Einfluß des Detektors und der Hadronisation auf die Messung der W

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Einfluß des Detektors
und der Hadronisation
auf die Messung der W–Masse
im L3 Experiment
von
Christoph Rosemann
Diplomarbeit in Physik
vorgelegt der
Fakultät für Mathematik, Informatik
und Naturwissenschaften der
Rheinisch–Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
im
August 2004
angefertigt im
III. Physikalischen Institut B
bei
Prof. Dr. J. Mnich
Zusammenfassung
In dieser Arbeit werden systematische Abweichungen zwischen Monte Carlo Simulationen
und experimentellen Daten des L3–Experiments untersucht. Motivation ist die möglichst
genaue Messung der W–Masse als ein wichtiger experimenteller Parameter des Standardmodells. Dazu werden insgesamt 3700 Ereigniskandidaten der semileptonischen Endzustände aus W–Paarzerfällen e+ e− → W+ W− → q q̄ 0 `ν` untersucht. Der Schwerpunkt
liegt auf der Untersuchung der Beschreibung der Photonabstrahlung des Leptons im Endzustand, der Hadronisation und des L3–spezifischen Detektorrauschens. Die zur Bestimmung der Masse verwendete Methode entspricht nicht der offiziellen Methode zur Berechnung der W–Masse. Stattdessen wird ein ereignisweiser Vergleich verwendet, der sensitiver
auf mögliche Unterschiede in der Beschreibung ist. Die Methode bestimmt durch Differenzen die Unterschiede in der Beschreibung von Monte Carlo und Daten. Eine exakte
Quantifizierung der systematischen Unsicherheit auf die offizielle W–Masse ist damit jedoch nicht möglich.
Die Untersuchung des Photonabstrahlung im Endzustand zeigt keine signifikanten Abweichungen. Das Studium der Hadronisation zeigt eine nicht weiter erklärbare systematische
Abweichung im Endzustand q q̄ 0 µνµ . Die beiden anderen Endzustände zeigen keine signifikante Diskrepanz. Die mit der Methode dieser Arbeit resultierende systematische Unsicherheit beträgt 20 MeV. Mit der endgültigen W–Massenbestimmung mittels des Box–Fits
sollte die systematische Unsicherheit durch die Hadronisation in der Größenordnung von
10 MeV liegen. Mit der vorgenommen Untersuchung konnte kein Einfluß durch unzureichend beschriebene, niederenergetische Cluster festgestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Theoretische Grundlagen
4
1.1
Das Standardmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2
W–Paarerzeugung an einem e+ e− –Beschleuniger . . . . . . . . . . . . . . . 10
2 Das Experiment
4
12
2.1
Der Speicherring LEP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.2
Der L3–Detektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2.1
Der Silizium–Mikrovertex–Detektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.2.2
Die Spurkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.2.3
Das elektromagnetische Kalorimeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.2.4
Das hadronische Kalorimeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.2.5
Das Myonspektrometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.2.6
Die Luminositätsmonitore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.2.7
Trigger und Datennahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.3
Ereignisrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.4
Simulation von Detektor und Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3 Ereignisselektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 `ν`
28
3.1
Grundprinzip der Selektion semileptonischer W–Paarzerfälle . . . . . . . . 28
3.2
Selektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 eνe
3.3
Selektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 µνµ . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3.4
Selektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 τ ντ . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3.5
Selektierte Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
i
. . . . . . . . . . . . . . . . . 31
ii
4 Gegenstand der Analyse
37
4.1
Zentrale Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
4.2
Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
5 Massenbestimmung im einzelnen Ereignis
44
5.1
Jets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
5.2
Massenbestimung mit kinematischer Zwangsbedingung . . . . . . . . . . . 46
6 Methoden der Variation
49
6.1
Schnitte auf Cluster – Beschreibung der Schnitte . . . . . . . . . . . . . . . 49
6.2
Analytische Formulierung der Abhängigkeiten der W–Masse . . . . . . . . 54
6.3
Schnitte auf Cluster – Darstellung von Abweichungen . . . . . . . . . . . . 55
7 Ergebnisse
60
7.1
Jetschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
7.2
Leptonschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
7.3
Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
8 Fazit
79
A Systematik der W–Masse
82
B Die Wirkungsquerschnitte
83
Einleitung
Die Elementarteilchenphysik beschäftigt sich mit den elementaren Bausteinen der Materie und ihren Wechselwirkungen. Die Quantentheorie gibt dabei vor, daß hohe Energien
benötigt werden, um Strukturuntersuchungen an mikroskopischen Objekten durchführen
zu können. Als die auflösbare Größe kann die Ortsunschärfe ∆x betrachtet werden, die
aus der Heisenbergschen Unschärferelation folgt:
∆x · ∆p ≥
~
~
=⇒ ∆x ≥
.
2
2 · ∆p
Oder man kann den Teilchenimpuls p als die entscheidende Größe ansehen und die damit
verbundene Wellenlänge nach de Broglie:
λ=
h
.
p
In Analogie zur Wellenoptik gibt die Wellenlänge die Größe der Struktur vor, die aufgelöst
werden kann. Bei beiden Betrachtungsweisen wird deutlich, daß es sich bei Elementarteilchenphysik um Hochenergiephysik handelt. Die Relativitätstheorie gibt mit der Äquivalenz von Masse und Energie das gleiche Ziel vor. Um neue Teilchen mit immer größerer
Masse erzeugen zu können werden immer höhere Energien benötigt.
Zu Beginn der Teilchenphysik dominierten Experimente mit der kosmischen Höhenstrahlung. Obwohl die Durchführung solcher Experimente große Geduld verlangt, ermöglichen
sie immer noch den Zugang zu den höchstenergetischen Teilchen. Die meisten Entdeckungen der letzten Jahrzehnte wurden jedoch an Beschleunigerexperimenten unter den kontrollierten Bedingungen im Labor gemacht.
Die gegenwärtige Elementarteilchenphysik ist durch Physiker und Ideen der 60er und 70er
Jahre des vorigen Jahrhunderts geprägt. Zu dieser Zeit wurde das Standardmodell der
Teilchenphysik aufgestellt, was bislang jeden experimentellen Test überstanden hat. Das
im ersten Kapitel dieser Arbeit vorgestellte Modell beschreibt insbesondere die Wechselwirkungen der Elementarteilchen. Die Wechselwirkungen werden als Austausch von
1
2
Eichbosonen mit charakteristischen Eigenschaften beschrieben. Einer der größten Erfolge
des Standardmodells war die Vorhersage der schweren Eichbosonen W ± und Z. Diese
wurden 1983 am Proton–Antiproton–Beschleuniger SPS (Super Proton Synchrotron) am
CERN gefunden.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem L3–Experiment am e+ e− –Speicherring LEP. Dieser
Beschleuniger war der Nachfolger des SPS. In der ersten Phase wurde der Beschleuniger
mit einer Schwerpunktsenergie in der direkten Nähe und auf der Z–Resonanz betrieben.
Von allen vier Experimenten gemeinsam wurden rund 17 Millionen Z–Bosonen in ihren
Zerfällen in der besonders untergrundarmen Umgebung eines e+ e− –Beschleunigers untersucht. Mit diesen Ereignissen wurde das Z–Boson extrem genau vermessen [1]. Dies
ermöglichte unter anderem einen Test der elektroschwachen Wechselwirkung im Rahmen
des Standardmodells über das Born–Niveau hinaus. Die zweite Phase mit deutlich erhöhter
Schwerpunktsenergie hatte mehrere Hauptziele:
1. insbesondere die Suche nach dem Higgs–Boson,
2. die Suche nach Teilchen außerhalb des Standardmodells, etwa im Rahmen supersymmetrischer Theorien (SUSY) und
3. die möglichst genaue Untersuchung der W± –Bosonen.
Die Entdeckung des Higgs–Bosons war trotz intensiver Analyse in den fast vier Jahren
nach Betriebsende des Beschleunigers wegen zu hoher Masse nicht möglich. Die Entdeckung des letzten noch hypothetischen Teilchens des Standardmodells bleibt vermutlich
dem nächsten Beschleuniger am CERN vorbehalten, der wieder ein Hadron–Beschleuniger
sein wird.
Das dritte Ziel steht kurz vor der Vollendung. Nach dem Überschreiten der W–Paarproduktionsschwelle wurden je circa 10000 W–Paare pro Experiment registriert. Dies
ermöglichte unter anderem die Bestimmung des Produktions–Wirkungsquerschnitts und
den eindeutigen Nachweis der Selbstwechselwirkung der Eichbosonen.
Mit dieser Arbeit wird ein Beitrag zur Bestimmung der W–Masse geliefert. Die W–Masse
ist der letzte, noch unveröffentlichte Teil der Untersuchung des W–Bosons. In dieser Analyse werden systematische Fehler untersucht, die die Genauigkeit der W–Massenbestimmung
schließlich limitieren. Die Größenordnung, mit dem systematische Fehler verstanden sein
wollen, ist durch den statistischen Fehler vorgegeben. Dieser liegt bei ungefähr 40 MeV.
Diese Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit den semileptonischen Endzuständen des
3
W–Paarzerfalls. Dabei wird die möglicherweise unterschiedliche Ereignisbeschreibung zwischen aufgezeichneten und simulierten Daten auf systematische Abweichungen untersucht.
Die Arbeit ist über der Kapitelebene in zwei Abschnitte getrennt. In den ersten drei Kapiteln werden die Elemente vorgestellt, mit denen die Analyse durchgeführt wird. In Kapitel 1 wird eine kurze Beschreibung des theoretischen Hintergrunds gegeben. Im anschließenden Kapitel wird der L3–Detektor ausführlicher beschrieben, da alle Komponenten des
Detektors zur Bestimmung der semileptonischen Endzustände benötigt werden. Dies wird
in Kapitel 3 deutlich, in dem die einzelnen Selektionen beschrieben sind. In den folgenden
Kapiteln wird die Analyse im Detail vorgestellt. Die Vorgehensweise wird in Kapitel 4
im Zusammenhang mit der Zielsetzung formuliert. In den Kapiteln 5 und 6 werden die
Methoden der Untersuchung im Detail beschrieben. In Kapitel 7 werden die Ergebnisse
vorgestellt und diskutiert. Abschließend wird in Kapitel 8 ein zusammenfassendes Fazit
gezogen.
In dieser Arbeit wird das für die Elementarteilchenphysik übliche natürliche Einheitensystem benutzt. Es gilt die Konvention
~ = c = 1.
(1)
Die Endzustände des semileptonischen W–Paarzerfalls W+ W− → q q¯0 `ν sind oft explizit
unterschieden. Abkürzend sind diese mit
q q̄ 0 eνe ,
q q̄ 0 µνµ ,
und
q q̄ 0 τ ντ
(2)
bezeichnet. Das `ν steht dabei jeweils für die Kombination, die Leptonzahl- und Ladungserhaltung garantiert, etwa
`ν = e+ νe , oder
`ν = µ− ν̄µ , oder
`ν = τ + ντ ,
etc.
Kapitel 1
Theoretische Grundlagen
1.1
Das Standardmodell
Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik (siehe zum Beispiel [2]) beschreibt nach
heutigem Kenntnisstand die Bestandteile der Materie und deren fundamentale Wechselwirkungen auf mikroskopischer Skala. Die bekannten Wechselwirkungen sind:
1. die gravitative Wechselwirkung,
2. die elektroschwache Wechselwirkung und
3. die starke Wechselwirkung.
Es existiert noch keine quantenfeldtheoretische Beschreibung der Gravitation, weshalb
sie nicht im Standardmodell enthalten ist. Bei den derzeit experimentell erreichbaren
Energien sollte der Einfluß der Gravitation gegenüber den anderen Wechselwirkungen
vernachlässigbar klein sein. Spätestens bei Erreichen der Planck–Skala kann dies nicht
mehr gelten. Als Beispiel für die Größenordnung dieser Skala sei die Planck–Masse genannt. Sie ist die Masse, bei der die Gravitations- und die Coulombkraft gleiche Stärke
besitzen (mit der Feinstrukturkonstante α):
r
α
FGravitation (mP lanck ) ≈ FCoulomb =⇒ mP lanck =
= 1,04 · 1018 GeV .
(1.1)
G
Die elektroschwache Wechselwirkung wird durch die Gruppe SU (2)L × U (1)Y beschrieben. Die starke Wechselwirkung ist durch die Symmetriegruppe SU (3)C beschrieben. Die
kombinierte Eichsymmetriegruppe SU (3)C × SU (2)L × U (1)Y ist die Grundlage der Eichfeldtheorie, die das Standardmodell ausmacht. Auf den zugehörigen Lagrangeformalismus
sei hier nicht eingegangen. Zuerst werden die Materiebausteine vorgestellt, dann die Wechselwirkungen näher charakterisiert.
4
1.1 Das Standardmodell
5
Die Bausteine der Materie
Nach dem aktuellen experimentellen Wissensstand sind alle Materiebausteine Fermionen
mit Spin 21 . Leptonen sind ausschließlich elektroschwach wechselwirkende Teilchen. Quarks
nehmen sowohl an der starken, als auch an der elektroschwachen Wechselwirkung teil. Es
sind drei Generationen von Leptonen und Quarks beobachtet worden:
`i = e, µ, τ ;
ν i = νe , νµ , ντ ;
d0i = d0 , c0 , b0 ;
ui = u, c, t.
(1.2)
µ
¶
µ
¶
νi
ui
Die linkshändigen Fermionfelder ψi =
und
transformieren sich als Du`i L
d0i L
bletts, die rechtshändigen Fermionfelder als Singuletts unter Transformationen der SU (2).
Die Mitglieder eines Dubletts unterscheiden sich nur in der dritten Komponente T 3 des
schwachen Isospins. Die Vertreter der Generationen einer Teilchensorte unterscheiden sich
weder in der starken, noch in der elektroschwachen Wechselwirkung. Die Details der Eigenschaften spiegeln sich in den Wechselwirkungen wieder. Quarks tragen Farbladung und
bilden Farbtripletts, Leptonen bilden Farbsinguletts. Die Tabelle 1.1 gibt die Bausteine
der Materie in üblicher Notation und Darstellung wieder. Die Eigenwerte des Ladungsoperators Q sind gegeben durch die Gell-Mann–Nishijima–Relation Q = T3 + Y /2.
Generation i = 1, 2, 3
¶
µ
νi
`i L
νi, R
`
µ i, R¶
ui
d0i L
ui, R
di, R
T3
1/2
−1/2
0
0
1/2
−1/2
0
0
Y
−1
−1
0
−2
1/3
1/3
4/3
−2/3
Q[e]
0
−1
0
−1
2/3
−1/3
2/3
−1/3
Farbe
0
0
0
0
rgb
rgb
rgb
rgb
Tabelle 1.1: Die Fermionen des Standardmodells und ihre Quantenzahlen. Es handelt
sich um die Eigenzustände der dritten Komponente T3 des schwachen Isospins, der schwachen Hyperladung Y und der Farbladung. Der Vollständigkeit halber ist auch die elektrische Ladung Q angegeben, obwohl sie durch T3
und Y vorgegeben ist. Die Dubletts des schwachen Isospins sind eingeklammert. Die mit 0 gekennzeichneten Quarksymbole sind die Eigenzustände der
elektroschwachen Wechselwirkung.
6
1. Theoretische Grundlagen
Die elektroschwache Wechselwirkung
Das Grundprinzip der elektroschwachen Wechselwirkung [3] bildet die lokale Eichinvarianz
der zugrundeliegenden Lagrangedichte. Es existiert ein Isospin-Triplett – der schwache
Isospin T – und ein Singulett – die Hyperladung Y . Die Generatoren T i des Tripletts mit
i = 1, 2, 3 sind keine Skalare, sie erfüllen die Kommutatorrelation:
[T i , T j ] = i²ijk T k .
(1.3)
Für die vier elektroschwachen Ströme J i , J Y existieren vier Vektorfelder Wµi und Bµ ,
die mit der Stärke g und g 0 an die Fermionen koppeln. Die physikalisch beobachtbaren
Felder sind Linearkombinationen der ursprünglichen Felder, wobei die neutralen um den
schwachen Mischungswinkel ϑW rotiert sind:
µ + ¶
µ
¶µ 1 ¶
1
Wµ
1 −1
Wµ
= √
(1.4)
−
Wµ
1
Wµ2
2 1
µ
¶
µ
¶µ 3 ¶
Zµ
cos ϑW − sin ϑW
Wµ
(1.5)
=
Bµ
Aµ
sin ϑW
cos ϑW
Für die Kopplungskonstanten folgt ein Zusammenhang mit der elektrischen Elementarladung e:
e = g sin ϑW = g 0 cos ϑW
(1.6)
Aus der nicht-abelschen Struktur der elektroschwachen Wechselwirkung (Gleichung 1.3)
folgt eine Boson-Selbstwechselwirkung. Die W– und Z–Bosonen koppeln dabei aneinander, ebenso das Photon an die W–Bosonen.
Die Kopplung an die Fermionen läßt sich als elektromagnetischer Strom (Photonaustausch), schwacher neutraler Strom (Z–Austausch) und als schwacher geladener Strom
(W± –Austausch) formulieren. Die Quarkeigenzustände der schwachen Wechselwirkung
sind rotiert gegenüber den Masseneigenzuständen. Die Mischung ist üblicherweise als eine
unitäre 3 × 3 Matrix VCKM notiert, die auf die Ladungseigenzustände mit Q = −e/3
wirkt. Eine Darstellungsform der CKM-Matrix (Cabbibo-Kobayashi-Maskawa [4]) ist:
 0 
  
 
d
d
Vud Vus Vub
d
 s0  = VCKM  s  =  Vcd Vcs Vcb   s  .
(1.7)
0
b
b
b
Vtd Vts Vtb
Der experimentelle Nachweis von Neutrinooszillationen [5] weist darauf hin, daß eine
ähnliche Matrix für den Leptonsektor gilt. Dies ist die MNS–Matrix (Maki-NakagawaSakata [6]):





 
νe
Ue1 Ue2 Ue3
ν1
ν1
 νµ  = VM N S  ν2  =  Uµ1 Uµ2 Uµ3   ν2  .
(1.8)
ντ
Uτ 1 Uτ 2 Uτ 3
ν3
ν3
1.1 Das Standardmodell
7
Der Higgs–Mechanismus
Naive Massenterme in der Lagrangedichte verletzen die lokale Eichsymmetrie. Sowohl
das Z–Boson, als auch die W± –Bosonen sind aber massiv. Die Lösung bildet der sogenannte Higgs–Mechanismus, der sowohl den Eichbosonen, als auch den Fermionen mittels
spontaner Symmetriebrechung Masse verleiht [7]. Dabei bleibt die lokale Eichinvarianz der
Lagrangedichte erhalten. Im minimalen Standardmodell wird ein komplexes, skalares Feld
als Isospin-Dublett (mit Isospin T = 1/2 und Hyperladung Y = 1) φ eingeführt:
µ
¶
1
φ1 + iφ2
φ= √
.
(1.9)
2 φ3 + iφ4
Das symmetrische Potential mit V (φ) = V (−φ) ist gegeben durch
V (φ) = µ2 φ† φ + λ(φ† φ)2 .
(1.10)
Das Potential stellt die einfachste nichttriviale Wahl eines Potentials dar, mit dem Massenterme in der Lagrangedichte erzeugt werden können. Damit das Potential physikalisch
sinnvoll ist, muß der reelle Parameter λ > 0 sein, damit V → ∞ für φ → ±∞ erfüllt
ist. Für den Fall µ2 < 0 liegt das Potentialminimum nicht bei φ = 0, sondern beim
sogenannten Vakuumerwartungswert v 6= 0:
r
−µ2
= ±v.
(1.11)
φMinimum = ±
λ
Der Grundzustand φ0 ist entartet und besitzt nicht mehr die ursprüngliche Symmetrie.
Für φ0 muß nur gelten:
4
X
φ20, i = v 2 .
(1.12)
i
Der in der Natur realisierte Zustand ist neutral, da nur φ3 6= 0 ist:
µ ¶
0
.
φ0 =
v
(1.13)
Die Berechnung von Feynman-Graphen bedeutet im Prinzip das Betreiben von Störungsrechnung um stabile Zustände. Es läßt sich zeigen, daß allgemeine Entwicklungen um den
Grundzustand durch SU (2)–Transformationen immer in die Form
µ
¶
1
0
φ= √
(1.14)
2 v + h(x)
überführt werden können. Daß es sich bei Gleichung 1.13 um den realisierten Zustand
in der Natur handelt, kann man daran sehen, daß das Photon in Übereinstimmung mit
8
1. Theoretische Grundlagen
dem experimentellen Befund masselos bleibt. Während ein masseloses Spin 1–Boson wie
das Photon nur zwei Polarisationszustände (transversal polarisiert, die Helizitätszustände
±1) besitzt, haben massebehaftete Spin 1-Teilchen drei Polarisationsrichtungen. Die drei
freien Parameter φi mit i = 1, 2, 3 bezeichnet man als absorbiert in der zusätzlichen
longitudinalen Polarisation des Z und der W ± . Eine weitere Konsequenz ist die Existenz
eines zusätzlichen
Eichbosons, das frei beobachtbar ist. Dieses Higgs–Boson hat die Masse
√
mH = 2λv, Spin 0 und ist neutral. Es ist das einzige Teilchen des Standardmodells, das
noch nicht nachgewiesen wurde.
Die Massen der Bosonen lassen sich schließlich schreiben als:
1
ev
gv =
,
2
2 sin ϑW
1 p 2
ev
=
v g + g 02 =
.
