W. Druml1 M. Kuhlmann2 H. Mann3 W. H. Hörl1 DGEM-Leitlinie Enterale Ernährung: Nephrologie Schlüsselwörter Sondenernährung ´ akutes Nierenversagen ´ chronisches Nierenversagen ´ Dialyse ´ CAPD ´ Mangelernährung Key words Enteral nutrition ´ acute renal failure ´ chronic renal failure ´ dialysis ´ CAPD ´ malnutrition Vorbemerkung tubeª, ¹acute renal failureª, ¹chronic renal failureª, ¹hemodialysis therapyª, ¹peritoneal dialysisª eingesetzt. Die enterale Ernährungstherapie hat bei Patienten mit Nierenversagen nur eine beschränkte Anwendung gefunden. Patienten mit Nierenversagen stellen eine heterogene Gruppe von Kranken dar, bei denen die diätetischen Erfordernisse sehr unterschiedlich sein können. Trotz der ausgeprägten Stoffwechselstörungen, die durch ein Nierenversagen induziert werden, ist die Form der optimalen Ernährungstherapie weiterhin umstritten, so dass sich einheitliche Konzepte nicht in allen Bereichen durchsetzen konnten. Dementsprechend sind bisher nur wenige enterale Diätpraparate, die den spezifischen metabolischen Bedingungen der verschiedenen Gruppen von Patienten mit Nierenversagen entsprechen, entwickelt worden. Auch sind wenige systematische Untersuchungen durchgeführt worden, kontrollierte Studien mit einem akzeptablen Studiendesign liegen nur vereinzelt vor. Eine Analyse nach Kriterien der ¹Evidence-Based Medicineª ist daher für diese Erkrankungsgruppen kaum möglich, die folgenden Empfehlungen sind daher nur als Expertenmeinung (Empfehlungsgrad C) anzusehen. Patienten Patienten mit Nierenversagen stellen eine heterogene Gruppe von Kranken dar, bei denen unterschiedliche ernährungstherapeutische Maûnahmen verfolgt werden müssen und die daher im Folgenden getrennt abgehandelt werden. ± Patienten mit akutem Nierenversagen (ANV), ± Patienten mit chronischem Nierenversagen (CNV), ± Patienten unter Hämodialysetherapie (HD), ± Patienten unter Peritonealdialyse (CAPD). Zielparameter Die meisten der wenigen verfügbaren Studien zur enteralen Ernährung bei Patienten mit Nierenversagen haben lediglich die Machbarkeit (¹feasibilityª) und den Einfluss auf Parameter des Stoffwechsels und des Ernährungsstatus untersucht. Studien mit ¹hartenª Endpunkten, wie z. B. der Krankenhausmortalität liegen nicht vor. Auch gibt es keine guten Vergleichsstudien zwischen verschiedenen Formulierungen unterschiedlicher Trinkund Sondennahrungen. Literaturrecherche Für die Ausarbeitung der Empfehlungen wurden die Schlüsselwörter ¹enteral nutritionª, ¹tube feedingª, ¹nutritionª, ¹feeding 1 Institutsangaben Klin. Abt. Nephrologie und Dialyse, Univ.-Klinik für Innere Medizin III, Allgemeines Krankenhaus Wien 2 Innere Medizin IV, Nephrologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar 3 Praxis für Nephrologie, Aachen Korrespondenzadresse Univ.-Prof. Dr. med. W. Druml ´ Klin. Abteilung Nephrologie und Dialyse ´ Univ.-Klinik für Innere Medizin III ´ Allgemeines Krankenhaus Wien ´ Währinger Gürtel 18 ± 20 ´ 1090 Wien ´ Österreich E-mail: [email protected] Bibliografie Aktuel Ernaehr Med 2003; 28, Supplement 1: S93 ± S102 Georg Thieme Verlag Stuttgart ´ New York ´ ISSN 1434-0275 Nephrologie DGEM Guidelines Enteral Nutrition: Nephrology S93 Die geringe Qualität und Zahl vorliegender Studien zur enteralen Ernährung erlaubt damit auch keine Zusammenfassung der Daten im Sinne einer Metaanalyse. Enterale Ernährung bei Patienten mit akutem Nierenversagen (ANV) Nephrologie: ANV Vorbemerkung Kritisch kranke Patienten mit ANV sind die bei weitem gröûte Gruppe von Patienten mit Nierenversagen, die einer enteralen Ernährungstherapie bedürfen. Ein ANV liegt selten als Monoorganversagen vor, meistens bestehen gleichzeitig zusätzliche Komplikationen (wie schwere Infektionen, Sepsis) oder ein Multiorganversagen. Bei diesen Patienten bildet das ANV damit nur einen Faktor, der die Ernährungstherapie bestimmt (siehe auch Kapitel ¹Intensivmedizinª). Patienten mit CNV oder unter Hämodialyse mit begleitenden Akuterkrankungen, sind metabolisch wie Patienten mit ANV einzuschätzen und ernährungstherapeutisch daher ähnlich zu führen. Die hier für das ANV gemachten Angaben sind daher auch auf diese Patientengruppen anwendbar. Hat das ANV einen für die Ernährungsstherapie relevanten Einfluss auf den Stoffwechsel? S94 Der Stoffwechsel eines Patienten mit ANV wird nicht nur durch die Nierenfunktionsstörung, sondern auch durch die Grundkrankheit, die im Krankheitsverlauf auftretenden Komplikationen und durch zusätzliche Organversagen bestimmt. Dennoch muss beachtet werden, dass das ANV spezifische Einflüsse auf den Stoffwechsel dieser Patienten ausübt. Wichtige ANV-bedingte Stoffwechselveränderungen sind: ± Aktivierung des Proteinkatabolismus vs., ± periphere Insulinresistenz, ± Beeinträchtigung der Lipolyse. Zusätzlich werden Stoffwechsel und Nährstoffbilanz durch die Art und Intensität der extrakorporalen Nierenersatztherapie beeinflusst. Kommentar Der Energiestoffwechsel wird durch die Nierenfunktionsstörung allein nicht wesentlich beeinflusst, sondern eher durch die Grunderkrankung und die begleitenden Komplikationen. Auch im Multiorganversagen liegt der Energieumsatz nur etwa 30 % über dem rechnerisch ermittelten Ruheumsatz (siehe auch Kapitel ¹Intensivmedizinª). Die Stoffwechselveränderungen im ANV sind vorwiegend durch den Proteinkatabolismus charakterisiert. Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren ist verändert, verschiedene nichtessenzielle Aminosäuren, z. B. Tyrosin, können krankheitsbedingt essenziell werden. Auch ist die Utilisation exogen zugeführter Aminosäuren verändert. einerseits durch eine periphere Insulinresistenz verursacht, andererseits kommt es zu einer Aktivierung der hepatischen Glukoneogenese, die im Gegensatz zu Patienten mit CNV und Gesunden durch eine exogene Nährstoffzufuhr nicht unterdrückt werden kann (obligat negative Stickstoffbilanz). Störungen des Fettstoffwechsels sind durch eine Hypertriglyzeridämie charakterisiert, die auf eine Hemmung der Lipolyse zurückzuführen ist. Dadurch ist die Fettklärung nach alimentärer (enteraler oder parenteraler) Zufuhr verzögert. Auch beim ANV ist die Aktivierung von Vitamin D3 gestört, so dass ein sekundärer Hyperparathyreoidismus auftreten kann [1]. Die durch Hämodialyse/Nierenersatztherapie bedingten Stoffwechselveränderungen werden weiter unten besprochen. Heute werden bei Intensivpatienten meist kontinuierliche Nierenersatzverfahren (CRRT), insbesondere die kontinuierliche venovenöse Hämofiltration (CVVH) eingesetzt. Durch den kontinuierlichen Therapiemodus und die heute üblichen hohen Filtrationsraten, können diese Therapieverfahren einen beträchtlichen Einfluss auf die Elektrolyt- und Nährstoffbilanz haben [2, 3], wenn der Verlust nicht hinreichend ersetzt wird. Durch die CRRT wird ein relevanter Verlust kleinmolekularer Substanzen und damit auch ein Verlust verschiedener Nährstoffe verursacht. Bezüglich der Aminosäuren muss mit einem Entzug von etwa 0,2 g pro Liter Filtrat gerechnet werden. Auch andere Substanzen, wie wasserlösliche Vitamine, gehen verstärkt verloren. Andererseits können durch die überhöhte Zufuhr von Laktat oder Zitrat Komplikationen auftreten (Hyperlaktatämie, metabolische Alkalose). Durch CRRT werden häufig Elektrolytstoffwechselstörungen induziert, insbesondere Hypophosphatämie, Hypomagnesiämie und/oder Hyponatriämie. Hat das ANV einen Einfluss auf den Gastrointestinaltrakt? Beim ANV kann es zu Störungen verschiedener gastrointestinaler Funktionen (z. B. Motilität und Resorption) und zum Auftreten von gastrointestinalen Blutungen kommen. Kommentar Das Wissen über den Einfluss des ANV auf verschiedene gastrointestinale Funktionen ist beschränkt. Dennoch ist das ANV ein wesentlicher Risikofaktor für das Auftreten gastrointestinaler Blutungen [4, 5]. Es besteht eine positive Korrelation zwischen Störungen der gastrointestinalen Motilität und dem Ausmaû der Nierenfunktionsstörung [6]. Bei Patienten mit Multiorganversagen kann es beispielsweise zu einer Verminderung der exokrinen Pankreasfunktion kommen, deren Ausmaû vom Schweregrad der Erkrankung abhängt. Demzufolge ist nicht nur die Digestion, sondern auch die Resorption von Nährstoffen beeinträchtigt. Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels werden durch die meist bestehende Hyperglykämie klinisch manifest. Diese wird Druml W et al. Nephrologie ¼ Aktuel Ernaehr Med 2003; 28, Supplement 1: S93 ± S102 Hat der Ernährungszustand einen Einfluss auf die Prognose bei Patienten mit ANV? Wie auch bei anderen Akuterkrankungen wurde bei Patienten mit ANV gezeigt, dass der Ernährungszustand ein wesentlicher, die Prognose der Patienten bestimmender Faktor ist [7]. Welche speziellen Anforderungen an die enterale Ernährungstherapie ergeben sich aus dem ANV? Hat die enterale Ernährung einen Einfluss auf die Erholung der Nierenfunktion bzw. auf die Prognose der Patienten? Verschiedene Nährstoffe können die Nierenfunktion beinflussen. Aminosäuren, sowohl parenteral als auch enteral verabreicht, steigern den renalen Blutfluss und auch die Kreatininclearance (¹renale Reserveª) [8]. Es gibt Hinweise, dass eine enterale Ernährung die Überlebensrate von Patienten mit ANV verbessert. Kommentar In experimentellen Studien [9,10] wurde gezeigt, dass der Anstieg der Kreatininkonzentration verlangsamt bzw. die Erholung der Nierenfunktion unter einer enteralen Ernährung beschleunigt ist. Eine groûe klinische Studie über Prognosefaktoren bei ANV hat gezeigt, dass eine enterale Ernährung die Überlebensrate von Patienten mit ANV verbessert [11]. Ist der Substratbedarf bei Patienten mit ANV verändert? Der Substratbedarf wird weniger vom ANV, als vielmehr vom Schweregrad der Grunderkrankung, Art und Dosis der extrakorporalen Nierenersatzverfahren, dem Ernährungszustand und von den im Krankheitsverlauf auftretenden Komplikationen bestimmt. Da im ANV die regulatorischen Funktionen der Niere ausgeschaltet sind, ist die Toleranz gegenüber jeder exzessiven Substratzufuhr (Aminosäuren, Spurenelemente, Vitamine etc.) stark herabgesetzt (C) [12 ± 14] (Tab. 1). Wann besteht bei Patienten mit ANV eine Indikation für die enterale Ernährung? Prinzipiell gelten für die enterale Ernährungstherapie von Patienten mit ANV die gleichen Empfehlungen wie für andere Intensivpatienten. Bei Patienten ohne vorbestehende Mangelernährung, die sich voraussichtlich > 7 Tage nicht ausreichend ernähren können, besteht die Indikation zur enteralen Ernährung (C). Die enterale Ernährung sollte in den ersten 24 Stunden begonnen werden (C) (siehe Kapitel ¹Intensivmedizinª). Energie 25 ± 35 kcal/kg KG