Alfried Wieczorek Bernd Schneidmüller Stefan Weinfurter (Hrsg.) Die Staufer und Italien Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa Band 1 Essays \ <ll Qb 395 Martin Kintzinger Macht des Wissens: Die Universitäten Bologna und Neapel 1. Wissen, Innovation, Region, Macht W issen" ist heute zu einem erstrangigen Schlagwort in der öffentlichen Diskussion geworden. Es wird in Zu" ammenhang von schulischer wie universitärer Bildung und von funktionaler Ausbildung wie beruflicher Qualifikation zitiert. Nicht selten wird es mit dem programmatischen Anspruch zusammengedacht, dass optimiertes Wissen für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft notwendig sei. Wissen ist damit stets in einen zugeschriebenen Bedeutungsdualismus hineingestellt: zwischen allgemeinen Wissenshorizonten, Tradition und Erfahrung einerseits, aktuellem Spezialwissen und notwendig praktisch nutzbarer Kenntnis andererseits. Diese Feststellungen gelten wie für die gegenwärtige so auch für die mittelalterliche Realität Europas. Indessen sind unsere Begriffe nur der heutigen, nicht auch einer vormodernen Realität entnommen. Es gibt unterschiedliche Wortprägungen aus der Zeit, die das Gemeinte beschreiben, indem sie es zugleich bewerten. Man unterschied im Mittelalter zwischen erstrebenswertem, gottgewolltem oder nützlichem Wissen und solchem, das als schädlich und unnütz galt. Ähnlich unterschied man zwischen einer Erneuerung, die als Reform frühere Idealvorstellungen wieder beleben wollte und einer solchen, die als Modernismus die Grundlagen der Tradition willkürlich verließ. Ein Gelehrter (eruditus) war derjenige, der die gelehrte Tradition des Wissens beherrschte und daraus Nutzen für die Gegenwart ziehen konnte. Weil er sich damit nach der Überzeugung seiner Zeit durch gelehrtes Wissen der Weisheit Gottes anzunähern vermochte (auch wenn er sie nie erreichen konnte), so galt er selbst als Weiser (sapiens). Gerade für das Wissen und die Wissenden war ein weites Wortfeld ausgeprägt worden. Als Wissen kann (und soll im Folgenden) jede durch lernenden Erwerb und erfahrungsbedingte Einübung verdichtete Kenntnis verstanden werden, die den Wissenden zu besonderer Kompetenz in der Gesellschaft seiner Zeit qualifiziert. In der deutschen Gegenwartssprache ist der Begriff des Wissenden allerdings kaum eingeführt, anders als etwa im Französischen, das die Gens de savoir kennt, über deren mittelalterliche Repräsentanten der Pariser Historiker Jacques Verger 1997 ein instruktives Buch geschrieben hat.' Die wissensmäßige, zugleich funktionale und damit auch soziale Elite innerhalb dieser Personengruppe stellen die Gelehrten (im Französischen die Savants) dar, so insbesondere die graduierten Absolventen von Universitätsstudien. Die Geschichte des Wissens im Mittelalter ist im Laufe einer langen Forschungsentwicklung beschrieben worden, früher als Bildungs-, dann genauer als Wissenschaftsgeschichte oder als Geschichte von wissenschaftlichen Disziplinen, des methodischen Denkens, der Universitäten und der Gelehrten, zuletzt als Geschichte einer Wissensgesellschaft im Mittelalter.? Dagegen steht die Untersuchung von Innovation (ursprünglich ein Ansatz der Ökonomie) mit den Methoden der historischen Kulturwissenschaften noch am Anfang und ist insbesondere in der Mittelalterforschung bislang kaum thematisiert worden. Eine aktuelle einschlägige Studie behandelt die Innovationen und Innovationsregionen in der mittelalterlichen Universitätsgeschichte und ist von dem Berner Historiker Rainer C. Schwinges 2001 vorgelegt worden.> In der Adaptation auf die Erkenntnishorizonte der Mittelalterforschung ist im interdisziplinären Diskurs neuerdings die frühere Annahme eines solitären Innovators zugunsten des Innovationspotenrials wissensbasierter Akteure relativiert worden. Vergers Gens de savoir und die Gesamtheit der Universitätsangehörigen jener Zeit könnten hier genannt sein. Entscheidend für die Zuordnung von Exempla wird indes die in der Ökonomie entwickelte Definition sein, wonach eine Innovation dann vorliegt, wenn aus einer Erfindung (Invention) eine dauerhaft wirksame Veränderung folgt. In den historischen Kulturwissenschaften ist während der letzten Jahre die Raumperspektive ein zunehmend wichtiger Parameter geworden. Nicht zufällig behandelt einer der beiden jüngsten Aufsatzbände zum Thema der Innovation die "Innovationsräume". Dabei werden Räume als reale, raumzeitlich fassbare, aber auch als konstruierte Räume verstanden und es wird nach dem Konstruktcharakter historisch überlieferter Raumordnungen und Raumvorstellungen gefragt. Ein Entwicklungsraum (oder als kulturelle Einheit gefasst eine Entwicklungsregion) ist zweifellos beeinflusst, vielleicht auch geprägt von Zentren politischer Herrschaft, nicht aber mit diesen identisch. Im europäischen Mittelalter lassen sich