2
2 sin ϑW cos ϑW
MW =
(1.15)
MZ
(1.16)
Die Beziehungen lassen sich mit Gleichung 1.6 auch für den schwachen Mischungswinkel
umformen:
g
und
cos ϑW = p
g 2 + g 02
g0
.
sin ϑW = p
g 2 + g 02
(1.17)
(1.18)
Eine wichtige Relation, die sich mit dem Higgs–Mechanismus aus den vorherigen Formeln
finden läßt, ist der Zusammenhang
cos ϑW =
MW
.
MZ
(1.19)
Die Fermionmassen lassen sich ebenfalls durch eine Kopplung der Fermionen an das skalare Higgsfeld erfassen. Die Masse des Fermions f ist dann gegeben durch die Kopplung
Gf und den Vakuumerwartungswert v:
v
mf = G f √ .
2
(1.20)
Diese sogenannten Yukawa–Kopplungen Gf sind voneinander unabhängige, freie Parameter des Standardmodells und müssen experimentell bestimmt werden.
Die starke Wechselwirkung
Auch die Beschreibung der starken Wechselwirkung geschieht mittels einer Eichgruppe.
Die Quantenchromodynamik (QCD) ist dabei durch die nicht–abelsche SU (3) C mit den
1.1 Das Standardmodell
9
Generatoren Fa beschrieben [8]. Diese Matrizen Fa mit a = 1, ..., 8 erfüllen folgende
Relation mit den Strukturkonstanten fabc :
[Fa , Fb ] = ifabc Fc .
(1.21)
Die Austauschbosonen der starken Wechselwirkung sind die Gluonen. Im Gegensatz zu
den schweren Eichbosonen Z und W± der schwachen Wechselwirkung sind die Gluonen
masselos. Die Quelle der starken Kraft wird als Farbe bezeichnet. Die Farben werden
meistens als rgb bezeichnet, für rot, grün und blau. Mit diesem Analogon zur Optik läßt
sich der zentrale experimentelle Befund für stark wechselwirkende Teilchen einfach formulieren: nur farbneutrale Teilchen können frei existieren. Quarks sind die einzigen stark
wechselwirkenden Fermionen und transformieren sich als Farbtripletts in der SU (3) C .
Leptonen werden als farbneutrale Singuletts unter SU (3)C -Transformationen aufgefaßt.
Frei existieren können also nur Bindungszustände von Quarks, die Hadronen. Nach heutigem Wissen sind dies Mesonen und Baryonen. Mesonen sind Bindungszustände aus einem
Quark und einem Antiquark, Baryonen sind Bindungszustände aus drei Quarks oder Antiquarks. Neuere experimentelle Befunde deuten möglicherweise auf Bindungszustände
zwischen einem Meson und einem Baryon hin: Pentaquarks mit fünf Quarks (vier Quarks
und ein Antiquark, beziehungsweise umgekehrt).
Eine Möglichkeit das Quark-Confinements in Hadronen zu beschreiben, ist das Anwachsen
der starken Kopplungskonstante αs mit dem Abstand. Dies wird auf die Selbstwechselwirkung der masselosen Gluonen zurückgeführt. Die störungstheoretische Berechenbarkeit
von Prozessen ist damit auf kleine Abstände beziehungsweise auf hohe Energien eingeschränkt. Für kleine Energien konvergiert die Entwicklung nach Potenzen von αs nicht,
sondern wächst über jede Grenze sobald αs ≥ 1 ist.
Den Übergang vom freien Quark zum Hadron bezeichnet man als Hadronisation (oder
auch Fragmentation). Genau an dieser Stelle kommt es zum kritischen Übergang zwischen dem pertubativen (störungstheoretisch berechenbaren) Bereich und dem nichtpertubativen Teil der QCD. Bislang existieren nur phänomenologische Modelle, die in
Monte Carlo Generatoren implementiert sind. Die geläufigsten Modelle sind die String
Fragmentation und die Cluster Fragmentation [9].
Im Modell der String Fragmentation wird das Farbfeld zwischen den Partonen (Quarks
und Gluonen) als der eigentlich fragmentierende Teil angenommen. Der String wird als
Farbflussschlauch (colour flux tube) aufgefasst, der zwischen zwei sich entfernenden Partonen ausgebildet wird. Ist die Energie im Flussschlauch ausreichend, so wird er aufgebrochen, indem ein Quark–Antiquark–Paar aus dem Vakuum erzeugt wird. Solange die
so entstandenen und farbneutralen Hadronen nicht auf der Massenschale liegen, kann der
Flussschlauch immer neu gebildet und gebrochen werden.
Im Modell der Cluster Fragmentation werden die am Ende der hadronischen Schauerbildung verbleibenden Gluonen direkt in Quark–Antiquark–Paare aufgespalten. Die farbver-
10
1. Theoretische Grundlagen
bundenen Spaltprodukte bilden dann farbneutrale Cluster mit typischer Masse von einigen GeV. Diese Cluster zerfallen direkt in Hadronen, wobei es zwei Möglichkeiten gibt:
den Clusterzerfall in zwei Hadronen, wenn diese nicht zu schwer sind oder den Zerfall in
ein Hadron. Die Energie und der Impuls benachbarter Cluster muß dabei möglicherweise angepaßt werden, damit Energie- und Impulserhaltung lokal und im ganzen Ereignis
sichergestellt sind.
1.2
W–Paarerzeugung an einem e+e−–Beschleuniger
In niedrigster Ordnung tragen drei Feynman–Diagramme zur Produktion von W–Paaren
in e+ e− –Kollisionen bei. Dies sind die sogenannten CC03–Graphen, wobei CC für den
geladenen Strom steht (charged current). Es handelt sich um den ν–Austausch im t–
Kanal und den Austausch eines γ oder eines Z–Bosons im s–Kanal. Jeder Kanal alleine
würde den Wirkungsquerschnitt über alle Grenzen ansteigen lassen. Erst die destruktive
Interferenz der drei Kanäle ergibt ein physikalisch sinnvolles Hochenergieverhalten. In
Abbildung 1.1 sind die drei CC03–Graphen angegeben. In Abbildung 1.2 ist der gemessene
Wirkungsquerschnitt der W–Paarerzeugung in e+ e− –Kollisionen von L3 wiedergegeben
(nach [10]). Die W–Bosonen zerfallen in ein Fermion und Antifermion:
W → f f¯0 .
(1.22)
Die Verzweigungsverhältnisse mit kombiniertem statistischen und systematischem Fehler
und unter der Annahme von Leptonuniversalität nach [11] sind:
für den hadronischen Zerfall W → q q¯0 : R = (68,0 ± 0,4)% und
für den leptonischen Zerfall W → `ν: R = (10,7 ± 0,1)%.
Mit den kombinatorischen Möglichkeiten für die drei Leptongenerationen ergeben sich die
folgenden Verzweigungsverhältnisse für den W–Paarzerfall:
Rein hadronisch : RWW,had = 46,2%,
semileptonisch : RWW,semilep = 43,7%
rein leptonisch : RWW,lep = 10,3%.
(1.23)
und
(1.24)
(1.25)
1.2 W–Paarerzeugung an einem e+ e− –Beschleuniger
11
f
e
+
f
W+
e+
f¯0
νe
Z, γ
f 00
e−
e
W−
−
W+
f¯0
W−
f 00
f¯000
f¯000
Abbildung 1.1: Die drei Feynman–Graphen niedrigster Ordnung, die die W–
Paarproduktion in e+ e− –Kollisionen beschreiben. Links der Neutrino–
Austausch im t–Kanal, rechts die Kopplung mit Drei–Boson–Vertex im
s–Kanal.
σ(e+e−→W+W−(γ)) [pb]
L3
20
10
Data
YFSWW3/RacoonWW
0
160
170
180

190
200
210
√s [GeV]
Abbildung 1.2: Der von L3 bei LEP vermessenene Wirkungsquerschnitt der W–
√
Paarerzeugung in Abhängigkeit der Schwerpunktsenergie s in GeV
(nach [10]).
Kapitel 2
Das Experiment
2.1
Der Speicherring LEP
LEP
ALEPH
1 km
OPAL
Frankreich
Schweiz
Jura
SPS
L3
DELPHI
PS
Flughafen
Genf
Abbildung 2.1: Der geographische Standort von LEP und den vier Experimenten
ALEPH, DELPHI, L3 und OPAL.
LEP (Large Electron Positron Collider) war ein e+ e− –Speicherring mit einem Umfang
von 26,7 km unter dem schweizerisch–franzözischem Staatsgebiet am europäischen Kernforschungszentrum CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire). Er wurde von
1989 bis 2000 auf Schwerpunktsenergien zwischen 88 GeV und 208 GeV betrieben. Der
12
2.1 Der Speicherring LEP
13
,,Ring” war aus acht geraden und acht gekrümmten Abschnitten mit einem Krümmungsradius von 3 km zusammengesetzt. 3200 Dipolmagnete zwangen die entgegengesetzt in
einer Strahlröhre laufenden Elektronen und Positronen durch die gekrümmten Teilstücke,
so daß die Teilchen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit auf einer geschlossenen Bahn umliefen. Bei der Durchquerung der Krümmungen verloren die Teilchen dabei eine Energie
∆E durch Synchrotronstrahlung, die von der Teilchenenergie E und dem Bahnradius R
abhängig ist. Die relativistische Rechnung (in [12], [13]) ergibt pro Umlauf einen Energieverlust von:
keVm E 4
∆E = 88,5
·
.
(2.1)
(GeV)4 R
Die auf den geraden Teilstücken installierten Beschleunigungsstrecken dienten demnach
nicht nur dem Erreichen der angestrebten hohen Energien nach der Injektion aus den Vorbeschleunigern, sondern vor allem dem Ausgleich der Strahlungsverluste. Bei der höchsten
erreichten Strahlenergie von 104 GeV pro Teilchen betrug dieser Energieverlust fast 3 GeV
pro Umlauf. Auf vier der geraden Teilstücke befanden sich neben den Hohlraumresonatoren auch die Wechselwirkungszonen, in denen die Strahlteilchen zur Kollision gebracht
wurden. Dort waren die vier LEP-Experimente ALEPH, DELPHI, L3 und OPAL installiert (siehe [14], [15], [16], [17]).
Mittlerweile ist der Beschleuniger inklusive aller Experimente abgebaut. Der Tunnel wird
nun für den LHC (Large Hadron Collider) benutzt. Dieser pp–Collider befindet sich zur
Zeit im Bau und wird voraussichtlich 2007 seinen Betrieb aufnehmen.
Der Ringbeschleuniger lief während seines Betriebs in zwei Phasen. In der ersten Phase
von 1989 bis 1995 wurde der Beschleuniger auf der Z-Resonanz bei etwa 91 GeV (45.5 GeV
Strahlenergie) und einer wenigen GeV breiten Umgebung betrieben. In der zweiten Phase ab 1996, die auch LEP200 genannt wird, wurde die Schwerpunktsenergie in mehreren
Schritten von 161 GeV auf 208 GeV erhöht.
Die genaue Energie der Elektronen und Positronen ist ein wichtiger Parameter für die
Messungen. In der ersten Phase von LEP geschah die Energiebestimmung mittels der
resonanten Spindepolarisation [18], mit der eine absolute Genauigkeit von 1 MeV erreicht
werden konnte. Das Fehlen nennenswerter Strahlpolarisation ab Energien von etwa 61 GeV
erforderte eine andere Art der exakten Bestimmung bei LEP200. Zur Energiebestimmung
wurden mehrere Methoden kombiniert angewandt. Die wichtigste Energiebestimmung war
die Flußmessung mit Kernspinresonanzproben in den Dipolmagneten, die aufwendig durch
andere Methoden kontrolliert wurden (siehe [19]). Die damit erreichte Genauigkeit betrug
10 MeV auf die Strahlenergie.
Die Luminosität L ist ebenfalls durch den Beschleuniger vorgegeben. Die Bestimmung aus
Maschinenparametern ist jedoch nicht genau genug, so daß alle Experimente sie mit eigenen Detektoren mit Eichreaktionen experimentell bestimmt haben. Der zusätzliche Vorteil
ist die exakte Bestimmung der tatsächlich aufgezeichneten Luminosität, da Totzeiten des
14
2. Das Experiment
y
Rückflußjoch
Magnetspule
Myonkammern
θ
z
y
ECAL
SMD
φ
y
x
x
e
e+
HCAL
_ TEC
z
Abbildung 2.2: Der schematische Aufbau des L3 Detektors in perspektivischer Ansicht
und die Definition des in dieser Arbeit verwendeten Koordinatensystems.
Detektors besonders einfach berücksichtigt werden konnten.
2.2
Der L3–Detektor
Der L3–Detektor war mit 16 m Durchmesser und 14 m Länge der größte Detektor von
LEP. Mit ihm wurden die in der Kollision entstandenen Teilchen nachgewiesen und genau vermessen. Die Konstruktion legte besonderes Gewicht auf die genaue Messung von
Elektronen, Photonen und Myonen. Die einzelnen Detektorkomponenten waren dabei
angenähert radialsymmetrisch um die Strahlröhre und den Wechselwirkungspunkt angeordnet. Die Abbildung 2.2 zeigt eine schematische Darstellung des Detektors und eine
Definition des in dieser Arbeit verwendeten Koordinatensystems. Die angestrebte Radialsymmetrie war durch eine Zylinderform des Detektors angenähert. Von innen nach außen
2.2 Der L3–Detektor
15
sind die Komponenten in folgender Weise angeordnet:
1. Silizium–Mikrovertex–Detektor (SMD)
2. Spurkammer (TEC)
3. Elektromagnetisches Kalorimeter (ECAL)
4. Hadronisches Kalorimeter (HCAL)
5. Myonspektrometer
Die Komponenten 1. bis 4. waren in einer Stahlröhre (support tube) von 4,5 m Durchmesser und 32 m Länge untergebracht, die gleichzeitig als Detektoraufhängung diente. Eine
Besonderheit von L3 war der große Magnet von 12 m Durchmesser, der alle Komponenten inklusive des Myonspektrometers umschloss. Der Solenoid erzeugte ein Magnetfeld
parallel zur Strahlachse von 0,5 T. Dadurch wurden die geladenen Teilchen aus der e+ e− –
Kollision in allen Detektorteilen durch die Lorentzkraft abgelenkt. Diese Ablenkung in der
(r, φ)–Ebene senkrecht zur Strahlachse wurde zur Bestimmung von Ladungsvorzeichen
und Impuls benutzt. Im folgenden werden die einzelnen Detektorkomponenten genauer
vorgestellt.
2.2.1
Der Silizium–Mikrovertex–Detektor
Der Vertexdetektor wurde 1993 direkt an die Strahlröhre angesetzt und bildete die innerste Komponente von L3. Aufgebaut war er aus doppelseitig bestückten und beidseitig
auslesbaren Silizium-Streifen-Detektoren. Die in zwei Lagen versetzte und überlappende
Anordnung (siehe Abbildung 2.3) ermöglichte eine vollständige Überdeckung in φ und
durch die endliche Länge in z eine Überdeckung des Polarwinkels von | cos θ| < 0,93. Die
Abbildung 2.3: Schematische Perspektivansicht des SMD.
16
2. Das Experiment
Y B
X
Gitter
{ Anode
Gitter
Kathode
Teilchenspur
SMD
Wechselwirkungspunkt
Innere
TEC
Äußere
TEC
z Kammern
Abbildung 2.4: Schematische Darstellung eines Detektorausschnitts mit einer Teilchenspur im Schnitt durch die (r, φ)–Ebene. Das Kreuz deutet den Mittelpunkt an. An den SMD schließt sich erst die innere und dann die äußere
TEC und die z–Kammern an.
Struktur der Siliziumstreifen ermöglichte eine Ortsauflösung von 7 µm in (r, φ) und 14 µm
in (r, θ) [20].
Der Silizium–Mikrovertex–Detektor (SMD) ermöglichte sowohl die genaue Bestimmung
des Primärvertex als auch möglicher Sekundär- und Tertiärvertizes. Die genaue Kenntnis
der Lage eines Primärvertex ist für alle Ereignisse wünschenswert; in der Kombination
mit den Informationen der sich anschließenden Spurkammer wird die gesamte Spurrekonstruktion verbessert. Die genaue Messung von Sekundärvertizes ist darüber hinaus
unverzichtbar für die Analyse von Ereignissen mit b–Quarks (b–tagging). B–Mesonen zerfallen zeitverzögert nach der Produktion am primären Wechselwirkungspunkt. Da diese
meistens nicht in Ruhe erzeugt wurden, existierten Spuren, deren Ursprung um einige µm
bis mm gegenüber dem Primärvertex verschoben war.
2.2.2
Die Spurkammer
Die zentrale Spurkammer ist in drei Komponenten aufgeteilt, in Abbildung 2.4 ist sie
schematisch dargestellt:
1. Innen besteht sie aus einer zylindrischen Driftkammer: die innere und äußere TEC
(Time Expansion Chamber),
2. nach außen schließen sich zwei Vieldraht-Proportionalkammern an: die z-Kammern,
und
2.2 Der L3–Detektor
17
.
Fokussierung
Teilchenspur
.
.
Anode
Kathoden
.
Gitter
.
Nachweisraum
Driftraum
Abbildung 2.5: Schematische Darstellung des Feldverlaufs innerhalb des Drift- und des
Nachweisraums in der TEC.
3. in Vorwärtsrichtung der Abschluß des Zylinders: die Vorwärts-Spurkammer (FTC:
Forward Tracking Chamber).
Die TEC war in der vollständig überdeckten φ–Ebene in Sektoren unterteilt. Die innere TEC bestand aus 12 Sektoren, in denen jeweils acht Anodendrähte gespannt waren,
die äußere TEC bestand aus 24 Sektoren mit jeweils 54 Anodendrähten. Die Anodendrähte waren parallel zur Strahlröhre gespannt und maßen damit im wesentlichen die
(r,φ)–Koordinate der Spuren. Durch die Verdopplung der Sektorenanzahl im gleichem φ–
Winkelbereich wurde die Zweideutigkeit aufgelöst, welchen Halbsektor des inneren Teils
ein Teilchen passierte. Die mittlere Ortsauflösung eines Anodendrahtes in den lag bei
50 µm, die Doppelspurauflösung bei 450 µm. Die Auflösung der z–Komponente war viel
schlechter, da sie über die Asymmetrie der gesammelten Ladungsmenge an den Enden
einiger Anodendrähte bestimmt wurde. Die z–Kammern verbesserten diese Auflösung auf
320 µm für Einzel- und 10 mm für Doppelspuren [21].
Die Besonderheit der TEC war das namensgebende Prinzip der Zeit–Expansions–Messung.
Die durch die Ionisation beim Teilchendurchgang entstandenen Ionen und Elektronen
bleiben verhältnismäßig lange im Driftraum, bevor die Elektronen die lawinenartige Verstärkung am Anodendraht erfahren. Um eine für konventionelle Driftkammern untypisch
lange Driftzeit zu erhalten, wird zum einen ein ,,langsames” Füllgas gewählt, im Fall der
TEC war dies ein Kohlendioxid/Isobutan–Gemisch. Zum anderen wird das elektrische
Feld so geformt, daß eine Trennung zwischen einem kleinen Nachweisraum mit großem
Feldgradienten und einem großen Driftraum mit annähernd homogenen Feldverlauf entsteht. Dies ist schematisch in Abbildung 2.5 dargestellt. Die Kombination der Zeit- und der
Pulshöheninformation der elektrischen Signale auf dem Anodendraht ermöglichte schließ-
18
2. Das Experiment
lich die gute Ortsauflösung. Grundbedingung für die genaue Ortsauflösung war allerdings
eine sehr aufwendige Regelung und Kontrolle des TEC–Status. Sowohl das Mischungsverhältnis des Füllgas CO2 /iC4 H10 von 80 % zu 20 %, als auch die Temperatur und der
Druck von 1,2 bar mußten so exakt konstant gehalten werden, daß die nominelle Driftgeschwindigkeit von 6 µm/ns eine maximale Unsicherheit von 1
besaß. Zusätzlich durfte
das Gasgemisch nicht mit Sauerstoff verunreinigt werden, da sowohl die Sammlungseffizienz durch Elektroneneinfang verringert, als auch die Driftgeschwindigkeit verändert
worden wäre.
Die Spurkammer hatte die Aufgabe Spurpunkte möglichst genau zu messen. Damit wird
eine optimale nachträgliche Spurrekonstruktion und Impulsmessung ermöglicht. Die Spurinformationen aus dem SMD und der Spurkammer werden dabei in der Rekonstruktion
zu einer einzigen Spur kombiniert. Durch den exklusiven Nachweis geladener Teilchen ist
die Unterscheidung zwischen Photonen und Elektronen nur mittels der Spurdetektoren
möglich: im Gegensatz zu Photonen können Elektronen eine Spur erzeugen. Im anschließenden elektromagnetischen Kalorimeter erzeugten beide ein nahezu ununterscheidbares
Signal, gleiche Energie vorausgesetzt. Die Spurinformation ist ebenfalls wichtig um in der
Rekonstruktion zu entscheiden, ob ein Teilchen möglicherweise nicht aus der Reaktion am
Wechselwirkungspunkt stammt.
