden wird
zunächst ein Ansatz für den Vergleich und ein Modell12 für die Abbildung der
Förderwirkungen entwickelt. Das Rechensystem berücksichtigt die unterschiedlichen Produktions- und Absatzbedingungen der Länder. Im nächsten Abschnitt
wird das Modell angewandt und untersucht, welche Vorteile für den Investor die
bestehende Förderkulisse der verschiedenen Länder in einem realistischen
Spektrum für die wirtschaftlichen Bedingungen des Investitionsprojekts bietet.
Dabei werden auch Abstufungen in den Fördersystemen berücksichtigt. Diese
ergeben sich aus speziellen Anreizen für bestimmte Regionen, für bestimmte
Unternehmensgrößen oder Industriebereiche. Ein dritter Teil fasst die Ergebnisse zusammen und zieht Folgerungen zur Attraktivität Sachsens für industrielle
Investoren im Vergleich zu den drei Ländern.
1.
Zum Untersuchungsansatz
Der Untersuchungsansatz basiert auf dem bekannten Konzept zur Bestimmung
des Gegenwartswerts einer Investition. Betrachtet wird eine Betriebsgründung
oder -übernahme unter alternativen Fördersystemen aus dem Blickwinkel des
Eigentümers. Die alternativen Fördersysteme werden entsprechend der konkreten Förderbedingungen in den verschiedenen Ländern ausgestaltet. Ausgegangen wird bei der Modellbetrachtung von einer Anfangsinvestition in Höhe
von 15 Mill. €. Dies ist eine Größenordnung, welche auch von mittelständischen
Unternehmen geschultert werden kann. Alternativ wird ein Projekt mit Anfangsinvestitionen von 40 Mill. € untersucht.
12
Nachfolgend als FUP-Modell (FUP = Fördersysteme bei Unterschieden in den Produktionsbedingungen) bezeichnet.
146
Um die Vergleiche durchführen zu können, wurde ein Rechensystem aufgebaut. Bevor auf seine Elemente sowie seine Möglichkeiten und Grenzen eingegangen wird, muss kurz das Konzept des Gegenwartswertes einer Investition
erläutert werden.
1.1
Zum Konzept des Gegenwartswertes einer Investition
Der Gegenwartswert einer Investition ist definiert als der auf den Ausgangszeitpunkt abdiskontierte Saldo aller Einnahmen und Ausgaben, die in Zukunft aus
der Investition resultieren. Der zu einem Zeitpunkt zu erwartende Verkaufswert
des Engagements kann als Bestandteil des Einnahmestroms behandelt werden. Aus Gründen der Transparenz wird im Folgenden der Verkaufswert ausgekoppelt und, wiederum abdiskontiert, separat addiert. Von diesem Gesamtbetrag wird der Wert des eingesetzten Kapitals abgezogen. Formelmäßig ist der
Gegenwartswert folgender Maßen bestimmt:
(1)
τ
 ( E − At )
Wτ
NPV0 = ∑  t
+
t
(1 + d )τ
t =1  (1 + d )

 − K 0

t
= Jahr, t = 1,2, 3,4,... τ
τ
= Endjahr der Betrachtung (10 oder 20 Jahre möglich)
∑
= Summieren von t =1 bis t = τ
NPV = Gegenwartswert des Engagements
E-A = erwarteter Saldo aus den laufenden Betriebseinnahmen und -ausgaben
pro Jahr (Ausgaben ohne Kapitalverzinsung)
d
= kalkulatorischer Zinssatz
W
K
= Wert des Betriebsvermögens in τ
= Kapitaleinsatz
Nur wenn der Gegenwartswert positiv ist, lohnt sich die Durchführung des Investitionsvorhabens. Je höher er ist, um so vorteilhafter ist das Engagement.
Diese Tatsache wird auch für den Vergleich der alternativen Fördersysteme
genutzt. Je nach Ausgestaltung der Fördersysteme fallen die zu erwartenden
Einnahme- und Ausgabeströme unterschiedlich aus und können deshalb selbst
bei völlig gleichen ökonomischen Kennzahlen des Projekts zu unterschiedlich
hohen Gegenwartswerten führen.
147
Die volle Wirkung von Fördersystemen kommt jedoch nur zum Ausdruck, wenn
der Gegenwartswert einer Investition vom Standpunkt des Eigentümers aus betrachtet wird. Nur auf diesem Weg lassen sich alle Förderwirkungen von steuerlichen Regelungen einbeziehen. Der Gegenwartswert für den Eigentümer leitet
sich natürlich wiederum aus der Differenz der Einnahme- und Ausgabeströme
ab. Zu berücksichtigen ist außer den bereits erwähnten Größen aber noch die
Finanzierung der Ausgangsinvestition. Je nach Höhe von Investitionszuschüssen muss der Eigentümer in unterschiedlichem Umfang Eigen- und Fremdkapital einsetzen. Der Umfang an eingesetztem Fremdkapital bestimmt wiederum
die Höhe der Zinsbelastung aus dem Engagement. Zu beachten ist außerdem,
dass die in Höhe der Abschreibungen anfallenden Kapitalrückflüsse bis zum
Zeitpunkt der Ersatzinvestitionen zinsbringend am Kapitalmarkt angelegt werden können. Formal ist deshalb der Gegenwartswert für den Eigentümer noch
um die anfallenden Zinseinnahmen und -ausgaben zu ergänzen und um diverse
Investitionszuschüsse und -zulagen zu erhöhen.
(2)
τ
 ( E + ZE t − At − ZAt )
Wτ
NPVE 0 = ∑  t
+
t
(1 + d )
(1 + d )τ
t =1 

 − K 0 + ZU 0

NPVE = Gegenwartswert für den Eigentümer
ZE
= Zinserträge aus der vorübergehenden Anlage von Betriebskapital am
Kapitalmarkt
ZA
= Ausgaben für Fremdkapitalverzinsung
ZU
= staatlicher Investitionszuschuss bzw. Wert der Zulage
Der folgende Abschnitt beschreibt, welche Einflussfaktoren, die auf die Einnahme- und Ausgabenströme sowie auf die Verkaufswerte wirken, in dem Rechenmodell berücksichtigt wurden.
1.2
Grundstruktur des Modells
Das Rechensystem berücksichtigt zum einen die Produktionsbedingungen des
aufzubauenden Betriebes. Zum anderen bildet es die wesentlichen Elemente
des Fördersystems der zu vergleichenden Länder ab.
148
1.2.1
Erfassung von Produktionsbedingungen und des ökonomischen
Rahmens
Die Produktionsbedingungen schlagen sich in der Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze, im Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz und in den Vorleistungsstrukturen
nieder. Um aus dem Arbeits- und Kapitaleinsatz die Wertschöpfung zu Faktorkosten bestimmen zu können, muss sowohl der Preis des Faktors Arbeit (Entlohnung) als auch der Kapitalnutzungspreis festgelegt werden. Der Lohn, der
auf den Arbeitsplätzen zu zahlen ist, wird anhand des Bruttoarbeitseinkommens
im Jahr pro Beschäftigten bestimmt und enthält alle Lohnnebenkosten. Der Kapitalnutzungspreis hängt bei rein wirtschaftlicher Betrachtung von der Nutzungsdauer der Produktionsanlagen ab, welche die ökonomische Abschreibungsrate
determiniert, und von der geforderten Mindestrendite für das eingesetzte Kapital. Diese wird durch die Verzinsung am Kapitalmarkt und den Risikozuschlag
für eine Sachinvestition gegenüber einer Finanzanlage bestimmt.
Aus der Wertschöpfung zu Faktorkosten und den festgelegten Vorleistungsstrukturen lässt sich dann der Bedarf an Materialien, Hilfs- und Betriebsstoffen
sowie an Dienstleistungen Dritter bestimmen. Unter Berücksichtigung der Belastung der Produktion mit indirekten Steuern (abzüglich Subventionen) errechnet sich der mit der Investition pro Jahr erzeugte Bruttoproduktionswert. Es wird
davon ausgegangen, dass die erzeugte Menge auf dem EU-Markt abgesetzt
wird. Über die wirtschaftliche Nutzungsdauer von Gebäuden und Maschinen
lassen sich aus den Daten auch die Abschreibungen ermitteln. Aus den wenigen Ausgangsdaten lässt sich damit eine vollständige Gewinn- und Verlustrechnung (G&V) für das Engagement in jedem Jahr ableiten. Das System erlaubt dabei, auf die G&V jeden Jahres Einfluss zunehmen. Es kann damit die
Wirkung von Gewinnschwankungen oder von Anlaufverlusten aus dem Engagement auf das Ergebnis des Vergleichs der Fördersysteme untersucht werden.
1.2.2
Anbindung des Fördersystems
Aus der jährlichen Gewinn- und Verlustrechnung lassen sich die jährlichen Einnahme- und Ausgabeströme ermitteln, die zur Berechnung des Gegenwartswertes des Engagements benötigt werden. Insbesondere kann daraus die
Steuerbasis für die Ermittlung der zu zahlenden Gewinnsteuern abgeleitet werden. Dabei werden die in den einzelnen Ländern gültigen steuerlichen Abschreibungsbedingungen für Bauten und bewegliche Wirtschaftsgüter herange-
149
zogen. Berücksichtigt werden insbesondere bestehende Optionen zur degressiven Abschreibung und gewährte Möglichkeiten zu Sonderabschreibungen. Auf
die Steuerbasis wirkt auch – je nach Anteil der Fremdfinanzierung - die Höhe
der zu zahlenden Fremdkapitalzinsen sowie der Umfang eventueller Zinseinnahmen, welche aus der Anlage von vorübergehend nicht im Betrieb benötigtem Kapital am Kapitalmarkt resultieren. Über den Gewinnsteuersatz lässt sich
dann aus der Gewinnsteuerbasis ermitteln, welcher Ausgabenstrom pro Jahr
durch die Betriebsgründung an den Staat in Form von Gewinn- bzw. Körperschaftsteuern fließt. Je nach Ausgestaltung des Abgabensystems in den betrachteten Ländern ist dieser Strom selbst bei gleichem ökonomischen Gewinn
unterschiedlich stark.
