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Muss eine Pflegekraft in der Psychiatrie häufig die Betreuungsaufgaben ihrer Kollegin zusätzlich
übernehmen, weil diese wegen der Anordnung ständiger Überwachung fixierter Patienten für ihre
sonstigen Aufgaben unabkömmlich ist, kann der Mitbestimmungsfall des § 40 Buchstabe i MVG.EKD
gegeben sein.
Es wird festgestellt, dass die Anordnung der ständigen persönlichen Beobachtung mit kontinuierlicher
Kontrolle der Vitalfunktion durch eine Sitzwache eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme gem. §
40 Buchstabe i MVGEKD darstellt.
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Anordnung ständiger Überwachung von fixierten Patienten in
der Psychiatrie zu einer mitbestimmungspflichtigen Hebung der Arbeitsleistung im Sinne von § 40
Buchstabe i MVG.EKD führt.
Die Dienststelle unterhält eine psychiatrische Station mit 12 Patientenbetten in einem offenen Bereich
und 15 Betten in einem geschlossenen Bereich. In letzterem befindet sich ein
Sichtüberwachungszimmer mit Glasscheiben zu beiden Seiten, durch die die rechts und links
befindlichen Patientenräume mit jeweils 3 Betten überwacht werden können. In den beiden genannten
Räumen werden Patienten betreut, die durch ärztliche Anweisung fixiert werden müssen. Die auf
Formblatt vermerkten ärztlichen Anordnungen zur Fixierung sahen bis Anfang 2012 vor, dass eine
Sichtüberwachung der fixierten Patienten in Zeitintervallen (z. B. 15 Minuten) zu erfolgen habe.
Durch das PsychKG NW vom 29. November 2011 ist in § 20 Abs. 2 eine Änderung der Überwachung
dergestalt erfolgt, dass eine Beobachtung durch Einsatz technischer Mittel (Video) nicht mehr gestattet
ist und bei Fixierungen eine ständige persönliche Beobachtung mit kontinuierlicher Kontrolle der
Vitalfunktionen durch eine Sitzwache sicherzustellen ist. Laut einer Erklärung der Dienststellenleitung
vom 08.03.2012 wird der Gesetzesneufassung dadurch Rechnung getragen, dass eine Beobachtung der
fixierten Patienten kontinuierlich aus dem Sitzüberwachungszimmer erfolgt, die Vitalfunktionen des
jeweils Fixierten persönlich beobachtet und im 15 Minutenrythmus gemessen und dokumentiert
werden. Dies führt nach Meinung der Mitarbeitervertretung zu einer Überlastung des Pflegepersonals.
Denn die für den geschlossenen Bereich zuständige Pflegekraft sei jetzt im vollen Umfang bei einer
angeordneten Fixierung an das Sitzüberwachungszimmer gebunden und könne ihre weiteren
Pflegeaufgaben gegenüber den übrigen Patienten nicht mehr wahrnehmen. Notgedrungen müsse dies
die andere für den offenen Bereich zuständige Pflegekraft übernehmen. Dies gelte vor allem für die
Nachtschicht, in der für die psychiatrische Station nur 2 Pflegekräfte zur Verfügung stünden. Die
zwangsläufig mit der Anordnung von Fixierung verbundene Mehrbelastung der außerhalb des
Überwachungsraums tätigen Pflegekraft sei eine Maßnahme zur Hebung der Arbeitsleistung im Sinne
von § 40 Buchstabe i MVG.EKD, die die Mitbestimmung auslöse. Auf einen entsprechenden Vorstoß
der Mitarbeitervertretung vom 15.03.2012 habe jedoch die Dienststellenleitung nicht reagiert.
Mit ihrem Schlichtungsantrag vom 29.03.2012 beantragt die Mitarbeitervertretung festzustellen,
dass die Anordnung der ständigen persönlichen Beobachtungen mit kontinuierlicher Kontrolle der
Vitalfunktionen durch eine Sitzwache eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme gem. § 40 Buchstabe
i MVG.EKD darstellt.