2.2.3
Das elektromagnetische Kalorimeter
Das elektromagnetische Kalorimeter (ECAL) bestand aus zwei Teilen: dem BGO aus
Bi4 Ge3 O12 -Kristallen und einem Kompositkalorimeter (SPACAL). Für eine schematische
Ansicht siehe Abbildung 2.6. Das eigentliche ECAL bildete das BGO mit rund 11000
Kristallen aus dem namensgebenden Material Wismutgermaniumoxid. Diese hatten die
Form eines 24 cm langen Pyramidenstumpfs mit quadratischer Grundfläche. Eine Tragestruktur richtete die Kristalle so aus, daß die Achse mit der kleineren Fläche von 2×2 cm2
als Stirnseite auf den Detektormittelpunkt zeigte. An der größeren 3 × 3 cm2 Fläche waren Photodioden angebracht, die das Szintillationslicht registrierten. Das Kristallmaterial
zeichnet sich durch eine sehr geringe Strahlungslänge X0 von 12 mm bei moderater Nachweiseffizienz aus. Mit der Gesamtdicke von 20 Strahlungslängen war gewährleistet, daß
selbst hochenergetische Elektronen und Photonen nahezu ihre komplette Energie im Detektor deponierten. Die Energieauflösung ist gegeben durch (nach [12]):
σE
0,025
=p
⊕ 0,01.
E
E/ GeV
Die Genauigkeit der Ausrichtung von etwa 10 mrad, die konstruktionsbedingte Segmentierung und die Kristallgeometrie ermöglichten im aktiv abgedeckten Raumbereich eine
2.2 Der L3–Detektor
19
SPACAL
BGO-Zentralbereich
75
42,3
BGO-Endkappe
Abbildung 2.6: Schematische Darstellung des ECAL in der (r, θ)–Ebene. Gezeigt sind
die Segmentierung der Kristalle des BGO und die durch das SPACAL
verschlossene Lücke (EGAP).
(Einzel-)Winkelauflösung von rund 0,5◦ . Die 7680 Kristalle im Zentralbereich deckten
einen Polarwinkelbereich von | cos θ| < 0,72 ab, diejenigen in den Endkappen einen Bereich von 0,82 < | cos θ| < 0,98, bis zum Beginn der Halterung und der Strahlröhre [22].
Durch eine Konstruktionsänderung der zentralen Spurkammer existierte bis 1996 eine
Lücke (EGAP) zwischen 0,72 < | cos θ| < 0,82. Diese wurde fast vollständig durch den
nachträglichen Einbau des modularen SPACAL geschlossen. Je 12 Module aus szintillierenden Fasern und Blei wurden in Vorwärts- und Rückwärtsrichtung eingebaut. Das
SPACAL hatte aufgrund seines Aufbaus gegenüber dem Kristallkalorimeter eine schlechtere Energieauflösung von rund 5 % bei 45 GeV. Zusätzliche Informationseinbußen wurden
durch das erheblich höhere Rauschen verursacht, so daß nur Signale oberhalb 3 GeV registriert wurden. Die gröbere und andere Segmentierung reduzierte die Winkelinformation
auf den Azimutalwinkel φ [23].
Das ECAL hatte die Aufgabe, Energiedepositionen von geladenen Teilchen und durch
die Segmentierung ihren Winkel beim Durchgang zu messen. Bei Teilchen, die elektromagnetische Schauer ausbilden, sollte die Energie vollständig absorbiert werden. Bei der
gegebenen Schwerpunktsenergie von LEP waren dies Elektronen und Photonen. Im elektromagnetischen Schauer konvertieren Photonen über Paarerzeugung zu Elektronen. Elektronen strahlen harte Bremsstrahlungsphotonen aufgrund der relativistischen Geschwin-
20
2. Das Experiment
digkeit zumeist kollinear ab. Solange genügend Energie vorhanden ist, gehen diese Prozesse schnell und praktisch ununterscheidbar nacheinander ineinander über. Diese Schauer
waren in ihrer Winkelausdehnung sehr schmal, so daß die Energie im wesentlichen nur in
einem Kristall deponiert wurde, mit erheblich kleineren Depositionen in direkt angrenzenden Kristallen.
Myonen haben eine kritische Energie von Ec,µ & 100 GeV, so daß es nicht zur Schauerbildung kommen konnte. Zusätzlich waren Myonen für die typischen Energien bei LEP
(nach der Bethe–Bloch–Gleichung) ,,minimal ionisierende Teilchen”, auch MIPs (minimal ionising particles) genannt. Das heißt, sie zeigen charakteristischerweise minimalen
Energieverlust durch Ionisation beim Durchqueren von (Detektor-) Materie. Deshalb war
das Myonspektrometer die äußerste Detektorkomponente. Myonen mit einer Energie von
50 GeV deponierten typischerweise nur 3 GeV im Detektor, davon etwa 250 MeV im BGO.
Tauonen haben wegen ihrer größeren Masse eine noch erheblich größere kritische Energie
als Myonen. Sie zerfielen im L3–Detektor aufgrund dieser großen Masse, bevor sie das
elektromagnetische Kalorimeter erreichten.
Hadronisch wechselwirkende Teilchen hinterließen ebenfalls ein deutliches Signal im ECAL.
Die hadronische Schauerbildung war dabei ein gutes Unterscheidungsmerkmal zu dem
Schauerprofil, welches Elektronen und Photonen haben. Die Schauer, die aus hadronischen Wechselwirkungen entstehen, sind in ihrer räumlichen Winkelausdehnung erheblich
größer. Zudem sind die Energiedepositionen beim Nachweis im Kalorimeter gleichmäßiger
als beim elektromagnetischen Schauer über diesen größeren Raumwinkel verteilt. Beide
Charakteristiken konnten im BGO erfaßt werden. Durch die feine Segmentierung der Kristalle wurden bei hadronischen Schauern erheblich mehr Kristalle getroffen, die dabei von
der Größe vergleichbare Energieeinträge registrierten.
Weiter ist zu berücksichtigen, daß die hadronisch wechselwirkenden Teilchen ebenfalls
Energie im ECAL verlieren. Die analoge Größe zur Strahlungslänge ist die materialspezifische hadronische Wechselwirkungslänge, die etwa eine Größenordnung größer als diese
ist. Das Material des ECALs entsprach etwa einer hadronische Strahlungslänge. Dies
heißt, daß die hadronisch wechselwirkenden Teilchen nach dem Verlassen des ECAL im
Mittel nur noch 1/e ihrer ursprünglichen Energie besaßen. Allerdings wurde diese Energie nur teilweise im ECAL deponiert; die Hadronen konvertierten in niederenergetischere
Teilchen. Das Stoppen und das Registrieren der Hadronen geschah im anschließenden
hadronischen Kalorimeter.
2.2.4
Das hadronische Kalorimeter
Das hadronische Kalorimeter (HCAL) bestand aus mehreren Segmenten, die wie das
ECAL in Zentral- und Endkappenbereich unterteilt waren. In Abbildung 2.7 ist das
2.2 Der L3–Detektor
21
Stahlröhre
Myonfilter
Zentralbereich
Szintillationszähler
BGO
BGO
Endkappe
TEC
x
Strahlröhre
Wechselwirkungspunkt
Abbildung 2.7: Schematische Darstellung der oberen Detektorhälfte in der (r, θ)–Ebene
innerhalb des support tubes. Sichtbar sind der Zentralbereich und die
Endkappen des HCAL, sowie die Strahlröhre, die TEC und das BGO,
die Szintillationszähler und die nach außen begrenzende Stützröhre.
HCAL schematisch dargestellt. Der Zentralbereich bestand aus neun Segmenten in z–
Richtung und jeweils 16 Modulen in der φ–Ebene. Die Endkappen bestanden aus drei
Ringen mit je 12 Modulen. Jedes Modul bestand aus abwechselnden Schichten von Absorberplatten aus abgereichertem Uran und Proportionalzählern. Insgesamt standen fast
8000 Auslesekanäle zur Verfügung. In jede Richtung besaß das HCAL mindestens sechs
hadronische Wechselwirkungslängen. Die orthogonale Orientierung aufeinanderfolgender
Proportionalkammern und eine Anordnung in Auslesetürme (readout towers) in Ausrichtung zum Wechselwirkungspunkt ermöglichten eine Winkelauflösung von ∆θ = ∆φ = 2◦ .
Die resultierende Winkelauflösung für hadronische Jets betrug damit 2,5◦ [24]. Die Energieauflösung ist gegeben durch
0,55
σE
=p
⊕ 0,08.
E
E/ GeV
(2.2)
Die Hauptaufgabe des hadronischen Kalorimeters lag in der Bestimmung der kompletten,
noch verbleibenden Teilchenenergie durch die vollständige Absorption der Energie. Für
die Datenanalyse ist es sehr wichtig, tatsächlich die gesamte Energie im Detektor nachzuweisen. Die Energieauflösung ist durch die Kernwechselwirkungen intrinsisch deutlich
22
2. Das Experiment
schlechter, als zum Beispiel die des BGO. In bestimmten Ereignissen interessiert insbesondere die fehlende Energie im Vergleich zur Strahlenergie, die durch Neutrinos oder noch
unbekannte Teilchen weggetragen wird. Sie läßt sich durch die Kinematik eines Ereignisses
zum Beispiel von Photonen unterscheiden, die undetektiert in die Strahlröhre entweichen.
Die notwendige Voraussetzung dafür ist aber der Nachweis der kompletten Energie. Aus
Platzgründen ist ein Material mit sehr kurzer hadronischer Wechselwirkungslänge notwendig. Das abgereicherte Uran ließ den Bau einer relativ kompakten Detektorkomponente
zu, hat aber den Nachteil des ,,Rauschens” aufgrund der Radioaktivität des Absorbermaterials. Bei der Analyse der Daten muß dies berücksichtigt werden.
Mit insgesamt sieben Wechselwirkungslängen sollte die komplette Energie im Detektor
nachgewiesen worden sein. Wie im vorigen Abschnitt erläutert, sollte es sich im HCAL
dabei fast ausschließlich um hadronisch wechselwirkende Teilchen handeln. In seltenen
Fällen drangen jedoch auch Elektronen, beziehungsweise Photonen bis ins HCAL vor, die
dort jedoch vollständig absorbiert wurden. Neben den Neutrinos bildeten die Myonen die
Ausnahme, indem sie meistens nicht gestoppt wurden und auch das HCAL verließen. Im
Gegensatz zu den Neutrinos hinterließen sie eine Spur im Detektor. Auch im HCAL sind
dies charakteristische Energiedepositionen. Typischerweise deponierte ein Myon ungefähr
2,5 GeV.
Nach außen war das HCAL vor der tragenden Stahlröhre durch mehrere Lagen 1 cm
dicker Messingplatten und Proportionalkammern abgeschirmt, dem Myonfilter. Mit einer
weiteren Wechselwirkungslänge schützte er das Myonspektrometer vor der Strahlung des
Urans.
Weiterhin waren im Übergangsbereich von elektromagnetischen und hadronischem Kalorimeter 30 Szintillationszähler installiert. Ihre Funktion wird im Zusammenhang mit dem
Myonspektrometer im nächsten Abschnitt erklärt.
2.2.5
Das Myonspektrometer
Das Myonspektrometer bestand ebenfalls aus zwei Hauptkomponenten, wiederum einem Zentralbereich und zwei Endkappen. Der Zentralbereich deckte den Polarwinkel
| cos θ| < 0,72 ab und befand sich im Solenoid-Feld des Magneten. Diese Driftkammern
waren in 2 × 8 Oktanten eingeteilt, von denen einer in Abbildung 2.8a dargestellt ist.
Die 1994 nachträglich eingebauten Kammern in den Endkappen ergänzten den Zentralbereich und deckten einen Polarwinkelbereich bis etwa | cos θ| < 0,92 ab. Die Kammern
der Endkappen bestanden aus 16 Sektoren in drei Lagen. Die innerste dieser Lagen war
innerhalb, die beiden äußeren außerhalb der Eisentüren. Diese Türen bildeten das seitliche
Rückflußjoch des Magneten. Zusätzliche Spulen sorgten dafür, daß für diese Myonkammern ein toroidales Magnetfeld vorlag. In Abbildung 2.8b ist das Myonspektrometer mit
2.2 Der L3–Detektor
ÄK: Äußere Kammer mit 18 Drähten
23
r [m]
8
6
MK: Mittlere Kammer mit 24 Drähten
4
2,9m
IK: Innere Kammer mit 18 Drähten
(a)
2
0
(b) 0
Rückflussjoch
Spule
ÄK
MK
Tür
IK
Θ
2
Stahlröhre
o
44
z [m]
6
8
o
24 36o
4
Abbildung 2.8: Das Myonspektrometer in schematischer Darstellung:
(a) die drei Kammerlagen eines Oktanten des Zentralbereichs;
(b) der Querschnitt eines Detektorviertels in der (r, θ)-Ebene inklusive
der Tür.
einer Endkappe dargestellt.
Die bereits erwähnten Szintillationszähler auf 2,9 m Länge parallel zum Strahlrohr bestimmten, inwiefern Myonensignale in den Myonkammern koinzident (im Zeitfenster 0,5 ns)
mit einem Kollisionsereignis waren. Weitere Szintillationszähler waren in den Endkappen
installiert. Mit dieser Information kann der Hintergrund kosmischer Myonen minimiert
werden, die den Detektor während einer e+ e− –Kollision passierten und als vermeintliche
Kollisionsprodukte registriert wurden.
Zentralbereich
Im Zentralbereich bestanden die drei Lagen des Spektrometers aus p–Kammern mit parallel zur Strahlröhre gespannten Anodendrähten, die die Spuren in der (r, φ)–Ebene vermessen konnten. Die innere und die äußere Lage besaßen zusätzlich orthogonale Drahtanordnungen in den z–Kammern, die die (r, θ)–Koordinate einer Spur messen konnten.
Die Krümmung der Spur im Magnetfeld B ermöglichte die Impulsmessung eines Myons.
In Abbildung 2.9 ist das Meßprinzip für den Myonenimpuls im Zentralbereich dargestellt.
Die Meßgröße ist die Sagitta s, die Abweichung der Teilchenbahn mit Krümmungsradius R
von einer ungekrümmten Spur. Die äußeren Kammern gaben die Gerade vor, während die
mittlere Kammer die Abweichung zu dieser Geraden gemessen hat. Für Sekantenlängen
24
2. Das Experiment
L ¿ R gilt für den Transversalimpuls p⊥ die Beziehung
p⊥ =
BL2
.
8s
(2.3)
Die Länge L des Hebelarms der ersten auf die dritte Kammer betrug 2,9 m. Da die mittlere Kammer bei dieser Messung den größten Einfluß hatte, war sie mit 24 Signaldrähten
anstelle von 16 in den äußeren Kammern ausgestattet. Die Impuls- und Ortsauflösung war
abhängig davon, wieviele und welche der Kammern getroffen wurden. Für ein Myon mit
einem Impuls von 45 GeV betrug die Impulsauflösung bei vollständiger Information rund
2,5%. Die Impulsauflösung verringerte sich auf rund 20%, wenn nur zwei p–Kammern
getroffen wurden und der Impuls aus der Spurneigung rekonstruiert werden mußte. Mit
der Information aus nur einer p–Kammer ist die Impulsrekonstruktion unmöglich. Die
z–Kammern bestanden aus zweilagigen Driftkammern, die jeweils an beiden Seiten der
inneren und der äußeren p–Kammer angebracht waren. Die einzelnen Driftzellen benachbarter Lagen waren dabei gegeneinander versetzt. In jeder Driftzelle befand sich ein Signaldraht, der die z–Koordinate auf 500 µm Genauigkeit bestimmen konnte. Mit einem
Signal aus allen z–Kammern konnte der Polarwinkel auf 0,3◦ exakt bestimmt werden [25].
Endkappen
Es gab im Polarwinkelbereich 0,72 < | cos θ| < 0,81 noch zwei (mögliche) Treffer im Zentralbereich, womit die Rekonstruktionsmethode aus dem Zentralbereich benutzt werden
konnte (siehe Abbildung 2.8b). Die Impulsauflösung betrug dort 4% bis 23% in Abhängigkeit des Hebelarms zwischen den Punkten, die die Gerade definieren. Im Polarwinkelbereich unterhalb bis zur Nachweisgrenze von | cos θ| < 0,92 standen nur die Endkappen
zur Verfügung. Das toroidale Magnetfeld von 1,2 T zwang die Myonen wiederum auf eine Kreisbahn, aus dessen Krümmungsradius der Impuls bestimmt wurde. Die Myonen
mußten dabei die 0,9 m dicken Eisentüren durchqueren, was die Impulsauflösung auf etwa
2.9 m
B
s2
s1
Innen
16 Drähte
S
Mitte
24 Drähte
µ- Spur
s3
Außen
16 Drähte
Abbildung 2.9: Das Meßprinzip für Myonenimpulse im Zentralbereich: die Abweichung
s von der Geraden.
2.2 Der L3–Detektor
25
30% senkte. Der Grund war die Vielfachstreuung im Eisen, die eine statistisch verteilte
Richtungsänderung des Myons bewirkte.
2.2.6
Die Luminositätsmonitore
Auf beiden Seiten des Wechselwirkungspunkts waren in etwa drei Metern Entfernung
davor und dahinter in direkter Nähe zur Strahlröhre zwei Luminositätsmonitore installiert (Abbildung 2.10). Diese bestanden aus zylinderförmig angeordneten BGO–Kristallen
(wie im elektromagnetischen Kalorimeter), in Kombination mit drei Lagen Siliziumstreifendetektoren (SLUM) an der Frontseite zum Wechselwirkungspunkt. Die Polarwinkelabdeckung betrug 24,93 mrad < |θ| < 69,94 mrad bei einer Winkelauflösung von 0,9 mrad in
φ und 0,4 mrad in θ. Die resultierende Genauigkeit der Luminosität betrug 1 [26].
Die Luminosität L charakterisiert, wieviele Teilchen pro Zeit pro Fläche vorhanden sind.
Multipliziert mit dem (totalen) Wirkungsquerschnitt σ einer Reaktion gibt die Luminosität die Rate r vor, mit der die Reaktion beobachtet werden kann:
r = Lσ.
(2.4)
Für die Messung eines Wirkungsquerschnitts ist die exakte Kenntnis der Luminosität eine Grundvoraussetzung. Bei L3 wurde die Bhabha–Streuung unter kleinen Winkeln zur
Bestimmung der Luminosität benutzt. Der Wirkungsquerschnitt dieser Reaktion ist theoretisch sehr exakt bekannt. Mit Gleichung 2.4 ergibt sich, daß die Messung der Luminosität
eine Messung der Zählrate wird.
HCAL Endkappe
SiliziumStreifendetektor
Strahlröhre
BGO-Kristalle
Abbildung 2.10: Schematische Darstellung eines Luminositätsmonitors und seiner Position relativ zum HCAL. Gezeigt ist ein Schnitt in der (y, z)–Ebene.
26
2.2.7
2. Das Experiment
Trigger und Datennahme
Die e+ e− –Kollisionen fanden bei LEP200 alle 22 µs am Wechselwirkungspunkt statt. Die
Auslese der kompletten Daten des L3–Detektors dauerte jedoch knapp 2ms, währenddessen der Detektor keine neuen Signale aufnehmen konnte. Um diese Totzeit zu minimieren,
sollten nur die physikalisch interessanten Ereignisse vollständig ausgelesen werden. Zusätzlich war auch die Rate auf einige Hz limitiert, mit der die komplette Detektor–Information
auf Band geschrieben werden konnte. Ein dreistufiges Triggersystem reduzierte die Datenmenge und bestimmte die von L3 registrierten und gespeicherten Daten. Der erste
Trigger mußte innerhalb von 8 µs entscheiden, ob die Informationen genauer und damit
länger untersucht werden. Dafür verwertete er besonders schnelle Signale von vier unabhängigen Subtriggern, zum Beispiel des Energie- oder des TEC–Triggers. Redundanz
durch gleichzeitiges Auslösen mehrerer Trigger ermöglichte die Bestimmung der Triggereffizienz. War die Entscheidung des ersten Triggers positiv, wurde die Entscheidung an die
zweite Triggerstufe weitergegeben. Auf analoge Weise gingen dann die zweite und dritte
Stufe vor, wobei die dritte Stufe bereits auf vollständig digitalisierte Rohdaten zurückgreifen konnte [27]. Die Ereignisdaten wurden dann schließlich mit einer Rate von 5 Hz
auf Band geschrieben.
2.3
Ereignisrekonstruktion
Die digitalisierten Rohinformationen werden mit Computerunterstützung rekonstruiert.
Dafür werden die unterschiedlichen Teilinformationen mit den zugehörigen Kalibrationskonstanten versehen. Als wichtigstes Beispiel dafür ist die Gewichtung mittels der g–
Faktoren der Energieeinträge zu nennen. Die Energieeinträge werden zu Energie–Clustern
zusammengefaßt, die der Energieabgabe einzelner Teilchen in den Kalorimetern entsprichen. Die Kombination der kalorimetrischen und kinematischen Information aus den Spurdetektoren bietet die Möglichkeit die Ereignisse zu klassifizieren und zu analysieren. Die
gespeicherten Datensätze beinhalten neben der eindeutigen Zuordnung von Run- und
Eventnummer auch Informationen über den Status des Detektors und Effizienzen von
Einzelkomponenten während der Datennahme.