1.2.3
Einbeziehung der übrigen Einflussgrößen auf den Gegenwartswert
Für die Bestimmung des Gegenwartswertes müssen über die jährlichen Einnahme- und Ausgabenströme hinaus noch einige Größen festgelegt werden
(vgl. Gleichung (2)). Der Diskontierungsfaktor wird als abhängig vom allgemeinen Kapitalmarktzins, ergänzt um einen Risikozuschlag für das Engagement in
Sachanlagen, betrachtet. Der Risikozuschlag ist frei wählbar. Kapitalmarktzins
plus Risikozuschlag wurden auch als Näherungswert für die zu zahlenden
Fremdkapitalzinsen herangezogen. Der Kapitalmarktzins bestimmt auch die
Höhe der Erlöse pro Kapitaleinheit aus dem vorübergehend im Betrieb nicht
benötigten Kapital.
Zu bestimmen ist auch der Verkaufswert des Engagements nach Ablauf von
10 bzw. 20 Jahren. Hierbei wird von allen Wertänderungen abstrahiert, die aus
Entwicklungen resultieren, die außerhalb der Einflusssphäre des Betriebs liegen. Angenommen wird, dass der Wert von Grundstücken und Posten des
Umlaufvermögens konstant bleibt und dass der Werteverzehr bei Gebäuden
und beweglichen Wirtschaftsgütern exakt dem Verzehr entspricht, der sich aus
der wirtschaftlichen Nutzungsdauer ergibt. Nicht berücksichtigt werden damit
inflationsbedingte Wertänderungen oder, anders ausgedrückt, es wird angenommen, dass Unterschiede in der Preisentwicklung über die Wechselkursbewegungen ausgeglichen werden, sodass die Wertrelationen im internationalen
Vergleich nicht beeinflusst werden. Unterschiede im Inflationsklima wirken sich
dann nicht auf das Ergebnis des internationalen Vergleichs aus.
150
Die Finanzierungsstruktur des Engagements wird modellendogen bestimmt.
Wichtige Einflussvariablen sind dabei die Höhe der gewährten Zuschüsse bzw.
Zulagen und etwaige Mindestvoraussetzungen für den über Eigenkapital zu
finanzierenden Anteil. Das aufzunehmende Fremdkapital wird dann aus der gesamten Investitionssumme und den Daten zum Eigenkapitalbedarf sowie den
Investitionszuschüssen errechnet.
1.3
Verdichtung der Vielzahl von Fördermaßnahmen zu Förderstufen
Die Bemühungen, einen Aufholprozess bei Arbeitsplätzen und Produktivität in
den neuen Ländern in Gang zu setzen, haben in Sachsen zu einem außerordentlich vielfältigen und differenzierten Fördersystem für den Aufbau von Betrieben geführt. Auch in Polen, Tschechien und Ungarn ist trotz des geringeren
finanziellen Spielraums dieser Länder das Förderinstrumentarium über Steuervergünstigungen hinaus um diverse Regelungen für Investitionszuschüsse oder
am Faktor Arbeit anknüpfende Zuschussregelungen ergänzt worden. Angesichts dieser Fördervielfalt stellt sich das Problem, wie die Maßnahmen gebündelt werden können, damit die Zahl der Vergleichsrechnungen überschaubar
bleibt.
Viele Fördermaßnahmen können nur bei einer Investition in einer benachteiligten Region in Anspruch genommen werden. Andere knüpfen an der Unternehmensgröße an und fördern häufig speziell Gründer und KMU. Häufig werden
auch nur bestimmte Industriebereiche (Zukunftsindustrien, „High-Value added“Industrien) begünstigt. Angesichts dieses Sachverhalts bietet es sich an, diese
Förderkriterien auch für die Strukturierung der Fördersysteme zu nutzen. Für
jedes Land werden die Maßnahmen zur Investitionsförderung so gruppiert, dass
das Bündel an Fördermaßnahmen
a) normalerweise von allen Unternehmen in Anspruch genommen werden
kann (weniger begünstigte Region);
b) alle Unternehmen in Anspruch nehmen können, die in einer bestimmten
(in der Regel rückständigen) Region investieren (begünstigte Region);
c) nur bestimmte Unternehmenstypen bzw. Industriebereiche bei einer Investition in einer rückständigen Region wahrnehmen können (extreme Begünstigung).
151
Welche Regelungen konkret gebündelt worden sind, zeigt Tabelle VI.1. Hinzuweisen ist darauf, dass bei den Fördermaßnahmen in den verschiedenen Förderstufen stets davon ausgegangen wurde, dass die obere Grenze der Fördermöglichkeiten ausgeschöpft werden kann. Tatsächlich besteht in allen Vergleichsregionen in der Regel kein Rechtsanspruch auf den Höchstsatz. Wie
hoch die Förderung tatsächlich ausfällt, ist Gegenstand von Einzelfallentscheidungen. Bei der Auswahl der Fördermaßnahmen wurde darauf geachtet, dass
nicht nur Einzelfälle, sondern eine größere Zahl von Projekten für die Förderung
in Frage kommen. Tatsächlich hat die Förderkulisse in den verschiedenen Ländern noch weit mehr Facetten.
1.4
Möglichkeiten und Grenzen des Systems
Das aufgebaute Modell ist relativ flexibel. Es kann unterschiedliche Produktionsbedingungen berücksichtigen und gestattet auch eine Differenzierung der
Produktionsfunktion nach Ländern. Insbesondere kann die Wirkung von Lohnunterschieden zwischen den Ländern berücksichtigt werden. Auch beim Kapitalnutzungspreis, der angesichts globalisierter Kapitalmärkte grundsätzlich für
alle Länder gleich angesetzt wird, könnten unterschiedliche Länderrisiken über
unterschiedliche Risikozuschläge berücksichtigt werden. Die Kapitalintensität
kann regional unterschiedlich sein und damit unterschiedliche Faktorpreisrelationen berücksichtigen. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass nur Teile
des Kapitaleinsatzes durch vermehrten Arbeitseinsatz substituierbar sind. Neben den länderspezifischen Unterschieden im Fördersystem kann das Modell
also auch Unterschiede in den Produktions- und Absatzbedingungen in den
Vergleichsländern differenziert abbilden.
Trotz der dargestellten Komplexität und Anpassungsfähigkeit des Modells bleibt
es eine vereinfachende Betrachtung. Die steuerlichen Rahmenbedingungen
werden nur in den Grobstrukturen erfasst. So wird z. B. bei den Abschreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschaftsgüter nur auf Maschinen und nicht das
gesamte Ausrüstungsgüterbündel abgestellt. Bei der Bestimmung der Steuerzahlungen des Eigentümers aus dem Engagement bleiben die Regelungen für
die Berücksichtigung von Risiken (Rückstellungsmöglichkeiten) sowie Möglichkeiten zum Verlustvor- oder -rücktrag ausgespart. Unberücksichtigt bleiben
auch steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten im Konzernverbund.
152
Tabelle VI.1
Bündelung der Investitionsfördermaßnahmen und wichtiger steuerlicher
Rahmenbedingungen zu Förderstufen
Land
Sachsen
Polen
Tschechien
Ungarn
Fall A
Fall B
Fall C
Weniger begünstigte
Region a)
Bauten 33 Jahre ND,
lineare AfA,
Maschinen 10 Jahre ND,
degressive AfA;
Gewinnsteuersatz: 35 %
Investitionszuschuss von
28 % (bei Investitionen in
Dresden oder Leipzig
20 %).
Bauten 40 Jahre ND,
lineare AfA,
Maschinen 10 Jahre ND,
lineare AfA;
Gewinnsteuersatz: 22 %.
Bauten 30 Jahre ND,
lineare AfA,
Maschinen 10 Jahre ND,
degressive AfA;
Gewinnsteuersatz: 31 %
Befreiung von Gewinnsteuern für 10 Jahre.
Bauten 50 Jahre ND,
lineare AfA,
Maschinen, lineare AfA
binnen 3 Jahren;
Gewinnsteuersatz: 18 %
50 %ige Steuerbefreiung
für erste 5 Jahre.
Begünstigte Region
Extreme Begünstigung
Wie Fall A, aber Investitionszuschuss von 35 %.
Wie Fall B, aber Ausschöpfung aller sonstigen Fördermaßnahmen
bis zu 50% des Investitionsvolumens (nur für
Investoren aus dem
KMU-Bereich erreichbar).
Abschreibungsbedingungen wie Fall A,
Befreiung von Gewinnsteuern für 10 Jahre
Wie begünstigte Region,
zusätzlich 50 %ige
Steuerbefreiung für restlichen Zeitraum.
Wie Fall A, dazu: Zuschüsse für die Schaffung von Jobs und zu
Schulungsmaßnahmen in
Regionen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit.
Steuer wie Fall A
Steuerbefreiung von
100 % für 10 Jahre falls
Investition von 3 Mrd. Ft.
Wie Fall A und Investitionszuschuss: 50 % bis
max. 200 Mill. Ck
Steuerbefreiung und
Zuschüsse müssen unter 50% des Investitionsvolumens bleiben.
Wie Fall B und Zuschuss
ohne Rückzahlungspflicht für "high value
added" Industrien von
35 % (max. 100 Mill. Ft
als Höchstgrenze bzw.
