Soziale Netzwerke in Lebenslauf

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Otto, u. u. Bauer, P (Hrsg.) (2005): Mit Netzwerken professionell zusammenarbeiten.
Bd. 1: Soziale Netzwerke in Lebenslauf und Lebenslageperspektive.
Bauer, P. u. Otto, U. (Hrsg.) (2005): Mit Netzwerken professionell zusammenarbeiten.
Bd. 2: Institutionelle Netzwerke in Steuerungs- und Kooperationsperspektive.
Tübingen: dgvt – Verlag; Bd. 1 637 Seiten, Euro 64; Bd.2 469 Seiten, Euro 29
Wer diese beiden voluminösen Bände zusammen in die Hand nimmt, könnte erst einmal
zurückschrecken vor dem vielen Papier und dem Berg der Informationen, der sich vor einem
auftürmt. Wenn daraus eine Nichtbefassung mit ihnen entstünde, wäre das schade für beide
Seiten: die AutorInnen, die uns LeserInnen eine Menge hochinteressanter empirischer
Befunde, empirisch gestützter Theorien, Konzepte, und Argumentationslinien anbieten wie
auch das angesprochene Lesepublikum, das seinen Horizont in punkto Netzwerktheorien,
Netzwerkarbeit, Netzwerkinitiativen im psycho-sozialen und sozial-medizinischen Feld
erheblich erweitern kann.
Der erste Band enthält eine Vielzahl von Beiträgen, die vor allem LeserInnen ansprechen
werden, die sich im Bereich der Sozialen Arbeit, vor allem der Familienhilfe, Altenarbeit,
Kinder- und Jugendhilfe und der Berufseinstiegshilfen für Jugendliche tummeln. Er ist in
mehrer Bereiche gegliedert: Grundlagen der Netzwerkforschung für Netzwerkintervention,
Netzwerkförderung, familienbezogene Aspekte der Netzwerkforschung, Netzwerk und
Netzwerkintervention im Jugend- und Erwachsenenalter, Netzwerk und Netzwerkintervention
im Alter und in der Pflege. Der zweite Band beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen
institutionellen und informellen Netzwerken; hier wird vor allem auf die Gestaltung und
Steuerung von Netzwerken (neudeutsch: Netzwerkmanagement) focussiert. Neben dem Feld
der Kinder- und Jugendhilfe geht es hier vor allem um die Pflege älterer und hochbetagter
Menschen. Er ist in drei Abschnitte gegliedert: Übergreifende Aspekte, Projekte und
Handlungsfelder und der Schwerpunkt Alter. Dieser letztgenannte Punkt enthält viele
wichtige Informationen und Anregungen für Pflegekräfte, PflegewissenschaftlerInnen,
GesundheitspolitikerInnen und VerbandsvertreterInnen.
Neben wichtigen definitorischen Exkursen zum Netzwerkbegriff und den Merkmalen eines
Netzwerkes finden sich in beiden Bänden eine Vielzahl von Themen, von denen ich im
folgenden einige, die mich besonders angesprochen haben, aufzählen möchte:
 Der Zusammenhang zwischen Netzwerken in der gesellschaftlichen Moderne und der
Entwicklung von unterschiedlichen Identitäten
 Die Idee des Kommunitarismus und des bürgerschaftlichen Engagements verbunden mit
der Frage, inwieweit diese Konzepte auch für eine neoliberale Politik der Deregulierung
missbraucht werden können
 Netzwerke als Unterstützungssysteme mit eigenen Ressourcen sowie deren Aktivierungs-,
Unterstützungs- und (manchmal auch entwicklungshemmende) Funktion in verschiedenen
Lebens- und Problemlagen (z.B. bei chronischen Krankheiten wie diabetes mellitus)
 Multiplexe vs. spezialisierte Netzwerke und ihre jeweiligen Stärken bzw. Schwächen
 Persönlichkeitsentwicklung im Kontext sozialer Nerzwerke
 Die Verbindung zentraler sozialarbeitswissenschaftlicher Konzepte wie Alltag,
Sozialraum, Milieu mit der Netzwerkperspektive
 Die Familie als Netzwerk „besonderer Art“, und die in ihrem Rahmen stattfindenden
intergenerationalen Austausch- und Unterstützungsbeziehungen (hier gibt es eine Vielzahl
empirischer Befunde, welche die große Bedeutung der Familie auch in der Postmoderne
unterstreicht)
 Eine Vielzahl demographischer Daten zur Situation von Familien,
Verwandtschaftsnetzwerken, Großeltern – Eltern – Enkelkinder – Beziehungen, älteren
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Menschen in und außerhalb familiärer Netzwerke - auch im Vergleich zwischen alten und