2.4
Simulation von Detektor und Ereignissen
Die Analyse und Klassifikation der Ereignisse geschieht über den Vergleich der gemessenen Daten mit den Erwartungen des Standardmodells. Die Erwartungen sind nicht auf
naive Art zu formulieren und insbesondere im Falle der nicht-pertubativen QCD nur
2.4 Simulation von Detektor und Ereignissen
27
auf phänomenologischer Basis möglich. Die Formulierung einer Erwartung erfolgt mittels
Monte Carlo Simulationen. Der Vergleich findet dann zwischen den real aufgezeichneten
Daten und Simulationen statt. Die Simulation ist dabei ein aufwendiger, mehrschrittiger
Prozeß. Mithilfe von Computern werden Ereignisse mit dem vollständigen theoretischen
Wissen generiert. Da solch ein ,,reines” Ereignis nur einem idealen Detektor zugänglich
wäre, muß es wie das reale Ereignis noch in ein Detektorsignal umgerechnet werden. Dafür
wird diese Detektorantwort auf solche Ereignisse mit einem virtuellen, aber möglichst realitätsnahen Detektor simuliert. Erst der Vergleich zwischen Simulation und Daten eröffnet
die Möglichkeit, die physikalischen Ereignisse, das Detektorverhalten und systematische
Fehler zu studieren.
Dies ist ein sensibler und zugleich rückgekoppelter Vorgang. Mit physikalisch eindeutigen
Reaktionen wird die Detektorantwort auf diese Ereignisse verständlich. Nur bei ausreichendem Verständnis des Detektors wird die Klassifizierung von Ereignissen so exakt
möglich, wie es für Präzisionsmessungen notwendig ist. Unter der Voraussetzung eines
gut verstandenen Detektors wird schließlich das Studium systematischer Effekte möglich,
und nicht zuletzt die Suche nach unbekannten Teilchen und neuer Physik.
Die Grundlage für die Simulation des L3–Detektors bilden die Programme GEANT [28]
und GEISHA [29]. Ereignisse mit Vier–Fermion–Endzuständen werden in dieser Arbeit
mit KANDY [30] generiert, was die Generatoren KORALW und YFSWW beinhaltet [30], Ereignisse mit Zwei–Fermion–Endzuständen werden mit KK2F [31] generiert.
Kapitel 3
Ereignisselektion von
e+e− → W+W− → qq̄0`ν`
In diesem Kapitel werden die einzelnen Selektionen der Ereigniskandidaten des semileptonischen W–Paarzerfalls e+ e− → W+ W− → q q̄ 0 `ν` vorgestellt. Diese Selektionen wurden
von den Mitgliedern der W–Arbeitsgruppe des L3–Experiments erstellt. Die selektierten
Daten bilden die Grundlage für alle Analysen der semileptonischen W–Paarereignisse.
Dies sind insbesondere die Messung des Wirkungsquerschnitts [10] und die Bestimmung
der W–Masse. Einzelheiten und eine vollständigere Darstellung erhält man für den Endzustand q q̄ 0 eνe in [32], für q q̄ 0 µνµ in [33] und für q q̄ 0 τ ντ in [34]. Die im Juli 2004 aktuellen
Selektionsschnitte findet man in [10]. Erst wird das Grundprinzip der Selektion semileptonischer W–Paarzerfälle erläutert, bevor die teilweise unterschiedlichen Details der
einzelnen Kanäle genauer vorgestellt werden.
3.1
Grundprinzip der Selektion semileptonischer W–
Paarzerfälle
Die Ereigniskandidaten für semileptonische W–Paarzerfälle besitzen unabhängig vom spezifischen Zerfallskanal einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten. Sie zeichnen sich alle durch
folgende Eigenschaften aus (siehe auch [35]):
das Ereignis besitzt eine mittlere Energie–Clusteranzahl NSRC
(typisch 10 < NSRC < 50) ,
im Ereignis gibt es fehlende Energie,
28
3.1 Grundprinzip der Selektion semileptonischer W–Paarzerfälle
29
das Ereignis ist longitudinal und/oder transversal nicht balanciert und
es gibt zwei Jets (zum Beispiel nach [36]) mit hoher Multiplizität.
Für den Zerfall des einen W–Bosons in ein Elektron oder in ein Myon gilt noch die
Gemeinsamkeit, daß
ein hochenergetisches und geladenes Lepton sichtbar ist.
In Abbildung 3.1 ist ein Beispiel für einen selektierten Ereigniskandidaten für den Endzustand q q̄ 0 µνµ im Eventdisplay dargestellt. Aufgrund des Leptons im Ereignis gibt es
weniger Cluster als im vollhadronischen W–Paarzerfall e+ e− → W+ W− → q q̄ 0 q 00 q̄ 000 . Andererseits gibt es deutlich mehr Cluster als im rein leptonischen Zerfall von W–Paaren
e+ e− → W+ W− → `ν`0 ν 0 . Das geladene Lepton sollte im Mittel etwa ein Viertel der
Schwerpunktsenergie besitzen. Dabei wird angenommen, daß beide W–Bosonen im Mittel die Hälfte der Schwerpunktsenergie erhalten und die Zerfallsprodukte wiederum im
Mittel die Hälfte dieser Energie erhalten. Für die Endzustände q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ sollte
nach der gleichen Überlegung im Mittel 34 der Schwerpunktsenergie im Detektor nachgewiesen werden, da hier das Neutrino den Detektor ohne Nachweis verläßt. Bei einem
√
e+ e− –Beschleuniger ist die Schwerpunktsenergie s bekannt, so daß sie mit der im Detektor nachgewiesenen sichtbaren Energie Evis verglichen werden kann. Der fehlende Anteil
der Energie wird als fehlende Energie Emiss bezeichnet. Das Neutrino trägt auch Impuls
aus der Kollision davon, den fehlenden Impuls p~miss . Da die Kollisionen im Schwerpunktssystem stattfinden, kann man Größen definieren, die auf Imbalancen sensitiv sind. Zwei
dieser Größen sind die transversale und die longitudinale Energie. Die longitudinale Energie ist definiert als
n
X
Ei,z ,
(3.1)
Elong =
i=1
die transversale Energie durch
Etrans
vÃ
!2
!2 Ã n
u n
u X
X
=t
Ej,y .
Ej,x +
j=1
(3.2)
j=1
Die einzelnen Energien Ei,j eines Teilchens i in ihren kartesischen Koordinaten sind dabei in Gleichung (3.3) definiert. Dies sind formal geschrieben dreidimensionale Energie–
~ es handelt sich aber nur um die Zuweisung einer Raumrichtung für einzelne
Vektoren E,
Energiebeiträge. Die Energien aus den Lorentzvektoren der Cluster können mit ihrer Orientierung im Raum kombiniert werden zu:




cos(φi ) · sin(θi )
Ei,x
~i =  Ei,y  = Ei ·  sin(φi ) · sin(θi ) 
(3.3)
E
Ei,z
cos(θi )
30
3. Ereignisselektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 `ν`
Dabei gilt das in Abbildung 2.2 definierte Koordinatensystem.
Die invariante Jet–Jet–Masse Mjj und die invariante Lepton–Neutrino–Masse M`ν wird
bei allen Selektionen verwendet. Die Jet–Jet-Masse sollte kompatibel mit der W-Masse
von ungefähr 80 GeV sein. Die Jet–Jet–Masse läßt sich aus den Vierervektoren pJet i der
+
y
z
Transverse Imbalance : .3638
x
Longitudinal Imbalance : .1396
Abbildung 3.1: Ein selektierter Ereigniskandidat für den Endzustand q q̄ 0 µνµ im Eventdisplay des L3–Detektors in der Projektion auf die (x, y)–Ebene. Die
Imbalancen im Verhältnis zur sichtbaren Energie sind ebenfalls eingetragen. Es sind deutlich die beiden Hadron–Jets mit hoher Clusterzahl
im hadronischen Kalorimeter erkennbar. Gut davon isoliert ist ein über
die MIP–Signatur erkanntes Myon sichtbar mit einer Spur aus der Spurkammer und den typischen Energieeinträgen im BGO und im HCAL.
Für die Selektionsdetails dieses Kanals siehe Unterabschnitt 3.3.
3.2 Selektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 eνe
31
beiden Jets berechnen:
Mjj =
p
(pJet 1 + pJet 2 )2 .
(3.4)
Die Lepton–Neutrino–Masse berechnet sich analog, wobei der Vierervektor des Neutrinos
aus der fehlenden Energie und dem fehlenden Impuls gebildet wird:
p
M`ν = (p` + pν )2 .
(3.5)
3.2
Selektion von e+e− → W+W− → qq̄0eνe
Die wichtigste Bedingung für die Zuordnung in diesen Zerfallskanal ist ein identifiziertes
Elektron mit einer Mindestenergie von 20 GeV.
Die Identifikation als Elektron geschieht dabei über die Information aus der TEC und
dem BGO, beziehungsweise dem SPACAL. Stark vereinfacht gilt: wenn in der TEC eine
Spur existiert, die einem Cluster im BGO zugeordnet werden kann, so ist dieser Cluster
ein Elektron–Kandidat. Im SPACAL geschieht die Elektron–Identifikation im wesentlichen dadurch, daß im HCAL direkt hinter einem Cluster weniger als 0,2 GeV deponiert
werden. Für das BGO gibt es eine optimierte Identifikation auf der Basis eines neuronalen
Netzes mit zwei hauptsächlichen Eingangsgrößen. Die erste Unterscheidungsgröße differenziert zwischen hadronischen und elektromagnetischen Schauern im BGO. Das Verhältnis
von Energiemengen, das ein Teilchen auf 3 × 3 zu 5 × 5 Kristallen verteilt ist deutlich
unterschiedlich für elektromagnetische und hadronische Schauer. In Abbildung 3.2 sind
zwei unterschiedlich wechselwirkende Teilchen mit ihren typischen Energieeinträgen dargestellt. Das Verhältnis wird als E9 /E25 bezeichnet. Für elektromagnetische Cluster wird
Abbildung 3.2: Das Hauptunterscheidungskriterium zwischen elektromagnetischen und
hadronischen Clustern im BGO: das Verhältnis der deponierten Energie
in 3 × 3 zu 5 × 5 Kristalle. Links das typische Signal eines Elektrons,
rechts das eines Hadrons.
32
3. Ereignisselektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 `ν`
verlangt: E9 /E25 ≥ 0,95. Die zweite wichtige Eingangsgröße des neuronalen Netzes bietet
die Möglichkeit einer differenzierteren Aussage, welches Teilchen einen Schauer im BGO
erzeugt hat. Sie wird aus dem Vergleich des BGO-Signals mit Ergebnissen von Testrahlmessungen für eine 3 × 3–Kristallmatrix gewonnen und gibt die ,,Photon-artigkeit” (oder
die ,,Elektron-artigkeit”) des Schauers wieder. Insgesamt werden bei der Identifikation die
Qualität einer TEC–Spur, die Passgenauigkeit in den Winkeln φ und θ bei der Kombination von TEC–Spur und Clustern, sowie mögliche Detektorineffizienzen berücksichtigt.
Darüber hinaus muß die Richtung des fehlenden Impulses in den Detektor zeigen, so daß
der Winkel θmiss die Bedingung | cos θmiss | < 0,95 erfüllt. Somit ist gewährleistet, daß die
fehlende Energie nicht in der Strahlröhre durch Photonabstrahlung eines der Kollisionsteilchen (sogenannte initial state radiation (ISR)) verloren gegangen ist. Die rekonstruierte Jet–Jet–Masse Mjj muß größer sein als 45 GeV. Um eine gute Unterscheidung von
Ereignissen zu haben, die aus e+ e− → W+ W− → q q̄ 0 τ ντ mit τ → eντ νe stammen, wird
zusätzlich verlangt, daß die Lepton–Neutrino–Masse Meν größer als 63 GeV ist. Im Zerfall
e+ e− → W+ W− → q q̄ 0 τ ντ mit τ → eντ νe geht durch die Neutrinos aus dem τ –Zerfall
weitaus mehr Energie verloren, so daß die invariante Masse geringer ist. Schließlich minimiert man noch den dominanten Untergrund, der aus Endzuständen e+ e− → q q¯0 (γ)
stammt. Dafür nutzt man aus, daß diese Ereignisse in einer Ebene liegen und verlangt
einen totalen Wwinkel zwischen den Jets und dem Elektron von ω ≤ 5,3 rad. Für ebene
Ereignisse ist der totale Winkel ωEben = 2π ≈ 6,28 rad.
3.3
Selektion von e+e− → W+W− → qq̄0µνµ
In diesem Zerfallskanal ist es erforderlich, daß ein hochenergetisches Myon identifiziert
wurde. Da jedoch nicht im Kalorimeter nachgewiesene Energie, sondern der Impuls die
Meßgröße ist, gelten die meisten Kriterien für die Spurrekonstruktion des Myons. Dabei
ist zwischen zwei Identifikationstypen zu unterscheiden: Myonen, die über das Myonspektrometer als solche identifiziert werden, sowie die Myonen, die ausschließlich über ihre
MIP–Signatur (siehe 2.2.3) als Myonen klassifiziert werden. Etwa 85 % der identifizierten
Myonen werden über Treffer in den Myonkammer klassifiziert. Zur sprachlichen Unterscheidung wird ein Myon mit Spektrometererkennung als identifiziertes Myon bezeichnet,
im Gegensatz zu einem MIP, das über die MIP–Signatur erkannt wird.
Identifizierte Myonen haben Spuren aus mindestens zwei der drei Kammern eines Sektors.
Der kleinste Abstand zum Vertex (DCA: distance of closest approach) aus der Spurrekonstruktion in den Myonkammern ist maximal 500 mm in z–Richtung und 100 mm in
der senkrechten Ebene dazu. Spuren in der TEC müssen innerhalb einer Toleranz zu den
Myonkammerspuren passen, ebenso die Energiedepositionen in den Kalorimetern. Erfüllen
mehrere Myonen diese Kriterien, wird das höchstenergetische als das Myon aus dem End-
3.3 Selektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 µνµ
33
zustand q q̄ 0 µνµ angenommen.
MIPs erfüllen strengere Kriterien bezüglich ihrer Spurmessung und -rekonstruktion. Die
TEC–Spur muß gut vermessen sein und der DCA muß kleiner als 2 mm sein. Die Energiedepositionen im BGO und im HCAL müssen innerhalb bestimmter Werte liegen. In einem
BGO–Kristall muß die Energie 0,1 GeV bis 2 GeV betragen. Falls im HCAL ein Cluster
existiert, muß er mindestens 0,5 GeV besitzen. Ohne Energiedeposition im HCAL wird
verlangt, daß die Myonrichtung innerhalb von 1◦ in eine Lücke im Myonkammernsystem
zeigt. Erfüllen mehrere MIPs die Anforderungen, wird das mit dem höchsten Impuls aus
der TEC–Messung als das Myon aus dem Endzustand q q̄ 0 µνµ angenommen.
Die Identifikation kann in eine Richtung kontrolliert werden, indem man die Information
der Myonkammern für die identifizierten Myonen nicht benutzt und die Identifikationsmethode nur über die MIP–Signatur verwendet.
Für identifizierte Myonen gelten die Massenintervalle 35 GeV ≤ Mjj ≤ 125 GeV und
Mµν ≥ 53 GeV. Für MIPs ist das erlaubte Jet–Jet–Massenintervall kleiner mit 45 GeV ≤
Mjj ≤ 110 GeV, und es gibt keinen Schnitt auf Mµν . Um Ereignisse mit W+ W− → q q̄ 0 τ ντ
und τ → µνµ ντ zu unterdrücken, nutzt man einen Zusammenhang zwischen dem Myonimpuls |p~µ | und dem Zerfallswinkel θ ∗ des Myons im Ruhesystem des W-Bosons aus.
Aufgrund der W–Polarisation zerfallen hochenergetische Myonen bevorzugt in Vorwärtsrichtung bezüglich des W–Bosons. Diese Korrelation ist für die Endzustände q q̄ 0 µνµ stärker
als für q q̄ 0 τ ντ mit τ → µνµ ντ . Die Grundidee für eine Trennung dieser Ereignisse ist ein
Schnitt in der Ebene, die durch |p~µ | − cos θ∗ definiert ist. Für den optimierten Schnitt
definiert man die Variable P ∗ ≡ |p~µ | − 10 GeV(cos θ ∗ + 1) und fordert P ∗ > 18,5 GeV
für identifizierte Myonen und nimmt die lockerere Forderung P ∗ > 15 GeV für MIPs.
Ein Nebeneffekt ist die zusätzliche Unterdrückung des Untergrunds aus q q̄ 0 (γ). Um Endzustände q q̄ 0 (γ) mit einem Myon in den Quark-Jets weiter zu unterdrücken, verlangt man
einen Mindestwinkel zwischen dem Myon und dem nächsten Jet. Zu dieser Unterscheidung
wird zusätzlich noch der Polarwinkel θν des fehlenden Impuls hinzugenommen, der mit der
Richtung des ISR–Photons oder des Neutrinos verknüpft ist. Der Winkel zwischen dem
Myon und dem nächsten Jet sei ψµj , die diskriminierende Größe ist sin θν ·ψµj . Es wird ein
Wert sin θν · ψµj > 5,5◦ für identifizierte Myonen verlangt und sin θν · ψµj > 20◦ für MIPs.
Um schließlich den Untergrund von Zerfällen der Art ZZ → q q̄µ+ µ− zu reduzieren, führt
man zwei weitere Schnitte durch. Für Ereignisse mit zwei oder mehr Myonen bildet man
analog zur Jet–Jet–Masse die invariante Masse der beiden höchstenergetischen Myonen
Mµµ und verlangt Mµµ ≤ 80 GeV. Für MIPs gibt es dieses Kriterium nicht, weshalb man
die unterschiedliche Ruhemasse von Z und W ausnutzt, um β = v/c des Bosons aus den
Jets zu berechnen:
βEichboson =
|p~j1 + p~j2 |
.
Ej1 + Ej2
(3.6)
3. Ereignisselektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 `ν`
34
Für eine gegebene Schwerpunktsenergie und der bereits erwähnten Annahme, daß jedes
Boson im Mittel die halbe Schwerpunktsenergie erhält, ist β nur von der Masse abhängig:
r
√
|~p|
M2
E2 − M 2
β=
=
= 1− 2.
(3.7)
E
E
E
√
Für s = 189 GeV ist β ≈ 0,26 für ein Z-Boson, beim W-Boson hingegen ist β ≈ 0,52.
√
Dieser Schnitt ist abhängig von s/2 und variiert zwischen 0,34 und 0,49. Um kosmische
Myonen zu verwerfen, die nur zufällig den Detektor treffen, reichen die Koinzidenzschaltung der Szintillationszähler und die Spuranforderungen in der TEC aus.
3.4
Selektion von e+e− → W+W− → qq̄0τ ντ
Dieser Zerfallskanal bereitet die größten Schwierigkeiten. Das τ –Lepton zerfällt mit einer
mittleren Lebensdauer von etwa 2,9 · 10−13 s (nach [11]) bereits in der Strahlröhre, so daß
es sich nur über diesen weiteren Zerfall identifizieren läßt. Das τ zerfällt zu je ungefähr
18% leptonisch nach τ → eνe ντ , beziehungsweise τ → µνµ ντ , zu etwa 64% zerfällt es
in Hadronen [11]. Es bilden sich τ –Jets, die eine geringe Multiplizität aufweisen. Prinzipielle Selektionskriterien sind Etrans > 10 GeV, 30 GeV < Mjj < 110 GeV und daß die
Recoil–Masse gegen die beiden Jets größer als 35 GeV ist. Gibt es weder ein Elektron
noch ein Myon im Ereigniskandidaten, so werden alle Cluster in Konusse mit 15◦ halbem Öffnungswinkel um die höchstenergetischen Cluster in Jets rekonstruiert. Existieren
dann drei rekonstruierte Jets im Ereignis, so wird der τ –Jet mit einem neuronalen Netz
identifiziert. Die fünf Eingangsgrößen des Netzes sind:
die Anzahl der TEC-Spuren,
die Anzahl der kalorimetrischen Cluster,
der halbe Öffnungswinkel des Jets,
die elektromagnetische Energie des Jets und
die Masse des Jets.
Der Jet mit dem höchsten Rückgabewert wird als der τ –Jet angenommen. Bei den leptonischen Zerfällen des τ in einem Drittel aller Fälle ergibt sich das Problem, daß diese
Ereignisse denen aus 3.2 und 3.3 sehr ähnlich sehen. Die Unterschiede zeigen sich wesentlich in der Lepton–Neutrino–Masse M`ν . Durch die zusätzlichen Neutrinos des τ –Zerfalls
ist M`ν bei q q̄ 0 τ ντ geringer als bei den Endzuständen q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ . Es werden die
3.5 Selektierte Daten
35
Kanal X
e e → q q¯0 eνe
e+ e− → q q¯0 µνµ
e+ e− → q q¯0 τ ντ
+ −
hEffizienzi ²X
73%
74%
50%
hReinheiti πX
90%
92%
80%
Gesamtanzahl
1219
1150
1331
Tabelle 3.1: Die Eigenschaften der selektierten Daten: die luminositätsgewichtete mittlere Effizienz und Reinheit der Selektion der einzelnen Endzustände.
komplementären Schnitte auf M`ν benutzt, um eine doppelte Selektion zu vermeiden. Für
τ → eνe ντ gilt Meν ≤ 63 GeV und für τ → µνµ ντ gilt Mµν ≤ 53 GeV. Da die Information
dafür nicht ausreichend ist, gibt es keine Myon–Erkennung ausschließlich über die MIP–
Signatur.