derartige Entwicklungsregionen beispielsweise anhand von Verdichtungen des Handelsverkehrs oder kultureller Transferprozesse fassen. Beides war vor allem in Regionen mit be- 396 VI. Verwandlungen des Stauferreichs sonderer Präsenz von Städten der Fall. Entwicklungsregionen des Mittelalters sind zumeist Regionen bzw. Räume von Urbanität, womit die erfolgreiche Entwicklung von Städten als Rechtskörperschafien, als Handelsplatz und Wirtschaftsstandort, als Ort (alternativer) sozialer Ordnungen und als Zentrum der Verdichtung und des Transfers von Kulturtätigkeit und Kulturbeziehungen bezeichnet ist." Seit Beginn der europäischen Universitären im frühen 12.Jahrhundert und bis zur heutigen Gegenwart sind Universitäten stets in urbanen Räumen entstanden und entwickelt worden. Die Universitäten waren immer in einer Stadt lokalisiert, ohne doch dieser Stadt zugehörig zu sein. Sie waren niemals städtische Institutionen, sondern von Beginn an eigene Rechtskörperschaften innerhalb der Rechtsordnung einer Stadt. Krisen und Spannungen waren darin angelegt und führten vielfach zu Konflikten. Die drei Regionen sraufischen Wirkens, die in der Ausstellung präsentiert werden sollen - der Rhein-Main-Neckar-Raum, Oberitalien und Sizilien sind ihrerseits durch urbane Räume geprägt, und innerhalb derer finden sich drei Universitäten von herausragender Bedeutung Heidelberg, Bologna und Neapel-, von denen die beiden letzten Gründungen der Stauferzeit sind. Zugleich sollen die drei erwähnten Regionen als Räume der (staufischen Macht- und) Herrschaftsverdichtung verstanden werden. Damit ist zuletzt der Zusammenhang von Macht und Wissen zu überdenken. Wie Macht und Wissen eigenwillige und spannungsreiche Verbindungen eingehen können, ist bis heute bekannt. Dass Macht aufWissen angewiesen ist, dürfte nicht umstritten sein. Inwieweit Macht sich aber Wissen zu Diensten machen und, vor allem, ob Wissen sich der Macht zu diesem Zweck anbieten dürfe, wird hingegen eher kontrovers beurteilt. Vorrangig ist nach den wissensbasierten Akteuren zu fragen, denjenigen also, die Macht einerseits und Wissen andererseits tragen und formen und jene, derer sie sich dabei bedienen. Königliche wie fürstliche oder bischöfliche Herren und städtische Räte kommen damit ebenso in den Horizont wie das Milieu der Wissenden und diese keineswegs nur als Ausführende oder auf obrigkeitliche Politik Reagierende, sondern als im eigenen Interesse selbstorganisiert und aktiv Handelnde. Die Entstehung und Entwicklung von Universitäten innerhalb der urbanen Zentren von Innovationsregionen stellt sich als komplexer Prozess der Kommunikation und des Konflikts zwischen unterschiedlichen Interessen und ihren Vertretern dar. 2. Universitätsgeschichte zwischen Region und Urbanität Nicht vor 1348 konnte die erste Universität im Reich nördlich der Alpen eingerichtet werden. Der seit zweijahren amtierende deutsche König Karl IV. (1316-1378) gründete sie in Prag. Allerdings nahm er die Gründung nicht als deutscher König vor (oder etwa im Vorausgriff auf seine spätere Kaiserkrönung). Vielmehr legte er Wert darauf. als böhmischer Landesherr die Universität in seiner Residenzstadt zu stiften, damit seine dortigen Untertanen nicht länger zu Studienzwecken nach Italien reisen müssten. Gleich- zeitig konnte er so der Neigung böhmischer Studienabsolventen entgegenwirken, am Ort ihrer Studien in der Ferne zu bleiben und nicht zurückzukehren. Wenn sie hingegen in Prag studiert hatten, konnte sie der König anschließend unmittelbar in seinen Dienst nehmen. Vor allem Juristen waren gefragt und insbesondere solche, die das römische Recht studiert hatten, die Legisten. Folgerichtig war die Universität Prag zunächst als Juristenstudium eingerichtet worden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurden die europäischen Universitäten des weiteren 14. und des 15.Jahrhunderts ebenfalls von Fürsten gegründet, stets erklärtermaßen mit denselben Absichten, wie sie in Prag 1348 benannt worden waren. Dies galt auch für die Universität Wien 1365, eine Gründung des Herzogs von Österreich. In der heutigen Chronologie der Universitätsgründungen gilt Prag als die erste Universität auf dem Boden des Heiligen Römischen Reichs, Wien als die erste innerhalb des deutschen Reichs. Unmittelbar angeregt durch seinen Kontakt zu Kaiser Kar! IV. gründete als nächstes der Herzog von der Pfalz die Universität Heidelberg 1386.5 Gegenüber den west- und südeuropäischen Ländern zeigte das Reich in der Geschichte seiner Universitätsgründungen allerdings unübersehbar einen auffälligen Entwicklungsrückstand. Hier mag man tatsächlich von einem Süd-Nord-Gefälle sprechen.f Diese Feststellung gilt für die Situation im Spätmittelalter wie auch für diejenige zwischen dem 11. und 13.Jahrhundert. Für die Regierungszeit Kaiser Friedrichs 11.