Kohlenhydrate 3 ± 5 (max. 7) g/kg KG Fett 0,8 ± 1,2 (max. 1,5) g/kg KG Protein/essenzielle und nichtessenzielle Aminosäuren konservative Therapie 0,6 ± 0,8 (max. 1,0) g/kg KG extrakorporale Therapie 0,8 ± 1,2 g/kg KG (bei Hyperkatabolismus bis max. 1,5 g/kg KG) Vitamine Etwa 1500 ± 2000 kcal der meisten Trink- und Sondennahrungen decken den empfohlenen Tagesbedarf. Der unter extrakorporaler Therapie gesteigerte Bedarf an wasserlöslichen Vitaminen sollte durch die zusätzliche Gabe von Multivitaminpräparaten gedeckt werden. Spurenelemente Etwa 1500 ± 2000 kcal der meisten Trink- und Sondennahrungen decken den empfohlenen Tagesbedarf. Ein evtl. erhöhter Selenbedarf muss parenteral gedeckt werden. Elektrolyte 1500 ± 2000 kcal der meisten Trink- und Sondennahrungen decken zwar den empfohlenen Tagesbedarf. Der tatsächliche Bedarf ist sehr unterschiedlich und muss individuell ermittelt werden. Cave: Hypokaliämie und/oder Hypophosphatämie Nephrologie: ANV Bei Patienten mit ANV müssen der veränderte Wasser- und Elektrolythaushalt, spezifische Stoffwechselstörungen, der Einfluss auf die gastrointestinale Motilität und der Einfluss von extrakorporalen Therapieverfahren auf Stoffwechsel- und Substratbilanzen in Planung, Durchführung und Monitoring der enteralen Ernährung berücksichtigt werden. Tab. 1 Nährstoff- und Mikronährstoffbedarf pro Tag bei Patienten mit ANV Sollten bei Patienten mit ANV spezielle Trink- und Sondennahrungen eingesetzt werden? Bei Patienten mit unkompliziertem ANV, die sich nicht ausreichend oral ernähren können und zusätzlich eine enterale Ernährung erhalten, sollten spezielle Trink- und Sondennahrungen, die für HD-Patienten bzw. CNV-Patienten entwickelt worden sind, eingesetzt werden (C). Bei Patienten mit ANV unter kontinuierlicher Nierenersatztherapie können Standardnahrungen verwendet werden, eine Kalium- und Phosphatrestriktion ist meist nicht erforderlich (C). Eine Indikation zur Immunonutrition ergibt sich aus dem akuten Nierenversagen allein nicht. Bezüglich der Verwendung spezifischer Substrate für die enterale Ernährung (z. B. Glutamin, Arginin, w-3-Fettsäuren, Nukleotide) kann derzeit für Patienten mit ANV keine Aussage getroffen werden. Kommentar Die Notwendigkeit, bei Patienten mit ANV speziell zusammengesetzte Trink- oder Sondennahrungen einzusetzen, ist nicht geklärt, obwohl der Einsatz aufgrund der metabolischen Besonderheiten des ANV nahe liegt. Die Schwierigkeit, eine spezielle Trink- oder Sondennahrung für die enterale Ernährung von Patienten mit ANV zu formulieren, liegt im breiten Spektrum der klinischen Präsentation und im individuell unterschiedlichen Bedarf. Unter einer extrakorporalen Therapie können Standardnahrungen eingesetzt werden. Bei vollständiger enteraler Ernährung können speziell zusammengesetzte Formulierungen praktische Vorteile aufweisen [3]. Prinzipiell können drei Formen enteraler Trink- und Sondennahrungen bei Patienten mit ANV eingesetzt werden: a) Speziell für Patienten mit CNV entwickelte Trink- und Sondennahrungen Einige dieser neueren gebrauchsfertigen Trink- und Sondennahrungen wurden für die Ernährung von Patienten mit kom- Druml W et al. Nephrologie ¼ Aktuel Ernaehr Med 2003; 28, Supplement 1: S93 ± S102 S95 Nephrologie: CNV S96 pensiertem CNV entwickelt und haben einen für ANV zu stark reduzierten Gehalt an Protein und Elektrolyten. Eine zweite Gruppe von Präparaten wurde speziell an den Nährstoffbedarf von Patienten unter Hämodialyse adaptiert (s. u.), sie haben einen moderaten Proteingehalt (als Protein hoher biologischer Wertigkeit z. T. in Form von Oligopeptiden und freien Aminosäuren), sind elektrolytreduziert und haben eine hohe Energiedichte von 1,5 ± 2,0 kcal/ml. Sie sind derzeit für Patienten mit ANV zu empfehlen. Einige enthalten Zusätze, wie Taurin, Carnitin oder Histidin. b) Niedermolekulare Trink- und Sondennahrungen (meist pulverförmig) Diese sind für die Ernährung des CNV entsprechend dem Konzept einer proteinarmen Diät entwickelten worden (s. u.). Sie genügen aber nicht dem gesteigerten Nährstoffbedarf akutkranker Patienten und sind nur bedingt für die enterale Ernährung bei ANV geeignet. Hauptvorteil ist die Möglichkeit, dass sie auch bei tiefjejunaler Sondenlage eingesetzt werden können, wenn hochmolekulare Sondennahrungen nicht toleriert werden. c) Hochmolekulare Standardnahrungen, die für nichturämische Patienten entwickelt wurden Auf den meisten Intensivstationen werden für Patienten mit ANV hochmolekulare Standardsondennahrungen verwendet. Nachteile sind Menge und Zusammensetzung des Proteins und der hohe Elektrolytgehalt, insbesondere von Kalium und Phosphat. Gerade bei teilweiser enteraler Ernährung oder auch während einer CRRT können diese Präparate jedoch meist komplikationslos eingesetzt werden. Ob Trink- und Sondennahrungen, die mit spezifischen Substraten, wie Glutamin, Arginin, Nukleotiden oder w-3-Fettsäuren angereichert sind (¹Immunonutritionª) bei Patienten mit ANV Vorteile aufweisen, muss noch in klinischen Studien nachgewiesen werden. Sollten bei Patienten mit ANV spezielle Applikationstechniken verwendet werden? Die bei ANV verstärkt ausgeprägten gastrointestinalen Motilitätsstörungen machen in vielen Fällen die jejunale Sondenplatzierung (bzw. eine partielle parenterale Zusatzernährung) notwendig (C). Kommentar Mit wenigen Ausnahmen gibt es keine systematischen klinischen Untersuchungen zur Durchführung der enteralen Ernährung bei Patienten mit ANV. Fiaccadori et al. (in einer bislang nur als Abstract erschienenen Machbarkeitsstudie ohne Kontrollgruppe) untersuchten die Möglichkeit einer adäquaten Nährstoffzufuhr, die nutritiven Effekte und die Toleranz einer gebrauchsfertigen Trink- und Sondennahrung mit einem moderaten Proteingehalt bei 14 nichtkatabolen Patienten mit ANV unter einer intermittierenden HDTherapie (jeden 2. Tag) über insgesamt 209 Behandlungstage. Eine Nährstoffzufuhr von > 90 % der berechneten Soll-Zufuhrmenge wurde innerhalb von 64 Stunden erreicht, die biochemischen und immunologischen Ernährungsparameter wurden verbessert, die Stickstoffbilanz wurde bei einigen Patienten positiv und die Toleranz der Ernährung war insgesamt gut [15] (IV). Praktische Durchführung der enteralen Ernährung bei Patienten mit ANV Bei Patienten mit ANV stellt die enterale Ernährung die erste und wichtigste Maûnahme zur Unterstützung und Wiederherstellung der gastrointestinalen Funktionen dar. Dennoch ist es gerade bei Patienten mit ANV häufig unmöglich, den Nährstoffbedarf ausschlieûlich über eine enterale Ernährung zu decken, so dass eine ergänzende oder ausschlieûliche parenterale Ernährung notwendig werden kann. Die Technik der enteralen Ernährung bei Patienten mit ANV unterscheidet sich nicht von jener bei anderen Patientengruppen. Zur Beurteilung der Utilisation der zugeführten Nährstoffe und zur Vermeidung von gastrointestinalen aber auch von metabolischen Komplikationen (beeinträchtigte Toleranz gegenüber verschiedenen Nährstoffen (Glukose, Fett, Aminosäuren, Gefahr der Induktion von Elektrolytentgleisungen) sollte die Zufuhr mit niedrigen Raten (etwa 50 % der Sollzufuhr) begonnen und langsam über Tage gesteigert werden, bis der Nährstoffbedarf gedeckt wird. Enterale Ernährung bei Patienten mit chronischem, nicht dialysepflichtigem Nierenversagen Vorbemerkung Im Gegensatz zu den Bedingungen in der pädiatrischen Nephrologie, wo die enterale Ernährung oft die einzige Möglichkeit darstellt, eine adäquate Ernährungstherapie vorzunehmen und damit einen festen Platz im therapeutischen Spektrum einnimmt, hat die enterale Ernährung bei Patienten mit chronischem, nicht dialysepflichtigem Nierenversagen (CNV) im Erwachsenenalter bislang eine nur eingeschränkte Anwendung erfahren. Kontrollierte Studien liegen nicht vor. Die Empfehlungen sind damit als Expertenmeinung (Empfehlungsgrad C) anzusehen. Hat das CNV einen Einfluss auf den Ernährungszustand? Das urämische Syndrom führt unbehandelt in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium zur Mangelernährung. Die Ursachen dafür sind vielfältig (Tab. 2). Tab. 2 Mögliche Ursachen der Mangelernährung bei Patienten mit CNV verminderte orale Nahrungsaufnahme restriktive Diät-Regime urämische ¹Toxizitätª ¹Mikroinflammationª metabolische Azidose hormonell-endokrine Faktoren (Insulinresistenz, Hyperparathyreoidismus, Leptin etc.) gastrointestinale Faktoren (Gastroplegie, gestörte Resorption etc.) Druml W et al. Nephrologie ¼ Aktuel Ernaehr Med 2003; 28, Supplement 1: S93 ± S102 Kommentar Eine wichtige Ursache ist die Anorexie. Das urämische Syndrom ist mit Inappetenz und einer Reihe gastrointestinaler Nebenwirkungen vergesellschaftet, die zu einer Reduktion der Nährstoffaufnahme führen. Es besteht eine direkte Korrelation zwischen dem Ausmaû der Niereninsuffizienz und der Abnahme der spontanen Nährstoffaufnahme, die im Prädialysestadium ihr Minimum erreicht. Die metabolische Azidose in der Urämie ist ein wesentlichen Stimulus für die Aktivierung des Proteinkatabolismus. Wesentliche Ursachen der Mangelernährung von Patienten mit CNV beruhen darauf, dass interkurrente Akuterkrankungen oder eine chronische ¹Mikroinflammationª (mäûige chronische CRPErhöhung) zu einer Potenzierung des Proteinkatabolismus führen und den Effekt einer Ernährungsintervention beeinträchtigen (Typ 2 der Mangelernährung: ¹MIA-Syndromª; Mangelernährung, Inflammation, Infektion, Atherosklerose) [17]. Zur Therapie der Mangelernährung gehören neben ernährungstherapeutischen Maûnahmen auch metabolische Interventionen wie die Behandlung des sek. Hyperparathyreodismus sowie der Ausgleich der metabolischen Azidose. Bei diabetischen Patienten ist eine penible metabolische Einstellung erforderlich. Begleiterkrankungen, wie Infektionen etc. müssen konsequent behandelt werden. Welche ¾nderungen des Stoffwechsels beeinflussen die enterale Ernährungstherapie bei Patienten mit CNV? Wichtige CNV-bedingte Stoffwechselveränderungen sind: ± periphere Insulinresistenz, ± Beeinträchtigung der Lipolyse, ± metabolische Azidose, ± sekundärer Hyperparathyreoidismus, urämische Knochenkrankheit, ± Störung der Vitamin D3-Aktivierung, ± Hyperkaliämie, ± chronisch inflammatorische Reaktion, ± Aktivierung des Proteinkatabolismus, ± überschieûender Katabolismus bei interkurrenten Akuterkrankungen. Kommentar Relevant für die enterale Ernährung bei Patienten mit CNV sind die Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels (periphere Insulinresistenz), Veränderungen im Fettstoffwechsel mit Störungen der Lipolyse und Hypertriglyzeridämie sowie die Fettresorptionsstörung [15] und ein sekundärer