Für den Fall von hadronisch zerfallenden τ –Leptonen müssen zusätzliche Schnitte gegen
die Endzustände q q̄(γ) vorgenommen werden. Für den τ –Jet sind maximal drei Spuren
erlaubt. Der Polarwinkel des fehlenden Impuls muß der Bedingung | cos θmiss | < 0,91
genügen, um Photonen auszuschliessen, die unter kleinen Winkeln zur Strahlachse abgestrahlt werden. Analog zu Abschnitt 3.2 muß der totale Winkel zwischen dem τ –Jet–
Kandidaten und den anderen beiden Jets weniger als 6 rad betragen.
3.5
Selektierte Daten
Die selektierten Daten sind in ihren wichtigsten Kriterien nach den Zerfallskanälen geordnet die in Tabelle 3.1 aufgelistet. Die Effizienz ²X eines Zerfallkanals X ist definiert
als
Anzahl der selektierten Ereignisse aus X
²X =
,
(3.8)
Gesamtanzahl der Ereignisse X
und die Reinheit πX ist
πX =
Anzahl der selektierten Ereignisse aus X
.
Gesamtanzahl der selektierten Ereignisse
(3.9)
In Tabelle 3.2 sind die Energieintervalle definiert, die in dieser Arbeit abkürzend als Energiepunkte bezeichnet werden. Ebenfalls verzeichnet sind die integrierten Luminositäten
pro Energieintervall, die die mit L3 aufgezeichnete Datenmenge wiedergibt.
3. Ereignisselektion von e+ e− → W+ W− → qq̄0 `ν`
36
Jahr
Energiepunkt
√
s [ GeV]
1998
1999
189
192
196
200
202
205
207
208
2000
mittlere Schwerpunktsenergie
√
h si [ GeV]
188,6
191,6
195,5
199,6
201,8
204,8
206,5
208,0
Energieintervall
√
h si
∈ [ GeV]
[160,0 , 190,7]
[190,7 , 194,7]
[194,7 , 198,7]
[198,7 , 200,7]
[200,7 , 204,7]
[204,7 , 205,8]
[205,8 , 207,4]
> 207,4
integrierte
Luminosität
R
L dt[pb−1 ]
176,8
29,8
84,1
83,3
37,1
79,0
130,5
8,6
Tabelle 3.2: Die integrierten Luminositäten von L3 aufgespalten nach Energieintervallen.
Zusätzlich sind die mittleren Schwerpunktsenergien angegeben, sowie die in
dieser Arbeit benutzten, abkürzenden Bezeichnungen von Energiepunkten
anstelle der Intervalle. Die Daten des Energiepunkts 208 GeV konnten in
dieser Arbeit aus technischen Gründen nicht berücksichtigt werden. (Der
Header des 4–Fermion–Monte Carlos war zerstört, so daß sich die für diese
Analyse benötigte Mother Track ID nicht auslesen ließ.)
Kapitel 4
Gegenstand der Analyse
4.1
Zentrale Aufgaben
Diese Arbeit hat die Untersuchung systematischer Unsicherheiten bei der Bestimmung
der W–Masse mit dem L3–Detektor zum Ziel. Es geht um das Studium nicht zutreffender
Beschreibung der experimentellen Daten durch Monte Carlos.
Die genaue Bestimmung der W–Masse ist die letzte noch offene Kernaufgabe des Programms von LEP. Die W–Masse stellt einen wichtigen, nur experimentell bestimmbaren
Parameter des Standardmodells dar. Solange das Higgs–Boson nicht nachgewiesen ist,
liefert die W–Masse zusammen mit der Masse des top–Quarks die beste Möglichkeit der
Einschränkung des Massenbereichs des Higgs–Bosons. Darüber hinaus kann der Higgs–
Mechanismus (insbesondere Gleichung 1.19) getestet werden. Und schließlich kann die
innere Konsistenz des Standardmodells überprüft werden.
Der limitierende Faktor ist die erheblich geringere Anzahl von Ereignissen im Vergleich zur
Bestimmung der Z–Masse. Die Anzahl von ungefähr 10000 aufgezeichneten W–Paarzerfällen in L3 setzt das statistische Limit auf rund 40 MeV für die beste Bestimmungsmethode.
Bei einer ungefähren W–Masse von 80,5 GeV entspricht dies einer relativen Genauigkeit
von 0,5%. Der systematische Fehler soll dabei kleiner als der statistische Fehler sein, oder
maximal genauso groß. Dies stellt enorme Ansprüche an die Untersuchung der Quellen
möglicher Systematiken. Jede einzelne Systematik muß mit einer Methode untersucht werden, deren Sensitivität besser als die vorgegebenen 40 MeV sind.
Die komplette Systematik der W–Massenbestimmung (siehe Tabelle A in Anhang A) übersteigt bei weitem den Rahmen einer Diplomarbeit. Die erste Einschränkung liegt in der
Auswahl der Endzustände. Es werden nur semileptonische Endzustände q q̄ 0 `ν` untersucht.
37
38
4. Gegenstand der Analyse
Das sind die Zerfälle der W–Paare W+ W− nach
1. q q̄ 0 eνe ,
2. q q̄ 0 µνµ und
3. q q̄ 0 τ ντ .
Im vollhadronischen W–Paarzerfall treten zwei besonders gravierende Probleme auf, die
die Vorteile dieses Kanals fast vollständig zunichte machen. Die Vorteile des vollhadronischen W–Paarzerfalls sind die hohe Selektionsreinheit und -effizienz, das größte Verzweigungsverhältnis und die Tatsache, daß praktisch alle Informationen im Detektor aufgezeichnet werden. Das hauptsächliche Problem ist dabei die Colour Reconnection, die den
Gluonaustausch zwischen den Quarks unterschiedlicher W–Bosonen bedeutet. Eine weitere Schwierigkeit liegt im sogenannten kombinatorischen Untergrund, der aus der nicht
eindeutigen Zuordnung von vier, beziehungsweise mit Gluonabstrahlung fünf Quarkjets
zu zwei ursprünglichen W–Bosonen resultiert [37].
Die hier untersuchten semileptonischen W–Paarzerfälle zeigen beide Probleme kaum. Es
werden nur Ereignisse mit zwei Jets hoher Multiplizität selektiert. Damit ist sowohl die
kombinatorische Unsicherheit stark vermindert, als auch die Möglichkeit der Inter–W–
Wechselwirkung. Die verbleibende Möglichkeit hierfür liegt in der unwahrscheinlichen
Fehlselektion von Vier–Jet–Ereignissen. Andere Nachteile limitieren allerdings die Aussagekraft der semileptonischen W–Paarzerfälle. Ein erheblicher Anteil der Information über
das Ereignis geht durch mindestens ein undetektiert entweichendes Neutrino verloren. Im
Zerfall nach q q̄ 0 τ ντ sind dies mindestens zwei Neutrinos. In diesem Zerfallskanal existiert
die zusätzliche Schwierigkeit, daß er mit den beiden anderen semileptonischen Zerfällen
verwechselt werden kann. Außerdem macht ihn die niedrige Selektionseffizienz im Vergleich zu den beiden anderen semileptonischen Paarzerfällen besonders anfällig für die
Kontamination mit Untergrundprozessen. Das Resultat ist, daß der Kanal nach q q̄ 0 τ ντ in
der endgültigen Kombination weniger zur W–Massenberechnung beiträgt.
Die Statistik des semileptonischen Kanals ist damit zusätzlich zum etwas kleineren Verzweigungsverhältnis (Gleichung 1.24) gegenüber dem vollhadronischen weiter verringert.
Die verhältnismäßig geringe Anzahl der ,,guten” semileptonischen W–Paar–Ereignisse bedeutet also, daß die Statistik schließlich der limitierende Faktor ist. Dies gilt sowohl für
die Bestimmung der exakten W-Masse, als auch für das Betreiben systematischer Studien. Die selektierten Ereignisse in den Endzuständen q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ haben jedoch sehr
große Vorteile. Sie zeichnen sich durch sehr hohe Selektionsreinheiten bei guter Selektionseffizienz aus. Damit bieten sie die bestmögliche Untersuchungsgrundlage für systematische
Studien an hadronisch zerfallenden W–Bosonen.
4.2 Motivation
39
Bei der Vielzahl möglicher systematischer Einflüsse werden drei zentrale Aspekte untersucht, wobei das Hauptgewicht auf den ersten beiden Punkten liegt:
1. die Beschreibung der Hadronisation,
2. das Problem möglicher Satellitencluster um das Lepton und
3. der Einfluß und die Beschreibung sogenannter Rauschcluster.
Die Hadronisation stellt ein theoretisch sehr schwieriges Problem von Übergang der quasi–
freien, hochenergetischen Quarks in Hadronen dar. Die phänomenologischen Modelle, die
in die Monte Carlo Simulationen einprogrammiert sind, werden in einigen Beschreibungsgrößen untersucht. Die systematisch studierten Größen sind dabei die Breite der sich
ausbildenden Jets und die Verteilung der Energie innerhalb der Jets.
Die sogenannten Satellitencluster stammen aus der möglichen Abstrahlung von Photonen
durch das Lepton im Endzustand (FSR). Falls diese nicht vollständig beschrieben ist, so
würden diese Cluster das Ergebnis in zweifacher Hinsicht verfälschen. Die Clusterenergie
würde einerseits dem Lepton fehlen. Andererseits würde diese Energie den Jets zugeschlagen werden. Im Resultat wäre sowohl die kinematische Rekonstruktion des Ereignis
beeinflußt (was hier nicht weiter untersucht wird), als auch die letztendlich rekonstruierte
W-Masse. Zur Untersuchung, ob diese Cluster richtig beschrieben sind, werden verschiedene Konusse um das Lepton untersucht.
Die Rauschcluster stellen ein spezifisches Problem von L3 dar, das sich aus der Verwendung von abgereicherten Uran als Material für das hadronische Kalorimeter ergibt. Diese
im Verhältnis zu den Clustern in ,,echten” Ereignissen zumeist niederenergetischen Cluster können eine Verfälschung der Jets in ihrer Energie und Richtung bewirken. Obwohl
der Effekt aufgrund des radioaktiven Ursprungs statistisch verteilt sein sollte, kann durch
eine nicht hinreichende Beschreibung des Einflusses in den simulierten Daten eine systematische Verschiebung auftreten. Dies wird durch Variation der Energie der betrachteten
Cluster und den resultierenden Verteilungen untersucht.
Zur Untersuchung der drei Systematiken werden Cluster aus der Berechnung der Jets
herausgelassen und untersucht, ob die Monte Carlos das Verhalten der Daten zutreffend
beschreiben. Die exakten Methoden sind in den folgenden Kapiteln beschrieben. Vor dieser
Beschreibung soll die Vorgehensweise noch eingehender motiviert werden.
4.2
Motivation
In dieser Arbeit wird nicht die gleiche Vorgehensweise wie bei der offiziellen Bestimmung
der W–Masse bei L3 gewählt. Der Grund dafür wird in diesem Abschnitt klar gemacht.
40
4. Gegenstand der Analyse
Im ersten Teil wird die Methode vorgestellt mit der bei L3 offiziell die W–Masse aus
dem Spektrum der weiteren Zerfallsprodukte in W–Paarzerfällen bestimmt wird. Dies ist
die sogenannte Box–Fit–Methode, die aus den folgenden Gründen nicht in dieser Arbeit
verwendet wird:
die variierten Größen haben vom Prinzip des Box–Fits aus einen kleinen Einfluß auf
die W–Masse,
mögliche Abweichungen in der Beschreibung zwischen Monte Carlos und Daten sind
erschwert zu studieren, wenn beide gemeinsam zur Bestimmung einer einzigen Masse
benutzt werden und
der Box–Fit ist für den Rahmen der Untersuchung zu rechenaufwendig.
Die Box–Fit–Methode
Die endgültige Bestimmung der W–Masse mit den selektierten Ereignissen geschieht nach
einem kinematischen Fit mit dem Box–Fit [38]. Es handelt sich dabei um einen ungebinnten Maximum-Likelihood-Fit. Die Wahrscheinlichkeitsdichte w, ein W–Zerfallsprodukt
mit der mittleren Masse mrek zu rekonstruieren ist
dP = w dmrek ,
mit
(4.1)
¸
· akz
akz
1
dσBG
dσW
Daten
(mrek , MW ) +
(mrek ) , (4.2)
w(mrek
(i), MW ) =
akz
akz dm
dmrek
σW (MW ) + σBG
rek
akz
akz
wobei MW die unbekannte W-Masse, σW
und σBG
die totalen Signal- und Untergrund–
akz
dσW
dσ akz
die differentiellen Wir(Background)– Wirkungsquerschnitte sind und dmrek und dmBG
rek
kungsquerschnitte nach den experimentellen Schnitten. Die Likelihood–Funktion L(M W )
mit dieser Wahrscheinlichkeitsdichte in Abhängigkeit der beobachteten Massenverteilung
ist dann
Y
(4.3)
L(MW ) =
w(mDaten
rek (i), MW ).
i
mDaten
rek (i)
Dabei ist
die durchschnittliche rekonstruierte Masse des Events i. Die Schwierigkeit besteht nun darin, daß keine geschlossenen, analytischen Ausdrücke für die Wirkungsquerschnitte bekannt sind. Daher müssen die Wirkungsquerschnitte sehr rechenaufwendig
aus den experimentellen Daten bestimmt werden.
Um die ursprüngliche Massenverteilung ohne die verzerrenden Effekte optimal über die
Verteilung der rekonstruierten Massen zu beschreiben, wird eine rechenaufwendige Monte–
Carlo–Methode benutzt. Man benötigt dabei sehr viele vollständig simulierte Monte Carlo
Ereignisse. Die Abschätzung eines Datenereignisses wird umso besser, je mehr simulierte
4.2 Motivation
41
Ereignisse zur Verfügung stehen. In Abhängigkeit von einer oder mehrerer experimentell
bestimmter Größen wird für jedes Datenereignis eine Box definiert. Im einfachsten Fall,
wenn nur die Masse betrachtet wird, ist die Box eindimensional und durch ein Massenintervall definiert. Monte Carlo Ereignisse, die innerhalb dieser Box liegen, werden als gute
Abschätzung dieses Datenereignis angenommen. Über die Integration der Monte Carlo
Ereignisse kann der mittlere Wirkungsquerschnitt dieser Box bestimmt werden. Die Definition einer Box ist relativ kompliziert, als Beispiele für Kriterien zur Bestimmung seien
genannt:
die Ausfüllung der Box (occupancy),
die symmetrische Belegung der Box um den Wert des Datenereignisses,
asymmetrische Belegungen bei konstantem Wirkungsquerschnitt,
Intervalle fester oder variabler Breite in den Dimensionen der Box.
Auf die weiteren Aspekte des Box–Fits sei hier nicht eingegangen.
Motivation der verwendeten Methode
Das Hauptinteresse dieser Arbeit liegt auf der Untersuchung systematisch unterschiedlicher Monte Carlo Beschreibung genüber den Daten. Dies bedeutet, daß im Prinzip die
absolute Skala der Massenbestimmung nicht entscheidend ist. Eine naive Massenbestimmung in einzelnen Ereignissen, wie in Kapitel 5 beschrieben, führt zu einer Massenverteilung. In Abbildung 4.1 ist als Beispiel die Massenverteilung dargestellt, die sich für die
selektierten Ereignisse im Endzustand q q̄ 0 eνe mit der in Kapitel 5 beschriebenen Methode ergibt. Ein naiver Fit an diese Verteilung eignet sich nicht zur exakten Bestimmung
der W–Masse, da diese Verteilung durch verschiedene Effekte beeinflußt wird, die die WMasse verändern. Obwohl der absolute Wert einer so bestimmten W–Masse (zum Beispiel
aus dem Mittelwert) nicht in erster Linie interessant ist, so ist trotzdem erwähnenswert,
daß die so bestimmten W–Massen weniger als 1 GeV vom momentanen Weltmittelwert
mW = 80,4 GeV ([11]) abweichen. Die Beeinflussungen der naiven Verteilung sind im
wesentlichen:
theoretische Korrekturen (Nicht-resonante Diagramme, ISR, Coulomb–Korrekturen),
Detektoreffekte (Auflösung, Akzeptanzen, Fehlmessungen) und
Selektionseffekte (Schnitte, Untergrund, Jet Rekonstruktion).
Anzahl Ereignisse pro 2 GeV
42
4. Gegenstand der Analyse
s = 189 - 207 GeV
250
q q ’e ν
4-fermion
2-fermion
Data
200
150
100
50
0
60
80
q q ’eν W-Masse in GeV
100
Abbildung 4.1: Die Verteilung der invarianten Massen der zwei Hadron-Jets in den selektierten Ereignissen des Endzustands q q̄ 0 eνe .
Der Box–Fit berücksichtigt diese Einflüsse besonders gut und liefert damit eine der exaktesten Möglichkeiten der Bestimmung der W–Masse. Einige dieser Effekte bilden aber
gerade den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit, weshalb der Box–Fit nicht
die beste Methode zur Untersuchung von Abweichungen ist. Darüber hinaus ist anzumerken, daß der Box–Fit nur mit einer vollständigen Massenverteilung durchzuführen ist.
Somit wird bei der Verwendung des Box–Fits der kollektive Effekt einer systematischen
Veränderung einzelner Meßgrößen berechnet. Der Einfluß auf einzelne Ereignisse wird
möglicherweise ausgewaschen. Durch den Vergleich Ereignis für Ereignis hat man ein Instrument, daß für die absolute Bestimmung der W–Masse weniger gut geeignet ist. Für
die Untersuchung systematischer Einflüsse relativer Änderungen bezüglich der Variation
einzelner Meßgrößen ist es jedoch besser geeignet als die Box–Fit–Methode. Mögliche Abweichungen treten unter Umständen nur in wenigen Ereignissen merklich auf – womit sie
im Box–Fit automatisch ein kleines Gewicht erhielten.
Schließlich berechnet der Box–Fit aus der Kombination von Daten und Monte Carlos
eine Masse. In dieser Arbeit geht es aber gerade um den Unterschied zwischen Monte
Carlos und experimentellen Daten. Um eine unzureichende Beschreibung bestimmmter
Meßgrößen in den Monte Carlos zu untersuchen, werden die Datenereignisse deshalb getrennt von den Monte Carlos behandelt. Um mögliche Unterschiede aufzuzeigen, müssen
geeignete Größen definiert werden, die empfindlich für diese Unterschiede sind. Diese
4.2 Motivation
43
Größen für die Untersuchung der Hadronisation und der Satellitencluster werden in Kapitel 6 definiert. Es handelt sich dabei eine zweifache Differenzbildung. Die erste Differenz
wird zwischen variierten und unveränderten Referenzgrößen getrennt nach Monte Carlo
und experimentellen Daten gebildet. Damit ist eine Größe definiert, die die Abhängigkeit
der W–Masse in diesem einzelnen Ereignis von der untersuchten Veränderung quantifiziert. Dies wird für alle Ereignisse histogrammiert, so daß sich eine statistische Verteilung
ergibt. Dann wird der Unterschied zwischen den Monte Carlos und den Daten mit statistisch aussagekräftigen Kenngrößen dieser Verteilungen betrachtet. Dies ermöglicht eine
quantitative Aussage über die Übereinstimmung der Monte Carlos mit den Daten in der
untersuchten Kenngröße wie zum Beispiel der Photonabstrahlung.
Kapitel 5
Massenbestimmung im einzelnen
Ereignis
In diesem Kapitel wird beschrieben, wie die W–Masse im Rahmen dieser Arbeit aus
den Daten eines Ereignis berechnet wird. Diese W–Masse ist die invariante Masse der
hadronischen Jets aus der Hadronisation der Quarks im semileptonischen Endzustand
q q̄ 0 `ν` . Die Bestimmung erfolgt in drei Schritten. Zuerst werden die zwei Jets mittels
eines Clustering Algorithmus aus den einzelnen Energieclustern gebildet. Dann werden die
Lorentzvektoren so skaliert, daß ihre Energie der halben Schwerpunktsenergie entspricht.
Mit dieser Zwangsbedingung wird die Streuung der Massen deutlich verringert, ohne daß
es sich dabei um einen kinematischen Fit im eigentlichen Sinn handelt. Schließlich wird
die invariante Masse der skalierten Jets nach den Regeln der speziellen Relativitätstheorie
berechnet.
5.1
Jets
Zur Bestimmung der Jets, die aus der Hadronisation der Quarks des hadronisch zerfallenden W–Boson stammen, wird der DURHAM–Algorithmus verwendet [36]. In allen
Kanälen werden zwei Jets bestimmt. Für den Fall eines hadronisch zerfallenden τ –Leptons
im Endzustand q q̄ 0 τ ντ sind die Cluster des τ –Jets von dieser Zusammenfassung ausgenommen. Es werden alle Energiecluster eines Ereignisses paarweise zusammengefaßt, bis nur
noch zwei zusammengesetzte Objekte, die Jets, übrig sind. Es werden immer die zwei
Objekte zusammengefaßt, deren Abstand minimal ist. Der Abstand ist definiert als:
min(Ei2 , Ej2 )
yij = 2 ·
(1 − cos θij ),
2
Evis
44
(5.1)
5.1 Jets
45
wobei Ei die Energie eines Clusters i und θij der Winkel zwischen zwei Clustern i, j ist.
Schließlich erhält man die beiden Lorentzvektoren pJet 1 , pJet 2 der Jets:
¶
µ
EJet i
mit i = 1, 2.
(5.2)
pJet i =
p~Jet i
Bei der Auswahl der Cluster gelten mehrere Einschränkungen. Auf alle Cluster ist eine
Kalibrationskorrektur in Form der g–Faktoren angewendet. Diese beeinflussen die Energie
des Clusters, indem in Abhängigkeit vom Detektorbereich die gemessene Energie modifiziert wird:
X
ECluster =
gj · E j .