(1194 - 1250) in Sizilien ist das Süd-Nord-Entwicklungsgefälle jetzt, 2010, von Gundula Grebner am Beispiel der unterschiedlichen Formate hofgebundener Wissenskultur aufgezeigt worden? Näherhin wird dabei nach dem Transfer mathematischen Wissens aus den Kulturen des Orients und anderen Wissensbeständen gefragt, die am Hof Friedrichs geschätzt und gefördert wurden, aber nicht unmittelbar mit universitärer Vermittlung verbunden waren. Dennoch seien derartige Inhalte von "intellektuelle[n] Praktiken" durchdrungen worden, die "dem universitären Umgang mit Wissen" entlehnt gewesen seien." Jedenfalls am Hof des Königs von Sizilien in der Zeit Friedrichs 11. ist das zeitgenössische wissenschafillche und universitäre Wissen in Inhalten und Methoden rezipiert worden." In seiner Zeit reichte an Friedrich lediglich König Alfons X., der Weise, von Kastilien und Leon (1221-1284) heran, der bei der Doppelwahl von 1257 kurzzeitig die deutsche Krone beanspruchen konnte. Alfons forderte die kastilische Literatur, die Geschichtsschreibung und die Kodifizierung des Rechts, wirkte selbst als Autor literarischer und wissenschaftlicher Texte, förderte eine bedeutende Übersetzerschule in Toledo und erhob die bestehende Schule von Salamanca 1254 in den Rang einer Universitär.l? Wissenschaften zu fördern hieß seit Jahrhunderten, Orte ihrer Pflege und Vermittlung zu gründen und auszustatten. Am Anfang aber stand ein völlig anderes Geschehen. Bereits seit dem frühen 12.Jahrhundert begannen aus teils weit älteren Schulen (für verschiedene Disziplinen und gelehrte oder auch praktische Wissensbestände) sogenannte Hohe Schulen hervorzugehen, die sukzessive dem institutionellen Zugriff der Kirche entwuchsen und nach einer Phase der Verselbständigung in frühe Formen von Universitäten übergingen. Solche Vorgänge fanden vielerorts statt, als geradezu autonome Formen der Selbstorganisation, die durchaus gegen die Macht des Wissens: Die Universitäten Bologna und Neapel Martin Kintzinger Universitätsgründungen vor 1300 Anerkennung als Universität • Cambridge Oxford. • eindeutig o zweifelhaft .Paris Angers. Toulouse. .Orleans .Arezzo • Montpelller .$ie~ OPalencia • Valladolid .Salamanca Rom. (studium curae) Neapel • OSaIerno • Lissabon OStwHla o etablierten Ordnungen und Institutionen, jedenfalls ohne deren Billigung abliefen. Fürstliche Förderer konnten einen solchen Prozess der Verselbständigung neuer Formen von Wissenschaft und Wissensvermittlung gleichzeitig oder später durch Privilegierungen wirksam (oft sogar notwendig) unterstützen und sich zugleich den eigenen Nutzen durch Zugriff auf oder Anwerbung von Wissenden sichern, die in solchen Schulen und Universitäten ausgebildet worden waren. Dass ein Fürst einen On der Wissenschaft von sich aus stiftet und gründet, aus moderner Sicht vielleicht die naheliegendere Variante, war während der mittelalterlichen Anfänge der Universitätsgeschichte aber erst der zweite Schritt. Oberitalien und Sizilien als Entwicklungsräume der frühen Universitätsgeschichte bieten für beide Formen der Förderung geradezu paradigmatische Beispielfälle: Bologna und Neapel. Sie zeigen, dass in den staufischen Innovationsregionen des Südens sowohl aus der Selbstorganisation von innen als auch durch steuernden Eingriff von außen richtungweisende Impulse gegeben wurden. Die Innovation lag in beiden Fällen in der Entstehung und Etablierung einer Universität als On der Wissenschaft mit hohem gesellschaftlichem Nutzungspotential. Höfe und Orte der Wissenschaft gingen im Rahmen der geschilderten Prozesse eine durch Interessenkonvergenz geprägte, ungewohnte Verbindung ein und gaben damit innovativen Regionen Kontur. Zugleich ließen sich in dieser Zeit die wissen- 300km schaftliche Arbeit von Gelehrten und ihre Wissensvermittlung an Schüler und Studenten noch kaum voneinander trennen: Schulen und frühe Universitäten waren nur ansatzweise institutionalisiert. Entscheidend für ihr Funktionieren waren die Personalitat des Verfahrens von Wissenschaft und Unterricht und die personellen Netzwerke zwischen Lehrern und Schülern. Aus der Sicht der Schüler und der Höfe, die gelehrte Absolventen suchten, war der Ort der Wissenschaft und Lehre weniger als Institution interessant und auch nicht über die Stadt, in der er sich befand, sondern über Ansehen und Leistung jener Lehrer, um deretwillen die Schüler genau diesen Ort aufgesucht hatten. Auch Lehrerpersönlichkeiten konnten so den Ruf einer Innovationsregion begründen und stärken. Eine Karte der wissenschaftlichen Innovationsregionen des l3.Jahrhundens müsste neben Sizilien und Oberitalien auch den Zentralraum der iberischen Halbinsel, die Mitte und den Süden Frankreichs sowie den Süden Englands umfassen. Sie wäre weitgehend deckungsgleich mit der Karte der Universitäten um 1300 (Abb.L). Dass sämtliche Universitäten in Städten angesiedelt