neuen Bundesländern
Demographische Daten für die Prognose der Bevölkerungsentwicklung und die Merkmale
verschiedener Bevölkerungsgruppen (Junge – Alte, Männer – Frauen, unterschiedliche
private Lebens- und Wohnformen)
Die Funktion von Netzwerken in Übergangsphasen des Lebenszyklus, z.B. für
Jugendliche bzw. junge Erwachsene in Ausbildungs- und Berufsfindungslehrgängen und
hier die Idee: „Netzwerke statt Maßnahmen“ (Bd. 1: 328)
Die Verknüpfung von institutionellen und informellen Netzwerken im
Kindergartenbereich sowie Mischformen zwischen informellen und formellen Netzwerken
in der Familien- bzw. Elternbildung
Die Ergänzung familiärer Netzwerke durch professionelle Netzwerke im Rahmen
häuslicher, teilstationäre oder kurzzeitig begrenzter Pflege und die Stressreduktion in
solchen gemischten HelferInnensystemen
Das Spannungsfeld zwischen häuslicher und stationärer Pflege und die unterschiedlichen
Perspektiven von zu pflegenden Menschen, Angehörigen und pflegenden Professionellen
Netzwerke als Fokus der Armutsforschung: welche Ergebnisse bringt ein Vergleich
zwischen städtischen Wohnquartieren mit einkommensschwacher und finanziell besser
gestellter Bevölkerung?
Das Konzept des Aktionsraumes, d.h. des durch eigenen Tun hergestellten oder zumindest
aktiv gestalteten sozialen Raumes
Netzwerkveränderungen durch Partnerverlust im Alter
Der Einbezug der Angehörigen in die stationäre Pflege von an Demenz erkrankten
Menschen, wodurch ein neues Netzwerk entsteht, das hilfreich für die Patienten, ihre
Angehörigen und die Pflegeprofis sein kann – wie lässt sich das im Rahmen des
Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes und der geplanten personenbezogenen Pflegebudgets
organisieren?
Die Belastung der pflegenden als auch der die Pflege abgebenden Angehörigen
Case - Management von informellen und formellen Netzwerken, z.B, im Rahmen des
durch das Bundes- und Länderprogramms „Soziale Stadt“ geförderten
Quartiermanagements, der Schulsozialarbeit, der ambulanten, teilstationären, stationären
und komplementären Dienste
Bedingungen für die Bildung und Aktivierung von Netzwerken und die Etablierung einer
Netzwerkkultur
Die Nähe von Netzwerk- und Systemansatz
Lernen in Netzwerken, z.B. mit Hilfe einer Zukunftswerkstatt, eines open-space-szenarios
oder anderen Formen der Großgruppenarbeit
Empirische Forschungen und die Evaluation von Netzwerken
Regionale und kommunale Netzwerke in der Jugend- und Altenhilfe und die Kooperation
zwischen den einzelnen Knoten (Einrichtungen/Institutionen/Diensten)
Vernetzung und Kooperation im ländlichen Raum, z.B. innerhalb eines Vereines,
zwischen Vereinen, zwischen Kommune, Schule und Vereinen
Integrationsnetzwerke für MigrantInnen, ihr Nutzen für die Beteiligten (Kommune,
MigrantInnen, Schule) und Strategien für die Einbindung und Aktivierung der
MigrantInnen
Diese Vielzahl von Themen macht verständlich, dass ich mich bei der Lektüre ein wenig so
gefühlt habe wie einer, der dem Grimm`schen Märchen von süßen Brei folgend, sich durch
diese wohlschmeckende Masse hindurchessen muss, um in die Stadt zu gelangen. Am Ende
des zweiten Bandes ist man endlich dort - satt, aber auch zufrieden über die vielen neuen
Informationen und Ideen, die sich diesem hochinteressanten Buch verdanken. Viel
Wissenswertes über Netzwerke kompakt dargestellt: es lohnt sich, das eigene
Durchhaltevermögen, die eigene Spannkraft und Konzentration einzusetzen, um sich durch
ca. 1000 Seiten süßen Breis hindurch zu essen.
Eine kritische Anmerkung: statt eines Sammelbandes hätte sich auch die Konzeption eines
Handbuches zur Netzwerkforschung angeboten. Die Ordnung nach Begriffen würde zu einer
Reduktion von Komplexität verhelfen, weil man sich dann auswählender auf die
Informationssuche begeben kann.
Wolf Ritscher, Esslingen
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