Württemberg - Historisches Lexikon der Schweiz

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03/02/2015 |
Württemberg
Die Herren von Wirtenberg sind seit Ende 11. Jh. bezeugt, als Grafen im Remstal östlich von Stuttgart seit
1139. W. war Grafschaft bis 1495, dann Herzogtum. 1805 erhob es Napoleon zum Königreich. 1918-33
bestand das Land als Freier Volksstaat. 1945 wurde W. mit Baden durch die Alliierten in zwei
Besatzungszonen aufgeteilt; diese gingen 1952 im neuen Bundesland Baden-Württemberg mit Stuttgart als
Regierungssitz auf.
Nach dem Einsickern alemann. Stämme in das Dekumatenland wurde der Raum um Bodensee und Hochrhein
ethnisch, sprachlich und soziokulturell zunehmend von den eingewanderten Alemannen geprägt. Das ab etwa
600 bestehende sog. ältere Herzogtum Alemannien umfasste weite Gebiete W.s, der späteren Schweiz sowie
der Oberrheinlande. In derselben Zeit wurde Konstanz auch Sitz eines für den Hauptteil Alemanniens
zuständigen Bistums. Ab Ende des 11. Jh. standen die Staufer an der Spitze des im 10. Jh. auf karoling.
Grundlage neu formierten Herzogtums Schwaben. Nach deren Aussterben 1268 brachten die Gf. von W. große
Teile des Reichs- und Herzogsguts an sich und stiegen so zum bedeutendsten Fürstenhaus im dt. Südwesten
auf. Mittelpunkt wurde Stuttgart, das ab 1482 offiziell Haupt- und Residenzstadt war. Europaweit reichten die
Handelsbeziehungen der Ravensburger Gesellschaft, die enge Beziehungen zu versch. Städten der
Eidgenossenschaft, im Leinwandhandel insbesondere zu St. Gallen unterhielt.
Seit dem Erwerb von Reichenweier und Horburg im Elsass 1323/24 versuchte W. in Gebiete links des Rheins
zu expandieren. Dies gelang dank der Heiratsabsprache von Gf. Eberhard IV. mit Henriette, der Erbin der
Grafschaft Montbéliard. 1407 fiel diese an das Haus W. und erschien fortan unter dem dt. Namen
Mömpelgard. Zur Grafschaft gehörten ca. 50 Dörfer sowie weitere Herrschaften in der Freigrafschaft Burgund
mit ca. 70 Dörfern. 1461 erlangte das Fürstbistum Basel Teile der Ajoie mit Pruntrut, die es 1386 an die
Grafschaft Montbéliard verkauft hatte, wieder zurück. 1465 scheiterte der Versuch Solothurns, durch die
Eroberung Montbéliards sein Gebiet nach Norden zu erweitern. In den Kriegen gegen Hzg. Karl den Kühnen
war das württemberg. Mömpelgard mit den Eidgenossen verbündet. Bis zum Übergang des 1793 von den
franz. Revolutionstruppen besetzten Gebiets an Frankreich 1802 behielt der Besitz an der Burgund. Pforte
grosse Bedeutung für das Haus W., was sich u.a. auch im Landeswappen widerspiegelt, das die württemberg.
Hirschstangen und zwei aufsteigende Barben aus dem Wappen von Montbéliard zeigt.
W. war durch den Gebietszuwachs im 15. Jh. zur grössten Grafschaft des Reichs aufgestiegen und wurde 1495
von Kg. Maximilian auf dem Reichstag in Worms zum Herzogtum erhoben. Bereits 1477 hatte der Landesherr
in Tübingen eine nach Basler Vorbild konzipierte Universität eröffnet, die schon in ihren Anfangszeiten häufig
von Deutschschweizer Studenten besucht wurde und enge Beziehungen zur Univ. Basel unterhielt, etwa bei
der Berufung des Rektors der Basler Universität, Paul Phrygio, der 1535 die Tübinger Universität
reorganisierte. In dem 1499 gegen die Eidgenossen geführten Krieg hatte W. den Oberbefehl des
Schwäbischen Bundes und kassierte im Schweizer- oder Schwabenkrieg eine schmachvolle Niederlage. Im
Sommer 1514 schlossen nach Bauernaufständen (Bauernbund des "Armen Konrad") Landesherr und
Landstände den Tübinger Vertrag, der als eine Art Verfassungsurkunde bis 1806 gültig blieb. 1520 wurde Hzg.
