Berechnung angenäherter Intensitätswerte Raman-aktiver Molekülschwingungen mit Hilfe eines modifizierten CNDO/II-Verfahrens P. Bleckmann Abt. Theoretische Organische Chemie der Universität Dortmund (Z. Naturforsch. 29 a, 1485 — 1488 [ 1 9 7 4 ] ; eingegangen am 14. Juni 1974) An Approximate Calculation of Raman Intensities by Means of a Modified CNDO/II Method The line intensities in Raman spectra of molecules are determined by means of a perturbation calculation. For this purpose the vibrating molecule was considered under the conditions of static electric fields causing the perturbation in directions parallel to the axis of a Cartesian co-ordinate system of the molecule. T h e calculated perturbation terms are inserted into the Hartree-Fock Operator used in the C N D O / I I - t h e o r y 6 . This calculation yields the induced dipole moment as a function of the normal coordinate Q, from which the polarizability change upon Q is obtained. Die Aufnahme vollständiger Raman- und Infrarotspektren im gesamten Frequenzbereich von ca. 20 — 4000 c m - 1 ist heute dank der Laser-RamanSpektroskopie und der Fern-Infrarot-Interferometer im allgemeinen nicht mehr schwierig. Die Auswertung der in den Spektren enthaltenen Informationen über Struktureigenschaften von Molekülen ist bisher aber nicht eindeutig auszuführen. Es gibt unendlich viele verschiedene Sätze von Kraftkonstanten, aus denen sich das gleiche Frequenz-Spektrum berechnen läßt. Bei Molekülen mit einer größeren Zahl von Atomen tritt zusätzlich das Problem auf, welche beobachtete Bande welcher berechneten Frequenz zuzuordnen ist. Man kann erwarten, daß die Zuordnung von Frequenzen und die Ermittlung des physikalisch sinnvollen Satzes von Kraftkonstanten erleichtert wird, wenn man gleichzeitig mit den Frequenzen auch die Intensitäten und die Polarisationseigenschaften der Schwingungen auswertet. Aus diesem Grunde bemüht man sich seit langem, Intensitäten von Raman- und Infrarot-aktiven Schwingungen zu bestimmen 2 . Eine Näherungsmethode zur Berechnung von Raman- und Infrarotintensitäten liefert die ,Valenzoptische Theorie' 3 ' 4 . Der Nachteil dieser Theorie liegt in der Annahme, daß sich Polarisierbarkeits- und Dipolmomentsänderungen additiv aus Bindungsparametern zusammensetzen. Dieses Modell berücksichtigt damit nicht die sich bei den Schwingungen ändernden Wechselwirkungen zwischen den Kernen und Elektronen im gesamten Molekül. Um diese Wechselwirkungen bei Intensitätsberechnungen zu berücksichtigen, müssen quantenmechanische Berechnungsmethoden angewandt werden. Segal und Klein 5 haben gezeigt, daß man Infrarot-Intensitäten mit Hilfe des CNDO- Verfahrens 6 ermitteln kann, indem man die Änderung des Moleküldipolmomentes während der Normalschwingung berechnet. Von uns wurde diese Methode mit Erfolg angewendet bei der Zuordnung einiger im Spektrum eng zusammenliegender IRBanden zu berechneten Frequenzen des Hexamethylbenzols 7 . Für die Bestimmung der Raman-Intensitäten von Molekülschwingungen muß die Polarisierbarkeit des Moleküls als Funktion der Normalkoordinaten berechnet werden. Die Berechnung der Polarisierbarkeit im nichtausgelenkten Zustand ist — zum Teil auch unter