200 Mill. Ft falls Investition 3 Mrd. Ft übersteigt).
a) in Polen, Tschechien und Ungarn gelten die dargestellten Regelungen landesweit.
Anm.: AfA = Abschreibungen für Anlagen. - ND = Nutzungsdauer.
Quelle:
BFAI, Botschaft Republik Polen, HUNGARIAN INVESTMENT AND TRADE DEVELOPMENT
AGENCY (ITDH), CZECHINVEST, Zusammenstellung des ifo Instituts.
Auf die stark vereinfachten Annahmen bezüglich der Wertentwicklung wurde
bereits hingewiesen. Unterschiede in den Risiken im wirtschaftlichen Umfeld
bleiben ausgespart, könnten aber über Variationen beim Risikozuschlag berücksichtigt werden. Trotz aller Differenzierung in der Erfassung der Förderkulisse und aller Komplexität reflektieren die Ergebnisse nur eine stark typisierende und vereinfachende Modellrechnung.
153
2.
Ergebnisse der Anwendung des Systems
Das Rechensystem bildet die Realität insofern ab, dass der Gegenwartswert
einer Investition immer vom Zusammenspiel zwischen den rein wirtschaftlichen
Gegebenheiten des Engagements und den Wirkungen der Förderkulisse bestimmt wird. Damit hängt aber auch die Vorteilhaftigkeit alternativer Systeme
zur Investitionsförderung davon ab, von welchen wirtschaftlichen Kennzahlen
ausgegangen wird. Die Ergebnisse eines internationalen Vergleichs der Wirkung unterschiedlicher Fördersysteme wären nur dann unzweideutig, wenn gleiche wirtschaftliche Ergebnisse einer Betriebsgründung/-übernahme unabhängig
vom Standort vorausgesetzt werden könnten. Genau dies wäre aber eine unrealistische Annahme, da das Motiv für eine Investition in den MOE-Ländern häufig gerade der Vorteil deutlich niedrigerer Löhne ist. Bevor Aussagen über die
Vorteilhaftigkeit der bestehenden Förderkulissen in den Vergleichsländern gemacht werden können, müssen deshalb die Zusammenhänge mit den wirtschaftlichen Randbedingungen transparent gemacht und „realistische“ wirtschaftliche Konstellationen für ein Engagement in jedem der Vergleichsländer
eingegrenzt werden.
2.1
Einfluss der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf den
Gegenwartswert
Die Löhne (inklusive aller Lohnnebenkosten) liegen nach OECD-Angaben in
Polen, Tschechien und Ungarn – zu Wechselkursen gerechnet – im Durchschnitt des privaten Sektors bei 20-30 % des deutschen Niveaus. Selbst wenn
berücksichtigt wird, dass ausländische Investoren regelmäßig Löhne zahlen
(müssen), die deutlich über dem Landesdurchschnitt sind und das Lohnniveau
in Sachsen um 25-30 % unter dem deutschen Durchschnitt liegt, bleibt noch ein
Vorteil von 30-60 % bei den Löhnen dieser Länder. Unter sonst gleichen Bedingungen hinsichtlich Produktion und Absatz wäre damit die ökonomische Rendite (vor Steuern, Fördermaßnahmen und bei Abschreibungen entsprechend
dem wirtschaftlichen Werteverzehr) in diesen Ländern um 12-14 Prozentpunkte
höher als in Sachsen.
Die Frage ist allerdings, ob die Annahme realistisch ist, dass die Produktionskosten in den MOE-Ländern um den vollen Lohnkostenvorteil niedriger sind als
in Sachsen und außerdem die gleichen Produktionsmengen zu gleichen Prei-
154
sen abgesetzt werden können. Zwar lässt sich ein Betrieb mit gleicher Technik
und Organisation der Produktion in allen Ländern des Vergleichs realisieren. Da
sich aber das Umfeld des Betriebs unterscheidet, können bei einer Produktion
in Polen, Tschechien und Ungarn andere Kostenkomponenten als die Arbeitskosten höher liegen als in Sachsen. Die weniger gut ausgebaute Verkehrs- und
Kommunikationsinfrastruktur13 dürfte höhere Transport- und Vermarktungskosten als in Sachsen bedingen. Defizite im Finanzierungssystem und in der
Durchsetzung des Konkursrechts in den MOE-Ländern beinhalten ein höheres
Risiko von Forderungsausfällen oder bedingen höhere Versicherungskosten.
Bestehende Unterschiede in der Qualität der staatlichen Dienste14 (Ausbildungs-, Gesundheitswesen) und der Leistungsfähigkeit, Effizienz und Verlässlichkeit der staatlichen Verwaltung schlagen sich ebenfalls in Mehrkosten für die
Überwindung bürokratischer Hemmnisse im Vergleich zu Sachsen nieder.
Eine offene Frage ist auch, ob bei einer Produktion in den MOE-Ländern die
gleichen Preise auf dem EU-Markt erzielt werden können wie in einem Ursprungsland Sachsen bzw. Deutschland. Vieles spricht dafür, dass der Investor
den Kostenvorteil mit dem Abnehmer teilen und ihn über niedrigere Preise zum
Teil an die Kunden weitergeben muss. In diese Richtung deuten auch die im internationalen Vergleich wesentlich niedrigeren Produktivitätskennziffern der Industrie in den MOE-Staaten.
Bei gleicher Produktionstechnik und -organisation wie in Sachsen liegt damit die
tatsächliche Rendite einer Investition in Polen, Tschechien oder Ungarn zwischen dem Grenzwert, der sich ergibt, wenn der Lohnkostenvorteil voll beim Eigentümer des Betriebs verbleibt und dem Grenzwert, bei dem der Lohnkostenvorteil voll durch höhere Kosten bei anderen Komponenten oder durch niedrigere Absatzpreise aufgezehrt wird. Wird der Lohnkostenvorteil in eine Relation
zum Umsatz umgerechnet, so liegt der Malus, der den Vorteil niedriger Löhne
vollständig ausgleicht, zwischen ca. 6 und 12 % von dem Umsatz, der bei einer
Investition in Sachsen erzielt worden wäre.
Abbildung VI.1 zeigt, wie sich der Gegenwartswert einer Investition in den betrachteten MOE-Ländern in Abhängigkeit von der Höhe dieses Malus ändert.
Dabei wird in einer Variante unterstellt, dass das Lohnniveau in den MOE13
14
Vgl. Abschnitt IV.5.3.
Vgl. Abschnitte IV.6 und IV.7.
155
Ländern bei 40 % des sächsischen Niveaus liegt. In der zweiten Variante (70 %
Lohnniveau) beträgt der Vorsprung dagegen nur 30 %. Bei der Berechnung
wird von einem 20 Jahre dauernden Engagement und von den länderspezifischen Investitionsbedingungen ausgegangen, die jedem Investor normalerweise zur Verfügung stehen (weniger begünstigte Region).
Abbildung VI.1
Einfluss von Annahmen über die ökonomischen Rahmenbedingungen
auf das Vergleichsergebnis
Gegenwartswert in 1.000
Euro
Gegenwartswert einer Investition ohne spezifische Förderung (weniger
begünstigte Region ) bei alternativem Lohnkostenvorsprung und
unterschiedlichen Produktions- und Absatzbedingungen
30.000
25.000
Sachsen
20.000
Polen (40%)
15.000
Tschechien
(40%)
Ungarn (40%)
10.000
5.000
Polen (70%)
0
Tschechien
-5.000
-10.000
12%
11%
10%
9%
8%
7%
6%
5%
4%
3%
2%
1%
Malus* in % vom Umsatz bei Produktion in MOE-Ländern
Quelle:
Berechnungen des ifo Instituts (FUP-Modell).
Es zeigt sich, dass im Fall des oberen Grenzwertes für den Lohnkostenvorteil
der MOE-Länder, es bis zu einem Malus von 7-9 % günstiger wäre, in Polen,
Tschechien oder Ungarn zu investieren als in Sachsen. Mit sinkendem Lohnkostenvorteil wird der Malus kleiner, der ausreicht, um eine Investition in Sachsen vorteilhafter zu machen. Dies sind alle Fälle, die unter der waagrechten
Linie des Gegenwartswertes Sachsens und über der Gerade der Vergleichsländer liegen. Wenn der Lohnkostenvorsprung nur 30 % (Lohnkostenrelation 70 %)
beträgt – dies kann als Untergrenze aufgefasst werden -, ist die Investition in
Polen, Tschechien und Ungarn nur dann vorteilhafter, wenn der Nachteil durch
höhere Kosten bei anderen Komponenten bzw. Erlösminderungen aufgrund
niedrigerer Preise weniger als 3 % des Umsatzes beträgt. Bei einem Malus von
156
mehr als 10 % wäre der Gegenwartswert der Investition negativ, die Betriebsgründung würde sich in MOE- Ländern nicht lohnen.
Für die weiteren Berechnungen wird mit einem relativen Lohnniveau von 55 %
für die betrachteten MOE- Länder, also einem Lohnkostenvorteil von 45 % gegenüber Sachsen gerechnet. Dieser Wert liegt in der Mitte zwischen den beiden
dargestellten Grenzwerten. Beim Malus wird mit 10 % von einem Wert in der
unteren Hälfte des plausiblen Spektrums ausgegangen. Die beobachteten Unterschiede in der Arbeitsproduktivität15 ließen Maluswerte in dreifacher Höhe zu.
