Mehr Informationen finden Sie auch auf www.mit-kindern

Werbung
1
2
Fabian Grolimund
Mit Kindern lernen
Kinder bei den Hausaufgaben und beim Lernen
sinnvoll unterstützen
3
©2011 by Fabian Grolimund
4
5
Inhaltsverzeichnis
Hausaufgaben: Ein täglicher Kampf? ................................ 11
Kleine Typologie von Hausaufgabenproblemen .................... 11
Kinder motivieren ................................................................. 13
Was Kinder demotiviert und was sie motiviert ..................... 13
Mein Kind macht nicht mit – wie soll ich reagieren? ............ 84
Selbständigkeit.................................................................... 117
Schritt für Schritt mehr Selbständigkeit .............................. 118
Gedächtnis und Gehirn ...................................................... 130
Wie unser Gehirn lernt .......................................................... 130
Tipps zum besseren Behalten ................................................ 139
Rechnen lernen in einfachen Schritten ............................ 152
Wie entstehen Rechenschwierigkeiten? ................................ 152
Lückenanalyse: Wo beginnen die Schwierigkeiten? ........... 164
Für jede Lücke die richtige Übung ....................................... 168
Lesen und Schreiben .......................................................... 211
Ursachen für Schwierigkeiten ............................................... 211
Lücken erkennen und schliessen ........................................... 218
Lernstrategien für Jugendliche ......................................... 255
6
Persönliches Schlusswort des Autors ................................ 256
Literaturverzeichnis ........................................................... 258
7
Danke!
Ich möchte mich bei einigen Personen bedanken, die mich beim
Schreiben dieses Buches unterstützt und begleitet haben:
Meine Frau Maya Serafini-Grolimund hat das Buch um einige
hübsche Illustrationen bereichert..
Meine Geschäftspartnerin, Nora Völker, hat sich viel Zeit
genommen, um mit mir über die Inhalte des Buches zu
diskutieren und das Vorgehen zu reflektieren.
Schliesslich möchte ich Prof. Meinrad Perrez für die schönen
Jahre danken, in denen ich für ihn arbeiten und von ihm lernen
durfte.
Vielen Dank für eure Mithilfe.
8
Vorwort
Beim Schreiben dieses Buches habe ich nicht darauf geachtet,
ein besonders originelles Buch zu schreiben oder ein neues,
innovatives Konzept zu vermitteln.
Ich wollte auch kein vollständiges Werk über Diagnostik,
Entwicklung und verschiedene Behandlungsmöglichkeiten von
Schulschwierigkeiten erstellen.
Nein! Dieses Buch soll Ihnen schlicht einen Weg aufzeigen,
Ihrem Kind bei Hausaufgaben- und Lernschwierigkeiten
erfolgreich zu helfen.
Um dieses Ziel zu erreichen, habe ich mich beim Schreiben an 3
Leitsätzen orientiert:



Ich vermittle Ihnen nur Wissen, das Sie unbedingt
benötigen, um Ihren Kindern zu helfen.
Dieses Grundwissen wird so einfach und praxisorientiert
wie möglich aufbereitet.
Die aufgezeigten Strategien müssen wirksam sein und
von Ihnen mit Ihrem Kind alleine durchgeführt werden
können.
Trotz des Versuchs, mich kurz zu halten, werden einige Aspekte
immer wieder auftauchen. Es handelt sich dabei um Prinzipien
und Vorgehensweisen, die mir besonders wichtig erscheinen.
Ich wünsche Ihnen angenehme Lesestunden und viel Erfolg bei
der Umsetzung.
Fabian Grolimund
9
Liebe Eltern,
Vielleicht erleben Sie die Hausaufgabensituation zu Hause als
frustrierend, haben das Gefühl, dass die Diskussion mit Ihrem
Kind länger dauert, als die Erledigung der Aufgaben an und für
sich. Sie müssen ständig dahinter sein, daneben sitzen und Ihr
Kind laufend unterstützen, weil es nicht bereit oder nicht in der
Lage ist, die Aufgaben selbst zu lösen.
Vielleicht ist Ihnen auch aufgefallen oder mitgeteilt worden, dass
Ihr Kind in der Schule Mühe hat. Die Lehrerin hat Ihnen gesagt,
dass es sich schlecht konzentrieren kann oder immer noch mit
den Fingern zählt. Sie selbst haben festgestellt, dass Ihr Kind
sehr viel schlechter lesen kann als andere Kinder im selben Alter
oder mit der Rechtschreibung grosse Mühe hat.
Sie möchten Ihrem Kind eine schöne und erfolgreiche Schulzeit
ermöglichen, wünschen sich, dass es sich in der Klasse wohl
fühlt, den Stoff versteht und Erfolge erleben darf. Sie fragen
sich, wie Sie Ihrem Kind helfen können, ob Sie ihm überhaupt
helfen sollen, was Sie tun oder nicht tun sollten, und merken
einmal mehr, wie schwierig es sein kann, Mutter oder Vater zu
sein.
Mit diesem Buch möchte ich Ihnen helfen, Antworten auf Ihre
Fragen zu finden, und Ihnen Methoden vorstellen, die einfach
anzuwenden sind und oft zu einer Verbesserung führen.
Darf ich Ihnen etwas vorschlagen? Nehmen Sie sich ein bis zwei
Wochen Zeit, um sich den Inhalt dieses Buchs zu erarbeiten,
und beginnen Sie dann mit neuem Elan, Ihrem Kind bei seinen
Schulproblemen beizustehen. Gönnen Sie sich und Ihrem Kind
bis dahin eine Auszeit und konzentrieren Sie sich darauf, es mit
ihm gut zu haben, schöne Dinge zu tun und Ihre
Aufmerksamkeit auf das zu richten, was Ihr Kind gerne macht
und gut kann.
10
Hausaufgaben: Ein täglicher Kampf?
Geht es Ihnen wie vielen anderen Eltern, die in den letzten
Jahren unsere Eltern-Seminare besucht haben? Erleben Sie die
Hausaufgaben auch als täglichen Stress, als Konfliktthema,
Machtkampf, als „ständig hinten dran sein“, als „immer erst
verhandeln müssen“, als „ewige Diskussion, bis wir endlich
beginnen können“?
Und möchten Sie erfahren, was Sie konkret tun können, um die
Situation zu verbessern?
Im Folgenden möchte ich Ihnen eine kleine Typologie von
Hausaufgabenproblemen vorstellen. Sie erfahren zudem jeweils,
welche Kapitel des Buches für Sie und Ihr Kind besonders
hilfreich sein könnten.
Kleine Typologie von Hausaufgabenproblemen
Jedes Kind, jede Familie ist anders – und doch ähneln sich die
Probleme, die uns Eltern berichten, sehr stark. Die folgenden
Schwierigkeiten kommen in praktisch jedem Seminar zur
Sprache:
Motivationsprobleme und Machtkämpfe
Viele Kinder haben keine Lust darauf, Hausaufgaben zu machen
oder sich auf Prüfungen vorzubereiten. Im einfacheren Fall
müssen die Eltern sie lediglich ständig daran erinnern, sie dazu
ermuntern, sie überreden oder sie mit Vehemenz dazu
auffordern, sich endlich dran zu setzen.
Im weitaus schwierigeren Fall versuchen die Kinder aktiv, die
Hausaufgaben und das Lernen zu vermeiden. Sie „vergessen“,
was sie machen müssten, weigern sich anzufangen, reagieren
trotzig auf Aufforderungen, streiten mit ihren Eltern oder
11
schreien und toben sogar, wenn sie die Aufgaben erledigen
sollen.
Im Kapitel Motivation erfahren Sie, was Kinder motiviert, was
sie demotiviert und wie Sie als Eltern reagieren können, wenn
Ihr Kind Sie in einen Machtkampf verwickelt.
Unselbständigkeit und Unsicherheit
Andere Kinder sind zwar durchaus bereit, die Hausaufgaben zu
machen, aber nicht alleine. Sie fragen ständig nach, möchten
ihre Eltern die ganze Zeit neben sich haben und sind schnell
verunsichert.
Das Kapitel Selbständigkeit vermittelt daher Strategien, die
Ihnen dabei helfen, Ihr Kind Schritt für Schritt zu mehr
Selbständigkeit anzuleiten.
Überforderung
Schlussendlich gibt es Kinder, die mit den Hausaufgaben und
der Vorbereitung von Prüfungen schlicht überfordert sind. Sie
können die Rechenaufgaben nicht lösen, weil sie Lücken haben,
die weit zurückliegen. Sie lesen zu schlecht, um die Texte zu
verstehen, oder sie machen beim Schreiben so viele Fehler, dass
sie nicht mehr gewillt sind, Diktate zu üben.
In den Kapiteln Rechnen, sowie Lesen und Schreiben, lernen
Sie, wie Sie den Leistungsstand Ihres Kindes überprüfen können
und lernen Übungen kennen, die es Ihnen und Ihrem Kind
ermöglichen, Fortschritte zu machen und die Lücken
aufzuarbeiten.
12
Kinder motivieren
Was Kinder demotiviert und was sie motiviert
Warum lernen Kinder lesen, rechnen und schreiben? Warum
machen sie die Hausaufgaben? Was treibt sie dazu an?
Diese Frage stellen wir uns viel zu selten. Und wenn wir über
Antworten nachdenken, haben wir meist unsere ErwachsenenPerspektive im Kopf. Sie sollen lernen, weil es verlangt wird,
weil es wichtig ist, weil sie damit im späteren Berufsleben mehr
Chancen haben, eine gute Lehre oder ein Studium machen
können oder weil unsere Gesellschaft diese Fertigkeiten fordert.
Nichts davon interessiert ein siebenjähriges Kind.
Warum also lernt ein Kind begeistert lesen, während ein anderes
einen weiten Bogen darum macht? Warum macht ein Kind
direkt nach der Schule seine Hausaufgaben, während ein anderes
mit elterlichem Druck dazu gezwungen werden muss?
Es ist nicht leicht, darauf eine Antwort zu geben. Dennoch
gelingt es der Psychologie, ein wenig Licht ins Dunkle zu
bringen und das Verhalten unserer Kinder nicht nur zu erklären,
sondern auch Hinweise zu geben, wie Sie als Eltern die
Motivation mit beeinflussen können.
Grundbedürfnisse und Motive
Seit über hundert Jahren versuchen Psychologen zu ergründen,
was den Menschen antreibt. Dabei wurde über die Jahrzehnte
hinweg immer klarer, dass es einige fundamentale Bedürfnisse
sind, die uns zu Handlungen motivieren.
Epstein (1990) schlägt, aufbauend auf den Arbeiten anderer
Psychologen, vier psychologische Grundbedürfnisse vor, die
jedem Menschen zu eigen sind. Diese bestimmen neben
13
physiologischen Bedürfnissen wie dem Wunsch nach Nahrung,
Schlaf, Sexualität und einem Dach über dem Kopf unsere
Handlungen wesentlich mit. Diese Bedürfnisse möchte ich
Ihnen kurz vorstellen, um dann darauf einzugehen, wie sie die
Lernmotivation beeinflussen.
Ein Grundbedürfnis, das in der psychologischen Forschung seit
Jahrzehnten viel Beachtung findet, ist unser Wunsch nach
stabilen Bindungen zu anderen Menschen. Kinder zeigen von
Geburt an eine Vielzahl von Verhaltensweisen, um Nähe zu
ihren Eltern herzustellen. Später dehnt sich dieses
Bindungsbedürfnis auf weitere Menschen aus: Wir alle
versuchen aktiv, gute Beziehungen zu Freunden, Eltern,
Kindern, Verwandten und Partnern herzustellen. Bemerken wir,
dass sich eine bestimmte Handlung positiv auf unsere Beziehung
zu anderen Menschen auswirkt, wird diese als angenehm erlebt.
Neben verlässlichen Bindungen streben wir ein Gefühl von
Kompetenz und Kontrolle an. Wir möchten uns kompetent
fühlen, die Erfahrung machen, dass wir unsere Umwelt
beeinflussen und in unserem Sinne gestalten können und in der
Lage sind, vorherzusagen, was mit uns und der Welt um uns
herum passiert. Verlieren wir die Kontrolle, fühlen wir uns
frustriert, werden wütend und mit der Zeit hilflos und
deprimiert.
Des Weiteren möchten wir Unangenehmes vermeiden und
Angenehmes erleben. Wir möchten uns wohl fühlen, spannende
oder interessante Dinge entdecken, Gefühle wie Freude, Lust,
Entspannung erleben und Ängste, Stress und Schmerz
vermeiden.
Neben diesen drei Bedürfnissen, die wir mit höheren Tieren
teilen, gibt es noch ein weiteres Bedürfnis, das – soweit wir
wissen - nur dem Menschen zu Eigen ist: Wir möchten unseren
Selbstwert erhöhen und unser Selbstwertgefühl schützen. Wir
versuchen, die Anerkennung von anderen Menschen zu
14
gewinnen, wollen für unsere Arbeit und unsere Leistung
Wertschätzung erhalten und möchten verhindern, dass andere
Menschen uns abwerten oder geringschätzen.
Diese Bedürfnisse motivieren uns zu Handlungen. Wir
versuchen permanent, diese Bedürfnisse zu befriedigen und
Situationen und Handlungen zu vermeiden, die der
Verwirklichung dieser Grundbedürfnisse entgegenstehen. Grawe
(2004), ehemaliger Psychologie-Professor in Bern, weist darauf
hin, dass die Ziele, die wir im Laufe unseres Lebens bilden,
letztlich der Befriedigung dieser Bedürfnisse dienen.
Immer wenn wir etwas tun, registrieren wir bewusst oder
unbewusst, ob es uns durch diese Handlung oder in dieser
Situation gelingt, unsere Bedürfnisse zu befriedigen oder ob
dieses Verhalten oder diese Situation das Gegenteil bewirkt und
eine Gefahr für die Befriedigung dieser Bedürfnisse darstellt.
Mit zunehmender Erfahrung berechnen wir bereits im
Vornherein, ob uns eine bestimmte Handlung oder Situation der
Befriedigung dieser Bedürfnisse näher bringt oder uns
diesbezüglich eher schaden könnte.
Je nachdem sind wir motiviert, dieses bestimmte Verhalten zu
zeigen und die Situation aufzusuchen oder unsere Motivation ist
darauf ausgerichtet, das Verhalten und die Situation zu
vermeiden. Dabei spielen rationale Gründe eine viel geringere
Rolle als unsere bisherigen Erfahrungen und die Gefühle, die
damit assoziiert sind.
Nehmen wir einmal an, Ihnen würde vorgeschlagen, nächste
Woche für eine hübsche Summe ein Referat zu Ihrer
beruflichen Tätigkeit vor zweihundert Berufskollegen zu halten.
Überlegen Sie kurz, wie Sie darauf reagieren würden. Würden
Sie sich darauf freuen und sofort zusagen, oder würde es Ihnen
heiss und mulmig werden und Sie hätten das Gefühl: Nur das
nicht?
15
Blitzschnell und zu einem grossen Teil unbewusst haben Sie den
Vorschlag bewertet. Sie haben darüber nachgedacht, ob dies
eine Möglichkeit wäre, Ihren Selbstwert zu erhöhen („da kann
ich zeigen, was ich weiss und kann!“) oder ob es nicht vielmehr
eine Bedrohung für Ihr Selbstwertgefühl wäre („sicher bringe
ich dann keinen Ton heraus! Mein Gott, alle würden mich
anstarren! Das könnte peinlich werden!“). Sie haben sich
vielleicht gefragt, wie die Annahme oder Absage sich auf Ihre
Beziehungen auswirken würde („Es wäre eine Möglichkeit,
unseren Betrieb vorzustellen – mein Chef wäre sicher
enttäuscht, wenn ich absage“). Sie haben eventuell auch kurz
überschlagen, wie kontrollierbar die Situation für Sie klingt, und
kommen zu einer negativen oder positiven Einschätzung
(vielleicht würden Sie denken: „In einer Woche – das reicht nie,
um mich vorzubereiten! Was ist, wenn ich mitten drin den
Faden verliere? Und wenn jemand kritische Fragen stellt?“
Eventuell würden Sie sich aber auch sagen: „In einer Woche
kann ich problemlos einen spannenden Vortrag vorbereiten,
wenn ich das Wochenende dazu nutze. Vortragen an und für
sich kann ich gut und das Thema kenne ich schliesslich in- und
auswendig.“). Schliesslich haben Sie vielleicht auch darüber
nachgedacht, ob diese Erfahrung für Sie interessant, das Thema
spannend und das Halten des Vortrags angenehm wäre – oder
ob die ganze Sache nur zu Druck, Stress, Angst und einem
anstrengenden Wochenende führen würde.
Die Summe dieser unbewussten und bewussten, auf
vergangenen Erfahrungen und Gefühlen und Annahmen über
die Zukunft basierenden Bewertungen, führen schliesslich zu
einem bestimmten Gefühl und einer Zielsetzung wie:
„Hey das mache ich!“
oder
„Oh, das muss ich mir überlegen.“
16
Oder auch
„Alles, nur das nicht!“
Im ersten Fall gelangen Sie zur Einschätzung, dass sich das
Halten des Vortrags wahrscheinlich auf die Mehrheit oder gar
alle Bedürfnisse eher positiv auswirken wird, und sagen freudig
zu.
Im letzten Fall haben Sie das Gefühl, dass sich diese Möglichkeit
mit grosser Wahrscheinlichkeit negativ auswirken wird: Es
würde wahrscheinlich peinlich für Sie, die anderen wären sicher
enttäuscht über Ihren schlechten Vortrag und Sie hätten das
Gefühl, dass Sie sich auch nicht genügend vorbereiten könnten.
Vielleicht wären Sie auch zwiespältig, weil Sie beispielsweise
denken würden, dass Ihr Chef und Ihre Kollegen von Ihnen
erwarten, dass Sie die Gelegenheit beim Schopf packen, Sie sich
aber nicht sicher sind, ob Sie Ihre Sache gut machen können. In
diesem Fall sind Ihre Motive widersprüchlich: Ein Teil in Ihnen
möchte den Vortrag gerne halten, ein anderer möchte dies
vermeiden.
Bedürfnisse, Erfahrungen und Motive
Lassen Sie uns zwei Kinder und Ihre Mütter beim Lernen
beobachten und machen wir uns dazu einige Gedanken, wie die
Situationen von den Kindern und ihren Müttern erlebt werden:
Lena geht in die dritte Klasse und liest für ihr Leben gern. Sie
und ihre Mutter lesen fast jeden Abend zu zweit im Bett.
Abwechslungsweise lesen sie sich Seiten aus den Harry-Potter
Büchern vor, die manchmal so spannend sind, dass beide die
Zeit vergessen und Lena zu spät einschläft. Ihre Eltern und
sogar die Grosseltern sind sehr stolz auf Lenas Lesefertigkeiten.
Sie bekommt immer wieder Komplimente.
17
Markus geht mit Lena in die gleiche Klasse, hatte aber von
Beginn an Mühe, Lesen zu lernen. Vor einigen Wochen hat der
Lehrer zu Markus Mutter gesagt, dass Markus unbedingt mehr
üben muss, um seinen Rückstand aufzuholen. Die Übungen
gestalten sich als äusserst schwierig. Markus und seine Mutter
diskutieren oft eine halbe Stunde, bis Markus sich endlich darauf
einlässt. Korrigiert ihn seine Mutter, wird er wütend und
manchmal richtiggehend ausfällig. In der Schule weiss er oft
nicht, wo er weiterlesen soll, wenn er aufgerufen wird. Die
anderen Kinder der Klasse können sich ein Lachen ab und zu
nicht verkneifen, wenn er sich verliest. Hausaufgaben, die mit
Lesen zu tun haben, versucht Markus regelmässig zu
verschweigen.
Was erleben Lena und Markus während des Lesens und was
bedeutet dies für ihre Motivation?
Für Lena lassen sich die Erfahrungen wie folgt zusammenfassen:




Lesen gibt mir die Möglichkeit, in spannende
Geschichten einzutauchen. Lesen macht Spass!
Ich kann gut lesen und erhalte dafür viele Komplimente.
Meine Eltern und Grosseltern sind stolz auf mich. Lesen
ist gut für mein Selbstwertgefühl!
Während ich lese, verbringen meine Mutter und ich
schöne Momente miteinander. Lesen ist gut für die
Bindung zu meiner Mutter!
Ich werde immer besser. Während ich lese, fühle ich
mich kompetent!
Für Lena ist Lesen deshalb so positiv, weil es mit jedem
einzelnen Grundbedürfnis in einer positiven Beziehung steht.
Bei Markus sieht es anders aus. Seine Erfahrungen zeigen ihm,
dass Lesen für ihn eine Gefahr bedeutet:
18




Lesen ist blöd. Ich bin so langsam und benötige so viel
Zeit, um die Buchstaben zu entziffern, dass ich den
Inhalt gar nicht verstehe!
Wenn ich lese, lachen andere mich aus und geben mir
das Gefühl, ein Versager zu sein. Lesen ist schlecht für
mein Selbstwertgefühl.
Während ich lese, wird meine Mutter wütend mit mir.
Sie ist angespannt und enttäuscht von mir. Lesen
schadet der Beziehung zu meiner Mutter.
Ganz egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht
besser. Beim Lesen verliere ich die Kontrolle und fühle
mich hilflos.
Markus erlebt Lesen somit als Tätigkeit, die all seinen
Grundbedürfnissen schadet. Seine Erfahrungen, seine Gefühle,
seine Gedanken sagen ihm: Geh dem Lesen aus dem Weg!
Auch für die Mütter von Lena und Markus ist die Situation sehr
unterschiedlich. Lenas Mutter erlebt das Lesen mit ihrer Tochter
als eine Situation, die ihr Spass macht, schöne Erfahrungen mit
der Tochter zulässt und in der sie sich als Mutter bestätigt fühlt.
Auch ihre Bedürfnisse werden während des gemeinsamen
Lesens befriedigt: Sie wird daher entspannt in die Situation
gehen und sich auf die gemeinsame Lesezeit freuen.
Markus Mutter erlebt sich in der Situation wahrscheinlich als
ebenso hilflos wie ihr Sohn. Auch sie hat das Gefühl, dass sich
die Übungen negativ auf die Beziehung zu ihrem Kind
auswirken und auch ihr machen die Übungen keine Freude.
Wäre sie nicht davon überzeugt, dass es für Markus äusserst
wichtig ist, dass er besser lesen lernt, würde auch sie der
Situation am liebsten aus dem Weg gehen. So aber zwingt sie
sich dazu und merkt, wie sich ein flaues Gefühl in ihrem Magen
ausbreitet, noch bevor Markus von der Schule nach Hause
kommt. Die Anspannung steigt, je näher der Zeitpunkt des
Übens heranrückt.
19
Übung: Was erlebt mein Kind bei den Hausaufgaben und
beim Lernen?
Bevor wir uns Möglichkeiten ansehen, wie Sie als Eltern die
Motivation Ihres Kindes beeinflussen können, möchte ich
Ihnen gerne eine Übung vorschlagen.
Überlegen Sie sich, was Ihr Kind während den Hausaufgaben
und dem Lernen erlebt. Sie können die Übung entweder
allgemein für die Hausaufgaben durchführen oder sich fragen,
was bei Ihrem Kind während dem Lernen eines bestimmten,
problematischen Fachs abläuft:




Inwiefern erlebt Ihr Kind die Situation als lustvoll oder
unangenehm?
Wie ist die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Kind
während den Hausaufgaben / dem Lernen? Gibt es
Unterschiede zum Umgang miteinander in anderen
Situationen?
Inwiefern erlebt Ihr Kind die Hausaufgaben als
Bestätigung oder Bedrohung für sein Selbstwertgefühl?
Inwiefern macht es dabei die Erfahrung, dass es
Anerkennung erhält, Komplimente bekommt und stolz
auf das Erreichte sein darf? Inwiefern erlebt es
Misserfolge und muss mit Enttäuschungen und Kritik
umgehen?
Wie stark ist das Gefühl von Kontrolle bei den
Hausaufgaben und beim Lernen? Macht Ihr Kind
vorwiegend die Erfahrung, den Anforderungen
gewachsen zu sein, oder ist es überfordert und fühlt sich
hilflos?
Versuchen Sie die folgende Tabelle auszufüllen. Bleiben Sie
dabei ganz in der Rolle Ihres Kindes. Denken Sie nicht darüber
nach, was gut wäre oder warum sich Ihr Kind anders verhalten
sollte, versuchen Sie lediglich, die Hausaufgaben- und
20
Lernsituation aus der Sicht Ihres Kindes zu sehen, und
schreiben Sie auf der nächsten Seite auf, inwiefern während
dieser Situation die Bedürfnisse Ihres Kindes verletzt oder
befriedigt werden:
21
Bedürfnis
Was erlebt mein Kind?
Bedürfnis,
Angenehmes und
Interessantes zu
erleben /
Bedürfnis,
langweiligen und
schmerzvollen
Tätigkeiten aus dem
Weg zu gehen
Bedürfnis nach
schönen
Beziehungserfahrungen /
Bedürfnis, Streit
und Spannung zu
vermeiden
Bedürfnis nach
Anerkennung und
Wertschätzung /
Bedürfnis, das
eigene
Selbstwertgefühl zu
schützen
Bedürfnis nach
Kompetenz und
Kontrolle /
Bedürfnis,
Hilflosigkeit zu
vermeiden
22
Bedürfnisse und Begabung
Je besser es Ihrem Kind gelingt, während den Hausaufgaben,
dem Lesen, Rechnen und Schreiben seine Bedürfnisse zu
befriedigen, desto eher wird es sich zu diesen Tätigkeiten
hingezogen fühlen.
Je mehr seine Bedürfnisse verletzt werden, desto stärker wird
sein Wunsch sein, diese Beschäftigung zu vermeiden.
Wie gut es Ihrem Kind gelingt, seine Grundbedürfnisse während
den Hausaufgaben und dem Lernen zu befriedigen, hängt in
starkem Masse von seiner Begabung ab.
Lena, die eine hohe Begabung für das Lesen mitgebracht hat,
hat von Anfang an gute Erfahrungen mit dem Lesen gemacht.
Sie erlebte sich von Beginn an als kompetent, erhielt schon bald
erste Komplimente und konnte rasch so schnell und gut lesen,
dass sie sich auf die Geschichten konzentrieren konnte. Für ihre
Mutter war es ein leichtes, diese positive Dynamik zusätzlich zu
verstärken und das Lesen zu einem gemeinsamen Hobby
auszubauen.
Markus zeigte von Beginn an eine Schwäche beim Lesen. Sein
Gefühl von Kompetenz nahm von Monat zu Monat ab. Er
musste erfahren, wie die anderen Kinder an ihm vorbeiziehen
und manchmal über ihn lachen. Ein immer stärkeres Gefühl von
Kränkung und Hilflosigkeit tauchte auf, sobald er lesen musste
und bald empfand er Texte und Bücher als Bedrohung. Seine
Mutter hat es nicht einfach. Sie muss über hervorragende
pädagogische Kompetenzen verfügen, wenn sie bei dieser
Ausgangslage Erfolg haben und Markus von neuem zum Üben
motivieren will.
Wenden wir uns nun der Frage zu, was Eltern tun können, um
die Motivation ihrer Kinder zu fördern. Wie könnte es der
23
Mutter von Markus gelingen, Markus Vermeidungstendenzen
abzubauen und Lesen zu einem positiveren Erlebnis zu machen?
Wie Eltern die Motivation beeinflussen können
Als Eltern können Sie die Motivation Ihres Kindes mit
beeinflussen – im positiven wie im negativen Sinn. Die
folgenden Kapitel geben Ihnen konkrete Hinweise, wie Sie die
Hausaufgaben und das Lernen in positiver Weise mit den
Bedürfnissen Ihres Kindes verknüpfen können.
Vermitteln Sie Ihrem Kind ein Gefühl von Kontrolle und
Kompetenz
Wir alle möchten Gefühlen der Hilflosigkeit aus dem Weg
gehen. Wenn wir wiederholt die Erfahrung machen, dass wir
trotz Anstrengung Misserfolge erleben, verlieren wir nicht nur
die Motivation, uns dieser Tätigkeit zuzuwenden, nein, es baut
sich eine gegenteilige Motivation auf, diese Tätigkeit zu
vermeiden.
Viele Kinder sind bei den Hausaufgaben und beim Lernen
demotiviert, weil sie die Situation als unkontrollierbar und sich
selbst als inkompetent erleben.
Nicht gut rechnen, lesen oder schreiben zu können, bedeutet für
ein Kind, immer wieder Misserfolge erleben zu müssen, im
Unterricht nicht mitzukommen, schlechte Noten zu erhalten,
die Eltern zu enttäuschen und manchmal auch, das Gelächter
und die Hänseleien anderer Kinder zu ertragen. Die
Hausaufgaben im jeweiligen Fach werden zur Tortur. Häufig
lässt sich mit der Zeit ein Teufelskreis (vgl. Betz & Breuninger,
1998) beobachten, in den Eltern und Kind geraten:
Die Schwierigkeiten in einem Fach führen zunächst zu einer
vermehrten Anstrengung auf beiden Seiten – Eltern und Kinder
geben sich mehr Mühe beim Üben und wenden zusätzliche Zeit
24
auf. Manchmal wird dadurch das Problem gelöst. Manchmal
jedoch nicht. Gelingt es nicht, ist es sehr wahrscheinlich, dass
sich der Teufelskreis entwickelt. Wenn die Bemühungen nichts
nützen und die Misserfolge trotz zusätzlichem Üben bestehen
bleiben, löst dies beim Kind und wahrscheinlich auch bei Ihnen
als Eltern negative Gefühle aus. Diese reichen von Frust,
Enttäuschung und damit verbundenen Vorwürfen und
Selbstvorwürfen bis hin zu Ängsten und Hoffnungslosigkeit.
Negative Gedanken begleiten die Gefühle und äussern sich in
Sätzen wie: „Ich werde das nie lernen“, „Schreiben kann ich
einfach nicht“, „ich bin zu dumm für Mathe“, „du gibst dir
einfach zu wenig Mühe“ bis hin zu „ich bin ein Versager“ und
„du strengst dich nicht genügend an!“.
Der Teufelskreis lässt sich folgendermassen darstellen:
Kind und Eltern
erleben Misserfolge
Misserfolge führen
zu negativen
Gedanken und
Gefühlen
Die Lücken werden
grösser
Lernen wird
unangenehmer und
vom Kind
vermieden
25
Befindet sich das Kind in diesem Teufelskreis, macht es immer
wieder die gleiche Erfahrung: Wenn ich mich mit meinem
Problemfach beschäftige, verliere ich die Kontrolle. Ich fühle
mich inkompetent und verwirrt!
Als Erwachsene können wir manchmal gar nicht mehr
nachvollziehen, wie unangenehm diese Erfahrung ist – weil wir
uns unser Leben so eingerichtet haben, dass es auf unseren
Stärken aufbaut und wir unsere Schwächen umgehen können.
Etwas nicht zu verstehen, während die Erklärungsversuche der
Menschen um uns herum immer frustrierter klingen, ist eine
schlimme Erfahrung. Bereits wenn alle über einen Witz lachen
und wir die einzige Person in der Gruppe sind, die die Pointe
nicht verstanden hat, fühlen wir uns unwohl, vielleicht sogar
etwas dumm. Wenn uns unser Chef in eine neue Aufgabe
einführt und wir anhand seiner Blicke und der Art, wie er es
erklärt, merken, dass wir es längst begriffen haben sollten, wird
es richtig unangenehm. Wenn wir diese Erfahrung täglich
machen, fühlen wir uns so bedroht, dass wir uns als Erwachsene
nach einer neuen Stelle umsehen.
Ein Kind kann seinen Beruf nicht wechseln. Es muss weiter zur
Schule, wird weiter mit seinem Problemfach konfrontiert. Aber
es wird dennoch versuchen, allem, was mit diesem Fach zu tun
hat, so gut es geht aus dem Weg zu gehen. Es wird die
Hausaufgaben in der Schule vergessen oder nur widerwillig
lösen. Es wird trödeln, immer wieder aufstehen, um etwas zu
trinken, auf die Toilette zu gehen oder aus dem Fenster zu
schauen. Jede Ablenkung ist willkommen. Nun wird es
scheinbar notwendig, mehr Druck aufzusetzen, um das Kind
zum Lernen zu bewegen.
Die Eltern möchten, dass ihr Kind mehr übt – das Kind möchte
dies aufgrund vieler schlechter Erfahrungen unbedingt
vermeiden. Es entwickelt sich ein Machtkampf, bei dem meist
26
beide verlieren. Das typische Resultat sieht so aus, dass sich das
Kind nach einigem Protest dazu überreden lässt, eine bestimmte
Zeit lang zu lernen – allerdings ohne sich richtig darauf
einzulassen. In der Folge werden die Lücken grösser und die
Misserfolgserlebnisse nehmen zu.
Manche Kinder wirken mit der Zeit tatsächlich faul und
desinteressiert. Sie finden Mathe „blöd“ und unwichtig. Die
schlechten Noten scheinen ihnen egal zu sein.
Gehen Sie als Eltern bei einem Primarschulkind nicht davon
aus, dass dies tatsächlich so ist. Es ist für ein Kind schlicht
erträglicher, in etwas schlecht zu sein, das unwichtig und blöd ist
- es schützt damit sein Selbstwertgefühl. Diese Haltung wird
verschwinden, sobald sich Fortschritte einstellen.
Dieses Buch soll Sie und Ihr Kind dabei unterstützen, nicht in
diesen Teufelskreis zu geraten oder – falls sie sich bereits darin
befinden – ihn zu durchbrechen. Dies ist umso schwieriger, je
länger diese negative Dynamik bereits besteht. Es lohnt sich,
früh einzugreifen, wenn sich erste Schwierigkeiten abzeichnen.
Wenn die Probleme schon länger bestehen, braucht es mehr
Geduld und Ausdauer, um eine positive Entwicklung in Gang
zu setzen. Verbesserungen lassen sich aber trotzdem erzielen.
Es stellt sich nun die Frage, wie Sie und Ihr Kind aus diesem
Teufelskreis herauskommen oder wie Sie gar nicht erst
hineingeraten!
27
Den Teufelskreis durchbrechen
Damit Ihr Kind aus diesem Teufelskreis herausfindet oder gar
nicht erst hineingerät, muss es sich als kompetent erleben. Die
folgenden Erfahrungen helfen ihm dabei:
1. Ich bin in der Lage, die Aufgaben zu lösen und
Fortschritte zu machen
2. Meine Anstrengungen führen zu Erfolgen
3. Ich kann mit Misserfolgen umgehen
4. Ich kann mitbestimmen, wie die Hausaufgaben und das
Lernen zu Hause ablaufen
Sehen wir uns diese Punkte der Reihe nach an.
Ermöglichen Sie Ihrem Kind Erfolge und Fortschritte
Erfolge sagen uns: „Ich kann etwas“, „Ich mache Fortschritte“,
„Es lohnt sich, sich anzustrengen und zu üben“.
Sie bereiten uns Freude, machen uns stolz, erhöhen unser
Selbstvertrauen und unsere Bereitschaft, uns anzustrengen und
unser Bestes zu geben. Erfolge verändern unser Denken, unsere
Einstellung und führen oft zu weiteren Erfolgen. Der
Volksmund sagt: Nichts macht so erfolgreich wie der Erfolg.
Es ist daher zentral, dass Ihr Kind bei den Hausaufgaben und
beim Lernen Erfolge erlebt. Ist dies der Fall, erlebt Ihr Kind
positive Gefühle wie Freude und Stolz, die die
Annäherungstendenz stärken und damit die Motivation
erhöhen, sich wieder mit dem Problemfach auseinanderzusetzen
und die Hausaufgaben zu machen.
28
Anstelle eines Teufelskreises können wir uns einen Lösungskreis
vorstellen:
Kind und Eltern
erleben Erfolge
Erfolge führen zu
positiven Gefühlen
und Gedanken
Die Lücken werden
kleiner
Das Lernen wird
angenehmer
- das Kind macht
wieder mit
Falls Ihr Kind in einem Fach eine Schwäche hat, stellt sich die
Frage, wie Sie Ihrem Kind Erfolge vermitteln. Einige Prinzipien
und Vorgehensweisen werden Ihnen dabei helfen.
29
Passen Sie sich beim Üben dem Leistungsniveau und den
Fähigkeiten des Kindes an
Lernen wir ein Instrument, beginnen wir mit Fingerübungen
und einfachen Stücken und steigern uns langsam. Beim Tennis
üben wir einzelne Schläge immer wieder ein und spielen jeweils
gegen Gegner, denen wir gewachsen sind. Der Lehrling in der
Firma wird zunächst mit einfacheren Aufgaben betraut und darf
sich mit wachsenden Fertigkeiten an immer Schwierigeres
wagen.
Auch das Lernen in der Schule unterliegt diesem schrittweisen
Vorgehen. So fängt der Mathematikunterricht mit einfachen
Rechnungen an und geht erst später zu komplexeren
Rechenprozeduren über. Die simpleren Prozeduren sind dabei
eine Voraussetzung für komplexere Rechnungen. Wenn wir das
Plusrechnen im Zehnerraum nicht beherrschen, können wir
keine schriftlichen Additionen lösen, und wenn wir die
schriftliche Addition nicht verstanden haben, können wir
schriftliche Multiplikationen nicht lösen.
Bevor wir mit schwierigeren Rechenprozeduren umgehen
können, ist es notwendig, die einfacheren zu beherrschen. Aus
diesem Grund werden in der Schule die einfacheren zuerst
vermittelt. Das einzige Problem dabei ist:
Es wird weitergegangen, wenn die meisten Kinder eine Rechenprozedur
beherrschen oder bestimmte Fertigkeiten im Lesen oder Schreiben erworben
haben – die meisten, nicht alle.
In der Schule wird im Klassenverband gelernt und trotz
Stützkursen für schwächere Schüler ist es nicht möglich, jedes
Kind so stark individuell zu fördern, wie dies nötig wäre.
30
Sie als Eltern können Ihrem Kind bei Schwierigkeiten diese
individuelle Unterstützung bieten. Damit Ihre Hilfe wirksam ist,
müssen Sie:
1. In Erfahrung bringen, wo die ersten Lücken Ihres
Kindes auftauchen
2. Wissen, wie sich diese Lücken wirksam aufarbeiten
lassen
Sehr oft ist es bei Lernschwierigkeiten notwendig, einen oder
mehrere Schritte zurückzugehen und dort anzusetzen, wo das
Kind ausgesetzt und den Schulstoff nicht oder nur mangelhaft
verstanden hat.
Sobald Sie wissen, wo sich die erste Lücke Ihres Kindes befindet
und wie Sie diese aufarbeiten können, werden Fortschritte und
Erfolgserlebnisse wieder möglich. Sie drücken sich noch nicht
direkt in Schulnoten aus, aber Ihr Kind wird merken, wie es sich
verbessert, sich freuen und neuen Mut schöpfen.
Wie Sie bei Ihrem Kind Lücken aufspüren und diese mittels
geeigneter Übungen aufarbeiten können, erfahren in den
Kapiteln zu den einzelnen Fächern.
Sehen wir uns zunächst noch einige weitere Möglichkeiten an,
bei Ihrem Kind ein Gefühl von Kontrolle und Kompetenz zu
fördern.
Vermitteln Sie Ihrem Kind, dass seine Anstrengungen
etwas bewirken
Natürlich möchten Eltern, dass Ihre Kinder gut in der Schule
sind. Das Problem dabei ist, dass zu hohe Erwartungen die
Motivation des Kindes untergraben können. Die Forschung
31
zeigt, dass es gut ist, wenn Eltern hohe Erwartungen haben, die
sich aber an den aktuellen Leistungen des Kindes orientieren.
Dabei hat sich in vielen Studien gezeigt, dass es die Motivation
und die Leistung von Kindern erhöht, wenn Eltern die Leistung
des Kindes mit seinen vorherigen Leistungen und nicht mit den
Leistungen der Klassenkameraden vergleichen. In der
Psychologie wird dies als Vergleich mit der individuellen
Bezugsnorm bezeichnet (Rheinberg, 2002). Findet ein Vergleich
mit der Klasse statt, spricht man von sozialer Bezugsnorm.
Der Vergleich mit der vorherigen Leistung ist insbesondere bei
schwächeren Kindern wichtig. Sie können sich zunächst nur
hinsichtlich dieser Norm verbessern.
Sehen wir uns daher etwas genauer an, wie Beurteilungen auf
diesen beiden Normen aussehen und welche Wirkung diese
zeigen.
Gemessen an der individuellen Bezugsnorm hat jemand eine
gute Leistung gezeigt, wenn er sich im Vergleich zu früher
verbessert hat.
Gemessen an der sozialen Bezugsnorm hat jemand eine gute
Leistung gezeigt, wenn er besser ist als andere in der
Vergleichsgruppe.
Nehmen wir dazu an, dass sich ein 35 jähriger Mann, Herr X,
der in seinem Leben kaum Sport getrieben hat, mit etwas
Übergewicht zu kämpfen hat und bis vor kurzem Raucher war,
dazu entschlossen hat, sich in Form zu bringen. Er tritt einem
Leichtathletik-Verein bei, um zweimal in der Woche zu
trainieren. Das Training in diesem Verein beginnt jeweils mit
Aufwärm- und Dehnübungen und einem zwanzig minütigen
Lauf. Beim ersten Training hustet sich Herr X fast die Lunge aus
dem Leib und verfällt nach fünf Minuten in Schritt-Tempo,
32
während die anderen ihre Runden drehen. Beim dritten
Training, eine Woche später, hustet er bereits deutlich weniger
und es gelingt ihm, eine Runde mehr zu joggen, bevor er den
Rest der Strecke gehen muss.
Nehmen wir an, unser junger Herr trifft auf Trainer A, ein
leistungsorientierter Sportler, der sein Team beim nächsten
Wettkampf auf dem Podest sehen will. Was wird ihm dieser
Trainer zurückmelden? Wahrscheinlich wird er ihm zu verstehen
geben, dass er im Vergleich zu den anderen viel zu langsam ist.
Vielleicht wird er neben ihm herlaufen und Dinge sagen wie:






Schneller, das geht doch schneller!
Es heisst Lauf-Training, nicht Geh-Training!
Komm schon, die anderen überrunden dich bald.
Das kommt halt vom Rauchen!
Reiss dich ein wenig zusammen.
Seitenstechen ist normal, du musst einfach weiterlaufen
und dich auf die Atmung konzentrieren.
Vielleicht zeigt er auch lediglich mit Blicken, dass er mit der
Leistung unzufrieden ist, fordert ihn dazu auf, mehr zu
trainieren und spricht von den Wettkämpfen, Teamleistung und
der Notwendigkeit, an die Grenzen zu gehen.
Wie wird wohl Herr x auf dieses Training reagieren? Die
Wahrscheinlichkeit ist gross, dass nach zwei, drei Wochen
Schluss ist. Der Trainer ist vielleicht sogar froh, dass „der Typ
endlich eingesehen hat, dass das nichts für ihn ist“ und fühlt sich
darin bestätigt, dass er gleich gesehen hat „dass dem der nötige
Biss fehlt!“
Trainer B geht ganz anders vor. Er fragt den Neuankömmling
zunächst, ob er schon einmal Leichtathletik betrieben hat und
ob er bisher viel Sport gemacht hat. Er erfährt, dass dies nicht
der Fall ist und der Beitritt in den Verein einen Versuch
33
darstellt, gesünder zu leben, etwas abzunehmen und sich nach
langen Jahren des Rauchens wieder in Form zu bringen.
Als er sieht, wie der junge Mann beim Einlaufen husten muss,
läuft er neben ihm her und sagt ihm Dinge wie:




Lauf ein wenig langsamer, es ist nicht gut, wenn du dich
gleich zu Beginn überanstrengst…so verlierst du nur die
Lust.
Lass die anderen vorbeiziehen…die machen das schon
Jahre…lauf einfach in deinem Tempo…
Sehr gut…konzentriere dich auf deine Atmung…lauf
nur so schnell, dass du noch gut durch die Nase
einatmen kannst.
Du kannst zwischendurch auch gehen und wieder etwas
laufen, wenn du dich erholt hast…
Dieser Trainer beobachtet unseren Kandidaten und registriert
kleine Veränderungen. Auch in der dritten Woche ist Herr X
weit davon entfernt, mit den anderen mithalten zu können.
Umso wichtiger ist es für ihn, dass sein Trainer seine
Fortschritte sieht und ihm zurückmeldet:




Ja…das klappt schon sehr gut mit der Atmung…ich
habe dich heute noch kein einziges Mal husten gehört…
Weisst du noch, beim ersten Training musstest du nach
zwei Runden gehen…und jetzt schaffst du fast vier…
Du läufst viel weicher und runder als zu Beginn…das ist
besser für die Gelenke…
Hast du auch das Gefühl, dass es schon bedeutend
leichter geht?
Wie wird sich Herr X bei diesem Training fühlen? Wie werden
sich die Rückmeldungen auf seine Motivation auswirken?
34
Was wird Herr X erreichen mit einem Trainer, der sich an
seinem
individuellen
Leistungsstand
orientiert,
die
Anforderungen in kleinen Schritten erhöht und auf bisherige
Fortschritte hinweist? Wie wird sich ein Klima, in dem sich Herr
X ganz auf sich und seine Fortschritte konzentrieren kann und
in dem er erleben darf, dass seine Anstrengungen zu
Verbesserungen führen, auf seinen Durchhaltewillen auswirken?
Wenn wir der Forschung – und unserer Intuition – glauben
dürfen, wird Herr X nicht nur mehr Freude am Laufen
empfinden, sondern auch zuversichtlicher werden, was seine
eigenen Leistungen anbelangt und auch tatsächlich bessere
Leistungen erbringen als bei Trainer A, der ihn ständig mit den
anderen vergleicht.
Studien zur Bezugsnorm-Orientierung (vgl. Krampen, 1987;
Lüdke & Köller, 2002; Rheinberg und Krug, 1998) zeigen, dass
vor allem schwächere Schüler von Vergleichen auf dieser
individuellen Bezugsnorm profitieren. Gute Schüler, die
überzeugt sind, durch ihre Anstrengungen zu den Besten
gehören zu können, werden durch soziale Vergleiche ebenfalls
motiviert. Ähnlich dürfte es den besten Läufern im Team gehen.
Sie können von Trainer A durchaus profitieren und werden
durch Hinweise auf den Wettkampf, die Leistung
konkurrierender Läufer etc. zusätzlich angespornt.
Wenn Sie die Erfolgszuversicht, die Anstrengungsbereitschaft
und die Leistung Ihres Kindes fördern möchten, gilt daher:
Je schwächer Ihr Kind in einem Fach ist, desto wichtiger ist es,
dass Sie ihm Rückmeldungen auf der individuellen Bezugsnorm
geben.
Solche Rückmeldungen können folgendermassen lauten:
35



Du hast schon viel weniger Gross- und
Kleinschreibfehler gemacht als beim letzten Mal.
Die Siebener-Reihe kannst du schon viel besser!
Ich fand es toll, wie viel Mühe du dir bei der
Vorbereitung der letzten Prüfung gegeben hast – ich
möchte, dass du das diesmal wieder so machst.
Einem Lehrer, den ich in guter Erinnerung habe, gelang es auf
diese Weise, auch die schwächsten Schüler zur Mitarbeit zu
motivieren.
Unter den ungenügenden Noten von Schülern, die in einem
oder allen Fächern Mühe hatten, standen immer wieder
Kommentare wie:



Du hast dir dieses Mal sehr viel Mühe gegeben! Weiter
so!
Kein einziges Mal „das“ und „dass“ verwechselt. Bravo!
Schau beim nächsten Test noch mehr auf die Grossund Kleinschreibung.
Du hast die Wörter dieser Lektion sehr gut gelernt!
Wenn du noch mehr darauf achtest, ob die Verben in
der Grundform oder im passé composé stehen, könntest
du nochmals viele Fehler vermeiden. Ich kann dir dazu
gerne Übungsblätter geben.
Es fanden sich aber durchaus auch kritische Kommentare unter
den Prüfungen, wenn sich ein Schüler keine Mühe gab:

Du hast dich weiter verschlechtert. Ich weiss, dass du
besser sein kannst, wenn du dir mehr Mühe gibst und
ich erwarte, dass du dich wieder mehr anstrengst.
Die Schüler machten die Erfahrung, dass der Lehrer genau
hinsah, wusste, wo jeder steht und Veränderungen wahrnahm.
Man konnte sich als guter Schüler weder auf den Lorbeeren
36
ausruhen, noch hatte man als schlechter Schüler das Gefühl,
abgestempelt zu sein. Man wusste, dass man sich Anerkennung
und Lob durch Anstrengung und individuelle Fortschritte
verdienen kann und es sich daher lohnt, sich Mühe zu geben.
Übung: Kinder individuell beurteilen
Überlegen Sie für sich, wo es für Ihr Kind besonders wichtig
wäre, auf einer individuellen Bezugsnorm Rückmeldungen zu
erhalten:



Hat Ihr Kind in einem Fach Mühe? Würde es in diesem
Fach von einer individuelleren Beurteilung profitieren?
Kann Ihr Kind sich nicht lange konzentrieren? Würde es
daher lernen, sich stärker zu fokussieren, wenn Sie in
diesem Bereich kleine Veränderungen registrieren und
Fortschritte rückmelden?
Hat Ihr Kind Schwierigkeiten, selbständig zu arbeiten?
Wäre es daher sinnvoll, ihm auf dieser Ebene kleinere
Fortschritte bewusst zu machen?
Schreiben Sie hier auf, in welchem Bereich Sie besonders darauf
achten möchten, dass Sie Ihr Kind auf einer individuellen
Bezugsnorm beurteilen:
__________________________________________________
__________________________________________________
Überlegen Sie sich jeweils vor den Hausaufgaben oder dem
Lernen, auf welche Veränderungen und Fortschritte Sie achten
könnten und wie Sie diese rückmelden möchten.
37
Führen Sie Erfolge und Misserfolge auf Anstrengung
zurück
Wie man sich nach einem Erfolg oder Misserfolg fühlt und wie
man in der Folge damit umgeht, hängt ganz entscheidend davon
ab, auf welche Ursachen man diese zurückführt (Heider, 1958;
Weiner, Frieze, Kukla, Reed, Rest & Rosenbaum, 1971).
Erleben wir einen Misserfolg, beispielsweise eine schlechte Note
in einer Mathematik-Prüfung, können wir diesen nach Weiner
und seinen Mitarbeitern (1971) auf äussere oder innere Gründe
sowie auf überdauernde oder kurzfristige Ursachen
zurückführen. Sehen wir uns diese Erklärungsweisen kurz an:
Innere, stabile Gründe:


Ich bin einfach zu dumm
Für Mathematik bin ich nicht begabt
Innere, variable Gründe



Ich habe mich zu wenig angestrengt und zu wenig
gelernt
Ich habe im Unterricht zu wenig aufgepasst
Ich habe zu spät mit dem Lernen angefangen
Äussere, stabile Gründe:

Dieser Lehrer erklärt das so bescheuert, da ist es doch
klar, dass ich es nicht verstehe
Äussere, variable Gründe:

38
Das war Pech, ich habe
Flüchtigkeitsfehler gemacht
ein
paar
dumme

Diese Prüfung war zu schwer, fast alle hatten eine
schlechte Note
Wie wirken sich diese verschiedenen Erklärungen nun auf die
Motivation und Bereitschaft, sich auf die nächste
Mathematikprüfung vorzubereiten, aus? Und wie fühlen wir uns,
je nachdem, wie wir uns Erfolge und Misserfolge erklären?
Die Attributionsforschung, wie die Forschung zu den
verschiedenen Ursachenerklärungen genannt wird, gibt uns
einige wichtige Hinweise.
Wie die Forschung zeigt, freuen wir uns, wenn wir Erfolge auf
unsere Fähigkeiten zurückführen können, verlieren aber schnell
die Motivation, wenn wir bei Misserfolgen glauben, nicht
genügend begabt zu sein (vgl. Heckhausen, 1978; Meyer, 1973).
Es konnte in mehreren Untersuchungen gezeigt werden, dass
Menschen, die Herausforderungen anpacken, zuversichtlich sind
und Erfolge anstreben, sich eigene Erfolge und Misserfolge ganz
anders erklären als Menschen, die in Leistungssituationen
ängstlich reagieren und sich wenig zutrauen.
Menschen, die erfolgszuversichtlich sind, suchen sich Aufgaben
aus, die realistisch, aber anspruchsvoll sind. Erleben sie Erfolge,
führen sie dies auf ihre Anstrengung und ihre Begabung zurück.
Bei Misserfolgen denken sie, dass sie sich zu wenig Mühe
gegeben haben oder auch mal Pech im Spiel war.
Bei Menschen, die leistungsängstlich sind, sich wenig zutrauen
und bei Schwierigkeiten schnell aufgeben, findet sich das
umgekehrte Muster. Sie suchen sich gerne Aufgaben aus, die
sehr leicht sind, oder solche, die so schwierig sind, dass ein
Scheitern nicht peinlich wäre. Erfolge führen sie meist auf
äussere Umstände zurück und glauben, dass sie nur Erfolg
hatten, weil die Prüfung so leicht war oder sie Glück hatten.
39
Misserfolge führen sie hingegen auf mangelnde Fähigkeiten
zurück (vgl. Heckhausen, 1972; 1975).
Dieses Muster führt bei den leistungsängstlichen Schülern dazu,
dass sie subjektiv viel mehr Misserfolge erleben und ein
negatives Muster von Überzeugungen aufbauen.
Sie unterschätzen dabei ihre eigenen Fähigkeiten und
Möglichkeiten („ich bin eh zu dumm“, „ich kann das nicht“),
überschätzen die Schwierigkeit der Aufgabe („das schaffe ich
nie“, „das ist so ein Berg, das kann man gar nicht alles lernen“)
und überschätzen die negativen Konsequenzen eines
Misserfolgs („dann würden mich alle auslachen“, „dann würden
alle wissen, wie dumm ich bin“).
Leistungssituationen werden als unkontrollierbar erlebt, wenn
möglich vermieden oder unter Angst ausgehalten.
Wie Kinder mit Misserfolgen und Erfolgen umgehen, hängt
stark davon ab, was ihre Eltern ihnen vorleben und wie die
Eltern bei Erfolgen und Misserfolgen reagieren. Dabei spielen
die unscheinbaren Kommentare, die die Eltern nach erfolgreich
gelösten oder ungelösten Aufgaben abgeben, eine wichtige
Rolle.
In Studien wurde untersucht, was passiert, wenn Mütter ihren
Kindern durch ihre Rückmeldungen vermitteln, dass
Leistungsfähigkeit vor allem mit Begabung zu tun hat. In diesem
Fall waren die Primarschulkinder nach sechs Monaten nicht
einmal mehr bereit, sich auf neue Aufgaben einzulassen. Mütter,
die sich dagegen bemühten, Kindern zu vermitteln, dass ihre
Erfolge und Misserfolge insbesondere mit der Anstrengung zu
tun haben und den Kindern vor allem Wertschätzung zeigten,
wenn sich diese Mühe gaben, konnten das Kompetenzerleben
und die Bereitschaft, sich anzustrengen, bei ihren Kindern
40
fördern (vergleiche Pomeranz, Grolnik & Price 2005; Pomeranz,
Ng & Wang, 2006).
Es ist daher hilfreich, wenn Sie als Eltern Ihrem Kind immer
wieder vermitteln, dass seine Leistungen von seinen
Anstrengungen abhängen. Dies gelingt besonders gut, wenn Sie
seine Leistungen auf der individuellen Bezugsnorm beurteilen.
Bemerkungen, die sich schädlich auswirken und beim Kind dazu
führen können, dass es nicht mehr gewillt ist, sich anzustrengen,
können folgendermassen lauten:





Bei uns in der Familie haben alle Mühe mit Mathe – das
war bei mir auch schon so.
Dein Bruder ist halt eher der Rechner und du eher
diejenige, die gut im Lesen und Schreiben ist.
Schreiben ist halt weniger deine Stärke.
Das hatten wir doch gestern! Du hast ein Gedächtnis
wie ein Sieb.
Schreiben kannst du weniger gut, aber dafür bist du im
Rechnen stark.
Zu dieser Art von Rückmeldung gehören auch Kommentare zu
anderen Personen, während das Kind dabei ist und diese hören
kann („Rechnen kann sie gar nicht gut – sie versteht es einfach
nicht.“, „Er schreibt wie er will, er kann sich das Schriftbild
schlicht nicht einprägen. Die Schulpsychologin hat ihn auch
getestet – er hat Legasthenie.“
Auch wenn ein Kind tatsächlich eine Schwäche in einem Fach
aufweist, sollten seine Ergebnisse zumindest zum Teil auf seine
Anstrengungen zurückgeführt werden:

Hey, das klappt doch schon besser. Toll, dass du dich so
anstrengst!
41




Ich weiss, dass dir das Lesen Mühe macht – umso
wichtiger ist es, dass wir mehr üben. Du kannst dich
verbessern, wenn wir dranbleiben.
Wenn wir jeden Tag zehn Minuten das Einmaleins üben,
wirst du ganz sicher besser darin. Wir müssen uns nur
Mühe geben.
Toll, wie du dir Mühe gibst.
Ich weiss, dass du enttäuscht bist wegen der schlechten
Note. Wollen wir uns die Prüfung nochmal anschauen?
Vielleicht sehen wir dann, wie du dich das nächste Mal
besser vorbereiten kannst.
Wie Carole Dweck (2007) in ihrem Buch „Selbstbild“ zeigen
konnte, spielt es eine untergeordnete Rolle, ob die Erklärungen
für Erfolg und Misserfolg „wahr“ sind, weil mit der Zeit beide
Erklärungsmuster dazu tendieren, wahr zu werden.
Menschen, die glauben, dass ihre Leistung vor allem von ihrer
Anstrengung abhängt, entwickeln bessere Lern- und
Arbeitsstrategien, probieren vieles aus, lernen dabei aus Erfolgen
und Misserfolgen und entwickeln ein dynamisches Selbstbild. Sie
glauben: Ich bin, was ich aus mir mache – ich kann alles lernen,
alles werden. Sie sind bereit, sich anzustrengen und machen
daher auch häufig die Erfahrung, dass Anstrengung sich lohnt.
Menschen, die hingegen glauben, dass Talent und Begabung die
alles bestimmenden Faktoren sind und es insbesondere darum
geht, intelligent und begabt zu sein, haben Angst vor
Misserfolgen. Diese würden beweisen, dass sie nicht so „begabt“
und „talentiert“ sind. Aus diesem Grund weichen sie
Herausforderungen aus und widmen sich lieber nur Aktivitäten,
bei denen der Erfolg ihnen sicher ist. So waren beispielsweise
Studierende, die ein statisches Selbstkonzept aufwiesen und
Intelligenz und Begabung grosses Gewicht beimassen, nach
einigen Misserfolgen im Studium nicht mehr bereit, sich
anzustrengen. Dadurch bestätigt sich natürlich auch dieses
42
Selbstbild: Diese Studierenden konnten gar nicht die Erfahrung
machen, dass sie ihre Fertigkeiten durch höhere Anstrengung
verbessern konnten.
Übung: Hilfreiche Rückmeldungen geben
Kinder entwickeln eine höhere Anstrengungsbereitschaft und
ein hilfreicheres Selbstkonzept, wenn wir ihre Erfolge auf ihre
Anstrengungen und Begabungen zurückführen und bei
Misserfolgen klar verdeutlichen, dass sich jedes Kind, einfach
jeder Mensch, durch Übung verbessern kann.
Dies ist auch oder gerade dann wichtig, wenn ein Kind eine
Lernschwäche
hat.
Ein
Kind
mit
einer
LeseRechtschreibschwäche oder einer Rechenschwäche muss
unbedingt die Erfahrung machen, dass sich das Üben lohnt. Es
braucht bei Misserfolgen das Gefühl, dass es sich dennoch
verbessern kann, und es braucht Eltern, die Erfolge – und seien
sie noch so klein – sehen und diese mit den Anstrengungen des
Kindes in Verbindung bringen.
Überlegen Sie sich für diese Übung, wie Sie auf Erfolge und
Misserfolge Ihres Kindes reagieren:


Wie reagieren Sie, wenn Ihr Kind eine Aufgabe geschafft
oder nicht geschafft hat?
Wie reagieren Sie bei guten und schlechten Noten?
Schreiben Sie sich während einigen Tagen Ihre Reaktionen auf
und überlegen Sie sich, ob Sie:


Noch deutlicher zeigen könnten, dass sich Ihr Kind
seine Erfolge verdient hat.
Misserfolge da sind, um daraus zu lernen und beim
nächsten Mal klüger vorzugehen oder sich mehr
anzustrengen.
43
Je mehr ein Kind das Gefühl bekommt, dass es Erfolge durch
Anstrengung erwirken kann und aus Misserfolgen lernen darf,
desto mehr entwickelt sich sein Gefühl von Kompetenz und
Kontrolle.
Lassen Sie Ihr Kind mitbestimmen
Das Gefühl der Kontrolle hängt auch vom Recht auf
Mitbestimmung ab. Damit Kinder ein Gefühl von Kontrolle
erleben können, müssen wir Erwachsene bereit sein, in
altersgerechter Weise mehr und mehr Kontrolle abzugeben. Auf
die Frage, wie viel Mitbestimmung und Kontrolle ein Kind
erhalten sollte, lautet die Antwort:
Ein Kind sollte in dem Masse Kontrolle und Mitbestimmungsrecht
erhalten, in dem es verantwortungsvoll damit umgehen kann.
Kontrollieren die Eltern zu viel, kann das Kind seine
Kompetenzen nicht weiterentwickeln. Kontrollieren sie zu
wenig, ist das Kind überfordert.
Kontrolle kann in Form von kurzen Experimenten an das Kind
abgegeben werden.
Frau Steiner diskutierte beispielsweise fast täglich mit ihrer
Tochter über den Beginn der Hausaufgaben. In einem Ratgeber
hatte sie gelesen, dass es am besten ist, wenn ein Kind nach der
Schule eine halbe Stunde Pause macht und dann die
Hausaufgaben erledigt. Ihre Tochter sah dies anders. Sie hatte
den Wunsch, die Hausaufgaben vor dem Abendessen machen
zu dürfen. Wir vereinbarten daher in der Beratung ein
zweiwöchiges Experiment, das in der Form des folgenden
Vertrags festgehalten wurde:
Vertrag
44
1. Die folgenden zwei Wochen darf ich, Sabrina, bestimmen,
wann ich die Hausaufgaben machen will. Meine Mutter gibt
dazu keine Kommentare ab und fordert mich nicht dazu auf.
2. Ich trage selbst die Verantwortung dafür, dass die
Hausaufgaben vor dem Abendessen gut und vollständig
erledigt sind. Dafür berechne ich genügend Zeit ein.
3. Falls ich die Hausaufgaben an vier von fünf Tagen vor dem
Abendessen gut und vollständig gemacht habe, verlängert
sich dieser Vertrag um weitere zwei Wochen.
4. Falls ich in den zwei Wochen die Hausaufgaben mehr als
zweimal vor dem Abendessen nicht gemacht habe, darf
meine Mutter bestimmen, wann ich die Aufgaben machen
soll.
Unterschrift Sabrina Pfister:___________________________
Unterschrift Helene Pfister:___________________________
Mit Hilfe des Vertrags wird für Sabrina deutlich, dass sie mit der
neuen Freiheit mehr Verantwortung tragen muss. Die Mutter
kann durch den experimentellen Charakter gelassener sein und
sich darauf beschränken, zu beobachten, ob sich Sabrina an die
Abmachung hält. Hält sie sich nicht daran, zeigt sie damit, dass
sie noch nicht bereit ist, die Verantwortung zu tragen, und gibt
der Mutter das Recht zurück, sie wieder stärker zu kontrollieren.
Wichtig erscheint mir, dass das Kind die Regel nicht immer
befolgen muss, sondern lediglich zu einem hohen Prozentsatz.
Denn seien wir ehrlich: Wie oft sagen wir Erwachsene, dass wir
etwas bis am Tag x oder Ende Woche erledigen werden und
halten uns doch nicht daran? In diesem Sinne sollten wir von
unseren Kinder erwarten, dass sie Regeln und Versprechen
einhalten – aber auch nicht mehr Disziplin von ihnen einfordern
als von uns selbst.
45
Neben der Tageszeit, zu der die Hausaufgaben gemacht werden,
können Kinder auch mitbestimmen, wo die Aufgaben erledigt
werden oder in welcher Art sie unterstützt werden möchten.
Übung: Kontrolle abgeben
Überlegen Sie sich, wo Sie mehr Kontrolle und Verantwortung
an Ihr Kind abgeben könnten. Suchen Sie sich einen Bereich aus
und diskutieren Sie mit Ihrem Kind darüber, ob es bereit oder
gewillt wäre, für diesen Bereich mehr Verantwortung zu
übernehmen. Beispiele wären:



Was meinst du, wäre es möglich, dass du von jetzt an
die Schulsachen selbst packst?
Du sagst immer, dass du in deinem Zimmer nicht so
gut lernen kannst. Willst du es diese Woche so machen,
dass du andere Orte im Haus ausprobierst und schaust,
ob es dort besser geht?
Es nervt dich immer sehr, wenn ich dich für die
Leseübung aus deinem Spiel heraushole. Aber ich bin
mir eben nicht sicher, ob du es machen würdest, wenn
ich dich nicht rufe. Was meinst du, wollen wir es
ausprobieren? Ich rufe dich eine Woche lang nicht,
dafür kommst du zu mir, wenn du bereit bist?
Sie können sich auch überlegen, ob Ihr Kind Unterstützung
bräuchte, um die Verantwortung übernehmen zu können:


Wollen wir zuerst zusammen eine Checkliste machen,
damit du beim Einpacken nichts vergisst?
Soll ich dich jeweils nach der Schule erinnern, dass wir
die Leseübung machen müssen oder möchtest du, dass
ich dir beim Spielen den Wecker stelle, damit er dich
daran erinnert?
Zusammenfassung
46
Ein Gefühl von Kontrolle und Kompetenz ist für uns
Menschen höchst bedeutsam. Kinder möchten sich genauso wie
Erwachsene kompetent fühlen. Sie möchten, dass ihre
Anstrengungen etwas bewirken und ihre Handlungen zum
Erfolg führen. Sie möchten mitdenken und mitbestimmen
können.
Sie können als Eltern dazu beitragen, indem Sie:
 Die Schwierigkeit der Aufgaben dem Leistungsstand
Ihres Kind anpassen (mehr dazu im finden Sie in den
Kapiteln zu den einzelnen Fächern).
 Ihrem Kind vermitteln, dass es in der Lage ist,
Fortschritte zu machen, indem sie es auf einer
individuellen Bezugsnorm beurteilen.
 Ihm bei Erfolgen und Misserfolgen Rückmeldungen
geben, die ihm verdeutlichen, dass seine Erfolge
aufgrund seiner Anstrengung und seiner Kompetenzen
zustande kamen und Misserfolge passieren dürfen und
man aus ihnen lernen kann.
 Ihrem Kind mehr und mehr Kontrolle und
Verantwortung übertragen.
Zusätzlich können Sie Ihrem Kind wirksame Lernstrategien
vermitteln, um seine Kompetenz zu erhöhen. Hinweise dazu
finden Sie im Kapitel „Lernstrategien“.
Neben dem Bedürfnis nach Kompetenz und Kontrolle haben
wir uns mit weiteren Grundbedürfnissen vertraut gemacht.
Sehen wir uns als nächstes an, wie das Bedürfnis nach
Anerkennung und Selbstwertschutz positiv mit den
Hausaufgaben und dem Lernen verknüpft werden kann.
Zeigen Sie Ihrem Kind Anerkennung
47
Unser Bedürfnis nach Anerkennung und Selbstwertschutz
beeinflusst uns in Leistungssituationen in hohem Masse. Wir
geben uns in vielen Situationen Mühe, weil wir die Anerkennung
und die Wertschätzung anderer Menschen erlangen, diese
beeindrucken oder auf uns selbst stolz sein möchten.
Gleichzeitig möchten wir verhindern, dass wir in Situationen
geraten, in denen wir uns schämen müssen oder andere von uns
enttäuscht sind.
Gelingt es Ihnen als Eltern, Ihrem Kind beim Lernen und bei
den Hausaufgaben zu zeigen, dass Sie sich mit ihm über Erfolge
freuen, stolz auf seine Fortschritte sind und es sich bei
Schwierigkeiten nicht schämen muss, sondern mit Ihrer
Unterstützung rechnen kann, ist vieles gewonnen.
Loben Sie Ihr Kind
Loben Sie Ihr Kind, wenn es Fortschritte macht. Zeigen Sie
Ihrem Kind immer wieder, wie schön es ist, dass es bei den
Übungen mitmacht, und wie stolz Sie sind, wenn es Erfolge
erzielt.
Nicht allen Eltern fällt dies leicht. Einige haben Angst, ihre
Kinder zu verwöhnen, andere glauben, Lob müsse durch grosse
Leistungen verdient werden.
Dabei gilt jedoch: Je mehr Schwierigkeiten ein Kind in der
Schule hat, desto mehr ist es auf Momente angewiesen, in denen
es stolz sein darf und Anerkennung erhält.
Ein Kind mit Lernschwierigkeiten wird täglich von neuem
frustriert – es braucht viel Lob und Ermutigung, um dies
wettzumachen. Sie brauchen keine Angst zu haben, es zu
verwöhnen.
48
Wie loben Sie Ihr Kind? Wie ermutigen Sie es bei
Schwierigkeiten? Sicher fällt Ihnen vieles dazu ein. Eltern in
unseren Seminaren ermutigen ihre Kinder mit kleinen
Kommentaren, wie:



















„gut“
„schon viel schneller“
„weiter so“
„richtig“
„du wirst ja immer besser“
„ja“
„so lerne ich richtig gern mit dir“
„schön, dass du dir so Mühe gibst“
„das geht doch wirklich besser als letzte Woche“
„bravo“
„das hast du sehr flüssig vorgelesen“
„hey, du hast kein einziges Mal „dass“ und „das“
verwechselt“
„die 5er Reihe kannst du unheimlich schnell“
„ähm, stimmt, es gibt 49 – du bist ja schneller als ich!“
„ich finde es toll, dass du in den letzten fünf Minuten so
konzentriert mitgemacht hast“
„schön, dass du es nochmal probiert hast“
„du bist schon seit zwei Tagen bei den Hausaufgaben
nicht mehr wütend geworden – ich bin stolz auf dich“
„du bist pünktlich!“
„so, jetzt haben wir aber einiges erreicht – machen wir
für heute Schluss“
Sie können Ihrem Kind auch nonverbal zeigen, dass Sie mit ihm
zufrieden sind und das Üben angenehm ist:
 Streichen Sie ihm übers Haar
 Schauen Sie es oft an
 Nehmen Sie es in den Arm
49





Blinzeln Sie ihm schelmisch zu
Legen Sie ihm die Hand auf die Schulter
Lächeln Sie es an
Werfen Sie ihm einen liebevollen Blick zu
Nicken Sie bei richtigen Antworten
Werden Sie sich bewusst, welche Leistung Ihr Kind erbringt,
wenn es beispielsweise bereit ist, die Hausaufgaben in seinem
Problemfach ohne Motzen und Murren zu erledigen. Es braucht
sehr viel Disziplin, sich in einer Tätigkeit zu üben, die einem
keine Freude bereitet. Wie schwierig das ist, weiss jeder, der
selbst schon versucht hat, etwas trotz Unlustgefühlen
konsequent durchzuziehen. Ich selbst habe es jedenfalls noch
nie länger als zwei bis drei Wochen geschafft, jeden Tag 15
Minuten zu joggen. Zeigen Sie Ihrem Kind auch bei schlechten
Leistungen, dass Sie auf seine Mitarbeit stolz sind.
Achten Sie gleichzeitig darauf, dass Sie Ihr Kind für seine
Anstrengungen und gutes Mitmachen bei den Übungen loben
und weniger für gute Noten. Werden Kinder ausschliesslich bei
guten Zeugnissen und Prüfungsergebnissen belohnt oder gelobt,
können mit der Zeit Prüfungsängste entstehen (Schnabel, 1998).
Die Kinder entwickeln das Gefühl, Leistungen seien notwendig,
um Zuwendung zu erhalten, und fürchten sich, diese zu
verlieren, wenn sie schlechtere Noten nach Hause bringen.
Besonders beunruhigend ist dies deshalb, weil wir
Prüfungsergebnisse lediglich beeinflussen, aber nicht
kontrollieren können.
Ein gesundes Selbstwertgefühl entwickelt Ihr Kind dann, wenn:


50
Sie ihm immer wieder zeigen, wie gern Sie es haben –
ohne dass es sich diese Zuneigung durch Leistungen
oder „brav sein“ verdienen muss.
Sie sich Zeit nehmen, um mit Ihrem Kind schöne
Stunden zu verbringen.




Sie Ihrem Kind verdeutlichen, dass es etwas kann,
wenn es sich Mühe gibt.
Sie sich bei guten Noten zwar mit ihm freuen, ihm aber
nicht zu verstehen geben, dass Sie gute Leistungen für
das Wichtigste im Leben halten.
Sie bei schlechten Noten für Ihr Kind da sind, den
Misserfolg nicht zu tragisch nehmen, und es ermutigen.
Die schlechte Note ist für Ihr Kind schlimm genug und
elterliche Enttäuschung wird es kaum motivieren.
Sie Ihr Kind auf seine Stärken hinweisen und diese
hervorheben.
Vielleicht sind diese Hinweise für Sie eine Selbstverständlichkeit
– dann freue ich mich. Falls nicht, dann möchte ich Sie
ermutigen, Ihre Haltung in diese Richtung zu verändern. Ihrem
Kind wird es dadurch besser gehen und es wird bereit sein,
motivierter mitzuarbeiten.
Machen Sie Fortschritte sichtbar
Kinder sind stolz, wenn sie sehen können, wie sie sich
verbessern. Fortschritte motivieren mehr, wenn sie gut sichtbar
sind.
Sie können sich überlegen, wie Sie Ihrem Kind seine
Fortschritte verdeutlichen könnten. Wenn Sie das Einspluseins
und Einsminuseins mit Ihrem Kind üben, dann können Sie
beispielsweise vereinbaren, dass Sie jede Woche am
Sonntagabend einen kleinen Test machen und Ihr Kind
während 10 Minuten Rechnungen abfragen. Die in dieser Zeit
richtig gelösten Rechnungen werden zusammengezählt und
jeweils auf einem Blatt eingetragen und mittels einer Kurve
verbunden, bis das Ganze aussieht wie ein Aktienkurs von
Dagobert Duck. Ähnliche Grafiken können Sie mit der Anzahl
51
richtig geschriebener Wörter oder der Anzahl in 10min gelesener
Wörter erstellen:
Anzahl richtige Rechnungen
Anzahl richtige Rechnungen
47
38
22
10
1. Woche
2. Woche
3. Woche
4. Woche
Einige Kinder wollen bereits eine saubere Computergrafik dazu,
andere zeichnen lieber eine hübsche Tabelle. Kinder übertreffen
sich gerne selbst und geben sich während des Übens unter der
Woche Mühe, um am Sonntag wieder etwas besser zu sein.
Andere Kinder freuen sich, wenn man sie beim Rechnen oder
Lesen auf Video- oder Tonband aufnimmt und ihnen einige
Wochen oder Monate später anhand der Bänder zeigt, wie sehr
sie sich schon verbessert haben.
Vielleicht sind auch gelesene Bücher im eigenen Bücherregal
Ihres Kindes ein Zeichen dafür, wie viel es bereits geleistet hat.
Gewinnen Sie die Lehrerin für Ihr Programm
Die Lehrerin oder der Lehrer ist für Primarschulkinder eine der
wichtigsten Bezugspersonen. Ein aufrichtiges Lob von dieser
Seite ist Gold wert. Sie können die Lehrperson Ihres Kindes
52
informieren, woran Sie mit ihm arbeiten und sie darum bitten,
auf (kleinere) Fortschritte zu achten. Kinder wissen: Lob von
dieser Person ist ernst gemeint und wichtig; sie sind sich
bewusst, dass der Lehrer sie am besten einschätzen kann. Eine
gute Note ist dabei gar nicht so wichtig. Kinder freuen sich
bereits, wenn ihre Anstrengungen ernst genommen und
Fortschritte anerkannt werden.
Eine Mutter erzählte uns, dass ihr Kind ganz aus dem Häuschen
war und den ganzen Weg nach Hause gerannt ist – die Note war
zwar nur einen halben Punkt besser und immer noch
ungenügend, aber die Lehrerin hatte einen kleinen Kleber auf
der Prüfung angebracht und „toll, dass du dir so Mühe gibst“
hinzu geschrieben.
Sprechen Sie vor anderen positiv über Ihr Kind
Manche Kinder können direktes Lob nicht so gut annehmen.
Dann ist es hilfreich, wenn sie indirekt vor anderen gelobt
werden.
Vielleicht freut sich Ihr Kind, wenn es hört, wie Sie am Telefon
zur Grossmutter sagen: „Ja, sie ist einverstanden, dass wir jeden
Abend im Bett eine Viertelstunde lesen. Ich habe das Gefühl, sie
ist dadurch schon sehr viel besser geworden…ja, sie macht
problemlos mit - da bin ich echt froh…ja, ich bin auch stolz auf
sie…“
Oder Sie treffen beim Einkaufen auf eine Bekannte und Ihr
Kind hört mit, wie Sie sagen: „Bei Martin war es genauso. Er
hatte ziemliche Schwierigkeiten mit dem Rechnen, aber
inzwischen geht es deutlich besser. Er gibt sich auch sehr viel
Mühe bei den Hausaufgaben – er macht das richtig gut!“
Zusammenfassung
53
Je mehr Ihr Kind während den Hausaufgaben und dem Lernen
Stolz empfinden darf, je mehr Wertschätzung und Anerkennung
es für seine Anstrengungen und Fortschritte erhält, desto
positiver wird es das Lernen empfinden und desto bereitwilliger
wird es sich darauf einlassen.
Je weniger es Lern- und Leistungssituationen als Bedrohung für
sein Selbstwertgefühl empfindet, je seltener es Abwertung oder
Enttäuschung erleben und sich schämen muss, desto weniger
Ängste wird es entwickeln und desto weniger muss es
versuchen, Lernsituationen zu vermeiden.
Als Eltern können Sie dazu beitragen, indem Sie:





Ihre Anerkennung offen zeigen
Fortschritte sichtbar machen
Grosszügig mit Wertschätzung und Lob reagieren, wenn
Ihr Kind sich anstrengt
Zeigen, dass Sie auf Misserfolge gelassen reagieren und
diese als Möglichkeit sehen, sich zu verbessern
Vor anderen Personen wertschätzend über ihr Kind
sprechen und es nicht abwerten
Übung: Anerkennung zeigen
Bei dieser Übung möchte ich Sie dazu einladen, darüber
nachzudenken, wie stark der Wunsch, Anerkennung zu erhalten
oder Ihr Selbstwertgefühl zu schützen, mit verschiedenen
Leistungsbereichen verknüpft ist. Je nachdem, ob Sie in Ihrer
Vergangenheit bei den entsprechenden Tätigkeiten häufiger
Gefühle von Stolz oder Scham erlebt haben, werden Sie die
Neigung haben, diese Tätigkeit heute zu vermeiden oder
aufzusuchen. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie im Kreis von
Freunden und Bekannten – vielleicht bei einem „witzigen“
Abend - dazu aufgefordert würden:
54






Die Karten zusammenzurechnen?
Einen Text laut vorzulesen?
Bei einem kleinen Diktat-Wettbewerb mitzumachen
oder schwierige Wörter zu buchstabieren?
Ein Lied vorzusingen ?
Zu einem Lied zu tanzen?
Eine Turnübung zu demonstrieren?
Welche Erinnerungen steigen in Ihnen hoch, wenn Sie an diese
Tätigkeiten denken? Welche Momente der Freude und des
Stolzes? Welche Demütigungen und peinlichen Situationen? Wie
stark wirken diese noch nach? Und wie wirken sie sich heute auf
Ihr Verhalten aus?
Überlegen Sie auch, welche Reaktionen Ihrer Eltern Sie
geschätzt haben und welche Sie weniger hilfreich fanden, wenn
Sie Erfolge und Misserfolge erlebt haben oder wenn Sie sich
grosse Mühe gegeben haben.
Neben dem Bedürfnis nach Kompetenz und Kontrolle sowie
dem Bedürfnis nach Anerkennung und Selbstwertschutz, haben
wir das Bedürfnis nach stabilen und guten Bindungen als
zentrales Grundbedürfnis kennengelernt. Auch dieses kann
während den Hausaufgaben und dem Lernen in positiver oder
negativer Weise aktiviert werden und die Motivation reduzieren
oder erhöhen.
Motivieren Sie Ihr Kind über die Beziehung
Die Erfahrung, dass die wichtigsten Bezugspersonen, allen
voran die Eltern, auf das Lernen positiv reagieren, ist für Kinder
eine sehr motivierende Erfahrung.
Kinder lernen im Primarschulalter zu einem Grossteil, weil sie
von der Lehrerin und den Eltern gemocht werden möchten.
55
Machen sie hingegen die Erfahrung, dass diese Beziehungen sich
während des Lernens verschlechtern, empfinden sie dies als
Bedrohung, der sie sich entziehen möchten.
Bei Einzelberatungen ist es hilfreich, den Umgang zwischen
Eltern und ihren Kindern zu filmen und dabei auf Unterschiede
zu achten. Oft zeigt sich bei den Videos ein eklatanter
Unterschied in der Beziehung je nachdem, ob über die Schule
oder andere Inhalte gesprochen wird.
Oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass Eltern in der ersten
Sitzung begeistert von ihren Kindern erzählen, es dabei immer
wieder liebevoll ansehen, warm und herzlich sind, es anlächeln
und ihr Kind in derselben Weise reagiert. Man sieht, dass sich
Kind und Eltern richtig gern haben. Geht das Gespräch jedoch
über zur Schule, zum Lernen und den damit verbundenen
Problemen, ändert sich fast augenblicklich etwas in der
Beziehung. Eltern und Kind werden anders und:







Verdrehen die Augen
Werden kühler und distanzierter
Verteidigen und rechtfertigen sich voreinander
Machen sich gegenseitig Vorwürfe und geben sich
wechselseitig die Schuld
Werden angespannt
Äussern Kritik und Ärger
Lehnen sich zurück oder werden in ihrer Gestik heftiger
Oft dreht es sich beim Gespräch in der ersten Sitzung um die
Frage, weshalb das Kind nicht motiviert ist und sich bockig
verhält. Es werden Theorien aufgestellt und mögliche Ursachen
vorgebracht. An dieser Stelle ist es heilsam, wenn sich Eltern
und Kind je eine Minute einen Gesprächsausschnitt ansehen, in
dem sie über das Hobby des Kindes und über die Schule
sprechen. Die Wirkung ist insbesondere dann frappant, wenn
man den Ton ausschaltet und nur auf die Körpersprache achtet.
56
Einige Forscher und Lernpsychologen, die Videoaufnahmen
benutzten oder Eltern in Lern- und Hausaufgabensituationen
beobachteten oder befragten, kommen zum Schluss, dass die
Gefühle, die die Eltern während den Hausaufgaben und dem
Lernen zeigen, einen grossen Einfluss auf das kindliche
Verhalten, seine Motivation und Anstrengungsbereitschaft
haben. Sind Kinder bei den Hausaufgaben überfordert, zeigen
sie fast zwangsläufig negative Emotionen, die es auch
wahrscheinlich machen, dass ihre Eltern mit Frustration, Ärger
und Anspannung reagieren. Schaffen es die Eltern hingegen,
eine positive Atmosphäre zu bewahren, können sie damit
Gefühle der Hilflosigkeit beim Kind reduzieren und ihm ein
Gefühl von Sicherheit vermitteln. Das Kind lernt, dass
schulische Probleme sich nicht negativ auf die Beziehung zu
seinen Eltern auswirken und kann sich diesen mit mehr
Gelassenheit und Zuversicht stellen (mehr dazu findet sich in
den Arbeiten von Fuligni, Yip & Tseng, 2002; Hokoda &
Fincham, 1995; Jansen & Streit, 2006; Pomeranz, Wang und Ng,
2005).
Je mehr Schwierigkeiten ein Kind hat, desto schwieriger wird es
für seine Eltern, positiv, zuversichtlich und zugewandt zu
bleiben. Gleichzeitig ist es gerade bei dieser Ausgangslage
besonders wichtig.
Damit ist aber nicht gemeint, dass Sie dem Kind jedes Verhalten
durchgehen lassen sollten. Wir werden im nächsten Unterkapitel
auf die Frage zu sprechen kommen, wie Sie reagieren können,
wenn Ihr Kind trotzig reagiert oder Sie in ewige Diskussionen
verwickelt.
Eine gute Beziehung zum Kind ist die Grundvoraussetzung,
damit Lob und Anerkennung wirksam werden können. Die
Beziehung wirkt jedoch noch auf anderen Ebenen.
Schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre
57
Sie können die Motivation Ihres Kindes erhöhen, indem Sie eine
angenehme Umgebung schaffen. Eine gemütliche Leseecke
kann zum Lesen einladen, abendliches Vorlesen das Interesse an
Büchern wecken und ein schön gebundenes Tagebuch oder eine
Brieffreundschaft zum Schreiben verführen. In Studien konnte
gezeigt werden, dass Eltern auf diese indirekte Weise zum
Schulerfolg ihrer Kinder beitragen können (vgl. Pomerantz,
Moorman & Litwack, 2007).
Kleine Gesten, mit deren Hilfe Sie Ihre Zuneigung während den
Hausaufgaben und dem Lernen ausdrücken, können das Lernen
auf positive Weise mit dem Bindungsbedürfnis des Kindes
verknüpfen. Manche Kinder geniessen es, wenn sie während den
Hausaufgaben etwas umsorgt werden und die Eltern ab und zu
nachfragen, ob alles klappt, ihnen vielleicht etwas zum
Knabbern bringen und ihr Interesse am Kind zeigen. Jüngere
Kinder geniessen es meist, wenn man sie während den
Hausaufgaben kurz drückt, ihnen übers Haar fährt oder ihnen
die Hand auf die Schulter legt.
Für mich selbst war es besonders wichtig, dass jemand im
gleichen Raum war. Ich konnte meine Hausaufgaben unmöglich
in meinem Kinderzimmer machen – ich hätte mich dabei sehr
isoliert gefühlt. Es fiel mir alles viel leichter, wenn ich die
Aufgaben in der Küche machen konnte, während meine Mutter
das Essen vorbereitete oder im Wohnzimmer, während meine
Mutter die Wäsche bügelte oder mein Vater die Arbeiten seiner
Schüler korrigierte. Das geht mir heute noch so: Oft schreibe ich
meine Bücher im Café, im Zug oder zu Hause im Wohnzimmer,
während meine Frau Bilder malt – alleine in meinem Büro an
der Universität lenkt mich alles Mögliche ab und ich verliere
bereits nach wenigen Minuten jegliche Lust am Weiterarbeiten.
Viele Kinder schätzen es sehr, wenn sie ihre Hausaufgaben in
der Nähe ihrer Eltern machen können. Dabei ist es in vielen
58
Fällen nicht nötig, dass sich die Eltern inhaltlich auf die
Hausaufgaben einlassen – es reicht aus, wenn die Eltern im
gleichen Raum einer anderen Aufgabe nachgehen. Auf diese
Weise können sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl und eine
schöne Arbeitsstimmung entwickeln. Die Geräusche, die dabei
entstehen, haben auf viele Kinder eher eine beruhigende als eine
ablenkende Wirkung. Hat das Kind die Tendenz, viele unnötige
Fragen zu stellen, wenn Sie in der Nähe sind, ist es hilfreich,
wenn Sie ebenfalls einer Arbeit nachgehen, die Ihre volle
Aufmerksamkeit verlangt. Vermitteln Sie dem Kind, dass Sie
sich auf Ihre Arbeit konzentrieren müssen und am Ende
vorbeischauen und seine Fragen beantworten.
Vermitteln Sie dem Kind, dass Sie ihm etwas zutrauen
Das Vertrauen anderer Menschen, ihr Glaube an uns und unsere
Fähigkeiten, kann uns ungeheuer anspornen und viele leidvolle
Erfahrungen auffangen.
Nora Völker, meine Geschäftspartnerin, litt unter einer LeseRechtschreibschwäche, die ihr die Primarschulzeit unheimlich
erschwerte. Ihre Diktate kamen trotz grösster Anstrengungen
immer rot und mit der schlechtesten Note zurück. Fragt man sie
heute, was in dieser schwierigen Zeit das Wichtigste für sie war,
sagt sie: „Dass meine Eltern trotz allem nie den Glauben an
mich verloren haben.“
Immer wieder treffe ich auf Erwachsene, die mir berichten, wie
sie unter einer Schwäche litten, wie sie jeglichen Glauben an sich
verloren hatten und dann auf eine Lehrerin oder einen Lehrer
trafen, der an sie geglaubt hat – und wie sie diese Erfahrung
gerettet hat.
Die Forschung konnte zeigen, dass die Erwartungen der Eltern
über das kindliche Potential nicht nur dessen Wohlbefinden,
sondern auch die Leistungen mit beeinflussen. Im Rahmen einer
längeren Studie konnte nachgewiesen werden, dass sich Kinder,
59
deren Eltern an ihre Kompetenz glaubten, nach neun Monaten
selbst als kompetenter wahrnahmen und bessere Leistungen
zeigten. Dabei scheint die Überzeugung der Eltern eine noch
grössere Rolle zu spielen als diejenige der Lehrkräfte (mehr zu
diesem Thema findet sich in den Arbeiten von Pomerantz,
Grolnick & Price, 2005; Jodl, Michael, Malanchuk, Eccles &
Sameroff, 2001)
Wenn Kinder mit ihren Eltern lernen, schauen sie diesen nach
dem Lösen einer Aufgabe meistens ins Gesicht. Ob Mutter und
Vater in diesem Moment in den meisten Fällen lächeln oder
nicken oder ob sie einen verärgerten Gesichtsausdruck
aufsetzen, wird mit der Zeit darüber entscheiden, ob ihr Kind
gerne lernt oder diese Situation so gut wie möglich zu umgehen
versucht.
Über die Beziehung können Sie als Eltern sehr viel Einfluss
darauf nehmen, wie Ihr Kind das Lernen erlebt. Schaffen Sie es,
beim Kind positive Gefühle zu wecken, indem Sie Wärme und
Zuneigung zeigen, loben, bei Fehlern aufmuntern, auf
Fortschritte, richtig gelöste Aufgaben oder richtig geschriebene
Wörter hinweisen, werden sich diese Gefühle mit der Zeit
immer stärker ans Lernen koppeln.
Natürlich wird Ihnen dies schwer fallen, wenn Ihr Kind trotzig
ist und sich verweigert – im Kapitel „Mein Kind macht nicht mit
– wie soll ich reagieren“ finden Sie daher konkrete Strategien,
wie Sie mit solchem Verhalten umgehen können.
Schauen wir uns zuvor noch genauer an, wie wir auf das letzte
Bedürfnis eingehen können, das Bedürfnis nach lustvollen
Erlebnissen.
Schliessen Sie mit Ihrem Kind einen Vertrag ab
Falls ein Kind Schwierigkeiten in einem Fach hat, sind evtl.
zusätzliche Übungen nötig. Dabei helfen kurze, tägliche
60
Übungen von 10 bis 15 Minuten am meisten, wenn es gilt,
Lücken aufzuarbeiten und neue Fertigkeiten zu lernen. Viele
Kinder nehmen die Übungen ernster und sind eher bereit, ohne
murren zu beginnen und die vereinbarten Zeiten einzuhalten,
wenn zuvor ein offizieller Vertrag abgeschlossen wird.
Lustvoller werden die Übungen durch kleine Belohnungen, die
ebenfalls im Vertrag festgehalten werden. Falls Sie einen
Vertrag mit Ihrem Kind aufsetzen möchten, können Sie sich an
den folgenden Fragen orientieren:




Was soll erreicht werden?
Was tun Eltern und Kind, damit das Ziel erreicht
werden kann? Wie wird es getan?
Wann wird gelernt? Wie lange? Bis wann gilt der
Vertrag?
Wie wird das Kind für seine Anstrengungen belohnt?
Natürlich muss ein Vertrag auch von allen Partnern
unterschrieben werden.
Die Belohnungen können die Motivation des Kindes
beträchtlich erhöhen, sollten jedoch mit Bedacht eingesetzt
werden. Mit Belohnungen sollte sparsam umgegangen werden –
auf keinen Fall sollte beim Kind die Erwartung aufgebaut
werden, dass es immer etwas bekommt, sobald es etwas für die
Schule tut. Das Erledigen der Hausaufgaben und das Lernen für
Prüfungen gehören zu den Pflichten Ihres Kindes und sollten
nicht zusätzlich belohnt werden.
Für die zusätzliche Zeit und Anstrengung, die Ihr Kind
aufgrund seiner Schwierigkeiten und der bestehenden Lücken in
der nächsten Zeit wird aufwenden müssen, können Sie mittels
kleiner Belohnungen einen Ausgleich schaffen.
Diese sollten eher nicht aus materiellen Dingen wie Geld oder
Spielzeug bestehen, wobei es auch hier sinnvolle Ausnahmen
61
gibt: Ein Kind mit einer Rechtschreibschwäche, das sich bereit
erklärte, während den Sommerferien jeweils ein Übungsblatt pro
Tag zu lösen, wollte unbedingt ein Lego-Schloss. Die Eltern
gingen darauf ein, zählten die Legosteine, teilten sie durch 25
(die Anzahl der Übungstage) und gaben ihm für jedes gelöste
Übungsblatt weitere Steine. Am Ende der Sommerferien stand
die Burg – als sichtbares Zeichen für die Anstrengungen des
Kindes. Die Eltern berichteten mir, dass ihr Kind ungeheuer
stolz auf die Burg war und allen Verwandten, die zu Besuch
kamen, erzählte, dass es dafür jeden Tag geübt hatte.
Besonders sinnvoll sind kleinere Belohnungen, die oft vergeben
werden können oder Freizeitaktivitäten mit den Eltern. Die
Kinder diskutieren hier gerne mit und können Ihnen als Eltern
helfen, Belohnungen zu finden, die sie anspornen. Manche
Kinder möchten lieber täglich etwas Kleines, andere sparen
lieber auf eine grössere Belohnung am Wochenende. Die
folgenden Beispiele aus unserer Praxis können Ihnen bei der
Suche nach einer passenden Belohnung helfen:
Beispiele für tägliche Belohnungen:




„An den Übungstagen darf ich 10 Minuten länger
aufbleiben.“ (Der Renner in unserer Praxis)
„Wenn ich beim Lernen gut mitgemacht habe, darf ich
mit meiner Mutter ein Spiel meiner Wahl spielen.“
„Mein Vater liest mir vor dem ins Bett gehen etwas
vor.“
„Ich darf 10 Minuten länger fernsehen.“
Beispiele für Belohnungen am Wochenende:
Wenn ich an 4 Tagen beim Lernen gut mitgemacht habe, dann
darf ich am Wochenende:
62









„Mit meinem Vater nach Einbruch der Dunkelheit mit
einer Taschenlampe einen Waldspaziergang machen.“
„In den Zoo.“
„Mit meinem Vater Fussball spielen.“
„Mit meiner Mutter etwas basteln.“
„Das Sonntagsessen wünschen.“
„Einen (etwas) grusligen Film schauen.“
„Zusammen mit einem Freund im Garten im Zelt
übernachten.“
„Beim Spielen schummeln.“
„Mit der Familie an einen Fluss oder See fahren und
dort grillieren.“
Belohnungen, die direkt nach dem Lernen gegeben werden, sind
wirksamer. Wenn Ihr Kind lieber am Ende der Woche eine
grössere Belohnung möchte, empfiehlt es sich, ihm jeweils
gleich nach dem Lernen einen Gutschein oder Punkt, z.B. in
Form eines kleinen Aufklebers zu geben, den es später gegen die
Belohnung eintauschen kann.
Achten Sie darauf, dass Sie Ihrem Kind keine Punkte
wegnehmen. Hat es in einer Woche nur drei Punkte gesammelt,
so darf es zwar dieses Wochenende die Belohnung noch nicht
einfordern, aber die Punkte für die nächste Woche sparen.
Erfahrungsgemäss wollen die Kinder die Belohnung wegen
eines Punktes aber nicht aufschieben und erklären sich am
Wochenende zu einer zusätzlichen Übung bereit.
Hängen Sie den Vertrag an einer gut sichtbaren Stelle auf, um
Ihr Kind daran zu erinnern. Nehmen Sie den Vertrag ernst und
befolgen Sie die darin aufgestellten Regeln wortgetreu. Es
werden keine Ausnahmen gemacht (z.B. trotzdem länger
aufbleiben dürfen), es wird aber auch keine Belohnung wegen
etwas, das nicht im Vertrag steht, gestrichen (z.B. trotz
Einhalten des Vertrages nicht aufbleiben dürfen, weil man sich
63
mit der Schwester gestritten hat). Der Vertrag muss glaubwürdig
bleiben, damit er funktionieren kann.
Ich möchte nochmals betonen, dass es für das Kind ganz klar
sein sollte, dass die Belohnung und der Vertrag nur für das
zusätzliche Üben gelten. Manchmal sind die Kinder durch die
Verträge und Belohnungen so motiviert, dass die Eltern dieses
System auf die Hausaufgaben und andere Situationen
ausdehnen. Manchmal schlagen dies auch die Kinder vor. Weitet
man das System jedoch aus, sind die Kinder schnell nur noch
bereit, etwas zu tun, wenn sie dafür eine Belohnung erhalten. Es
wird in der Folge schwierig, die Belohnungen wieder
zurückzufahren.
Auf der nächsten Seite finden Sie ein Beispiel für einen Vertrag:
64
VERTRAG
Mein Ziel
Ich, Florian, möchte schnell und richtig addieren können.
Was bin ich bereit, dafür zu tun?


Ich bin bereit, jeden Tag ausser Dienstag und Sonntag 10
Minuten mit meiner Mutter zu üben.
Die Übungen beginnen genau eine halbe Stunde nach dem
Mittagessen. Ich schaue selbst auf die Uhr und komme um
diese Zeit ins Wohnzimmer. Wenn ich es vergesse, darf
meine Mutter mich rufen und ich komme ohne zu nörgeln.
Was bekomme ich dafür?

Wenn ich gut mitmache und ohne zu murren 10 Minuten
mit meiner Mutter übe, darf ich 10 Minuten länger
aufbleiben.
Unterschriften:
Florian Hirschi
Martina Hirschi
_______________
______________
65
Fallbeispiel: Georg liest nicht gerne
Um die wichtigen Punkte dieses Kapitels noch einmal in
konkreter Form zu präsentieren, wird es mit einem Fallbeispiel
abgeschlossen. Das Beispiel zeigt auf, wie die jeweiligen
Prinzipien und Methoden angewendet werden können. Sie
können es überspringen, wenn Sie das Gefühl haben, alles gut
verstanden zu haben und zu wissen, wie Sie die Inhalte
umsetzen möchten.
Die Fallbeispiele in diesem Buch setzen sich meist aus
Gesprächen mit mehreren Eltern zusammen und werden auf die
für das jeweilige Kapitel wesentlichen Aspekte reduziert.
Die erste Sitzung
Guten Tag Frau Sieber.
Guten Tag Herr Grolimund.
Nehmen Sie doch Platz. Sie haben mir ja bereits am Telefon geschildert,
dass Ihr Sohn Georg Probleme beim Lesen hat?
Ja, Georg ist diesen Sommer in die dritte Klasse gekommen. Ich
war vor zwei Wochen beim Elterngespräch und Herr Berger,
das ist Georgs Lehrer, hat mir mitgeteilt, dass die Leseprobleme
gravierend sind, ja dass sogar die Versetzung gefährdet ist.
Das kam unerwartet für Sie?
Naja, ich wusste, dass Georg Mühe hat. Aber ich dachte, das
kommt dann schon noch...
Sie konnten das auch nicht so genau einschätzen, wie gut ein Kind in der
dritten Klasse lesen sollte?
66
Nein, das ist es ja. Und die vorherige Lehrerin hat zwar gesagt,
dass er mehr Übung bräuchte, weil er ja auch viel verpasst hat...
Er hat einiges verpasst?
Ja, Georg war während den ersten zwei Schuljahren sehr oft
krank und manchmal über mehrere Wochen. Inzwischen hat
sich das gebessert. Aber wahrscheinlich hat er doch noch einige
Lücken von dieser Zeit.
Wenn wir davon ausgehen, wie grundlegend der Stoff dieser ersten beiden
Jahre ist und wieviel Übung beim Lesenlernen nötig ist, kann ich mir das
gut vorstellen.
Ja, zudem hat Herr Berger gesagt, dass er auch in der Schule oft
innerlich abwesend ist, insbesondere bei Leseübungen.
Dass er also auch da von den Übungen weniger profitiert?
Ich denke schon, vielleicht kann er sich nicht so gut
konzentrieren.
Vielleicht. Wie gehen diese Leseübungen denn genau vor sich?
Sie lesen der Reihe nach, einer liest laut, die anderen lesen leise
mit. Und eben genau da konzentriert er sich nicht. Oft muss
ihm dann sein Banknachbar zeigen, wo sie sind, wenn er
drankommt.
Warten wir noch kurz, bevor wir die Konzentration ins Spiel bringen. Es
wird also der Reihe nach gelesen. Einer liest laut, die anderen lesen leise
mit, Georg liest sehr viel langsamer als die anderen...
Sie meinen, er kommt einfach nicht mit und steigt deshalb aus
und träumt dann vor sich hin?
67
Es wäre möglich. Was denken Sie, wie erlebt er die Situation, wenn er
schliesslich an die Reihe kommt und nicht weiss, wo er weiterlesen muss?
So, wie ich ihn einschätze, wird es ihm ziemlich peinlich sein.
Letzte Woche hat er mir gesagt, dass Herr Berger ihn oft auch
einfach so drannehme, wenn er gerade nicht aufpasse und dass
er das ziemlich gemein finde.
Sein Lehrer möchte, dass er mehr liest und besser aufpasst und nimmt ihn
deshalb häufiger dran, Georg empfindet es aber als Schikane?
Ja, es nervt ihn.
Wie erlebt Georg Lesen sonst? Sagt er manchmal etwas darüber?
Inzwischen hasst er alles, was damit zu tun hat. Manchmal sagt
er auch, dass er es sowieso nicht lernen wird. Die LeseHausaufgaben sind dann auch immer ein Kampf zwischen uns.
Letzte Woche hat er gesagt, dass die anderen manchmal über
ihn lachen, wenn er mit dem Lesen an der Reihe ist.
Für ihn sind starke, negative Gefühle mit dem Lesen verbunden und er
fühlt sich auch hilflos und denkt, dass er es nicht lernen kann? Fassen wir
doch kurz zusammen, was wir bis jetzt wissen: Georg war in den ersten
zwei Schuljahren oft krank und hat wahrscheinlich aus diesem Grund viel
weniger Übung beim Lesen. Er liest langsamer und schlechter als seine
Mitschüler. Bei den Leseübungen in der Schule gerät er ins Hintertreffen,
steigt deshalb innerlich aus und hat so im Vergleich zu seinen
Klassenkameraden noch weniger Übung. Wenn er in der Schule
drankommt, dann erlebt er dies sehr negativ, es ist ihm peinlich, weil er
nicht weiss, wo er steht oder er wird während des Lesens ausgelacht.
Eine Art Teufelskreis. Weil er bisher zu wenig geübt hat, liest er
langsamer, übt deswegen noch weniger und kann es im
Vergleich mit den anderen noch schlechter, was ihm aber
peinlich ist. Dadurch wird das Lesen noch unangenehmer und er
68
will diesem noch stärker aus dem Weg zu gehen, wodurch die
Lücken aber noch grösser werden.
Ja, gerade wenn wir bedenken, dass die Kinder, die gerne lesen, in diesem
Alter zusätzlich anfangen, in der Freizeit Comics oder Harry Potter zu
lesen, während Georg allem ausweicht. So gesehen wird der Abstand noch
grösser. Zeichnen wir doch den Teufelskreis kurz auf (an dieser Stelle
erarbeiten wir gemeinsam am Flipchart den Teufelskreis)
Ich glaube, so könnte es etwa zusammenhängen. Es wird viel
klarer auf diese Weise, aber es sieht auch viel schlimmer aus.
Es zeigt aber auch, wo wir ansetzen könnten.
Die Lücken sollten gefüllt werden.
Das sicher, aber ganz zentral finde ich das Feld mit den Misserfolgen.
Die untergraben seine Motivation?
Ja, kein Mensch beschäftigt sich gerne mit Dingen, in denen er dauernd
Misserfolge erlebt. Es ist ganz natürlich, dass wir solchen Beschäftigungen
eher ausweichen wollen. Umso mehr, wenn wir das Gefühl haben, dass wir
sowieso keine Chance haben, uns zu verbessern.
Wir müssen darauf Acht geben, dass Georg beim Lesen Erfolge
erlebt?
Und dass er allgemein viele positive Gefühle dabei erlebt. Sicher werden
Leseübungen auf Georg zukommen. Wir werden jedoch überlegen müssen,
wie wir diese möglichst motivierend gestalten könnten. Bisher haben wir eher
allgemein über Georgs Leseprobleme gesprochen, jetzt möchte ich gerne auf
die spezifischen Situationen eingehen, wenn Sie mit ihm zusammen lesen.
Für die Planung der späteren Leseübungen wäre es hilfreich zu wissen, wie
solche Situationen, in denen Sie mit ihm zusammen lesen, ablaufen, z.B.
wenn er Hausaufgaben hat, bei denen er einen Textabschnitt lesen soll.
Können Sie mir schildern, wie das aussieht?
69
Ja. Manchmal geht es eigentlich ganz gut, vor allem, wenn der
Nachmittag schulfrei ist und wir relativ bald, also etwa eine
Stunde nach dem Essen anfangen. Wir sind dann beide meistens
gut gelaunt und Georg möchte fertig werden, damit er den
Nachmittag frei hat. Schwieriger ist es, wenn er nachmittags
Schule hat, schon müde ist und sich nicht mehr so gut
konzentrieren kann - dann reagiert er schnell gereizt.
Wenn er am Nachmittag schulfrei hat, geht es besser. Das ist wichtig zu
wissen. So können wir die Übungen eher für diese Tage einplanen. Sie
sagten, er reagiere gereizt – worauf genau, was passiert da im Vorfeld?
Vor allem, wenn ich ihn korrigiere und manchmal macht er halt
fünf bis sechs Fehler in einem Satz. Das ärgert ihn sehr,
manchmal sagt er dann auch, dass ich ihn endlich mal in Ruhe
lesen lassen soll, aber ich muss ihn doch korrigieren? Oder ist es
doch besser, wenn ich ihn da einfach machen lasse?
Wenn er praktisch kaum einen Satz lesen kann und ständig unterbrochen
wird, wirkt das demotivierend. Es gibt meines Erachtens zwei
Möglichkeiten. Einerseits könnte man darauf achten, dass die Korrekturen
so gegeben werden, dass sie Georg möglichst wenig nerven – dazu könnten
wir ihn fragen, was ihn besonders nervt und wie es ihm weniger ausmachen
würde. Eine Mutter war beispielsweise völlig überrascht, als ihr Sohn gesagt
hat, dass sie bei manchen Fehlern immer leicht die Augen verdreht: ihren
Sohn hat das völlig auf die Palme gebracht, sie hat es gar nicht bemerkt.
Ein anderer Schüler hat mit seiner Mutter abgemacht, dass sie zunächst
nichts sagt, sondern einfach ein kurzes Stoppzeichen mit der Hand macht.
Viele Kinder bevorzugen es, wenn man ihnen nonverbale Zeichen gibt,
ihnen beispielsweise kurz die Hand auf den Arm oder auf das Bein legt
und ihnen Zeit lässt, um sich selbst zu korrigieren.
Das könnte ich ihn einmal fragen. Vielleicht mache ich wirklich
bestimmte Dinge, die ihn besonders reizen. Und die zweite
Möglichkeit?
70
Genau, die zweite Möglichkeit bestünde darin, wirklich weniger zu
korrigieren. Beispielsweise könnten Sie mit Georgs Lehrer besprechen,
welche Fehler systematisch auftauchen und sich darauf konzentrieren, nur
diese zu korrigieren.
Diese Möglichkeit gefällt mir. So wäre es auch möglich, dass er
ab und zu ein paar Sätze oder Abschnitte liest, ohne dass ich ihn
unterbrechen muss.
Ich notiere das. Kommen wir noch einmal auf die Situation zurück, wo
Georg die Geduld verliert. Wie geht es da genau weiter, wie reagieren Sie
darauf?
Oft gelingt es mir, ihn zu beruhigen. Manchmal, wenn er
wirklich wütend ist, lasse ich ihn zehn Minuten spielen, bevor
wir weitermachen.
Sie bestehen aber darauf, dass die Hausaufgaben erledigt werden?
Ja, ich möchte nicht, dass er lernt, auf diese Weise seinen Kopf
durchzusetzen. Nach dem kurzen Unterbruch macht er dann
auch wieder mit.
So dass er nicht lernen kann: Wenn ich nur wütend genug bin, bin ich die
lästigen Hausaufgaben los? Das ist gut.
Ich denke auch. Wie ich mit ihm umgehe, wenn er wütend wird,
weiss ich eigentlich. Wichtiger wäre mir wirklich, es gar nicht so
weit kommen zu lassen, aber dazu haben wir ja schon ein, zwei
Ideen diskutiert.
Ja, wie wir die genau umsetzen wollen und wie gut es klappt, werden wir
dann sehen. Noch eine Frage, wie reagieren Sie, wenn Georg einen Satz
richtig liest, sich wirklich Mühe gibt oder ohne zu murren anfängt?
Also wenn es rund läuft? Ich denke, da reagiere ich nicht gross.
Vielleicht lobe ich da zu wenig, aber ich will halt auch nicht
71
immer gleich in Lobeshymnen ausbrechen, nur weil er einen
Satz korrekt gelesen hat. Oder nehme ich es als zu
selbstverständlich?
Wenn wir uns in Georg hineinversetzen und schauen, wie viel Anstrengung
es ihn kostet und wie ungern er solche Hausaufgaben macht, dann wäre es
vielleicht doch wichtig, mehr zu loben. Es muss ja nicht gerade eine
Lobeshymne sein.
Wir wurden halt als Kinder selten gelobt. Das fällt mir auch
irgendwie schwer.
Dann schauen wir uns das doch in der nächsten Stunde an. Vor allem, was
kleine ermutigende Gesten und Kommentare betrifft. Überlegen wir uns
doch auf nächste Woche beide, wie wir die Leseübungen, die Georg
erwarten, möglichst motivierend gestalten könnten. Darf ich Ihnen das als
Hausaufgabe mitgeben? Mit den Übungen starten wir noch nicht diese
Woche.
Ja, ich überlege einfach, wie wir die Leseübungen möglichst
angenehm machen könnten...
Und wie wir Georg zu Erfolgserlebnissen beim Lesen verhelfen könnten, ja.
Gut, ich schreibe mir das auf. Bis nächste Woche.
Bis nächste Woche.
Kommentar
Georgs Geschichte zeigt, dass nicht immer Defizite im
Intelligenzbereich oder bei gewissen Fähigkeiten (wie der
phonologischen Bewusstheit) vorliegen müssen, um Lese- oder
andere Lernprobleme zu entwickeln. Auch Umstände oder
Ereignisse, die nichts mit der intellektuellen Leistungsfähigkeit
des Kindes zu tun haben, können sich negativ auf die
Schulleistung auswirken; so z.B. häufiges Kranksein, ein
Umzug, der das Kind zwingt, sich an einer neuen Schule
72
einzuleben, die Scheidung der Eltern oder Versagensängste.
Ganz davon abgesehen, aus welchem Grund ein Kind erste
Leistungsprobleme entwickelt: Der nachfolgende Teufelskreis,
der die Probleme verschlimmert, ist fast immer der gleiche. Das
Kind erlebt Misserfolge. Diese lösen negative Gefühle wie
Angst, Ärger, Scham oder Hilflosigkeit aus und führen zu
Gedanken, die oft selbstwertschädigend sind oder sich gegen
ein bestimmtes Fach oder die Schule richten. Das Kind
versucht, einer Beschäftigung mit diesem Fach aus dem Weg zu
gehen, was aber die Lücken und Probleme vergrössert.
An diesem Punkt muss etwas unternommen werden. Je weniger
Misserfolge das Kind inzwischen erlebt hat, desto einfacher
und schneller kann geholfen werden. Was das Kind unbedingt
braucht, sind konkrete Erfolge, die ihm sagen: „Hey, ich kann
etwas! Wenn ich mich anstrenge, dann schaffe ich es!“ Die
zweite Stunde zeigt, wie man dabei vorgehen könnte.
Die zweite Sitzung
Frau Sieber, schön Sie wiederzusehen.
Hallo, ich habe schon einige Ideen.
Sehr schön, setzen wir uns doch erst. Also, heute sprechen wir über unser
Ziel, über die Leseübungen und darüber, wie wir diese motivierend gestalten
können. Sie haben schon Ideen zum letzten Punkt?
Ja. Zunächst mal, dass das Buch ihn wirklich interessieren sollte.
Wir haben vor etwa einem Jahr „Ronja Räubertochter“ im
Fernsehen gesehen: Er hat diesen Film geliebt, und als ich am
Montag in der Bücherei war, lag gerade das Buch dazu in der
Auslage. Es ist ziemlich gross geschrieben, was einem das
73
Gefühl vermittelt, vorwärts zu kommen und ausserdem:
Schauen Sie mal, die Zeichnungen haben wirklich Atmosphäre.
Vom Text her ist es auch nicht zu schwierig, wunderbar. Ein geeignetes
Buch hätten wir also schon.
Dann wäre da noch: Er möchte seit langem ein ferngesteuertes
Auto. Dazu müsste er aber schon drei bis vier Monate wirklich
gut mitmachen. Oder ist es doch eher problematisch, wenn wir
ihn so mit Geschenken locken?
Ich finde es eher problematisch. Bei materiellen Belohnungen besteht immer
ein wenig die Gefahr, dass sie sehr schnell zum Hauptgrund werden,
weshalb man etwas tut. Ich denke, wir müssen sie nicht ganz ausschliessen,
aber wir müssen etwas aufpassen, wenn wir im Endeffekt erreichen möchten,
dass Georg Freude am Lesen gewinnt. Schliesslich möchten wir, dass er
liest, weil ihn die Geschichte interessiert und nicht, weil eine Belohnung auf
ihn wartet.
Also das Auto doch lieber zu Weihnachten?
Ja. Ich fände es aber durchaus in Ordnung, wenn Sie ihm die DVD mit
dem Film zum Buch schenken, sobald er es fertig gelesen hat – aber eher als
Überraschung, anstatt als Belohnung, die Sie ihm bereits jetzt in Aussicht
stellen. Und natürlich schenken Sie ihm ja auch das Buch selbst.
Gut, bis jetzt haben wir ja vor allem das spannende Buch an
sich, das ihn motivieren könnte. Ich denke, das wird nicht
ausreichen, so wie ich ihn erlebe, wenn er etwas zum Lesen als
Hausaufgabe hat. Er macht es zwar wirklich oft ohne zu
quängeln, aber Gefallen daran findet er gar nicht. Es ist leider
auch so: Bei diesem Buch wird er den Sinn kaum verstehen
können, wenn er es selbst liest.
Er hat noch solche Mühe, die Buchstaben und Wörter zu entziffern, dass
nicht viel Kapazität frei bleibt, um den Inhalt nachzuvollziehen?
74
Ja. So nützt es wenig, wenn das Buch spannend ist. Ich hätte
aber eine Idee.
Sie machen mich neugierig.
Ich lasse Georg etwa einen Fünftel einer Seite lesen und lese
ihm dann die ganze Seite vor. Was meinen Sie?
Das fände ich ausgezeichnet!
Ja?
Ja. So kommen Sie in der Geschichte schnell genug voran, damit es
spannend bleibt und Georg versteht den Sinn. Ausserdem gibt es auf diese
Art nach jedem anstrengenden Leseabschnitt einen entspannenden Part des
Zuhörens, den Georg geniessen darf – also eine direkte Belohnung nach
jedem Abschnitt. Und darüber hinaus machen Sie ihn mit dem
Vorgelesenen bereits wieder neugierig darauf, wie die Geschichte weitergehen
wird.
Es ist wirklich eine gute Idee.
Ja, die werde ich sicher noch einigen Klienten empfehlen - danke.
Gern geschehen. Also, jetzt haben wir einiges. Das spannende
Buch, die DVD als Überraschung, Vorlesen als Motivierungshilfe nach jedem Abschnitt. Zudem werde ich den Lehrer noch
fragen, ob es Fehler gibt, auf die ich achten sollte – so muss ich
weniger oft korrigieren. Ausserdem musste Georg am
Donnerstag einen Text als Hausaufgabe lesen, da habe ich ihn
bereits gefragt, ob ihn etwas besonders nerve, wenn ich ihn
korrigiere.
Sehr gut, was hat er gesagt?
75
Ehrlich gesagt, ich hätte es nicht erwartet, aber eigentlich stimmt
es, also es ist vor allem, wenn ich selbst etwas gereizt bin und
dann Dinge sage wie: „Jetzt schau doch hin! Was steht da?“
Sie verlieren da manchmal auch etwas die Geduld?
Ich hab’s gar nicht so gemerkt. Aber ja, gerade, wenn ich
tagsüber viel zu tun hatte...
Und dann auch müde sind und etwas anderes machen möchten. Schauen
wir doch, dass wir die Leseübungen auf Tage verlegen, an denen Sie weniger
ausgelastet sind.
Machen wir. Nur, es bleiben ja noch die Hausaufgaben.
Die müssen an diesem Tag erledigt werden, ja. Wie könnten wir da
vorgehen?
Ich könnte einfach zu Beginn kurz überprüfen, wie es mir geht.
Und wenn ich mich zu gestresst fühle, verschieben wir sie auf
nach dem Abendessen oder ich passe ganz bewusst ein wenig
auf, wie ich die Fehler kommentiere.
Das klingt gut…Ach ja, ich habe mir noch notiert, dass wir noch auf das
Thema „loben“ eingehen wollten. Sie sagten, dass Sie etwas Mühe damit
haben, weil Sie als Kind auch selten gelobt wurden?
Wir wurden selten gelobt und wenn, dann eher, wenn wir
wirklich etwas geleistet hatten. Beispielsweise bei einem guten
Zeugnis oder beim Lehrabschluss.
Für besondere Leistungen also. Ich denke aber bei Georg eigentlich nicht an
Lob, sondern eher an kleine positive Rückmeldungen und ermutigende
Kommentare.
Wie meinen Sie das genau?
76
So kleine Dinge, wenn er einen Satz richtig gelesen hat oder sich korrigiert
hat, dass sie ihm dann zunicken, ihn anlächeln oder so etwas sagen wie:
„So ist es gut“, „richtig“, „genau“.
Aha so. Ja, das könnte ich mir vorstellen. Mir kommen da nur
nicht so viele Ideen.
Machen wir doch zusammen eine Liste (An dieser Stelle erarbeiten wir eine
Liste mit möglichen verbalen und nonverbalen Zeichen von Wertschätzung
und Ermutigung).
Das werde ich ein wenig üben müssen, bis es natürlich kommt.
Ja, am Anfang muss man ziemlich darauf achten, aber irgendwann geht es
automatisch. Was wir jetzt noch besprechen müssten, ist, wie oft die
Leseübungen stattfinden sollten und wie lange diese dauern.
Genau, ich hätte jeden Tag Zeit für ihn, ausser am Dienstag und
Donnerstag, weil ich da noch nebenbei arbeite und dann abends
zu müde bin. Und es sind auch die Tage, an denen Georg am
längsten Schule hat.
Dann fände ich es am besten, wenn wir tägliche Leseübungen vereinbaren,
mit Ausnahme von Dienstag und Donnerstag.
Auch am Wochenende?
Wenn das für Sie möglich ist, ja. Der Lerneffekt ist grösser, wenn häufig
geübt wird, dafür aber wirklich nur für eine kurze Zeit. Der Widerstand
des Kindes ist meistens auch kleiner, wenn die Übungen fast täglich
stattfinden, am besten zu einer fest abgemachten Zeit und wenn sie nicht
länger dauern als 15 bis 20 Minuten.
Glauben Sie, 15 bis 20 Minuten reichen, damit er es schafft?
Ohne wiederholen zu müssen, meine ich.
Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Mir wäre es wichtig, Georg zunächst zum
Lesen zu motivieren, ihm zu mehr Übung und Erfolgserlebnissen zu
77
verhelfen und mit einem für ihn zumutbaren Aufwand die Lesefertigkeiten
zu verbessern. Wäre es schlimm für Sie, wenn er dieses Jahr nicht versetzt
wird?
Oh, also ich bin eigentlich schon gekommen, um... also ich habe
darüber gar nie nachgedacht.
Es war für Sie klar, dass wir darauf hinarbeiten?
Ja.
Hmm.
Also ich möchte schon, dass er es schafft.
Das wäre wirklich schön. Es besteht einfach eine Gefahr, der ich aus dem
Weg gehen möchte. Sehen wir uns einmal diese beiden Vorgehensweisen an.
Die eine Möglichkeit wäre: Wir vereinbaren mit Georg fünf Leseübungen
zu jeweils 15 Minuten pro Woche, was von ihm doch eine ziemliche
Zusatzleistung erfordert. Diese gestalten wir so motivierend wie möglich mit
dem Ziel, seine Lesefertigkeiten zu verbessern. Wir freuen uns über
Fortschritte, lassen ihm aber die Zeit, die er braucht, auch wenn es für die
Versetzung nicht reicht. Die andere Möglichkeit wäre die Vereinbarung,
dass wir auf Georgs Versetzung hinarbeiten und darauf achten, soviel zu
üben, wie dafür nötig ist. Bis zum Klassenübertritt bleiben uns noch vier
Monate. Wie fühlen sich diese Ziele für Sie an?
Hmm, ich sehe es, das zweite ist mit mehr Druck verbunden.
Ja. Es würde Druck bedeuten. Für Sie, für mich und in der Folge
wahrscheinlich auch für Georg.
Er würde es spüren, denke ich.
Weil im Hintergrund immer der Gedanke wäre: Geht es schnell genug
voran? Schaffen wir es?
78
Das möchte ich wirklich nicht. Es wäre aber schon eine
Enttäuschung, wenn er ein Jahr verliert.
Wenn er ein Jahr verlieren würde?
Klingt eigentlich blöd, wenn man das bei einem Kind sagt.
Naja. Und wenn er dadurch ein Jahr gewinnt?
Ein Jahr gewinnt? Also das verstehe ich nicht so ganz.
Wenn wir es etwas anders sehen? Georg repetiert, wir holen weiter auf beim
Lesen und plötzlich in der neuen Klasse merkt er: Ich bin genauso gut oder
noch besser als die anderen. Ich komme in der Klasse mit. Der Lehrer sieht,
dass ich es kann...
Dass er dadurch viel gewinnen könnte.
Ja, ein Jahr, das wir bewusst in sein Selbstvertrauen investieren. Auf diese
Weise ein gewonnenes Jahr.
So habe ich das bisher nie gesehen. Doch ich bin einverstanden,
wenn wir die Vereinbarung so treffen.
Dann freuen wir uns, wenn es reicht und wenn er repetieren muss, dann
achten wir darauf, dass es eine gute Erfahrung für ihn wird.
Ich fühle mich erleichtert, muss ich sagen.
Dann schreiben wir doch das Vorgehen jetzt auf. Wir könnten sogar einen
Vertrag daraus machen, den Georg und Sie unterschreiben.
Einen Vertrag? Klingt komisch, aber erzählen Sie mal.
Also, wir vereinbaren mit Georg zusammen, dass Sie ihm helfen, sich beim
Lesen zu verbessern. Dann setzen Sie feierlich einen Vertrag mit ihm auf –
Kinder mögen es häufig, wenn man solche Sachen ernst angeht und sie dabei
79
wie Erwachsene behandelt. Auf dem Vertrag muss stehen, was das Ziel ist,
was Georg bereit ist dafür zu tun, was er dafür bekommt, wann und wie
geübt wird und wie lange der Vertrag gilt. Ich zeige Ihnen ein paar
Beispiele…
Das könnte ich mir gut vorstellen. Wie gehe ich am besten vor,
wenn ich das mit ihm bespreche?
Sie könnten ihm am Mittag sagen, dass Sie nach dem Essen gerne etwas
Wichtiges mit ihm besprechen möchten. Sie können ihn beispielsweise
fragen: Georg, möchtest du gerne besser lesen können? Denken Sie, dass er
da ja sagt?
Ich glaube schon, für ihn ist es ja auch schlimm, immer das
Gefühl zu haben, es nicht zu können.
Gut, wenn er ja gesagt hat, können Sie ihn fragen, ob er bereit wäre, ein
wenig Zeit zu investieren. Sie können ihn auch fragen, ob er etwas dafür
möchte, nichts Materielles, aber vielleicht ein Spiel mit Ihnen machen oder
fünfzehn Minuten länger aufbleiben, wenn ihr rechtzeitig und ohne Theater
anfangen konntet und er mitgemacht hat, ohne wütend zu werden. Kinder
nehmen den Vertrag ernster, wenn sie bei der Ausgestaltung mitreden
durften. Auf fünf Übungen pro Woche zu jeweils 15 Minuten können Sie
bestehen, aber ihn beispielsweise bei der Zeit oder bei der Belohnung mehr
mitreden lassen.
Etwas länger aufbleiben wird ihm sicher gefallen und fünfzehn
Minuten würden drin liegen. Er könnte entscheiden, ob er lieber
gleich nach dem Essen beginnt oder zuerst eine halbe Stunde
spielen will.
Gut. Ich werde Ihnen noch dieses Blatt mit Hinweisen zur Ausgestaltung
von Verträgen mitgeben. Dann könnten Sie diese Woche den Vertrag
aufsetzen und bereits mit den Leseübungen beginnen.
Sehr gut. Sehen wir uns nächste Woche wieder?
80
Falls alles gut geht, könnten wir uns auch in zwei Wochen sehen. Schicken
Sie mir doch den Vertrag per Mail, damit ich sehe, was sie und Georg
abgemacht haben. Ich werde den Termin um die gleiche Zeit, gleichen Tag
für nächste Woche provisorisch reservieren. Falls es gut geht, können Sie mir
bis am Vortag ein Mail schreiben, dann sehen wir uns in zwei Wochen
wieder. Ginge das so?
Ja sicher. Bin gespannt, wie er reagiert. Eine schöne Woche
noch.
Ihnen auch.
Der konkrete Vertrag sah schliesslich folgendermassen aus:
VERTRAG
zwischen Georg und seiner Mutter
Mein Ziel
Ich, Georg, möchte mich gerne beim Lesen verbessern.
Was bin ich bereit, dafür zu tun?

Ich bin bereit, jeden Tag ausser Dienstag und
Donnerstag 15 Minuten mit meiner Mutter zu lesen.

Die Leseübungen beginnen genau eine halbe Stunde
nach dem Mittagessen. Sie finden immer am
Wohnzimmertisch statt. Ich schaue selbst auf die Uhr
und komme um diese Zeit mit dem Buch ins
Wohnzimmer. Wenn ich es vergesse, darf meine Mutter
mich rufen und ich komme ohne zu nörgeln.
81
Was bekomme ich dafür?

Wenn ich gut mitmache, wenn ich also ohne zu murren
15 Minuten lese, erhalte ich von meiner Mutter einen
Gutschein, auf dem steht, dass ich 15 Minuten länger
aufbleiben darf.

