Friedrich-Schiller-Universität Jena Institut für Soziologie Seminar: Professionalität in der Kinder- und Jugendhilfe Seminarleiter: Tobias Franzheld, M.A. Protokollantin: Janine Horn Bruno Hildenbrand: Systematische Therapie als Begegnung Zu Beginn der letzten Sitzung sprachen wir noch einmal kurz über Oevermann´s Professionstheorie. In einer Tabelle waren drei verschiedene Funktionsfoci seiner Theorie der Professionen dargestellt. Danach unterscheidet Oevermann drei verschiedene Krisentypen: die Traumatische Krise, die Entscheidungskrise und die Krise durch Muße. Die Traumatische Krise verlangt therapeutisches Handeln, da die Autonomie der Lebenspraxis des Klienten beschädigt ist. Dabei laufen Reproduktions- und Transformationsprozesse ab, d.h. wir haben einerseits ein Wissen, was noch funktioniert, aber andererseits auch ein Wissen, was nicht mehr ausreicht und erweitert werden muss, damit die Autonomie der Lebenspraxis wieder hergestellt werden kann. Bei einer Entscheidungskrise hingegen steht weniger der Einzelne im Vordergrund. Der Funktionsfokus basiert auf Recht und Gerechtigkeit, auf allgemeingültige Regeln, die es in einer Gesellschaft zu berücksichtigen gilt. Fundamental sind hierfür religiöse Erfahrungen, denn diese geben für die Gesellschaft Ordnungsmodelle vor, an die sich der Einzelne (Klient), welcher Teil der Rechtsgemeinschaft ist, zu halten hat. Beide Krisen, sowohl die Traumatische Krise als auch die Entscheidungskrise verlangen einen unmittelbaren Klienten-Kontakt in der professionellen Praxis. Der dritte Typ, die Krise durch Muße, hingegen, benötigt keinen unmittelbaren Klienten-Kontakt. Diese Krisen werden bewusst erzeugt und sind an ästhetische Erfahrungen gekoppelt. Alle drei Krisentypen sind jedoch unmittelbar miteinander verwoben und beschreiben damit die Professionen in der Moderne. Damit schlossen wir das Thema: „Welche Berufe sind professionell?“, ab. Im Folgenden soll es daher darum gehen, wie therapeutische Beziehungen, bzw. therapeutische Settings gestaltet sind. Einleitend dazu behandelten wir den Text „Systematische Therapie als Begegnung“ von Bruno Hildenbrand. Es stellte sich heraus, dass es vier Felder gibt, auf denen sich professionelles Handeln abspielt: das Feld theoretischen Wissens und seiner Grundlagen, die individuelle (problematische)Lebenspraxis, der/die Professionelle im persönlichen und organisatorischen Kontext und als viertes und letztes Feld, im Konzept des professionellem Handelns, die Handwerksregeln und das Handwerkszeug. Dabei ist das theoretische Wissen mit den Handwerksregeln durch eine Wissensachse und die Felder individuelle Lebenspraxis und Profession und Organisation mit der Begegnungsachse verbunden. Zwischen der Begegnungsachse und der Wissensachse besteht ein dynamisches Verhältnis. Bei der Begegnung eines Professionellen mit einem Klienten müssen drei Punkte vom Therapeuten beachtete werden: 1. Die Einzigartigkeit der Klienten in ihrer Sinnstruktur, 2. Das Erkennen des Veränderungspotentials und 3. Die Gestaltung eines Begegnungsprozesses. Dazu bedient sich der Therapeut bestimmten methodischen Vorgehensweisen. Entweder der Sequenzanalyse, die sich am Modell der Lebenspraxis orientiert und dem Klienten in einzelnen Situationen einen Möglichkeiten- Raum aufzeigt oder er bedient sich der Genogrammanalyse, welche vergleichbar mit einem Stammbaum ist. Der Therapeut verschafft sich einen Überblick über das familiäre Milieu und rekonstruiert so die Bildungsgeschichte des Klienten. Die professionelle Diagnostik wiederum versucht dann, dem Klienten Wahlmöglichkeiten oder Alternativen in bestimmten Handlungssituationen aufzuzeigen. Der Professionelle muss also herausfinden, wer der Klient ist und wo er herkommt. Das erfährt er am einfachsten, indem er dem Klienten Geschichten erzählen lässt und zwar seine eigene Bildungsgeschichte, die er zunächst in einen Sinnzusammenhang bringen muss. Anhand der erzählten Geschichten kann der Therapeut Hypothesen über die Muster herausarbeiten, die der Klient in den einzelnen Situationen entwickelt hat und seine autonome Lebenspraxis eingeschränkt haben. Der Therapeut lernt so das Entwurfshandeln des Klienten kennen und kann mit ihm zukunftsorientierend an seinen Problemen arbeiten. Aber worin besteht nun die Autonomie des Klienten? Wenn etwas am Entwurfshandeln des Klienten verändert wurde, dann liegt das am Klienten selber, denn er ist insofern autonom, dass er die Möglichkeiten besitzt, etwas an seiner Lage zu verändern. Diese Veränderungen wiederum werden deutlich, wenn der Klient erneut seine Bildungsgeschichte erzählt und er erkennt, welche neuen Gestaltungsspielräume ihm offen gewesen wären bzw. ihm in Zukunft offen stehen. Scheitern solche routinierten Vorgehensweisen von Professionellen, werden Supervisionen erforderlich. Das heißt, es steht nicht mehr die Begegnungsachse im Vordergrund, sondern die Wissensachse. Der einzelne Fall wird vorgestellt und man sucht gemeinsam nach Alternativen. Dies wiederum ermöglicht eine Erweiterung des eigenen Wissens. Im letzten Teil des Seminars ging es um die Frage: „ Welches Verhältnis herrscht zwischen Theorie und Praxis?“. Dabei stellte sich heraus, dass der Übergang von der Theorie zur Praxis problematisch ist bzw. sie unverbunden nebeneinander herlaufen. Die Praxis erhält ihre Autonomie nur, wenn sie zur Theorie auf Distanz bleibt und wenn die Theorie nicht bestimmend in die Praxis eingreift. Theorie, theoretische Praxis und Lebenspraxis liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Theorie ist wichtig für die Praxis, jedoch darf sie die Autonomie der Praxis nicht dabei stören. Daraus ergibt sich, dass für die Therapeutische Theorie die Urteilskraft entscheidend ist, denn mit ihrer Hilfe ist es möglich allgemeines Wissen mit bestimmten Fallsituationen in einen Zusammenhang bringen zu können. Analog verhält es sich mit den Techniken. Die Urteilskraft wird anhand von Erfahrungen gebildet und durch einen therapeutischen Habitus gestärkt.