2.2
Einfluss der Anpassung des Faktoreinsatzverhältnisses an die
abweichenden Faktorpreisrelationen
Ein Lohnkostenvorteil in den MOE-Ländern würde an sich auch ein anderes
Einsatzverhältnis zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital nach
sich ziehen als in Sachsen. Tendenziell wäre der Einsatz von mehr Arbeit und
weniger Kapital kostengünstiger. Die Frage ist allerdings, in welchem Umfang
Kapitaldienstleistungen in der industriellen Produktion substituierbar sind. Nicht
selten wird die These vertreten (vgl. OECD 1983 u. 1998, FAGERBERG 2002),
dass u. a. aus Gründen der Qualitätssicherung der Erzeugnisse die Produktionstechnik gleich sein muss, egal ob in Hochlohn- oder Niedriglohn-Ländern
produziert wird. Dagegen lässt sich einwenden, dass dieses Argument zwar für
das eigentliche Herstellungsverfahren zutrifft, nicht aber auf periphere Funktionen, die zur Herstellung und zum Absatz der Produkte notwendig sind. So kann
z. B. der innerbetriebliche Transport oder die Endverpackung vollautomatisiert
oder von Hand erfolgen. Es können weniger Dienstleistungen (z. B. Reinigungsund Wartungsdienste) fremdbezogen werden. Eine realistische Position ist deshalb, dass weder vollständige Komplementarität noch komplette Substituierbarkeit zwischen Kapital und Arbeit besteht, sondern zumindest zum Teil Kapitaldienste (z. B. Dienste eines Roboters) durch den Mehreinsatz von Arbeit ersetzt
werden können. Die Frage ist, wie sich dies auf die relative Vorteilhaftigkeit der
Investitionsfördersysteme der Vergleichsländer auswirkt. In Abbildung VI.2 ist
hierzu die Entwicklung des Gegenwartswerts bei wachsendem Anteil der substituierbaren Kapitaldienste dargestellt. Dabei wurde wiederum von den für alle
15
Vgl. hierzu Abschnitt IV.1.4.
157
Unternehmen geltenden Investitionsbedingungen in den Vergleichsländern ausgegangen. Die Berechnungen basieren auf den Standardannahmen hinsichtlich
Lohnniveau (MOE = 55 % von Sachsen) und Ausgleichsfaktor für höhere andere Kosten und/oder Erlösminderung bei einer MOE-Produktion (MOE-Malus =
10 %).
Wie die Abbildung VI.2 zeigt, lohnt es sich, bei einer Investition in den MOELändern nach Alternativen zu suchen, statt Kapital in der Produktion vermehrt
Arbeit einzusetzen. Der Gegenwartswert der Investition steigt deutlich an, wenn
im Vergleich zu Sachsen arbeitsintensiver produziert werden kann.
Abbildung VI.2
Einfluss der Möglichkeit, in den MOE-Ländern arbeitsintensivere
Produktionsverfahren anzuwenden, auf das Vergleichsergebnis
Gegenwartswert in 1.000 Euro
Gegenwartswert einer Investition ohne spezifische Förderung (weniger
begünstigte Region) bei alternativen Annahmen zur Substituierbarkeit
von Kapital durch Arbeit in den MOE-Ländern
12.000
10.000
Sachsen
Polen (-1,5)
8.000
Tschechien (-1,5)
Ungarn (-1,5)
6.000
Polen (-1)
4.000
Tschechien (-1)
Ungarn (-1)
2.000
0
0%
5%
10%
15%
20%
25%
Anteil der Kapitaldienste in %, die in den
MOE-Ländern durch Arbeit ersetzbar
Quelle:
Berechnungen des ifo Instituts (FUP-Modell).
Der Neigungswinkel wird dabei von der Höhe der Substitutionselastizität bestimmt, die angibt, wie viel mehr Arbeit prozentual eingesetzt werden muss, um
ein Prozent der Kapitaldienste zu substituieren. Bei einer Substitutionselastizität
von -1 wäre eine Investition in Tschechien bei sonst gleichen Bedingungen
dann bereits vorteilhafter als in Sachsen, wenn mehr als 30 % der Kapital-
158
dienste durch vermehrten Einsatz der billigen Arbeitskräfte ersetzbar wären.
Wenn es relativ mehr Arbeit erfordert, um den Kapitaleinsatz zu reduzieren,
wird dieser Punkt erst bei deutlich höherem Anteil substituierbarer Kapitaldienste erreicht.
Wie erwähnt, kann nur in Randfunktionen des Produktionsprozesses arbeitsintensiver produziert werden. Die Annahme, dass in den MOE-Ländern 15 % der
in Sachsen benötigten Kapitaldienste durch Mehreinsatz von Arbeitskräften ersetzt werden kann, erscheint damit realistisch. Bei den weiteren Berechnungen
wird von diesem Anteilswert und einer Substitutionselastizität von –1 ausgegangen. Auch die Standardannahmen hinsichtlich Lohnkostenvorteil und Produktionsmalus der MOE-Länder werden weiter verwendet. Die Frage ist nun,
wie sich die Einbeziehung der speziellen Förderungsmaßnahmen in den verschiedenen Ländern in die Betrachtung auswirkt.
2.3
Einfluss der speziellen Investitionsfördermaßnahmen
In den bisherigen Berechnungen wurden die Investitionsbedingungen verglichen, die allen Unternehmen unabhängig vom konkreten Standort, der Unternehmensgröße und/oder dem Produktionsprogramm zustehen. Die Förderkulisse in den verschiedenen Länder kann jedoch nur vollständig abgebildet werden,
wenn die speziellen Fördermaßnahmen in bestimmten (zurückgebliebenen)
Regionen und die an der Unternehmensgröße bzw. an der Industrie anknüpfenden Fördermaßnahmen (vgl. hierzu Tabelle VI.1) in die Betrachtung einbezogen werden. Im Folgenden wird deshalb für das Investitionsobjekt in der
Größenordnung von 15 Mill. €, unter den herausgearbeiteten plausiblen Werten
für die ökonomischen Rahmenbedingungen (Lohnkostenvorteil gegenüber
Sachsen von 45 %, MOE-Malus von 10 %, 15 % des in Sachsen eingesetzten
Kapitals durch höheren Arbeitseinsatz substituierbar) der Gegenwartswert unter
Nutzung der spezifischen Fördermaßnahmen in den verschiedenen Ländern
berechnet. In Abbildung VI.3 werden die Ergebnisse für die in Tabelle VI.1 erläuterten Förderstufen zusammengestellt.
Wie Abbildung VI.3 zeigt, verspricht unter den dargestellten wirtschaftlichen
Randbedingungen eine Betriebsgründung in Sachsen für alle Alternativen einen
Gegenwartswert, der über den erzielbaren Gegenwartswerten in Polen, Tschechien und Ungarn liegt. Die Förderkulisse in Tschechien bietet zum Teil nur we-
159
nig schwächere Investitionsanreize als Sachsen. Ungarn folgt an dritter Stelle.
Bei einer Investition in eine unterentwickelte Region eröffnet allerdings Ungarn
mit seiner Steuerbefreiung auf zehn Jahre und seinem niedrigen Gewinnsteuersatz in den Folgejahren bessere Rahmenbedingungen als Tschechien. Polen
mit seinem größeren Markt bietet Investoren bei allen Varianten weniger finanzielle Anreize als die Vergleichsländer. Bei den für alle Unternehmen, unabhängig vom konkreten Ort der Investition, geltenden Förderbedingungen läge der
Gegenwartswert der Investition in Polen bereits mehr als ein Viertel niedriger
als in Sachsen.
Abbildung VI.3
Vergleich unter Einbeziehung aller Stufen der Investitionsförderung
Gegenwartswert der zu erwartenden Erträge nach Steuern für den Eigentümer aus einer
Betriebsgründung in modernen Industrien mit Anfangsinvestitionen von rd. 15 Mill. Euro
15
bei alternativen Standorten und Förderbedingungen
16.000
Gegenwartswert in 1.000 Euro
14.474
14.000
12.000
10.000
10.960
Weniger begünstigte Regionen
begünstigte Regionen
extreme Begünstigung
12.476
9.607
9.284
8.819
7.621
8.000
7.898
7.242
7.807
6.493
6.000
5.287
4.000
2.000
0
Sachsen
Quelle:
Polen
Tschechien
Ungarn
Berechnungen des ifo Instituts (FUP-Modell).
Der Gegenwartswert einer Betriebsgründung unter bestmöglichen Förderbedingungen (extreme Begünstigung) lässt sich in Tschechien in der Region Nordböhmen, also an der tschechisch-sächsischen Grenze erzielen. Die hohe Förderwirkung ergibt sich aus der Kombination von Steuerbefreiung und dem nach
oben begrenzten Investitionszuschuss, der bei einer Investition in dieser Region
gewährt werden kann. Damit kommt die Förderung im konkreten Fall nahe an
die, von der EU gesetzte Fördergrenze von 50 % des Investitionsvolumens.
Zwar wäre die Betriebsgründung auf der anderen Seite der Grenze unter den
160
Investitionsbedingungen in Sachsen noch etwas lohnender (vgl. Abbildung VI.3)
Die Voraussetzungen für die maximale Förderung können jedoch nur Investoren aus dem mittelständischen Bereich erfüllen. In Tschechien besteht allerdings auch keine Garantie, dass der Investitionszuschuss in maximaler Höhe
gewährt wird. Ob und in welcher Höhe Investitionsmittel fließen, ist Verhandlungssache. In der Vergangenheit bestanden zum Teil kurze Fristen für die Antragsstellung. Für 2001 war z. B. die Deadline Januar.
2.4
Einfluss niedrigerer Gewinne in den ersten Betriebsjahren
Typischerweise ist bei einer Betriebsgründung die Gewinnhöhe trotz gleicher
Produktions- und Absatzbedingungen nicht in allen Jahren gleich. Besonders in
den Anfangsjahren muss mit zusätzlichen Anlaufkosten bzw. Anlaufverlusten
gerechnet werden. Diese hängen damit zusammen, dass die mögliche Effizienz
des Betriebes erst über "Learning by doing"-Prozesse erreicht werden kann.