waren, bestätigt sich in der Chronologie ihrer Entstehungen einmal mehr: Paris, Bologna und Oxford, die frühesten europäischen Universitäten im 12.Jahrhundert wie auch jene 16 Universitaren, die zwischen Vicenza 1204 und Montpellier 1289 im 13.Jahrhundert gegründet wurden, sowie die 26 Gründungen des 14. und die 32 des 397 398 VI. Verwandlungen des Stauferreichs Handschrift, der man diese aufwendig gestaltete Miniatur einfügte, ein Statutenbuch der Universität Bologna, das unter anderem die Satzungen der Universität und ihre erhaltenen Rechtsverleihungen dokumentiert. Die bildliehe Darstellung illustriert eine Gründungslegende, die mithilfe eines gefälschten Privilegs, angeblich aus spätantiker Zeit, in der Mitte des 13.Jahrhunderts entworfen worden war und seither nacherzählt wurde.l! Tatsächlich nachweisbar sind die ersten Spuren einer organisierten Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in Bologna erst 1155. Als Friedrich I. auf dem Weg zu seiner Kaiserkrönung in Rom Bologna erreichte, traten die dortigen seolares (was sowohl Schüler als auch Gelehrte und insofern Lehrer heißen kann) an ihn heran und legten ihm eine in Gedichtform gefasste Bittschrift vor. Sie bezeichneten sich selbst als jene, die ein Studium durchführen wollten (studium exercere uolentes, was allgemein das Bemühen um - in diesem Fall- die Wissenschaft meinte), zu diesem Zweck nach Bologna ziehen und sich dort aufhalten müssten. Von dem künftigen Kaiser erbaten sie nun eine Schutzzusage, damit sie aufihren Wegen nach und von Bologna und in der Stadt selbst (stantes nee euntes nee redeuntes) gegen die Übergriffe Dritter geschützt seien.16 15.Jahrhunderts waren allesamt in einer Stadt angesiedelt.'! Dass Urbanität ein zentrales Element bei der Universitätsentstehung war - vor allem weil die Städte Rechtssicherheit und alltagspraktische Infrastruktur boten - ist seit langem bekannt. Im Umkehrschluss hat man die erstaunliche und schnell wachsende Prosperität der mitteleuropäischen Städte und die urbane Kultur seit der Zeit um 1000 auch mit der Erfolgsgeschichte der zur selben Zeit entstehenden Universität erklärt. 3. Bologna und Neapel und die zwei Wege der Universitätsentstehung Die Anfänge der Universität Bologna stehen für das erste der hier skizzierten Entwicklungsmodelle, die Selbstorganisation - und liegen deshalb im Dunkeln. Was genau wann geschah, als Angehörige von vorhandenen Schulen sich zu einer größeren, mehr oder weniger geschlossenen Einheit fügten, hat keinen Niederschlag in schriftlichen Aufzeichnungen gefunden und ist daher nicht mehr nachvollziehbar. Paris und Bologna führen sich gleichermaßen auf Anfänge im späten I1.Jahrhundert zurück und können zahlreiche spätere Privilegierungen, nicht aber eine Gründungsurkunde vorwcisen.P Nur aus moderner Sicht ist in diesem Befund ein Problem zu sehen, weil man gern Gewissheit hat und Ereignisse genau datieren möchte. Mittelalterliches Denken war etwas anders organisiert: Als vornehmste Legitimation bestehender Zustände galt die Tatsache, dass es sie schon lange gab und sie aus der Tradition hergeleitet waren. Je länger eine Einrichtung bestand, desto mehr Ansehen konnte sie beanspruchen, und für diese Argumentation mochte es sogar günstig sein, wenn die eigenen Anfänge im Dunkeln lagen. Dann datierte man sie in längst vergangene, "unvordenkliche" Zeiten zurück. Der Phantasie waren hier kaum Grenzen gesetzt, so dass zahlreiche spätere Institutionen sich mit betonter Selbstverständlichkeit etwa als Gründung Karls des Großen ausgaben. Auch Orte der Wissenschaft erhoben diesen Anspruch. Andere führten sich auf spätantike Kaiser zurück, so den für seine Förderung der Rechte gerühmten Kaiser Justinian aus dem 6.Jahrhundert oder sogar die legendarische Figur des Königs Arrus, der angeblich in der derselben Zeit gelebt haben soll.13 Auch in Bologna verfuhr man so. In einer undatierten Handschriftenillumination vermutlich aus dem späten IS.Jahrhundert ist dargestellt, wie ein Kaiser und ein Papst - wahrscheinlich Theodosius 11.(401-450), auch er ein wirksamer Initiator von Rechtssammlungen und Förderer einer bedeutenden, später vielfach als frühe Universität bezeichneten gelehrten Schule in Konstantinopel sowie ein zeitgenössischer (?) Papst - Privilegien an die Universität Bologna verleihen. Die Urkunde des Kaisers nimmt der heilige Petronius, in der Zeit des Theodosius Bischof von Bologna und später zum Patron der Stadt erhoben, in Empfang. Wie üblich in der Kunst der Zeit, sind die Personen in Kleidung und Habitus als Menschen des späten Mittelalters gezeigt (Abb. 2). Auf der unteren Bildhälfte findet sich die entwickelte Universität selbst, repräsentiert durch das Kollegium der Doktoren {den Professorentitel führte man erst später ein).14 Folgerichtig war die Als Friedrich dreijahre später, nach