EUROPÄISCHES PARLAMENT 2014 – 2019 Petitionsausschuss 27.6.2014 MITTEILUNG AN DIE MITGLIEDER Betrifft: Petition 1655/2013, eingereicht von Laila Brice, lettischer Staatsangehörigkeit, zur vermeintlichen Diskriminierung im Vereinigten Königreich aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion und der Sprache Petition 1852/2013 eingereicht von Maija Zargarjana, lettischer Staatsangehörigkeit, zur vermeintlichen Diskriminierung im Vereinigten Königreich aus Gründen der Staatsangehörigkeit, der Religion und der Sprache 1. Zusammenfassung der Petition Petition 1655/2013 Die Petentin ist lettische Staatsbürgerin. Sie gibt an, die örtliche Behörde habe ihre Tochter von ihrer Familie und ihrer Muttersprache (Russisch) isoliert, was zu einer Verzögerung in der Entwicklung ihrer Tochter geführt habe. Ferner beschuldigt sie die Behörde, ihre Tochter von ihrer Religion (russisch-orthodoxe Kirche) entfremdet zu haben, indem sie sie als konfessionsloses Kind registriert hat. Der Petentin zufolge werde ihr Kind durch die Maßnahmen der Behörde aufgrund ihrer Ethnizität, ihrer Religion und ihrer Sprache diskriminiert, und die Behörde verstoße somit gegen das EU-Recht und insbesondere gegen die Charta der Grundrechte. Petition 1852/2013 Der Wortlaut der Petition ist identisch mit dem Wortlaut der Petition 1655/2013, wurde jedoch von der Tochter der Petentin eingereicht. 2. Zulässigkeit Petition 1655/2013 für zulässig erklärt am 4. Juni 2014. CM\1030861DE.doc DE PE536.122v01-00 In Vielfalt geeint DE Petition 1852/2013 für zulässig erklärt am 8. Juli 2014. Die Kommission wurde um Auskünfte gebeten (Artikel 216 Absatz 6 der Geschäftsordnung). 3. Antwort der Kommission, eingegangen am 27. Juni 2014 Der Petentin zufolge erlaubten die britischen Jugendschutzbehörden und die örtliche Behörde ihr nicht, bei begleiteten Besuchen mit ihrer Tochter in ihrer Muttersprache (Russisch) zu kommunizieren, und verstoßen damit gegen den Artikel 3 der Rassengleichheitsrichtlinie und die Artikel 10, 22, 24 und 33 der Charta der Grundrechte. Grundsätzlich sind die Befugnisse der Union in Bezug auf Handlungen und Unterlassungen von Mitgliedstaaten auf die Überwachung der Anwendung des Unionsrechts unter der Kontrolle des Gerichtshofes der Europäischen Union beschränkt (siehe Artikel 17 Absatz 1 EUV). Auf der Grundlage der von der Petentin gelieferten Informationen kann davon ausgegangen werden, dass in der Petition, so wie sie eingereicht wurde, keine bestimmten Handlungen der britischen Jugendbehörden angesprochen werden, die sich auf die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts beziehen. Hinsichtlich der Anwendbarkeit der Rassengleichheitsrichtlinie ist Folgendes anzumerken: Maßnahmen öffentlicher Behörden, wie z. B. die Entscheidung, ein Kind dauerhaft in Pflege zu nehmen, sind weder „Dienstleistungen“ im Sinne der Richtlinie noch fallen sie unter die Kategorie „Sozialschutz“. Die Bezeichnung Sozialschutz darf nicht missverstanden werden, denn sie bezieht sich nicht auf die Arbeitsweise der Jugendschutzeinrichtungen, sondern vielmehr auf Maßnahmen im Bereich soziale Sicherheit und Gesundheitsversorgung. Auch wenn die Petentin zur russischsprachigen Minderheit in Lettland gehört, lassen die Umstände des Falls klar erkennen, dass es nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Minderheit zur vermeintlichen Ungleichbehandlung gekommen ist. Selbst wenn die Rassengleichheitsrichtlinie auf russischsprachige Minderheiten anwendbar wäre, würde sie im vorliegenden Fall keine Anwendung finden. Was die Anwendbarkeit der Charta betrifft, ist diese nicht auf jeden vermeintlichen Verstoß gegen Grundrechte anwendbar. Nach Artikel 51 Absatz 1 der Charta findet diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Umsetzung von EU-Recht Anwendung. Weiterhin wird in Artikel 6 Absatz 1 des Vertrages über die Europäische Union verfügt, dass „durch die Bestimmungen der Charta [...] die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert [werden]“. Im Fall der vorliegenden Petitionen haben die Jugendschutzbehörden und die örtliche Behörde im Vereinigten Königreich ausschließlich britisches Recht angewendet. Es besteht im vorliegenden Fall kein Bezug zur Anwendung von EU-Recht, und deshalb ist die Charta nicht anwendbar. Das bedeutet aber nicht, dass es im britischen Recht eine Gesetzeslücke gibt, was den Schutz von Grundrechten im Vereinigten Königreich anbelangt. In derartigen Fällen liegt es in der PE536.122v01-00 DE 2/3 CM\1030861DE.doc Zuständigkeit des Vereinigten Königreichs und seiner Justizbehörden sicherzustellen, dass die Grundrechte tatsächlich eingehalten und im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen geschützt werden. Die Petenten können sich auf nationaler Ebene an die zuständigen nationalen Behörden, wie z. B. einen Bürgerbeauftragten oder die Gerichte, wenden. Ferner kann jede Person, die sich in ihren in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Grundrechten verletzt fühlt, nach Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtswege eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen. Bezüglich der Funktionsweisen der Systeme zum Schutz und Wohlergehen von Kindern in den verschiedenen Mitgliedstaaten arbeitet die Kommission derzeit Leitlinien aus, um die Mitgliedstaaten beim Ausbau ihrer Kinderschutzsysteme zu unterstützen. Ziel dieser Leitlinien ist es, Wege zur Förderung und Unterstützung eines Gesamtkonzepts zu finden und die Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen allen am Kinderschutz beteiligten Einrichtungen zu erleichtern, insbesondere über die Landesgrenzen hinweg. Die Leitlinien werden für den Herbst 2014 erwartet. Parallel zur Ausarbeitung der Leitlinien ist die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte mit der Erfassung der Kinderschutzsysteme in den 28 EU-Mitgliedstaaten beschäftigt. Die Erfassung wird im Juni 2014 abgeschlossen sein, und die Mitteilung soll im Frühherbst, im Vorfeld des Europäischen Forums für die Rechte des Kindes 2014, angenommen werden. Schlussfolgerung Auf der Grundlage der in der Petition enthaltenen Informationen kann die Kommission diesen Fall nicht weiter verfolgen, da die Handlungen der britischen Jugendschutzbehörden im vorliegenden Fall nicht in den Geltungsbereich des EU-Rechts fallen. CM\1030861DE.doc 3/3 PE536.122v01-00 DE