Tabelle VI.2 zeigt, wie sich dieser Fall auf die Höhe der Gegenwartswerte auswirkt. Bei der Berechnung wurde unterstellt, dass in den ersten beiden Jahren
kein Gewinn vor Zinsen und Steuern entsteht und erst nach fünf Jahren das
höchstmögliche Effizienzniveau erreicht wird. Die Tabelle zeigt nicht nur die Gegenwartswerte des betrachteten Standard-Investitionsprojekts in den verschiedenen Ländern für die verschiedenen Förderstufen, sondern auch die Abweichungen vom Fall ohne Anlaufverluste, der in Abbildung VI.3 dargestellt ist.
Tabelle VI.2
Einfluss von Anlaufkosten auf das Vergleichsergebnis
Länder\Förderstufe
Sachsen
Abweichung* in %
Polen
Abweichung* in %
Tschechien
Abweichung* in %
Ungarn
Abweichung* in %
Gegenwartswert in 1.000 Euro der Investition im Fall der
Weniger
begünstigte
extreme
begünstigte Region
Regionen
Begünstigung
7.853
9.529
13.043
-15
-13
-10
3.812
5.639
5.917
-28
-26
-25
5.260
5.825
11.108
-27
-25
-11
4.689
6.838
7.625
-28
-22
-21
* vom Fall ohne höhere Kosten in den ersten Betriebsjahren.
Quelle:
Berechnungen des ifo Instituts (FUP-Modell).
161
Wegen des niedrigen Gesamtgewinns in den betrachteten 20 Jahren des Betriebs sind die Gegenwartswerte in allen Ländern niedriger als im Fall ohne Anlaufverluste. Stärker betroffen sind hiervon allerdings die Länder, die auf eine
Investitionsförderung über Steuerbefreiung abstellen. Wenn die Gewinne in den
ersten Jahren niedriger sind, fällt auch die Förderwirkung der Steuerbefreiung
geringer aus. Der Anstieg von Gewinn und ersparten Steuern in den Folgejahren wirkt sich wegen der Abdiskontierung spürbar gedämpft auf den Gegenwartswert der Betriebsgründung aus. Eine Investition in Sachsen ist davon weniger betroffen, weil hier der Investitionsanreiz aus dem Zuschuss resultiert, der
am Anfang des Projekts gewährt wird.
Dieser Zusammenhang wird bestätigt, wenn die Effekte von Anlaufverlusten in
den anderen Ländern im Fall der extremen Begünstigung verglichen werden.
Hier verschlechtert sich die Position der tschechischen Standorte wegen der
bestehenden Zuschussregelung am wenigsten. Festzuhalten ist damit, dass
sich unter der realistischen Annahme von niedrigeren Gewinnen in der Anlaufphase des neuen Betriebes der Vorteil verstärkt, den Sachsen den Investoren
mit seiner Förderkulisse bietet.
2.5
Einfluss der Größe des Investitionsobjekts
Bisher wurden alle Vergleichsrechnungen für ein Investitionsprojekt in der Größenordnung von 15 Mill. € durchgeführt. Es bleibt damit zu klären, wie sich die
Größe der Investition auf das Vergleichsergebnis auswirkt. Deshalb wird zum
Abschluss untersucht, welche Gegenwartswerte sich unter der Förderkulisse
der verschiedenen Länder für ein Investitionsobjekt mit Anfangsinvestitionen in
Höhe von 40 Mill. € und 180 neu geschaffenen Arbeitsplätzen ergeben. Dies
wäre ein Objekt, für das formal auch noch die KMU-Förderung in Sachsen in
Anspruch genommen werden könnte. In der Regel kommt jedoch der Investor
für so ein großes Objekt nicht aus dem KMU-Bereich.
Bei den ökonomischen Rahmenbedingungen wurde vom Standardfall (Lohnkostenvorteil gegenüber Sachsen von 45 %, MOE Malus von 10 %, 15 % des in
Sachsen eingesetzten Kapitals durch höheren Arbeitseinsatz substituierbar)
und vom realistischen Fall höherer Anlaufkosten ausgegangen. Das Ergebnis
ist in Abbildung VI.4 dargestellt.
162
Abbildung VI.4
Gegenwartswerte bei einem größeren Investitionsobjekt
Gegenwartswert der zu erwartenden Erträge nach Steuern für den Eigentümer aus einer
Betriebsgründung in modernen Industrien mit Anfangsinvestitionen von rd. 40 Mill. Euro
40
bei alternativen Standorten und Förderbedingungen
30.000
27.691
Gegenwartswert in 1.000 Euro
Weniger begünstigte Regionen
begünstigte Regionen
25.000
extreme Begünstigung
20.000
15.000
18.112
14.374
13.642
10.000
5.101
5.000
6.736
5.696
4.400
7.523
5.417
2.955
1.062
0
Sachsen
Quelle:
Polen
Tschechien
Ungarn
Berechnungen des ifo Instituts (FUP-Modell).
Auch für das größere Projekt wäre eine Investition in Sachsen am vorteilhaftesten. Falls allerdings die KMU-Förderung nicht in Anspruch genommen werden könnte, wäre die Investition jenseits der Grenze, in Nordböhmen, am günstigsten, vorausgesetzt der Investitionszuschuss wird tatsächlich in voller Höhe
gewährt. Der Vorteil Sachsens ist bei allen Förderstufen im Fall der größeren
Investition ausgeprägter. Dies verdeutlicht Tabelle VI.3, welche die Gegenwartswerte, die in Polen, Tschechien und Ungarn erzielt würden, auf den Gegenwartswert einer Realisierung des Projektes in Sachsen bezieht.
Auf jeder Förderstufe ist die Differenz im Gegenwartswert zugunsten Sachsens
bei dem 40 Mill. €-Projekt relativ größer als beim 15 Mill. €-Projekt. Dieses Ergebnis erklärt sich zum einen daraus, dass in den Vergleichsländern in der Regel die gewährten Investitionszuschüsse noch oben begrenzt sind. Die Förderwirkung reduziert sich deshalb bei wachsender Größe des Objekts. Zum anderen kommt bei größeren Objekten, die typischerweise auch kapitalintensiver
163
sind16, der Lohnkostenvorteil der zentraleuropäischen Länder weniger zum Tragen. Da der Gewinn relativ niedrigerer ausfällt, ist auch die Förderwirkung einer
Gewinnsteuerbefreiung geringer als beim kleinen Objekt. Wegen dieser Zusammenhänge wächst der Vorteil der Förderkulisse Sachsens mit zunehmender
Objektgröße.
Tabelle VI.3
Vergleich der Förderwirkung bei Investitionsobjekten unterschiedlicher Größe
Förderstufe
Investitionsobjekt\
Land
Polen
Tschechien
Ungarn
Quelle:
3.
Relation zum in Sachsen erzielbaren Gegenwartswert
(Sachsen =100)
Weniger
Begünstigte
Extreme
begünstigte Region
Region
Begünstigung
15 Mill. € 40 Mill. € 15 Mill. €
40 Mill. € 15 Mill. €
40 Mill. €
49
67
60
8
32
22
77
78
90
59
61
72
45
85
58
21
52
27
Berechnungen des ifo Instituts (FUP- Modell).
Zusammenfassung
Ob ein Standort Vorteile bietet, hängt sowohl von seiner Förderkulisse als auch
von den wirtschaftlichen Daten des Investitionsobjekts ab. Unbedingte Aussagen über die Vorteilhaftigkeit von Fördersystemen wären nur dann möglich,
wenn die wirtschaftlichen Perspektiven des neu gegründeten Betriebes in den
Vergleichsländern exakt gleich wären. Da ein Betrieb in Sachsen ein anderes
Umfeld als in Polen, Tschechien und Ungarn vorfindet, ist diese Konstellation in
der Praxis nicht anzutreffen. Deshalb wurde ein Modell entwickelt, das sowohl
die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als auch die Förderkulisse in den
Vergleichsländern differenziert abbildet.
Unter realistischen Annahmen hinsichtlich des Lohnkostenvorteils der MOELänder und hinsichtlich ihrer Nachteile bei anderen Kostenkomponenten ist das
auf Zuschüssen basierende Investitionsfördersystem von Sachsen für den In-
16
Bei den Berechnungen wurde beim größeren Projekt von Investitionen von etwa 220.000 €
pro Beschäftigten und beim kleineren Projekt von 150.000 € pro Beschäftigten ausgegangen.
164
vestor vorteilhafter als die Förderkulisse in den MOE-Ländern, die in erster Linie
auf Anreize über Steuervergünstigungen abstellt. Dies trifft auch zu, wenn die in
allen Ländern gewährten stärkeren finanziellen Anreize für rückständige Regionen und bestimmte Unternehmenstypen oder Industriesparten in die Betrachtung einbezogen werden. Zum Teil ist jedoch der Abstand zu Tschechien gering.
Der Vorteil Sachsens wächst, wenn berücksichtigt wird, dass bei Betriebsgründungen normalerweise Anlaufkosten entstehen und erst nach einigen Jahren
über „learning by doing“ das Gewinnpotenzial des Engagements voll auszuschöpfen ist. Wenn ein Investor ein großes und kapitalintensives Projekt realisieren will, so lohnt die Investition in Sachsen in der Regel noch mehr als bei
einem kleineren Investitionsvorhaben. Beides hängt mit den spezifischen Förderwirkungen von Zuschüssen auf der einen und von Steuererleichterungen auf
der anderen Seite zusammen.