Hyperparathyreoidismus. Hat das CNV einen Einfluss auf den Magen-Darm-Trakt? Bei Patienten mit CNV können fast alle gastrointestinalen Funktionen gestört sein. Eine Gastroparese, die besonders ausgeprägt bei Patienten mit diabetischer Nephropathie ist, kann daher häufig eine jejunale Sondenlage notwendig machen. Die Therapie mit gastralen Propulsiva (Metoclopramid) kann die Toleranz der enteralen Ernährung verbessern [18]. Welchen Nährstoffbedarf haben Patienten mit CNV? Der Nährstoff- und Mineralstoffbedarf von metabolisch stabilen Patienten ist in Tab. 3 zusammengefasst. Bei akut-kranken Patienten mit CNV entspricht der Nährstoffbedarf dem der Patienten mit ANV. Nephrologie: CNV Eine proteinreduzierte Diät, die zum Standard in der Behandlung des CNV gehört, kann ± wenn nicht entsprechend überwacht ± eine Mangelernährung verstärken. Kommentar Zu den gastrointestinalen Störungen bei CNV gehören Magenentleerungsstörungen, Störungen der intestinalen Motilität, der digestiven und absorptiven Funktionen, der biliären und pankreatischen Sekretion sowie ¾nderungen der intestinalen Bakterienflora. Die intestinale Fettresorption ist verzögert. Als klinisch besonders relevant sind die Störungen der Darmmotilität und die Tendenz zur Obstipation, die durch Phosphatbinder verstärkt werden kann, hervorzuheben. Bei einigen Patienten kommt es ± vorwiegend medikamentös induziert ± auch zu Diarrhöen [17]. Tab. 3 Energie-, Nähr- und Mineralstoffbedarf pro Tag bei Patienten mit CNV Energie ³ 35 kcal/kg KG Protein 0,6 ± 1,0 g/kg KG Phosphat 600 ± 1000 mg Kalium 1500 ± 2000 mg* Natrium 1,8 ± 2,5 g* Flüssigkeit nicht beschränkt* * der individuelle Bedarf kann sehr unterschiedlich sein Bei welchen Patienten mit CNV ist eine enterale Ernährung indiziert? Bei Patienten mit nicht dialysepflichtigem CNV ist eine enterale Ernährung dann indiziert, wenn sie sich aufgrund von Begleiterkrankungen nicht ausreichend oral ernähren können (C). Kommentar Es kommen einige ausgewählte Patientengruppen mit CNV für eine enterale Ernährung infrage [3,19]: a) Patienten mit CNV und katabolen interkurrenten Akuterkrankungen, bei denen eine orale Ernährung unmöglich ist. Diese sind metabolisch und ernährungstherapeutisch wie Patienten mit ANV zu betrachten. b) Patienten mit CNV, bei denen eine ausreichende orale Ernährung nicht erreicht werden kann. Bei diesen kann versucht werden, durch eine nächtliche Applikation per Sonde (mit abendlicher Sondenanlage) die Nährstoffzufuhr zu optimieren. Bei bewusstseinsklaren Patienten ist die subjektive Toleranz für diese Art der Ernährung sehr gering. c) Bewusstseinseingeschränkte Patienten mit CNV, z. B. in Pflegeheimen, die einer enteralen Ernährung bedürfen. Bei dieser Druml W et al. Nephrologie ¼ Aktuel Ernaehr Med 2003; 28, Supplement 1: S93 ± S102 S97 Nephrologie: HD S98 Gruppe sollte eine an den Stoffwechsel des CNV adaptierte Sondenernährung erfolgen. d) Bei mangelernährten Patienten mit CNV können Trinknahrungen als orale Zusatznahrung zur Optimierung des Nährstoffangebotes eingesetzt werden. Trinknahrung in einer täglichen Dosierung von 10 kcal/kg KG ergänzt wurde. Durch diese Maûnahme konnten die Energie- und Proteinzufuhr bei den Patienten verbessert und metabolische Komplikationen vermieden werden [22] (IV). Welche Ziele hat die enterale Ernährung bei Patienten mit CNV? Enterale Ernährung bei Patienten unter intermittierender Hämodialyse (HD-Patienten) 1. Vermeidung oder Behebung einer Mangelernährung, 2. Ausgleich urämischer Stoffwechselstörungen, 3. Vermeidung ernährungsassoziierter Komplikationen (z. B. Hyperkaliämie), 4. Verzögerung der Progression des chronischen Nierenversagens durch Protein- oder Phosphatrestriktion. Vorbemerkung Trotz steigender Zahl an Patienten unter intermittierender Nierenersatztherapie und hoher Inzidenz an Mangelernährung bei dieser Patientengruppe, liegen keine Erfahrungen mit der enteralen Ernährungstherapie vor, die Evidenzkriterien erfüllen. Welche Trink- und Sondennahrungen sollten bei Patienten mit CNV verwendet werden? Ein akut-kranker Patient mit CNV sollte nach den Prinzipien des ANV behandelt werden (C). Für eine kurzfristige enterale Ernährung von Patienten mit CNV können Standardnahrungen verwendet werden (C). Für eine langfristige (> 7 Tage) enterale Ernährung bei metabolisch stabilen Patienten mit CNV sollten spezielle Trink- und Sondennahrungen mit reduziertem Proteingehalt und vermindertem Elektrolytgehalt eingesetzt werden (C). Kommentar Einige gebrauchsfertige Trink- und Sondennahrungen sind speziell für die enterale Ernährung von Patienten mit kompensiertem CNV entwickelt worden. Diese Präparate weisen einen reduzierten Gehalt an Protein (als hochwertiges Eiweiû z. T. in Form von Oligopeptiden und freien Aminosäuren) und Elektrolyten auf und haben eine hohe Energiedichte von 1,5±2,0 kcal/ml. Sie sind mit Aromastoffen versehen, so dass sie getrunken und damit auch als supplementierende Trinknahrung verabreicht werden können. Einige enthalten Zusätze, wie Taurin, Carnitin oder Histidin. Die älteren meist pulverförmigen Formulierungen weisen eine Reihe von Nachteilen auf, so dass es dafür nur selten Indikationen gibt. Anwendungsuntersuchungen Schon vor Jahrzehnten haben Abras und Walser bei einigen Patienten mit CNV in einer