Anwendung halbempirischer quantenchemischer Verfahren — kürzlich beschrieben worden 8; 9 . Die Ableitungen der Polarisierbarkeit nach den Normalkoordinaten der symmetrischen Valenz-Schwingungen von Molekülen und Ionen wurden von Long und Plane 10 und von Lippincott und Nagarajan 11 an Hand des sogenannten DeltaFunktions-Modells berechnet12. Zur Bildung der Ableitung öajdQ der Polarisierbarkeit a nach der Normalkoordinate Q muß die absolute Größe von Q bestimmt werden. Die von uns angewandte Methode zur Frequenzberechnung liefert für jede berechnete Frequenz der Wellenzahl v eine genormte Eigenvektormatrix L%\ die die Auslenkungen für jedes Atom i in einem kartesischen Koordinatensystem enthält13. Um diese Werte auf die Quantentheoretischen Amplituden14 umzurechnen, gehen wir aus von der Gleichung n h r(*> = ] / xn,m I/o 2 i/f - ' \ 8 rr- M cv die die Amplitude Xn,m des linearen Oszillators beim Übergang | n—m| = 1 Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz. This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution-NoDerivs 3.0 Germany License. Zum 01.01.2015 ist eine Anpassung der Lizenzbedingungen (Entfall der Creative Commons Lizenzbedingung „Keine Bearbeitung“) beabsichtigt, um eine Nachnutzung auch im Rahmen zukünftiger wissenschaftlicher Nutzungsformen zu ermöglichen. On 01.01.2015 it is planned to change the License Conditions (the removal of the Creative Commons License condition “no derivative works”). This is to allow reuse in the area of future scientific usage. 1486 P. Bleckmann • Intensitätswerte Raman-aktiver Molekülschwingungen (n, m: Quantenzahlen der Energieeigenwerte En und Em) beschreibt. Der genormte Eigenvektor Lx * ergibt sich daraus zu Für ein Feld in Richtung der z-Achse ergibt sich daher für die Hauptdiagonalelemente der Matrix F': T(v) _T(v) I xy x«,»W/ '-'X — FQQ= Der Faktor D ^ ist also der Wert, mit dem man die berechneten Eigenvektorkomponenten zu multiplizieren hat, um die ,Quantentheoretische Amplitude' zu erhalten. Für ein Molekül mit A Atomen ergibt sich damit für beim Übergang von m = 0 nach n = 1 : D(r) 8 Tl2 c v 2 M-, [ {L{p)lx Z A EZ . Hierbei ist die z-Komponente des Positionsvektors des Atoms A. Die Nebendiagonalelemente von F' setzen wir den von Pople und Segal 6 eingeführten Hybridisierungstermen gleich. So ergibt sich für ein Atom A der zweiten Periode in einem Feld in z-Richtung: k = — Fqq = ~ ( ? 2 s A M ?2p« A ) • + {L(x^)iy + (Z// } )L] V(L{p)itX\ [L{p)i,y-, {L(p)Uz = berechnete Komponenten der Eigenvektormatrix L ^ für die Auslenkungen des z'-ten Atoms in die Richtungen x, y, z für die Frequenz der Wellenzahl v; Mi = Masse des i-ten Atoms.]. In dem hier beschriebenen Verfahren zur Bestimmung der Ableitungen daik/dQj {o.ik = Komponente des Polarisierbarkeitstensors; Qj = j-te Normalkoordinate) wurde die halbempirische CNDO/II-Theorie 6 mit der Störung durch ein homogenes, statisches elektrisches Feld kombiniert. Hierbei wird vorausgesetzt, daß die für den Fall des statischen Feldes berechneten Polarisierbarkeitsänderungen während der einzelnen Normalschwingungen näherungsweise in demselben Verhältnis stehen, wie man es auch erhielte unter der Bedingung des in