165
VII.
Zusammenfassung der Untersuchung
Im ersten Teil wurde die Standortqualität der vier Länder ausführlich beschrieben. Um herauszufinden welchen Stellenwert die einzelnen Faktoren haben,
genügt es nicht, nur den Zufluss an Direktinvestitionen zu untersuchen, weil dieser seit dem Beginn der Transformation statistisch eng mit den Erlösen aus Privatisierungen korreliert ist. Mit dem bevorstehenden Abschluss der Privatisierung gewinnen zunehmend andere Standortfaktoren an Gewicht. Die Bedeutung des engen statistischen Zusammenhangs zwischen Direktinvestitionen
und Privatisierung konnte natürlich nicht in der Umfrage berücksichtigt werden.
Inzwischen ist bekannt, dass nicht nur das Tempo der Privatisierung für hohe
Wachstumsraten des BSP und auch für hohe Zugänge an Direktinvestitionen
entscheidend sind, sondern auch wie der für eine Marktwirtschaft erforderliche
ordnungspolitische Rahmen institutionalisiert wird. Von zentraler Bedeutung
sind politische Stabilität, Vertragsfreiheit, Rechtssicherheit und die Durchsetzung von Gläubigerrechten. Ihre Existenz bestimmt im Kontext mit der Wirtschaftspolitik, dass ausländische Investoren genügend Investitionsanreize finden. Markt- und fortschrittsfeindliche Institutionen, eine fehlende Rahmenordnung, die Macht noch gut funktionierender Netzwerke, in welchen ehemalige
einflussreiche Bürokraten und Politiker die Fäden ziehen, lähmen die Wirtschaft
und treiben die Bevölkerung in die Passivität. Gut funktionierende Institutionen
und Gesetze, welche die Rechte des Einzelnen schützen und genügend Transparenz schaffen, motivieren nicht nur die inländischen sondern auch ausländische Unternehmen zur Investition.
Die drei MOE-Länder unterscheiden sich von vielen anderen Transformationsländern dadurch, dass sie so schnell wie möglich Mitglieder der EU werden
wollen. Dies erweckt bei ausländischen Investoren besonderes Vertrauen. Die
Bereitschaft, die Marktwirtschaft einzuführen, ist um so größer, je mehr ein Volk
bereit ist, Mitglied internationaler Organisationen17 zu werden. Der Beitritt zur
EU impliziert die weitreichendste ordnungspolitische Anpassung. Sie hat ein
Regelwerk für das Zusammenleben von mehreren Nationen entwickelt, welches
die Beitrittskandidaten zwingt, eine funktionsfähige Wirtschaftsordnung zu
schaffen, die dem internationalen Wettbewerb gewachsen ist. Es überrascht
wegen der angestrebten EU-Mitgliedschaft nicht, dass sich die drei MOE17
Z. B. EU, IMF, Weltbank, Europäische Entwicklungsbank, NATO.
166
Länder auf dem Weg zur Marktwirtschaft nur unwesentlich voneinander unterscheiden. Da die drei Länder jedoch über ein unterschiedliches Parteienspektrum verfügen, und die EU-Begeisterung nicht überall gleich ist, bestehen gewisse Unterschiede. So hat sich Ungarn am kompromisslosesten zur EU bekannt und gleich mit der sog. strategischen Privatisierung begonnen. Es ist
nach allen Analysen das Land, welches bei der Transformation zur Marktwirtschaft am weitesten vorangekommen ist. Die Befunde der Literaturanalyse
stimmen hier mit den Ergebnissen der Befragung überein.
Es existiert ein starkes Lohngefälle zwischen Sachsen und den drei MOE-Ländern. Die Ergebnisse der KIENBAUM-Vergütungsstudie über Tschechien und die
Studie von EKES über Ungarn zeigen aber, dass die alleinige Orientierung an
den von den statistischen Ämtern ausgewiesenen Durchschnittslöhnen zu falschen Schlüssen führen kann. Dies hat folgende Gründe:
Wie in allen Entwicklungs- und Schwellenländern bezahlen die ausländischen
Investoren auch in den Beitrittsländern meist wesentlich höhere Löhne als die in
inländischem Besitz befindlichen Firmen. Dies bestätigten auch die Interviews
mit den Unternehmen.
Ungelernte Arbeiter sind in den betrachteten MOE-Ländern sehr viel billiger als
in Sachsen. Mit zunehmender Bildung verringern sich jedoch diese Unterschiede oder verschwinden sogar. Neben der größeren sektoralen Lohnspreizung
sind noch regionale Unterschiede von großer Bedeutung. So sind die Gehälter
in den Ballungszentren relativ hoch. Vielfach sind dort überhaupt keine geeigneten Arbeitskräfte mehr verfügbar. In stark unterentwickelten Gebieten mit
schlechter Infrastruktur und hoher Arbeitslosigkeit besteht dagegen kein genereller Mangel an Arbeitskräften. Deshalb werden ausländische Investitionen
auch um so mehr subventioniert, je größer die Probleme in der betreffenden
Region sind.
Dem Vorteil bei den Löhnen steht jedoch ein ebenso ausgeprägter Rückstand
bei der Arbeitsproduktivität im Durchschnitt aller Unternehmen gegenüber. Im
Vergleich zum Durchschnitt der Unternehmen Sachsens ist der Vorteil bei den
Löhnen kleiner als der Nachteil bei der Arbeitsproduktivität. Die Lohnstückkosten sind die Resultante aus Arbeitskosten und Arbeitsproduktivität. In nationaler
Währung gerechnet, sind die Lohnstückkosten der verarbeitenden Industrie in
Polen, Tschechien und Ungarn seit 1995 weit stärker gestiegen als in Sachsen.
167
Abwertungen von Zloty, Krone und Forint haben dies nicht ausgleichen können.
Auch in einheitlicher Währung gerechnet, hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der
sächsischen Industrie von der Lohnstückkostenentwicklung her gegenüber industriellen Anbietern aus Ungarn, insbesondere aber gegenüber Anbietern aus
Polen und Tschechien verbessert. In einheitlicher Währung gerechnet, sind im
Zeitraum 1995 bis 2001 die Lohnstückkosten der tschechischen verarbeitenden
Industrie pro Jahr um über 9 % stärker gestiegen als die Lohnstückkosten der
sächsischen Industrie.
Eine schwer kalkulierbare Größe für Kosten und Exportchancen sind Währungsturbulenzen, die wegen der Tendenz einer Aufwertung der jeweiligen
Landeswährung bei aufholendem Wirtschaftswachstum vorprogrammiert sind.
Dies gilt insbesondere für kleine Länder mit großem Exportsektor. Für die
Wechselkursbildung sind nur die handelbaren Güter entscheidend. Da der Export der drei MOE-Länder zum größten Teil von internationalen Unternehmen
stammt und der Außenhandelssektor wegen des schärferen internationalen
Wettbewerbs ein rascheres Produktivitätswachstum aufweist, tendiert die Währung zu einer realen Aufwertung (sog. SAMUELSON-BALASSA-Effekt). In Erwartung einer solchen Aufwertung können Wechselkursbewegungen noch durch
internationale Kapitalbewegungen verstärkt werden. Das heißt, dass die Preise
und die Löhne in Euro gerechnet massiv steigen können. Manche Kalkulation
kann sich so nach einigen Jahren als Irrtum erweisen.
Bei den arbeitsorganisatorischen Randbedingungen sind die Unterschiede zwischen Sachsen und seinen drei konkurrierenden Ländern nicht sehr groß. Allerdings muss hier betont werden, dass Sachsen immer am günstigsten abschneidet, gleichgültig ob es sich um die Beurteilung von Hilfsarbeitern, Facharbeitern oder um die Qualifikation des mittleren Management handelt. Wer in
Sachsen mit einer Berufsgruppe unzufrieden ist, wird auch in den drei MOELänder keine besseren Verhältnisse vorfinden.
Einer der größten Vorteile Sachsens besteht in dem dualen Schulsystem. Bis
zum 18. Lebensjahr bzw. bis zum Abschluss der ersten Berufsausbildung, ist
der Besuch der Berufschule laut Gesetz Pflicht, es sei denn, jemand besucht
eine weiterführende allgemeinbildende Schule. Viele Länder beneiden Deutschland um das duale Schulsystem mit seiner überbetrieblichen Ausbildung. In
Deutschland ist deshalb die Jugendarbeitslosigkeit seit vielen Jahrzehnten unter allen OECD-Ländern am geringsten. Mehrere Staaten des ehemaligen
168
COMECON (Council for Mutual Economic Assistance) führen deshalb das deutsche Berufschulwesen mit deutscher Hilfe ein.
Die Investoren in den MOE-Ländern sind mit ihrem Standort zufrieden. Über
90 % sagen, dass sie, falls sie noch einmal entscheiden müssten, wieder den
ausgewählten Standort wählen würden. Vergleicht man die Ergebnisse der Befragung zwischen den in Sachsen ansässigen Tochterunternehmen deutscher
oder ausländischer Investoren, erhält man in fast allen Fällen eine sehr positive
Beurteilung. Hier würden sogar 96 % der Investoren diesen Standort erneut
wählen. Besonders hervorstechend in Sachsen ist die hohe Qualifikation der
Mitarbeiter sowie die FuE-Infrastruktur, welche sich in den drei MOE-Ländern
erst noch in der Restrukturierung befindet.
Die Erblast der Planwirtschaft in den drei MOE-Ländern, wie Umweltverschmutzung, ein unterentwickelter Immobilienmarkt und insbesondere eine schlechte
Transportinfrastruktur, werden trotz der zahlreichen EU-Beihilfen noch viele
Jahre anhalten. Das gleiche gilt auch für das Gesundheitswesen, welches westliche Führungskräfte lieber meiden. Auch das Bildungswesen an den Universitäten entspricht trotz aller Anstrengungen noch nicht westlichen Qualitätsvorstellungen.