Anwendungsuntersuchung bzw. Machbarkeitsstudie eine spezielle enterale Nahrung (angereichert mit Ketoanaloga von Aminosäuren), die aber nie kommerziell erhältlich war, eingesetzt. In dieser Studie wurde gezeigt, dass eine enterale Ernährung mit einer speziellen, stoffwechseladaptierten Formulierung bei Patienten mit CNV möglich ist [21] (IV). Derartige Machbarkeitsstudien sind auch von Douglas 1982 und Gretz 1989 vorgelegt worden [5, 20] (IV). In jüngerer Zeit sind mit den nun verfügbaren, anwenderfreundlicheren Trink- und Sondennahrungen Untersuchungen vorgenommen worden. Eine dieser proteinreduzierten Trinknahrungen wurde bei 18 Patienten mit CNV über 4 Wochen untersucht. Die Patienten nahmen ihre reguläre orale Kost zu sich, die durch Sind HD-Patienten gefährdet, eine Mangelernährung auszubilden? Patienten unter einer HD haben ein hohes Risiko, eine Mangelernährung auszubilden. Kommentar In Abhängigkeit von der Methodik und den verwendeten Kriterien wird die Inzidenz einer leichten bis mittelgradigen Mangelernährung bei Dialysepatienten mit etwa 30 %, die einer schweren Mangelernährung mit 5 ± 10 % der Patienten [23] angegeben. Hat die Hämodialyse zusätzlich zu den Ursachen beim CNV einen Einfluss auf den Ernährungszustand? Ursachen für die hohe Inzidenz der Mangelernährung unter Hämodialyse sind neben den schon bei CNV genannten Gründen verschiedene dialysespezifische Faktoren, wie z. B. die Beeinträchtigung des subjektiven Wohlbefindens, der Verlust von Nährstoffen, und die Induktion des Proteinkatabolismus durch inflammatorische Reaktionen. Kommentar Auch bei HD-Patienten ist die Anorexie ein entscheidender Faktor in der Entstehung der Mangelernährung. Ein weiterer Faktor ist eine inadäquate Dialysedosierung. Sowohl das urämische Syndrom als auch die HD per se müssen als ¹mikroinflammatorischeª Zustandsbilder aufgefasst werden, die eine persistierende Aktivierung des Proteinkatabolismus induzieren und die Effektivität einer Ernährungsintervention beeinträchtigen. Interkurrente Begleiterkrankungen potenzieren den katabolen Stimulus und müssen konsequent behandelt werden. Andere beeinflussbare Ursachen einer Mangelernährung wie z. B. die ¹inadäquate Dialyseª, Azidose, sek. Hyperparathyreoidismus, Gastroparese etc. müssen behandelt werden [24]. Hat die Hämodialyse zusätzlich zum CNV einen wesentlichen Einfluss auf den Stoffwechsel bzw. Substratbedarf? Bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz unter HD sind die metabolischen Störungen der Urämie nicht vollständig beseitigt (siehe Tab. 2). Zusätzlich bestehen Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes. Druml W et al. Nephrologie ¼ Aktuel Ernaehr Med 2003; 28, Supplement 1: S93 ± S102 Kommentar Die durch eine HD zusätzlich verursachten Stoffwechselveränderungen betreffen den Verlust von Nährstoffen, Mikronährstoffen und Substraten (Aminosäuren, Vitamine, Carnitin etc.), die Induktion eines dialysebedingten Katabolismus, eine Häufung interkurrenter Akuterkrankungen, und evtl. die dialysebedingte Amyloidose und Aluminiumüberladung. Durch das katabole Ereignis einer HD ist die Harnstoffgenerationsrate an den Dialysetagen erhöht. ren. Bei bewusstseinsklaren Patienten ist die subjektive Toleranz für diese Art der Ernährung gering. c) Bewusstseinseingeschränkte HD-Patienten, z. B. in Pflegeheimen, die einer enteralen Ernährung bedürfen. Bei dieser Gruppe sollte eine an den Nährstoffbedarf bei HD adaptierte enterale Ernährung erfolgen. d) Bei mangelernährten HD-Patienten mit inadäquater oraler Nahrungsaufnahme kann durch Verabreichung einer oralen Zusatznahrung während der HD der Ernährungszustand verbessert werden [27]. Wie hoch ist der Nährstoffbedarf bei HD-Patienten? Tab. 4 Bedarf an Nährstoffen, Energie, Mineralstoffen pro Tag bei Patienten unter HD-Therapie Energie ³ 35 kcal/kg KG Protein 1,1±1,4 g/kg KG Phosphat < 1000 mg* Kalium 2000±2500 mg* Natrium 1,8 ± 2,5 g* Flüssigkeit 1000 ml + Harnvolumen * der individuelle Bedarf kann bei Akuterkrankungen unterschiedlich sein Hat die Mangelernährung einen Einfluss auf die Morbidität/ Mortalität? Zwischen dem Ausmaû der Mangelernährung und der Verschlechterung der Prognose bei HD-Patienten besteht ein gut dokumentierter Zusammenhang. Kommentar Verschiedene Parameter des Ernährungszustandes, wie Albumin, Präalbumin, Serum-Kreatinin, Cholesterin oder GewichtsGröûen-Index weisen eine enge Assoziation zur Überlebensrate auf [23 ± 25]. Bei welchen Patienten unter HD ist eine enterale Ernährung indiziert? Bei Patienten unter Hämodialyse ist eine enterale Ernährung dann indiziert, wenn sie sich aufgrund von Begleiterkrankungen nicht ausreichend oral ernähren können (C). Kommentar Es kommen einige ausgewählte Patientengruppen für eine enterale Ernährung infrage [26]. a) Patienten unter HD mit begleitenden katabolen interkurrenten Akuterkrankungen, bei denen eine ausreichende orale Ernährung unmöglich ist, sind metabolisch und ernährungstherapeutisch wie Patienten mit ANV zu betrachten. b) Bei Patienten unter HD, bei denen eine ausreichende orale Ernährung nicht erreicht werden kann, kann versucht werden, durch eine Sondenernährung die Nährstoffzufuhr zu optimie- Welche Trink- und Sondennahrungen sollten für die enterale Ernährung von Patienten unter HD verwendet werden? Ein akut-kranker