Regulierung mit Augenmaß

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Ausgabe 5/12
essay I » Bankenregulierung Die kumulativen Lasten aus den Reformvorhaben im Bankensektor
könnten zu einer Kreditverknappung führen, warnt Gastautor Wolf Schumacher. Die Reform der
Finanzmärkte muss die Risiken des Finanzsystems wirksam eindämmen, darf aber die Leistungsfähigkeit
des Bankensektors und dessen volkswirtschaftliche Rolle nicht gefährden, fordert er
Regulierung mit Augenmaß
I
Wolf
Schumacher
Vorstandschef
der Aareal Bank
Der promovierte Jurist
steht seit 2005 an der
Spitze der Aareal Bank.
Die Aareal Bank Gruppe
mit Hauptsitz in Wiesba­
den ist einer der führen­
den internationalen Im­
mobilienspezialisten und
im MDAX gelistet. Ihr Ge­
schäftsmodell fußt auf
zwei Säulen: gewerbliche
Immobilienfinanzierun­
gen in Europa, Nordame­
rika und Asien sowie Be­
ratung und Dienstleistun­
gen für die institutionelle
Wohnungswirtschaft in
Deutschland als Kern­
markt und in mehreren
europäischen Ländern.
n der breiten Öffentlichkeit gelten Ban­
ken gemeinhin als Hauptschuldige an
der weltweiten Finanzkrise. So un­
reflektiert und in ihrer Zuspitzung un­
zutreffend dies auch sein mag, Politik
und Regulierer haben eine wahre Flut an
deutlich strengeren Regeln für die Banken­
branche auf den Weg gebracht. In ihrer ku­
mulativen Wirkung drohen die verschiede­
nen regulatorischen Maßnahmen die für die
volkswirtschaftliche Entwicklung zentralen
Funktionen der Banken zu untergraben.
Banken bauen Brücken zwischen jenen, die
Geld sparen und jenen, die sich Geld leihen.
Dadurch bringen sie unterschiedliche Volu­
mina, Laufzeitinteressen, Kapitalverfügbar­
keiten und Sicherungsbedürfnisse von
Schuldnern und Gläubigern in Einklang. Dies
klingt einfach, ist aber ein komplexer Prozess
und eine elementare Voraussetzung für wirt­
schaftliches Wachstum.
Mag der Nutzen des Bankgeschäfts im
­engeren Sinne — also des klassischen Einla­
gen- und Kreditgeschäfts — noch weithin
­anerkannt werden, so sind das Investment­
banking und das Derivategeschäft spätestens
seit der Finanzkrise in Verruf geraten. Zu Un­
recht. Über Derivate bieten Banken der Real­
wirtschaft Lösungen an, um insbesondere
Währungs- und Zinsausschläge sowie Preis­
schwankungen bei Rohstoffen abzufedern.
Gleichzeitig nutzen Banken Derivate, um
­eigene Risiken zum Beispiel im Zinsbereich
(Zins-Swaps), im Währungsbereich (Cross Cur­
rency Swaps) und im Kreditbereich (Credit
Default Swaps) abzusichern. Sie erfüllen also
eine unerlässliche Funktion für das Risiko­
management von Unternehmen und Banken.
Nicht zuletzt finanzieren Banken unter­
nehmerische Ideen und unterstützen die
Wirtschaft bei der Umsetzung strategischer
Vorhaben. So sind Fusionen und Übernah­
men ein wesentlicher Katalysator für die
­Weiterentwicklung von Unternehmen. Eigen­
kapitaltransaktionen über die Börse schaffen
die Voraussetzung für Wachstum und damit
auch für die Erhaltung und die Entstehung
von Arbeitsplätzen.
Fünf Faktoren
belasten die Banken
Eine weitere Rolle der Banken ist im Zuge der
Staatsschuldenkrise verstärkt in den Blick­
punkt gerückt: Mit dem Kauf von Staatsanlei­
hen leisten Banken einen wichtigen Beitrag
zur Finanzierung von Staatshaushalten. Re­
gierungen benötigen auch in Zukunft private
Geldgeber für ihre — überwiegend hoch defi­
zitären — Haushalte, denn staatliche Institu­
tionen wie der EFSF oder Förderbanken wer­
den den Finanzierungsbedarf nicht allein
stemmen können.
Bedauerlicherweise ist oftmals das Be­
wusstsein für diese nützlichen Funktionen
des Finanzsystems im Zuge der Krise verlo­
ren gegangen. Dieser Eindruck jedenfalls
drängt sich auf, wenn man die verschiedenen
Initiativen zur Bankenregulierung genauer
untersucht. Vereinfacht gesagt, ergeben sich
für die Banken aus den laufenden Regulie­
rungsinitiativen fünf Belastungsfaktoren: ein
höherer Kapitalbedarf, ein höherer Aufwand
für die Refinanzierung, Wettbewerbsverzer­
rungen zwischen verschiedenen Finanzplät­
zen, höhere Verwaltungskosten und — quasi
als Resultat all dessen — die Beschränkung
­zukünftiger Ertragsmöglichkeiten.