erfolgreicher Kaiserkrönung, wieder in Bologna war, ließ er eine Urkunde ausfertigen, die dem damaligen Verlangen der Gelehrten entsprach. Er maß ihr so weitgehende Bedeutung zu, dass er sie in die Sammlung der kaiserlichen Rechtsverordnungen aufnehmen ließ. Nach ihrem ersten Wort wird sie als Auchentica "Habita" bezeichnet. Darin erklärt der Kaiser, dass er die zu Studienzwecken wandernden Scholaren (causa studiorum peregrinantur seolar{esj), die wegen ihrer Liebe zur Wissenschaft vor Ort Fremde geworden seien (amore scientle facti exules), unter seinen Schutz stelle: Sie sollten fortan vor jeder Art der Nachstellung sicher sein und durften sich im Konfliktfall einem ihrer Lehrer (magister) als Richter unrersrellen.l? Aus späteren Berichten wissen wir, dass Lehrende und Lernende aufihrer Wanderschaft und in der Stadt seither vielfach genauso wenig gesichert waren wie zuvor. Eine solche kaiserliche Rechtsverleihung zu erhalten, war eine Sache, ihre Geltung durchzusetzen, eine andere. Universitätsgeschichtlich bedeutsam ist aber, dass die bestehende Gemeinschaft der seolares, ohne dass irgend Näheres über sie zu erfahren ist, als Gemeinschaft angesprochen war, der eine Schutzzusage und Rechtskompetenzen verliehen wurden. Sie wurde damit zur Rechtskörperschaft erklärt. Als solche war sie mit ihren Angehörigen dem üblichen Instanzenzug der Rechtsprechung entzogen, nicht mehr zwangsläufig der Jurisdiktionsgewalt des Ortsbischofs oder seiner Funktionsträger unterstellt, sondern berechtigt, sich bei Bedarf einen eigenen Richter aus den Reihen der Lehrenden zu wählen. Auch der Kaiser vollzog damit einen innovativen Akt. Was aber Bologna als Ort einer Innovationsregion erkennen lässt, war die Vorgeschichte: Die Existenz einer offenbar nicht wenige Personen aus verschiedenen Regionen Italiens und Europas umfassenden Gruppe von Rechtskundigen, die sich in der Sammlung, Auslegung und lehrenden Vermittlung des gelehrten Rechts etabliert 2 Fiktive Szene der Übergabe von Gründungsprivilegien für die Universität Bologna durch Kaiser Theodosius 11. und einen Papst in einem Statuten- und Matrikelbuch des Collegio dei dottori, giudici e awocati von 1467, Bologna, Archivio di Stato, Cod. min.40, fol. 1r Macht des Wissens: Die Universitäten Bologna und Neapel Martin Kintzinger 399 400 VI. Verwandlungen des Stauferreichs hatten. Sie waren sehr wahrscheinlich deshalb von weither nach Bologna gekommen (weshalb sie Schutz auf den Wegen benötigen), weil sie von dem Ruf der dortigen Rechtsschulen gehört hatten, dort lernen und vielleicht vor Ort bleiben oder das Gelernte wieder mit in ihre Herkunftsregionen nehmen wollten. Die Rede davon, dass die Untertanen nordalpiner Reiche zum Studium nach Italien zögen, wie sie in späteren Generationen üblich und zur Begründung eigener Universitätsgründungen herangezogen wurde, kam also nicht von ungefähr, Bologna blieb das Zentrum, doch schon bald kamen weitere Universitäten in Oberitalien hinzu, die unter jeweils eigenen Umständen, aber auf der Grundlage eines Gründungsaktes entstanden, so etwa Arezzo 1215 und Padua 1222 oder Siena 1245.18 Ganz ähnlich verlief die Entwicklung in Paris und vermutlich ungefähr gleichzeitig. Innovation bedeutet zumeist nicht, etwas völlig Neues zu installieren, sondern eine neue, nützliche und zukunftsweisende Entwicklung in der eigenen Zeit aufzunehmen, sich anzueignen, sie strukturell zu integrieren und selbst weiterzuentwickeln. Es gibt viele Unterschiede zwischen den Anfangen der Universitäten in Paris und Bologna, insbesondere dass in Paris die vier Fakultäten der Artes, der Theologie, der Medizin und der Rechtswissenschaften gelehrt wurden, in Bologna hingegen nur die Rechte. Was beide gemeinsam hatten, war die Teilhabe an der aktuellen wissenschaftlichen Methode ihrer Zeit, der seit dem beginnenden 12.Jahrhundert aufkommenden {Früh-)Scholastik. Wenn tatsächlich die vorhandenen Schulen älter waren, hier wie dort, dann haben sie diese Methode nicht selbst entworfen, sondern übernommen, weil sie ihrer wissenschaftlichen Arbeit nützlich war oder (modern gesprochen) weil sie deren Innovationspotential erkannten. Zu Beginn des 12.Jahrhunderts setzte in Bologna nachweislich die wissenschaftliche Bearbeitung des überlieferten gelehrten Rechts ein, zunächst des römischen (oder Kaiserrechts, der Legistik), dann seit dem ersten Drittel des Jahrhunderts auch des kirchlichen Rechts (der Kanonistik), mit den Methoden der Scholastik. Im Kern bestand diese Methode darin, Autoritätentexte nicht mehr vorrangig zu rezipieren, sondern sie mit logisch deduzierten, kritischen Fragen zu konfrontieren, um durch das argumentative Abwägen von Für und Wider zu Entscheidungen oder Kompromissen finden zu können.Im Ursprung ein Verfahren der Philosophie, also der Artisten, wurde die scholastische Methode bald auf