Ulrich aufgrund wiederholten Rechtsbruchs des Landes verwiesen, konnte sich aber in Mömpelgard halten
und von dort mit Schweizer Söldnern bis vor Stuttgart ziehen. Im Bauernkrieg, der innert kürzester Zeit fast
alle Landschaften - Adelsherrschaften, geistl. Territorien wie auch reichsstädt. Gebiete - zwischen Thüringen
und Lothringen im Norden sowie Tirol und der Eidgenossenschaft im Süden erfasste, wurden in W. die
Aufständischen durch das Aufgebot des Schwäb. Bundes 1525 besiegt. Nach dessen Niederschlagung spielten
Täufer aus W., etwa Balthasar Hubmaier, Wilhelm Reublin und Michael Sattler - Letzterer als mutmassl.
Verfasser der Schleitheimer Artikel - eine wichtige Rolle in der schweiz. Täuferbewegung. Hzg. Ulrich begann
unter dem Einfluss von Johannes Oekolampad, Guillaume Farel und Huldrych Zwingli in Mömpelgard und nach
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seiner Rückkehr in die Stammlande 1534 in W. die Reformation einzuführen. Schweizer Reformatoren wirkten
auch bei der Reformation in den schwäb. Reichsstädten mit, u.a. in Ulm. Nach dem Augsburger
Religionsfrieden setzte Hzg. Christoph aber das luth. Bekenntnis durch. Die massgeblich von Johannes Brenz
geprägte neue Kirchenordnung von 1559 galt auch in Mömpelgard, wodurch die Grafschaft zu einer luth.
Enklave zwischen teils ref., teils kath. Gebieten der Schweiz und Frankreichs wurde. Seitenlinien des Hauses
W. regierten mehrfach in Mömpelgard und beerbten 1593 sowie nochmals 1795 die Stuttgarter Hauptlinie,
nachdem der dort herrschende Herzog kinderlos gestorben war.
Die Landesordnung von 1552 begünstigte den Ausbau der fürstl. Staatsgewalt mit einer rational geplanten
Landesentwicklung. Für die Hzg. von W. wurden die eidg. Städte, insbesondere der Basler Stadtwechsel, zu
wichtigen Kreditgebern. Für die schweiz. Reisläufer spielte W. eine eher untergeordnete Rolle. Im
Dreissigjährigen Krieg und in den Koalitionskriegen des 17. und 18. Jh. erlitt das Land schwere Verwüstungen
und hohe Bevölkerungsverluste. In der 2. Hälfte des 17. Jh. setzte eine starke Zuwanderung von Bauern und
ländl. Handwerkern aus der Eidgenossenschaft ein, etwa aus dem Zürcher Oberland und aus Schaffhausen,
nach 1697 auch von Waldensern aus dem Piemont. Im Zug des Wiederaufbaus von W. erhielten auch
Baumeister aus der Eidgenossenschaft wie Tommaso Comacio und Joseph Guldimann Gelegenheit, in W. zu
bauen. Mehrere Schweizer v.a. aus Basel und Schaffhausen wirkten als Leibärzte der württemberg. Herzöge.
Einen grossen Einfluss übte der schwäb. Pietismus auf ähnlich gelagerte Bewegungen in der Schweiz aus; in
der 1780 in Basel gegr. Dt. Christentumsgesellschaft, aus der die Basler Mission hervorging, spielten
Württemberger eine führende Rolle. Im Erbvergleich von 1770 wurden die polit. Rechte der württemberg.
Stände gestärkt; der von Jean-Jacques Rousseau begeisterte Prinz Ludwig Eugen war gar auswärtiges Mitglied
der Helvet. Gesellschaft. Dennoch blieb das Land absolutistisch regiert, was der 1759 in Marbach am Neckar
geborene Friedrich Schiller in seinen frühen Werken scharf kritisierte. Dabei diente ihm im "Wilhelm Tell"
(1804) die Schweiz als freiheitl. Gegenbild und Musterland.
Nach dem Verlust der linksrhein. Besitzungen Reichenweier und Mömpelgard erhielt W. 1795 im Frieden von
Basel ein Versprechen auf rechtsrhein. Entschädigungen, das nach dem Frieden von Lunéville erst im
Reichsdeputationshauptschluss 1803 eingelöst wurde. Durch Säkularisation und Mediatisierung kamen die
Propstei Ellwangen und etliche Klöster sowie bedeutende Reichsstädte zum Herzogtum. Mit dem Frieden von
Pressburg Ende 1805 sowie dem Beitritt zum Rheinbund 1806 erhielt das zum Königreich erhobene W. u.a.
Oberschwaben und wurde damit am Bodensee zum Grenznachbarn der Schweiz. Zwischen den beiden
Staaten bestand allerdings keine Landverbindung, da W. im Grenzvertrag von Paris 1810 auf Nellenburg
verzichtet hatte.