Der höhere Kapitalbedarf wird insbeson­
dere durch die Anforderungen von Basel III
ausgelöst. Banken sind künftig nicht nur
­verpflichtet, relativ zu ihren Risikoaktiva ihr
Eigenkapital aufzustocken, sondern sie müs­
sen auch die Qualität dieses Eigenkapitals
­erhöhen. Es wird damit deutlich teurer.
Darüber hinaus führen die Liquiditäts­
regeln zu einem höheren Aufwand in der
­Refinanzierung. Insbesondere unbesicherte
Bankanleihen, aber auch Pfandbriefe werden
im Rahmen der neuen Qualitätsanforderun­
gen für Liquidität gegenüber Staatsanleihen
stark benachteiligt. Und: Während Basel III
Anfang 2013 in der EU in Kraft treten soll, ist
völlig offen, wann das Regelwerk etwa in den
USA eingeführt wird. Dadurch drohen euro­
päischen Banken erhebliche Wettbewerbs­
nachteile.
Auch in der anstehenden Neufassung des
Versicherungsaufsichtsrechts (Solvency II)
werden Staatsanleihen gegenüber den Emis­
sionen von Banken klar bevorzugt. Für Ver­
sicherer, die bis dato wesentlich zur Refinan­
zierung des Bankensektors beitragen, lohnt
es sich künftig weniger, in langfristige Bank­
anleihen zu investieren. Sie drohen als Inves­
toren ganz oder teilweise wegzufallen.
Darüber hinaus gewinnt die Immobilien­
finanzierung innerhalb von Solvency II für
Versicherungsunternehmen an Attraktivität.
Der zusätzliche Wettbewerb wird zu mehr
­Liquidität führen und sich daher grundsätz­
lich positiv auf das Kreditangebot auswirken.
Versicherer unterliegen allerdings nicht den
gleichen strengen Regeln im Kreditvergabe­
prozess wie Banken. Unterschiedliche Vor­
schriften für die Akteure auf ein und dem­
selben Markt aber bedeuten Wettbewerbsver­
zerrungen, die vermieden werden müssen.
Neue Lasten
Die Initiativen zur Banken­
regulierung verändern die
Grundlagen des Bankge­
schäfts nachhaltig. Sie wirken
sich auf nahezu alle Bereiche
einer Bank aus. Dies hat weit­
reichende Folgen für die
­Finanzinstitute als Ganzes, für
ihre Strategien und Geschäfts­
modelle, ihre Organisations­
strukturen und Prozesse sowie
für ihre Methoden und Sys­
teme – und letztlich auch für
die volkswirtschaftliche Rolle.
Ein weiterer Aspekt sind die massiv gestie­
genen Verwaltungskosten und ein höherer
Ressourceneinsatz, die aufgrund der gestie­
genen Anforderungen unter anderem im auf­
sichtsrechtlichen Meldewesen verursacht
werden. Es ist unbestritten, dass die Politik
mit der nachhaltigen Stabilisierung des Fi­
nanzsystems ein richtiges Ziel ausgegeben
hat. Die Erfahrungen aus der Finanzmarkt­
krise haben deutlich gezeigt, dass ein Mangel
an Transparenz und langfristiger Orientie­
rung ebenso wie ein zu geringer Haftungs­
beitrag von Finanzinstituten mit risiko­
reichem Geschäft ein nicht zu unterschätzen­
des Risiko darstellen.
Unabsehbare Folgen für
Europas Volkswirtschaften
Umgekehrt kann eine wirksamere Regulie­
rung, die einen besonneneren Umgang mit
Risiken fördert, zur Krisenfestigkeit der Märkte beitragen. Voraussetzung hierfür ist aller­
dings eine Regulierung mit Augenmaß. Da­
von kann derzeit keine Rede sein. Die Unsi­
cherheit bei allen Marktteilnehmern ist sehr
groß, weil die kumulierten Auswirkungen der
neuen Regeln auf das Finanzsystem noch
nicht absehbar sind. Klar ist nur, dass die
­Reformvorhaben die künftigen Ertragsmög­
lichkeiten der Banken deutlich beschneiden
werden. Auch die Spielräume bei der Kredit­
vergabe dürften merklich kleiner werden. Die
Sorge jedenfalls, dass die Reformen zu einer
Verteuerung und Verknappung des Kreditan­
gebots führen könnten, ist berechtigt.
Bisher existiert keine umfassende ökono­
mische Folgeabschätzung der Regulierungs­
vorhaben und ihrer Interdependenzen. Diese
ist aber nötig, um den Gesamteffekt aller an­
gedachten Maßnahmen auf den Finanzsektor
und die Realwirtschaft zu quantifizieren.
Würde der Bankensektor, der gerade in Eu­
ropa die mit Abstand wichtigste Rolle bei der
Finanzierung von Unternehmen spielt, durch
eine überzogene Regulierung nachhaltig
­geschwächt, hätte dies unabsehbare Folgen
für die Volkswirtschaften des Kontinents. Das
muss verhindert werden. Noch ist es dafür
nicht zu spät.
Kumulative Lasten für die Banken durch mehr Regulierung
Höherer Eigenkapitalbedarf
Höhere
Refinanzierungskosten
Wettbewerbsverzerrungen
BANK
Belastung
künftiger Ertragsquellen
Höhere
Verwaltungskosten
Quelle: Aareal Bank
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