Wirklichkeit bei der Aufnahme des Raman-Spektrums angewandten elektrischen Wechselfeldes. Daher können die ermittelten Werte nur für den ,Nicht-Resonanzfall', also bei Anregung mit Licht aus einem Spektralbereich außerhalb von Absorptionsbanden als representativ angesehen werden. Für ein statisches homogenes elektrisches Feld lautet der Beitrag des Feldes im Hamilton-Operator des Moleküls: Die Funktionen q2s und q2pz sind Slater-Orbitale des 2s- und des 2p2-Zustandes am Atom A (z = Elektronenortsvektor). Die Terme F'qQ und F'qq' werden kombiniert mit den Matrixelementen des Hartree-Fock-Operators, die in unserem Verfahren nach der CNDO/II-Theorie 6 berechnet werden. Man erhält danach für den Einfluß eines elektrischen Feldes in z-Richtung die folgenden Ausdrücke (Bezeichnungen nach Pople und Segal 6 ) : Fqq = Uqq + ( P A A - I + Pqq) 2 B(*A) 7AA (PBB Fqq = ß°\B Sqq' — iPqq' 7 AB yAB - VAB) - Z A EZ ; - ( <72sJ 2 ' q'2vz A ) . Die Durchführung der Intensitätsberechnung sei am Beispiel der Molekülschwingungen des Cyclopropenons dargestellt. Man legt zweckmäßigerweise die Achsen des kartesischen Koordinatensystems in die Richtungen der Hauptpolarisierbarkeiten des Moleküls (Abbildung 1). Die Störung wird dann jeweils F' = e 2 r,. E . k (E = Feldstärke; = Positionsvektor des k-ten Elektrons; e = Ladung eines Elektrons.) Die Kernbeiträge im elektrischen Feld werden dabei nicht berücksichtigt, da deren Einfluß auf die Polarisierbarkeitsänderung als vernachlässigbar klein angesehen werden muß. Der Wellenzahlbereich des eingestrahlten Lichtes ( ~ 20 000 c m " 1 ) liegt genügend weit außerhalb des Spektralbereiches der Schwingungsbanden (0 — 4000 c m - 1 ) . Abb. 1. Cyclopropenon (Orientierung des Moleküls kartesischen Koordinatensystem). im durch ein Feld in x-, in y- und in z-Richtung hervorgerufen, und zwar für das nicht ausgelenkte Molekül und für das im Sinne der Normalkoordinaten um den Betrag Z) (v) L ( d e f o r m i e r t e Molekül. Die berechneten induzierten Dipolmomente fix, [J.y und 1487 P. Bleckmann • Intensitätswerte Raman-aktiver Molekülschwingungen tuz sind mit den Feldstärken Ex, Ey und Ez verknüpft durch die Beziehung Px \ / CLxx axy ijz \ / Ex Pv 1 = 1 avx *yy *yz JI Ey UZ 1 \ AZX AZY OLZZ } \ E Z (a ik = Komponente des Polarisierbarkeitstensors). Abbildung 2 soll zeigen, daß das Symmetrieverhalten des Tensors der Polarisierbarkeitsänderung richtig wiedergegeben wird. Für die antisymmetrische CH-Valenzschwingung der Frequenz v = 3066 c m - 1 in der Rasse B2 (Punktgruppe: Cgv), bei der die Tensorkomponente a yz moduliert wird, erhält man die in Abb. 2 dargestellte Abhängigkeit der induzierten Dipolmomente piy und }xz von der Richtung des elektrischen Feldvektors. Für die Ableitungen am Nulldurchgang erhält man Werte ungleich Null gemäß dem Symmetrieverhalten nur für die Beziehungen m und ( t y y ß Q ) 0= (dctyz/ÖQ) 0 Ey 0 E Z und y = \ [ (a x x - ayy)2 + {ayy - a z z ) 2 + ( a ' „ + 6 (a'xy + axx)2] alz +a'lz) (Quadrat der Ableitung der Anisotropie y nach der Normalkoordinate Qj) und unter der Bedingung, daß die Polarisierbarkeitsänderung (da/dQ)0Q=(^-ju0)/E ( ( «d, u0 sind berechnete durch das Feld E induzierte Dipolmomente des deformierten und des nicht-deformierten Moleküls) für den Bereich der berechneten Quantentheoretischen Amplitude Q bestimmt wird, ergibt sich bei Anregung durch den elektrischen Feldvektor senkrecht zur Einstrahlungsrichtung Sj± = 16 ?z*(v0 - Vj)4 a 1 — exp { —he Vj/k T} ffiQi( i 45 Yi + ) , bei Anregung parallel zur Einstrahlungsrichtung 16 .i 4 (v 0 — Vj)* gjQnhy?) 