(5.3)
Bereich j
Die g–Faktoren sind aus den Messungen auf der Z–Resonanz bestimmt worden. Die Z–
Bosonen zerfallen nach Z → f f¯, das heißt im hadronischen Zerfall Z → q q̄. Diese Endzustände sind dem hadronischen Anteil der semileptonischen W–Paarzerfälle sehr ähnlich.
Die hohe Anzahl an Ereignissen dieser Klasse und die exakte Kenntnis dieser Zerfälle
ermöglichen eine genaue Bestimmung dieser Kalibrationsfaktoren.
Um die Jets nicht durch Cluster zu verfälschen, die von Detektorrauschen (etwa im HCAL
durch Zerfälle des Uran) herrühren, wird ein genereller Energieschnitt eingeführt. Alle in
die Berechnung der Jets einbezogenen Cluster erfüllen die Bedingung
ECluster ≥ 100 MeV.
(5.4)
Schließlich ist es noch vom Endzustand abhängig, welche Cluster in der Jetberechnung
nach 5.1 ausgelassen werden. Diese ausgelassenen Cluster gehören zum Lepton.
qq̄0 eνe Das Elektron ist ein Teilchen, welches im Kalorimeter nachgewiesen wird. Technisch ist es damit selbst ein Cluster. Dieser Cluster wird bei der Berechnung der Jets nicht
einbezogen.
qq̄0 µνµ Das Myon ist nicht direkt ein Cluster, da es primär nicht im Kalorimeter identifiziert und vermessen wird. Allerdings deponiert das Myon in den meisten Fällen Energie
in den Kalorimetern, die zu einem Cluster zusammengefaßt ist. Dies ist der Anteil, den
das Myon direkt durch Ionisation verliert. Möglicherweise ist es zusätzlich ein Photon,
was das Myon abstrahlt (die sogenannte final state radiation (FSR)). Um diese Energie
nicht fälschlicherweise den Jets zuzuschlagen, wird der nächste Cluster innerhalb eines
Kegels von zehn Grad Gesamtöffnungswinkel gesucht. Falls ein Cluster gefunden wird, so
wird er dem Myon zugeordnet und aus der Jetberechnung herausgelassen.
qq̄0 τ ντ Beim τ muß nach den verschiedenen weiteren Zerfallskanälen unterschieden werden. Für die leptonischen Tochterzerfälle des τ –Leptons gelten die gleichen Bedingungen
wie für die direkten Zerfälle des W–Bosons in Elektron, beziehungsweise Myon. Für den
hadronischen Zerfall können der τ –Jet und die Quarkjets aus technischen Gründen nicht
so exakt getrennt werden, wie in der Selektion beschrieben ist. Alle Cluster innerhalb
46
5. Massenbestimmung im einzelnen Ereignis
eines Kegels mit 15◦ halbem Öffnungswinkel um das τ werden aus der Jetberechnung
herausgelassen.
5.2
Massenbestimung mit kinematischer Zwangsbedingung
Anstelle eines rechenaufwendigen kinematischen Fits für alle rekonstruierten Vierervektoren (wie in der offiziellen L3–Analyse) wird eine kinematische Zwangsbedingung eingeführt. Es wird angenommen, daß beide W-Bosonen jeweils die halbe Schwerpunktsenergie besitzen. Das leptonisch zerfallende W-Boson dient mit der Signatur des Leptons
damit im wesentlichen der Ereignisidentifikation. Die kinematische Information des Leptons und des fehlenden Vierervektors wird nur auf prinzipielle Systematiken untersucht,
wie etwa den Richtungen im Raum oder relativ zu den anderen rekonstruierten Teilchen.
Nach der Bestimmung der Lorentzvektoren der Jets pJet 1 , pJet 2 mit dem DURHAM—Algorithmus werden beide mit einem Faktor κ skaliert, so daß die Summe der Energien der
√
halben Schwerpunktsenergie s/2 entspricht:
p0Jet ,i = κ · pJet ,i
√
s
mit κ =
2(EJet 1 + EJet 2 )
(5.5)
und i = 1, 2.
Das Resultat dieser Zwangsbedingung ist am Beispiel für q q̄ 0 eνe in Abbildung 5.1 als
Vergleich von Verteilungen dargestellt. Die dafür verwendete Massenbestimmung ist im
folgenden beschrieben.
Mit gegebenen Lorentzvektoren der Jets pJet 1 , pJet 2 ist die Masse dieses W–Bosons die
invariante Masse der Summe der Lorentzvektoren
m2W = (pJet 1 + pJet 2 )2
(5.6)
Dabei ist zu beachten, daß die explizite Rechnung nicht im ultra–relativistischen Grenzfall
durchzuführen ist. Die Jets sind massiv, das heißt die Vereinfachung |~p| ≈ E ist nicht
gültig. Die Jets haben dabei eine invariante Masse zwischen einigen GeV und mehr als
10 GeV. In Abbildung 5.2 ist als Beispiel die Verteilung der Jetmassen im Zerfallskanal
nach q q̄ 0 eνe gezeigt, die anderen Kanäle sind zu diesem analog.
Anzahl Ereignisse pro 5 GeV
Anzahl Ereignisse pro 5 GeV
5.2 Massenbestimung mit kinematischer Zwangsbedingung
47
s = 189 - 207 GeV
250
q q ’e ν
4-fermion
2-fermion
Data
200
150
100
50
0
50
100
150
q q ’eν W-Masse ohne Constraint in GeV
s = 189 - 207 GeV
500
400
q q ’e ν
4-fermion
2-fermion
Data
300
200
100
0
50
100
150
q q ’eν W-Masse mit Constraint in GeV
Abbildung 5.1: Die invariante Massenverteilung von q q̄ 0 eνe ; oben vor dem Anwenden der
kinematischen Zwangsbedingung (constraint), unten mit der Berücksichtigung.
Anzahl Ereignisse pro 1 GeV
48
5. Massenbestimmung im einzelnen Ereignis
s = 189 - 207 GeV
140
120
100
80
60
40
20
0
0
q q ’e ν
4-fermion
2-fermion
Data
10
20
30
q q ’eν Mittlere Jetmasse in GeV
Abbildung 5.2: Die Verteilung der Jetmassen in den Ereignissen des Endzustands q q̄ 0 eνe .
Kapitel 6
Methoden der Variation
In diesem Kapitel werden die prinzipiellen Variationsmethoden und die Darstellung der
resultierenden Variationen in der W-Masse beschrieben. Die Variationen sind clusterbasierte Schnitte, die entweder an den Jets oder am Lepton orientiert sind. Zuerst werden die Schnitte im einzelnen erklärt. Es folgt die kurze analytische Formulierung der
Abhängigkeit der W–Masse von Veränderungen der Parameter Jetmasse, -energie und
dem Zwischenwinkel der Jets.
6.1
Schnitte auf Cluster – Beschreibung der Schnitte
Prinzipiell werden in allen Methoden Cluster aus den einzelnen Jets herausgenommen,
wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Die untersuchten Kriterien sind
1. der Winkel des Clusters zur Richtung des Jets, dem er angehört;
2. der Winkel des Clusters zur Richtung des Leptons;
3. die Energie, die der Cluster besitzt.
Punkt 1 wird in dieser Arbeit Jetschnitt genannt und ist im folgenden Unterabschnitt
näher beschrieben. Punkt 2 wird Leptonschnitt genannt und ist im daran anschließenden
Unterabschnitt erläutert. In beiden Fällen wird ein Kegel im Raum um die betreffende
Achse des Jets, beziehungsweise des Leptons gelegt. Liegt der Cluster innerhalb, beziehungsweise außerhalb dieses Kegels, so wird er aus dem Jet herausgenommen. Der Test
wird für alle Cluster in einem Ereignis durchgeführt. Bevor die Masse wiederum wie in 5.2
49
50
6. Methoden der Variation
berechnet wird, müssen kinematische Zwangsbedingungen erfüllt werden, die im Unterabschnitt 6.1 beschrieben sind.
Punkt 3 ist ein Schnitt auf die Energie der zugelassenen Cluster. Anstelle des in Ungleichung 5.4 definierten, prinzipiellen Energieschnitts von 100 MeV werden andere Mindestenergien für die Bestimmung der Jets gefordert. Die untersuchten Energieschnitte sind:
1. 0 MeV,
2. 200 MeV,
3. 500 MeV,
4. 1 GeV und
5. 2 GeV.
1/N Gesamt N src pro 100 MeV
Für jede Mindestenergie können dann die Jet- und Leptonschnitte durchgeführt werden,
so daß sich eine zusätzliche Dimension dieser Schnitte ergibt. In Abbildung 6.1 ist exemplarisch die Energieverteilung der Cluster im Endzustand q q̄ 0 τ ντ für Clusterenergien
zwischen 0 GeV und 3 GeV gezeigt.
10
10
10
s = 189 - 207 GeV
q q ’τ ν
4-fermion
2-fermion
Data
-1
-2
-3
0
1
2
q q ’τ ν Cluster Energie in GeV
3
Abbildung 6.1: Die auf die Gesamtfläche normierte Energieverteilung der Cluster im
Endzustand q q̄ 0 τ ντ zwischen 0 GeV und 3 GeV.
6.1 Schnitte auf Cluster – Beschreibung der Schnitte
51
Jetschnitt
In Abbildung 6.2 ist die zweidimensionale Projektion in die (r, φ)–Ebene eines Ereigniskandidaten q q̄ 0 µνµ gezeigt. Das Myon ist deutlich zu erkennen. Seine Richtung ist durch
eine blau–gestrichelte Linie gekennzeichnet. Sowohl in der Multiplizität der angrenzenden
Cluster, als auch in der Richtung ist es von den hadronischen Jets unterscheidbar. Die
rekonstruierten Jetachsen sind als grün–gestrichelte Linien eingezeichnet.
Im Jetschnitt werden nun Konusse um diese Jetachsen gelegt und alle Cluster außerhalb
dieses Konus aus dem Jet herausgenommen. In der Abbildung ist dies durch die grün
eingezeichneten Konusse angedeutet, die einem Winkel von 50◦ entsprechen. Die Energieeinträge sind orange eingezeichnet, sie sind dabei allerdings noch nicht zu Clustern
zusammengefaßt. Dabei wird ein Cluster nur aus dem Jet genommen, dem er nach der
ursprünglichen Jetzuordnung angehört.
Diese Schnitte werden in Schritten von zehn Grad durchgeführt; im Winkelabstand von
180◦ , was keinem Schnitt entspricht, bis 30◦ . Die Jets werden auf diese Art in Konusse mit
festem Öffnungswinkel gezwungen. Der Schnittwinkel entspricht dem halben Öffnungswinkel des Jets.
Leptonschnitt
Der Leptonschnitt ist dem Jetschnitt analog. Cluster werden auf ihren Winkelabstand zur
Leptonrichtung getest. Dies sind wiederum Konusse, allerdings um die Leptonrichtung.
Liegt der Cluster innerhalb des Konus, wird er aus seinem Jet herausgenommen. Dies geschieht unter Berücksichtigung einer ursprünglichen Zuordnung eines Clusters, etwa dem
Herauslassen eines Myon–Clusters innerhalb von 10 Grad um die rekonstruierte Richtung
(siehe Abschnitt 5.1).
Die Leptonschnitte werden in Schritten von einem halben Grad durchgeführt, von Null
Grad, was keinem Schnitt entspricht, bis fünf Grad. In Abbildung 6.3 ist dieser Vorgang
schematisch am gleichen Ereignis wie für den Jetschnitt illustriert. Die Achsen der Jets
sind ebenso wie die Leptonrichtung in den gleichen Farben wieder eingezeichnet. Der exemplarische Konus entspricht einem Schnitt von fünf Grad und ist blau eingezeichnet.
Kinematische Zwangsbedingung
Mit den Schnitten wird Energie aus den Jets entfernt. Um dies zu kompensieren, werden
die Jets neu skaliert. Es bieten sich verschiedene Skalierungsmöglichkeiten an, die unterschiedliche Veränderungen der W–Masse bedeuten. Die direkteste Methode skaliert die
52
6. Methoden der Variation
Lorentzvektoren wie im unvariierten Fall (beschrieben in Abschnitt 5.2).
Um eine sprachliche Unterscheidung zu haben, sind die variierten Größen im folgenden
als geschnitten im Gegensatz zu ungeschnitten für die nicht variierten bezeichnet. Bei
geschnittenen Jets oder geschnittenen Massen handelt es sich demnach um die entsprechenden Größen, nachdem einer der Schnitte angewendet wurde.
Die geschnittenen, aber noch unskalierten Jets pJet, i werden dabei so skaliert, daß die
√
Summe ihrer Energien der halben Schwerpunktsenergie s/2 entspricht:
√
s
0
· pJet, i
mit i = 1, 2.
(6.1)
pJet, i =
2(EJet 1 + EJet 2 )
Mit dieser Skalierung wird die gleiche Position eingenommen, wie bei der Bestimmung der
ursprünglichen Jets. So ist garantiert, daß eine Abweichung im gleichen Bezugsrahmen
wie die Referenzmasse bestimmt wird. Ein Nachteil ist, daß die Variation nicht analytisch
+
y
x
z
Abbildung 6.2: Zur Erläuterung des Jetschnitts: ein 50◦ –Schnitt in einem Ereigniskandidaten im Endzustand q q̄ 0 µνµ .
6.1 Schnitte auf Cluster – Beschreibung der Schnitte
53
zu erfassen ist. In Abschnitt 6.2 wird beschrieben, daß die Variation einer Größe allein
Konsequenzen auf fast alle anderen Größen hat. Die Skalierung in Gleichung 6.1 ändert
kollektiv alle Größen. Diese Art der Skalierung wird bei allen gezeigten Plots verwendet.
Neben dieser Art der Skalierung gibt es noch weitere Möglichkeiten der Skalierung. Sie
ermöglichen die teilweise oder sogar vollständige analytische Erfassung der unterschiedlichen Einflüsse, indem bestimmte Größen bei der Variation festgehalten werden. In keinem Plot wird eine andere Art der Skalierung als die in 6.1 verwendet. Sie wurden in der
Analyse trotzdem häufiger verwendet um möglicherweise unterschiedlich wirkende Einflüsse deutlich zu machen. Wird zum Beispiel der Impuls eines Jets geändert, so ändern
sich auch dessen Energie und Masse. Ein bestimmter Schnitt könnte die Masse in eine
Richtung ändern, während die Energie anders geändert wird. Dies wurde nicht beob-
+
y
x
z
Abbildung 6.3: Zur Erläuterung des Leptonschnitts: ein 5◦ Leptonschnitt am gleichen
Ereigniskandidaten wie zur Erläuterung des Jetschnitts.
54
6. Methoden der Variation
achtet, die Änderungen erfolgten immer kollektiv in eine Richtung. Zwei dieser Möglichkeiten seien beispielhaft erwähnt: das Fixieren der Energie und die Einschränkung der
W–Massenvariation auf Änderungen des Zwischenwinkels der Jets. Um mit der Darstellungsmethode, die im folgenden beschrieben wird, diese Systematik eines Schnitts zu
zeigen, müssen stärkere Zwangsbedingungen eingeführt werden. Beispielweise lassen sich
die einzelnen Energien E1 , E2 der Jets fixieren, indem die geschnittenen Jets so skaliert
werden, daß die einzelnen Energien der ursprünglichen Energie Ei,0 entsprechen:
p0Jet ,i =
Ei,0
Ei,geschnitten
· pJet ,i
mit i = 1, 2.
(6.2)
Oder um ausschließlich den Einfluß deutlich zu machen, den die Änderung des Zwischenwinkels der Jets mit den Schnitten auf die W-Masse hat, wählt man zusätzlich zu 6.2
noch die Fixierung des Betrags der Jetimpulse. Die Jets erhalten dabei zusätzlich den
Impulsbetrag |p~i,0 | vor dem Schnitt zurück:
|p~i,0 |
· p~i 0
p~i =
0
~
|p |
00
i
6.2
mit
p0Jet ,i
=
µ
Ei,0
p~i 0
¶
und i = 1, 2.
(6.3)
Analytische Formulierung der Abhängigkeiten der
W–Masse
Die wesentliche Schwierigkeit bei der Variation der Jets ist die nicht–triviale Auswirkung
auf die W–Masse. Der Grund dafür ist, daß die Jets massiv sind. Die Vereinfachung
|~p| ≈ E ist demnach nicht gültig. Für die systematische Analyse ist interessant, wie sich
die nach Gleichung 5.6 berechnete W–Masse ändert, wenn Energie, Jetmasse oder der
Zwischenwinkel geändert werden. Schreibt man die Masse mW als Funktion der Jetgrößen
Energie Ei , Masse mi , Dreierimpuls p~i und Zwischenwinkel ϑ1,2
mW =
q
m21 + m22 + 2 · E1 E2 − 2 · |p~1 ||p~2 | cos ϑ1,2 ,
(6.4)
so lassen die Änderungen in Abhängigkeit dieser Größen leicht durch das Bilden der
Ableitung berechnen. Die Gleichungen 5.6 und 6.4 sind symmetrisch unter Vertauschung
der Indizes. Deshalb wird nur eine Komponente i angegeben, die symbolisch für beide
6.3 Schnitte auf Cluster – Darstellung von Abweichungen
Jetindizes stehen kann; der jeweils andere Jet habe den Index j.
µ
¶
mi
|p~j |
dmW
=
· 1+
· cos ϑ1,2
dmi
mW
|~
pi |
µ
¶
Ei
|p~j |
dmW
Ej
=
·
−
· cos ϑ1,2
dEi
mW
Ei
|~
pi |
µ
¶
|~
pi |
|p~j |
dmW
Ej
=
·
−
· cos ϑ1,2
d|~
pi |
mW
Ei
|~
pi |
1
dmW
=
· (|~
pi ||p~j | · sin ϑ1,2 )
dϑ1,2
mW
55
(6.5)
(6.6)
(6.7)
(6.8)
Dabei gilt nach Relativitätstheorie, daß die Größen Energie, Impuls und Masse eines
Teilchens nicht unabhängig sind:
µ ¶
E
2
2
2
2
.
(6.9)
m = E − |~p| = p ,
mit p =
p~
6.3
Schnitte auf Cluster – Darstellung von Abweichungen
Mit Darstellung ist hier gemeint, wie die Auswirkungen der Schnitte sichtbar gemacht
werden. Mit den Schnitten soll getestet werden, wie exakt die Hadronisation und der
Detektor verstanden sind. Die Aufgabe besteht darin, Unterschiede in der Beschreibung
der gemessenen Daten durch die simulierten Monte Carlo Ereignisse herauszufinden. Dazu wird zuerst nach Daten und Monte Carlo getrennt die Änderung der Masse erfaßt,
wie sie durch eine Variation verursacht wird. Im ersten Schritt wird die Differenz einer
unvariierten Masse und der variierten Masse gebildet. Dies sind verteilte Größen, da die
Einzelereignisse in ihrer Masse unterschiedlich stark von der Variation beeinflußt werden.
Im zweiten Schritt wird die möglicherweise unterschiedliche Beschreibung untersucht. Dazu wird einerseits die Differenz der Mittelwerte der Verteilungen von Monte Carlo und
Daten gebildet, als auch die Form der Verteilung berücksichtigt.
Um einen Begriff zu haben, wird die Methode hier als ,,Doppelte Differenzen” bezeichnet.
Sie ist im folgenden näher beschrieben.
Abweichung durch den Schnitt vom Normwert
Die einfache Differenz bezieht sich darauf, daß nur die absolute Änderung der Auswirkung
eines Schnitts betrachtet wird. Dabei wird die Differenz der ungeschnittenen zur geschnittenen W–Masse gebildet, getrennt nach (experimentellen) Daten und Monte Carlos. Diese
56
6. Methoden der Variation
Differenz ist abhängig vom Schnittwinkel ϕ. Die diskreten Werte dieses Winkels sind in
den entsprechenden Unterabschnitten von Abschnitt 6.1 angegebenen. Die Differenz ist:
∆mW (ϕ) = mW (ohne Schnitt) − mW (mit Schnitt) .
(6.10)
Die Differenz wird pro Ereignis berechnet und dann für alle Ereignisse gemeinsam histogrammiert. Die Differenzbildung hat den Vorteil, daß nur die Änderung gegenüber dem
unvariierten Fall berücksichtigt wird. Hier wird nun entscheidend, daß nicht die absolute
W–Masse interessant ist. Nur die Verschiebung bezüglich einer Masse vor der Variation
wird hier betrachtet.
Exemplarisch sind zwei Verteilungen dieser einfachen Differenz wiedergegeben. In Abbildung 6.4 ist ein Jetschnitt von 60◦ im Endzustand q q̄ 0 eνe gezeigt. In Abbildung 6.5 ist ein
Leptonschnitt von 3,5◦ im Endzustand q q̄ 0 µνµ gezeigt.
Anzahl Ereignisse pro 0.5 GeV
Die Verteilungen sind nicht symmetrisch um Null, was man auch nicht erwartet. Durch das
Entfernen von Clustern wird sowohl die Masse, die Energie als auch der Zwischenwinkel
s = 189 - 207 GeV
1
10
10
10
-1
q q ’e ν
4-fermion
2-fermion
Data
-2
-3
0
5
10
q q ’eν Differenz W-Masse im Jetschnitt 60°
Abbildung 6.4: Eine Beispielverteilung für einen Jetschnitt von 60◦ im Endzustand
q q̄ 0 eνe . Alle Cluster, die einen weiteren Abstand als 60◦ zu ,,ihrem”
Jet haben, werden aus diesem entfernt. In ungefähr der Hälfte der Ereignisse bleibt die Masse nahezu unverändert, obwohl weite Ausläufer
existieren.