die Theologie angewandt und sod ann auf die Rechtswissenschaft. Es ging bei solcher methodischen Durchdringung wissenschaftlicher Arbeit keineswegs nur um eine theoretische Herausforderung. Was die Scholastik innerhalb der Rechtswissenschaft so erfolgreich machte, war die forensische Srrategie argumentativer Logik, derer sich die Legisten im Dienst ihrer Auftraggeber bedienten, um deren Interessen berechenbar und nachhaltig durchzusetzen. Allmählich verbreitete sich an den Höfen, in der Kirche und auch in den Städten (in Oberitalien früher als im übrigen Europa) die Einsicht, dass man zur Wahrung der eigenen politischen, administrativen, wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen des Rates und Dienstes gelehrter Legisten und Kanonisten nicht mehr entbehren könne. Ein zuvor in dieser Form unbekannter Arbeitsmarkt entstand, bei dem die Nachfrage nach rechtsgelehrten Spezialisten dem Angebot an Absolventen von den Orten der Rechtsgelehrsamkeit, den Universitäten, gegenüberstand. Der ein- zigartige RufBolognas im hohen und späten Mittelalter gründete auf diesen Umständen und führte zu regem Besuch der Universität durch Studenten aus ganz Europa. In der Frühphase der Universität behielten die entsprechenden Einrichtungen allerdings noch ihre Bezeichnung als Rechtschulen ; der Universitätsbegriff wurde erst später auf sie angewandt. Wie erwähnt, waren die frühen Universitäten wie die früheren und zeitgleichen Schulen noch keine organisierten Institutionen, sondern personal gefügte, nur wenige Personen umfassende Verbände von Lehrern und ihren Schülern. Wenn an einem Ort der Wissenschaft von "Schulen" gesprochen werden kann, dann ist von dem Vorhandensein mehrerer solcher Verbände auszugehen. In ihren Anfangen während des frühen 12.Jahrhunderts wird sich die Universität Bologna in dieser Form dargestellt haben. So sind auch die Namen von bekannten Lehrern zu verstehen, die als bedeutende Kommentatoren des Rechts galten. Ihren Unterricht suchten die Studenten in Bologna, um von ihnen und ihren methodischen Arbeiten zu lernen. Ein Lehrer namens Pepo soll bereits im späten 11.Jahrhundert in Bologna gewirkt haben, von dem man aber wenig mehr weiß, als Lobpreisungen aus späterer Zeit berichten. Insbesondere der zwischen 1116 und 1140 in Bologna lehrende Irnerius fand zu bleibender Berühmtheit. Er war es, der eine logisch-kritische Fragetechnik auf die überlieferten Rechtstexte anwandte, die der Methode der Frühscholastik entsprach. Die seit dem 6.Jahrhundert ständig erweiterte Sammlung des Kaiserrechts wurde mit den Kommentaren (Glossen) des Irnerius der wissenschaftlichen Interpretation erschlossen. In der Bologneser Zeit des Irnerius - ob durch sein Wirken angeregt, lässt sich nicht mehr sagen - entstand schließlich die von Beginn an denselben methodischen Prämissen verpflichtete Sammlung des Kirchenrechts, die der Rechtsgelehrte Gratian (gest. 1160) um 1140 in Bologna initiierte. Er trug aus Rechtsurteilen der Päpste und Konzilien, aus den Schriften der Bibel sowie der Kirchenväter und einer Vielzahl anderer Textgattungen zusammen, was sich bis dahin als rechtsrelevante Überlieferung der Kirche angesammelt hatte, und fügte es in seine bis heute als Decretum Gratiani bezeichnete Zusammenstellung. Wie die Sammlung des Kaiserrechts so wurde auch diejenige des Kirchenrechts fortan beständig (und letztere sogar bis zur Gegenwart) fortgeführt: Die beiden großen lateinischen Rechtssammlungen der mittelalterlichen Welt waren entstanden und sie sind untrennbar mit der scholastischen Methode und mit der Universität Bologna verbunden. Diese Innovation wirkte im besten Sinne universal, weil das Kaiser- oder römische Recht und das Kirchenrecht sowie die wissenschaftlichen Disziplinen ihrer Erforschung - die Leges bzw. die Legistik und die Dekretalen bzw. die Kanonistik - in der gesamten christianisierten Welt (und teilweise darüber hinaus) rezipiert und auf praktisch sämtliche gesellschaftlichen Realitätsbereiche angewandt wurden. Ihre Entstehung verdankte dieser Umstand letztlich dem Entwicklungspotential der selbstorganisierten Rechtsgelehrten von Bologna und ihrer Anwendung der scholastischen Methode auf die Rechtswissenschaft. Die Wirkung jenes gelehrten Rechts aber verdankte sich der Inanspruchnahme durch weltliche wie geistliche, fürstliche wie kommunale Obrigkeiten. Sie förderten die Rezeption des gelehrten Rechts, indem sie universitär gebildete Juristen anstellten, neue Universitäten mit juristischen Macht des Wissens: Die Universitäten Bologna und Neapel Fakultäten gründeten und ihre Herrschaft mithilfe des gelehrten Rechts (neu) organisierten. Dass die Juristen und insbesondere die Gelehrten des römischen Rechts, die Legisten, darüber eine beispiellose Karriere durchliefen und die Rechtswissenschaften bald als "einträgliche