Die Dienststellenleitung bittet um Zurückweisung des Antrags. Sie meint, dass mit den Änderungen in
§ 20 PsychKG NW keine veränderten Anforderungen an die Pflegekraft verbunden seien. Zwischen
den fünfzehnminütigen Kontrollgängen reiche eine Überwachung der „Lebensfunktionen“ durch
Scheibe des Überwachungsraumes wie bisher auch.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf
die zu Protokoll genommenen Erklärungen der Beteiligten Bezug genommen.
II.
1.
Der Schlichtungsantrag ist gem. § 60 Abs. 1 MVG.EKD zulässig. Die Beteiligten streiten
über das Mitbestimmungsrecht nach § 40 Buchstabe i MVG.EKD bei der Anordnung von
Sitzwachen zur Beobachtung fixierter Patienten in der Psychiatrie. Die Anrufungsfrist des §
61 Abs. 1 MVG.EKD ist gewahrt, nachdem die Mitarbeitervertretung nach ihrem Vorstoß
vom 15.03.2012 keine sie befriedigende Antwort von der Dienststellenleitung erhalten hat.
2.
Der Schlichtungsantrag ist auch begründet. Die Mitarbeitervertretung hat nachvollziehbar
dargelegt, dass speziell in der Nachtschicht zusätzliche Anforderungen an die Pflegekraft
außerhalb des Sitzüberwachungsraumes gestellt werden. Aus den von der
Mitarbeitervertretung vorgelegten Formblättern zur Anordnung einer Fixierung ergibt sich,
dass bis Anfang 2012 eine Sichtüberwachung fixierter Patienten nicht kontinuierlich sondern
in Zeitintervallen erfolgte. Die zuständige Pflegekraft konnte daher auch außerhalb des
Sichtüberwachungsraumes ihre weiteren Pflegeaufgaben erfüllen. Dies hat sich durch die
Neufassung von § 20 PsychKG NW insofern geändert, als die zuständige Pflegekraft nunmehr
kontinuierlich fixierte Patienten beobachten muss. Diese kontinuierliche Überwachung, ob in
Form einer Sitzwache am Bett des Patienten oder aus dem Überwachungsraum heraus,
bedingt, dass keine weiteren Pflegetätigkeiten verrichtet werden können. Hierfür muss die
weitere Pflegekraft, die an sich für den offenen Bereich zuständig ist, einspringen. Diese
Mehrbelastung ist Gegenstand einer Reihe von Gefährdungs- / Überlastungsanzeigen, die die
Mitarbeitervertretung zu den Schlichtungsakten eingereicht hat. Diese Mehrbelastung fällt
unter den Schutzzweck des § 40 Buchstabe i MVG.EKD. Das Mitbestimmungsrecht greift
dann ein, wenn die Mehrbelastung zu einer Erhöhung des Arbeitsdruckes führt, der objektiv
deutlich spürbar ist (vgl. Beschluss des Kirchengerichtshofs vom 24.05.2011, AZ: KGH.EKD
I-0124/S 39-10). An einer solchen Erhöhung des Arbeitsdruckes würde es fehlen, wenn
Fixierungen von Patienten mit der damit verbundenen kontinuierlichen Überwachung nur
gelegentlich vorkämen. Dies ist jedoch offensichtlich nicht der Fall. Vielmehr gehört nach
dem unwidersprochenen Vortrag der Mitarbeitervertretung die Überwachung fixierter
Patienten zu den Routineaufgaben des Pflegepersonals in der Psychiatrie. Da die
kontinuierliche Überwachung zwangsläufig die betreffende Pflegekraft an das
Überwachungszimmer bindet, müssen die ansonsten ihr obliegenden Pflegeaufgaben von der
Zweitkraft immer zusätzlich mit erledigt werden.
Die Frage, wie die Beteiligten das durch die Mehrbelastung ausgelöste Mitbestimmungsrecht
der Mitarbeitervertretung handhaben, dürfte indessen nicht leicht zu beantworten sein. Dies
schließt jedoch die grundsätzliche Feststellung im Sinne des Beschlusstenors nicht aus. Nach
einer praktikablen Lösung zu suchen, bleibt daher zunächst den Beteiligten vorbehalten.
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