1 — exp { — h c Vj/k T) . Die geforderte Beziehung (Ableitung der mittleren Polarisierbarkeit a nach der Normalkoordinate Qj) (P0: Wellenzahl der Erregerstrahlung; Vj: Wellenzahl der /'-ten Normalschwingung; Entartungsgrad; Qj: Amplitude). Die Ergebnisse der Berechnung sind in Abb. 3 im Vergleich zum gemessenen Spektrum 15 zeichnerisch dargestellt. Die Banden des berechneten Spektrums sind in Dreiecksform mit gleicher Basislänge für alle Frequenzen gezeichnet worden. Die Höhen der Dreiecke entsprechen den berechneten relativen Intensitätswerten. In Abb. 3 b erscheinen die berechneten Bandenhöhen der totalsymmetrischen Schwingungen (in Abb. 3 b mit X bezeichnet) als zu klein im Ver- a) b) (Sazy/dQ)0= (dayz/dQ)0 ist angenähert erfüllt. Zur Intensitätsberechnung wird der mittlere Streukoeffizient S/j in der Raumwinkeleinheit für ein einzelnes nichtorientiertes Molekül bestimmt (1). ÖÖk cmmol -sr ÖQ (ok = Wirkungsquerschnitt). i- (axx + a'yy + a zz ) Mit Verlauf der Komponente py für Feld (| Ez | = 3,35• 10 4 [g 1 /* c m - 1 / 1 s e c - 1 ] ) . A b b . 2. in z-Richtung Verlauf der Komponente pz für Feld (| Ey | = 3 , 3 5 • 1 0 4 [ g ^ c m - 1 / » s e c " 1 ] ) . in Abhängigkeit des induzierten Dipolmomentes von der Normalkoordinate Q der antisymmetrischen schwingung von Cyclopropenon (v = 3066 c m - * ) im äußeren elektrischen Feld. y-Richtung CH-Valenz- 1488 P. Bleckmann • Intensitätswerte Raman-aktiver Molekülschwingungen l l l l , i , . . j, . i . . i LaJ 1 " ' 3'bo' ' ' 20J0Ö ' 1000 11 1 ,,, Abb. 3. u m-1 0 2 3 4 5 6 7 8 (92sa \ z\q-2vzA) . . . J . I . . 1 ,, „ 1 ,1,, L . . . Vergleich: Gemessenes Raman-Spektrum (3 a) Berechnetes Raman-Spektrum (3 b) von Cyclopropenon. gleich zu den entsprechenden Banden des gemessenen Spektrums (Abb. 3 a). Diese Abweichung ist zurückzuführen auf Unzulänglichkeiten der beschriebenen Berechnungsmethode: Bei ebenen Molekülen werden für Schwingungen, deren Auslenkungen nur in der Molekülebene liegen, Polarisierbarkeiten senkrecht zur Ebene mit Null berechnet. Damit 1 gehen auch die Ableitungen da zz /6Q der Polarisierbarkeit a zz (totalsymmetrische Rasse) nach der Normalkoordinate Q mit Null in die Gleichungen für die Raman-Intensitäten ein. Dieser Nachteil folgt aus der Definition der s.p-Hybridisierungsterme 6 . Für die Hybridisierung senkrecht zur Molekülebene (z-Richtung) werden die Werte der Integrale J. Brandmüller u. E. H. Moser, Einführung in die Ramanspektroskopie, Darmstadt 1962. H. A. Zzymanski, Raman Spectroscopy, Plenum Press, New York 1970. M. V. Vol'kenshtein, Dokl. Acad. Nauk. SSSR 30, 784 [1941], M. V. Vol'kenshtein u. M. A. El'Yashevich, J. Phys. 7, 101 [1944]. G. A. Segal u. M. Klein, J. Chem. Phys. 47, 4236 [1967]. J. A. Pople u. G. A. Segal, J. Chem. 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