Wissenschaften" (scientiae lucrativae) galten, ergab sich geradezu zwangsläufig: "Die Bologneser Rechtswissenschaft verdankt ihre große Ausstrahlung ihrer Brauchbarkeir'"? Parallel zur methodischen Innovation an den Rechtsschulen entstanden in deren unmittelbarem Umfeld besondere Schulen für die Vermittlung der Notariatskunst (Ars notariae) und der Briefstellerei (Ars dictandi). Kanzleiorganisation und administrative Effektivierungvon Herrschaft, im 12. und 13.Jahrhundert ein erstrangiges Thema an den europäischen Höfen wie in den aufkommenden urbanen Zentren, fand in Bologna ebenfalls das benötigte kompetente Personal. Schließlich gelang im l3.Jahrhundert, also noch zur Zeit der Staufer, in Bologna der Durchbruch einer neuen methodischen Lehre der Medizin, die später stark nachgefragt war und große Wirkung hatte. Die Geschichte der Universität Neapel hingegen ist von Beginn an untrennbar mit dem Gestaltungswillen eines Herrschers verbunden, Kaiser Friedrichs 11., bzw. mit dessen Regentschaft im Königreich Sizilien seit 1208. Als historischer Kern hinter den Mythen um Friedrich zeichnet sich eine intellektuell ungewöhnlich offene und interessierte Persönlichkeit ab, die auch wissenschaftliches Schriftgut, Denkansätze und Experimente rezipierte und als Autor und "Forscher" selbst mirgestaltere. Vor allem mathemanschnaturwissenschaftliche Fragestellungen fanden sein Interesse. In Sizilien, besonders am Ort seiner Jugendjahre, in Palermo, konnte er in wiederum singulärer Weise neben der lateinischen auch die griechische christliche Kultur sowie Einflüsse der arabischen Kultur kennenlernen und aufnehmen. An seinem Hof rief er später einen Kreis von christlichen, muslimischen und jüdischen Gelehrten zusammen, deren Dialoge und Werke von bedeutendem wissenschaftlichem Rang waren. Bis heute umstritten ist aber, inwieweit Friedrich nicht nur Initiator und Förderer, sondern auch selbst Teilnehmer an deren Arbeit war.20 In dem von ihm selbst verfassten Buch über die Jagd mit Vögeln bezeichnete sich Friedrich als Forscher (inquisitor) und Liebhaber der Weisheit (sapientie amator).21 Systematisch oder enzyklopädisch waren seine Neugier und sein wissenschaftliches Interesse aber offenkundig nicht. Der Biograph Hubert Houben fasste den weiten Horizont seiner Interessen in die Bezeichnung als "Jäger und Intellektueller".22 Zu den verbindenden Linien zwischen den vielfältigen, persönlichen Interessengebieten Friedrichs gehört die praktische Nutzbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnis. Aus seiner Einsicht in die Bedeutung der Medizin folgte die Regelung deren fachlicher Ausbildung an der Universität Salerno in den frühen zwanziger Jahren des 13.Jahrhunderts und die erste förmliche Approbationsordnung für praktizierende Apotheker und Ärzte 1231 und 1241. Nach der Aussage eines arabischen Chronisten ließ Friedrich in Lucera eine Einrichtung gründen, an der Fragen der Naturwissenschaften erforscht werden sollten.P Auch Friedrichs Hinwendung zum gelehrten Recht erklärt sich aus der Absicht des praktischen Nutzens für seine Herrschaft. In seiner Zeit hatte sich ein Ringen zwischen Vertretern des römischen und des kanonischen Rechts um den Einfluss auf die welt- I Martin Kintzinger liehe Gesetzgebung ergeben.>' Friedrich ließ auch hier einen Kreis von Gelehrten zusammenkommen und von ihnen ein grundlegendes Gesetzeswerk erarbeiten, das die rechtlich-administrative Gestaltung der Herrschaft im Königreich Sizilien auf eine gesicherte Grundlage stellen sollte. Als Konstitutionen von Melfi 1231 veröffentlicht, später vielfach erweitert und verändert, darf das Ergebnis jener im Auftrag des Königs erfolgten gelehrten Arbeit als eine frühe Form von politisch-rechtlicher Verfassungsordnung im Mittelalter gelten. Andernorts kaum in dieser Bedeutung erkannt und (vielleicht wegen der massiven, antistaufischen Propaganda der päpstlichen Kurie) kaum rezipiert, belegen die Konstitutionen eindrucksvoll die Stellung des Königreichs Sizilien unter Friedrich H. als Innovationsregion im damaligen Europa. Ähnliches ließe sich zur Gründung der Universität Neapel bereits 1224 sagen, die allerdings in den anderen Reichen von den Zeitgenossen und Nachlebenden ebenso wenig (und vielleicht aus denselben Gründen wie bei den Konstitutionen von Melfi) als vorbildgebend erkannt, jedenfalls nicht als solches zitiert wurde. Gründungsurkunden für Universitäten des l3. bis 15.Jahrhunderts verwiesen gewöhnlich darauf, dass sie eine Einrichtung nach dem Vorbild der Pariser Universität schaffen wollten. Neapel wurde nicht als Bezugspunkt genannt. Dennoch hätte es sich institutionengeschichtlich genau genommen eher für eine solche Herleitung angeboten, denn Paris war wie Bologna selbstorganisiert entstanden, Neapel hingegen, wie sämtliche fürstlichen Gründungen des späteren Mittelalters, durch