Während die Behörden in Sachsen in der Befragung durchweg gelobt und als
kooperativ und hilfsbereit beurteilt werden, wird es in den anderen drei Ländern
noch eine Weile dauern, bis aus schwerfälligen Bürokraten Dienstleister werden. Nach dem Ergebnis der Literaturanalyse haben viele Bürokraten noch einen zu großen unkontrollierten Spielraum, welcher die Korruption stark begünstigt. Auch in den geführten Interviews wurde teilweise offen von mehr oder weniger erzwungenen Zahlungen berichtet. Obwohl Ungarn zweifellos der erste
Platz bei den Transformationserfolgen gebührt, ergaben die Interviews zahlreiche Klagen über Korruption auf der administrativen Ebene – ein Sachverhalt
den auch die Untersuchungen der EBRD bestätigten.
Die insgesamt sehr positive Beurteilung Sachsens heißt natürlich nicht, dass es
keine Defizite gibt. So wird das Angebot an internationalen Schulen als unzureichend beurteilt. Allerdings befinden sich diese Schulen erst im Aufbau.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der die Standortqualität eines Landes bestimmt,
ist seine Förderkulisse. Unbedingte Aussagen über die Vorteilhaftigkeit von
169
Fördersystemen wären nur dann machbar, wenn die wirtschaftlichen Perspektiven des neu gegründeten Betriebes in den Vergleichsländern exakt gleich wären. Da sich das Umfeld eines Betriebes in Sachsen deutlich von dem in Polen,
Tschechien und Ungarn unterscheidet, ist diese Konstellation in der Empirie
nicht anzutreffen. Deshalb wurde ein Modell entwickelt, das sowohl die wirtschaftlichen Randbedingen als auch die Förderkulisse in den Vergleichsländern
differenziert abbildet.
Unter Berücksichtigung des Lohnkostenvorteils der drei MOE-Länder einerseits
und ihrer Nachteile bei anderen Kostenkomponenten andererseits ist das auf
Zuschüssen basierende Investitionsfördersystem von Sachsen für den Investor
vorteilhafter als die Förderkulisse in den MOE-Ländern, die in erster Linie auf
Anreize über Steuervergünstigungen abstellt. Dies trifft auch zu, wenn die in
allen Ländern gewährten stärkeren finanziellen Anreize für rückständige Regionen und bestimmte Unternehmenstypen oder Industriesparten in die Betrachtung einbezogen werden. Zum Teil ist jedoch der Abstand zu Tschechien gering.
Aufgrund der spezifischen Förderwirkungen von Zuschüssen auf der einen und
von Steuererleichterungen auf der anderen Seite lohnt sich in Sachsen ein großes und kapitalintensives Projekt in der Regel noch mehr als ein kleineres Investitionsvorhaben.
170
171
VIII.
Argumente für den Standort Sachsen im Vergleich zu Polen,
Tschechien und Ungarn
1.
Löhne
Ein einfacher Vergleich der Bruttolöhne besagt wenig, da die Produktivität für
die Lohnstückkosten entscheidend ist. Tatsächlich sind in Sachsen die Löhne
25 bis 30 % niedriger als in Westdeutschland. Der Vergleich zwischen den statistischen Durchschnittslöhnen von (West-)Deutschland mit Polen und Tschechien und Ungarn ist irreführend. Die wichtigsten Gründe:
• Der niedrige statistische Durchschnittslohn wird von der nach wie vor großen
Zahl von Arbeitnehmern bestimmt, die in den ehemals staatlichen, bisher
noch wenig modernisierten Betrieben, tätig sind. Diese Arbeitnehmer stehen
zu diesen Bedingungen aber nicht ausländischen Unternehmen zur Verfügung. In Tschechien z. B. liegen die von internationalen Unternehmen bezahlten Löhne ca. 30 % über denjenigen des tschechischen Privatsektors.
• Das deutsche Berufsausbildungssystem besteht aus einer aufeinander abgestimmten Ausbildung in Theorie und Praxis. Es ist Garant für eine hohe
Qualität der Produktion und eine hohe Arbeitsproduktivität. Bis zum 18. Lebensjahr besteht laut Gesetz Berufsschulpflicht. Keines der drei MOE-Länder
verfügt auch nur über ein qualitativ annähernd gleichwertiges System der Berufsausbildung. Erst die internationalen Direktinvestitionen haben allmählich
zum Umdenken geführt. Von der Planung bis zur Realisierung einer leistungsfähigen Berufsausbildung werden aber noch viele Jahre vergehen.
• Die Lohnspreizung nach der Qualifikation ist in allen drei Ländern sehr hoch.
Während niedrig qualifizierte Arbeiter, gemessen an westlichen Verhältnissen, auch sehr niedrige Löhne erhalten, steigen die Gehälter mit zunehmender Qualifikation stark an. Die Vergütung leitender Angestellter nähert sich
rasch westeuropäischem Niveau.
• Seit Beginn der Transformation nimmt die Lohnspreizung nach Angaben der
EBRD in den drei MOE-Ländern drastisch zu. Im Jahre 1989 lag das Gehalt
eines Akademikers in Tschechien ca. 28 % über dem Gehalt eines JuniorAbsolventen einer höheren Schule. Mitte der 90er Jahre betrug die Differenz
172
bereits 72 %. Ganz ähnlich war die Entwicklung in Ungarn, wo das Lohndifferenzial 1996 78 % betrug. Es spricht nach Studien der EBRD einiges dafür,
dass insbesondere "wissensbasiertes Wirtschaftswachstum" der Länder mit
nachholender Entwicklung die Löhne qualifizierter Arbeiter nach oben treibt.
• Löhne und Gehälter unterscheiden sich relativ stark nach Branchen. Bei Finanzdienstleistungen sind sie am höchsten. In Polen liegen sie ca. 50 % und
in Ungarn und Tschechien sogar deutlich über 100 % über dem Durchschnittslohn.
• Da sich bei einem aufholenden Wirtschaftswachstum die Währung gemäß
dem Produktivitätswachstum im Exportsektor real aufwertet (BALASSA-SAMUELSON-Effekt), steigen auch die realen Lohnkosten in den drei MOE-Ländern
(in Euro gerechnet) in der Regel zusätzlich um den Effekt der realen Aufwertung. Zwischen 1995 und 2000 erhöhten sich die realen Wechselkurse
der drei Länder um 20 - 30 %.
• Neben den hier erwähnten Faktoren gibt es noch andere Kostenkomponenten, welche die Produktivität beeinflussen, wie Infrastruktur oder Rechtsordnung (vgl. Argument Punkt 4).
2.
Infrastruktur
Die Infrastrukturausstattung liegt in Polen, Tschechien und Ungarn weit hinter
Sachsen zurück. Dies gilt insbesondere für die Transportinfrastruktur.
• Nach Angaben der EBRD bildet Polen das Schlusslicht, mit großem Abstand
zu Tschechien und Ungarn. Von den ca. 350.000 km Straßen sind 79 % in
schlechtem Zustand, inklusive 264 km Autobahn und 263 km Schnellstraßen.
Nur 1 % aller Straßen entspricht den EU-Anforderungen. Ein Drittel der
Straßen muss dringend repariert werden. Es wird noch einige Jahre dauern,
bis in Polen ein reibungsloser Anschluss an das EU-Autobahnnetz besteht.
• Tschechien und insbesondere Ungarn, haben einige Hauptverkehrsadern mit
Autobahnen modernisiert. Ungarn unternimmt gewaltige Anstrengungen, um
den Osten besser zu erschließen, da sich die mangelhafte Infrastruktur als
173
Bremse für die Investitionen im Osten erwiesen hat und die Ballung neuer
Unternehmen um Budapest zu einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften
geführt hat. Tschechien verfügt, pro-Kopf gerechnet, über das dichteste
Straßennetz der drei MOE-Staaten. Allerdings müssen einige Landstraßen
noch modernisiert werden.
• Generell gilt für alle drei MOE-Staaten: Am schlechtesten ist die Infrastruktur
in den am meisten zurückgebliebenen Regionen.
• Polen verfügt zwar über ein Schienennetz von 22.300 km, davon sind jedoch
nur die Hälfte elektrifiziert und 8.900 km sind nur einspurig. Über die Hälfte
des Schienennetzes muss dringend modernisiert werden. Insgesamt befindet
sich das Eisenbahnwesen in einem sehr desolaten Zustand. Ähnlich sieht die
Situation in Tschechien aus. Zwischen 1990 und 2000 hat die Produktivität
der hochverschuldeten staatlichen Eisenbahngesellschaft stark abgenommen. Einige kleinere Strecken werden jedoch gewinnbringend von privaten
Gesellschaften bedient.
• In allen drei Ländern kann die Verbesserung der Transportinfrastruktur mit
dem rasant zunehmenden LKW-Verkehr nicht Schritt halten. Zudem wird die
Nachfrage nach PKW mit zunehmendem Wirtschaftswachstum überproportional wachsen.
• Der Flugverkehr funktioniert relativ gut. Während Tschechien und Ungarn
jeweils nur über einen einzigen - aber modernen - Flughafen verfügen, gibt
es in Polen zehn, von welchen aber nur der von Warschau gut ausgebaut ist.
Die übrigen Flughäfen befinden sich meist in einem maroden Zustand und
müssen dringend modernisiert werden.
• Polen verfügt als Ostseeanrainer über fünf Häfen. Diese sind jedoch ebenfalls dringend überholungsbedürftig und genügen noch nicht modernen Standards.