Patient mit dialysepflichtigem CNV sollte nach den Prinzipien des ANV behandelt werden (C). Bei ausschlieûlich enteraler Ernährung sollten spezielle, für HD-Patienten entwickelte Sondennahrungen eingesetzt werden (C). Als orale Supplemente während der HD-Behandlung können Trinknahrungen mit einer Standardformulierung verwendet werden (C). Kommentar Trink- und Sondennahrungen für Patienten mit nicht dialysepflichtigem CNV wurden auch bei Patienten unter Hämodialyse eingesetzt. Diese proteinreduzierten Präparate entsprechen aber nicht dem Bedarf dialysepflichtiger Patienten und sollten für diese Indikation nicht verwendet werden. In den letzten Jahren sind verschiedene Präparate für Patienten unter HD entwickelt worden, die einen höheren Proteinanteil aufweisen. a) Speziell für Patienten unter HD entwickelte Trink- und Sondennahrungen: Diese Präparate wurden speziell an den Nährstoffbedarf von Patienten unter Hämodialyse adaptiert, haben einen moderaten Proteingehalt (als hochwertiges Eiweiû z. T. in Form von Oligopeptiden und freien AS), sind elektrolytreduziert und haben wegen der notwendigen Flüssigkeitsrestriktion eine hohe Energiedichte von 1,5 ± 2,0 kcal/ml. Einige enthalten Zusätze, wie Taurin, Carnitin oder Histidin. b) Trinknahrungen während der HD: Als nicht bedarfsdeckende Zusatznahrung während der HD können auch Trinknahrungen mit einer Standardformulierung verwendet werden, wie sie bei nichturämischen Patienten eingesetzt werden. Anwendungsuntersuchungen Auch für diese Patientengruppe gibt es nur Machbarkeitsstudien bzw. Anwendungsuntersuchungen, die sich vorwiegend auf die orale Supplementierung einer normalen Kost beziehen. So haben Cockram et al. eine Trinknahrung mit moderatem Proteinanteil, die speziell für HD-Patienten konzipiert wurde, bei 79 Personen unter einer chronischen HD über 21 Tage untersucht. Das Präparat wurde täglich (Gruppe I: 28 kcal/kg KG, Gruppe II: 35 kcal/kg KG) getrunken und stellte die Hauptnahrungsquelle dar. Die Toleranz war gut, die Stickstoffbilanz wurde positiv. In dieser Studie waren allerdings der Natrium- und Chloridgehalt der Trinknahrung nicht ausreichend, so dass eine Substituierung vorgenommen werden musste. Einige Patienten entwickelten Druml W et al. Nephrologie ¼ Aktuel Ernaehr Med 2003; 28, Supplement 1: S93 ± S102 Nephrologie: HD Bei akut-kranken Patienten unter HD entspricht der Nährstoffbedarf jenem von Patienten mit ANV. Der Bedarf von metabolisch stabilen Patienten unter HD ist in Tab. 4 zusammengefasst [24]. S99 eine Hyperkalziämie, eine Beobachtung, die allerdings auch bei anderen Patientengruppen unter einer enteralen Ernährung mit Standardnahrungen wiederholt gemacht wurde [28] (IV). Kuhlmann et al. haben über 3 Monate bei HD-Patienten den Effekt einer unterschiedlichen Nährstoffzufuhr anhand unterschiedlich formulierter Trinknahrungen (1,4 g Protein bzw. 45 kcal/kg KG vs. 1,2 g Protein bzw. 35 kcal/kg KG) mit der spontanen Nahrungsaufnahme (1,1 g Protein bzw. 28 kcal/kg KG) verglichen. Lediglich in der Gruppe mit der höchsten Eiweiû- und Kalorienzufuhr kam es zu einem Anstieg von Körpergewicht und Serumalbumin [29] (II). Nephrologie: CAPD Bei mangelernährten HD-Patienten mit inadäquater oraler Nahrungsaufnahme kann versucht werden, die Patienten zu motivieren, während der HD eine Trinknahrung zu sich zu nehmen. So konnten Caglar et al. [27] kürzlich zeigen, dass die regelmäûige Verabreichung einer oralen Trinknahrung (475 kcal, 16,6 g Eiweiû) ausschlieûlich während der Dialysebehandlungen über einen Zeitraum von 6 Monaten zu einem Anstieg von Serum-Albumin, -Präalbumin und SGA-Score führte. Allerdings konnte dieses Regime nur bei 39 von initial 85 Patienten über den gesamten Zeitraum durchgeführt werden. Eine Kontrollgruppe fehlte in dieser Studie. Sollten bei Patienten mit CNV unter HD spezielle Applikationstechniken verwendet werden? S100 Die Gastroparese des HD-Patienten (die besonders bei Patienten mit diabetischer Nephropathie ausgeprägt ist) macht häufig eine jejunale Sondenlage notwendig [30, 31] (C). Die Therapie mit gastralen Propulsiva kann die Nahrungszufuhr und die Toleranz der enteralen Ernährung verbessern [18] (C). Für eine längerdauernde enterale Ernährung ist die Anlage einer PEG bzw. PEJ anzustreben [31]. Unter einer optimierten Ernährungstherapie kann eine Adaptierung (Erhöhung) der Dialysedosis notwendig werden. Besonderheiten der enteralen Ernährung bei Patienten unter kontinuierlicher ambulanter Peritonealdialyse (CAPD) Vorbemerkung Wie bei Patienten unter Hämodialyse beziehen sich die Erfahrungen mit der enteralen Ernährungstherapie bei Patienten unter ambulanter Peritonealdialyse (CAPD) fast ausschlieûlich auf pädiatrische Patienten. Erfahrungen bei Erwachsenen liegen nur kasuistisch bzw. als kleinere Fallserien vor, die nur in Form von Abstracts publiziert wurden. Damit ist eine Analyse nach ¹Evidence-Based Medicineª-Kriterien für diese Indikation der enteralen Ernährungtherapie wiederum nicht möglich. Welche Besonderheiten bestehen im Stoffwechsel von Peritonealdialysepatienten? sungen) nicht so ausgeprägt sind wie bei Patienten unter einer HD-Therapie. Besonderheiten ergeben sich durch den peritonealen Verlust von Nährstoffen, besonders von Proteinen und bzw. in der vermehrten Resorption von