Marktbericht 15.01.2010 / nicht vergessen! Kluge Anleger sehen sich vor - und denken selbst wenig wahrscheinliche Marktszenarien durch. Wir werden das komische Gefühl nicht los, dass die Börsianer schon wieder zum "business as usual" übergegangen sind. "Das Genesen der Märkte fördert das Vergessen", mahnt Prof. Erwin W. Heri, denn je mehr wir vergessen, desto mehr verdampft unsere Lernfähigkeit. Die Staatsschulden werden - aufgeblasen durch die Krise und längerfristig durch die Überalterung der Bevölkerung ein Ausmass erreichen, das seinesgleichen in Friedenszeiten sucht. (Andreas Höfert, Chefökonom UBS) Nicht vergessen: Hausse und Baisse an den Aktienmärkten wechseln sich im 25-Jahres-Rhythmus ab. Zu Beginn der 50er-Jahre setzte der schweizerische Aktienmarkt zu einem unglaublichen Höhenflug an. Eine ausufernde Inflation gekoppelt an eine verheerende Erdölkrise liessen ihn wenige Jahre später tief ins Jammertal abstürzen. 1982 strandeten die Dividendenpapiere auf einem kaum für möglich gehaltenen Tiefpunkt. Dann blühte das Ganze wieder auf und es folgten die wilden 90er-Jahre. Zur Jahrtausendwende überschritten wir den Zenit, die Dotcom-Blase barst, dann ein kurzes, heftiges Aufbäumen und schliesslich das böse Taumeln in die Finanzkrise. Sollte sich dieses Spiel wiederholen, sässen wir nun mehr oder weniger an der Schwelle der frühen 70er-Jahre. Eine rund 10jährige Bodenbildung wurde damals eingeläutet und mit Aktien war wenig zu holen. Kein wirklich berauschender Ausblick, obwohl sich heute manch ein Anleger eher an das Jahr 2003 erinnert fühlt. Ähnlich wie damals spurteten die Aktiennotierungen seit März 2009 fast ungebremst himmelwärts. Und doch stellen wir einen fundamentalen Unterschied fest: Während im Frühjahr 2003 die Kurse und die Unternehmensgewinne gemeinsam anstiegen und damit die luftigen Aktienbewertungen rechtfertigten, stagnieren die Gewinne derzeit oder krebsen sogar zurück. Das kann auf Dauer wohl kaum gut gehen. Also fragen wir uns: Wohin geht denn diese Reise? Dazu zwei Überlegungen: Die Unternehmensgewinne könnten natürlich plötzlich kräftig zulegen und den jüngsten Kursanstieg der Aktien untermauern, oder aber die Aktienkurse brechen wieder auf ein Niveau ab, das eine andere Realität, nämlich die eines flauen Wirtschaftswachstums gekoppelt an lahmende Erträge widerspiegelt. Vieles spricht für die zweite Variante. Wie auch immer - für uns ausschlaggebend ist, dass wir in jedem Umfeld unsere Risikofähigkeit laufend überprüfen. Eigentlich wussten wir doch schon lange, dass sich Einbrüche von 50 % und mehr an den Aktienmärkten zusammenbrauen können. Das ist der Preis, den wir für die längerfristig bessere Performance bezahlen müssen. Heute tobt unter der Oberfläche der globalen Finanzmärkten ein verbissenes Tauziehen zwischen misstrauischen "Bären" und zuversichtlicheren "Bullen". Die Knacknuss: Wir entdecken gegenwärtig kaum attraktive Alternativen zu Aktien. Rufen wir uns in diesem Zusammenhang den kürzlich verstorbenen USÖkonomen Prof. Paul Samuelson zurück, der nach den schrecklichen Ereignissen von 2008 erklärte: "Über die globale Finanzkrise wissen wir nur, dass wir nicht sehr viel wissen." Wie wahr! Wir alle wissen nicht, was wir noch nicht wissen. Vergessen wir dabei auch nicht, dass der zwingende Schuldenabbau rund um den Globus verknotet mit verschärften Regulierungsanstrengungen die Konjunktur in den führenden Industrieländern auf Jahre hinaus hemmen dürfte (UBS). Und gleichzeitig birgt die Auslandsfinanzierung der US-Defizite ungemeine Risiken. Die tiefgreifenden, weltumspannenden Ungleichgewichte sind noch lange nicht ausgemerzt. Entscheidend für die chinesische Wirtschaft, auf der alle Hoffnungen ruhen, wird sein, dass schwerwiegende Unausgewogenheiten beseitigt werden müssen: der durchdringende Graben zwischen wirtschaftlicher Dynamik und Umweltschutz, gähnende Risse zwischen Investitionen und Konsum, zwischen Inlandsproduktion und Export und, schliesslich auch, zwischen arm und reich. Wenn überbordendes Wachstum die Umwelt