Mit dem Hafenbau von Friedrichshafen begann die württemberg. Bodensee-Schifffahrt, die den Handel mit der
Schweiz förderte. Seit 1824 bestand eine regelmässige Schiffsverbindung nach Rorschach. In der ersten
Blütezeit des Tourismus nahm auch der Personenverkehr über den Bodensee zu. Wichtigste Exportgüter aus
W. waren Getreide und Salz. 1825-26 schloss W. Handelsverträge mit der Schweiz sowie einzelnen Kantonen
ab. Nach dem Beitritt W.s zum Dt. Zollverein verhandelte die Schweiz über die Fortführung der bestehenden
Handelsverträge und erreichte einige Begünstigungen. Die neue Situation förderte das Entstehen schweiz.
Filialen in W., so etwa von Escher, Wyss & Cie. in Ravensburg, allerdings in geringerem Umfang als in Baden
(D). Um die steigenden Zölle zu umgehen, errichteten auch Unternehmer aus W. Filialen in der Schweiz, so
etwa Knorr in St. Margrethen (SG), dann in Thayngen. Aus denselben Gründen gründeten die Brüder Matthäus
und Andreas Henke eine Schuhfabrik in Stein am Rhein. Mehrere Einwanderer aus W. standen am Beginn
bedeutender schweiz. Unternehmen, so etwa die Neher in Schaffhausen oder die Saurer im Thurgau. Als
Ausbildungsstätte für Schweizer spielten auch das Textiltechnikum in Reutlingen und die Lokomotivfabrik in
Esslingen eine gewisse Rolle. Der Bau der Bahnlinien Stuttgart-Friedrichshafen 1847-50 sowie TuttlingenSingen-Schaffhausen 1879 förderte den Warentransport in die Nordostschweiz.
Der autoritär regierende Kg. Friedrich I. schuf aus Alt- und Neuwürttemberg einen einheitl. Staat, der 1819
unter dem reformwilligen Kg. Wilhelm I. eine Verfassung mit liberalen Elementen erhielt. Der freiheitl.
Bewegung, organisiert in der Bewegungspartei, blieben enge Grenzen gesetzt. Republikanisch Gesinnte
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orientierten sich an der Schweiz, wo politisch Verfolgte, v. a. Radikalliberale und Handwerksburschen, Asyl
fanden. Zahlreiche Württemberger leisteten im 19. Jh. einen wichtigen Beitrag beim Aufbau des schweiz.
Volksschulwesens, unter ihnen etwa Ignaz Thomas Scherr im Kt. Zürich oder Christian Heinrich Hugendubel
im Kt. Bern. Nach dem Scheitern der 1848er Revolution flohen viele Freiheitskämpfer aus W. in die Schweiz,
u.a. Georg Herwegh. Nach 1878 trieb der Erlass des Sozialistengesetzes im Dt. Reich verfolgte
Sozialdemokraten ins Schweizer Asyl, aus dem sie illegal gedruckte Arbeiterzeitungen über die Grenze
schmuggelten. In Zürich fand u.a. Clara Zetkin, die später in Stuttgart führende kommunist. Frauenrechtlerin,
Anschluss an die sozialist. Bewegung. Neben den wirtschaftl. und polit. Kontakten über die Grenze entwickelte
sich der kulturelle Austausch, u.a. durch den 1868 gegr. Bodenseegeschichtsverein mit Sitz in Friedrichshafen
und St. Gallen. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 wurden diese Beziehungen unterbrochen.
Nach 1945 teilten die Alliierten das Land entlang der Grenze zwischen der amerikan. und der franz.
Besatzungszone in zwei Gebiete auf: W.-Baden im Norden und W.-Hohenzollern im Süden. In der
Versorgungsnot der Nachkriegsjahre bekamen v.a. grenznahe Gemeinden humanitäre Hilfe aus der
benachbarten Schweiz. Mit den Wahlen von 1946-47 begann die polit. Konsolidierung, wobei die CDU jeweils
stärkste Partei wurde. In W.-Hohenzollern erreichte sie die absolute Mehrheit. Nach einer Volksabstimmung, in
der die württemberg. Bezirke mehrheitlich für den Südweststaat stimmten, entstand 1952 das neue
Bundesland Baden-W.
Literatur
– Hb. der Baden-Württemberg. Gesch., hg. von M. Schaab, H. Schwarzmaier, 2, 1995, 1-165; 3, 1992,
235-432, 548-551; 4, 2003, 231-319, 343-476
– W. und Mömpelgard, hg. von S. Lorenz et al., 1999.
– H. Engisch, Das Königreich W., 2006
– J. Inauen, Brennpunkt Schweiz: die süddt. Staaten Baden, W. und Bayern und die Eidgenossenschaft
1815-1840, 2008, v.a. 36 f., 79 f., 189-191, 277 f.,
– B. Wunder, Kleine Gesch. des Herzogtums W., 2009
Autorin/Autor: Wolfgang Hug
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