PD Von der Empörung zur Entfremdung

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Medienservice Travail.Suisse – Ausgabe vom 24. Juni 2013
Von der Empörung zur Entfremdung
Über ein Jahrzehnt Bonirausch in den Teppichetagen haben das Vertrauen der Bevölkerung
in die Wirtschaft und deren Verbände zerstört. Das Ja zur Abzockerinitiative war ein
deutliches Zeichen. Nun stehen mehrere Abstimmungen zur Personenfreizügigkeit ins
Haus. Die bilateralen Verträge und das Erfolgsmodell Schweiz stehen zur Disposition. Die
Politik ist gefordert. Nur wenn es ihr gelingt, den Vertrauensverlust auszugleichen und die
Früchte des Wachstums gerechter zu verteilen, werden Personenfreizügigkeit und bilaterale
Verträge auch die kommenden Abstimmungen überstehen.
Martin Flügel, Präsident Travail.Suisse
Seit einigen Jahren analysiert Travail.Suisse die Entwicklung der Managersaläre. Die Bilanz fällt im
besten Fall durchzogen aus. Die negativen Entwicklungen überwiegen bei weitem, weil sie nach
wie vor den grösseren Teil der untersuchten Firmen betreffen. Insofern ist auch der politische
Handlungsbedarf weiterhin gegeben.
Wachsender Vertrauensverlust in die Wirtschaft
Dies gilt umso mehr, als dass die Entwicklung der Managersaläre in der Bevölkerung zu einer
Entwicklung geführt hat, die längst weit über diese Saläre hinaus reicht. Heute ist in der Schweiz
eine grosse Skepsis gegenüber den Anliegen der Wirtschaft auszumachen. Die Glaubwürdigkeit
der Wirtschaft und deren Verbände hat grundsätzlich gelitten, was spätestens beim wuchtigen Ja
zur Abzockerinitiative klar zutage getreten ist. Die Empörung über einige Abzocker hat heute einer
grundsätzlichen Entfremdung der Bevölkerung von der Wirtschaft Platz gemacht.
Diese Tatsache ist insofern von grösster Bedeutung, als dass uns mehrere Abstimmungen über die
Personenfreizügigkeit – und damit verbunden über die bilateralen Verträge – erwarten. Gerade bei
diesen Vorlagen droht die fehlende Glaubwürdigkeit der Wirtschaft und die Entfremdung der
Bevölkerung von der Wirtschaft zu einem echten Problem für die Schweiz zu werden. Einem
Problem, das weit über die Frage der Managersaläre hinaus reicht, das aber trotzdem nur bewältigt
werden kann, wenn die Politik auch zu dieser Frage wirksame Antworten findet.
Einpendeln an der Spitze – ungebrochener Trend im Mittelfeld
Die diesjährige Analyse von Travail.Suisse zur Entwicklung der Managersaläre zeigt, dass Laissezfaire keine Option ist. Zwar findet ganz oben eine gewisse Stabilisierung statt, die Saläre pendeln
sich ein, wenn auch auf unverschämt hohem Niveau. Dies betrifft beispielsweise die Banken- und
die Pharmabranche oder auch Nestlé.
Gleich dahinter ist der Trend aber ungebrochen. Bei Firmen wie Lonza, Clariant oder Kuoni sind
die Saläre auch im letzten Jahr massiv gesteigen. Und der Langzeitvergleich seit 2002 zeigt, dass
sich bei den gleichen Firmen und einigen anderen wie Georg Fischer oder Oerlikon die höchsten
Saläre und damit die Lohnschere meist verdoppelt oder fast verdreifacht haben. Dabei ist die
wirtschaftliche Leistung dieser Unternehmen eher bescheiden ausgefallen und hat auf jeden Fall
nicht Schritt gehalten mit dem Anstieg der Topsaläre. Nur bei einer einzigen untersuchten Firma –
bei Coop – waren die durchschnittlichen Bezüge der Konzernleitungsmitglieder nicht höher als der
Jahreslohn der am schlechtesten bezahlten Mitarbeiterin.
Diese Entwicklung gerade hinter der Spitze macht überdeutlich, dass kein Umdenken
stattgefunden hat und keine breite Korrektur nach unten absehbar ist. Die Selbstbedienung breitet
sich sogar weiter aus. Eine Selbstregulierung ist, Abzockerinitiative hin oder her, nicht zu erwarten.
Die Politik bleibt gefordert, den Managern Grenzen zu setzen. Denn die Vorstallung, dass oben die
Saläre munter weiter steigen und unten der Lohndruck zunimmt, ist unerträglich und schadet der
Schweiz.
Steigende Dringlichkeit des politischen Handlungsbedarfs
Seit mehreren Jahren fordern wir die Politik auf, etwas gegen die explodierenden Managersaläre
und für die Vertrauensbildung zwischen Wirtschaft und Bevölkerung zu unternehmen. Geschehen
ist bisher wenig und wenn, dann nur unter massivem Druck.
Gestiegen sind in dieser Zeit nicht nur die Saläre, sondern auch die Empörung. Dazu kommt – wie
bereits gesagt – in letzter Zeit eine zunehmende Entfremdung zwischen Bevölkerung und
Wirtschaft. Angesichts der anstehenden, zentralen Abstimmungen zur Personenfreizügigkeit steigt
nun auch die Dringlichkeit des politischen Handlungsbedarfs rasant. Es bleibt keine Zeit mehr, auf
Besserung in den Teppichetagen zu hoffen. Die Politik muss die Führungsrolle übernehmen und
nicht nur in Bezug auf die Managerlöhne, sondern für die Verteilung des Wohlstandes allgemein
glaubwürdige politische Antworten finden. Dazu gehören:

Managersaläre limitieren und Lohnkartell aufbrechen: Bei den Managersalären ist eine
materielle Beschränkung unabdingbar geworden und damit ein Ja zur 1:12 Initiative notwendig,
Zudem fordern wir nach wie vor verbindliche Abstimmungen der Aktionäre über die Saläre der
einzelnen Mitglieder von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat. Damit aber nicht nur die
Aktionäre, sondern auch die Arbeitnehmenden gestärkt werden, braucht es eine angemessene
Personalvertretung im Verwaltungsrat. So kann das Lohnkartell der Manager aufgebrochen
und die langfristige Orientierung der Unternehmen gestärkt werden.

Löhne und Arbeitsbedingungen schützen: Zur Vertrauensbildung braucht es nicht nur eine
Eindämmung der Managersaläre, sondern auch den Schutz der Löhne und
Arbeitsbedingungen der „normalen“ Arbeitnehmenden. Dazu muss die Politik regionale und
branchenspezfische Mindestlöhne garantieren und den Sozialpartnern neue Werkzeuge in die
Hand geben, diese Mindestlöhne auch durchzusetzen. Zudem sind die immer neuen Angriffe
auf die Arbeitszeiten – Stichwort Nacht- und Sonntagsarbeit – kontraproduktiv, wenn das
Verständnis der Bevölkerung für die Anliegen der Wirtschaft gewonnen werden soll.

Tiefststeuerpolitik für hohe Einkommen und Unternehmensgewinne beenden: Von der
heutigen Tiefststeuerpolitik der Kantone profitieren primär die Manager mit ihren hohen
Bezügen und die Unternehmen, die diese Saläre bezahlen. Gleichzeitig müssen viele Kantone
sparen. Unter fehlendem Geld für öffentlichen Verkehr, Strassenunterhalt,
Gesundheitsversorgung, Bildungswesen, Kitas etc., leiden in erster Linie der Mittelstand und
Personen mit tiefen Einkommen. Dies vertieft die Kluft zwischen breiter Bevölkerung und
Wirtschaft weiter. Der Moment ist gekommen, um auch in der Steuerpolitik wieder auf mehr
Gleichheit anstatt mehr Ungleichheit zu setzen.
Travail.Suisse fordert also Massnahmen für eine prosperierende Schweiz, für eine Schweiz, in der
alle am steigenden Wohlstand partizipieren und in der der wirtschaftlicher Erfolg auf mehr
Gleichheit anstatt mehr Ungleichheit beruht. Das Eindämmen der Managersaläre ist zwar nur ein
Teil davon, aber es gehört unabdingbar dazu.
Travail.Suisse, Hopfenweg 21, 3001 Bern, Tel. 031 370 21 11, [email protected],
www.travailsuisse.ch
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