1/N dN/d ∆ M pro 0.5 GeV
6.3 Schnitte auf Cluster – Darstellung von Abweichungen
57
s = 189 - 207 GeV
1
10
10
10
q q ’ µν
4-fermion
2-fermion
Data
-1
-2
-3
0
5
10
q q ’µν Differenz W-Masse im Leptonschnitt 3,5° in GeV
Abbildung 6.5: Eine weitere Bespielverteilung, hier für einen Leptonschnitt. Im Endzustand q q̄ 0 µνµ wurden alle Cluster aus den Jets genommen, die einen Winkelabstand von maximal 3,5◦ zur Richtung des Myons besitzen. Rund
90% aller Ereignisse bleibt in der Masse unverändert.
der Jets geändert. Die Masse des W–Bosons wird dadurch in den allermeisten Fällen
verringert. Das Reskalieren setzt die Masse wieder höher, allerdings bleibt sie meistens
geringer als vor dem Schnitt. Somit ist die Differenz zwischen ungeschnittener Masse
und geschnittener Masse bevorzugt positiv. In beiden Abbildungen sind die Verteilungen
auf die Gesamtanzahl der Ereignisse normiert. So ist der relative Anteil der veränderten
Ereignisse für jede Veränderung sofort ablesbar. Insbesondere gibt die Höhe der Einträge
bei Null den Anteil der nahezu unveränderten Ereignisse an.
Abweichungen zwischen Monte Carlo und Daten
Die Verteilungen der einfachen Differenzen zeigen möglicherweise Unterschiede zwischen
Daten und Monte Carlos auf den ersten Blick. Dies reicht allerdings nicht aus, um Unterschiede zu quantifizieren. Aufgrund der relativ großen Fluktuationen wäre ein Anfitten
von Funktionen und der Vergleich der Fitwerte von Daten und Monte Carlo auch nicht
aussagekräftig. Mit der Definition eines Maßes, wie gut die Beschreibung der Monte Carlos
mit den Daten übereinstimmt ist eine Quantifizierung möglich. Dieses Maß ist wiederum
eine Differenz. Als Wert der Abweichung für den angewandten Schnitt wird die Differenz
der Mittelwerte der einfachen Differenzen zwischen Daten und Monte Carlo genommen.
58
6. Methoden der Variation
Der Mittelwert hxi einer diskreten Verteilung von N Werten ist gegeben durch:
hxi = x̄ =
PN
i
xi
N
(6.11)
In Abhängigkeit des Schnittwinkels ϕ ist die Doppelte Differenz δ:
δmW (ϕ) = h∆mW, Daten(ϕ) i − h∆mW, Monte Carlo(ϕ) i
(6.12)
Mit dieser Differenz δ läßt sich bereits eine Aussage über die Qualität der Beschreibung der
Daten durch die Monte Carlos machen. Der Wert δ(ϕ) gibt den Betrag und die Richtung
einer Änderung der W–Masse an, wenn ein Schnitt mit dem Winkel ϕ durchgeführt wurde.
Ein Beispiel hierzu: Bei einem Leptonschnitt mit dem Wert δ(4◦ ) = −42,0 MeV heißt dies,
daß man eine um 42 MeV geringere W–Masse erhielte, wenn der Leptonschnitt mit vier
Grad angewendet würde. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Verteilung der einzelnen
Massen mit der Methode aus Kapitel 5 berechnet wird. Die hier beispielhafte Abweichung
gälte demnach nicht direkt für die W–Massenbestimmung der Box–Fit–Methode.
Statistische Unsicherheit
Die Werte der doppelten Differenzen geben keine exakten Abweichungen (oder Übereinstimmung) wieder. Aufgrund der Fluktuationen der einfachen Differenzen sind sie ebenfalls mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Dies ist direkt an den Verteilungen ersichtlich (siehe Abbildungen 6.4 und 6.5). Um die Unsicherheiten zu quantifizieren, muß etwas
mehr Aufwand betrieben werden. Die Abschätzung erster Ordung wird aus den Verteilungen der einfachen Differenzen gewonnen. Je weniger weit diese ersten Differenzen gestreut
sind, desto exakter ist die Messung. Eine statistische Größe, die die Breite einer Verteilung erfaßt ist das RMS (root mean square), die mittlere quadratische Abweichung vom
Mittelwert. Sie ist wie folgt definiert:
RMS =
PN
i
(xi − x̄)2
.
N
(6.13)
Der Fehler σ des Mittelwerts x̄ einer gaußverteilten Größe ist dann
x̄ ± σ
, mit
RMS
σ= √ .
N
(6.14)
Es gibt allerdings Schwierigkeiten bei der Berechnung und Angabe des Fehlers auf diese
Art. Unter der Annahme einer Gaußverteilung erhielte man nach Fehlerfortpflanzung für
6.3 Schnitte auf Cluster – Darstellung von Abweichungen
59
die Doppelten Differenzen den folgenden Ausdruck (wobei D abkürzend für die Daten und
MC für die Monte Carlos steht):
sµ
¶2 µ
¶2
RMSD
RMSMC
√
δmW (ϕ) = h∆mW, D(ϕ) i − h∆mW, M C(ϕ) i ±
+ √
.
(6.15)
ND
NMC
√
√
√
Der Ausdruck RMSM C / NM C ist vernachlässigbar, da ND / NM C ≈ 5 · 10−2 . Die geringe Anzahl an Datenpunkten bringt das Problem mit sich, daß das RMS der Datenverteilung nicht sehr vertrauenswürdig ist. Der Fehler wird besonders für geringe Änderungen
der Jets durch marginale Schnitte unterschätzt. Für stärkere Schnitte zeigen die RMS
von Daten und Monte Carlo gute Übereinstimmung, so daß diese Annahme gerechtfertigt
erscheint. Anstatt die Unsicherheit des Daten–RMS durch höhere Momente der Verteilung zu quantifizieren, wird eine direktere Lösung dieses Problems verwendet. Die Monte
Carlos haben eine so viel größere Statistik, daß das RMS dieser Verteilungen eine größere Aussagekraft hat. Ungefähr 1100 bis 1200 Datenereignissen in jedem semileptonischen
W–Paar–Zerfallskanal stehen je rund 600000 Monte Carlo Ereignissen gegenüber. Für den
Fehler der Doppelten Differenzen wird also der gemischte Ausdruck
σ=
RMSM C
√
ND
(6.16)
benutzt. Damit ergibt sich für die Doppelten Differenzen der folgende Ausdruck:
δmW (ϕ) = h∆mW, Daten(ϕ) i − h∆mW, MC(ϕ) i ±
RM SMC
√
.
NDaten
(6.17)
Die exakte statistische Behandlung stellt ein großes Problem dar. Die gewählte Art der
Auseinandersetzung ist ein Kompromiss. Es ist nur eine Approximation, da die Verteilungen offensichtlich nicht gaußförmig sind. Die Alternativen der exakteren Bestimmung benötigen allerdings erheblichen Rechenaufwand, wie zum Beispiel Resampling–
Techniken.
Die Methode besitzt aber auf jeden Fall statistische Relevanz, da der Fehler aufgrund
der unsymmetrischen Verteilung eher überschätzt wird. Um der Schwierigkeit der Asymmetrie der Verteilung teilweise entgegenzuwirken, wird bei der Auswertung der einfachen
Differenzen nur das symmetrische Intervall von [−20,0 GeV , +20,0 GeV] betrachtet. Letztendlich zeigt sich hier bereits das größte Problem: die limitierte Statistik der Daten. Der
größte Vorteil von einer größeren Anzahl von W–Paarereignissen wäre zwar, daß die Bestimmung der W–Masse (mit der offiziellen) Methode durch einen kleineren statistischen
Fehler exakter wäre. Wie hier klar wird, wären aber auch die Untersuchungen der systematischen Effekte erheblich aussagekräftiger.
Kapitel 7
Ergebnisse
In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Analyse vorgestellt und diskutiert.
7.1
Jetschnitt
Der Jetschnitt wird für alle Endzustände durchgeführt. Vor der Kombination werden die
Schnitte für die einzelnen Zerfallskanäle vorgestellt.
Jetschnitt qq̄0 eνe
In Abbildung 7.1 ist das Ergebnis für diesen Endzustand aufgetragen. Der Energiefluß
bezüglich der Richtung der Jets ist in der gleichen Abbildung wiedergegeben. Der Energiefluß ist eine Darstellungsform für die Energie, die in Winkeleinheiten um das interessierende Objekt deponiert wird. Die Energiebeiträge sind zusätzlich auf die Gesamtenergie
normiert, so daß der relative Anteil an der Gesamtenergie dargestellt ist. Der Energiefluß
bietet eine weitere Möglichkeit der Interpretation der doppelten Differenz. Sie stellt wenigstens für den energieabhängigen Anteil der W–Masse (Gleichung 6.6) die Über- und
Unterschüsse in der Energie zwischen Monte Carlo–Beschreibung und aufgezeichneten
Daten dar. Effekte, die in der doppelten Differenz sichtbar sind, sind meistens auch im
Energiefluß zu erkennen.
Neben der anschaulichen Bedeutung des Energiefluß fällt vor allem die extrem gute Übereinstimmung von Monte Carlos und Daten über viele Größenordnungen auf. Die exzellente
theoretische Beschreibung der Daten spiegelt sich letztlich sowohl im Energiefluß, als auch
in der doppelten Differenz wieder.
Einzig der Schnitt bei 100◦ weicht geringfügig weiter als eine Standardabweichung ab. Dies
60
7.1 Jetschnitt
61
Massen Differenz δ in MeV
ist auch im Energieflußdiagramm zu sehen, wo einige Datenpunkte unterhalb der Erwartung der Monte Carlos knapp oberhalb von 100◦ liegen. Die Abweichung ist jedoch nicht
signifikant und vermutlich eine statistische Fluktuation. Die benachbarten Abweichungen
bei 110◦ und 90◦ sind vom Betrag kleiner und innerhalb der statistischen Abweichung.
Zusätzlich zeigt sich in den benachbarten Punkten keine systematische Tendenz.
q q ’eν s = 189-207 GeV Jetschnitt
150
100
50
0
-50
-100
50
100
150
Schnittwinkel Jetschnitt in Grad
s = 189 - 207 GeV
1
q q ’e ν
4-fermion
2-fermion
Data
1/E dE/d α pro 3 °
-1
10
-2
10
-3
10
-4
10
-5
10
-6
10
-7
10
0
50
100
150
q q ’eν α : Winkel zur Jetachse in Grad
Abbildung 7.1: Oben: Die doppelte Differenz im Jetschnitt für den Endzustand q q̄ 0 eνe .
Unten: Der normierte Energiefluß in Cluster um die Richtung der Jets
im gleichen Endzustand.
62
7. Ergebnisse
Jetschnitt qq̄0 µνµ
In Abbildung 7.2 ist das Ergebnis des Jetschnitts sowie der Energiefluß um die Richtung
der Jets für diesen Endzustand gezeigt. Wiederum fällt die ausgezeichnete theoretische
Beschreibung der Daten durch die Monte Carlos auf, auch wenn sie etwas weniger gut
als für den Endzustand q q̄ 0 eνe ist. Sowohl in der Darstellung der Differenz zwischen Monte Carlo und Daten, als auch im Energiefluß ist eine deutliche Abweichung zu sehen.
Ab 130◦ bis 100◦ ist zusätzlich eine klare Tendenz in den jeweils benachbarten Punkten
sichtbar. Die Schnitte bei 90◦ und 100◦ weichen etwa 2,4 Standardabweichungen in der
Beschreibung von Monte Carlo und Daten voneinander ab. Die Unterschiede im Winkelschnittbereich zwischen 90◦ und 70◦ sind nicht so signifikant. Sie liegen innerhalb der
Umgebung der doppelten Standardabweichung von Null. Wichtiger ist allerdings, daß der
Trend gestoppt ist. Eine einmal gesammelte Differenz zwischen Monte Carlo und Daten
bleibt erhalten, auch wenn die Beschreibung danach perfekt ist. Das heißt, man muß
zusätzlich zur absoluten Abweichung auch den Trend betrachten, da die Punkte korreliert
sind. Die Berechnungsmethode (siehe Abschnitt 6.3) der Punkte macht eine analytische
Beschreibung dieser Korrelation unmöglich. Diese Diskrepanz zwischen Monte Carlos und
Daten muß eingehender untersucht werden.
Die Abweichung kommt teilweise durch die Myonereignisse zustande, in denen das Myon
über seine MIP–Signatur erkannt wurde. Um dies zu zeigen, werden einmal die 100 MIP–
Myon–Ereignisse aus der Berechnung herausgelassen und nur direkt identifizierte Myonen
zugelassen. Dann werden nur diese MIP–Ereignisse betrachtet und die Abweichungen
berechnet. Dies ist in den Abbildungen 7.3 und 7.4 nachzuvollziehen. In 7.3 ist sowohl
die Tendenz stärker ausgeprägt, als auch die Skala der Abweichung doppelt so groß. Da
aber weniger als 10% der ursprünglichen Ereignisse dafür zur Verfügung standen, ist
die statistische Signifikanz nicht so groß. In Abbildung 7.4 ist der Jetschnitt ohne die
Ereignisse mit MIP–Erkennung gezeigt. Die Tendenz auch ohne die MIP–Myonen noch
erkennbar. Die Abweichung ist dennoch fast um einen Faktor zwei kleiner. Zusätzlich ist
der Fehler trotz der Verringerung der Ereignisanzahl um 10% rund 25% kleiner. Damit
bleibt diese Diskrepanz zwischen Monte Carlo und Daten signifikant. Es handelt sich
demnach um einen Effekt, der für MIP–Ereignisse stärker ist, aber nicht ausschließlich
auf diese beschränkt ist.
Massen Differenz δ in MeV
7.1 Jetschnitt
63
q q ’µ ν s = 189-207 GeV Jetschnitt
50
0
-50
-100
-150
-200
50
100
150
Schnittwinkel Jetschnitt in Grad
s = 189 - 207 GeV
1
q q ’ µν
4-fermion
2-fermion
Data
1/E dE/d α pro 3 °
-1
10
-2
10
-3
10
-4
10
-5
10
-6
10
-7
10
0
50
100
150
q q ’µν α : Winkel zur Jetachse in Grad
Abbildung 7.2: Für den Endzustand q q̄ 0 µνµ : Oben das Ergebnis des Jetschnitts; unten
der normierte Energiefluß in Cluster um die Richtung der Jets.
7. Ergebnisse
Massen Differenz δ in MeV
64
q q ’µν s = 189-207 GeV Jetschnitt Nur MIPs
400
200
0
-200
-400
-600
50
100
150
Schnittwinkel Jetschnitt in Grad
Massen Differenz δ in MeV
Abbildung 7.3: Der Jetschnitt ausschließlich für die Ereignisse im Endzustand q q̄ 0 µνµ ,
in denen das Myon über die MIP–Signatur identifiziert wurde. Besonders auffällig ist die größere und in der Tendenz stärker ausgeprägte
Abweichung.
q q ’µ ν s = 189-207 GeV Jetschnitt Keine MIPs
100
0
-100
-200
50
100
150
Schnittwinkel Jetschnitt in Grad
Abbildung 7.4: Der Jetschnitt für den Endzustand q q̄ 0 µνµ ohne die Ereignisse, in denen
das Myon über die MIP–Signatur identifiziert wurde. Die Signifikanz
der Abweichung bleibt erhalten.
7.1 Jetschnitt
65
Um den Unterschied in der Beschreibung zwischen den Endzuständen q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ
zu verstehen, wird der Energiefluß betrachtet. Es werden beide Energieflüsse voneinander
subtrahiert. Ein Ausschnitt dieser Differenz des besonders interessanten Bereichs zwischen
80◦ und 170◦ ist in Abbildung 7.5 gezeigt.
Die Datenpunkte sind offenbar annähernd identisch beschrieben, das heißt die Differenz
ist verträglich mit Null. Die Monte Carlos zeigen jedoch einen Unterschuß im Endzustand
q q̄ 0 µνµ gegenüber q q̄ 0 eνe im besonders relevanten Winkelbereich. Die schwierige Quantifizierung dieser Aussage wird hier nicht weiter verfolgt.
Es sei nochmal erwähnt, daß der so beschriebene Unterschied nur auf den energieabhängigen Unterschied in der W–Massen–Veränderung sensitiv ist. Inwiefern die anderen Einflußgrößen auf die Änderung der W–Masse in beiden Kanälen gleich beschrieben sind,
wird hier ebenfalls nicht näher untersucht. Obwohl sehr großer Aufwand betrieben wurde,
bleibt unklar, warum ein Unterschied in der Beschreibung der hadronischen Jets in den
zwei Endzuständen q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ existiert.
x10
-1
Differenz Energiefluss q q ’eν - qq ’µ ν
∆ pro 4 Grad
0.002
0.000
-0.002
-0.004
-0.006
100
120
140
160
Winkel um die Richtung der Jets in Grad
Abbildung 7.5: Die Differenz ∆ der Energieflüsse um die Leptonrichtung in den Endzustände q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ im Ausschnitt 90◦ bis 180◦ . Die rote Linie
zeigt die Ideallinie der Null-Differenz an. Die Datenpunkte sind mit
Fehlerbalken versehen. Die Monte Carlos sind¯ durch ¯die durchgezogene
¯ − dE ¯ .
blaue Linie wiedergegeben. Dabei ist ∆ = dE
E e
E µ
66
7. Ergebnisse
Jetschnitt qq̄0 τ ντ
In Abbildung 7.6 ist das Ergebnis des Jetschnitt für diesen Endzustand zusammen mit
dem Energiefluß um die Richtung der Jets gezeigt. Es gibt hier zwei Punkte, an denen
der Jetschnitt mehr als eine Standardabweichung von Null abweicht: bei 120◦ und bei
130◦ . Wie bei der Abweichung im Endzustand q q̄ 0 eνe sind dies aber vermutlich statistische Fluktuationen. Sie zeigen keinen besonderen Trend.
Möglicherweise sind sie zusätzlich ein Artefakt der Art der Rekonstruktion. Der überwiegende Anteil der τ –Zerfälle im Endzustand q q̄ 0 τ ντ ist hadronisch. Dort wird ein Kegel um
die Richtung des τ –Leptons gelegt und alle Cluster aus der Berechnung der Quark–Jets
herausgenommen, die dem hadronischen W–Zerfall zugeordnet sind. Dies hat Einfluß auf
die räumliche Ausdehnung der Jets. Im Vergleich zu den Endzuständen q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ
sind die Jets künstlich schmaler. Damit weichen weniger Ereignisse bei Schnitten von der
unvariierten Masse ab und halten die Verteilung der einfachen Differenz schmal. In der
doppelten Differenzen drückt sich dies dann über kleinere Werte der Standardabweichung
aus. Somit weicht ein Wert möglicherweise schnell um mehr als eine Standardabweichung
ab, obwohl die Methode eigentlich weniger genau ist. Dies wäre jedoch wiederum nur
durch höhere Datenstatistik zu überprüfen.
Massen Differenz δ in MeV
7.1 Jetschnitt
67
q q ’τ ν s = 189-207 GeV Jetschnitt
100
0
-100
-200
-300
50
100
150
Schnittwinkel Jetschnitt in Grad
s = 189 - 207 GeV
1
q q ’τ ν
4-fermion
2-fermion
Data
1/E dE/d α pro 3 °
-1
10
-2
10
-3
10
-4
10
-5
10
-6
10
-7
10
0
50
100
150
q q ’τ ν α : Winkel zur Jetachse in Grad
Abbildung 7.6: Der Endzustand q q̄ 0 τ ντ : oben die doppelte Differenz des Jetschnitts;
unten der Energiefluß um die Richtung der Jets.
68
7. Ergebnisse
Kombination der Endzustände im Jetschnitt
Massen Differenz δ in MeV
Anstatt die Schwierigkeit im Endzustand q q̄ 0 µνµ einzeln zu behandeln, kann auch direkt
auf die Kombination der Ergebnisse zurückgegriffen werden. Dazu wird aus allen Werten
der Jetschnitte der gewichtete Mittelwert gebildet.. In Abbildung 7.7 ist die Kombination
der Jetschnitt aller semileptonischen Endzustände gezeigt. Die Tendenz der Abweichungen, die sich aus der Addition des Elektron- und des Myonkanals ergeben sind immer
noch präsent. Sie können nicht durch die gute Übereinstimmung im Taukanal behoben
werden. Problematisch ist insbesondere die resultierende Abweichung bei einem Jetschnitt
von 100◦ . Die Abweichung beträgt dort 44 MeV bei einer Signifikanz von zwei Standardabweichungen.
q q ’lν s = 189-207 GeV Jetschnitt Kombination
50
0
-50
-100
50
100
150
Schnittwinkel Jetschnitt in Grad
Abbildung 7.7: Die Kombination der Jetschnitte für alle semileptonischen Endzustände:
q q̄ 0 eνe , q q̄ 0 µνµ und q q̄ 0 τ ντ .
7.2 Leptonschnitt
7.2
69
Leptonschnitt
Der Leptonschnitt wird nur für die Zerfallskanäle nach q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ durchgeführt.
Die leptonischen Zerfälle eines τ im Endzustand q q̄ 0 τ ντ sind damit prinzipiell auch abgedeckt. Die Leptonschnitte werden erst nach den Endzuständen getrennt diskutiert und
dann in der Kombination vorgestellt.