• Weder in Polen, Tschechien noch Ungarn gibt es eine moderne gewachsene
industrielle Infrastruktur. In Sachsen existieren allein im Automobilzulieferbereich rund 500 direkte und indirekte Zulieferer in einer hochentwickelten
Netzstruktur. In Polen und Tschechien gibt es zwar einige sehr leistungsfähi-
174
ge Zulieferer, meistens sind es aber Tochterunternehmen deutscher Zulieferer, die punktuell gewisse lohnintensive Produkte herstellen, untereinander
jedoch nicht vernetzt sind. In Ungarn, wo der Privatisierungsprozess weitestgehend abgeschlossen ist, beziehen nach einer Studie des Ungarischen
Wirtschaftsministeriums ausländische Investoren 10 - 20 % ihrer Vorprodukte
aus dem Ausland. Insbesondere bei Greenfield-Investitionen, bei welchen
Produkte hergestellt werden, die zuvor nie im Lande produziert wurden, sind
die Investoren gezwungen, auf ihre ausländischen Zuliefernetze zurückzugreifen.
3.
Rechtssicherheit sowie politische und administrative Risiken
In Ostdeutschland wurden nach der Wende die westdeutschen Gesetze und
administrativen Institutionen kompromisslos und ohne Übergangszeit übernommen. Das gilt auch für den acquis communautaire.
• In Polen und Tschechien gab es keine radikale Umgestaltung der Administration einschließlich der Gerichte. Die Gesetze werden zwar angepasst, um
die EU-Standards zu erreichen, aber wegen der zu geringen Zahl an Juristen
mit Kenntnissen des neuen Rechts, sind Polen und Tschechien stark überfordert. Eine zusätzliche Unsicherheit liegt in den Durchführungsbestimmungen, die nicht, verspätet oder lückenhaft erlassen werden. Die Rechtsunsicherheit ist daher sowohl nach den Buchstaben des Gesetzes als auch hinsichtlich der administrativen Durchsetzung rechtlicher Positionen groß. Nach
Angaben der EBRD hat sich in Tschechien die Durchsetzung vorhandener
Gesetze im Jahr 2000 sogar gegenüber 1999 deutlich verschlechtert - ein
sehr ungewöhnlicher Sachverhalt während des Transformationsprozesses.
• Besondere Intransparenz und Unsicherheiten, vor allem im Hinblick auf die
Haftung und Beleihung, enthält das Immobilienrecht in Polen und in Tschechien.
• Kleinere und größere „nützliche Abgaben“ sind in Polen, Tschechien und
Ungarn üblich und wurden bei den Interviews auch beklagt. Nach den Erhebungen der WELTBANK und der EBRD ist die Situation in Ungarn auf administrativer Ebene am schlechtesten. Die Interviews haben dies bestätigt.
175
• Obwohl der Außenhandel offiziell bei allen drei Ländern einen hohen Liberalisierungsgrad erreicht hat, bestehen noch zahlreiche Probleme wegen unterschiedlicher Rechtsauffassungen zwischen EU-Recht und nationalem
Recht über die technische Abwicklung des Außenhandels. Umständliche
Zollverfahren bei Ein- und Ausfuhr erschweren in allen drei Ländern den ungehinderten Warenverkehr. Sie haben vielfach den Charakter nicht-tarifärer
Handelshemmnisse. Schikanöses Verhalten nachgeordneter Zollstellen ist
verbreitet. Dies wurde besonders in den Interviews immer wieder hervorgehoben. Nachbesserungen oder Umtausch von Fehllieferungen aus dem Ausland können zu wochenlangen Produktionsverzögerungen führen.
• Einige der am Markt operierenden Unternehmen der MOE-Länder sind de
facto pleite, insbesondere in Tschechien, wo inzwischen nach Mahnungen
der EU das zehnte Konkursgesetz erlassen worden ist. De facto finden aber
in Tschechien erst Konkurse seit der Bankenprivatisierung statt. Nach Quellen, die von der Forschungsabteilung der DEUTSCHEN BUNDESBANK zusammengestellt wurden, sind ca. 30 % der tschechischen Betriebe stark überschuldet.
• In Tschechien und Polen fürchten viele Menschen den Ausverkauf ihrer heimischen Wirtschaft an Deutschland. Sie boykottieren oder verzögern deshalb
bewusst viele Entscheidungen. Die Bevölkerung ist gespalten und vorwiegend rechts orientierte Parteien befürchten den Verlust der nationalen Identität ihres Vaterlandes durch EU-Diktate. Trotz des zunehmenden Wohlstands weckt die Tatsache, dass ausländische Unternehmen ständig einen
wachsenden Teil des BSP und des Exports produzieren, bei vielen Kreisen
der Bevölkerung große Ängste. Der Wunsch, der EU beizutreten, ist (Ungarn ausgenommen) in Tschechien und noch mehr in Polen inzwischen deutlich gesunken. Die Einhaltung des Zeitplans für eine EU-Mitgliedschaft ist in
diesen beiden Ländern keineswegs sicher.
• Das primär von den Amerikanern immer wieder betonte Argument, wegen
schwacher Gewerkschaften seien die drei Beitrittsländer gute Investitionsstandorte, verliert zunehmend an Bedeutung. Sowohl EU als auch die INTERNATIONAL LABOUR ORGANISATION (ILO) drängen die Regierungen ganz vehement, die im Weißbuch von 1995 kodifizierten Sozialstandards einzufüh-
176
ren. Diese Sozialstandards gelten als "Minimalstandards", zu denen auch
funktionsfähige Gewerkschaften gehören.
• Es fragt sich, welche Bedeutung dem amerikanischen Schlagwort von „praktisch gewerkschaftsfrei“ zukommt, wenn man bedenkt, dass zwischen 1997
und 1999 in Ungarn und Polen die ILO eine sehr hohe Zahl an verlorenen
Arbeitstagen auf Grund von Streiks und Aussperrrungen konstatiert, während
im gleichen Zeitraum in Sachsen kein Streik stattfand. Die Arbeitnehmer
und Betriebsräte Sachsens sind eher an der Erhaltung ihres Betriebes und
ihres Arbeitsplatzes interessiert. Für Sachsen gibt es zahlreiche Öffnungsklauseln, sodass man kaum von einem „tatsächlichen“ Flächentarifvertrag
sprechen kann – ganz egal, wie man nun „tariforientiert“ definiert.
4.
Förderpolitik
Die Bemühungen, einen Aufholprozess bei Arbeitsplätzen und Produktivität in
den neuen Ländern in Gang zu setzen, haben in Sachsen zu einem außerordentlich vielfältigen und differenzierten Fördersystem für den Aufbau von Betrieben geführt. Auch in Polen, Tschechien und Ungarn ist trotz des geringen
finanziellen Spielraums dieser Länder das Förderinstrumentarium über Steuervergünstigungen hinaus um diverse Regelungen für Investitionszuschüsse oder
am Faktor Arbeit anknüpfende Zuschussregelungen ergänzt worden.
Viele Fördermaßnahmen können nur bei einer Investition in einer benachteiligten Region in Anspruch genommen werden. Gruppiert man die unterschiedlichen Maßnahmen zur Investitionsförderung, erhält man drei Bündel an Fördermaßnahmen, die
a) unabhängig vom Investitionsstandort und der Unternehmensgröße für Investitionen aller Unternehmen (weniger begünstigte Region) gelten,
b) alle Unternehmen in Anspruch nehmen können, die in einer bestimmten (in
der Regel rückständigen) Region investieren (begünstigte Region),
c) nur bestimmte, in der Regel kleine und mittlere Unternehmen bei einer Investition in einer rückständigen Region wahrnehmen können (extreme Begünstigung).
177
Das in Sachsen praktizierte Fördersystem ist in allen oben genannten Fällen
betriebswirtschaftlich gesehen rentabler. Allerdings bietet die Förderkulisse in
Tschechien zum Teil nur wenig schwächere Investitionsanreize als in Sachsen.
Die förderpolitischen Entscheidungen in Sachsen erfolgen schnell. Bei Konflikten mit der EU-Beihilfeaufsicht steht Sachsen immer auf der Seite der Unternehmen.
Die Unternehmen berichten aus Polen, etwas weniger auch aus Tschechien
und Ungarn, dass auf die Förderzusagen der Regierung kein hundertprozentiger Verlass ist. Sollte sich darüber hinaus im Zeitpunkt des EU-Beitritts herausstellen, dass die Förderzusagen nicht EU-konform sind, muss mit nachträglichen Kürzungen gerechnet werden.
5.
Lebensqualität
Die fehlende Rechtssicherheit wirkt sich in Polen und Tschechien auch auf die
Kriminalität aus. Die Kriminalitätsrate ist sehr hoch. Dabei rangiert Polen vor
Tschechien mit Abstand vor Ungarn.
Das öffentliche Gesundheitswesen ist in Polen und Tschechien sehr rückständig. Selbst CZECHINVEST empfiehlt im Krankheitsfall nach Deutschland oder
Österreich zu gehen.
Als weiteres Problem wird das geringe Kulturangebot betrachtet. Was das
Schulwesen anbetrifft, insbesondere die internationalen Schulen, herrscht gemäß den Umfragen unter den Investoren eine gewisse Unzufriedenheit hinsichtlich des Angebots. Allerdings befinden sich die Internationalen Schulen erst
im Aufbau.
Wegen des dichten Verkehraufkommens in den drei Hauptstädten, besteht
dort ein großes Maß an Luftverschmutzung. Am schlimmsten ist es in Warschau, gefolgt von Prag und Budapest. Während Budapest und Prag Ringautobahnen um die Hauptstädte planen, ist Warschau davon noch weit entfernt.
178
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