einen herrscherlichen Gründungsakt. Die Universität Neapel Friedrichs H., die bis heute seinen Namen trägt, war die erste landesherrliche (zudem ohne kirchliche Beteiligung entstandene) Universitätsgründung überhaupt, denn die erklärte Absicht ihres Gründers bestand darin, gelehrte "Beamte" für den königlichen Dienst und die Effektivierung der herrscherliehen Administration im Königreich Sizilien auszubilden, sie ausschließlich aus den Untertanen des eigenen Reichs zu rekrutieren und ihnen den Besuch anderer Universitaten zu untersagen." Die Universität Neapel wird allerdings bis heute gewöhnlich nicht unter den Orten der Wissenschaft genannt, zu denen Bologna ebenso selbstverständlich gezählt wird, und die Gründung der Universität Neapel durch Friedrich n. wird im Rahmen seiner territorialpolitischen und adrninistrativen Maßnahmen behandelt, nicht im Zusammenhang seiner wissenschaftlichen Interessen.P Der Biograph Wolfgang Stürner hat 2000 die einzige aktuelle deutschsprachige Abhandlung zur Universitätsgründung Friedrichs veröffentlicht. Er betont, dass es sehr wahrscheinlich keine fest eingerichteten Schulen gegeben habe, an die die Universität hätte anschließen können, und dass Friedrich etwa mit programmatischen Überlegungen zu einem Stipendienangebot und zu einer angemessenen Besoldung der Lehrenden ungewöhnliche (moderne) Wege beschritten habe. Überraschenderweise und trotz aktueller politischer Spannungen verwies er offiziell auf das Vorbild Bolognas. Er bezog sich damit auf das Privileg seines Großvaters, Kaiser Friedrichs I., von 1158 für die dortigen Scolares. Die Universität Neapel kann deshalb als "Neubeginn von Grund auf, [... ] ein Produkt allein des herrscherliehen Willens" verstanden werden. Gerade darin und insofern als Vorläufer der späteren territorialfürsdichen Landesuniversitäten wirkte Neapel 401 402 VI. Verwandlungen des Stauferreichs wiederum vorbildgebend für die wenig späteren Gründungen einer päpstlichen Universität in Rom und der Universirärspolirik Alfons' von Kastilien. Anders als Bologna ist aber Neapel sehr wahrscheinlich nicht in den Rang einer eigenständigen Rechtskörperschaft erhoben worden,27 Auch in Neapel waren namhafte Gelehrte des römischen wie des kanonischen Rechts und auch der Aries tätig, die der Universität einen Ruf als angesehener Ort der Wissenschaft sicherten. Insoweit waren die Anforderungen der Wissenschaft und der herrscherliehe Anspruch auf Ausbildung von Verwaltungs- und Rechtsfachleuten vereinbar. Hingegen scheint aber Friedrich ein Studium der Theologie nicht vorgesehen und das Studium der Medizin an I 2 3 4 S 6 7 8 9 10 VERGER 1997. KINTZINGER 2003b; KINTZINGER 2009. S. 290-299; FRIED 2003a; BURKE 2001. SCHWINGES/MESSERU/MÜNGER 2001; GRASSHOFF/SCHWINGES 2008; SCHWINGES 2001. S. 31-44. SCHROER 2006. S.227 -231. SALERNO1991. S. 146 - 153; zu Prag KINTZINGER2003a. S.422f. KEHNEL2010,S.265. GREBNER 2010. S.220-229; vgl. GREBNER/ FRIED 2008. GREBNER 2010. 5.229. Vgl. MENZEL 2003. S. 342 - 359. HERBERS 2006. S.216£. u.ö. 11 12 13 14 IS 16 17 der renommierten Schule in Salerno belassen zu haben. Unweit von Neapel gelegen, trug auch Salerno zur Bedeutung Süditaliens als universitätsgeschichtliche Innovationsregion erheblich bei. Wie Bologna in Oberitalien von anderen prosperierenden Kommunen und späteren Universitätsstandorten umgeben war, so stand auch Neapel als urbanes Zentrum in Süditalien nicht allein. Der dortigen Universität kam der Rang einer eigenwilligen, in ihrer Zeit auffälligen, wenn auch urn so mehr zukunftsweisenden Institution zu. Bei allen erheblichen Unterschieden zwischen beiden Räumen werden sie beide unbestritten in der Geschichte der Wissenschaft und der Universität im 12. bzw. 13.Jahrhundert als Innovationsregionen gelten dürfen. Die Zahlenangaben sollen lediglich die ungefahren Größenverhältnisse verdeutlichen und erheben keinen Anspruch aufVollständigkeit. Übernommen aus: CARDINI/FuMAGALLO BEONIO-BROCCHIERI 1991, S.230f. KINTZINGER 2009. S. 291- 299. Vgl. REXROTH 1998. S.13 - 48. Vgl. die Beiträge des Sammelbandes: SCHÖPFER PFAFFEN/SCHWINGES 2007. WEIMAR 1983. Sp, 37S. Begegnung Kaiser Friedrichs I.mit Professoren und Studenten in Bologna (1155). in: RÜTHING 1973.5.32 - 34. hier 5.33. Die Authentica »Habita" Kaiser Friedrichs I. (November 1158). in: Ebd .• S. 34. 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 MÜLLER 2008. S.423; VERGER 1993, S. 59. WEIMAR 1983. Sp, 375. HOUBEN 2008. S.146 - 150. Ebd .•S. 144. Ebd .•S. 140. Ebd .• S. 148. STÜRNER 1996. S.2f. STÜRNER 2000, S.47 - 57. bes. S.48f.. das folgende Zitat S. 49; RÜEGG 1993a, S. 35; vgl. FRIEDL 200S. HOUBEN 2008. S.42 f. Der thematisch überaus instruktive Katalogband: Ausst.-Kat. Oldenburg 2008 enthält keinen eigenen Artikel zur Universitätsgründung. STÜRNER 2000. S.49 - 51; NARDI 1993, S. 95.