Glukose. Kommentar Der Verlust an Gesamtprotein ist bei der CAPD höher als bei der Hämodialyse, ebenso der Verlust an proteingebundenen Substanzen, wie Spurenelementen oder einigen Vitaminen. Dagegen werden niedermolekulare, wasserlösliche Substanzen weniger effizient eliminiert. Durch eine Peritonitis kann der Verlust an Proteinen weiter erheblich ansteigen. Durch die heute noch weitgehend als Standard verwendeten Peritoneallösungen mit hohem Glukosegehalt kommt es durch die CAPD zu einer Glukoseaufnahme. Dadurch ist meist die Gesamtenergiezufuhr normal bzw. erhöht. Eine überhöhte Glukosezufuhr kann zu einer Fehlernährung mit Adipositas, Hypertriglyzeridämie und Verschlechterung einer diabetischen Stoffwechsellage führen. Welche Besonderheiten finden sich beim Ernährungszustand von CAPD-Patienten? Bei CAPD-Patienten besteht aus den erwähnten Gründen seltener eine Energiemangelernährung. Durch den erhöhten Verlust an Protein bzw. Aminosäuren können jedoch eine Proteinmangelernährung oder Mangelzustände anderer Substanzen (Mikronährstoffe) auftreten. Wie hoch ist der Nährstoffbedarf bei CAPD-Patienten? Bei akut-kranken Patienten unter CAPD entspricht der Nährstoffbedarf jenem von Patienten mit ANV. Der Bedarf von metabolisch stabilen Patienten unter CAPD ist in Tab. 5 zusammengefasst (C). Bei welchen Patienten unter CAPD ist eine enterale Ernährung indiziert? Bei Patienten unter CAPD ist eine enterale Ernährung dann indiziert, wenn sie sich aufgrund von Begleiterkrankungen nicht ausreichend oral ernähren können (C). Tab. 5 Nährstoff- und Mineralstoffbedarf pro Tag bei Patienten unter ambulanter Peritonealdialyse (CAPD) [25] Energie ³ 35 kcal/kg KG* Protein 1,2 ± 1,5 g/kg KG Phosphat < 1000 mg** Kalium 2000 ± 2500 mg Natrium 1,8 ± 2,5 g Flüssigkeit 1000 ml + Ultrafiltration + Harnvolumen * beinhaltet Energiezufuhr (Glukose) aus dem Dialysat; ** individuell wechselnder Bedarf Patienten unter CAPD haben meist eine bessere renale Residualfunktion, so dass verschiedene urämische Symptome und auch Stoffwechselstörungen (insbesondere ElektrolytentgleiDruml W et al. Nephrologie ¼ Aktuel Ernaehr Med 2003; 28, Supplement 1: S93 ± S102 Welche Trink- und Sondennahrungen sollten bei Patienten unter CAPD-Therapie verwendet werden? Bei CAPD-Patienten können die gleichen Trink- und Sondennahrungen wie bei HD-Patienten eingesetzt werden. Als orale Zusatznahrung sollten proteinreiche Präparate verwendet werden (C). Kommentar Bisherige Erfahrungen mit der enteralen Ernährung bei CAPDPatienten sind sehr limitiert und beziehen sich eher auf die orale Supplementierung einer oralen Kost und entsprechen nicht einer enteralen Ernährung. In einer nur als Abstract publizierten Vergleichsstudie einer oralen Supplementierung mit einem phosphatarmen Proteinkonzentrat gegenüber keiner Supplementierung fand sich eine Verbesserung verschiedener Parameter des Ernährungzustandes (Körpergewicht, Anthropometrie und Lymphozytenzahl). Allerdings haben 31 % der Patienten die Studie aus Compliancegründen bzw. wegen Nebenwirkungen nicht beendet [32] (IV). Ist die CAPD eine Kontraindikation gegen eine PEG/PEJ-Anlage? Eine CAPD hatte bislang nicht als Kontraindikation für die Anlegung einer PEG gegolten. Allerdings zeigt eine neue Studie eine wesentliche Erhöhung der Inzidenz an Peritonitis [33] (III). Auûer bei Kindern [34] sollte daher eine PEG bei CAPD vermieden werden (C). Abkürzungen ANV = akutes Nierenversagen CAPD = kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse CNV = chronisch kompensiertes Nierenversagen CRRT = kontinuierliches Nierenersatzverfahren HD = Hämodialyse KG = Körpergewicht Literatur 1 Druml W, Mitch WE. Metabolic abnormalities in acute renal failure. Seminars Dialysis 1996; 9: 484 ± 490 2 Druml W. Metabolic aspects of continuous renal replacement therapies. Kidney Int Suppl 1999; 72: S56 ± S61 3 Druml W, Mitch WE. Enteral nutrition in renal disease. In: Rombeau JL, Rolandelli RH (eds): Enteral and tube feeding. Philadelphia: WB Saunders, 1997: 439 ± 461 4 Fiaccadori E, Maggiore U, Clima B, Melfa L, Rotelli C, Borghetti A. Incidence, risk factors, and prognosis of gastrointestinal hemorrhage complicating acute renal failure. Kidney Int 2001; 59: 1510 ± 1519 5 Douglas E, Lomas L, Prygrodzka F, Woolfson AMJ, Knapp MS. 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Bei Patienten unter CAPD, bei denen eine ausreichende orale Ernährung nicht erreicht werden kann, kann versucht werden, durch eine Sondenernährung die Nährstoffzufuhr zu optimieren. Bei bewusstseinsklaren Patienten ist die subjektive Toleranz für diese Art der Ernährung gering. 3. Bewusstseinseingeschränkte CAPD-Patienten, z. B. in Pflegeheimen, die einer enteralen Ernährung bedürfen. Bei dieser Gruppe sollte eine an den Nährstoffbedarf unter CAPD adaptierte enterale Ernährung erfolgen. 4. Bei mangelernährten CAPD-Patienten mit inadäquater oraler Nahrungsaufnahme kann versucht werden, die Patienten zu motivieren, während der CAPD-Therapie orale Zusatznahrung zu trinken. S101 27 Caglar K, Fedje L, Dimmitt R, Hakim RM, Shyr Y, Ikizler TA. Therapeutic effects of oral nutritional supplementation during hemodialysis. Kidney Int 2002; 62: 1054 ± 1059 28 Cockram DB, Hensley MK, Rodriguez M et al. 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