Leptonschnitt qq̄0 eνe
Abbildung 7.8 zeigt das Resultat des Leptonschnitts für diesen Endzustand. Zur Erläuterung ist wiederum der Energiefluß ebenfalls mit angegeben. Diesmal ist er aber auf die
Richtung des Elektrons bezogen.
In den ersten zwei Grad des Schnitts ist die Beschreibung der Daten durch die Monte
Carlos im Rahmen der Untersuchungsmethode nahezu perfekt. Die absolute Abweichung
ist kleiner als 7 MeV und liegt innerhalb der Fehlerabschätzung. Bei 2,5◦ , 3◦ und 4◦ wird
die Abweichung größer als eine Standardabweichung, liegt aber noch innerhalb der Umgebung des zweifachen Wertes.
Ein Grund für diese Abweichung liegt in der Schwierigkeit, daß Cluster in der Nähe des
Elektrons eigentlich zu Jets gehören, die nur zufällig in der Nähe des Elektrons liegen. Bei
ausreichender Statistik sollte dieser dann Effekt nicht auftreten. Um diese Hypothese zu
testen, wird die Datenmenge in zwei Teile getrennt und dann der Leptonschnitt durchgeführt. In einem Teil befinden sich die Ereignisse, in denen die Jetachsen mindestens 90◦
entfernt sind, in dem anderen Teil die dazu komplementäre Menge. Die Anzahlen sind
dabei nicht völlig ausgeglichen. Rund 2/3 aller Ereignisse befinden sich in dem Anteil
mit mindestens einem nahen Jet, das verbleibende Drittel bilden die Ereignisse mit fernen Jets. In Abbildung 7.9 ist das Ergebnis für beide Untersuchungen aufgetragen. Das
Ergebnis für die Auswahl der fernen Jets ist mit Null verträglich. Im Gegensatz dazu
weichen die Werte bei den nahen Jets stärker ab, und die Tendenz der Abweichung ist
stärker ausgeprägt.
Massen Differenz δ in MeV
70
7. Ergebnisse
q q ’eν s = 189-207 GeV Leptonschnitt
20
0
-20
-40
-60
0
1
2
3
4
5
Schnittwinkel Leptonschnitt in Grad
1/E dE/d α pro 0.5 °
s = 189 - 207 GeV
10
10
10
10
10
q q ’e ν
4-fermion
2-fermion
Data
-1
-2
-3
-4
-5
0
1
2
3
4
q q ’eν α : Winkel zum Elektron in Grad
5
Abbildung 7.8: Oben: die doppelte Differenz im Leptonschnitt für den Endzustand
q q̄ 0 eνe ; unten: der normierte Energiefluß bezüglich der Richtung des
Elektrons.
Massen Differenz δ in MeV
7.2 Leptonschnitt
71
q q ’eν s = 189-207 GeV Leptonschnitt Nahe Jets
20
0
-20
-40
-60
-80
0
1
2
3
4
5
Massen Differenz δ in MeV
Schnittwinkel Leptonschnitt in Grad
q q ’eν s = 189-207 GeV Leptonschnitt Ferne Jets
20
0
-20
-40
-60
0
1
2
3
4
5
Schnittwinkel Leptonschnitt in Grad
Abbildung 7.9: Der Leptonschnitt im Endzustand q q̄ 0 eνe : oben nur für Ereignisse, bei
denen mindestens einer der Jets in seiner Hauptachse weniger als 90◦ von
der Richtung des Elektrons entfernt ist; unten die dazu komplementären
Ereignisse mit mindestens 90◦ zwischen Elektronrichtung und Jets.
72
7. Ergebnisse
Leptonschnitt qq̄0 µνµ
In Abbildung 7.10 ist der Leptonschnitt um das Myon aufgetragen. Zur Ergänzung der
Information ist in der gleichen Abbildung wiederum der Energiefluß bezüglich der Myonrichtung dargestellt. Um die Erklärung für die Abhängigkeit von nahen und fernen Jets
auch für die Myonen zu überprüfen, wurde der gleiche Test auch hier durchgeführt. Die
Abhängigkeit ist im Endzustand q q̄ 0 µνµ weniger ausgeprägt, liefert aber ein konsistentes
Ergebnis zu den Elektronen, siehe Abbildung 7.11.
Die Beschreibung der Daten durch die Monte Carlos ist innerhalb der Fehler vollkommen
stimmig.
Massen Differenz δ in MeV
7.2 Leptonschnitt
73
q q ’µ ν s = 189-207 GeV Leptonschnitt
50
0
-50
0
1
2
3
4
5
Schnittwinkel Leptonschnitt in Grad
1/E dE/d α pro 0.5 °
s = 189 - 207 GeV
10
10
10
10
10
q q ’ µν
4-fermion
2-fermion
Data
-1
-2
-3
-4
-5
0
1
2
3
4
q q ’µν α : Winkel zum Myon in Grad
5
Abbildung 7.10: Oben: die doppelte Differenz im Leptonschnitt für den Endzustand
q q̄ 0 µνµ ; unten: der normierte Energiefluß in Cluster um die Richtung
des Myons.
Massen Differenz δ in MeV
74
7. Ergebnisse
q q ’µ ν s = 189-207 GeV Leptonschnitt Nahe Jets
100
50
0
-50
0
1
2
3
4
5
Massen Differenz δ in MeV
Schnittwinkel Leptonschnitt in Grad
q q ’µ ν s = 189-207 GeV Leptonschnitt Ferne Jets
0
-50
-100
0
1
2
3
4
5
Schnittwinkel Leptonschnitt in Grad
Abbildung 7.11: Der Leptonschnitt im Endzustand q q̄ 0 µνµ analog zu Abbildung 7.9:
oben nur für Ereignisse, bei denen mindestens einer der Jets weniger
als 90◦ von der Myonrichtung entfernt ist; darunter die dazu komplementären Ereignisse.
7.2 Leptonschnitt
75
Kombination der Endzustände im Leptonschnitt
Massen Differenz δ in MeV
Die beiden Endzustände q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ werden nun kombiniert, indem man das gewichtete Mittel bildet. Das Ergebnis ist in Abbildung 7.12 dargestellt. Durch den kleineren
Fehler dominiert die Messung des Endzustands q q̄ 0 eνe , wodurch die dort gesehenen Abweichungen erhalten bleiben. Unter Berücksichtigung der dort untersuchten Effekte sind
alle Schnitte mit Null verträglich.
q q ’l’ν s = 189-207 GeV Leptonschnitt Kombination
20
0
-20
-40
-60
0
1
2
3
4
5
Schnittwinkel Leptonschnitt in Grad
Abbildung 7.12: Die Kombination der Leptonschnitte für die Endzustände q q̄ 0 eνe und
q q̄ 0 µνµ .
76
7.3
7. Ergebnisse
Interpretation
Die Untersuchungen zum Leptonschnitt zeigen, daß keine signifikanten Unterschiede zwischen der Monte Carlo Beschreibung und den Daten existieren. Es ist nicht zu erwarten,
daß Photonen, die vom Lepton abgestrahlt werden, einen größeren Winkelabstand als fünf
Grad besitzen. Die Schlußfolgerung ist, daß die Photonabstrahlung richtig in den Monte
Carlos beschrieben ist.
Die Untersuchungen zur Energieabhängigkeit wurden durchgeführt, sind hier aber nicht
näher dargestellt. Die Form der Verteilung und der Betrag der einzelnen Werte in den
doppelten Differenzen ist nahezu unabhängig von den erlaubten Cluster–Energien. Die
Abweichungen liegen im Bereich von einigen MeV. Ansonsten sind die Verteilungen praktisch identisch sowohl zu den im Jetschnitt als auch im Leptonschnitt gezeigten doppelten
Differenzen. Die Schlußfolgerung lautet auch hier, daß die Beschreibung der Energiecluster
in den Monte Carlos mit den Daten gut übereinstimmt.
Der Jetschnitt zeigt nun größere Probleme auf und ist differenzierter zu betrachten. Prinzipiell stellen sich zwei Fragen:
Was ist die Ursache einer nicht übereinstimmenden Beschreibung in Monte Carlos
und Daten?
Was bedeutet eine Abweichung quantitativ als systematische Unsicherheit auf die
finale W–Masse?
Die beiden semileptonischen Endzustände q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 τ ντ sind zufriedenstellend beschrieben. Im Endzustand q q̄ 0 µνµ zeigt sich dagegen eine Abweichung. Trotz intensiver
Untersuchungen ist die Ursache der Unterschiede zwischen Monte Carlo und Daten nicht
exakt einzugrenzen. Über die MIP–Signatur identifizierte Myonen zeigen eine stärker ausgeprägte Abweichung. Alleine können sie den Effekt aber nicht erklären.
Nimmt man den Endzustand q q̄ 0 τ ντ aus der näheren Betrachtung heraus, dann sollten
die Endzustände q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ im Rahmen der experimentellen Genauigkeit übereinstimmen. Betrachtet man die Differenz der Energieflüsse dieser beiden Kanäle in Abbildung 7.5, so wird die Diskrepanz deutlich. Die erste Frage nach der Ursache der Abweichung ist damit nicht zufriedenstellend beantwortet. Die Hadronisation scheint in den
Monte Carlos nicht richtig beschrieben zu sein. Ebenfalls unerklärlich ist, warum ein Unterschied in den Endzuständen mit Myonen im Gegensatz zu denen mit Elektronen oder
τ –Leptonen sichtbar ist. Die Abweichung im Endzustand q q̄ 0 µνµ ist als nicht näher kenn-
7.3 Interpretation
77
zeichenbare Systematik zu werten.
Die zweite Frage nach der Quantifizierung der Systematik ist in der Beantwortung erheblich aufwendiger. Die gewählte Methode ist deutlich unterschiedlich zu der offiziellen
Methode der W–Massen–Bestimmung. Es wird weder ein voller kinematischer Fit an das
Ereignis, noch ein Box–Fit an die Verteilung angewandt, um die optimale Massenauflösung
zu erreichen.
Es wäre in doppelter Hinsicht falsch, die maximale Abweichung von 90 MeV bei einem
Schnitt von 100◦ als Fehler auf die W–Masse anzunehmen. Der erste Schritt wäre das
Rewichten der betreffenden Monte Carlos. Dabei wird das Monte Carlo durch Parameter so verändert, daß der Effekt in der doppelten Differenz nicht mehr signifikant ist,
beziehungsweise verschwindet. Diese Methode wurde bei anderen Systematiken bereits
erfolgreich angewandt. Als Beispiel sei die Bestimmung der Z–Masse durch die Rückkehr
zum Z durch Photonabstrahlung [39] genannt.. Auch beim Box–Fit wird diese Methode
benutzt [38]. Im Box–Fit werden aufgrund des extrem großen Rechenaufwands nicht für
alle möglichen W–Massenhypothesen eigene Monte Carlos produziert. Stattdessen gibt es
nur einige wenige komplette Sätze mit hoher Statistik in diskreten Werten in der Nähe
der erwarteten W–Masse. Diese werden dann Ereignis für Ereignis rewichtet, in dem auf
Generatorebene ein Gewicht berechnet wird.
In der Untersuchung der Abweichung der W–Massen zwischen Monte Carlo und Daten
wird das Gewicht aus der mittleren Abweichung der unvariierten und der variierten W–
Masse (im einzelnen Ereignis) bestimmt. Die doppelten Differenzen, die sich bei optimalen
Rewichtungs–Parameter ergeben, sind in Abbildung 7.13 wiedergegeben. Die Abweichung
verschwindet nicht, verliert aber ihre Signifikanz
Die erste Abschätzung der tatsächlichen Abweichung geschieht dann aus dem Vergleich der
mittleren W–Massen der Verteilungen des rewichteten und des unveränderten Monte Carlos. Das Resultat dieser Abschätzung beträgt für diesen Fall 20 MeV. Dies ist allerdings
immer noch nicht die tatsächliche systematische Unsicherheit auf die finale W–Masse.
Dafür muß die W–Masse mittels Box–Fit sowohl für das rewichtete, als auch für das unveränderte Monte Carlo bestimmt werden. Die Differenz, die sich dann schließlich ergäbe,
wäre die tatsächliche systematische Unsicherheit auf die W–Masse. Dieser letzte Vergleich
wird im Rahmen dieser Arbeit nicht gezogen. Die Erwartung liegt jedoch etwa bei der
Hälfte des Wertes, der sich aus dem Vergleich der naiven Verteilungen ergibt. In der
Schlußfolgerung ergibt sich also eine systematische Unsicherheit auf die finale W–Masse
in der Größenordnung von 10 MeV aus der Hadronisation.
Massen Differenz δ in MeV
78
7. Ergebnisse
q q’µ ν s = 189-207 GeV Jetschnitt mit Rewichtetem Monte Carlo
200
0
-200
50
100
150
Schnittwinkel Jetschnitt in Grad
Abbildung 7.13: Die doppelte Differenz im Jetschnitt für q q̄ 0 µνµ mit optimalen
Rewichtungs–Parameter.
Kapitel 8
Fazit
Das Thema dieser Arbeit ist die Bestimmung systematischer Einflüsse auf die Messsung
der W–Masse bei L3. Diese Messung ist die letzte Kernaufgabe von LEP, die noch nicht
abschließend behandelt wurde. Im Rahmen des Standardmodells ist die W–Masse ein
wichtiger, nur experimentell bestimmbarer Parameter.
Die angestrebte Genauigkeit in der W–Massenbestimmung erfordert einen sehr großen
Aufwand bei der Untersuchung der Systematiken. Wenn eine Methode einen sinnvollen
Beitrag liefern soll, muß ihre Sensitivität auf Abweichungen zwangsläufig besser sein, als
die angestrebte Genauigkeit. Dieses Ziel ist mit 0,5% relativer Genauigkeit sehr hoch gesetzt.
Eine spezielle Motivation dieser Arbeit ist der genaue Test der semileptonischen W–
Paarzerfälle. Der dominante vollhadronische Zerfallskanal besitzt einige Probleme, die
ihn auf irreduzible Weise in der Genauigkeit limitieren. Als führende systematische Unsicherheit ist die Colour Reconnection zu nennen, die alleine soviel zur Systematik beiträgt,
wie die Endzustände q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ in ihrer Summe. Insbesondere diese beiden Zerfallskanäle eignen sich aufgrund ihrer sehr hohen Selektionsreinheit zum Betreiben von
Systematik einzelner hadronisch zerfallender W–Bosonen. Die Ergebnisse der systematischen Studien an diesen Ereignissen könnten wiederum das Verständnis der Systematik
im vollhadronischen Kanal verbessern.
Das Studium systematischer Einflüsse auf die W–Masse beschränkt sich in der Darstellung dieser Arbeit auf drei Aspekte. Untersucht werden prinzipiell nur die Unterschiede
zwischen Datenereignissen und der Beschreibung durch simulierte Ereignisse des semileptonischen W–Paarzerfalls. Die drei Hauptaspekte sind:
79
80
8. Fazit
1. der Einfluß möglicher Satellitencluster um das Lepton durch Photonabstrahlung im
Endzustand,
2. der Einfluß möglicherweise nicht umfassend beschriebener Hadronisation der hochenergetischen, quasi–freien Quarks und
3. der Einfluß von nicht hinreichend beschriebenen, niederenergetischen Rauschcluster
durch die radioaktiven Zerfälle des Uran–Absorbers im HCAL.
Die hier verwendete Methode ist kein optimales Instrument zur absoluten Bestimmung
der W–Masse. Dies ist für L3 der Box–Fit. Stattdessen wird eine Methode des ereignisweisen Vergleichs benutzt, die ungleich sensitiver auf die zu untersuchenden Systematiken
ist. Sie ist sensitiv genug, um die formulierte Genauigkeitsanforderung erfüllen zu können.
In jedem Ereignis wird zuerst eine W–Masse bestimmt. Dann wird eine Beschreibungsgröße variiert und eine neue, variierte W–Masse berechnet. In einem ersten Schritt wird
die Differenz zwischen der unvariierten und der variierten Masse gebildet. Diese Differenz
ist dann unabhängig von der ursprünglichen Skala, nur der Unterschied zählt.
Um Unterschiede deutlich zu machen, wird sie unabhängig für Daten und Monte Carlos
gebildet. Diese Differenz ist in statistisch verteilt, wobei die relativ niedrige Anzahl von
Datenpunkten das größte Problem darstellt. Die Unterschiede zwischen Monte Carlo und
Daten werden quantifiziert, indem eine weitere Differenz von charakteristischen Größen
der beiden Verteilungen gebildet wird. Die Sensitivität dieses Unterschieds läßt sich dabei
ebenfalls aus einer Beschreibungsgröße der Verteilung bestimmen.
Die Methode der Darstellung ist gut geeignet, um Unterschiede in der Beschreibung zwischen Monte Carlos und Daten kenntlich zu machen. Problematisch ist dabei die Erfassung
der statistischen Relevanz, die mit der gewählten Art der Behandlung aber gewährleistet
ist.
Im Ergebnis zeigt sich, daß sowohl die Beschreibung der Photonabstrahlung der Leptonen im Endzustand, als auch die niederenergetischen Cluster so gut beschrieben sind, daß
mit dieser Methode keine signifikante Abweichung zu bestimmen ist. Die Untersuchung
der Hadronisation wirft jedoch einige Fragen auf, die trotz intensiver Bemühungen nicht
befriedigend beantwortet werden können. Unter der Annahme der Leptonuniversalität
sollten sich die Endzustände q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 µνµ nur aufgrund statistischer Fluktuationen
unterscheiden. Die unterschiedliche Selektion und Energiebestimmung in diesen beiden
Kanälen schränkt aus experimenteller Sicht diese Aussage etwas ein. Unter Hinzunahme
aller verstandener Effekte dieser Art sollte die Übereinstimmung trotzdem gewährleistet
sein.
81
Die Analyse zeigt, daß die Art der Selektion tatsächlich einen nicht vollständig erfaßten
Einfluß hat. Durch ihre MIP–Signatur identifizierte Myonen in q q̄ 0 µνµ –Ereignissen unterscheiden sich von denen, die durch Treffer in den Myonkammern als Myonen identifiziert
wurden.
Darüber hinaus ist eine systematische Abweichung im Endzustand q q̄ 0 µνµ zu sehen, die im
Rahmen dieser Arbeit auf die Hadronisation zurückzuführen ist. Im Rahmen der verwendeten Massenbestimmung beträgt dieser systematische Einfluß etwa 20 MeV. Die beiden
anderen Endzustände q q̄ 0 eνe und q q̄ 0 τ ντ zeigen diese Abweichung nicht.
Die semileptonischen Endzustände sind nach den Erkenntnissen dieser Analyse sehr gut
zum Betreiben von systematischen Studien geeignet.
Ausblick
Der exakte Wert des systematischen Einfluß auf die W–Masse wäre noch mit der Box–
Fit–Methode zu bestimmen. Die Erwartung liegt bei etwa der Hälfte des hier bestimmten
Fehlers. Als Größenordnung des resultierenden Fehlers sind also 10 MeV zu nennen.
Die Exaktheit der Bestimmung der W–Masse im Rahmen der Kombination aller LEP–
Experimente ist durch die Gesamtanzahl an aufgezeichneten W–Paareignissen vorgegeben.
Die absolute Genauigkeitsgrenze liegt demnach bei ungefähr 30 MeV.
Die nächste Generation der Beschleuniger, in erster Line der LHC mit seinen Experimenten, wird diese Grenze vermutlich unterbieten können. Seine Hauptaufgabe besteht jedoch
im Auffinden des letzten noch fehlenden Teilchens des Standardmodells: Dem Higgs–
Boson.
Anhang A
Systematik der W–Masse
Die Tabelle gibt die vollständige Systematik der W–Massenuntersuchungen bei L3 wieder.
Der obere Teil der Tabelle beschreibt die im Bezug auf die Endzustände korrelierten
systematischen Fehler, der untere Teil die diesbezüglich unkorrelierten systematischen
Fehler.
Systematische Fehler auf MW in [ MeV]
√
für Schwerpunktsenergien s = 205 − 208 GeV
Fehler
0
Endzustand
q q̄ µνµ q q̄ 0 τ ντ
20
20
15
15
10
10
25
25
30
30
15
15
50
50
0
q q̄ 0 q 00 q̄ 000
20
10
10
20
30
15
45
LEP Energie
ISR
FSR
Jet Messung
Fragmentation
Fitmethode
Total Korreliert
q q̄ eνe
20
15
10
10
30
15
44
MC Statistik
Colour Reconnection
Bose–Einstein Effekte
Selektion
Untergrund
Lepton Messung
Total Unkorreliert
18
–
–
10
5
15
26
17
–
–
10
5
15
25
31
–
–
10
45
–
56
11
50
20
10
15
–
58
Totale Systematik
51
56
75
73
Tabelle A.1: Die systematischen Fehler der W–Masse nach [40] (Stand: Juni 2002).
82
Anhang B
Die Wirkungsquerschnitte
vorläufig
10
σ [pb]
10
10
4
3
2
e +e - →
e +e - →
e +e - →
e +e - →
e +e - →
10
q q ( γ)
e +e -q q
+ WW
ZZ
HZ
m H = 85 GeV
m H = 100 GeV
m H = 115 GeV
1
10
L3
-1
80
100 120 140 160 180 200 220
s [GeV]
Abbildung B.1: Der von L3 gemessene totale Wirkungsquerschnitt im Vergleich mit der
theoretischen Vorhersage [41].
83
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