schädigt, so die UBS, wenn der Export boomt, aber der Binnenverbrauch hinkt, wenn mit massiven, staatlich angekurbelten Investitionen Überkapazitäten geschaffen werden, dann steht das Land vor gravierenden, strukturellen Verspannungen, die angepackt werden müssen, um ein nachhaltiges Wachstum zu sichern. Last but not least erstaunt es schon ganz gewaltig, wenn verschiedene Analysten davon ausgehen, dass die weltweiten Unternehmensgewinne im laufenden Jahr um 26.5 % anschwellen sollen, während die geschätzten, weltwirtschaftlichen Wachstumsraten so zwischen 3 % und 3.5 % schwanken. Blanko-Schecks für Fannie Mae und Freddie Mac: Während die führenden US-Finanzinstitute wieder obenauf zu schwingen scheinen und erstaunliche Gewinne einfahren, offenbart sich die Lage der Immobilienfinanzierer als ein einziges, unbewältigtes Desaster. Nach milliardenschweren Quartalsverlusten kippte die US-Regierung auch noch die bisherige Obergrenze für öffentliche Hilfen. Damit signalisiert sie dem Markt, dass Washington fest hinter den staatlich kontrollierten Instituten steht eine schöne Bescherung für alle amerikanischen Steuerzahler. Die US-Regierung bemüht sich verzweifelt, keine weiteren Turbulenzen an den weltweiten Finanzmärkten aufkeimen zu lassen. Die Verluste der beiden Konzerne (Fannie Mae und Freddie Mac) stellen die amerikanische Politik vor ein nur schwer zu lösendes Dilemma: Einerseits sollen nach Möglichkeit nicht noch mehr Steuergelder verschüttet werden, andererseits aber zählt die Politik, beim Kampf gegen die Immobilienkrise, fest auf die beiden Unternehmen. Während in den USA die Mehrheit der Bevölkerung, aber auch der Staat, weit über ihre Verhältnisse lebten und immer noch leben und gleichzeitig die Anziehungskraft des "American Way of Life" langsam versandet, erwachen neue, wirtschaftliche und kulturelle Gravitationszentren in China, Brasilien, Indien und im pazifischen Wirtschaftsraum, erklärt uns Burkhard P. Varnholt, Chief Investment Officer der Bank Sarasin in Basel. Dank der rasanten technologischen Modernisierung und Produktivitätssteigerungen, der vorteilhaften Finanzlage und den demographischen Entwicklungen in diesen aufstrebenden Regionen dürfte der Schwung auf absehbare Zeit andauern - und mittelfristig in eine neue globale Weltordnung münden. Dieser Prozess auf alle Ebenen, wie etwa der wirtschaftlichen, ökologischen oder sozialen, wird jedoch von ungeheueren Spannungen begleitet sein. Im Umweltbereich häufen sich die Anzeichen, dass das Wachstum unwiderruflich an Grenzen stösst. Das Grundwasser geht fast allen asiatischen Städten wegen Übernutzung aus; in vielen Gegenden haben sich die Wasserpreise bereits letztes Jahr verdoppelt, und wahrscheinlich stehen noch viele weitere Anpassungen nach oben bevor. Es scheint deshalb naheliegend, dass sich die Knappheit von Ressourcen in den kommenden Jahren zu einem dominanten Thema herauskristallisiert, ebenso wie der daraus strömende Innovationsschub und die Erkenntnis, dass in allen Bereichen echter Geschäftserfolg zunehmend von einer nachhaltigen Bewirtschaftung der beschränkten wirtschaftlichen, natürlichen und sozialen Ressourcen abhängt. Chinas Regierung will die Grossstadt Shanghai bis 2020 auf Augenhöhe mit den mächtigen Finanzmetropolen des Westens hieven. Die Bewohner wurden bereits vom Börsenfieber arg durchgeschüttelt. Sollte Shanghai tatsächlich versuchen, sich zu einem internationalen Finanzplatz aufzuschwingen, dann ist eine frei handelbare Währung dafür unerlässlich. Allerdings bekundet die Regierung in Peking eine Heidenangst, dadurch die Kontrolle zu verlieren. Auch nicht vergessen dürfen wir die Altersvorsorge: Die ab Mitte 2007 langsam ins Rampenlicht gezerrten, drückenden Liquiditätsprobleme vieler Finanzinstitute, die damit verknüpften, groben Kursverluste an den Finanzmärkten und deren globale Ausstrahlungen auf das Wirtschaftsgeschehen entfachten ernsthafte Befürchtungen, dass die Sicherheit und Leistungsfähigkeit der verschiedenen Altersvorsorgeformen gefährdet sein könnten.