Meine Mutter hilft mir beim Lesen, indem sie mir immer
die Seite vorliest, nachdem ich einen Fünftel der Seite
gelesen habe.
Dieser Vertrag gilt zunächst für zwei Wochen
Unterschriften:
Georg Sieber
______________________
Irene Sieber
__________________
Die restlichen Sitzungen
Georgs Mutter besuchte mich in grösser werdenden Abständen
noch vier Mal. Georg machte deutliche Fortschritte und konnte
schliesslich doch versetzt werden. In den Sommerferien gelang
es ihm, sich weiter zu verbessern und am Ende des
darauffolgenden Schuljahres war er bezüglich seiner
Lesefertigkeiten im Mittelfeld seiner Klasse. Die Leseübungen
konnten eingestellt werden, da Georgs Interesse geweckt war
und er nun auch freiwillig Asterix, Lucky Luke und Donald
Duck las und schliesslich im fünften Schuljahr mit Begeisterung
die ersten Bände der Harry Potter-Reihe verschlang.
Georgs Mutter nahm in die folgenden Sitzungen jeweils
Videobänder von Leseübungen mit, damit wir bei Problemen
82
ganz konkret intervenieren und die Leseübungen so anpassen
konnten, dass sie für Georg den grösstmöglichen Nutzen
erbrachten. (Das Vorgehen bei Leseproblemen wird im Kapitel
Leseprobleme genauer beschrieben.)
Besonders hilfreich erwies sich die Hilfe von Georgs Lehrer.
Dieser erklärte sich nach einem Gespräch damit einverstanden,
Georg nicht mehr überraschend aufzurufen. Wenn er sich nicht
sicher war, dass Georg mitkam, zeigte er ihm gleich die Stelle, an
der er weiterlesen sollte, und lobte ihn häufiger. Nach der
fünften Woche behielt er Georg mit dem Hinweis, er müsse ihm
noch etwas sagen, im Klassenzimmer. Georg war zunächst
etwas nervös und freute sich dann umso mehr, als sein Lehrer
ihm sagte, dass er grosse Fortschritte gemacht habe und er sehr
stolz auf ihn sei. Schon beim Öffnen der Türe rief er seiner
Mutter zu: „Der Berger hat auch gemerkt, dass ich besser
werde!“ Dieses Kompliment motivierte ihn ungemein und
bestätigt eine Ansicht, die ich seit langem hege:
Ein ernst gemeintes Kompliment einer wichtigen Bezugsperson
kann mehr bewirken als die beste Beratungssitzung.
83
Mein Kind macht nicht mit – wie soll ich reagieren?
Im vorhergehenden Kapitel haben wir gesehen, wie wichtig es
ist, Kindern während des Lernens Zuneigung, Wärme und
Wertschätzung entgegenzubringen, ihnen positive Kontrollerfahrungen zu ermöglichen und ihnen für ihre Anstrengungen
Anerkennung zu zeigen. Auf diese Weise verstärken Sie als
Eltern das Lernverhalten Ihres Kindes und es wird mit der Zeit
die Hausaufgaben reibungsloser erledigen, sich öfter mit Lesen,
Rechnen oder Schreiben beschäftigen und dies auch lieber tun.
Lernen Kinder jedoch aufgrund vieler vorhergegangener
negativer Erfahrungen nur ungern und hat sich deshalb beim
Kind der Wunsch oder das Ziel aufgebaut, Lernen zu
vermeiden, wird es schwierig.
Vielleicht ist Ihr Kind bockig, wenn es lernen soll, verweigert die
Mitarbeit, fängt dauernd an zu weinen, wenn es etwas schreiben
soll, oder verwickelt Sie in einen Machtkampf, wenn es darum
geht, die Hausaufgaben zu erledigen.
Dieses Vermeidungsverhalten wird noch häufiger werden, wenn
das Kind einen Nutzen daraus zieht. Bei den meisten Kindern
lässt sich bei genauerem Hinschauen erkennen, dass sie durch
das Vermeidungsverhalten ihre Bedürfnisse besser befriedigen
können, als durch das Lernverhalten.
Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn Eltern mit viel
Verständnis auf solches Verhalten reagieren, es trösten, ihm gut
zureden und es so zum Weitermachen motivieren möchten.
In der Beratung kann ich oft beobachten, wie Eltern während
des Lernens kühler und ungeduldiger werden, auf Fehler mittels
Blicken oder Sätzen wie „das haben wir doch gestern geübt“
strafend reagieren und einen kritischen Gesichtsausdruck
aufsetzen. Sobald das Kind aber beginnt, das Lernen zu
vermeiden, indem es weinerlich oder wütend wird, sich weigert
84
oder innerlich aussteigt, reagieren die Eltern verständnisvoll,
trösten, nehmen das Kind in den Arm und versuchen, es wieder
aufzumuntern.
Aus Sicht der Eltern ist dieses Verhalten verständlich und
logisch: Dem Kind geht es schlecht, also versuche ich über die
Beziehung seine Stimmung wieder zu verbessern, damit wir
weitermachen können und es dem Kind wieder besser geht.
Unmerklich, weil unbewusst, geschieht etwas ganz anderes. Das
Kind lernt die folgenden Zusammenhänge:
Ich lerne
Meine Eltern
ignorieren mich
oder reagieren
negativ
Wenn ich lerne,
geht es mir
schlecht
Ich werde
bockig, weine
etc.
Meine Eltern
wenden sich mir
zu, trösten mich
Wenn ich bockig
bin, bekomme
ich Zuwendung
Das Kind erhält die angenehmen Reaktionen nicht für das
Lernen, sondern für seinen Widerstand. Dieser wird dadurch
immer stärker, bis sich das Kind gar nicht mehr auf das Lernen
einlässt.
85
Stärker wird Widerstand, wenn das Kind:



Dadurch Zuneigung erhält
Das Lernen abbrechen darf
Einen Machtkampf gewinnt
Dies ist umso stärker der Fall,:


Je weniger Zuwendung und Wärme das Kind während
dem Lernen erhält
Je mehr Misserfolge es während dem Lernen erlebt (und
je schwieriger der Lernstoff ist)
Als Eltern können Sie Widerstände abbauen, indem Sie darauf
achten, dass das Lernen für Ihr Kind angenehmer und
nützlicher ist als der Widerstand. Ihr Kind muss lernen, dass
von nun an das genaue Gegenteil gilt:
 Wenn ich lerne, geht es mir gut!
 Wenn ich Widerstand zeige, erreiche ich damit nichts!
Widerstand abzubauen ist nicht einfach. Es wird Ihnen als
Eltern Konsequenz und Durchhaltewillen abfordern. Umso
wichtiger ist es, dass Sie überzeugt sind, für Ihr Kind das
Richtige zu tun. Sprechen Sie mit Ihrem Partner, Ihrer Partnerin
das genaue Vorgehen ab. Es ist notwendig, dass Sie als Eltern
zusammenhalten und auf die gleiche Weise reagieren.
Und so können Sie vorgehen:
1. Schritt
Achten Sie darauf, dass Sie in nächster Zeit so oft wie möglich
positiv reagieren, wenn Ihr Kind lernt. Machen Sie ihm bewusst,
wie sehr Sie es schätzen, wenn es sich auf das Lernen einlässt.
Geben Sie Ihrem Kind mindestens zwei Wochen Zeit, diese
86
Erfahrung zu machen, bevor Sie mit dem zweiten Schritt
beginnen.
2. Schritt
Sagen Sie Ihrem Kind, was Sie von ihm erwarten und dass Sie
sein schwieriges Verhalten von nun an nicht mehr beachten
bzw. nicht mehr tolerieren werden. Zeigen Sie ihm von diesem
Moment an ganz klar, dass es Ihnen ernst ist und Sie nicht mehr
bereit sind, sich auf ewige Diskussionen einzulassen.
Es stehen Ihnen einige Wege offen, um dies zu erreichen. Ich
werde Ihnen im Folgenden mehrere Methoden vorstellen –
fragen Sie sich einfach, mit welcher Sie sich am wohlsten fühlen
und auf welche Ihr Kind am ehesten reagieren würde.
Die Situation verlassen
Viele Kinder haben im Laufe der Zeit gemerkt, dass sie die
ungeliebten Hausaufgaben etwas hinauszögern können, wenn sie
ihre Eltern in Diskussionen verwickeln. Diese beginnen mit
Sätzen wie: „Mann, muss das jetzt sein?“, „Kann ich nicht noch
eine halbe Stunde spielen?“, „Das stinkt mir, warum muss ich
das machen?“ etc.
Die Eltern versuchen daraufhin das Kind zu überzeugen, liefern
Argumente für die Hausaufgaben, sagen ihm, dass es doch viel
schneller ginge, wenn es endlich anfangen würde, das ganze
doch gar nicht so viel sei, es längst spielen gehen könnte, wenn
es gleich begonnen hätte usw.
Mit der Zeit wird die Diskussion hitziger und es fallen
Argumente wie: „Meinst du, mir macht das Spass?“, „Ich hätte
auch Besseres zu tun!“, „Ich habe es so satt, dass wir jedes Mal
das gleiche Theater haben“.
87
Falls es Ihnen auch so geht, könnte es hilfreich sein, die
Situation einfach zu verlassen. Jedes Argument von Ihnen löst
ein Gegenargument des Kindes aus – Sie können sich dabei die
Diskussion als Feuer vorstellen und die Argumente als
Holzscheite, die man hineinwirft. Das Feuer hört erst auf zu
brennen, wenn man aufhört, Holz hineinzuwerfen. Und so
können Sie dabei vorgehen:
Mirko: Mann, muss das sein, Mam?
Mutter: Komm schon…es geht viel schneller, wenn du jetzt
einfach vorwärts machst.
Mirko: Immer müssen wir solchen Mist machen.
Mutter: Du Mirko, ich bin nicht bereit, mit dir darüber zu
diskutieren. Ich möchte, dass du dich auf die Hausaufgaben
einlässt und wir vorwärts machen können.
Mirko: Das stinkt mir!
Mutter: Gut, du bist jetzt nicht bereit. Ich gehe in die Küche
und mache den Abwasch. Ruf mich, wenn du soweit bist.
Mirko: Ist ja schon gut…
Mutter: Nein, ich glaube, du brauchst wirklich etwas Zeit, um
runterzukommen und dich neu darauf einzustellen. Ich gehe
jetzt in die Küche und ich möchte, dass du mich erst dann holst,
wenn du bereit bist, mitzumachen.
An dieser Stelle steht die Mutter auf und geht. Wenn es sein
muss, macht sie dies an diesem Tag noch ein paar Mal und am
nächsten Tag wieder – sooft, bis Mirko merkt, dass seine Mutter
nicht mehr bereit ist, auf seine Argumente einzugehen.
88
Gerade wenn Kinder wütend werden, kann es sehr hilfreich
sein, ihnen Zeit zu geben und zu gehen, anstatt auf sie
einzureden. Alleine kann man sich viel besser abkühlen und
wieder ruhiger werden, als wenn jemand auf einen einredet.
Die Zeit begrenzen
Alternativ können Sie auch die Zeit begrenzen. Mirkos Mutter
könnte wie folgt reagieren:
Mirko: Das stinkt mir!
Mutter: Mirko, ich nehme mir genau bis um 15 Uhr Zeit, um dir
zu helfen – wenn du dich bis dahin nicht darauf einlässt, musst
du die Hausaufgaben alleine machen.
Mirko: Mann!
Mutter: Ich meine es ernst…ich hole uns jetzt etwas zu trinken
und du überlegst unterdessen, ob du die Hausaufgaben jetzt mit
mir oder später alleine machen willst. Wenn du sie mit mir
zusammen machen willst, muss es jetzt sein – und ich erwarte,
dass du mitmachst.
Danach ist es wichtig, konsequent zu bleiben. Wenn sich die
Mutter um 17 Uhr trotzdem hinsetzt und Mirko hilft „weil die
Aufgaben ja gemacht werden müssen“, nützt alles nichts: Mirko
bleibt am längeren Hebel und lernt, dass er mit seiner Mutter
machen kann, was er möchte.
Manchmal ist es auch hilfreich, negatives Verhalten zu
ignorieren.
Ignorieren
89
Oft ist viel gewonnen, wenn man als Eltern konsequent die
Aufmerksamkeit auf das positive Verhalten richtet und Trotz
und Widerstand ignoriert. Dadurch wird das positive Verhalten
für das Kind attraktiver und das trotzige Verhalten wird
uninteressant.
Ignorieren ist vor allem dann sinnvoll, wenn ein Kind mittels
Widerstand Aufmerksamkeit und Zuwendung erhalten möchte
oder bisher das Lernen abbrechen durfte, sobald es begonnen
hatte zu weinen. Indem Sie dieses Verhalten Ihres Kindes nicht
weiter beachten, bringt es ihm keinen Nutzen mehr und wird
seltener werden.
Gleichzeitig ist es wichtig, dass Sie sofort positiv reagieren,
wenn Ihr Kind sich wieder auf das Lernen einlässt. Denken Sie
daran, Ihr Kind soll die folgenden Zusammenhänge lernen:
 Wenn ich lerne, geht es mir gut
 Widerstand bringt gar nichts
Schauen wir uns ein Beispiel an, bei dem wichtige
Bezugspersonen, eine Mutter und eine Lehrerin, durch
verstärktes Beachten von positivem Verhalten und Ignorieren
von Widerstand ein sehr ungünstiges Verhalten abbauen und
Freude am Lernen aufbauen konnten.
Sibylle weinte öfters und aus scheinbar nichtigen Anlässen. Die
Eltern fanden sie sehr sensibel. Mit den Hausaufgaben ging es
gar nicht – sobald es etwas schwieriger wurde, begann Sibylle zu
weinen. Die Eltern mussten sie trösten und nicht selten
schrieben sie Sibylle eine Entschuldigung für die Lehrerin:
Liebe Frau Berger,
Sibylle konnte die Hausaufgaben gestern leider nicht machen.
Sie waren für sie zu schwierig.
90
Mit herzlichen Grüssen,
Frau Friedrichs
Der Lehrerin fiel Sibylles Verhalten auf. Sie machte sich Sorgen,
weil Sibylle keine Anstrengungsbereitschaft zeigte und bei der
kleinsten Schwierigkeit aufgab. Am Elternabend sprach sie mit
den Eltern und verdeutlichte ihnen, wie sehr sich Sibylle mit
diesem Verhalten selbst schadet.
Sie zeigte den Eltern ein einfaches Schema, um ihnen zu
erklären, wie Sibylles Verhalten verfestigt wird.
Situation
Problemverhalten
Wie reagieren wir
als Eltern?
Vor- und Nachteile für das Kind:
Zusammen mit der Lehrerin füllten die Eltern das Schema für
die Situation „Hausaufgaben erledigen und dabei auf
Schwierigkeiten stossen“ aus. Insbesondere für die Mutter war
es wichtig zu sehen, wie sehr das Weinen ihrer Tochter durch
ihre Reaktionen gefördert wurde.
Situation
Problemverhalten
Sibylle muss die
Hausaufgaben
machen und
versteht etwas
nicht auf Anhieb
Sie beginnt zu
weinen.
Wie reagieren wir
als Eltern
Ich tröste sie
Wenn sie gar nicht
mehr kann,
schreibe ich ihr
eine
Entschuldigung
Vor- und Nachteile für das Kind:
 Sibylle erhält Zuwendung
 Sibylle muss ihre Hausaufgaben nicht machen
91
 Sybille wird langfristig immer unselbständiger und gibt
immer schneller auf
Unter Mithilfe der Lehrerin konnten Sibylles Eltern erkennen,
dass ihr Verhalten ihre Tochter zwar kurzfristig entlastet,
langfristig aber viele negative Folgen nach sich zieht: Sibylle wird
immer unselbständiger, sie ist immer weniger bereit, sich
anzustrengen, gibt vorzeitig auf, kann mit negativen Gefühlen
mit der Zeit nicht mehr umgehen und verpasst den Anschluss in
der Schule.
Sibylles Eltern stellten zudem fest, dass sie positivem Verhalten
ihrer Tochter wenig Beachtung schenken und sich nur mit Trost
und Zuwendung einschalten, wenn ein Problem vorliegt. Da oft
ein Problem vorlag und Sibylle weinte, waren die Eltern
natürlich heilfroh, wenn sie einen Moment Ruhe und etwas Zeit
für sich selbst und andere Dinge hatten („Endlich ein wenig
Ruhe.“). Dadurch wurde das positive Verhalten aber nicht
verstärkt und Sibylle lernte immer deutlicher die folgende Regel:
Wenn du willst, dass deine Eltern dich beachten und sich Zeit
für dich nehmen, dann fange an zu weinen.
Wie kann dieses negative Verhalten nun verändert werden?
Sibylles Eltern stellten folgenden Plan auf, um das Verhalten
ihrer Tochter zu ändern:
In den ersten zwei Wochen achten wir nur darauf, dass wir:


92
Sybille verstärken, wenn Sie sich auf das Erledigen der
Hausaufgaben einlässt. (Dieser Punkt ist sehr wichtig:
Das Kind muss deutlich erkennen können, welches
Verhalten gewünscht wird, bevor die Eltern das
unerwünschte ignorieren)
Uns vermehrt um sie kümmern und ihr Zuwendung
schenken, wenn sie positives Verhalten zeigt, z.B. mit
ihrem kleineren Bruder spielt, für sich ein Comics
anschaut, mit ihren Puppen spielt etc. Wir setzen uns
einfach dazu und spielen mit oder reden ein wenig mit
ihr.
Bleibt das Problem bestehen, schenken wir dem negativen
Verhalten keine Beachtung mehr. Wir verlangen von Sybille,
dass sie sich auf die Arbeit einlässt und ernsthaft versucht, ihre
Hausaufgaben zu erledigen, auch wenn diese schwierig sind.
Die Lehrerin besprach mit den Eltern, dass dabei zwei Dinge
wichtig sind:
1. Sobald die Eltern anfangen, das negative Verhalten zu
ignorieren, müssen sie dabei sehr konsequent sein. Nur
so wird es in Zukunft seltener werden. Geben die Eltern
ab und zu nach, dann bleibt das negative Verhalten ein
lohnenswerter Versuch.
2. Das negative Verhalten wird zunächst stärker, bevor es
schwächer wird. Wenn ein bestimmtes Verhalten bisher
zum Erfolg geführt hat und nun plötzlich nicht mehr,
dann scheint es logisch, das Ganze zu intensivieren, um
zu sehen, ob es dann etwas nützt. Häufig lernen Kinder,
dass sie nur noch lauter schreien müssen, wenn sie im
Supermarkt ein Spielzeug möchten. Irgendwann ist der
Punkt erreicht, wo es den Eltern zu peinlich wird. Sie
geben nach, das Kind hat mit seiner Methode wieder
einmal Erfolg. Solche Lernprozesse laufen meist
unbewusst ab – für Kind und Eltern.
Betrachten wir in einem kurzen Ausschnitt, wie die Eltern diese
Regel umsetzen:
Beispiel: Sybilles negatives Verhalten wird ignoriert
Sybille: „Ich kann das nicht.“ Fängt
an zu weinen
93
Mutter: „Du hast es gar nicht
versucht. Versuch es zunächst. Was
musst du als erstes machen?“
Die Mutter gibt nicht wie
üblich gleich nach,
sondern formuliert klar
ihre Erwartungen
Sybille: „Nein, ich kann es nicht!“
Weint.
Die Mutter schweigt. Sie ignoriert
Sybilles Verhalten.
Sybille weint ganze 5 Minuten.
Die Mutter entzieht dem
negativen Verhalten die
Grundlage, sie lässt es ins
Leere laufen
Schliesslich will sie aufstehen.
Mutter: „Nein, du hast es noch gar
nicht versucht. Du bleibst hier. Ich
möchte, dass du die Aufgabe
durchliest – ich weiss, dass du das
kannst.“
Die Mutter formuliert
nochmals ihre Erwartung
und verhindert, dass ihre
Tochter ausweicht
Sybille weint weitere 5 Minuten,
geht dann aber in ein Schluchzen
über, bis auch dieses verstummt.
Mutter: „Was musst du machen?“
Sybille: „Diese Bildergeschichte
beschreiben. Ich kann das nicht!“
Mutter: „Was siehst du denn auf
dem ersten Bild?“
Tochter beschreibt das Bild
Mutter: „Sehr gut. Wie könntest du
94
Die Mutter geht zur
Bearbeitung der
Hausaufgaben über und
lässt sich nicht davon
abbringen
das aufschreiben?“
Sybille weint wieder: „Ich weiss es
nicht“
Die Mutter wartet geduldig, bis sie
damit aufhört.
Kleine Schritte in
Richtung
Aufgabenbearbeitung
werden sofort
aufgenommen und
verstärkt, negatives
Verhalten hingegen
konsequent ignoriert.
Mutter: „Du hast vorhin das Bild
sehr gut beschrieben, was hast du
zuerst gesagt?...Machen wir daraus
einen Satz… Ja, das klingt doch gut.
Du kannst das.“
Wie wir in diesem Beispiel gesehen haben, ignoriert die Mutter
konsequent Sybilles Weinen, sagt ihr aber deutlich, was sie von
ihr erwartet und bestärkt sie, sobald sie sich auf das Arbeiten
einlässt. Sybille braucht Zeit, um zu lernen, dass sie die
gewünschte Aufmerksamkeit nur noch erhält, wenn sie
mitarbeitet und sie sich durch ihr Weinen und Jammern nicht
mehr von den Hausaufgaben befreien kann. Das Weinen wird
noch eine Zeitlang bestehen bleiben, allerdings dürfen wir davon
ausgehen, dass es spätestens innerhalb einiger Wochen deutlich
seltener werden und auch in seiner Intensität abnehmen wird
(andernfalls wäre eine Lernberatung angezeigt). Häufig begreifen
Kinder sehr schnell – nach ein bis drei Tagen – dass sie mit
ihrem Verhalten nichts mehr erreichen.
Alternativ können Sie auch Grenzen setzen.
Klare Grenzen setzen
Manchmal helfen die bisher beschriebenen Methoden nicht – es
gibt zum Beispiel Kinder, die sich nicht beeindrucken lassen,
wenn die Eltern den Raum verlassen und denken: Umso besser,
dann mache ich die Hausaufgaben nicht!
95
In diesem Fall ist es notwendig, dass Sie als Eltern klare
Grenzen setzen und auf deren Einhaltung bestehen. Werden die
Grenzen missachtet, sollte dies für das Kind unangenehme
Konsequenzen nach sich ziehen.
Die richtigen Konsequenzen zu wählen ist keine einfache Sache.
Sie sollten:





Wirksam sein und dem Kind dabei helfen, sich auf das
Lernen einzulassen
Das Selbstwertgefühl des Kindes nicht untergraben
Sofort erfolgen
Nach klaren Regeln vergeben werden
Und Ihnen als Eltern helfen, bestimmt, aber gelassen zu
reagieren
Mit „falschen oder schädlichen“ Konsequenzen sind solche
gemeint, die:





Unwirksam sind
Das Selbstwertgefühl des Kindes schädigen
Erst lange nach dem problematischen Verhalten
erfolgen
Für das Kind kaum vorhersagbar sind
Und vor allem in einer Entladung von Frust, Wut und
Enttäuschung auf Seiten der Eltern bestehen
In diesem Kapitel wird es deshalb nicht nur darum gehen,
Grenzen zu setzen und durchzusetzen, sondern auch, schädliche
und sinnlose Strafen nach und nach abzubauen.
Schädliche Strafen sind leider üblich!
96
Die meisten Strafen, die ein Kind im Bereich des Lernens erhält,
entsprechen den Kriterien für schädliche Strafen. Schauen wir
uns einige Beispiele an:
Die Eltern reagieren während dem gemeinsamen Lernen gereizt
Eltern sind oft ausgesprochen schockiert, wenn wir ihnen eine
Videoaufnahme vorspielen, die sie beim gemeinsamen Lernen
mit ihrem Kind zeigt. „Das bin doch nicht ich“, „da wäre ich
auch bockig“, „mein Gott, so verhalte ich mich?“ sind häufige
ungläubige Ausrufe, wenn sich Eltern zum ersten Mal von
aussen betrachten und sich mit den Augen ihres Kindes
wahrnehmen. Sie sehen, wie sie ihr Kind loben – mit einem
bissigen Unterton und kaltem Gesichtsausdruck. Sie hören
plötzlich all die kleinen giftigen Kommentare, das grobe „jetzt
pass doch auf“, „schau doch hin“, „das haben wir doch schon
geübt“ und nehmen wahr, wie sie ihrem Kind drohen „du wirst
ja sehen, was die Frau Lindt sagt, wenn du das morgen nicht
fertig hast“. Bei genauerem Hinsehen bemerken sie schliesslich,
wie sie sich bei Fehlern zurücklehnen, wie sich ihre Mimik
versteinert, sich Frust, Angst und Enttäuschung im ganzen
Körper merklich ausbreiten und sich auf das Kind übertragen.
Strafen dieser Art sind weit verbreitet. Sie sind gravierend, weil
sie:





Unbewusst und deshalb unkontrollierbar ihre
destruktive Wirkung entfalten
Das Selbstbewusstsein des Kindes schädigen
Ängste und Ärger beim Kind schüren
Das Lernen für beide Seiten unangenehm werden lassen
Die Beziehung zwischen Eltern und Kind belasten
Dauern Hausaufgaben- und Lernprobleme seit längerer Zeit an
und hat sich der Teufelskreis bereits entwickelt, kann man fast
97
mit Sicherheit davon ausgehen, dass diese Art der Bestrafung
eingesetzt wird. Ich kann mich an fast keine Beratung erinnern,
bei der ich dieses Problem nicht bemerkt hätte, auch bei Eltern,
die selbst Lehrer sind, Pädagogik studiert haben oder beteuern,
ihre Kinder nicht zu bestrafen und mit Lernproblemen gelassen
umzugehen. Die wenigsten Eltern sind sich bewusst, wie sie sich
in dieser Situation verhalten.
Davor ist man auch als Psychologe nicht gefeit. Ich kann mich
erinnern, wie ich einmal in einer Beratungssitzung mit einer
Mutter an diesem Thema gearbeitet habe und anschliessend am
Abend mit meiner Frau einen Tangokurs besuchte. Es lief alles
nicht so reibungslos („jetzt lass dich doch mal führen“, „wieso
machst du jetzt wieder diesen Schritt?“). Am Ende musste ich
mir von meiner Frau sagen lassen, dass ich „echt unangenehm“
und ungeduldig war und dabei hat sie – im Nachhinein
betrachtet - deutlich untertrieben.
Sie sehen: Es ist schwierig, eine lernförderliche Atmosphäre
herzustellen.
Als erstes müssen Sie sich bewusst werden, wie Sie reagieren.
Haben Sie den Mut, genauer hinzusehen? Es lohnt sich!
Und so könnten Sie vorgehen:
Falls Sie eine Videokamera besitzen oder sich eine ausleihen
können: Zeichnen Sie eine oder mehrere Hausaufgabensituationen mit Ihrem Kind auf. Schauen Sie sich die Aufnahme
am Abend oder am folgenden Tag in Ruhe an. Die ersten zehn
Minuten sollten Sie dabei überspringen – während dieser
Zeitspanne sind sich die meisten Eltern bewusst, dass sie
aufgenommen werden und verhalten sich anders. Danach
vergisst man, dass die Kamera da ist und verhält sich natürlich.
Achten Sie beim Anschauen in einem ersten Durchgang nur
darauf, was Sie zu Ihrem Kind sagen und starten Sie dann einen
98
zweiten Durchgang, bei dem Sie nur auf Ihre Mimik, Gestik,
den Tonfall und die Körperhaltung achten. Die Mimik und das
nonverbale Verhalten können Sie noch besser beurteilen, wenn
Sie dazu den Ton ausschalten. Schauen Sie sich das Video noch
ein drittes Mal an und achten Sie nur darauf, wie Ihr Kind auf
Sie und Ihre Reaktionen reagiert.
Wie wirken Sie auf sich? Wie würden Sie sich als Kind fühlen?
Halten Sie Ihre Eindrücke fest.
Fast immer entdecken Eltern spontan vieles, was sie an ihrem
Verhalten ändern möchten. Unbewusstes, eingefahrenes
Verhalten lässt sich aber nur schwer verändern. Überfordern Sie
sich nicht und nehmen Sie sich vor, sich nur in jeweils einem
spezifischen Punkt anders zu verhalten.
Falls Sie keine Kamera besitzen oder ausleihen können,
möchten Sie vielleicht eine der folgenden Methoden
ausprobieren:
 Lassen Sie sich von jemand anderem (Partner, Freund,
Beraterin) während des Lernens beobachten. Diese
Person hat die Aufgabe, sich in die Lage Ihres Kindes zu
versetzen und Ihnen jedesmal eine Rückmeldung zu
geben, wenn sie beginnt, sich unwohl zu fühlen.
 Fragen Sie Ihr Kind, wie es sich beim Lernen fühlt und
ob es gerne mit Ihnen lernt. Lassen Sie sich von ihm
eine Zeit lang jedesmal nach dem Lernen eine Note
geben und fragen Sie nach, was Sie tun müssten, um eine
gute oder sehr gute Note zu erhalten.
Die einzelnen Methoden lassen sich natürlich auch kombinieren.
Diese subtile Form von Strafen demotiviert ein Kind mehr als
alles andere – wenn es Ihnen gelingt, sie abzubauen, haben Sie
bereits sehr viel erreicht.
99
Ein Kind mit Lernproblemen erlebt aber noch weitere Strafen,
die nur bedingt geeignet sind, eine positive Verhaltensänderung
zu erzielen oder mehr schaden als nützen:
Die Lehrperson oder die Eltern demütigen das Kind
Ich wünschte, ich müsste diese Art der Strafe hier nicht
erwähnen – aber sie kommt zu oft vor, um sie in dieser
Aufzählung weglassen zu dürfen. Kinder werden heute von
Eltern seltener geschlagen und (von seltenen Ausnahmen
abgesehen) in der Schule gar nicht mehr. Sie werden aber
weiterhin gedemütigt.
Häufig werden Demütigungen als „Motivierungshilfe“
eingesetzt. Der Erfolg, den man sich davon verspricht, bleibt
aus – dafür werden Ängste, Ärger, Unsicherheit und
Schamgefühle aufgebaut.
Ich kann mich gut an Situationen erinnern, in denen wir an die
Tafel gerufen wurden – schaurige Erlebnisse. Die Lehrerin
versprach sich wohl einen Motivationsschub oder eine bessere
Mitarbeit. Auf jede Stunde mussten wir Vokabeln lernen und
verbrachten die ersten Minuten der Stunde und im Falle einiger
Mitschüler wohl auch die Schulstunde davor mit der bangen
Frage „bin ich heute dran?“
Den unmotivierten Schülern war die ganze Show wohl noch am
ehesten gleichgültig. Gelitten haben die fleissigen, diejenigen, die
sowieso schon mit sozialen Ängsten zu kämpfen hatten, und die
Schüler, die in der Klasse keinen Anschluss und keinen Rückhalt
fanden. Wir haben uns oft gefragt, wieso man uns auf diese Art
die Schule vermiest. Ging es darum, uns einzuschüchtern?
Eigentlich waren wir doch brav genug? Ging es darum, uns
fertig zu machen? Das hatten wir doch nicht verdient. Ging es
darum, uns zum Lernen zu motivieren? Diesen Effekt konnten
wir beim besten Willen nicht feststellen.
100
Heute glaube ich, dass es mangelndes Einfühlungsvermögen
war. Manche LehrerInnen sind sich nicht bewusst, wie schlimm
diese Situationen für einige SchülerInnen sind. Ich selbst bin mir
dessen erst bewusst geworden, als ich anfing, prüfungsängstliche
Studierende zu beraten. Ich musste merken, dass es manchmal
Erlebnisse sind, die zehn oder fünfzehn Jahre zurückliegen, die
Ängste geschürt haben und die das Selbstwertgefühl von
Studierenden soweit untergraben haben, dass sie sagen:
 „Lieber gebe ich das Studium auf, als dass ich ständig
Angst vor Prüfungen und Vorträgen haben muss“
 „Tief in mir drin weiss ich, dass ich ein Versager bin –
da helfen mir alle guten Noten nichts“
 „Wenn ich einen Vortrag halten muss, merke ich, wie
dumm und wertlos ich mich fühle“
Andere Studierende berichten mir, wie enttäuscht ihre Eltern bei
schlechten Noten waren. Sie erinnern sich, wie sie als
Neunjährige auf dem Nachhauseweg bei einer schlechten Note
geweint haben und sich vor der Reaktion der Eltern fürchteten.
Es handelt sich dabei praktisch kaum um unmotivierte
Studierende, sondern um solche, die schon als Kind fast alles
getan hätten, um ihre Lehrer und Eltern zufrieden zu stellen.
Falls Sie sich als Mutter, Vater oder Lehrkraft bewusst geworden
sind, dass Sie sich so verhalten, möchte ich Ihnen sagen: Durch
Demütigung erreichen Sie nie die faulen und aufsässigen Schüler
- Sie machen die ängstlichen ängstlicher und das Lernen und die
Schule nicht nur zu einer unangenehmen, sondern auch zu einer
verletzenden, kränkenden und bedrohlichen Angelegenheit. Es
sind die fleissigen, diejenigen, die sich Mühe geben und sowieso
Angst davor haben, im Umgang mit den anderen Fehler zu
machen oder die Lehrperson zu enttäuschen, die Blut und
Wasser schwitzen, mit verspanntem Körper dasitzen und auch
dann noch (mit)leiden, wenn es einen anderen Unglücklichen
erwischt hat, der es nicht kann und sich vor allen blamiert.
101
Auf diese Form der Strafe sollte unbedingt verzichtet werden!
Man verlässt sich alleine auf den Lehrer
Die meisten Lehrer kontrollieren, ob die Hausaufgaben erledigt
werden. Dies ist wünschenswert und richtig, ist aber bei Kindern
mit Lernproblemen meist nicht ausreichend. Ist das Lernen und
die Erledigung der Hausaufgaben für ein Kind mit grossen
Mühen verbunden und wird es als zu anstrengend und
langweilig empfunden, bekommt man in der Beratung auch von
10 Jährigen zu hören:
 „Ich kann es am Morgen vielleicht von Florian
abschreiben“
 „Er kontrolliert nicht immer – vielleicht habe ich Glück“
 „Lieber kurz „Schimpfis“ als den ganzen Nachmittag
diesen Mist machen.“
Der Lehrer kann nur überprüfen, ob die Hausaufgaben
vorliegen – ob das Kind sie abgeschrieben oder wirklich etwas
gelernt hat, kann er nicht kontrollieren. Gerade für jüngere
Kinder ist zudem die Zeitdauer, die zwischen dem Erledigen der
Hausaufgaben und der Rückmeldung durch die Lehrperson
liegt, zu gross. Das Videospiel heute ist wichtiger als die
Rückmeldung am Tag darauf.
Grenzen setzen: Keine leichte Sache
Unangenehme Konsequenzen sind dann sinnvoll, wenn sie ein
für das Kind langfristig schädliches Verhalten abbauen, ohne
dabei viele ungute Gefühle auf Eltern- und Kindseite zu
schüren. Sie sollten zudem bald eine Wirkung zeigen. Wenn Sie
sich selbst sagen hören „das habe ich ihm schon hundertmal
gesagt“ oder „wir haben immer wieder Druck aufgesetzt – ohne
102
Erfolg“, dann werden Sie damit auch in Zukunft keinen Erfolg
haben und können es getrost bleiben lassen.
Als Faustregel gilt:
Wenn die Strafe innerhalb von zwei bis drei Wochen nicht zu
einem deutlichen Abbau des Problemverhaltens führt, sollten
Sie es mit etwas anderem versuchen oder eine Beratung in
Anspruch nehmen.
Und so können Sie vorgehen:
1. Definieren Sie, was sich ändern muss. Z.B.:
a. Ich möchte nicht mehr jedes Mal einen Kampf
führen, wenn es darum geht, die Hausaufgaben
zu erledigen.
b. Ich möchte nicht mehr, dass Florian trotzig wird
und flucht, sobald wir mit der Leseübung
beginnen.
Hinweis: Verlangen Sie auf keinen Fall eine zu grosse
Verhaltensänderung. Grössere Ziele sollten in kleinere
Schritte zerlegt werden. So könnte von einem Kind verlangt
werden, dass es zunächst 5 oder 10 Minuten mitmacht und
nicht, dass es gleich die ganzen Hausaufgaben reibungslos
erledigt.
2. Formulieren Sie eine konkrete Erwartung an Ihr Kind.
Wie soll es sich genau verhalten? z.B.:
a. Du beginnst mit den Hausaufgaben pünktlich
eine halbe Stunde nach dem Mittagessen. Ich
werde dich nur einmal daran erinnern.
b. Ich möchte, dass du bei den Leseübungen richtig
mitmachst und dich während diesen 10 Minuten
konzentrierst.
103
Hinweis: Konkrete Erwartungen können von Kindern
leichter erfüllt werden als die Aufforderung, „brav zu sein“.
Es hilft Ihrem Kind, wenn Sie es zu Beginn (vor der
Leseübung, nach dem Mittagessen) daran erinnern, was Sie
erwarten.
3. Legen Sie fest, welche Konsequenzen es hat, wenn Ihr
Kind der Aufforderung nicht nachkommt.
a. Wenn du dich nicht daran hältst, gibt es heute
kein TV und keine Computerspiele.
b. Wenn du wütend und trotzig wirst, musst du es
alleine machen.
Hinweis: Die Konsequenzen sollten für das Kind
unangenehm, aber nicht schädlich sein. Etwas weniger
fernsehen oder Nintendo spielen wird Ihrem Kind nicht
schaden. Fernsehentzug ist aber für die meisten Kinder
schlimmer, als während der 10minütigen Leseübung
mitzumachen.
4. Sagen Sie Ihrem Kind, was Sie von ihm von heute an
erwarten und welche Folgen es hat, wenn es sich
widersetzt. Setzen Sie die Regel konsequent um.
Fallbeispiel
Bernhard und seine Mutter verstrickten sich während des
Lernens oft in Machtkämpfe. Obwohl ihr Sohn erst 10 Jahre alt
war, wusste die Mutter kaum noch, wie sie ihm beikommen
sollte.
Bernhard wies grosse Lücken im Rechnen auf, die durch kurze,
tägliche Übungen abgebaut werden sollten. Zu einem richtigen
Lernen kam es allerdings kaum, wie der folgende Ausschnitt
zeigt:
104
Mutter: Jetzt komm endlich und setz dich
hin
Bernhard: Mann…
Mutter: Nur 10 Minuten
Bernhard lässt
sich von Anfang
an nicht auf die
Situation ein
Bernhard (äfft sie nach): Nur 10 Minuten
Die Mutter
versucht es mit
Bernhard sagt nichts, spielt mit den einer
Aufmunterung,
Fingern
die nichts bewirkt
Mutter: Komm schon, 7 x 7 ?
Mutter: Bitte Bernhard, ich weiss, dass du Sie bittet
Bernhard und lobt
es kannst, 7 x 7 ?
ihn
Bernhard: 49
Mutter: Sehr gut!
Bernhard schaut auf die Uhr: Eine Minute
Was auch nichts
ist um.
nützt
Mutter: 8 x 7 ?
Bernhard
verstärkt seinen
Bernhard: Ist das öde!
Trotz – die
Mutter: Meinst du etwa, mir macht das Mutter wird
wütend
Spass?!
Bernhard (gelangweilt): Von mir aus Bernhard kontert
und die Mutter
können wir es bleiben lassen.
bittet ihn wieder,
105
Mutter: Bitte, konzentrier dich. 8 x 7?
mitzumachen
Bernhard: Weiss ich nicht
Bernhard zeigt
weiterhin
Mutter: Du versuchst es gar nicht. Willst Widerstand – die
Mutter droht
du etwa sitzen bleiben?
Bernhard: Mir doch egal!
Mutter: Dann lassen wir es halt!
– und gibt auf
Bernhards Mutter fiel es schwer, Grenzen zu setzen und auf
deren Einhaltung zu pochen. Ich war deshalb froh, dass sie auf
meine Bitte, eine Hausaufgabensituation auf Video
aufzunehmen, positiv reagiert hatte und das Video mitgebracht
hatte. Es gelang uns an diesem Beispiel, einige wichtige Punkte
zu diskutieren, die ich im Folgenden als Gespräch wiedergeben
möchte:
Danke für das Video. Läuft es bei den Rechenübungen meistens so ab?
Ja.
Hm. Ich möchte gerne mit Ihnen schauen, wie wir an diesem Ablauf etwas
ändern könnten. Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich das Video anschauen?
Es ist mir peinlich. Ich müsste das hinkriegen.
Es ist Ihnen peinlich – was genau finden Sie peinlich?
Dass Bernhard mir so auf der Nase herumtanzt
Hm.
Diese Übungen sind wichtig. Ich will nicht, dass er noch mehr
den Anschluss verpasst.
106
Und doch macht er nicht mit, weigert sich und Sie fühlen sich machtlos.
Ja, wirklich machtlos.
Beim Anschauen des Videos hatte ich das Gefühl, dass Bernhard es
geniesst, wenn er die Macht hat, wenn er Sie dazu bringt, aufzugeben.
Ja, er hatte am Ende für kurze Zeit wirklich einen zufriedenen
Gesichtsausdruck.
Ist ja auch schön, wenn man als Zehnjähriger die Kontrolle über die Mutter
hat?
(lächelt) Ja, das gefällt ihm. Und nicht nur über die Mutter.
Kommt er auch sonst mit diesem Verhalten durch?
Ja, die Lehrerin hat mir gesagt, dass er in der Schule immer
frecher wird und sich kaum noch etwas sagen lässt. Er stört im
Unterricht. Die anderen Kinder finden es lustig, was noch dazu
beiträgt.
Hm. Bernhard gewinnt ziemlich viel mit seinem Verhalten. Er muss die
Übungen nicht machen, erlebt sich Ihnen und der Lehrerin gegenüber als
mächtig und macht sich bei den Klassenkameraden beliebt.
Ja. So betrachtet sind das einige Vorteile.
Denen aber auch viele Nachteile gegenüber stehen.
Klar. So lernt er das Rechnen nie…und es ist natürlich auch
nicht positiv, wenn er lernt, sich auf diese Weise durchzusetzen.
Ja. Und darf ich Sie noch etwas Persönliches fragen?
Was denn?
107
Sie waren am Ende des Videos ziemlich wütend. Wie lange brauchen Sie
danach, bis Sie sich wieder richtig auf Bernhard einlassen können – bis Sie
wieder herzlich sein und ihn richtig annehmen können?
Oha, erwischt.
Das ist nicht einfach, oder?
Nein. Ehrlich gesagt, ich habe manchmal ziemlich lange daran
zu kauen. Letzte Woche war es besonders schlimm – Bernhard
hatte mich eine doofe Kuh genannt. Ich habe zu meinem Mann
gesagt, dass ich mich in solchen Situationen ab und zu sogar
frage, ob ich ihn noch gern habe (fängt an zu weinen). Mein
Gott, das habe ich mich wirklich gefragt.
Es lastet sehr viel Druck auf Ihnen. Sie bemühen sich, nehmen sich Zeit
und Bernhard trotzt und nennt Sie eine doofe Kuh.
(Schluchzt) Ja, es ist wirklich eine grosse Anspannung.
Unter der es Ihnen nicht mehr möglich ist, die Mutter zu sein, die Sie gerne
sein möchten…
Wie kann ich als Mutter so etwas denken?
Darf ich Ihnen etwas sagen?
Ja?
Sie lieben Ihr Kind – diese Gedanken entstehen aus dem Druck heraus
und aus der Wut, die Sie Bernhard gegenüber empfinden. Und wissen Sie
was? Ich finde diese Wut durchaus berechtigt.
Wirklich?
Ja. Die Wut sagt Ihnen, dass Bernhards Verhalten ganz und gar nicht
akzeptabel ist.
108
Ich weiss. Es ist nur – ich finde diese Dressur mit Strafen und
diese ganze Gehorsamkeitserziehung einfach widerlich.
Muss es denn auf Gehorsam hinauslaufen? Wie wäre es mit Respekt?
Respekt?
Ja, gegenseitigem Respekt. Würden Sie Bernhard als „doofe Kuh“ oder
„blöden Kerl“ beschimpfen?
Nein, sicher nicht!
Warum sollte er das Recht haben, das mit Ihnen zu tun? Es geht nicht
darum, dass er Erwachsenen gegenüber gehorsam ist. Aber spricht etwas
dagegen, dass er Erwachsenen und ganz allgemein anderen Menschen
gegenüber den gleichen Respekt zeigt, den er auch von Ihnen erhält?
Nein, eigentlich nicht. Das gefällt mir, gegenseitiger Respekt.
Sie nehmen sich Zeit, geben sich Mühe, ihm zu helfen, und erwarten, dass
er diese Hilfe annimmt?
Ja.
Können wir das ganz konkret als Erwartung an Bernhard aufschreiben?
(schreibt) Bernhard, wir werden jetzt 10 Minuten das 1 x 1 üben
und ich will, dass du mitmachst und dir Mühe gibst.
Sehr gut. Was tun Sie, wenn er sich weigert oder frech wird?
Hm. Dann gibt es an diesem Tag kein TV und keine
Computerspiele.
Gut. Schreiben wir das auch noch auf. Ist das o.k. für Sie?
109
Ja. Es ist sicher besser, wenn er an einem Tag nicht vor der
Glotze sitzt, als wenn ich den ganzen Nachmittag wütend auf
ihn bin.
Ja. Schauen wir uns noch einige wichtige Punkte an: Sagen Sie Bernhard in
einem ruhigen Moment, dass Sie sich für diese Regel entschieden haben. Sie
können ihm sagen, dass es Ihnen sehr wichtig ist, dass er in der Schule
mitkommt und Sie diese Regel daher notwendig finden. Erinnern Sie ihn
vor dem Lernen daran, was Sie von ihm erwarten. Wenn er sich nicht
daran hält, können Sie ihn einmal daran erinnern, dann sagen Sie ihm
einfach, dass TV und Computerspiele für heute gestrichen sind, stehen auf
und gehen. Lassen Sie sich nicht auf eine Diskussion ein.
Ist gut. Das wird mich einiges an Überwindung kosten.
Ja, aber Sie werden es schaffen.
Was mache ich, wenn er dann trotzdem sagt, dass er die Übung
noch machen will?
Dann sagen Sie ihm einfach, dass es für heute zu spät ist und er morgen gut
mitmachen kann.
Die Videoaufzeichnung vom ersten Tag zeigte folgenden
Dialog:
Mutter: Bernhard, wir fangen an. Du
weisst, wie es läuft. Ich erwarte von dir,
dass du dir diese zehn Minuten Mühe gibst
und mitmachst.
Bernhard: Mann Mami…
Mutter: Ich möchte, dass du das sein lässt
und mitmachst. 7 x 7 ?
110
Die Mutter sagt
Bernhard noch
einmal, was sie
erwartet
Bernhard: Das scheisst mich an!
Die Mutter
reagiert
Mutter: Ist gut. Heute kein TV und keine konsequent
Computerspiele.
Bernhard: Ich mach ja schon mit.
Mutter: Du
mitmachen.
kannst
morgen
Und lässt sich
gut nicht mehr
umstimmen
Die Mutter steht auf und geht. Bernhard
flucht und mault noch etwas herum.
Es dauerte drei Tage, bis Bernhard merkte, dass es seine Mutter
ernst meint. Danach war er bereit, sich Mühe zu geben.
Die Lage entspannte sich, Bernhard verbesserte sich im
Rechnen und die Beziehung zwischen Mutter und Kind wurde
wieder herzlicher und lockerer.
In der Schule besserte sich die Situation ebenfalls, nachdem die
Lehrerin nach einem Gespräch mit der Mutter Bernhard öfter
für gutes Mitmachen lobte und ihn bei ersten Anzeichen von
aufsässigem Verhalten jeweils alleine an ein Pult setzte.
Die Checkliste auf der nächsten Seite kann Ihnen dabei helfen,
klarere Grenzen zu setzen:
111
Checkliste „Grenzen setzen“
Folgendes Verhalten stört mich:
__________________________________________________
__________________________________________________
__________________________________________________
Ich erwarte von meinem Kind:
__________________________________________________
__________________________________________________
__________________________________________________
Wenn es sich widersetzt, reagiere ich folgendermassen:
__________________________________________________
__________________________________________________
__________________________________________________
o Ich habe mich mit meinem Partner abgesprochen – wir
stehen beide dahinter und werden gleich reagieren
o Wir haben unserem Kind mitgeteilt, dass diese Regel
von jetzt an gültig ist
o Wir sind bereit, den anfänglichen Widerstand und die
Wut, die diese Regel bei unserem Kind vielleicht
auslösen wird, auszuhalten und die Regel konsequent
durchzusetzen
112
Regeln und Grenzen: Etwas Altmodisches?
Sind Regeln altmodisch? Geht es ohne?
Als Reaktion auf die autoritäre, auf Gehorsam ausgerichtete
Erziehung entstand die anti-autoritäre Erziehung. Wie sich
allerdings zeigte, ist eine Erziehung, die alles zulässt, für Kinder
nicht förderlich und schafft viele Probleme. Kinder brauchen
Wertschätzung und Liebe. Sie brauchen aber auch klare
Grenzen, wenn sie sich zu gesunden Erwachsenen entwickeln
sollen. Grenzen schränken ein Kind nicht nur ein, sie geben ihm
auch Halt und Orientierung und gehören zu einer gesunden
Erziehung dazu. Respekt im Umgang mit anderen und
Freundlichkeit sind Werte, die wir neben Selbstbestimmung
unseren Kindern auch heute vermitteln sollten – sie werden es
sonst später schwer haben.
Inzwischen gibt es sehr viel Forschung zu verschiedenen
Erziehungsstilen. Dabei werden in Anlehnung an Baumrind
(1968) meist vier Stile unterschieden (mehr dazu findet sich in
Fuhrer, 2009; Schneewind & Böhmert 2009; Bornstein &
Zlotnik, 2007).
Eltern, die einen autoritativen Erziehungsstil pflegen, zeigen
ihren Kindern viel Wertschätzung und Wärme. Sie akzeptieren
das Kind so, wie es ist, und fördern seine Selbständigkeit und
Autonomie. Sie reden offen mit ihren Kindern und handeln
Regeln aus. Sie achten darauf, dass ihr Kind Regeln einhält, und
sie überprüfen, wie sich ihr Kind verhält und wie es ihm in der
Schule geht. Sie fordern von ihrem Kind, dass es sich anstrengt
und bieten so viel Hilfe wie nötig und so wenig wie möglich.
Eltern mit einem autoritären Erziehungsstil ist es in erster Linie
wichtig, dass ihr Kind gehorcht. Sie üben viel Kontrolle aus und
bieten dem Kind wenig Gelegenheit, eigene Entscheidungen zu
treffen und Autonomie zu entwickeln. Sie fordern zu viel von
113
ihren Kindern, achten vor allem auf Leistung und strafen härter
als Eltern mit einem autoritativen Erziehungsstil.
Eltern mit einem permissiven Erziehungsstil sind sehr
warmherzig und fürsorglich, setzen dem Kind aber kaum
Grenzen. Sie fordern das Kind nicht und weisen es kaum
zurecht, wenn es sich aggressiv verhält oder daneben benimmt.
Permissive Eltern – oft auch als antiautoritäre Eltern bezeichnet
– glauben, dass es einem Kind schadet, wenn man es
einschränkt und ihm Regeln aufzwingt. Sie verhalten sich dem
Kind gegenüber eher wie Freunde, als wie Eltern.
Schliesslich gibt es noch Eltern, die ihrem Kind weder
Wertschätzung zeigen, noch Grenzen aufzeigen. Sie
vernachlässigen ihr Kind. Dieser Erziehungsstil ist der einzige,
bei dem die Eltern keine Erziehungsvorstellungen haben und
sich keine Gedanken darüber machen, was für das Kind gut ist.
Oft sind Eltern, die diesen Erziehungsstil pflegen, völlig
überfordert, psychisch krank oder kämpfen mit grossen
Problemen und haben deshalb keine Ressourcen, um sich ihren
Kindern zuzuwenden.
In Seminaren und Beratungen bin ich praktisch nie auf Eltern
gestossen, die einen vernachlässigenden Erziehungsstil pflegen –
diese würden kaum die Motivation aufbringen, ein Seminar zu
besuchen.
Die meisten pflegten einen autoritativen Erziehungsstil, viele
zeigen Anzeichen eines permissiven Erziehungsstils und eher
wenige einen autoritären.
Prof. Perrez, der sich seit vierzig Jahren mit Erziehung befasst,
meint rückblickend, dass er zu Beginn seiner Karriere bei
Erziehungstrainings vor allem auf Eltern stiess, die einen
autoritären Erziehungsstil pflegten und es sein wichtigstes
Anliegen war, dass die Eltern lernten, ihren Kindern mehr
Wertschätzung zu zeigen. Heute sei die Situation umgekehrt: Er
114
treffe auf viele Eltern, die den Kindern sehr viel Wertschätzung
zeigen, sich jedoch kaum getrauen, klare Grenzen aufzuzeigen
und verbindliche Regeln aufzustellen. Heute sei es eher seine
Aufgabe, Eltern zu vermitteln, dass auch Halt und Orientierung
für Kinder wichtig seien und sie Eltern brauchen, die eine klare
Struktur vorgeben und Grenzen aufzeigen.
Die Forschung zeigt ein ganz klares Bild: Kinder, deren Eltern
einen autoritativen Erziehungsstil zeigen, die also viel
Wertschätzung zeigen, Selbständigkeit fördern und dennoch
klare Strukturen und Regeln schaffen, entwickeln sich am
besten. Sie zeigen auch die höchste schulische Kompetenz,
strengen sich mehr an, entwickeln bessere Lernstrategien, haben
mehr Ausdauer, können mit Misserfolgen besser umgehen und
entwickeln mehr Selbstvertrauen (mehr dazu findet sich in
Aunola, Stattin & Nurmi, 2000; Fuhrer, 2009; Spera, 2005;
Schneewind, 2003;).
Kinder, deren Eltern einen autoritären Erziehungsstil pflegen,
haben nicht unbedingt schlechtere Noten. Sie entwickeln jedoch
kaum Eigenmotivation, haben weniger Selbstvertrauen, gehen
Herausforderungen aus Angst vor Versagen aus dem Weg und
entwickeln weniger hilfreiche Strategien. Sie haben weniger
Freude am Lernen, sind weniger neugierig und strengen sich
eher aus Angst vor Strafe und Zurechtweisung an (mehr dazu
findet sich in Aunola, Stattin & Nurmi, 2000; Bornstein und
Zlotnik, 2007; Ginsburg und Bronstein, 1993; Gonzalez,
Greenwood & Wenhsu, 2001; Lamborn, Mounts, Seinberg und
Dornbusch, 1991).
Kinder permissiver Eltern zeichnen sich meist dadurch aus, dass
sie wenig Ausdauer haben, schlecht mit Stress und Frustrationen
umgehen können, kaum hilfreiche Strategien entwickeln und
unselbständig sind. In einer Studie von Rhumberger und seinen
Mitarbeitern zeigte sich, dass Jugendliche, welche die Schule
abbrachen, meistens von Eltern mit einem permissiven
Erziehungsstil erzogen wurden (für weitere Informationen:
115
Bornstein und Zlotnik, 2007; Gonzalez, Greenwood & Wenhsu,
2001, Rhumberger, Ghatak, Poulos, Ritter und Dornbusch,
1990).
Kinder, die vernachlässigt werden, schneiden – wie zu erwarten
– am schlechtesten ab. Sie zeigen oft Entwicklungsdefizite, eine
deutlich unterdurchschnittliche Leistungsfähigkeit und wenig
Selbstvertrauen (mehr dazu: Liebenwein, 2008; Darling 1999,
Kindler 2006).
Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen durchweg, wie
wichtig es ist, dass Kinder Eltern haben, die auf der einen Seite
viel Wärme und Liebe zeigen, sich auf das Kind einlassen, sich
Zeit nehmen und die Selbständigkeit des Kindes fördern, die auf
der anderen Seite aber auch bereit sind, mit dem Kind Regeln
auszuhandeln, Grenzen zu setzen, für eine klare Struktur zu
sorgen und konsequent zu reagieren.
Im ersten Teil des Kapitels Motivation haben Sie erfahren, wie
Sie wertschätzend auf das Kind reagieren, es fördern und
fordern können. Im zweiten Teil wurden Sie mit Möglichkeiten
vertraut gemacht, Grenzen zu setzen.
Wenn Sie möchten, können Sie sich etwas Zeit nehmen und sich
fragen, woran Sie eher arbeiten sollten. Wie nehmen Sie sich
selbst wahr? Wie empfinden Ihr Partner oder andere Personen,
die Sie gut kennen, Ihre Erziehung? Was fällt Ihnen schwerer –
Grenzen zu setzen oder Wertschätzung zu zeigen?
Falls Sie mehr zu diesem Thema wissen möchten, könnten Sie
die praktischen und leicht lesbaren Ratgeber „Freiheit in
Grenzen“ von Klaus Schneewind und Beate Böhmert (2009)
interessieren. Die Bücher enthalten eine DVD, auf der die
Erziehungsstile sehr anschaulich dargestellt werden.
Mehr Informationen finden Sie auch auf www.mit-kindernlernen.ch
116
Selbständigkeit
Viele Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder die Hausaufgaben
ohne Hilfe erledigen und Prüfungen selbständig vorbereiten.
Wie schnell dieses Ziel erreicht werden kann, hängt stark von
Ihrem Kind ab. Insbesondere, wenn Ihr Kind
Lernschwierigkeiten hat und überfordert ist, kann
Selbständigkeit nur in kleinen Etappen erreicht werden.
Dennoch sollte dieses Ziel unbedingt verfolgt werden, wie
mehrere Studien zeigen.
Untersuchungen von D’Ailly (2003), Gurland & Grolnik (2005),
Grolnik, Ryan & Deci, (1991) sowie Pomeranz, Moorman und
Litawack (2007) weisen darauf hin, dass es sich in mehrerer
Hinsicht günstig auf die Kinder auswirkt, wenn Eltern die
Selbständigkeit ihrer Kinder unterstützen.
Die Forschungsergebnisse dieser Autoren zeigen, dass nicht nur
die Motivation, das Interesse und die Leistungsorientierung der
Kinder durch Hilfe in Richtung Selbständigkeit gefördert
werden
konnten,
sondern
auch
die
tatsächliche
Leistungsfähigkeit der Kinder. Kinder, die „Hilfe zur
Selbsthilfe“ erfahren, entwickeln zudem ein positiveres
Selbstkonzept: Sie vertrauen mit der Zeit stärker auf ihre
schulische Leistungsfähigkeit.
Joussemet, Koestner, Lekes und Landry (2005) untersuchten,
inwieweit Eltern ihre fünf Jahre alten Kinder in ihrer Autonomie
unterstützen. Einige Jahre später, als die Kinder in der dritten
Klasse waren, untersuchten sie die Kinder erneut. Es zeigte sich,
dass die Kinder von Eltern, die ihre Kinder schon früh in ihrer
Selbständigkeit unterstützten, sozial besser zurecht kamen und
besser lesen konnten.
117
Es lohnt sich also, in die Selbständigkeit des Kindes zu
investieren.
Falls Sie bisher viel geholfen haben, sollten Sie jedoch auf
keinen Fall jegliche Hilfe von heute auf morgen einstellen, um
auf diese Weise Selbständigkeit zu erzwingen. Dieses Vorgehen
würde Ihr Kind überfordern.
Doch wie können Sie als Eltern eigenverantwortliches Lernen
fördern? Antworten auf diese Frage finden Sie in diesem
Kapitel.
Schritt für Schritt mehr Selbständigkeit
Üben Sie die Selbständigkeit zunächst mit einfacheren Arbeiten
und mit den Lieblingsfächern Ihres Kindes. Mit wachsenden
Fertigkeiten kann Ihr Kind immer mehr Verantwortung
übernehmen.
Einfache Arbeiten sind z.B.:




Einen Hefteintrag rein schreiben
Etwas ausmalen
Den Arbeitsplatz vorbereiten
Den Rucksack für den nächsten Tag mit Hilfe einer
Checkliste selbst packen
Schwieriger sind die üblichen Hausaufgaben. Diese werden aber
von den meisten Lehrern so gestellt, dass es den Kindern
möglich sein sollte, sie selbst zu erledigen. Am schwierigsten ist
die Vorbereitung von Prüfungen.
Auf Ihre Haltung kommt es an
118
Wenn Sie bei Ihrem Kind selbständiges Verhalten fördern
möchten, ist es unbedingt notwendig, dass Ihre Haltung und Ihr
Verhalten als Eltern mit diesem Ziel übereinstimmen. Das klingt
logisch, ist aber nicht so einfach umzusetzen. Häufig wird
unselbständiges Verhalten von den Eltern unbewusst belohnt
und selbständiges Verhalten „bestraft“.
Bestraft wird Selbständigkeit, wenn die Eltern mit dem vom
Kind erzielten Resultat unzufrieden sind. Muss das Kind die
Aufgaben nochmals erledigen oder längere Korrekturarbeiten
über sich ergehen lassen, liegt es nicht fern, zu denken: „Wenn
ich es alleine nicht gut genug mache, dann frage ich gleich um
Hilfe und erspare mir den Ärger!“
Auch gut gemeinte Hilfe der Eltern oder eines Nachhilfelehrers
kann ein Kind unselbständig machen. Stellt Ihr Kind fest, dass
es sich durch Ihre Hilfe weniger anstrengen muss oder schneller
fertig wird, wird es die Hilfe nur zu gern in Anspruch nehmen.
Solche Hilfe ist zu bequem, um sie sich entgehen zu lassen. Von
aussen betrachtet ist es ganz witzig zu sehen, wie Kinder darauf
reagieren. Zwei Kostproben aus unserer Praxis:
„Naja, meine Mutter erklärt es mir dann. Wir gehen einfach Seite für Seite
durch und sie erklärt es und macht Beispiele. Sie ärgert sich dann immer,
wenn sie merkt, dass ich gar nicht mehr zuhöre.“
„Also ehrlich gesagt, in der Schule passe ich nicht so auf. Frau Hegel,
meine Nachhilfelehrerin, erklärt es eh viel besser.“
Es ist nicht leicht, aber als Eltern können Sie bei Ihrem Kind
nur auf mehr Eigeninitiative hoffen, wenn Sie mit dem Resultat
gelassen umgehen. Das Ziel „Selbständigkeit“ muss Ihnen
wichtiger sein, als die zu hundert Prozent korrekte Erledigung
der Hausaufgaben.
119
Sobald Sie diese Einstellung verinnerlicht haben, können Sie
einiges tun, um selbständiges Arbeiten zu fördern.
Loben Sie gezielt Selbständigkeit und
Eigenverantwortlichkeit
Ihr Kind wird sich eher um Selbständigkeit bemühen, wenn Sie
ihm zeigen, dass selbständiges Arbeiten für Sie besonders
wichtig ist. Bringen Sie Ihren Stolz darüber zum Ausdruck und
ermutigen Sie Ihr Kind, so weiterzufahren oder eine Aufgabe
alleine zu versuchen:

„Jetzt bist du aber sehr weit alleine gekommen.“

„Schön machst du das, so habe ich nachher Zeit für ein
Spiel.“

„Was meinst du, willst du die nächsten zwei
Rechenaufgaben einmal alleine versuchen? Ich glaube,
du kannst das.“

„Also dass du sogar diese schwierigen Aufgaben alleine
kannst, hätte ich nicht gedacht!“

„Das ist doch nicht schlimm, wenn ein paar falsch sind.
Mir ist es wichtiger, dass du es selbst versucht hast.“
Eine Veränderung kann zudem besser und schneller erzielt
werden, wenn Sie den Lehrer am Elternabend über Ihr
Vorhaben in Kenntnis setzen. Es ist hilfreich, wenn der Lehrer
weiss, dass evtl. schlechter gelöste Hausaufgaben nicht auf
mangelnde Motivation oder Probleme Ihres Kindes
zurückzuführen sind, sondern auf weniger elterliche Hilfe – so
wird er angemessen darauf reagieren können.
Planen Sie mit Ihrem Kind
120
In unseren Beratungen verknüpfen wir das Ziel
Eigenverantwortung in einem Gespräch mit positiven
Gedanken und Gefühlen. Kinder gehören gerne zu den
Grösseren, den Älteren und Erwachseneren und natürlich
gehört es zum Älter- und Grösserwerden dazu, wie ein
Erwachsener mehr Verantwortung zu übernehmen und etwas
alleine zu tun.
Die Kinder hören meist gespannt zu und sind mit uns einer
Meinung: Sie sind gross genug, um selbständiger zu werden.
Manche finden es sogar etwas „bubi“, sich noch bei allem von
den Eltern helfen zu lassen.
Wenn die Kinder grundsätzlich damit einverstanden sind,
eigenständiger zu lernen, fragen wir sie, was sie sich alles
zutrauen. Als Eltern können Sie beispielsweise jeweils am
Nachmittag mit Ihrem Kind einen Hausaufgabenplan erstellen.
Lassen Sie sich von Ihrem Kind erklären, was es alles erledigen
muss und wie es dabei vorgehen wird. Das Kind kann die
Hausaufgaben von einfach bis schwierig in eine Reihenfolge
bringen und bei den einfacheren Aufgaben beginnen. Dann
macht es solange weiter, bis die Aufgaben so schwer werden,
dass es das Gefühl hat, Hilfe zu benötigen. Nun kann es Sie
rufen. Auch an diesem Punkt können Sie zunächst zusammen
mit Ihrem Kind überlegen, wie es alleine weitermachen könnte
oder ob es lediglich eine kleine Hilfestellung benötigt.
Falls Sie als Vater über Mittag zu Hause sind, wird sich Ihr Kind
vielleicht freuen, wenn Sie sich Zeit nehmen, um mit ihm die
Hausaufgaben zu planen. Wie Sie dabei vorgehen können, zeigt
das folgende Fallbeispiel:
Tobias (vierte Klasse) macht einen Hausaufgabenplan
Der Vater von Tobias hilft seinem Sohn jeweils nach dem
121
Mittagessen, einen Lern- und Hausaufgabenplan zu erstellen.
Dies hat sich als festes Ritual etabliert. Tobias geniesst es, dass
sein Vater sich kurz Zeit für ihn nimmt, bevor er wieder zur
Arbeit geht. Besonders gut gefällt ihm, wie ernst sein Vater ihn
nimmt. Aus dem Planen hat sich im Laufe der Zeit fast ein
kleines Spiel entwickelt:
V: Machen wir den Plan?
T : Ja, ich hole das Hausaufgabenheft.
V: Was hast du alles auf?
T: Ein Blatt mit Rechnen, von hier bis da Lesen und am
Donnerstag habe ich noch ein Diktat, das ich vorbereiten muss.
Ah ja und da im Heft muss ich noch einen schönen Titel malen.
V: Gut, wann und mit was willst du denn anfangen?
T: Um zwei möchte ich anfangen und ich glaube, ich mache
zuerst Mathe.
V: Gut zuerst Mathe. Wie lange brauchst du für das ganze Blatt?
T: 20 Minuten?
V: Es sind ziemlich viele Rechnungen und schau mal, gegen
Ende werden sie sehr schwierig.
T: Eine halbe Stunde?
V: Wenn du schnell bist, ja.
T: Dann mach ich mal zunächst bis hierhin, das schaff ich in
zwanzig Minuten. Dann eine kurze Pause.
122
V: Ja, schreibe das mal auf, zwanzig Minuten rechnen, dann 5
Minuten Pause. Was kommt dann?
T: Lesen. Das schaffe ich in einer Viertelstunde, ist ja nicht so
viel.
V: Gut, dann lesen und nochmals ein kurze Pause?
T: Ich glaube, ich mache dann gleich noch den Titel. Dann
brauche ich nicht unbedingt eine Pause. Dazu kann ich Musik
hören – ist ja nicht kompliziert.
V: Also, zuerst zwanzig Minuten rechnen, eine kleine Pause,
dann lesen und den Titel machen. Dann ist es fast drei und es
bleiben noch das Diktat und der Rest der Rechnungen.
T: Um drei möchte ich aber gerne zu Andreas.
V: O.k. und wann machst du die Rechnungen und das Diktat?
T: Die restlichen Rechnungen mache ich vor dem Abendessen
und korrigiere sie mit dem Taschenrechner.
V: Ja, das finde ich in Ordnung. Es wäre aber schon gut, wenn
du das Diktat auch schon einmal übst. Was meinst du?
T: Wenn es sein muss.
V: Kompromiss? Ich diktiere dir nach dem Abendessen das
halbe Diktat und wir schauen uns genau an, wie du dir die
schwierigen Wörter in diesem Teil merken könntest?
T: Also gut, Kompromiss.
Tobias und sein Vater beachten in dieser kurzen Sequenz einige
Prinzipien, die sich positiv auf Tobias Arbeitsverhalten
123
auswirken. Der Vater hält Tobias dazu an, ein sauberes
Hausaufgabenheft zu führen, damit sie gemeinsam planen
können.
Bei der Planung achten Sohn und Vater darauf, Pausen und
Freizeit einzuplanen, mit den Fächern abzuwechseln und etwas
Einfacheres (Heftgestaltung) an eine Stelle zu setzen, wo mit
einem Konzentrationsabfall zu rechnen ist. Das Diktat, das erst
in drei Tagen geprüft wird, wird schon jetzt ein erstes Mal
angeschaut.
Der Vater lässt Tobias die Zeit einschätzen, die er für die
einzelnen Aufgaben brauchen wird. Dabei korrigiert er ihn,
wenn er sich überschätzt. Dies hilft Tobias, realistisches Planen
zu lernen und motiviert ihn, sich an die von ihm selbst
vorgegebenen Zeiten zu halten.
Tobias wird zu Selbstständigkeit angehalten. Dies merkt man
z.B. daran, dass er bereits selbst vorschlägt, die Rechnungen mit
dem Taschenrechner zu korrigieren.
Das wichtigste Prinzip verwirklicht der Vater aber im Umgang
mit seinem Sohn. Er nimmt ihn ernst, begegnet ihm mit
Wertschätzung und lässt ihn mitbestimmen. Dabei ist er auch zu
Kompromissen bereit.
In diesem Fallbeispiel wird ein wichtiger Punkt sichtbar:
Selbstverantwortung können wir nur erwarten, wenn wir bereit
sind, dem Kind ein gewisses Mass an Vertrauen
entgegenzubringen und ihm auch erlauben, einiges selbst zu
bestimmen. Manchmal heisst dies als Eltern nachzugeben,
Kompromisse einzugehen oder darüber hinwegzusehen, dass
nicht alle Hausaufgaben erledigt werden.
Bieten Sie Hilfe zur Selbsthilfe
124
Beim Planen kann mit dem Kind bereits ausgehandelt werden,
was es ganz alleine tun kann. Häufig reicht es aus, sich ab und
zu die Frage zu stellen:
Was könnte mein Kind auf welche Weise selbst erledigen?
Kinder können zum Beispiel:




Die Rechnungen mit dem Taschenrechner selbst
korrigieren.
Das Diktat auf Tonband sprechen und die Eltern
lediglich die Korrekturen vornehmen lassen.
Selbst überlegen, wie sie sich schwierige Wörter merken
könnten.
Den Text lesen und den Eltern erzählen, was sie gelesen
haben, damit diese sie auf Passagen aufmerksam machen
können, die sie nicht richtig verstanden haben.
Bei anderen Aufgaben sind einige Kinder ohne Hilfe zunächst
überfordert. Dann gilt es, als Eltern Hilfe zur Selbsthilfe zu
leisten. Hilfe zur Selbsthilfe unterscheidet sich dabei wesentlich
von reiner fachlicher Hilfe, wie sie Kinder nicht nur von Eltern,
sondern leider häufig auch von Nachhilfelehrern erhalten.
Fachliches Helfen zeichnet sich dadurch aus, dass die Eltern
ihrem Kind den Stoff direkt vermitteln, ihm also Themengebiete
erklären, den Text einfacher wiedergeben, Beispiele machen etc.
Diese Art der Hilfestellung ist geeignet, um bei der nächsten
Prüfung eine gute Note zu erzielen. Sie hilft dem Kind nicht,
selbständiger zu werden und effiziente Lernstrategien zu
entwickeln – es wird lediglich der jeweilige Stoff vermittelt.
Nachhilfe, die nur aus fachlicher Hilfe besteht, kann „abhängig“
machen und dem Kind das Gefühl vermitteln, darauf
angewiesen zu sein. Bei der Wahl eines Nachhilfelehrers sollten
Sie deshalb unbedingt darauf achten, ob die Nachhilfe
vermehrte Selbständigkeit zum Ziel hat, oder ob es im Gegenteil
125
darum geht, dass Ihr Kind durch die Nachhilfe und nur durch
die Nachhilfe gute Noten erzielt.
Sinn macht rein fachliche Nachhilfe dann, wenn ganz konkret
auf ein bestimmtes Ziel wie eine Abschlussprüfung hin gelernt
wird und es nicht darum geht, selbständiges Arbeitsverhalten zu
lernen. Ansonsten sollte Eigenverantwortung und der Erwerb
guter Lern- und Arbeitsstrategien immer ein Bestandteil der
Nachhilfe sein.
Hilfe zur Selbsthilfe ist darauf ausgerichtet, dem Kind Strategien
zu vermitteln. Als Eltern aktivieren Sie Ihr Kind durch Fragen,
um ein überlegtes Vorgehen beim Lernen und dem Lösen von
Hausaufgaben zu fördern. Sie achten grundsätzlich darauf, Ihr
Kind bei den Hausaufgaben zu unterstützen, ohne diese für das
Kind zu erledigen.
Schauen wir uns Schritt für Schritt an, wie die typische fachliche
Hilfe () aussieht, die Kinder eher abhängig von weiterer Hilfe
macht, und wie Hilfe zur Selbsthilfe () aussehen könnte:
 Sie geben dem Kind ein Beispiel
 Sie regen das Kind dazu an, ein Beispiel zu finden:
o Kannst du dazu ein Beispiel geben?
o Hast du so etwas schon einmal gesehen / gehört
/ erlebt?
 Sie erklären einen Text in einfacheren Worten.
 Sie helfen dem Kind, sich den Originaltext zu erarbeiten:
o Was könnte das bedeuten?
o Was hast du bisher verstanden?
126
o Findest du irgendwo im Text eine Erklärung,
was dieses Wort bedeuten könnte?
o Lies einmal weiter, auch wenn du nicht gleich
alles verstehst. Vielleicht wird es später oder
beim zweiten Mal Lesen klarer.
o Willst du das Wort im Wörterbuch
nachschlagen?
o Erklär mir doch mal, was du bisher gelesen hast
 Sie sagen dem Kind, wie es vorgehen soll
 Sie fragen das Kind, wie es vorgehen könnte:
o Wie willst du den Stoff bis zur Prüfung einteilen?
o Wie viel Zeit wirst du dafür brauchen?
o Letztes Mal hast du die Stoffmenge ein wenig
unterschätzt, weisst du noch? Wie könnest du
darauf achten, dass das diesmal nicht passiert?
o Was scheint dir das Wichtigste zu sein?
o Wie könntest du dir das am besten merken?
o Was davon könntest du ganz alleine machen?
Wie soll ich dir bei den restlichen Aufgaben
helfen?
o Erklär mal, wie hast du die letzte Aufgabe gelöst?
Gut. Hilft dir das bei dieser Aufgabe?
o Was musst du denn genau herausfinden? Wie
könntest du das angehen?
 Sie starten gleich mit der Vermittlung von Wissen
 Sie zeigen Ihrem Kind, wieviel es bereits weiss und
wecken Interesse:
127
o Was weisst du bereits über die Eskimos,
vielleicht kannst du dich noch an diesen Film
erinnern?
o Was weisst du noch aus dem Unterricht über
dieses Thema? Sehr gut, fällt dir sonst noch
etwas ein?
o Was könnte dich an diesem Thema interessieren?
 Sie lösen mit dem Kind zusammen einige Beispiele der
Hausaufgaben
 Sie zeigen dem Kind das Vorgehen anhand einiger
Beispiele ausserhalb der eigentlichen Hausaufgaben, um
zu verhindern, dass das Kind die Hilfe als zu bequem
empfindet.
 Sie legen viel Gewicht auf ein gutes Ergebnis:
 Sie zeigen, dass Ihnen Interesse und selbständiges
Arbeiten wichtiger sind:
o Gut, so würde ich auch vorgehen.
o Ich habe ja gar nicht gewusst, wie eklig so eine
Mumifizierung war, die richtig interessanten
Dinge haben wir natürlich, als ich jung war, nicht
durchgenommen.
o Schön, wie du das alles alleine machst.
o Hättest du das gedacht?
o Komm, erzähl mir doch, was du alles gelernt
hast.
Hilfe zur Selbsthilfe besteht also vorwiegend aus Fragen, die Ihr
Kind dazu anregen, selbst zu überlegen, wie es:
128





Die Prüfungsvorbereitung planen soll
Sich schwierige Dinge merken könnte
Sich einen Text erarbeitet
Wichtiges von Unwichtigem unterscheidet
Bei Mathematikaufgaben vorgeht
Ein wichtiges Instrument ist geduldiges Zuhören. Die schlichte
Frage:
Was hast du bisher gelernt?
und darauf folgendes Zuhören hilft Ihrem Kind, sich kompetent
zu fühlen und Selbstvertrauen zu entwickeln. Das Kind erklärt,
ist der Lehrer, und Sie, die Eltern, hören zu und stellen Fragen.
Nicht nur das: Ihr Kind lernt auch, Antworten zu formulieren,
sein Wissen abzurufen und zu strukturieren und Wissenslücken
selbst zu erkennen.
Hilfe zur Selbsthilfe ist zunächst mühsamer und scheinbar
weniger erfolgreich als fachliche Hilfe. Es dauert länger, bis sich
ein Kind auf diese Weise bestimmte Inhalte erarbeitet hat, und
zu Beginn werden Sie immer wieder versucht sein, ihm einfach
zu sagen, wie es vorgehen soll. Aber: Die Mühe lohnt sich! Hilfe
zur Selbsthilfe stellt eine wirksame Möglichkeit dar, Ihrem Kind
nicht nur Inhalte, sondern auch Lernkompetenzen zu
vermitteln, Hilflosigkeit und Abhängigkeit zu reduzieren und an
deren Stelle eine von Selbständigkeit, Selbstvertrauen und
Selbstbewusstsein geprägte Arbeitshaltung aufzubauen.
Ihr wichtigstes Ziel beim Helfen sollte es sein, bei Ihrem Kind
Interesse zu wecken, Lernkompetenzen aufzubauen und das
Selbstvertrauen zu fördern.
129
Gedächtnis und Gehirn
Wie unser Gehirn lernt
In diesem Kapitel wollen wir uns dem Gehirn zuwenden. Wir
befassen uns zunächst kurz mit seiner Funktionsweise, um dann
etwas länger bei der Frage zu verweilen, wie Sie dieses Wissen
nutzen können, um Ihrem Kind das Lernen zu erleichtern.
Wenn Sie mehrere der Hilfen, die im zweiten Teil dieses
Kapitels beschrieben werden, beachten, werden Sie feststellen,
wie viel schneller sich Ihr Kind neuen Stoff merken und wie viel
länger es diesen im Gedächtnis behalten kann.
Unser Gehirn
Unser Gehirn wiegt ca. 1.4kg. Es besteht aus ca. 100 Milliarden
Nervenzellen, sogenannten Neuronen, die zwei Fähigkeiten
aufweisen. Sie können:
1. Miteinander Verbindungen eingehen und
2. Informationen weitergeben
Schauen wir uns ein solches Neuron an:
130
Wie wir anhand der Zeichnung sehen, besteht ein Neuron aus
einem Zellkörper, mehreren Dendriten, einem Axon und
Synapsen.
Nervenzellen erhalten von anderen Nervenzellen Impulse und
schicken, je nachdem, wie stark der eingehende Impuls war,
selbst einen Impuls über ihr Axon an andere Neuronen weiter.
Die Übertragung des Impulses von einer Nervenzelle zur
nächsten findet an den Synapsen statt. Auch das wollen wir uns
anhand eines Bildes ansehen.
131
Entlang des Axons wird ein elektrischer Impuls weitergeleitet,
der an der Synapse zu einem Ausstoss von Stoffen führt,
sogenannten
Neurotransmittern.
Werden
genügend
Neurotransmitter freigesetzt, entsteht ein weiterer elektrischer
Impuls bei der Empfängerzelle. Werden hingegen nur wenige
Neurotransmitter ausgeschüttet, passiert nichts – es wird also
keine Information weitergegeben.
Neuronen und Neuronengruppen sind Informationsträger. So
können wir uns vereinfacht vorstellen, dass eine bestimmte
Gruppe von Neuronen immer dann einen Impuls von sich gibt,
wenn ein bestimmtes Wort vorliegt, beispielsweise „Storch“.
Lesen oder hören wir das Wort Storch, wird die
Neuronengruppe aktiviert – das Wort wird dadurch in unserem
Gehirn repräsentiert. Genauso könnten wir umgekehrt, indem
wir diese Neuronen durch einen kleinen Stromstoss aktivieren,
bewirken, dass wir an einen Storch denken.
Wenn wir lernen, werden Neuronen aktiviert, wobei jeweils
bestimmte neuronale Netzwerke aktiviert werden, je nachdem,
womit wir uns beschäftigen. So kann man jeweils in anderen
Hirnregionen Aktivität feststellen, je nachdem, ob man
jemandem die Aufgabe gibt, an Hunde, seinen Partner oder den
Satz des Pytagoras zu denken.
Wie lernt nun das Gehirn?
Neues zu lernen heisst, vereinfacht gesagt, Assoziationen
(Verknüpfungen / Verbindungen) herzustellen. Wenn wir Lesen
lernen, müssen wir zwischen bestimmten Schriftzeichen und
bestimmten Lauten eine Verbindung herstellen. Beim Rechnen
müssen Assoziationen zwischen Aufgaben, Lösungswegen und
Resultaten geknüpft werden. Wenn wir über etwas nachdenken,
werden Neuronen netzwerkartig aktiviert und die gelernten
Assoziationen werden nach und nach wieder verfügbar. Wenn
ich Ihnen den Namen einer bekannten Persönlichkeit nenne,
132
z.B. Bill Clinton, werden automatisch Assoziationen zu diesem
Namen verfügbar – Sie erinnern sich vielleicht an sein Gesicht,
seine Stimme, Monika Lewinski, den Krieg in Jugoslawien, seine
politischen Erfolge etc. Dabei werden zunächst diejenigen
Informationen verfügbar, die assoziativ am stärksten mit dem
Namen verknüpft sind.
Im Gehirn werden Assoziationen hergestellt, indem zwischen
einzelnen Neuronen Verknüpfungen entstehen. Damit dies
geschehen kann, müssen die Neuronen, die für die beiden
Inhalte stehen, gleichzeitig aktiviert werden. Stellen wir uns dazu
vor, dass ein Kind mit Hilfe einer Bezugsperson den
Buchstaben A einübt. Die Bezugsperson zeigt dem Kind den
Buchstaben und spricht ihn gleichzeitig aus:
Die Neuronen, die das A repräsentieren, und diejenigen, die für
den dazugehörigen Laut stehen, werden im Gehirn des Kindes
gleichzeitig aktiviert. Diese Neuronengruppen bilden nun
untereinander neue Verbindungen.
Wie wir bei unserem Beispiel mit Bill Clinton gesehen haben,
gibt es Informationen, die stärker mit dem Namen assoziiert
sind als andere – an diese erinnert man sich leichter und
schneller. Als Grundregel können wir davon ausgehen, dass die
Assoziation umso stärker wird, je öfter zwei Inhalte gleichzeitig
aktiviert werden. So ist beispielsweise die Verbindung zwischen
Bill Clinton und Monika Lewinski besonders stark, wenn Sie die
Geschehnisse nicht nur in den Nachrichten verfolgt, sondern
auch mit Ihren Freunden darüber gewitzelt und mit Ihrem
Partner darüber geredet haben.
Auf der Ebene der Neuronen wird die Verbindung verstärkt,
indem mehr Verbindungen geknüpft werden, die einzelnen
Synapsen mehr Botenstoffe ausschütten und mehr Synapsen
entstehen:
133
Schwache Verbindung
Starke Verbindung
Bei einer starken Verbindung wird der Buchstabe A fest mit
dem dazugehörigen Laut verknüpft. Die Verbindung ist stabiler
und es würde länger dauern, bis sie ohne Wiederholung wieder
vergessen wird.
Indem der Laut und das Schriftzeichen immer wieder
gemeinsam auftauchen, lernt unser Gehirn: Diese zwei Dinge
gehören zusammen. Es stellt also über die Verknüpfung von
Nervenzellen, die für diese Dinge stehen, eine Verbindung her.
Diese wird mit jedem Übungsdurchgang stärker und damit
resistenter gegen ein Vergessen.
Wird eine Verbindung über längere Zeit nicht mehr benützt,
wird sie schwächer – Vergessen setzt ein.
Beim Lernen sollte unser Ziel darin bestehen, möglichst starke
Assoziationen herzustellen und diese zu wiederholen, bevor sie
vergessen werden.
Unsere Denkkapazität ist beschränkt
Unser Gehirn kann zwar eine Unmenge an Informationen
speichern, es kann aber nur mit einer kleinen Menge an
Information bewusst hantieren.
134
Mit Hilfe des Arbeitsgedächtnisses können wir Informationen
bearbeiten, verknüpfen, verstehen und verändern. Die Kapazität
dieses Gedächtnisses ist beschränkt und beträgt je nach Person
ca. 5 bis 9 Einheiten (z.B. 5 bis 9 Buchstaben, Zahlen, Wörter
etc.). Die Zeitspanne ist ebenfalls sehr kurz, die Information
geht bereits nach einigen Sekunden wieder verloren oder wird
durch neue Informationen überlagert.
Damit sich stabile Verknüpfungen zwischen unseren
Gehirnzellen bilden und wir die Information damit im
Gedächtnis behalten können, muss damit gearbeitet werden –
wir müssen darüber nachdenken, sie innerlich wiederholen, uns
eine Vorstellung vom Inhalt machen und damit aktiv
Assoziationen bilden.
Nehmen wir an, Ihnen werden bei einer Hochzeitsfeier fünf
neue Personen vorgestellt. Wenn Sie lediglich zuhören, werden
Sie die meisten Namen gleich wieder vergessen. Sie müssen sich
die Namen mehrmals in Gedanken aufsagen und die Personen
dabei anschauen, damit Sie sich diese dauerhaft merken können.
Dadurch werden die Neuronen, die diesen Namen
repräsentieren und diejenigen, die für das Gesicht stehen,
gemeinsam aktiviert und es können sich Verknüpfungen bilden.
Je aktiver Sie zu den Namen Assoziationen herstellen, desto
besser können Sie sich diese merken. Frau Messerli können Sie
sich mit tausend Messern behangen vorstellen, sozusagen in
einem Messerkleid. Frau Huber sieht zum Glück ähnlich aus,
wie Ihre alte Nachbarin, die den gleichen Namen hatte, und
Frau Schmid hat so kräftige Arme, dass man sie sich gut mit
einem Hammer in der Hand vorstellen kann.
Indem Sie auf diese Weise verschiedene Assoziationen bilden,
werden im Gehirn weitere Bereiche mit dem Namen verknüpft.
Nach einem Monat, wenn Sie die Person wieder treffen, ist die
Verknüpfung zwischen dem Namen und dem Gesicht vielleicht
zu schwach. Zum Glück ist die Verknüpfung zwischen den
135
starken Armen und dem Schmiedehammer stark genug, um
Ihnen auf die Sprünge zu helfen.
Nicht
nur
die
Kapazität,
sondern
auch
die
Konzentrationsfähigkeit ist begrenzt. Die Zeitspanne, in der ein
Kind seine Aufmerksamkeit gezielt auf einen Lerninhalt richten
kann, dehnt sich mit dem Alter aus. Die durchschnittliche
Konzentrationsspanne beträgt nach Keller (2005) bei:
5 bis 7
Jährigen
15 Minuten
7 bis 10
Jährigen
20 Minuten
10 bis 12
Jährigen
25 Minuten
12 bis 15
Jährigen
30 Minuten
Lernen Eltern mit Ihren Kindern deutlich länger, ohne eine
Pause einzuschalten, ermüden die Kinder und erleben das
Lernen als anstrengend und unangenehm. Dieses letzte Gefühl
beim Aufhören verknüpft sich mit dem Lernen und baut beim
Kind die Überzeugung auf, dass Lernen mühsam ist.
Die Eltern reagieren genervt und empfinden das Kind als
unkonzentriert. Wird die Pause erst zu diesem Zeitpunkt
gemacht, dauert es zudem viel länger, bis das Kind wieder erholt
ist.
Ich empfehle Ihnen, sogar etwas unter den angegebenen Zeiten
zu bleiben und danach eine kurze Pause zu machen. Die Pausen
zwischen einzelnen kurzen Lernabschnitten sollten lediglich 5
Minuten betragen. Erst nach zwei Lernphasen sollte eine
grössere Pause von 20 bis 30 Minuten erfolgen.
Die kurze Pause darf Ihr Kind nicht aus dem Lernrhythmus
bringen. Sie sollte beispielsweise nicht mit dem Lesen von
Comics oder Fernsehschauen verbracht werden, sondern mit
etwas, das problemlos wieder unterbrochen werden kann.
136
Kurze Pausen könnten beispielsweise für kleine, entspannende
Aktivitäten genutzt werden wie:

Aus dem Fenster schauen

Bewusst ein oder zwei Lieblingslieder hören

Sich über etwas Belangloses unterhalten

Kurz die Augen zumachen und vor sich hinträumen

Etwas trinken
Die längere Pause von 20 bis 30 Minuten dient der Erholung
und darf mit einer für das Kind angenehmen und etwas länger
dauernden Tätigkeit (Gesellschaftsspiel, Puzzle, Spaziergang
etc.) verbracht werden. Auch hier sollte darauf geachtet werden,
dass es dem Kind nicht zu schwer fällt, die Pause wieder zu
unterbrechen. Ungünstig wäre z.B., das Kind fernsehen zu
lassen und ihm das Versprechen abzunehmen, das Gerät nach
einer halben Stunde wieder auszuschalten - so viel Disziplin
bringen auch wir Erwachsene selten auf.
Nicht alle Verknüpfungen werden gleich gut gelernt
Unser Gehirn entstand im Laufe der Evolution und ist darauf
ausgerichtet, bestimmte Inhalte besonders gut zu lernen. So:




Können wir uns Gesichter besonders gut merken
Lernen wir sehr schnell, vor Schlangen und Spinnen
Angst zu haben
Lernen wir Neues besonders gut
Lernen wir Inhalte besser, die starke Gefühle auslösen
Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, Wichtiges zu behalten
Wichtige Informationen können wir uns besser merken.
Dummerweise können wir unserem Gehirn nicht direkt sagen,
137
was für uns wichtig ist. Vielmehr wird dies durch unbewusste
Prozesse gesteuert, wobei die Regel gilt:
Informationen, die bei uns Emotionen auslösen oder neu sind,
werden als wichtig beurteilt. Diese können wir uns besser
merken.
So wissen Sie vielleicht noch, wo Sie sich am 11. September
2001 befanden und mit wem Sie zusammen waren, als Sie vom
Terroranschlag auf das World-Trade-Center gehört oder die
Geschehnisse am TV mitverfolgt haben. An den 10. Oktober
2001 werden Sie sich kaum erinnern können (es sei denn, es
handelt sich dabei um Ihren Geburtstag oder Hochzeitstag).
Vielleicht haben Sie auch festgestellt, dass Sie sich die Namen
von Menschen, die Sie besonders attraktiv oder höchst
unsympathisch finden, besser merken können.
Und höchstwahrscheinlich ist Ihnen schon aufgefallen, wie viel
besser wir uns Dinge merken können, die uns interessieren.
Was bedeutet dies nun für das Lernen in der Schule?
Zum einen, dass es eine grosse Hilfe ist, wenn es uns gelingt, ein
Kind für den Schulstoff zu interessieren und dafür zu sorgen,
dass das Lernen positiv erlebt wird. Diesen Aspekt haben wir
bereits im Kapitel Motivation ausführlich beschrieben.
Zum anderen bedeutet diese Erkenntnis aber auch, dass
häufiges Wiederholen und eine aktive Verarbeitung ein
unverzichtbarer Bestandteil des Lernens ist.
Der Grundschulstoff ist nicht dazu geeignet, starke Gefühle
auszulösen. Wenn es gilt, das Einmaleins, Rechtschreibregeln
oder die Buchstaben auswendig zu lernen, so ist dies
Knochenarbeit. Es ist schlicht unmöglich, bei allen Kindern so
138
viel Begeisterung zu wecken, dass das Einspeichern mit
Leichtigkeit vonstatten geht.
Hier endet unser kleiner Einblick in die Funktionsweise des
Gehirns. Wenn Sie gerne mehr darüber erfahren möchten,
empfehle ich Ihnen das spannende Buch „Lernen“ des
Psychiaters Manfred Spitzer.
Aus den Erkenntnissen können wir nun einige
Schlussfolgerungen ziehen, die uns beim Lernen behilflich sind.
Tipps zum besseren Behalten
Wiederholungen verstärken die Verknüpfungen in unserem
Gehirn
Wiederholungen helfen uns, Wichtiges zu behalten. Wirksames
Wiederholen ist jedoch keine einfache Sache und wird meist
falsch angegangen.
Ihr Kind wird viel schneller Fortschritte erzielen, wenn Sie beim
Üben die folgende Regel beachten:
Der neu zu lernende Stoff muss möglichst lange im Arbeitsgedächtnis
gehalten und dort bearbeitet werden, damit er dauerhaft abgespeichert wird.
Was bedeutet dies in der Praxis?
Schauen wir uns zwei Beispiele an:
Rahel soll das Einmaleins auswendig lernen. Dazu stellt ihr die
Mutter die folgenden Übungsaufgaben:
139
5x5=
3x9=
4x4=
6x7=
2x2=
9x7=
Dieser Übungsaufbau ist ungünstig. Rahel wird jedes Resultat
mühsam ausrechnen und meist gleich im Anschluss wieder
vergessen. Ein solcher Ablauf ist sinnvoll, um zu testen, wie gut
Rahel die Reihen kann und nicht, um sie zu lernen.
Rahel könnte sich die Ergebnisse zu den einzelnen Rechnungen
besser merken, wenn die Mutter beim Üben folgendermassen
vorgeht:
2x7=
4x7=
2x7=
3x7=
4x7=
3x7=
Hier werden drei Aufgaben zur 7er Reihe immer wieder
abgefragt. Rahel wird sich die Ergebnisse merken können, da die
gleichen Rechnungen so kurz hintereinander auftauchen, dass
die Ergebnisse im Arbeitsspeicher noch vorhanden sind, wenn
die Rechnung wiederholt wird. Mit der Zeit gelangen diese ins
Langzeitgedächtnis. Am nächsten Tag wird sich zeigen, dass
Rahel mit der ungünstigen Übungsserie kaum Fortschritte erzielt
hat, während sie sich beim günstigen Übungsaufbau an 2 oder
sogar alle 3 Rechnungen erinnern kann.
Ein Übungsaufbau, der mit kleinen Portionen arbeitet,
vervielfacht den Übungserfolg.
Noch besser wird sich Rahel die Rechnungen merken können,
wenn ihre Mutter ihr jeweils etwas Zeit gibt, das Resultat zu
wiederholen.
Mutter: 3 x 7 ?
Rahel: 21
Mutter: Genau, 3 x 7 gibt 21
140
Kurze Pause, in der Rahel das Ergebnis in Gedanken nochmals
wiederholen kann
Mutter: 2 x 7 ?
Unterschiedliche Verknüpfungen erhöhen die Chance,
dass etwas in Erinnerung bleibt
Je besser es uns gelingt, bereits vorhandenes Wissen mit neuem
Wissen zu verknüpfen und je mehr Verknüpfungen wir
herstellen, desto grösser ist die Chance, dass uns irgendeine der
hergestellten Verbindungen dabei hilft, uns an das neu Gelernte
zu erinnern. Im Gehirn wurden schlicht mehr Verbindungen
hergestellt.
In der Praxis bedeutet dies, dass uns Beispiele und die
Informationsaufnahme über mehrere Sinne dabei helfen
können, das Gelernte besser zu behalten. Besonders deutlich
wird dies beim Lernen von Texten.
Nehmen wir an, Rahel muss im Sachunterricht verschiedene
Texte zum Thema „der Mensch“ lesen und lernen.
Sie könnte nun einfach die Texte 5 Mal durchlesen. Diese
Strategie wäre höchst ungünstig, da diese passive Lernweise
kaum dazu geeignet ist, Verknüpfungen herzustellen.
Günstig wäre hingegen der folgende Übungsaufbau:
1. Rahel liest den Text zweimal langsam durch
2. Sie erzählt ihrer Mutter Abschnitt für Abschnitt, was sie
gelesen hat
3. Rahel und ihre Mutter zeichnen ein Mind-Map (spezielle
Lerntechnik, bei der Lerninhalte in einem Netzwerk
141
dargestellt werden) zum Text, suchen Beispiele oder
überlegen sich, welche Fragen der Lehrer stellen könnte.
Durch diese Lernstrategie geht Rahel aktiv mit dem Stoff um.
Sie liest nicht nur, sondern erzählt auch, was sie gelesen hat.
Dadurch werden andere Bereiche des Gehirns aktiviert und
Rahel lernt, den Stoff in eigenen Worten wiederzugeben und
Gelerntes zu formulieren. Die Mutter kann überprüfen, in
wieweit ihre Tochter das Gelernte verstanden hat, und kann so
mit ihr zusammen die Lücken füllen. Durch das Zeichnen eines
Mind Maps, die Suche von Beispielen oder die Überlegung,
welche Fragen dazu gestellt werden könnten, werden wiederum
neue Assoziationen gebildet, die die Einspeicherung verbessern.
Das Nachdenken über den Text fördert eine vertiefte
Verarbeitung.
Rahel lernt bei diesem Vorgehen, dass Lernen ein aktiver
Prozess ist und wird mit der Zeit fähig sein, die Strategien selbst
anzuwenden.
Tipp: Eine Anleitung zur Erstellung von Mind-Maps finden Sie
auf unserer Webseite www.mit-kindern-lernen.ch
Abwechslung erhöht die Merkleistung
Es gibt mittlerweile mehrere Studien, die zeigen, dass durch
einen häufigen Wechsel der Lerninhalte die Aufmerksamkeit
erhöht und die Merkleistung verbessert werden kann. Die
Kinder ermüden dadurch weniger schnell.
In der Praxis bedeutet dies: Statt montags zu lesen, dienstags die
Rechenprüfung vorzubereiten und mittwochs das Diktat zu
üben, ist es besser, jeden Tag 10 Minuten zu lesen und die
Vorbereitung der Rechenprüfung und des Diktats auf drei Tage
zu verteilen.
142
Die Konzentration wird zusätzlich erhöht, wenn zwischen
jedem Block eine kurze Pause eingeschaltet wird. Die
Hausaufgaben und die Zusatzübung könnten in der folgenden
Reihenfolge gemacht werden:






15 Minuten Rechnen üben
Mini-Pause
Den Hefteintrag gestalten
Die Lesehausaufgaben erledigen
Längere Pause
Die Rechenhausaufgaben machen
Können statt Wissen: Warum es so wichtig ist, die
Grundlagen zu beherrschen
Wichtiges Grundlagenwissen wie das Einspluseins, das
Einmaleins, die Zuordnung von Buchstaben zu Lauten und
Rechtschreibregeln sollten wir nicht nur wissen, sondern
können. Solange wir beispielsweise die Rechtschreibregeln nur
bewusst wissen, sie aber nicht automatisch anwenden, sie also
nicht können, haben wir mit vielen Nachteilen zu kämpfen.
Wenn wir bewusst darüber nachdenken müssen:



Sind wir langsamer
Benötigen wir sehr viel mehr Denkkapazität
Machen wir Fehler, sobald wir unsere Aufmerksamkeit
auf etwas anderes richten
Sie merken, dass Ihr Kind wichtiges Wissen noch nicht
genügend kann, wenn Sie sich sagen hören:

„Eigentlich kann er es ja, aber er ist einfach zu langsam“
143

„Beim
Üben
zu
Hause
konnte
sie
die
Grossschreibregeln noch, aber beim Aufsatz hat sie
wieder alles falsch geschrieben“
Wie wir im ersten Teil dieses Kapitels gesehen haben, ist die
Kapazität unseres Arbeitsgedächtnisses sehr beschränkt. Wir
können nur über sehr weniges gleichzeitig bewusst nachdenken.
So wird ein Kind, das die Gross- und Kleinschreibregeln gerade
lernt, diese anwenden können, wenn es bewusst darüber
nachdenkt. Richtet es seine Aufmerksamkeit im Aufsatz jedoch
auf den Inhalt oder ist es beim Diktat nervös und wird dadurch
abgelenkt, tauchen die Fehler wieder auf.
Dank moderner Technologien können wir mittlerweile
beobachten, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir
nachdenken. Die folgenden zwei Abbildungen sind dabei
besonders spannend:
Auf der linken Zeichnung sehen wir die Aktivität (dunkler,
gestrichelter Bereich) des Gehirns einer Person, die eine
Aufgabe löst, die sie verstanden, aber noch nicht gut geübt hat.
144
Auf der rechten Seite sehen wir, was passiert, wenn die Aufgabe
gut eingeübt ist: Es lässt sich viel weniger Aktivität feststellen!
Diese Person wäre nun in der Lage, die frei gewordene
Kapazität für eine weitere Aufgabe zu verwenden. Wissen Sie
noch, wie es war, als Sie autofahren gelernt haben? Wie
schwierig es war, an alles zu denken: Die Kupplung und das
Gaspedal bedienen, schalten, in den Rückspiegel schauen, auf
die Verkehrszeichen achten etc. Bei Ihnen liegt die Prüfung
vielleicht schon länger zurück und Sie haben inzwischen einige
Jahre geübt. Sie können autofahren – Sie wissen nicht nur, was
Sie tun müssen, sondern können es ohne nachzudenken. Die
freigewordene Kapazität steht Ihnen frei, um sich während des
Fahrens mit Ihrem Partner zu unterhalten oder Radio zu hören.
Es ist für Ihr Kind ein grosser Vorteil, wenn es die
Grundfertigkeiten in den Fächern Lesen, Schreiben und
Rechnen soweit automatisiert hat, dass es sie im Schlaf
anwenden kann – so wird immer wieder genügend Kapazität
frei, um einen weiteren Schritt bewusst einzuüben.
Wir haben zu schnell das Gefühl, dass ein Kind etwas
beherrscht, nur weil es die Regel bewusst anwenden kann („das
hast du verstanden, gehen wir weiter“). Im Übungsteil zu den
einzelnen Fächern finden Sie deshalb Anleitungen, die Ihrem
Kind helfen sollen, das Gelernte soweit einzutrainieren, dass
eine Automatisierung stattfindet.
Allgemein lässt sich sagen, dass unser Gehirn über Beispiele
lernt. Es braucht zu jeder Regel viele, viele Beispiele, um diese
zu automatisieren. Der Lohn dafür ist, dass wir die Regel mit der
Zeit verinnerlichen und nicht mehr bewusst darüber
nachdenken müssen.
Rechtzeitiges Wiederholen spart Arbeit
145
Leider vergessen wir Gelerntes auch wieder. Damit dies nicht
geschieht, muss repetiert werden.
Normalerweise repetieren wir zu spät. Das muss ich auch bei
mir selbst immer wieder feststellen. Ich lese lieber zunächst alles
einmal durch, bevor ich mich an die mühsame Arbeit des
Wiederholens wage. Beim Lernen für die Lizentiatsprüfung habe
ich mir aber die Mühe gemacht, rechtzeitig zu repetieren, und
habe dadurch sehr viel Zeit eingespart. Rechtzeitig heisst beim
Lesen, einen Abschnitt zu lesen, sich zu erzählen, was man
gelesen hat, die Lücken zu füllen und dann einen weiteren
Abschnitt zu lesen. Am nächsten Tag wird kurz kontrolliert, ob
man sich noch an alles erinnern kann. Allfällige Lücken werden
aufgefrischt, bevor weitergegangen wird.
Wenn Sie mit Ihrem Kind lernen, ist es günstig, jeweils zunächst
das Gelernte vom Vortag aufzufrischen, bevor weitergegangen
wird. Ende der Woche sollte nur wiederholt und nichts Neues
geübt werden. Je länger bis zum Wiederholen gewartet wird,
desto mehr wird in der Zwischenzeit vergessen und muss neu
gelernt werden. Das verdeutlicht die folgende Grafik:
Wissen
Wissen
Zeit
Zeit
Der erste Schüler repetiert erst nach längerer Zeit und muss bei
jedem Durchgang sehr vieles wieder neu lernen (gestrichelte
Linien). Er wird frustriert sein, weil er fast alles wieder vergessen
hat und scheinbar nichts hängen geblieben ist. Der zweite
146
Schüler braucht nur einen Bruchteil der Zeit für die Repetition.
Er wird denken: „kann ich, kann ich, weiss ich noch, ah ja, das
muss ich nochmals anschauen, kann ich, kann ich.“ Er wird das
Wiederholen als weniger lästig empfinden und im Endeffekt
sehr viel weniger Zeit damit verbringen.
Beim Wiederholen ist es eine grosse Hilfe, wenn Sie einen
Zettelkasten verwenden.
Wiederholen mit dem Zettelkasten
Müssen Inhalte auswendig gelernt werden, wie das Einspluseins,
Einsminuseins, Einmaleins und Einsdurcheins, die Buchstaben
oder Vokabeln, stellt das Zettelkastensystem von Leitner eine
effiziente und wirksame Methode dar.
Der Zettelkasten ist eine längliche Box mit 5 nach hinten grösser
werdenden Fächern, die Sie selber anfertigen (Schuhschachtel,
etc.), oder in einer Papeterie kaufen können. Zusätzlich zum
Zettelkasten benötigen Sie DIN A7 Karteikarten, auf die Sie die
Rechnungen oder Vokabeln schreiben, mit denen Ihr Kind
Schwierigkeiten hat. Als Eltern haben Sie oft eine schönere
Handschrift als Ihr Kind. In diesem Fall könnten Sie Ihrem
Kind die Arbeit des Schreibens abnehmen und ihm so auch das
Gefühl geben, dass sie wirklich als Team arbeiten. Eine schöne
Handschrift ist wichtig, um sich das Schriftbild merken zu
können. Schreiben Sie auf die Vorderseite der Karte die
Rechnung (z.B. 6 x 6), das deutsche Wort oder den Buchstaben
und auf die Rückseite die Lösung.
147
Wie wird der Zettelkasten verwendet?
Rahels Mutter möchte mit ihrer Tochter das kleine Einmaleins
lernen. Sie ist sich bewusst, dass Lernen in kleinen Portionen
und regelmässiges Repetieren wichtig sind, um Fortschritte zu
erzielen, und benutzt für das Lernen den Zettelkasten.
So geht sie dabei vor:
Am Montag übt die Mutter mit Rahel die ersten vier
Rechnungen der Zweierreihe: 1 x 2 / 2 x 2 / 3 x 2 und 4 x 2. Sie
schreibt die Rechnungen in klarer und grosser Schrift auf
Karteikarten und übt diese mit Rahel ein, bis sie die Resultate
nach 5 Minuten für alle vier Rechnungen in Windeseile aufsagen
kann. Sie legt die 4 Kärtchen ins erste Fach.
Am Dienstag wiederholt die Mutter zunächst diese vier
Rechnungen. Drei davon kann Rahel aus dem Ärmel schütteln.
Diese wandern ins zweite Fach. Bei der Aufgabe 4 x 2 muss
Rahel hingegen überlegen. Die Mutter nimmt deshalb nur drei
neue Rechnungen hinzu: 5 x 2, 6 x 2 und 7 x 2, da sie ihre
Tochter nicht überfordern und die Übungszeit von 10 Minuten
nicht überschreiten möchte. Rahel kann nach 8 Minuten alle vier
Rechnungen einwandfrei und die Mutter legt sie ins erste Fach.
Am Mittwoch werden zunächst die Rechnungen, die sich im
zweiten Fach befinden wiederholt, dann die vom ersten Fach.
Rahel kann sie alle und sie wandern je ein Fach weiter. Die
Mutter nimmt drei neue Rechnungen hinzu: 8 x 2, 9 x 2 und die
erste Rechnung der 3er Reihe - 2 x 3. Nachdem Rahel auch
diese Rechnungen kann, werden sie ins erste Fach gelegt.
Am Donnerstag werden zunächst die Rechnungen vom dritten,
zweiten und ersten Fach in dieser Reihenfolge repetiert. Die gut
148
gekonnten wandern ein Fach weiter. Bei zwei Rechnungen
musste Rahel überlegen. Diese wandern zurück ins erste Fach.
Da das Repetieren bereits 3 Minuten in Anspruch genommen
hat, nimmt die Mutter zu den zwei nicht gekonnten nur eine
neue Rechnung hinzu: 3 x 3.
Am Freitag hat Rahel Pause.
Am Samstag und Sonntag repetiert die Mutter nur das bisher
Gelernte, wobei die ersten Rechnungen im fünften Fach landen.
Diese werden vorerst nicht mehr wiederholt.
Durch das Wiederholen am Wochenende befindet sich am
Montag der zweiten Woche nur noch eine Rechnung im ersten
Fach. Die Mutter kann nun drei neue Rechnungen
hinzunehmen: 4 x 3, 5 x 3 und 6 x 3.
Bis zum Ende der Woche kann Rahel die 2er und die 3er Reihe
bereits sehr gut. Am Wochenende werden alle Rechnungen
repetiert, auch diejenigen, die sich im letzten Fach befinden.
Nicht gekonnte wandern wieder ins erste Fach. Die Rechnungen
aus dem fünften Fach, die Rahel beim Wiederholen sehr gut
kann, werden aus dem Zettelkasten herausgenommen und mit
einem Gummiband zur Seite gelegt. Diese werden erst in einigen
Wochen wiederholt.
Rahel und ihre Mutter üben weiter. Nach vier Wochen kann
Rahel bereits die 2er, die 3er, die 4er und die 5er Reihe. Sie freut
sich sehr über ihre Fortschritte.
In der fünften Woche repetiert die Mutter nochmals alle
Rechnungen, die bereits mit dem Zettelkasten gelernt wurden,
durcheinander, dabei kommen 5 wieder ins erste Fach. Die
anderen kann Rahel und sie werden zur Seite gelegt.
149
Die Mutter von Rahel verwendet den Zettelkasten sehr
gewinnbringend. Sie achtet auf mehrere Dinge, die das Lernen
mit diesem System erfolgreich machen:




Sie beginnt jeweils zuerst mit dem Wiederholen
Sie nimmt immer nur so viele neue Rechnungen, dass
die Übungszeit von 10 Minuten nicht überschritten wird
Sie legt die Rechnungen vom fünften Fach zur Seite,
wenn Rahel diese kann, und verhindert so, dass der
Zettelkasten immer voller wird
Sie repetiert nach längerer Zeit wieder alle bisher
gelernten Rechnungen
Das Lernen mit dem Zettelkasten kann aber auch ineffizient
sein. Die häufigsten Fehler, die beim Lernen mit diesem System
gemacht werden, sind die folgenden:
Der Zettelkasten ist überfüllt
Viele SchülerInnen und Eltern beginnen mit einem vollen
Zettelkasten oder füllen diesen nach und nach immer mehr auf.
Je mehr Lernkarten sich im Zettelkasten befinden, desto länger
dauert es jedoch, bis eine Karte wiederholt wird. Das Lernen in
kleinen Portionen, die genügend oft wiederholt werden, entfällt
und damit auch der wichtigste Vorteil des Systems. Achten Sie
darauf, dass sich in den ersten 4 Fächern nie mehr als 15
Lernkarten befinden. Sobald sich mehr Karten darin befinden,
sollten Sie einen Tag einlegen, an dem Sie nur wiederholen und
keine neuen Karten hinzunehmen.
Der Zettelkasten wird nur unregelmässig benutzt
Der Zettelkasten ist nur dann sinnvoll, wenn regelmässig damit
gearbeitet wird. Wird jede Woche einmal für eine Stunde geübt,
150
führt auch der Zettelkasten nicht dazu, dass rechtzeitig
wiederholt wird.
Das Kind schreibt die Karten selbst
Dies ist vor allem dann ein Problem, wenn das Kind über kein
schönes Schriftbild verfügt. Die kraklige Schrift lässt sich viel
schlechter einprägen. Jugendliche bitte ich oft, ihre Zettelkästen
ins Lerntraining mitzubringen. Diese sind oft nicht nur
hoffnungslos überfüllt, es finden sich darauf auch viele Fehler.
Bei einem Jungen, der sehr schlecht in Englisch war, befand sich
fast auf jeder dritten Lernkarte ein Schreibfehler. Hier ist es
hilfreich, wenn Sie sich als Eltern auch den Zettelkasten eines
älteren Kindes von Zeit zu Zeit ansehen und überprüfen, ob es
ihn richtig nutzt.
Das Üben mit dem Zettelkasten bringt mehrere Vorteile mit
sich:





Sie machen die Fortschritte für Ihr Kind sichtbar und
ermöglichen ihm so Erfolgserlebnisse.
Nicht beherrschte Lerninhalte werden so häufig
wiederholt, bis Ihr Kind sie kann
Überflüssiges Wiederholen von bereits gelerntem
Material bleibt erspart! Unnötiger Übungsaufwand wird
somit vermieden.
Durch das sinnvolle Wiederholen kann das Kind das
Gelernte dauerhaft behalten.
Die Kärtchen können, nachdem sie aus dem
Zettelkasten entfernt wurden, jederzeit wieder
hervorgenommen und erneut wiederholt werden.
Artikel zu weiteren Lernstrategien und Videos zu den
Gedächtnistipps finden Sie auf unserer Webseite www.mitkindern-lernen.ch
151
Wenden wir uns nun den einzelnen Fächern zu. In den
folgenden Kapiteln erfahren Sie, wie Sie Ihrem Kind bei
Rechen-, Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten unter die Arme
greifen können.
Rechnen lernen in einfachen Schritten
Wie entstehen Rechenschwierigkeiten?
Manche Kinder weisen spezifische Schwächen im Bereich
Rechnen auf
Kinder starten mit ganz unterschiedlichen Bedingungen in die
Schulzeit. Sie sind unterschiedlich intelligent und weisen
unterschiedliche Begabungen im Bereich Rechnen auf. So
konnte die Forschung zeigen, dass Rechenschwächen durch ein
ganzes Ursachenbündel entstehen. Neben psychischen, sozialen
und emotionalen Ursachen spielt die Vererbung eine
bedeutende Rolle (mehr dazu in Simon & Grünke, 2010). Je
nach Ausgangslage hat es ein Kind zu Beginn in der Schule
leichter oder schwerer.
Es wird zu wenig geübt, um die Grundfertigkeiten zu
automatisieren
Rechenprobleme werden besonders gravierend, wenn zu einer
geringen Begabung mangelnde Übung hinzukommt und sich
Lücken bilden. Dies rächt sich später bei vielen weiteren
Aufgabentypen. Hat ein Kind das Plusrechnen im Zehnerraum
nicht verstanden oder nie soweit geübt, dass es diese
Rechnungen aus dem Gedächtnis sicher und schnell abrufen
kann, so hat dies negative Auswirkungen auf seine Leistung
beim Lösen von Plusrechnungen im Hunderterraum,
schriftlichen Additionen, schriftlichen Multiplikationen etc.
152
Kinder, die Schwächen aufweisen, sollten unbedingt mehr üben
als ihre Klassenkameraden. Meist geschieht das genaue
Gegenteil. Schon im Unterricht sind diese Kinder langsamer und
lösen deshalb weniger Übungsaufgaben. Beim mündlichen
Rechnen passen sie weniger auf oder verlieren den Anschluss.
Die Hausaufgaben fallen ihnen schwerer als anderen Kindern
und beanspruchen mehr Zeit – entsprechend oft geben die
Kinder früher auf und schreiben bei ihren Klassenkameraden
ab.
Zu einem Mangel an Übung haben auch diverse
Bildungsreformen beigetragen. Im Laufe der Zeit hat sich die
Schule vom Einpauken relativ sinnfreien Materials wegbewegt.
Heute soll vor allem begriffen und verstanden werden. Diese
Richtungsänderung war wichtig und sinnvoll. Dabei wurde
jedoch Folgendes ausser acht gelassen:
Lernen heisst begreifen und verstehen – damit diese Prozesse möglich sind,
ist aber ein Auswendiglernen und Trainieren von Basiswissen und
grundlegenden Fertigkeiten notwendig!
Wer das Lesen von Buchstaben nicht soweit automatisiert hat,
dass das Erkennen schnell und praktisch fehlerfrei abläuft, kann
einen Text nicht verstehen. Wer ständig überlegen muss, wie
bestimmte Verben einer Fremdsprache konjugiert werden, kann
sich kaum auf den Sinn einer Unterhaltung konzentrieren und
niemand würde von einem Pianisten erwarten, dass er ein Stück
von Mozart oder Beethoven interpretieren kann, wenn er beim
Lesen der Noten unsicher ist. Ähnlich verhält es sich beim
Rechnen.
Gute und kreative Leistungen sind nur möglich, wenn
Grundfertigkeiten bis zur Automatisierung geübt werden und
praktisch ohne bewusstes Nachdenken eingesetzt werden
können.
153
Auswendiglernen und Automatisieren stehen also nicht im
Widerspruch zu Verstehen und kreativen Leistungen, vielmehr
sind sie deren Voraussetzung!
Die Schwierigkeiten Ihres Kindes könnten durch ungünstiges
Lernmaterial und ungenügende Übungsmöglichkeiten bei
grundlegenden Fertigkeiten entstanden sein. Sie merken dies
insbesondere daran, dass Ihr Kind zu langsam ist. Die Übungen
in diesem Kapitel legen Wert auf eine ausreichende
Automatisierung und werden Ihrem Kind dabei helfen, schneller
zu werden und die grundlegenden Fertigkeiten soweit
einzuüben, dass es sich bei komplexeren Aufgaben weniger
schnell überfordert fühlt.
Unwirksames und fehlerhaftes Üben
Rechenschwierigkeiten nehmen zu, wenn auf unwirksame oder
ungünstige Weise geübt wird.
Gerade beim Rechnenlernen ist es besonders schwierig, effektiv
zu üben. Wenn ein Kind in diesem Bereich eine Schwäche hat,
können viele Fehler gemacht werden – doch woher sollen
Eltern wissen, worauf geachtet werden sollte?
Die folgende Aufzählung wird Ihnen helfen, die häufigsten
Fehler zu vermeiden.
Es wird jeweils für die nächste Prüfung gelernt
Meist lernen Eltern mit ihren Kindern für die jeweils nächste
Prüfung. Fällt einem Kind das Rechnen seit längerer Zeit
schwer, wird es aber wahrscheinlich Lücken aufweisen, die
weiter zurückliegen. Schauen wir uns an, was dann passiert:
154
Florian hat nächste Woche eine Mathematikprüfung.
Kernthema ist das schriftliche Multiplizieren. Florians Vater hat
seinem Sohn einige Blätter mit Übungsaufgaben erstellt, damit
sein Sohn dieses Mal „endlich eine gute Note nach Hause
bringt“. Obwohl Florian die ganze Woche über jeden Abend
eine halbe Stunde übt, schreibt er in der Prüfung wieder eine
ungenügende Note. Der Vater versteht die Welt nicht mehr. Sie
haben doch so viel geübt.
Der Vater äusserte in der Beratung sein Unverständnis und seine
Enttäuschung über die Leistung des Sohnes, insbesondere aber
auch darüber, wie wenig das viele Üben für die letzte Prüfung
gebracht hat.
Im Rechentest zeigte sich, weshalb die Übungsblätter des Vaters
für Florian nicht hilfreich waren. Sein Sohn konnte zwar die für
das schriftliche Multiplizieren notwendigen Rechenschritte, hatte
jedoch grosse Mühe beim Einspluseins und Einmaleins.
Ob wir schnell und sicher schriftlich multiplizieren können,
hängt davon ab, ob wir diese grundlegenden Fertigkeiten
beherrschen. Bei Florian zeigte sich beim Lösen von
schriftlichen Multiplikationsaufgaben (235 x 25), dass er für das
Addieren im letzten Rechenschritt teilweise noch die Finger
benutzte und beim kleinen Einmaleins hochaddierte („5 mal 5
gibt, hm… 5, 10, 15, 20, 25). Florian beherrschte die Reihen
nicht.
Konnte Florian zu Hause mit Hilfe dieser zeitraubenden
Strategien die Rechnungen noch lösen, war dies aufgrund des
Zeitdrucks in der Prüfung nicht mehr möglich.
Mit dem Vater wurde deshalb vereinbart, mit seinem Kind
zunächst das Addieren im Zehnerraum und das Einmaleins zu
üben. Florian machte wieder Fortschritte und machte seit
langem wieder einmal die Erfahrung: „Hey, ich kann’s!“
155
Weitere schriftliche Multiplikationen hätten Florian nicht
geholfen, da er die Rechenprozedur verstanden hat, ihm jedoch
das notwendige Vorwissen fehlt. Wird an der falschen Stelle
geübt, sind Fortschritte kaum möglich.
Wo Sie genau beginnen sollten, erfahren Sie durch die
Lückenanalyse in diesem Kapitel.
Fehlstrategien werden nicht erkannt und bleiben bestehen
Fortschritte können auch ausbleiben, weil Kinder Fehlstrategien
benutzen, die von Eltern und Lehrern nicht erkannt werden.
Die beiden häufigsten Fehlstrategien sind das Hoch- und
Runterzählen beim Addieren und Subtrahieren sowie das
Hochaddieren beim Multiplizieren.
Manche Kinder benutzen beim Zählen gut sichtbar die Finger,
andere haben gelernt, ihre Hilfsstrategien zu verbergen und
drücken kaum sichtbar die Finger gegen die Pultplatte oder
zählen innerlich.
Diese Strategien verschwinden mit der Zeit bei den meisten
Kindern wieder. Einige Kinder jedoch behalten sie bei. Sie
reagieren bei Plus- und Minusrechnungen automatisch mit
Zählen und erreichen auf diese Weise mit der Zeit eine
beachtliche Geschwindigkeit. Die Strategie versagt, sobald der
Zehnerraum verlassen wird – nun werden die Kinder langsamer
als ihre Klassenkameraden, die die Ergebnisse aus dem
Gedächtnis abrufen. Um den Kindern zu helfen, müssen wir
deshalb beim Üben darauf achten, dass sie ihre Fehlstrategien
aufgeben.
Schauen wir uns dazu das Beispiel von Jonas an: Er rechnet
noch vorwiegend mit den Fingern. Mit dieser Strategie ist er zu
156
langsam. Kinder, die gut rechnen können, merken sich
Rechnungen und die dazugehörigen Resultate.
Jonas Mutter liess ihren Sohn dreimal pro Woche eine halbe
Stunde ein Arbeitsblatt lösen. Da die Aufgaben schriftlich
waren, griff Jonas immer auf seine Zählstrategie zurück. Wir
wollten aber, dass Jonas lernt, sich die Resultate zu merken,
ohne dabei zu zählen. Wir überlegten uns, wie wir Jonas dabei
helfen könnten, seine gut eingeübte Strategie zugunsten einer
neuen, hilfreicheren aufzugeben, und nutzten eine bewährte
Methode, die in vielen Büchern zum Thema Rechenschwäche
beschrieben wird (z.B. in Born und Oehler, 2008; Jansen und
Streit, 2006).
Bei dieser Methode wird dem Kind das Zählen verunmöglicht,
indem man ihm keine Zeit dazu lässt:
F.G.:
Jonas:
F.G.:
Jonas:
F.G.:
Jonas:
F.G.:
Jonas:
F.G.:
Jonas:
F.G.:
Jonas, schau mal, ich habe hier drei Rechnungen auf
Kärtchen geschrieben. Vorne die Rechnung, hinten
die Lösung. Ich möchte, dass du mir einfach die
Resultate sagst, die du bereits auswendig weisst – du
brauchst nicht zu zählen. Wenn du es nicht weisst,
dann drehe ich die Karte einfach um und zeige dir das
Resultat. Alles o.k.? Also, 3 + 4?
... (wirkt angestrengt)
Nicht anstrengen! Schau, es gibt 7 (kurze Pause).
Machen wir das gleich noch mal: 3 + 4?
(möchte mit Zählen beginnen)
7 (kurze Pause). Komm wir versuchen es nochmals. 3
+4?
7
Sehr gut. 3 + 4 ?
7
Gut, jetzt nehme ich eine neue dazu, 2 + 6 ?
...
Schau, es gibt 8…. 2 + 6 ?
157
Jonas:
F.G.:
Jonas:
F.G.:
8!
Gut, 3 + 4 ?
(Wie aus der Pistole geschossen) 7!
Bravo!
Jonas gelang es auf diese Weise, sich innert 5 Minuten vier
Rechnungen zu merken und die Ergebnisse aus dem Gedächtnis
abzurufen. Er war stolz auf seinen Erfolg und erklärte sich
bereit, mit seiner Mutter jeden Abend vor dem Schlafengehen
zwei bis drei neue Rechnungen zu lernen und die bisherigen zu
repetieren. Da es lediglich 45 Plusrechnungen im Zehnerraum
gibt, war Jonas nach einigen Wochen schneller als seine
Klassenkameraden und rechnete von da an ausgesprochen gern.
Jonas sollte erkennen, dass er erfolgreicher ist, wenn er sich die
Resultate zu den Rechnungen merkt. Sobald Bedingungen
geschaffen wurden, die es Jonas erleichterten, die richtige
Strategie anzuwenden, waren Fortschritte wieder möglich.
Falsche Rechenprozeduren werden nicht erkannt
Erfolgreiches Üben wird geradezu unmöglich, wenn Kinder
falsche Rechenprozeduren verwenden. Manchmal übersehen
Eltern und Lehrer, wie Kinder auf ihre Ergebnisse kommen. Sie
gehen davon aus, dass es sich bei Fehlern um Flüchtigkeitsfehler
handelt. Vielfach benutzen Kinder aber systematisch falsche
Rechenregeln. Doch, wie erkennt man, wie ein Kind auf seine
Ergebnisse kommt?
Die Lösung für dieses Problem ist erstaunlich einfach: Sie
müssen nur wissen, was im Kopf Ihres Kindes vorgeht, wenn es
rechnet. Sagen Sie ihm, es solle alles, was es denkt, aussprechen,
und fragen Sie Ihr Kind immer wieder, wie es beim Rechnen
vorgeht.
158
Simons Mutter wunderte sich darüber, dass ihr Sohn keine
Fortschritte beim Addieren von zweistelligen Zahlen machte.
Bisher war er ein guter und schneller Rechner, aber im
Hunderterraum mit Zehnerübergang (z.B. 19 + 28) machte er
plötzlich viele Fehler, die sich auch durch Übung nicht
reduzieren liessen.
Wir liessen Simon einige Aufgaben lösen und baten ihn darum,
beim Rechnen laut zu denken. Schnell wurde deutlich, warum
die vielen zusätzlichen Arbeitsblätter nutzlos waren. Simon hatte
nicht verstanden, wie er die Zahlen zusammenzählen musste. Er
addierte eine Rechnung wie 19 + 28, indem er die Zehner und
Einer in willkürlicher Reihenfolge zusammenrechnete: 1 + 8 = 9
und 9 + 2 = 11, ergibt 20.
Das Beispiel zeigt, dass Simon nicht simple Flüchtigkeitsfehler
macht, sondern Fehler mit System. Er hatte die richtige Folge
der Rechenschritte noch nicht verinnerlicht. Die Übungsblätter
waren dadurch eher schädlich – Simon repetierte mit diesen
Blättern immer wieder eine falsche Schrittfolge.
Wir vermittelten Simon daher zunächst mittels geeigneten
Anschauungsmaterials den Unterschied zwischen Zehnern und
Einern und gingen zu mündlichen Übungen über, die wir in den
folgenden Etappen durchführten:
1. Die Mutter löste laut einige Aufgaben und Simon
wiederholte sie.
2. Danach löste Simon einige Aufgaben, wobei er laut
dachte. Die Mutter achtete darauf, dass er immer die
richtigen Rechenschritte anwandte.
3. Simon gestaltete sich ein Blatt, auf dem er die
Rechenschritte anhand eines Beispiels aufschrieb.
4. Schlussendlich löste er zunächst anhand dieses Blattes
und schliesslich ohne Hilfe die Übungsblätter alleine.
159
Macht Ihr Kind keine Fortschritte, lohnt es sich, die Methode
des lauten Denkens einzusetzen. Auf diese Weise wird deutlich,
ob Ihr Kind Flüchtigkeitsfehler macht oder falsche
Rechenschritte verwendet.
Emotionale Probleme aufgrund der Schwierigkeiten
Weist das Kind eine Schwäche im Fach Rechnen auf, kommen
zu mangelhaftem und falschem Üben mit der Zeit meist
emotionale Probleme hinzu, die das Problem verfestigen und
verschlimmern.
Kinder mit Schwierigkeiten bräuchten mehr:





Lob
Ermutigung
Positive Erlebnisse
Erfolge
Beweise, dass sich Anstrengung auszahlt
Und weniger:




Kritik
Enttäuschungen
Misserfolge
Negative Reaktionen anderer
Normalerweise ist das Gegenteil der Fall. Das Kind befindet
sich in einer Negativspirale, die Probleme verschlimmern sich.
160
Günstige und ungünstige Entwicklung
Das folgende Schema zeigt eine günstige Entwicklung. Das
Kind bringt eine natürliche Begabung mit sich. Es erlebt sich als
kompetent und übt deswegen gerne. Da es dem Unterricht
folgen kann, sind die Übungen jeweils genau auf den bisherigen
Wissensstand zugeschnitten – es übt an der richtigen Stelle. Die
erlebten Erfolge verstärken den positiven Bezug zum Fach
Rechnen.
Das Kind bringt eine hohe Begabung
mit
Es übt gerne und oft
Es übt jeweils an der richtigen Stelle,
weil es die bisherigen Schritte
beherrscht
Es erlebt Rechnen aufgrund der Erfolge
als angenehm und baut eine positive
Beziehung zu diesem Fach auf
161
Kinder mit Rechenschwächen geraten dagegen oft in einen
Teufelskreis. Die anfängliche Schwäche führt dazu, dass das
Kind weniger übt. Mit der Zeit bilden sich Lücken – der aktuelle
Schulstoff baut auf mangelndem Vorwissen auf und das Kind
übt an der falschen Stelle. Die erlebten Misserfolge lassen das
Fach immer unangenehmer werden. Das Kind erlebt sich als
unbegabt und versucht, dem Rechnen aus dem Weg zu gehen:
Das Kind hat eine Schwäche im
Fach Rechnen
Es übt deshalb weniger - Lücken
entstehen
Ungünstige Übungen an der
falschen Stelle oder Fehlstrategien
erschweren Fortschritte
Es erlebt Rechnen aufgrund der
Misserfolge als Belastung und
versucht, das Üben zu vermeiden
162
Diese Entwicklung ist kein unabwendbares Schicksal. Das
nächste Beispiel zeigt, was möglich ist, wenn richtig reagiert
wird. Das Kind hat zwar eine Rechenschwäche, Eltern und
Lehrer erkennen diese jedoch früh und reagieren mit wirksamen
Zusatzübungen. Das Kind ist durch diese Zusatzübungen in der
Lage, in der Schule mitzuhalten – Lücken werden verhindert
und das Kind übt jeweils an der richtigen Stelle. Durch die
Übungen, die sich am Wissensstand des Kindes orientieren, die
unterstützende Beziehung der Eltern und den günstigen Aufbau
der Übungen werden trotz der Schwäche Erfolge erzielt. Das
Kind gewinnt an Selbstvertrauen – die Rechenstunden werden
wieder angenehmer:
Das Kind hat eine Schwäche im Fach
Rechnen
Eltern und Kind üben deshalb etwas mehr
Sie üben aufgrund der Lückenanalyse an
der richtigen Stelle mit wirksamen
Übungen
Das Kind erlebt Erfolge und macht
Fortschritte - es erlebt sich als kompetent
und ist bereit, sich anzustrengen
Ein Kind mit einer Schwäche wird nie so gut rechnen können
wie ein rechenbegabtes Kind. Wird jedoch richtig reagiert, kann
es seine Schwäche zu einem Grossteil wettmachen.
163
Lückenanalyse: Wo beginnen die Schwierigkeiten?
Wenden wir uns also der Frage zu, wie Sie als Eltern feststellen
können, wo Ihr Kind Lücken aufweist. Die in diesem Teil
beschriebene Lückenanalyse soll Ihnen als Eltern helfen, die
Lücken zu erkennen, um diese mit den dazugehörigen Übungen
zu schliessen. Sie finden zunächst eine allgemeine Beschreibung
des Tests, dann jeweils die einzelnen Testaufgaben und die
Übungen.
Und so gehen Sie vor
Die Lückenanalyse führt Sie Schritt für Schritt durch den Stoff
der Grundrechenarten. Wenn Ihr Kind die Aufgaben eines
Schritts zügig lösen kann, gehen Sie einen Schritt weiter
(konkretere Angaben, was zügig heisst, finden Sie bei den
einzelnen Testaufgaben). Ist dies nicht der Fall, brechen Sie den
Test ab und üben mit Ihrem Kind diesen Schritt, bis er
ausreichend automatisiert ist. Dann nehmen Sie den Test wieder
hervor und fahren mit dem nächsten Schritt fort. Es kann in
seltenen Fällen vorkommen, dass ein Kind nur bei bestimmten
Stellen Mühe hat, während es bei einem darauf folgenden Punkt
keine Probleme aufweist - beispielsweise können beim Addieren
Schwierigkeiten auftreten, beim Multiplizieren hingegen nicht.
Oft finden sich bei solchen isolierten Lücken Ereignisse, die das
Kind zu diesem Zeitpunkt von der Schule abgelenkt haben, wie
z.B. ein Umzug oder ein längerer krankheitsbedingter
Schulausfall.
Die Lückenanalyse ist keine Prüfung
Viele Kinder mit Mathematikproblemen reagieren gestresst,
wenn sie mit prüfungsähnlichen Tests konfrontiert werden. Sie
fürchten sich vor weiteren Misserfolgen. Damit die
164
Lückenanalyse nicht als Prüfungssituation erlebt wird, bereiten
wir Kinder in unserer Praxis folgendermassen auf die Analyse
vor:
„Also Stefanie, du hast ja vorhin gesagt, dass du gerne besser im
Rechnen sein möchtest. Damit wir gut vorwärts kommen,
werden wir zuerst schauen, was du kannst und was dir noch
Mühe macht. Ich werde dir ein paar Rechenaufgaben stellen,
aber ich möchte nicht, dass du dir zu viel Mühe gibst.“
Um Ihrem Kind die Angst zu nehmen, ist es günstig, bei den
einfacheren Tests anzufangen, auch wenn Sie wissen, dass diese
kein Problem darstellen. So erlebt Ihr Kind Erfolge und Sie
können ihm zeigen, was es bereits kann.
Der Test wird als weniger belastend erlebt, wenn Sie ihn
abbrechen, sobald die ersten Schwierigkeiten sichtbar werden.
Bevor Sie mit den Übungen beginnen ist es motivierend, wenn
Sie Ihrem Kind verdeutlichen, was es kann und was jetzt geübt
werden soll.
Nehmen wir an, beim Subtrahieren im Zehnerraum werden
erste Schwierigkeiten deutlich. An dieser Stelle reagieren wir
folgendermassen:
„O.k. hören wir hier auf. Das Plusrechnen bis zehn kannst du
schon sehr gut und die Übung mit den Legos hast du
problemlos gekonnt. Ich denke, wir beginnen gleich mit dem
Üben von Minusrechnungen bis zehn. Die sind ein bisschen
schwieriger, aber ich bin mir sicher, dass du das bald so gut
kannst wie das Plusrechnen.“
An dieser Stelle zeigen wir dem Kind, wie wir üben werden und
achten darauf, dass es einen ersten Erfolg erlebt. Dann fragen
wir es, ob es bereit wäre, jeden Tag 10 bis 15 Minuten auf diese
Weise zu üben.
165
Automatisierung und flexible Anwendung: Wie stehen sie
zueinander?
Durch die Automatisierung wird – wie wir im Kapitel zum
Gehirn gesehen haben – Kapazität frei, die dem Kind die
Möglichkeit gibt, sich dem Verstehen des Aufgabentyps
zuzuwenden. Es ist deshalb sinnvoll, zunächst Ergebnisse bzw.
Rechenwege zu automatisieren, bevor eine Anwendung im
Rahmen verschiedener Aufgabentypen geübt wird. Zur
Automatisierung eignen sich Aufgaben, die:
 Immer gleich oder zumindest ähnlich aussehen
 Immer das gleiche oder ein ähnliches Vorgehen
verlangen
 Keine ablenkenden Informationen enthalten
 Sich oft wiederholen
Zur Flexibilisierung eignen sich hingegen Aufgaben, die:
 Unterschiedlich aussehen
 Unterschiedliche Vorgehensweisen ermöglichen
 Vom Kind fordern, dass es die wichtigen Informationen
herausfiltert
Viele moderne Schulbücher, wie beispielsweise das Zahlenbuch,
bieten fast nur Aufgaben des zweiten Typs. Sie merken das
daran, dass Sie fast auf jeder neuen Seite zunächst überlegen
müssen, was zu tun ist. Die Aufgabentypen sind vielfältig und
abwechslungsreich, die Lösungswege unterschiedlich, die
relevanten Informationen müssen gesucht werden. Begabteren
Kindern bereitet dieser ständige Wechsel der Anforderungen
sehr viel Spass – Kinder mit Rechenschwierigkeiten reagieren
hingegen verwirrt und frustriert. Kaum haben sie verstanden,
was sie tun müssen, und beginnen, sich etwas sicherer zu fühlen,
wird wieder etwas anderes verlangt.
166
Wenn Ihr Kind Mühe hat, braucht es mehr Aufgaben des ersten
Typs. Da das Zahlenbuch und andere neue Rechenbücher zur
Flexibilisierung bestens geeignet sind, habe ich mich deshalb in
diesem Buch vollständig auf Aufgaben zum Verständnis und zur
Automatisierung der Grundfertigkeiten konzentriert. Diese
helfen Ihrem Kind dabei, sich die Basisfertigkeiten zu
erarbeiten, schneller zu werden und sich sicherer zu fühlen.
Arbeiten Sie zunächst bei jedem Rechenschritt an der
Automatisierung. Helfen Sie dann Ihrem Kind anhand der
Aufgaben im Schulbuch sein Wissen flexibel anzuwenden.
Lückenanalyse: Überblick
Test
Untertest 1
Untertest 2
Untertest 3
Untertest 4
Untertest 5
Untertest 6
Untertest 7
Untertest 8
Inhalt
Zahlen- und Mengenverständnis
Verständnis der natürlichen Zahlenfolge
Addieren im Zehnerraum
Subtrahieren im Zehnerraum
Addieren und Subtrahieren im 20er / 100er
Raum ohne Zehnerübergang
Addieren
und
Subtrahieren
mit
Zehnerübergang
Multiplikation und Division – das kleine
Einmaleins und Einsdurcheins
Schriftliches Rechnen
167
Für jede Lücke die richtige Übung
Untertest 1: Zahlen- und Mengenverständnis
Das Erste, was sich ein Kind im Fach Mathematik erarbeiten
muss, ist ein grundlegendes Verständnis von Zahlen und
Mengen. Es muss die Zahlen von 1 bis 10 kennen und einer
bestimmten Menge von Objekten eine Zahl zuordnen können.
Kleine Mengen bis 4 sollte es ohne zu zählen auf einen Blick
erfassen können.
Um zu überprüfen, ob Ihr Kind ein Mengen- und
Zahlenverständnis aufgebaut hat, eignet sich ein einfacher Test,
den Sie beispielsweise mit Klötzchen oder Legosteinen
durchführen können.
Lassen Sie Ihr Kind zunächst eine von Ihnen vorgegebene
Anzahl Legosteine legen. Die Anweisung an das Kind lautet:
„Lege mir 3, 7, 5 Legosteine.“
Der nächste Test ist schon etwas schwieriger. Sie legen eine
kleine Anzahl Legosteine in eine Reihe, ohne dass Ihr Kind Sie
dabei beobachten kann. Dann decken Sie die Steine auf und
fragen, wie viele es sind. Grössere Mengen sollte es richtig
abzählen können.
Testaufgaben:
Lege mir 3, 9, 5 Legosteine
Wie viele Legosteine sind das (4, 2, 3)?
Wie viele Legosteine sind das (9, 7, 8, 6)?
168
Mein Kind war in der Lage:
□ Die richtige Anzahl Legosteine zu legen
□ Eine Menge bis 4 Legosteine ohne Zählen richtig zu
benennen
□ Eine Menge von 6 bis 10 Legosteinen richtig abzuzählen
Wenn Sie alle drei Kästchen ankreuzen konnten, können Sie
weitergehen zum Untertest 2. Ansonsten hilft Ihnen die
folgende Übung, das Mengenverständnis bei Ihrem Kind zu
fördern:
Übung zum Mengenverständnis
Das Mengenverständnis kann spielerisch verbessert werden.
Genau wie beim Untertest können Sie hier mit Legos oder
Bauklötzen üben. Legen Sie eine bestimmte Anzahl Legosteine
zwischen 1 und 10 vor Ihr Kind und fragen Sie es, wie viele
Steine es vor sich hat. Um die Übung abwechslungsreich zu
gestalten, können Sie das Legen der Legosteine zwischendurch
auch Ihrem Kind überlassen und es dann sagen lassen, wie viele
Steine es gelegt hat.
In einem nächsten Schritt können Sie mit derselben Übung
fortfahren, mit dem kleinen Unterschied, dass Ihr Kind beim
Legen der Legosteine nicht mehr zusehen sollte. Sie können
dazu wie beim Untertest ein Tuch verwenden oder sich
abdrehen.
Üben Sie so lange, bis Ihr Kind eine kleinere Menge bis zu 4
oder 5 Legosteinen auf einen Blick erfassen kann.
169
Untertest 2: Verständnis der natürlichen Zahlenfolge
Die wissenschaftliche Forschung konnte zeigen, dass wir Zahlen
in unserem Gedächtnis in Form eines Zahlenstrahls sehen. Das
erlaubt es uns, sofort zu sagen, dass 50 eine grössere Zahl ist als
35 – wir sehen die Zahlen auf einer Geraden und können quasi
nachsehen, wo die beiden Zahlen liegen.
Wie gut ausgebaut die Vorstellung des Zahlenstrahls ist, variiert
bei Erwachsenen je nachdem, wie oft sie sich mit Zahlen
beschäftigen und wie begabt sie in diesem Bereich sind.
Testen Sie sich selbst und beantworten Sie so schnell wie
möglich ohne weiterzulesen die folgende Frage: Was liegt
zwischen eins und einer Milliarde?
Haben Sie richtig gelegen oder haben Sie wie sehr viele
Erwachsene eine Million gesagt? Richtig wären 500 Millionen.
Ihr Kind sollte die natürliche Zahlenfolge so gut kennen, dass es
ohne nachzudenken oder abzuzählen weiss, welche von zwei
170
Zahlen die grössere ist oder welche Zahl vor und nach einer
bestimmten Zahl steht. Diese Leistung ist gar nicht so
selbstverständlich. Es braucht Zeit, um eine innere Vorstellung
des Zahlenraums aufzubauen, die uns dabei hilft, diese Fragen
schnell und richtig zu beantworten. Vergleichbar schwierig für
Sie als Eltern könnte die folgende Aufgabe zum Alphabet sein:
Welche Buchstaben stehen vor und nach dem Q / S / V?
Konnten Sie alle Antworten ohne zu zögern oder zu überlegen
geben? Die meisten Erwachsenen können es nicht.
Um zu überprüfen, ob Ihr Kind die Zahlenfolge ausreichend
automatisiert hat, können Sie ihm Fragen folgender Art stellen:



Welche Zahl kommt nach der 3?
Welche Zahl kommt vor der 5?
Welche Zahl ist kleiner: 9 oder 7?
Ihr Kind sollte dabei in der Lage sein, innerhalb einer Sekunde
zu antworten. Die Antworten sollten also automatisch – wie aus
der Pistole geschossen – gegeben werden. Nur so kann
sichergestellt werden, dass Ihr Kind wirklich eine Vorstellung
der Zahlen bis 10 aufgebaut hat und die Aufgaben nicht mit
Abzählen löst. Ein gutes Zahlenverständnis wird Ihrem Kind
helfen abzuschätzen, ob ein Resultat stimmen kann.
171
Testaufgaben:
Welche Zahl kommt nach der 2, 7, 3 ?
Welche Zahl kommt vor der 9, 3, 5 ?
Welche Zahl ist grösser, 5 oder 7, 6 oder 4 ?
Welche Zahl ist kleiner, 9 oder 8, 7 oder 2 ?
Falls Ihr Kind bereits mit dem 100er Raum
vertraut ist, können Sie den Test ausweiten:
Welche Zahl kommt nach der 23, 77, 38
Welche Zahl kommt vor der 45, 16, 20, 70
Welche Zahl ist grösser, 57 oder 62 ?
Welche Zahl ist kleiner, 28 oder 91 ?
Mein Kind war in der Lage, innert einer Sekunde:
□ Zu sagen, welche Zahl vor oder nach einer anderen Zahl
kommt
□ Zu entscheiden, welche Zahl grösser oder kleiner ist
Ja: Weiter zu Untertest 3
Nein: Übung zur natürlichen Zahlenfolge
172
Übung zur natürlichen Zahlenfolge
Hat Ihr Kind noch keine genügende Vorstellung des
Zahlenraums, können ihm einfache Übungen helfen, einen
mentalen Zahlenstrahl aufzubauen.
Üben können Sie dies beispielsweise mit einem Meterband. Je
nachdem, ob Ihr Kind bisher erst den 10er oder schon den
100er Raum kennengelernt hat, arbeiten Sie mit 10cm oder dem
ganzen Meter.
Beginnen Sie mit einer einfachen Übung und lassen Sie Ihr Kind
bestimmte Zahlen suchen:

Wo ist die 16, 97, 33 ?
Sobald Ihr Kind etwas schneller wird und automatisch in der
Nähe der Zahl mit der Suche beginnt, können Sie sich mit ihm
einen kleinen Wettkampf liefern. Nennen Sie sich abwechselnd
Zahlen und schauen Sie, wer sie schneller findet. Ist Ihr Kind
ziemlich schnell, können Sie die Übung mit Hilfe eines kleinen
Spiels erschweren.
Zeichnen Sie einen Strich von einem Meter Länge und nehmen
Sie zwei Klötzchen, Schachfiguren oder andere Spielfiguren.
Nun nennen Sie und Ihr Kind abwechselnd Zahlen. Der eine
Spieler nennt eine Zahl, der andere schätzt, wo sich diese
befindet und stellt seine Figur auf die Linie. Dann wird
gemessen. Die Abweichungen werden aufgeschrieben und am
Ende zusammengerechnet. Wer nach 10 Durchgängen weniger
stark danebenlag und somit genauer geschätzt hat, gewinnt.
173
Untertest 3: Addition im Zehnerraum
Im Zehnerraum (die Summe der Additionen ergibt höchstens
zehn) sollte Ihr Kind fähig sein, Plusrechnungen innerhalb eines
Augenblicks (einer Sekunde) mündlich zu lösen. Dies ist deshalb
wichtig, weil ein Kind die Ergebnisse zu solchen Aufgaben aus
dem Gedächtnis abrufen sollte, sie also auswendig wissen muss.
Braucht es länger, benutzt es vermutlich eine Fehlstrategie wie
Zählen mit den Fingern oder inneres Hochrechnen. Im
Zweifelsfall sollten Sie Ihr Kind fragen, wie es auf die Lösung
gekommen ist und es darum bitten, beim Rechnen laut zu
denken. Löst das Kind die Aufgaben zählend, sollte hier trotz
richtiger Ergebnisse mit dem Üben begonnen werden.
Ansonsten wird das Kind Schwierigkeiten bekommen, sobald
die Rechnungen über den Zehnerraum hinaus gehen.
Der Test besteht schlicht darin, dass Sie Ihrem Kind einige
Aufgaben zur Addition im Zehnerraum stellen und darauf
achten, ob es innerhalb einer Sekunde richtig antworten kann.
Testaufgaben:
Was ergibt: 1 + 2 / 3 + 4 / 6 + 3 / 4 + 4 ?
Welche Zahl kommt vor der 9, 3, 5 ?
Welche
ist grösser, 5 oder 7, 6 oder 4 ?
Mein Kind war
in derZahl
Lage:
Welche Zahl
ist kleiner,
9 oder
8, 7 oder 2 zu
? nennen
□ Die Ergebnisse
innerhalb
eines
Augenblicks
Ihr Kind
Ja: Weiter zu Falls
Untertest
4 bereits mit dem 100er Raum
vertraut ist, können Sie den Test ausweiten:
Nein: Übung zur Addition im Zehnerraum
Welche Zahl kommt nach der 23, 77, 38
Welche Zahl kommt vor der 45, 16, 20, 70
174
Welche Zahl ist grösser, 57 oder 62 ?
Welche Zahl ist kleiner, 28 oder 91 ?
Übung zur Addition im Zehnerraum
Die folgende Übung hilft Ihnen dabei, das Einspluseins und
Einsminuseins mit Ihrem Kind so zu üben, dass ein Anwenden
von Fehlstrategien durch die Art des Übens verhindert wird, Ihr
Kind Erfolge erlebt und möglichst schnell Fortschritte erzielt.
Sehen wir uns zunächst an, was Ihr Kind können sollte. Es muss
ein Verständnis dafür entwickeln, was addieren bedeutet und es
sollte die Ergebnisse der Additionen im Zehnerraum aus dem
Gedächtnis abrufen können. Insgesamt handelt es sich lediglich
um 45 Additionen. Wenn wir davon ausgehen, dass Ihr Kind
bemerkt, dass beispielsweise 4 + 3 und 3 + 4 dasselbe ergibt
und es schon einige einfachere Rechnungen auf Anhieb lösen
kann, bleibt nicht mehr viel zu tun.
Sie können zunächst am Verständnis arbeiten. Dazu eignen sich
die Veranschaulichungshilfen im Schulbuch, spezielles Material
wie die Rechenhexe von Mosaik (http://shop.mosaik-berlin.de)
175
oder die Finger.
Wichtig ist, dass die Kinder das Material oder die Finger nicht
mehr als Abzählhilfen benutzen und jedes Mal neu mit dem
Zählen beginnen, sondern eine Vorstellung von Mengen
entwickeln.
Für Kinder mit grösseren Schwierigkeiten ist beispielsweise mit
der Zahl 4 oft keine Menge verbunden – sie ist für sie lediglich
eine Zahl in einer Abfolge – so wie für uns das D im Alphabet.
Diese Kinder müssen zunächst verstehen, dass die Zahl 4 für
eine bestimmte Menge steht und unterschiedlich dargestellt
werden kann.
Diese Vorstellung kann aufgebaut werden, indem mit den
Kindern trainiert wird, eine bestimmte Zahl auf verschiedene
Weise mit den Fingern darzustellen. Die 4 kann z.B. mit den
Findern dargestellt werden, indem verschiedene Finger
ausgestreckt werden:




Alle Finger einer Hand mit Ausnahme des Daumens
Alle Finger einer Hand mit Ausnahme des kleinen
Fingers
Zwei Finger an einer und zwei an der anderen Hand
Drei Finger an einer und ein Finger an der anderen
Hand
Als Eltern können Sie das Kind nun dazu anleiten, mit den
Fingern zu rechnen:


176
„Wenn du an einer Hand zwei Finger hast, wieviele
Finger brauchst du noch mit der anderen Hand, damit es
4 Finger sind? Genau, zwei und zwei sind vier!“
„Wenn du an dieser Hand nur einen Finger hast,
wieviele brauchst du dann an der anderen Hand, damit
es vier sind? Ja, eins und drei sind auch vier!“
Sie können die Rechnungen, die anhand der Finger oder der
Rechenhexe dargestellt wurden, nun aufschreiben.

„Schau, du hast gerade gerechnet: 2 plus 2 gleich 4.
Schreiben wir das auf: 2 + 2 = 4. Lass uns daraus ein
Kärtchen machen.“
Schreiben Sie nach und nach die Rechnungen auf Kärtchen und
lassen Sie Ihr Kind diese mit dem Zettelkastensystem (Siehe
Kapitel: Gehirn) üben. Auf die Vorderseite des Kärtchens
kommt die Aufgabe und auf die Rückseite das Resultat.
Achtung: Gehen Sie nicht der Reihe nach.
Vorderseite
4+3
Rückseite
7
Achten Sie nun – wie zu Beginn dieses Kapitels beschrieben –
darauf, dass das Kind keine Zeit hat, zu zählen. Drehen Sie dazu
die Karte immer gleich um und zeigen Sie dem Kind das
Resultat, wenn es sich an dieses nicht innerhalb eines
Augenblicks erinnern kann.
Erstellen Sie jeden Tag die neuen Kärtchen für Ihr Kind. Damit
Sie keine Aufgaben vergessen, können Sie diese auf der
folgenden Tabelle ankreuzen:
177
1+1
1+2
1+3
1+4
1+5
1+6
1+7
1+8








7+1 
7+2 
7+3 
2+1
2+2
2+3
2+4
2+5
2+6
2+7
2+8








8+1 
8+2 
3+1
3+2
3+3
3+4
3+5
3+6
3+7







4+1
4+2
4+3
4+4
4+5
4+6






5+1
5+2
5+3
5+4
5+5





6+1
6+2
6+3
6+4




9+1 
Falls Sie die Kärtchen nicht selbst schreiben möchten, können
Sie bereits vorbereitete, stabile und abwaschbare Kärtchen
genau dieser Art auf der Webseite www.montessori-material.de
bestellen.
Spielerisches Üben einfacher Additionen und Subtraktionen ist
mit dem Ravensburger Spiel „Rechen-Kapitän“ möglich.
Untertest 4: Subtrahieren im Zehnerraum
Für das Subtrahieren gelten dieselben Anweisungen wie beim
Addieren. Auch hier sollte das Kind die Rechnungen im
Zehnerraum automatisiert haben und keine Fehlstrategien
benutzen.
Testaufgaben:
Was ergibt: 2 -1 / 6 - 4 / 9 - 7 / 4 - 3 ?
Welche Zahl kommt vor der 9, 3, 5 ?
Mein Kind war
in der
Welche
ZahlLage:
ist grösser, 5 oder 7, 6 oder 4 ?
178
Welche Zahl ist kleiner, 9 oder 8, 7 oder 2 ?
Falls Ihr Kind bereits mit dem 100er Raum
vertraut ist, können Sie den Test ausweiten:
Welche Zahl kommt nach der 23, 77, 38
□ Die Ergebnisse innerhalb eines Augenblicks zu nennen
Ja: Weiter zu Untertest 5
Nein: Übung zur Subtraktion im Zehnerraum
Übung zur Subtraktion im Zehnerraum
Gehen Sie zur Einübung der Subtraktion im Zehnerraum auf
die gleiche Weise vor wie beim Addieren in der Übung 4.
Streichen Sie hier die Rechnungen durch, die Sie bereits auf
Kärtchen geschrieben haben:
10 - 1 
10 - 2 
10 - 3 
10 - 4 
10 - 5 
10 - 6 
10 - 7 
10 - 8 
10 - 9 
9-1
9-2
9-3
9-4
9-5
9-6
9-7
9-8
8-1
8-2
8-3
8-4
8-5
8-6
8-7
4-1
4-2
4-3
3-1
3-2
2-1
7-1
7-2
7-3
7-4
7-5
7-6
6-1
6-2
6-3
6-4
6-5
5-1
5-2
5-3
5-4
Untertest 5: Addieren und Subtrahieren im 20er / 100er
Raum ohne Zehnerübergang
Das Addieren und Subtrahieren im 20er oder 100er Raum ohne
Zehnerübergang ist nur geringfügig schwieriger als das Rechnen
im Zehneraum (2 + 7 oder 52 + 7). Einige Kinder denken
179
allerdings, dass diese Rechnungen aufgrund der Grösse der
Zahlen schwieriger sein müssten. Kann das Kind diese
Rechnungen innerhalb einer Sekunde nicht lösen oder reagiert
es mit Ratlosigkeit, lässt sich das Problem mit den
Veranschaulichungshilfen in den Übungen zum Zehnerübergang
relativ leicht beheben.
Testen Sie Ihr Kind, indem Sie ihm einige Rechnungen stellen,
wobei Sie darauf achten, dass kein Zehnerübergang stattfindet.
Testaufgaben:
Was gibt 10 + 7 / 22 + 5 / 31 + 8 / 91 + 4 ?
Was gibt 24 – 2 / 99 – 8 / 37 – 4 / 46 – 5 ?
Mein Kind war in der Lage:
□ Die Ergebnisse innerhalb eines Augenblicks zu nennen
Ja: Weiter zu Untertest 6
Nein: Übung zur Addition und Subtraktion im Hunderterraum
ohne Zehnerübergang
Übung zur Addition und Subtraktion im Hunderterraum
ohne Zehnerübergang
Findet kein Zehnerübergang statt, ist Addieren und Subtrahieren
im Hunderterraum praktisch genauso einfach wie das Rechnen
im Zehnerraum. Es motiviert Kinder sehr, wenn sie bemerken,
wie schnell sie Rechnungen wie 83 + 5 lösen können, nachdem
180
das Addieren und Subtrahieren im Zehnerraum automatisiert
wurde.
Dieser Schritt muss meist nur kurz eingeübt werden und dient
eher der Motivation des Kindes. Ihr Kind muss nur folgendes
verstehen: Gibt die Summe der beiden hinteren Ziffern weniger
als zehn, ändert sich bei der Zehnerziffer nichts. Sie können ihm
dies mit den Veranschaulichungshilfen verdeutlichen, die in der
nächsten Übung zum Zehnerübergang beschrieben werden (ich
habe mich entschlossen, das Material in der nächsten Übung zu
beschreiben, da viele Eltern diese Übung überspringen).
Lassen Sie Ihr Kind zunächst die Zahlen 52 und 7 mit Hilfe der
Zehnerstangen und Einerwürfel legen. Gehen Sie wie folgt vor:
Vater: „Was gibt 52 + 7?“
Kind: „?“
Vater: „Was musst du denn beim Addieren machen?“
Kind: „Die Zahlen zusammenrechnen.“
Vater: „Ja…was passiert dann hier mit den Zehnerstangen und
den Einern?“
Kind: „Ich muss die sieben Einer zu den 5 Zehnern und den
zwei Einern dazu tun.“
Vater: „Sehr gut. Was gibt das?“
Kind: „5 Zehner und 9 Einer!“
Vater: „Und das gibt…?“
Kind: „Na 59!“
181
Vater: „Sehr gut. Schauen wir uns das mit den Zahlen an. Also:
52 + 7 = ….was machst du?“
Kind: „Ich zähle die 7 Einer dazu. Das gibt 2 + 7, das sind
9…das gibt 59!“
Vater: „Sehr gut…machen wir gleich noch ein paar solche
Rechnungen.“
Hat Ihr Kind das System mit den Zehnerstangen und den
Einerwürfeln verstanden und gesehen, dass sich bei den
Zehnern nichts ändert, sollten Sie unbedingt ohne Material
weiterüben. Lassen Sie Ihr Kind noch einige solche Aufgaben
lösen, bis Sie das Gefühl haben, es könne im Hunderterraum
ohne Zehnerübergang praktisch genauso schnell rechnen wie im
Zehnerraum.
Das gleiche Verfahren eignet sich auch für die Subtraktion. Hier
achten Sie wieder darauf, dass kein Zehnerübergang stattfindet
und zeigen Ihrem Kind, dass es in diesem Fall nicht auf die
Zehner achten muss.
Falls Sie das Rechnen im Zehnerraum ausgelassen haben und
jetzt bemerken, dass Ihr Kind länger als eine Sekunde braucht,
um Rechnungen wie 2 + 7 oder 5 – 3 zu lösen, lohnt es sich,
einen Schritt zurückzugehen und die Addition und Subtraktion
im Zehnerraum aufzuarbeiten.
Untertest 6: Addieren und Subtrahieren mit Zehnerübergang
Als nächstes überprüfen wir, ob Ihr Kind die deutlich
schwierigeren
Additionen
und
Subtraktionen
mit
Zehnerübergang beherrscht. Die Geschwindigkeit ist hier
weniger zentral. Wichtig ist das Einhalten der richtigen
182
Rechenschritte. Bitten Sie Ihr Kind laut zu denken, während es
die Rechnungen löst, damit Sie als Eltern überprüfen können,
ob es die richtigen Rechenschritte verinnerlicht hat.
Die richtigen Rechenschritte sehen wie folgt aus:
Addition: 6 + 9
Hier sollte Ihr Kind die folgenden Überlegungen anstellen:
Schritt 1: „Wie viel brauche ich noch von 6 bis 10? 4“
Schritt 2: „4 habe ich schon dazugezählt, wie viel bleibt mir
noch von der 9? 5 – die muss ich noch dazuzählen“
Schritt 3: „10 und 5 gibt 15“
Das Kind könnte natürlich auch umgekehrt vorgehen:
Schritt 1: „9 und 1 ergibt 10.“
Schritt 2: „Jetzt bleiben mir noch 5“
Schritt 3: „10 und 5 gibt 15“
Zunächst wird also auf 10 ergänzt, was aufgrund der Übung zur
Automatisierung der Additionen im Zehnerraum mühelos
gelingen sollte. Danach schaut das Kind, wie viel noch
übrigbleibt und rechnet diese Zahl zu 10 dazu. Dies sieht etwas
kompliziert aus, Sie werden aber wahrscheinlich feststellen, dass
Sie als Erwachsener genau diese Strategie benutzen. Die
Fertigkeiten die hier geübt werden, sind später insbesondere
beim schriftlichen Addieren wichtig.
Bei der Subtraktion gehen Sie auf ähnliche Weise vor. Sie stellen
Ihrem Kind eine Subtraktionsaufgabe, bei der ein
183
Zehnerübergang stattfindet, lassen es laut rechnen und achten
darauf, ob es die richtigen Rechenschritte benutzt:
Subtraktion: 14 - 8
Schritt 1: „14 – 4 gibt zehn“
Schritt 2: „4 Habe ich schon weggezählt, bleibt noch 4“
Schritt 3: „10 minus 4 ergibt 6“
Etwas schwieriger wird es, wenn Sie Ihr Kind mit zweistelligen
Zahlen rechnen lassen. Achten Sie auch hier darauf, dass Ihr
Kind die richtigen Rechenschritte verwendet. Das Problem bei
den neueren Schulbüchern ist, dass sie nicht einen Weg
trainieren, sondern den Kindern mehrere Vorschläge machen.
Das Zahlenbuch 3, Lehrmittel für das dritte Schuljahr in der
Schweiz, schlägt beispielsweise auf Seite 6 für die Addition 58 +
26 = die folgenden Varianten in der folgenden Darstellung vor:
Daniel rechnet
58 + 26 = 78 + 6 =
Zehner dazu, dann
Einer dazu
58 + 20 = 6
Laura rechnet:
58 + 26 = 70 + 14 =
Zehner
Zehner
plus
50 + 20
Einer plus Einer
8+ 6
Sabrina rechnet:
184
58 + 26 = 60 + 24
Vereinfachen
Damit soll dargestellt werden, dass Rechnungen auf
unterschiedlichen Wegen gelöst werden können. Es dürfte
jedoch auch für viele Erwachsene nicht einfach sein, die
einzelnen hier dargestellten Rechenwege nachzuvollziehen oder
diese zu erklären. Rechenschwache Kinder werden durch solche
„Erklärungen“ nur zusätzlich verwirrt.
Auf was Sie achten müssen, wenn Sie Ihr Kind laut rechnen
lassen, ist daher nicht, ob es eine bestimmte Schrittfolge gewählt
hat, sonder darauf, ob es damit auf das richtige Ergebnis kommt
und ob es klar zwischen Einern und Zehnern unterscheiden
kann.
Eine richtige Schrittfolge für die Addition 25 + 49 = wäre
demnach:
Schritt 1: „25 + 40 gibt 65“
Schritt 2: „Jetzt muss ich noch die 9 dazurechnen. Wie viel
brauche ich von 5 bis 10? 5 - Das wären dann 70.“
Schritt 3: „Bleiben noch 4“
Schritt 4: „70 und 4 gibt 74“
Das Kind könnte aber auch so vorgehen, dass es – analog zum
schriftlichen Addieren – zunächst die Einer zusammenzählt und
dann die Zehner:
Schritt 1: „Ich rechne zuerst 5 und 9 – das gibt 14. Ich schreibe
hinten schon mal die 4 hin.“
Schritt 2: „Jetzt bleiben mir noch 10 und ich muss noch 20 und
40 dazurechnen. Das gibt 10, 30, 70…also 74.“
185
Probleme zeigen sich hingegen meist dahingehend, dass
Kindern der Unterschied zwischen Zehnern und Einern nicht
klar ist.
Typische falsche Rechenwege wären zum Beispiel:
25 + 49 = ?
Kind: „Hm…25 und 4 ist 29 und 9 … gibt 38…
Die Zehner der zweiten Zahl werden hier zu den Einern der
ersten Zahl hinzugerechnet. Es handelt sich somit nicht um
einen Flüchtigkeitsfehler, sondern um ein Verständnis-Problem.
Wenn Sie bemerken, dass Ihr Kind bei den folgenden
Testaufgaben solche Fehler begeht oder sich unsicher fühlt,
wäre es wichtig, diesen Schritt weiter zu üben.
186
Testaufgaben:
Was gibt 9 + 3 / 5 + 8 / 4 + 7 / 8 + 8 ?
Was gibt 11 – 2 / 17 – 9 / 14 – 8 / 16 – 7 ?
Und etwas schwieriger mit zweitstelligen
Zahlen:
Was gibt 19 + 12 / 23 + 38 / 26 + 59 ?
Was gibt 41 – 29 / 56 – 48 / 92 – 63 ?
Mein Kind war in der Lage:
□ Die einstelligen Additionen mit Zehnerübergang mit
Hilfe korrekter Rechenschritte zu lösen
□ Die einstelligen Subtraktionen mit Zehnerübergang mit
Hilfe korrekter Rechenschritte zu lösen
□ Die zweistelligen Additionen mit Zehnerübergang mit
Hilfe korrekter Rechenschritte zu lösen
□ Die zweistelligen Subtraktionen mit Zehnerübergang mit
Hilfe korrekter Rechenschritte zu lösen
Ja: Weiter zu Untertest 7
Nein: Übung zur Addition und Subtraktion mit Zehnerübergang
Übungen zur Addition und Subtraktion mit Zehnerübergang
Addieren und Subtrahieren mit Zehnerübergang ist deutlich
schwieriger. Hier wollen wir auch keine Automatisierung von
187
Resultaten mehr erreichen, sondern nur
Automatisieren der richtigen Rechenschritte.
noch
ein
Beim Zehnerübergang zeigt sich oft, wie gut die
vorhergehenden Grundlagen verstanden und automatisiert
wurden. Um diese Hürde zu schaffen, müssen die Kinder:



Zahlen als Symbole für Mengen begreifen.
den Unterschied zwischen Zehner- und Einerziffern
verstanden haben. Sie müssen erkennen können, dass
ein Zehner aus 10 Einern besteht.
Schnell und sicher für jede Zahl bis 9 wissen, wieviel bis
zur 10 noch fehlt.
Fehlen diese Grundlagen, sollten die vorhergehenden Schritte
noch besser geübt werden.
Hat Ihr Kind Mühe mit der Unterscheidung von Zehnern und
Einern, können zu Beginn wieder Veranschaulichungshilfen
zum Verständnis beitragen.
Ein geeignetes Hilfsmittel sind beispielsweise die Zehnerstangen
und Einerwürfel, die in Buchhandlungen oder beispielsweise auf
der Webseite www.spielundlern.de bestellt werden können:
188
Mit Hilfe der Stangen kann den Kindern verdeutlicht werden,
dass ein Zehner aus zehn Einerwürfeln besteht.
Zu Beginn eignen sich dazu einfache Aufgaben wie:

Lege mir die Zahl 35. Wieviele Zehnerstangen und
wieviele Einer brauchst du dafür?
Lassen Sie Ihr Kind die Zahl aufschreiben und zeigen Sie ihm,
dass die hinterste Ziffer für die Einer und die zweite Ziffer für
die Zehner steht:
Mutter: „Jetzt hast du 35 gelegt. Das sind 5 Einer und 3 Zehner.
Wir schreiben die 5 in die Einerstelle und die 3 in die
Zehnerstelle…“
Zehner
3
Einer
5
Relativ rasch sollte dabei das Material nicht mehr benutzt
werden. Fragen Sie Ihr Kind, ohne dass es das Material dazu
benutzen kann:

Wie viele Zehnerstangen und wie viele Einer bräuchtest
du für die Zahl 54?
Vielleicht antwortet ihr Kind darauf zu Beginn, dass es 5 Einer
und 4 Zehner bräuchte. Nun haben Sie die Gelegenheit, Ihr
Kind die Zahl zunächst schreiben zu lassen und ihm dann
nochmals zu erklären, dass die zweite Ziffer für die Zehner steht
und die hinterste für die Einer. Im Deutschen haben wir hier die
zusätzliche Hürde, dass wir die Einer zuerst nennen –
Vierundfünfzig anstatt beispielsweise Fünfzigvier. Die Kinder
verwirrt dies zu Beginn in ähnlicher Weise wie Franzosen oder
Engländer, wenn sie unserer Sprache lernen.
189
Hat Ihr Kind den Unterschied zwischen Zehnern und Einern
verstanden und weiss es, dass die hinterste Ziffer für die Einer
steht und die zweite für die Zehner, können Sie beginnen,
einfache Additionen und Subtraktionen mit Zehnerübergang zu
lösen. Zuerst wieder mit dem Material, möglichst rasch aber
ohne.
Im ersten Schritt können Sie Ihrem Kind zeigen, dass es 10
Einer in eine Zehnerstange umtauschen kann:
Vater: „Was gibt 9 + 2? Lege mir zuerst die beiden Zahlen…“
Kind: „So…9 und 2…jetzt muss
zusammentun…das sind dann 11.“
ich
sie
einfach
Vater: „Genau…jetzt hast du hier 11 Einerwürfel. Ich finde, das
sieht etwas unübersichtlich aus. Was könntest du dagegen tun?“
Kind: „Ich könnte 10 von meinen Einern gegen eine von den
Zehnerstangen hier eintauschen!“
Vater: „Sehr gut! Jetzt haben wir also einen Zehner und einen
Einer. Lass uns das aufschreiben: Bei den Zehnern haben wir 1
und bei den Einern auch 1.“
Zehner
1
Einer
1
Versteht das Kind diesen Punkt, können Sie es etwas
schwierigere Rechnungen lösen lassen. Beispielsweise einfachere
Subtraktionen, die einen Zehnerübergang verlangen.
Mutter: „Schau, hier liegen fünf Zehnerstangen. Wie viel gibt
das?“
190
Kind: „50!“
Mutter: „Genau. Was passiert, wenn du 5 davon abziehst?“
Kind: „Das geht gar nicht!“
Mutter: „Ja, mit den Zehnern geht das nicht. Was könntest du
tun?“
Kind: „Ich könnte einen Zehner umtauschen in 10 Einer.“
Mutter: „Sehr gut. Mach das mal…gut…und jetzt zieh 5 davon
ab.“
Kind: „Das gibt 45!“
Gehen Sie nach einigen Übungen mit dem Material dazu über,
Ihr Kind solche Rechnungen im Kopf lösen zu lassen. Nehmen
Sie dazu zunächst wieder nur einfach Aufgaben wie:


39 + 3 =
30 – 4 =
Fühlt sich Ihr Kind sicher, können Sie zu schwierigeren
Aufgaben übergehen, bei denen das Kind einen Schritt mehr
machen muss. Die Mutter hat hier in weiser Voraussicht anstelle
der fünften Zehnerstange bereits 10 Einer-Würfel hingelegt, um
die Zahl darzustellen.
Mutter: „Schau, ich habe dir 55 gelegt. Was passiert, wenn du 9
davon abziehst?“
Kind: „Ich kann schon mal 5 abziehen…“
Mutter: „Genau…was gibt das?
191
Kind: „50…und 5 sind hier schon weg…“
Mutter: „Genau, 5 hast du schon abgezogen und jetzt hast du
noch 50. Was musst du jetzt noch tun?“
Kind: „Ich muss 9 abziehen…5 habe ich schon weggerechnet.
Nun muss ich nochmals 4 wegzählen.“
Mutter: „Genau…mach das mal.“
Kind: „50 minus 4 …das gibt 46!“
Nach einigen Durchgängen lässt sich die Mutter vom Kind
beschreiben, wie es bei den einzelnen Rechnungen vorgeht.
Sobald sich das Kind sicher fühlt, wird das Material wieder
entfernt und das Kind versucht, die Rechnungen im Kopf zu
lösen.
Nun können noch schwierigere Rechnungen zunächst mit dem
Material und dann im Kopf gelöst werden. Beispielsweise:
14 + 47 =
Das Kind kann dabei lernen, dass es zehn Einer wiederum in
eine Zehnerstange umtauschen kann:
Mutter: „Lege mir zuerst die 14 und die 47…gut. Rechne zuerst
einmal die Einer zusammen…was gibt das?“
Kind: „4 und 7…das gibt 11“
Mutter: „Wieviele Zehner und Einer sind das?“
Kind: „Das ist ein Zehner und ein Einer!“
192
Mutter: „Genau…jetzt hast du einen Einer und einen Zehner.
Wie fährst du jetzt weiter?“
Kind: „Jetzt liegen hier noch ein Zehner und hier 4
Zehner…das sind sechs Zehner und ein Einer…61.“
Wichtig ist auch hier, dass das Kind versteht, dass es Zehner in
Einer und Einer in Zehner umtauschen kann.
Als Übergang können nun die Rechnungen aufgeschrieben
werden:
Mutter: „Komm, wir schreiben diese Aufgabe auf. Lege mir
zuerst wieder die 14 und die 47…gut. Was hast du zuerst
gemacht?“
Kind: „Die Einer zusammengerechnet. 4 und 7…das waren 11.“
Mutter: „Wieviele Zehner und Einer waren das?“
Kind: „Ein Zehner und ein Einer!“
Mutter: „Genau…Schau dir hier nochmals die Rechnung an: 14
+ 47 =…was kannst du vom Ergebnis bereits aufschreiben?“
Kind: „Bei den Einern kommt eine Eins hin!“
Mutter: „Sehr gut! Schreib das hin…
Kind: „Eine 1 bei den Einern. Jetzt habe ich noch einen Zehner
übrig und in der Rechnung bleiben noch die Zehner: 10 und
40…das sind 6 Zehner, also kommt die 6 hier bei den Zehnern
hin…61!“
Kann das Kind die Rechenschritte parallel zur Verwendung des
Material sicher aufschreiben, kann das Material wieder
193
ausgeblendet werden. Dieser Schritt ist sehr wichtig: Das Kind
soll nicht vom Material abhängig werden und die einzelnen
Schritte deshalb immer wieder ohne Material versuchen.
Sie können beim Übergang die Schrittfolge zusammen mit
Ihrem Kind auf ein Blatt schreiben, welches es zunächst als
Hilfe benutzen darf:
Schritt 1: Ich addiere zuerst die Einer und schaue, wieviele
Zehner und Einer es gibt
Schritt 2: Ich schreibe die Einer auf die Einer-Stelle
Schritt 3: Ich schaue, wieviele Zehner noch bleiben und rechne
diese zusammen. Ich trage diese bei der Zehner-Stelle ein.
Mein Beispiel:
24 + 28 =
Schritt 1: Ich addiere zuerst die Einer und schaue, wieviele
Zehner und Einer es gibt. 4 + 8 ergibt 12…das sind zwei Einer
und ein Zehner
Schritt 2: Ich schreibe die 2 in die Einer-Stelle: 24 + 28 = _2
Schritt 3: Ich schaue, wieviele Zehner noch bleiben und rechne
diese zusammen. Ich habe noch einen Zehner von der 12 übrig
und es bleiben mir 20 + 20…also nochmals 4 Zehner. Das sind
zusammen 5 Zehner. Ich schreibe die 5 in die Zehner-Stelle: 24
+ 28 = 52.
Schwierige Subtraktion können analog dazu zunächst mit dem
Material, dann mit den Rechenschritten auf dem Blatt und
schliesslich ganz ohne Hilfsmittel gelöst werden:
194
56 – 27 =
Mutter: „Lege mir bitte die 56. Schau dir die Rechnung an: Was
musst du machen?“
Kind: „Ich soll von dieser Zahl hier (zeigt auf die ausgelegte 56)
27 abziehen.“
Gut…was machst du zuerst??“
Kind: „Ich ziehe schon mal sechs ab…jetzt habe ich hier 50 und
habe hier 6 Einer, die ich abgezogen habe…was mache ich
jetzt?“
Mutter: „Was hast du schon gemacht?“
Kind: „6 Einer abgezogen. Ich muss aber 7 Einer abziehen…“
Mutter: „Genau…wie geht das?“
Kind: „Ich muss zuerst wieder einen Zehner in Einer
umtauschen…so….jetzt kann ich noch einen Einer abziehen.“
Mutter: „Gut. Was hast du bis jetzt gemacht und wie viel bleibt
dir noch?“
Kind: „Jetzt habe ich 7 Einer abgezogen und es bleiben mir 49.“
Mutter: „Sehr gut. Und was musst du noch machen?“
Kind: „Jetzt noch 20 abziehen.
wegnehmen…das sind dann 29!“
Ein Blatt
aussehen:
mit
Rechenschritten
Also
könnte
zwei
Zehner
folgendermassen
195
Schritt 1: Ich ziehe zuerst die Einer ab.
Schritt 2: Ich schreibe die restlichen Einer in die Einer-Stelle
Schritt 3: Ich ziehe die Zehner ab und schreibe die restlichen
Zehner auf.
Mein Beispiel:
56 – 27 =
Schritt 1: Ich ziehe zuerst die 7 Einer ab.
Schritt 2: Das ergibt 49…ich schreibe die 9 in die Einer-Stelle.
Schritt 3: Jetzt ziehe ich die beiden Zehner ab. Das gibt 4 –
2…das sind dann 29. Ich schreibe die 2 in die Zehner-Stelle.
Um den Zehnerübergang auf spielerische Weise zu üben, eignet
sich das Ravensburger Spiel „Abenteuer auf dem Zahlenfluss“.
196
Untertest 7: Multiplikation – das kleine Einmaleins
Heute wird in der Schule weniger Zeit darauf verwendet, das
Einmaleins und das Einsdurcheins auswendig zu lernen. Das ist
schade, denn diese Rechnungen tauchen – etwas versteckt –
immer wieder auf. Nicht nur beim schriftlichen Multiplizieren
und Dividieren, beim Bruchrechnen, in Textaufgaben und beim
Prozentrechnen, sondern auch im Alltag.
Verschaffen Sie Ihrem Kind also einen grossen Vorteil und
lernen Sie mit ihm die Reihen auswendig, falls der folgende Test
zeigt, dass es diese nicht ausreichend beherrscht:
Testaufgaben:
Was gibt 5 x 3 / 8 x 9 / 4 x 7 / 6 x 5 ?
Was gibt 27 : 9 / 49 : 7 / 48 : 6 / 15 : 3 ?
Mein Kind war in der Lage:
□ Die Ergebnisse zum Einmaleins innerhalb eines
Augenblicks zu nennen
□ Die Ergebnisse zum Einsdurcheins innerhalb eines
Augenblicks zu nennen
Ja: Weiter zu Untertest 8
Nein: Übung zu den Reihen
197
Übung zum kleinen Einmaleins und kleinen Einsdurcheins
Die Reihen auswendig zu lernen, scheint manchen Eltern ein
grosses und mühseliges Unterfangen zu sein. Es wartet aber
weniger Arbeit auf Sie, als Sie denken, und mit einem günstigen
Übungsaufbau wird Ihr Kind schnell vorankommen.
Insgesamt handelt es sich um 100 Multiplikationen und 100
Divisionen. Die Einer- und die Zehnerreihen können jedoch die
allermeisten Kinder, wodurch schon 40 Rechnungen entfallen.
Zudem begreifen die meisten Kinder sehr schnell, dass
beispielsweise 5 x 7 der 7er Reihe und 7 x 5 der 5er Reihe das
Gleiche ergeben, wodurch viel Arbeitsaufwand entfällt. Das gut
gelernte Einmaleins bietet im weiteren eine perfekte
Ausgangsbasis für das Einsdurcheins (5 x 5 = 25 / 25 : 5 = 5).
10 Minuten üben pro Tag reichen meist aus, um innert zwei bis
drei Monaten gravierende Lücken in diesem Bereich
aufzuarbeiten. Und das lohnt sich:
Es gibt fast nichts, was einem mehr das Gefühl vermittelt, ein
guter Rechner zu sein, als ohne mit der Wimper zu zucken die
Resultate bei Aufgaben wie 8 x 9 nennen zu können. Ich selbst
habe mich in der Schule und auch später im Alltag immer sehr
gefreut, wenn Rechnungen aus der 7er Reihe aufgetaucht sind –
diese konnte ich nämlich vollständig auswendig und damit war
sie meine absolute Lieblingsreihe. Das geht soweit, dass mich
eine Kollegin, die das Manuskript zu diesem Buch gelesen hat,
gefragt hat, weshalb in allen Beispielen die 7er Reihe auftaucht.
Ihr Kind könnte dieses Gefühl bei allen Reihen geniessen.
Zum Üben eignet sich wieder das im Kapitel „Gehirn“
beschriebene Zettelkastensystem. Schreiben Sie die Rechnungen
auf Kärtchen und lassen Sie Ihr Kind diese mit dem
Zettelkasten üben. Erstellen Sie die Kärtchen so, dass auf der
198
Vorderseite die Aufgabe steht und auf der Rückseite die Lösung.
Üben Sie eine Reihe nach der anderen ein. Achten Sie aber
darauf, dass Sie innerhalb der Reihe nicht der Reihe nach gehen,
damit das Kind nicht addiert (Bei der Dreierreihe könnten Sie
am ersten Tag die Rechnungen 2 x 3, 4 x 3 und 9 x 3 einüben,
um am nächsten Tag die Rechnungen 1 x 3, 5 x 3 und 8 x 3
hinzuzunehmen).
Vorderseite
Rückseite
3x9
27
Erstellen Sie jeden Tag die neuen Kärtchen für Ihr Kind
(alternativ lassen sich auch hierzu vorgefertigte Karten auf
www.montessori-material.de kaufen). Vielleicht können Sie Ihr
Kind auch fragen, ob es bereit wäre, einen Teil der Reihen
selbständig zu üben. Erklären Sie ihm dazu noch einmal genau,
wie es mit dem Zettelkasten umgehen muss. Damit Sie keine
Aufgaben vergessen, können Sie diese auf den nächsten Seiten
durchstreichen.
Das Einmaleins
1er Reihe
1x1=1
2x1=2
3x1=3
4x1=4
5x1=5
6x1=6
7x1=7
8x1=8
9x1=9
10 x 1 = 10
2er Reihe
1x2=2
2x2=4
3x2=6
4x2=8
5 x 2 = 10
6 x 2 = 12
7 x 2 = 14
8 x 2 = 16
9 x 2 = 18
10 x 2 = 20
3er Reihe
1x3=3
2x3=6
3x3=9
4 x 3 = 12
5 x 3 = 15
6 x 3 = 18
7 x 3 = 21
8 x 3 = 24
9 x 3 = 27
10 x 3 = 30
4er Reihe
1x4=4
2x4=8
3 x 4 = 12
4 x 4 = 16
5 x 4 = 20
6 x 4 = 24
7 x 4 = 28
8 x 4 = 32
9 x 4 = 36
10 x 4 =40
5er Reihe
1x5=5
2 x 5 = 10
3 x 5 = 15
4 x 5 = 20
5 x 5 = 25
6 x 5 = 30
7 x 5 = 35
8 x 5 = 40
9 x 5 = 45
10 x 5 = 50
199
6er Reihe
1x6=6
2 x 6 = 12
3 x 6 = 18
4 x 6 = 24
5 x 6 = 30
6 x 6 = 36
7 x 6 = 42
8 x 6 = 48
9 x 6 = 54
10 x 6 = 60
7er Reihe
1x7=7
2 x 7 = 14
3 x 7 = 21
4 x 7 = 28
5 x 7 = 35
6 x 7 = 42
7 x 7 = 49
8 x 7 = 56
9 x 7 = 63
10 x 7 = 70
8er Reihe
1x8=8
2 x 8 = 16
3 x 8 = 24
4 x 8 = 32
5 x 8 = 40
6 x 8 = 48
7 x 8 = 56
8 x 8 = 64
9 x 8 = 72
10 x 8 = 80
9er Reihe
1x9=9
2 x 9 = 18
3 x 9 = 27
4 x 9 = 36
5 x 9 = 45
6 x 9 = 54
7 x 9 = 63
8 x 9 = 72
9 x 9 = 81
10 x 9 = 90
10er Reihe
1 x 10 = 10
2 x 10 = 20
3 x 10 = 30
4 x 10 = 40
5 x 10 = 50
6 x 10 = 60
7 x 10 = 70
8 x 10 = 80
9 x 10 = 90
10 x 10 = 100
Das Einsdurcheins
1er Reihe
1:1=1
2:1=2
3:1=3
4:1=4
5:1=5
6:1=6
7:1=7
8:1=8
9:1=9
10 : 1 = 10
2er Reihe
2:2=1
4:2=2
6:2=3
8:2=4
10 : 2 = 5
12 : 2 = 6
14 : 2 = 7
16 : 2 = 8
18 : 2 = 9
20 : 2 = 10
3er Reihe
3:3=1
6:3=2
9:3=3
12 : 3 = 4
15 : 3 = 5
18 : 3 = 6
21 : 3 = 7
24 : 3 = 8
27 : 3 = 9
30 : 3 = 10
4er Reihe
4:4=1
8:4=2
12 : 4 = 3
16 : 4 = 4
20 : 4 = 5
24 : 4 = 6
28 : 4 = 7
32 : 4 = 8
36 : 4 = 9
40 : 4 = 10
5er Reihe
5:5=1
10 : 5 = 2
15 : 5 = 3
20 : 5 = 4
25 : 5 = 5
30 : 5 = 6
35 : 5 = 7
40 : 5 = 8
45 : 5 = 9
50 : 5 = 10
6er Reihe
6:6=1
12 : 6 = 2
18 : 6 = 3
24 : 6 = 4
30 : 6 = 5
36 : 6 = 6
7er Reihe
7:7=1
14 : 7 = 2
21 : 7 = 3
28 : 7 = 4
35 : 7 = 5
42 : 7 = 6
8er Reihe
8:8=1
16 : 8 = 2
24 : 8 = 3
32 : 8 = 4
40 : 8 = 5
48 : 8 = 6
9er Reihe
9:9=1
18 : 9 = 2
27 : 9 = 3
36 : 9 = 4
45 : 9 = 5
54 : 9 = 6
10er Reihe
10 : 10 = 1
20 : 10 = 2
30 : 10 = 3
40 : 10 = 4
50 : 10 = 5
60 : 10 = 6
200
42 : 6 = 7
48 : 6 = 8
54 : 6 = 9
60 : 6 = 10
49 : 7 = 7
56 : 7 = 8
63 : 7 = 9
70 : 7 = 10
56 : 8 = 7
64 : 8 = 8
72 : 8 = 9
80 : 8 = 10
63 : 9 = 7
72 : 9 = 8
81 : 9 = 9
90 : 9 = 10
70 : 10 = 7
80 : 10 = 8
90 : 10 = 9
100 : 10 = 10
Kann ihr Kind das Einmaleins bereits ein wenig, bietet das Spiel
„1 x 1 Obelisk“ von Ravensburger etwas Abwechslung beim
Üben.
Untertest 8: Schriftliches Rechnen
Beim Lösen schriftlicher Aufgaben stehen wieder die richtigen
Rechenschritte im Vordergrund. Lassen Sie Ihr Kind einige
schriftliche Rechnungen lösen. Überprüfen Sie bei Fehlern mit
der Methode des lauten Denkens, ob Ihr Kind lediglich einen
Flüchtigkeitsfehler gemacht hat oder die Schritte nicht
ausreichend beherrscht bzw. eine falsche Strategie verwendet.
Als Eltern haben Sie vielleicht seit längerer Zeit keine
schriftlichen Rechnungen mehr gelöst. Machen Sie sich deshalb
zunächst wieder mit den Rechenschritten vertraut, bevor Sie Ihr
Kind die Testaufgaben lösen lassen.
Die richtigen Rechenschritte sehen wie folgt aus:
Schriftliche Addition:
8 4 3 2
+ 1 3 9 8
1. Schritt: „8 und 2 gibt 10. Ich schreibe eine 0 unter die 8 und
behalte 1.“
201
8 4 3 2
+ 1 3 9 8
1
0
2. Schritt: „Dann rechne ich die zweite Spalte. 9 und 3 ergibt 12,
die 1 nicht vergessen! Das gibt 13. Also schreibe ich eine 3 unter
9 und behalte 1.“
8 4 3 2
+ 1 3 9 8
1
3 0
3. Schritt: „3 und 4 gibt 7 – und die 1 ergibt 8. Ich schreibe also
eine 8 unter die 3 und muss nichts behalten.“
Usw.
Schriftliche Subtraktion:
8 4 3 2
- 1 3 9 8
1. Schritt: „Ich fange bei den Einern an. Die untere Zahl ist eine
8, die obere ist eine 2. Da die 2 kleiner als die 8 ist, muss ich die
12 nehmen und überlegen, wie viel von der 8 zur 12 fehlt. 4.
Dann schreibe ich eine 4 unter die 8 und behalte 1.“
8 4 3 2
202
- 1 3 9 8
1
4
2. Schritt: „Jetzt gehe ich zu den Zehnern. 1 und 9 gibt 10, von
10 bis zur 13 fehlen mir 3. Also schreibe ich eine 3 unter die 9
und behalte 1.“
8 4 3 2
- 1 3 9 8
1
3 4
3. Schritt: „1 und 3 gibt 4, von 4 bis zu 4 fehlt mir nichts, also 0.
Ich schreibe eine 0 unter die 3.“
Usw.
Schriftliche Multiplikation:
2 5
x
2 3 5
1. Schritt: „Ich beginne mit der 5 der ersten Zahl und
multipliziere mit der 5 der zweiten Zahl. Das gibt 25. Ich
schreibe 5 unter die 5 und schreibe eine kleine 2 unter die 3.“
2 5
x
2 3 5
2
5
203
2. Schritt: „Nun rechne ich 5 mal 3. Das gibt 15. Dann nehme
ich die kleine 2 und rechne sie dazu. Das ergibt 17. Ich schreibe
eine 7 unter die 3 und behalte 1.“
2 5
x
2 3 5
1
7 5
3. Schritt: „Das Gleiche mit der 2.“
2 5
x
2 3 5
1 1 7 5
4. Schritt: „Jetzt setze ich eine 0 unter die 5 und rechne mit der 2
weiter. 2 mal 5 gibt 10. Ich schreibe eine 0 unter die 7 und
behalte die 1.“
2 5
x
2 3 5
1 1 7 5
1
0 0
Dasselbe für die 3 und die 2.
204
2 5
x
2 3 5
1 1 7 5
4 7 0 0
Letzter Schritt: „Jetzt muss ich noch 1175 und 4700
zusammenzählen.“
2 5
x
2 3 5
1 1 7 5
4 7 0 0
5 8 7 5
Schriftliches Dividieren
2 6 0
:
2 0
=
1. Schritt: „Zuerst schaue ich, ob die 2 durch 20 teilbar ist (die
meisten Kinder sehen das auf einen Blick und gehen direkt zur
26). Nein, also nehme ich die 26. Das geht 1 mal. Ich schreibe
eine 1 neben das Gleichheitszeichen. Von der 20 bis zur 26
bleiben mir 6, darum schreibe ich eine 6 unter den Strich.“
2 6 0
6
:
2 0
=
1
2. Schritt: „Ich hole die 0 herunter und schreibe sie neben die
6.“
2 6 0
6 0
:
2 0
=
1
205
3. Schritt: „60 kann ich 3 mal durch 20 teilen. Ich schreibe eine 3
hinter die 1.“
2 6 0
6 0
:
2 0
=
1 3
Sie wissen wieder, wie es geht? Dann schauen wir, ob Ihr Kind
die Testaufgaben lösen kann:
Testaufgaben:
Schriftliche Addition:
3 4 2
+ 1 4 3 7
8 4 3 2
+ 1 3 9 8
Schriftliche Subtraktion:
8 9 5
- 7 5 3
8 4 3 2
- 1 3 9 8
206
Testaufgaben:
Schriftliche Multiplikation:
2 5
x
2 3 5
4 7
x
8 9 2
Schriftliche Division:
2 6 0
:
2 0
=
5 2 0
:
1 3
=
Mein Kind war in der Lage:
□
□
□
□
Die schriftlichen Additionen zu lösen
Die schriftlichen Subtraktionen zu lösen
Die schriftlichen Multiplikationen zu lösen
Die schriftlichen Divisionen zu lösen
Nein: Übung zum schriftlichen Rechnen
Schriftliche Rechenprozeduren üben
207
Beim schriftlichen Rechnen soll Ihr Kind fähig werden, die
richtigen Rechenschritte anzuwenden. Auch hier spielt die
Qualität des Übens eine grosse Rolle. Es nützt wenig, wenn das
Kind ein Blatt nach dem anderen löst, solange es beispielsweise
immer wieder eine falsche Schrittfolge verwendet und
systematisch Fehler macht.
Bewährt hat sich der folgende Übungsaufbau:
1. Erarbeiten Sie zusammen mit dem Kind die Schrittfolge
– nehmen Sie dazu unbedingt das jeweilige Schulbuch zu
Hilfe (es verwirrt Kinder, wenn sie unterschiedliche
Erklärungen erhalten).
2. Malen Sie die einzelnen Schritte auf ein Plakat und
hängen Sie dieses im Zimmer des Kindes auf.
3. Lassen Sie sich von Ihrem Kind die einzelnen Schritte
aufzählen (zuerst mache ich…, dann addiere ich…). Es
darf dazu das Plakat verwenden.
4. Lassen Sie Ihr Kind einfachere schriftliche Rechnungen
mit Hilfe des Plakats lösen. Einfach sind solche, bei
denen kein Zehnerübergang stattfindet (das Kind also
keine 1 behalten muss).
5. Üben Sie mit schwierigeren Rechnungen, wenn sich das
Kind bei Schritt 4 sicher fühlt. Das Kind darf weiterhin
das Plakat als Hilfe verwenden.
6. Üben Sie nun zunächst einfachere, dann schwierigere
Rechnungen ohne Plakat
Tipps:
208



Lassen Sie Ihr Kind immer wieder laut rechnen, um den
Lösungsweg zu überprüfen
Lösen Sie selbst einige Rechnungen, wobei Sie jeweils
laut denken und lassen Sie sich von Ihrem Kind dabei
beobachten
Repetieren Sie in grösser werdenden Abständen die
einzelnen Rechenprozeduren, damit sie nicht vergessen
werden
Da wir uns in diesem Buch an Eltern von Primarschulkindern
der 1. bis 4. Klasse wenden und den Rahmen nicht sprengen
möchten, wird der Test nur bis zum Stoff dieser Klassenstufen
beschrieben.
Literaturtipp
Mehrere der in diesem Kapitel dargestellten Übungen wurden
bereits in vielen anderen Büchern zum Thema Dyskalkulie und
Rechenschwäche beschrieben.
Als sehr empfehlenswert erachte ich „Kinder mit Rechenschwäche
erfolgreich fördern“ von Armin Born und Claudia Oehler (2008) –
ich möchte es Eltern, die sich gerne vertieft mit
Rechenschwierigkeiten auseinandersetzen möchten, wärmstens
empfehlen.
Kostenlose und qualitativ hochwertige Hilfen finden Sie auch
auf der Internetseite www.rechenschwaeche.at
209
Checkliste Rechnen
Vorgehen
□ Ich habe die Lückenanalyse durchgeführt und eine erste
Lücke entdeckt
□ Indem ich mein Kind ab und zu laut rechnen lasse,
versichere ich mich, dass es keine Fehlstrategien oder
falsche Rechenregeln benutzt
Motivation
□ Ich habe mit meinem Kind einen Lernvertrag
ausgehandelt
□ Wir üben zu festgelegten Zeiten
□ Wir üben höchstens 10 bis 15 Minuten pro Tag
Gedächtnis / Gehirn
□ Ich übe mit meinem Kind systematisch, indem ich oft
wiederhole und beim Einspluseins oder Einmaleins den
Zettelkasten einsetze
□ Ich lasse meinem Kind genügend Zeit, um sich das
Resultat der Rechnung zu merken
□ Wir repetieren beim Einspluseins und Einmaleins
zunächst die Rechnungen vom Vortag und beschränken
uns auf 2 bis 4 neue Rechnungen pro Tag
□ Ich achte darauf, dass wir einen Schritt zunächst
automatisieren, bevor wir die flexible Anwendung
mittels der Schulbuchaufgaben üben
210
Lesen und Schreiben
Ursachen für Schwierigkeiten
Wenn Kinder beim Schreiben und insbesondere beim Lesen
Schwierigkeiten entwickeln, löst dies bei vielen Eltern grosse
Angst aus. Zu grundlegend, zu wichtig sind den Eltern diese
Kompetenzen und – oft im Gegensatz zum Rechnen – zu
unverständlich die Schwierigkeiten. Viele Eltern können kaum
verstehen, wieso es ihrem Kind dermassen schwer fällt, diese
scheinbar simplen Fertigkeiten zu erwerben. Um es in den
Worten eines sichtlich entnervten Vaters auszudrücken:
„Warum kriegt der diese paar Buchstaben nicht in seinen
Schädel, er ist doch sonst nicht blöd?!“
Einzelne Kinder unterscheiden sich in ihren Lesefertigkeiten
beträchtlich. Während einige Kinder am Ende der ersten Klasse
bereits fliessend lesen können, gelingt dies anderen bis zum
Ende der Schulzeit nicht.
Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten entstehen nach aktuellen
Forschungsergebnissen aufgrund bestimmter Fertigkeitsmängel,
die zum Teil angeboren sind. Mehrere Studien zeigen, dass LeseRechtschreibschwächen in Familien gehäuft auftreten und
beispielsweise das Risiko für ein Kind viel höher ist, wenn ein
Elternteil oder beide eine Schwäche in diesem Bereich aufweisen
(mehr dazu findet sich in Breitenbach & Weiland, 2010; Weber,
2003).
Seit kurzem ist die Wissenschaft zudem in der Lage, mit
sogenannten bildgebenden Verfahren zu beobachten, was
während des Lesens im Gehirn passiert. Hier zeigen sich weitere
Unterschiede
zwischen
Kindern,
die
eine
LeseRechtschreibschwäche haben und Kindern, die durchschnittlich
gut lesen können: Bestimmte Gehirnbereiche werden bei
leseschwachen Kindern während des Lesens kaum aktiviert.
211
Fertigkeitsmängel, die eine Lese-Rechtschreibschwäche
begünstigen, sind insbesondere eine geringe phonologische
Bewusstheit,
phonologische
Defizite
und
visuelle
Verarbeitungsstörungen (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1998;
Klicpera, Schabmann & Gasteiger-Klicpera, 2007).
Defizite bei der phonologischen Bewusstheit können bereits im
Kindergarten aufgrund bestimmter Tests erkannt werden. Mit
Hilfe dieser Tests lässt sich vorhersagen, welche Kinder beim
Lesen Probleme entwickeln werden. Gemessen wird dabei die
Fähigkeit, einzelne Laute aus der gesprochenen Sprache
herauszuhören. Diese Fähigkeit lässt sich beispielsweise dadurch
erschliessen, wie gut es einem Kind gelingt, Aufgaben der
folgenden Art zu lösen:




Reimt sich Rand auf Pfand?
Was hörst du am Anfang von Affe?
Welche Wörter fangen gleich an: Bär, Zebra, Biber
Finde ein Wort, das sich auf Haus reimt.
Kindern, die zu Beginn der ersten Klasse nur über eine geringe
phonologische Bewusstheit verfügen, fällt es schwerer, einzelne
Laute zu unterscheiden oder aus einem Wort herauszuhören. Sie
entwickeln mit grosser Wahrscheinlichkeit eine LeseRechtschreibschwäche.
Eine Negativspirale verstärkt die Probleme
Werden bei einem Kind Schwierigkeiten beim Lesen und
Schreiben festgestellt, ist es wichtig, so früh wie möglich
einzugreifen. Wird dies nicht getan, können sich die Probleme in
einem Teufelskreis immer weiter verschlimmern.
212
Die negative Entwicklung sieht ähnlich aus, wie sie bereits im
ersten Kapitel im Rahmen des Teufelskreises und bei den
Rechenschwierigkeiten beschrieben wurde:
Aufgrund der Anfangsschwierigkeiten lernt das Kind die
Buchstaben und die Zuordnung der Laute zu den Buchstaben
langsamer als seine Klassenkameraden. Mit der Zeit wird der
Unterschied grösser, das Kind liest deutlich schlechter als der
Durchschnitt. In der Klasse kann es immer weniger mithalten.
Es liest in der gleichen Zeit weniger, steigt evtl. beim Lesen in
der Klasse innerlich aus und liest nur, wenn es an die Reihe
kommt – dann allerdings sehr ungern, mit Scham- und
Angstgefühlen.
Eigentlich müsste dieses Kind nun ausserhalb der Schulzeit
deutlich mehr lesen als seine Klassenkameraden, um den
Rückstand nicht grösser werden zu lassen. Aufgrund dessen,
dass ihm Lesen keinen Spass macht und es kaum in der Lage ist,
dem Gelesenen Sinn zu entnehmen, tritt das Gegenteil ein. Im
Rahmen einer Studie (zitiert nach Klicpera, Schabmann &
Gasteiger-Klicpera, 2007) wurde das Freizeitverhalten von
Kindern der fünften Klasse untersucht und dabei festgestellt,
dass Kinder auf dieser Stufe im Durchschnitt ca. 13 Minuten
pro Tag ausserhalb des Unterrichts lesen. Allerdings lesen
Kinder, die sehr gut und deshalb gerne lesen bis zu 90 Minuten
pro Tag, während Kinder, die schlecht lesen können, nicht
einmal eine Minute pro Tag freiwillig in diese Aktivität
investieren. Die folgende Grafik zeigt in etwa, wie viele Wörter
schlechte, durchschnittliche und sehr gute Leser während eines
Jahres ausserhalb des Unterrichts lesen:
213
5000000
4500000
4000000
3500000
3000000
2500000
2000000
1500000
1000000
500000
0
Schlechte Leser
Durchschnittliche
Leser
Gute Leser
Gelesene Wörter
Schlechte Leser
50000
Durchschnittliche Leser
600000
Gute Leser
4500000
Die Unterschiede sind enorm, wobei wir davon ausgehen
müssen, dass Kinder, die sehr ungern lesen, in ihrer Freizeit
noch weniger als 50‘000 Wörter pro Jahr lesen – nur wäre dies
auf der Grafik nicht mehr sichtbar.
Dadurch, dass gute Leser das Lesen als schöne
Freizeitbeschäftigung entdecken und auf diese Weise bis zu 100
Mal mehr freiwillig üben, wird die Kluft zwischen guten und
schlechten Lesern immer grösser.
Die Kinder bemerken die Unterschiede, Misserfolge werden
häufiger und damit auch negative Gefühle, die den Umgang mit
der Schrift immer mehr blockieren.
In diesem Kapitel wird es deshalb darum gehen, wie Sie als
Eltern reagieren können, wenn Sie bei Ihrem Kind
Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben feststellen.
214
Was Eltern tun können
Kinder, die unter Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten leiden,
zeigen oft bis zum Ende der Schulzeit Schwierigkeiten in diesem
Bereich. Die Förderung, die die Kinder erhalten, bestimmt
jedoch, wie gravierend diese ausfallen. Dabei gilt:
„Je früher eingegriffen wird, desto besser“
Mutmacher und beruhigende Sätze wie „das wächst sich aus“,
„das kommt schon noch“ und „der Knoten wird schon noch
aufgehen“ sind hier absolut fehl am Platz, weil die Zeit gegen
die Kinder arbeitet. Die Unterschiede werden grösser, nicht
kleiner.
Die Forschung konnte zeigen, dass es sinnvoll ist, bereits im
Kindergarten die zu Beginn angesprochene „phonologische
Bewusstheit“ zu trainieren, wenn diese bei einem Kind zu gering
ausgeprägt ist.
Die Kindergärtnerin kann mit dem Schulpsychologischen
Dienst Kontakt aufnehmen, damit ein entsprechender Test
durchgeführt wird. Sprechen Sie die Kindergärtnerin in der
Elternsprechstunde darauf an, sofern Sie gravierende Probleme
beim Schreiben- und Lesenlernen bei:



Sich oder Ihrem Partner
In der weiteren Familie
Oder einem Ihrer Kinder
beobachten konnten. Wie bereits angesprochen, weisen LeseRechtschreibschwäche einen hohen erblichen Anteil auf. Hat ein
Elternteil eine Lese-Rechtschreibschwäche, ist das Risiko für das
Kind, diese Schwäche ebenfalls zu entwickeln ca. zehnmal so
hoch wie bei anderen Kindern. Hat ein Kind diese Schwäche,
beträgt das Risiko fast 50%, dass die Geschwister ähnliche
215
Schwierigkeiten entwickeln. Falls Sie dieses Buch lesen, weil Ihr
ältestes Kind Mühe hat, Lesen und Schreiben zu lernen, lohnt es
sich, nicht nur dieses Kind beim Schulpsychologischen Dienst
anzumelden, sondern direkt oder über die Kindergärtnerin auch
das jüngere Geschwister.
Ein weiterer wichtiger Hinweis sind kleinere Auffälligkeiten in
der Sprachentwicklung, so z.B. ein im Vergleich zu anderen
Kindern verzögertes Sprechenlernen oder undeutliches
Sprechen.
Training der phonologischen Bewusstheit
Mehrere Studien konnten zeigen, dass bei einem Training der
phonologischen Bewusstheit im Kindergartenalter die
Startschwierigkeiten deutlich geringer ausfallen und in vielen
Fällen eine Lese-Rechtschreibschwäche gänzlich verhindert
werden kann.
Dazu eignet sich beispielsweise das Trainingsprogramm HörenLauschen-Lernen I von Küspert und Schneider (2006). Dieses
besteht aus 57 Sprachspielen und sollte im letzten Halbjahr vor
der Einschulung durchgeführt werden. Mittels Lauschspielen,
bei denen die Kinder bestimmte Geräusche erkennen sollen,
Reimen und Übungen zur Wort- Silben und Lauterkennung,
wird das Gehör geschult und das Bewusstsein für die Sprache
gefördert.
Es ist ideal, wenn das Kind ca. ein Jahr vor Schulbeginn durch
den schulpsychologischen Dienst abgeklärt wird und im letzten
Halbjahr des Kindergartens an einer Trainingsgruppe
teilnehmen kann.
Falls Sie lange auf Termine für eine Abklärung warten müssen,
ihnen gesagt wird, dass Sie bis zur Einschulung warten sollen
oder nach einer Abklärung keine staatliche oder private
216
Institution finden können, die ein Training zur phonologischen
Bewusstheit anbietet, können Sie das Training „Hören,
Lauschen, Lernen I“ notfalls auch selbst mit Ihrem Kind
durchführen.
Das Programm wird von den Autoren sehr detailliert erklärt,
sodass es auch ohne Schulung durchgeführt werden kann.
Wichtig ist aber die konsequente, systematische und vollständige
Durchführung. Die Reihenfolge muss eingehalten werden und
das Programm setzt voraus, dass über 20 Wochen hinweg 10 bis
15 Minuten pro Tag geübt wird. Eltern sollten sich dazu auch
die DVD kaufen, die das Programm noch verständlicher macht
und das Üben zu Hause erleichtert.
Zum Programm gibt es mittlerweile mehrere Studien, die es als
wirksam ausweisen (Schneider, 2001; Bus & Ijzendoorn, 1999).
Wichtig ist allerdings die Anwendung vor der Einschulung.
Danach nützt das Training kaum noch etwas (Einsiedler, Frank,
Kirschhock, Martschinke & Treinies, 2002).
Sie können das Buch mit den Übungen in jeder Buchhandlung
erwerben:
Küspert, P. & Schneider, W. (2006). Hören, lauschen, lernen –
Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter. Göttingen:
Vandenhoeck & Rupreckt.
Die kostengünstige und empfehlenswerte DVD zum Training
heisst:
Küspert, P. & Schneider, W. (2007). Hören, lauschen, lernen –
vorgespielt. Göttingen: Vandenhoeck & Rupreckt.
Ein gutes Spiel, das die Fähigkeit, Worte in Silben zu zerlegen
fördert, ist „Schloss Silbenstein“ von Ravensburger.
217
Ist Ihr Kind bereits in der Schule, können Sie als Eltern vieles
tun, um Ihr Kind beim Lesen- und Schreibenlernen zu
unterstützen. Im Folgenden möchte ich Ihnen ähnlich wie beim
Rechnen zeigen, wie Sie Schwierigkeiten Ihres Kindes feststellen
und gezielt darauf reagieren können.
Lücken erkennen und schliessen
Zunächst möchte ich kurz darauf hinweisen, dass Kinder bei
Schuleintritt in ihrer Entwicklung sehr unterschiedlich weit
fortgeschritten sind (siehe Betz und Breuninger, 1998; Largo
und Beglinger, 2010; Sommer-Stumpenhorst, 2006). Falls sich
bei einem Kind Ende der ersten oder zweiten Klasse
gravierende Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben zeigen,
kann neben gezieltem Förderunterricht auch das Wiederholen
eines Schuljahres eine sinnvolle Strategie sein. Schauen wir uns
nun genauer an, wie Kinder Lesen und Schreiben lernen.
Als erstes lernen Kinder in der Schule die Buchstaben. Dabei
müssen sie einerseits lernen, den Buchstaben einen Laut
zuzuordnen (lesen) und andererseits den Lauten Buchstaben
und Buchstabenfolgen zuzuweisen (schreiben).
Diese Zuordnung zu erlernen und zu automatisieren ist für
Kinder schwierig, wobei erschwerend hinzukommt, dass die
Buchstaben nicht für die deutsche Sprache entwickelt, sondern
aus dem Lateinischen übernommen wurden. Durch diesen
Umstand fehlen für gewisse Laute einzelne Buchstaben, sodass
diese durch Buchstabenkombinationen dargestellt werden, wie:
ei, sp, ch, sch
Andere Laute hingegen können gleich durch mehrere
Schreibweisen oder Buchstaben ausgedrückt werden, was die
Rechtschreibung zu einer schwierigen Angelegenheit macht.
Dies zeigt sich im folgenden kurzen Dialog zwischen einer
Mutter und ihrem Kind:
218
Mutter: „Schau mal, wie du das geschrieben hast.“
Kind: „Or, schreibt man es mit h?“
Mutter: „Das hört man doch … ooohr, das ist lang“
Ja, Ohr klingt lang. Tor aber auch. Und warum sollte man nicht
Oor schreiben, mit zwei o, wie in Moor oder Moos?
Sie sehen, es kommt einiges auf Ihr Kind zu, was Lesen und
Schreiben zu einer Angelegenheit macht, die es noch Jahre
beschäftigen wird.
Aber kommen wir zurück zu unserem ersten Schritt: Der
Buchstabenkenntnis. Die erste Hürde, die Ihr Kind nehmen
muss, liegt darin, die einzelnen Buchstaben zu erkennen und mit
Lauten zu verbinden. Zunächst müssen hierzu verschiedene
waagrechte, senkrechte und diagnonale Linien und Rundungen
erkannt und zu Buchstaben zusammengesetzt werden. Diese
müssen dann als visuelles Gebilde erkannt und in einen Laut
übersetzt werden. Diese Vorgänge müssen soweit geübt werden,
dass sie blitzschnell und automatisch ablaufen.
Achten Sie beim Lernen der Buchstaben als Eltern immer
darauf, dass Sie die Buchstaben so aussprechen, wie sie beim
Lesen klingen, dass Sie sie lautieren und nicht buchstabieren. Es
ist für Kinder verwirrend, wenn sie in der Schule die Buchstaben
lautieren und zu Hause buchstabiert wird. Die Kinder sollen zu
Beginn lernen, nach dem Gehör zu schreiben und wenn Sie
Ihrem Kind das K als Ka und das T als Te vorstellen, kann es
passieren, dass es später Kater als Ktr schreibt - halt ein Ka und
ein Te und Er.
Die Kinder lernen meist erst später, in der dritten oder vierten
Klasse, dass die Buchstaben Namen haben.
219
Test 1: Buchstaben erkennen
Eventuell liegen die Leseprobleme Ihres Kindes darin
begründet, dass es einzelne Buchstaben noch nicht schnell
genug oder gar nicht erkennt bzw. mit anderen verwechselt. Es
lohnt sich, den folgenden kleinen Test zu machen:
Schreiben Sie alle Buchstaben (grosse und kleine), die Ihr Kind
in der Schule bereits gelernt hat, auf Karteikarten. Achten Sie
unbedingt darauf, dass Sie die gleiche Schreibweise benutzen wie
die Lehrerin.
Mischen Sie die Buchstaben, damit sie nicht dem ABC folgen,
und zeigen Sie Ihrem Kind jeweils nur für einen Augenblick
einen Buchstaben nach dem anderen.
Ihr Kind hat die Aufgabe, die Buchstaben zu lautieren.
Achten Sie als Eltern darauf, welche Buchstaben Ihrem Kind
Mühe bereiten. Bilden Sie jeweils einen Stapel mit den
Buchstaben, die Ihr Kind mühelos beherrscht und einen mit den
Buchstaben, die noch besser gelernt werden sollten. Da die
Buchstaben gut automatisiert werden müssen, bedeutet „Mühe
bereiten“ hier auch:



Ihr Kind nennt zunächst einen falschen Buchstaben,
korrigiert sich dann aber gleich
Ihr Kind zögert kurz, bevor es den Buchstaben benennt
Ihr Kind wird bei einem Buchstaben ein wenig unsicher
Es hilft Ihrem Kind, wenn Sie es auch während dem Test
ermutigen und es darauf hinweisen, wie viele Buchstaben es
bereits beherrscht.
220
Manche Eltern sind erstaunt, wie unsicher ihr Kind beim Lesen
einzelner Buchstaben ist, da es ihm bisher gelungen ist, dies zu
verbergen. Als mein Vater mit mir einen Text aus dem Lesebuch
der Schule einüben wollte, übernahm er das Blättern, vergass es
aber nach einer Weile und war ziemlich erstaunt, als ich ohne
umzublättern weiterlas. Er fragte mich, wo ich gerade sei,
worauf ich irgendwo auf den Text zeigte und antwortete „etwa
da?“ Ich hatte den Text, der in der Schule bereits einige Male
gelesen wurde, auswendig gelernt und tat nun so – mitsamt
Lesefehlern und stockendem Lesefluss – als würde ich ihm
diesen vorlesen. Viele Kinder benutzen solche Hilfsstrategien sie können einzelne Buchstaben nicht, erschliessen sie jedoch
aufgrund des Textes oder des Rests des Wortes und umgehen
mangelnde Buchstabenkenntnisse auf diese Weise. Indem Sie
die Buchstaben abfragen, ohne dass diese in ein Wort oder einen
Text eingebunden sind, können Sie fehlende Kenntnisse besser
herausfiltern.
Konnte Ihr Kind alle Buchstaben? Falls ja, können Sie gleich zu
Test 2 weiterblättern. Ansonsten fahren Sie mit Übung 1 fort.
Übung 1: Alle bisher gelernten Buchstaben trainieren
Falls Ihr Kind einige Buchstaben nicht mühelos benennen
konnte, können Sie die Kärtchen nun benutzen, um diese
einzuüben.
Schauen Sie sich dazu zunächst die Buchstaben an, die Ihrem
Kind noch Mühe bereiten und teilen Sie diese in grosse und
kleine Buchstaben auf.
Wahrscheinlich kann Ihr Kind diejenigen Buchstaben noch
nicht, die es erst vor kurzem gelernt hat oder die nur selten
auftauchen (z.B. Q, X, Y). Vielleicht verwechselt es auch solche,
die ähnlich aussehen oder ähnlich ausgesprochen werden wie d
und b oder q und p. Früher dachte man, dass gerade solche
221
Drehfehler, bei denen die Buchstaben d,b sowie q,p vertauscht
werden auf eine Leseschwäche hinweisen. Heute weiss man,
dass alle Kinder Mühe haben, diesen Unterschied zu lernen, da
Kinder zuerst auf die Form und erst später auf die Ausrichtung
der Buchstaben achten. Die aktuelle Forschung hat gezeigt, dass
es keine typischen „Legasthenie-Fehler“ gibt – Kinder mit LeseRechtschreibschwäche machen einfach mehr Fehler (vgl.
Leemann-Ambroz, 2006).
Um die Verwechslungsgefahr zu verringern, sollten ähnliche
Buchstaben in möglichst grossen Abständen gelernt werden.
Schauen wir uns hierzu ein Beispiel an. Nehmen wir an, Florians
Eltern haben den Test durchgeführt und das folgende Ergebnis
erhalten:
Florian ist sich noch bei mehreren Buchstaben unsicher: B, C,
D, E, H, P, Q, T sowie d, p, g, q, t, c
Die Buchstaben sollten nun nicht dem Alphabet nach repetiert
werden, sondern so, dass keine ähnlichen Buchstaben
hintereinander gelernt werden.
Florians Eltern beginnen mit den Grossbuchstaben und achten
zunächst darauf, bei welchen Buchstaben Verwechslungsgefahr
besteht:
F und E, sowie B und P sehen ähnlich aus, B und P sowie D
und T klingen ähnlich. Eine gute Abfolge wäre somit: B, F, D,
Q, H, C, P, E, T.
Um die Buchstaben zu lernen, werden diese systematisch geübt.
Wie viele neue Buchstaben pro Woche eingeführt werden
können und wie oft ein einzelner Buchstabe wiederholt wird,
hängt alleine von der Lerngeschwindigkeit Ihres Kindes ab.
Nehmen wir an, Florian hat grosse Schwierigkeiten mit den
nicht gekonnten Buchstaben. Seine Mutter nimmt sich vor,
222
zunächst den Buchstaben B einzuüben. Dabei geht sie
folgendermassen vor:
Übungsablauf
M: Schau Florian, das ist ein B.
Kommentar
Da Florian im Test den
Buchstaben gar nicht
benennen konnte, benennt ihn
die Mutter zunächst selbst.
M: Wie heisst dieser
Buchstabe?
Die Mutter zeigt Florian
nochmals das Kärtchen und
lässt ihr Kind antworten
F: B
M: Sehr gut
M: Kannst du nochmals sagen,
wie der Buchstabe heisst?
F: B
M: Gut. Und dieser?
F: A
M: und dieser?
Die Mutter lässt nun ein wenig
Zeit verstreichen und fragt
nochmals denselben
Buchstaben ab
Die Mutter zeigt nun ein A,
ein Buchstabe, den Florian
sicher beherrscht
Die Mutter zeigt wieder das B
F:...
M: B
Indem die Mutter das A
dazwischen-geschoben hat,
hat Florian das B wieder
vergessen. Die Mutter hilft
ihm.
M: Weisst du es noch?
F: B
M : und dieser?
F: A
M : und dieser?
F: B
M: Sehr gut.
Die Mutter zeigt das B
nochmals
223
Florian und seine Mutter fahren weitere 5 Minuten mit dieser
Übung fort, wobei nur zwischen B und A abgewechselt wird.
Am Abend im Bett wird die Übung vor der Gute-NachtGeschichte für 2 Minuten auf die gleiche Weise wiederholt.
Am nächsten Tag wird zuerst das B repetiert, dann das F
eingeübt und schliesslich zwischen F und B abgewechselt.
Kann Ihr Kind die Buchstaben im Test benennen, aber nicht
schnell genug, können Sie gleich mit zwei oder drei Buchstaben
beginnen.
Kann es alle Buchstaben sicher und schnell benennen, werden
die ähnlichen Buchstaben absichtlich hintereinander abgefragt.
Ihr Kind muss nun lernen, diese sicher unterscheiden zu
können. Dieser Schritt erfolgt ausdrücklich erst dann, wenn Sie
das Gefühl haben, dass die einzelnen Buchstaben sitzen.
Sind auf diese Weise alle Grossbuchstaben gelernt, können Sie
mit den Kleinbuchstaben nach demselben Schema verfahren.
Am Ende können Sie grosse und kleine Buchstaben mischen
und diese durcheinander abfragen.
Zur Abwechslung können Sie auch das eine oder andere Spiel
einbauen. Dabei sollten Sie jedoch darauf achten, dass das
Lernen der Buchstaben im Vordergrund bleibt.
Sie können beispielsweise selbst ein Memory basteln, bei dem
jeweils eine Karte das Bild eines Tiers enthält und die andere
den Anfangsbuchstaben dieses Tieres: A und das Bild eines
Affen; B und das Bild eines Bibers etc.
Kinder spielen auch gerne mit Buchstabenwürfeln, die sich in
Buchhandlungen oder auf Amazon in jeglichen Formen und
Farben kaufen lassen. In einer einfacheren Form könnten Sie
den Würfel werfen und Ihr Kind nennt so schnell wie möglich
224
den Buchstaben. In der schwierigeren Form könnten Sie und Ihr
Kind jeweils eine Kategorie nennen wie Tier, Name etc., den
Würfel werfen und der andere muss den Buchstaben und ein
Wort nennen, beispielsweise: E, Elefant oder S, Stefan (mehr
dazu findet sich in Plume und Schneider, 2009).
Spiele wie „Letra-Mix“, „Wort-Tüftel“ oder „Wörter Würfeln“
verbinden Buchstabenwürfel mit einer komplexeren Spielidee.
Diese Spiele sind jedoch eher geeignet, wenn das Kind die
Buchstaben bereits gut kennt und in der Lage ist, relativ schnell
Wörter zu bilden.
Spiele wie „Wort für Wort“ oder „E wie Elefant“ von
Ravensburger sind zu Beginn hilfreicher. Achten Sie beim Kauf
solcher Spiele immer darauf, dass sie das Kind nicht über- oder
unterfordern.
Test 2: Buchstaben schreiben
Das Schreiben von Buchstaben ist deutlich schwieriger, da die
Buchstaben hierbei nicht nur passiv wiedererkannt, sondern
aktiv gebildet werden müssen.
Gehen Sie beim Testen auf die gleiche Weise vor, wie beim
Lesen der Buchstaben. Lassen Sie Ihr Kind zunächst die
grossen, dann die kleinen Buchstaben schreiben.
Sprechen Sie die Buchstaben vor und notieren Sie sich, bei
welchen Ihr Kind unsicher ist.
Denken Sie auch hier daran, die Buchstaben so auszusprechen,
wie sie klingen, und sie nicht zu buchstabieren (k nicht ka).
Wenn Ihr Kind alle Buchstaben kann, können Sie zu Test 3
weiterblättern.
225
Übung 2: Buchstaben schreiben
Buchstaben sind ziemlich abstrakte Gebilde aus Rundungen und
Strichen, die sich Kinder nur schwer merken können. Ihr Kind
wird Zeit und Geduld aufwenden müssen, um alle Buchstaben
sicher und schnell schreiben zu können und die Verbindung
zwischen dem jeweiligen Laut und dem Zeichen abzuspeichern.
Nehmen Sie die Buchstaben, die Ihr Kind noch nicht zügig
schreiben konnte und legen Sie die Kärtchen - ähnlich wie beim
Lesen lernen - in eine Reihenfolge, bei der ähnlich klingende
oder ähnlich aussehende Buchstaben möglichst nicht
hintereinander gelernt werden.
Lassen Sie den Buchstaben zunächst von Ihrem Kind abmalen,
damit es ein Gefühl dafür entwickelt. Achten Sie darauf, dass Ihr
Kind nicht mechanisch und möglichst schnell arbeitet, sondern
langsam und bewusst und dabei den Laut mitspricht.
Fragen Sie das Kind nach einiger Zeit, ob Sie die Karte und die
bereits geschriebenen Buchstaben zudecken dürfen.
Schafft es Ihr Kind, den Buchstaben aus dem Gedächtnis richtig
aufzuschreiben, können Sie es diesen noch einige Male üben
lassen. Machen Sie dann eine kleine Pause, um zu schauen, ob
Ihr Kind ihn behalten konnte:
Mutter: Schau, ich lege dir das A hin, damit du siehst, wie es
aussieht. Schreib es einmal ab.
Kind: So
Mutter: Sehr gut. Versuch jetzt mal, beim Schreiben
mitzusprechen, aaa...
226
Kind: aaa
Mutter: Gut, komm, wir machen das noch ein paar Mal
Kind: aaa …. aaa. …aaa
Mutter: Das sieht gut aus. Weisst du schon, wie es aussieht?
Kind: Vielleicht?
Mutter: Darf ich die mal abdecken (schiebt ein leeres Blatt
darüber)? Versuch es nochmal.
Kind: aaa – hat es so ausgesehen?
Mutter: Du kannst die
nachschauen.
Karte
wieder umdrehen und
Kind: Stimmt
Mutter: Sehr gut! Mach doch noch zwei oder drei, dann machen
wir ein Spiel und schauen, ob du es danach immer noch kannst.
Am nächsten Tag sollten Sie diesen Buchstaben noch einige
Male üben, bis Sie einen weiteren Buchstaben mit einbeziehen.
Dasselbe gilt für die folgenden Tage und Wochen. Gehen Sie
nicht zu schnell vorwärts und seien Sie nicht enttäuscht, wenn
Ihr Kind einzelne, scheinbar bereits gelernte Buchstaben wieder
vergisst. Dies kann vor allem dann passieren, wenn ähnliche
neue Buchstaben hinzukommen, ist aber auch ein Hinweis
darauf, dass zu spät wiederholt wurde.
Test 3: Buchstaben zusammenlauten
227
Manche Kinder kennen zwar alle Buchstaben und können diese
einzeln sehr schnell erfassen, haben aber Mühe, mehrere
Buchstaben zusammenzulauten. Unter Zusammenlauten
versteht man das Zusammenziehen zweier oder mehrerer Laute,
was einigen Kindern grosse Mühe bereitet. Sie lesen die Laute
einzeln, z.B. als M…A anstelle von Ma.
Eine zusätzliche Schwierigkeit entsteht im Deutschen dadurch,
dass einige Buchstabenfolgen einen neuen Laut ergeben:

ei, au, eu, sch, ch, ng, st, sp, ph
während man andere Buchstaben nicht hört:

ie, das stumme h
sich einige im Klang nicht unterscheiden


j, i, ie, y wie in Igel, Jäger, Spiegel, Yves
V und F wie in Vogel und Förster
und Buchstaben je nach Position und Wort anders klingen:

Hose, nehmen, näher (stummes und hörbares H)
Zeigen Sie Ihrem Kind einige Kärtchen, die Silben aus zwei bis
drei Buchstaben enthalten und achten Sie darauf, ob Ihr Kind
diese zusammenlauten kann oder ob es sie eher als einzelne
Buchstaben liest.
Mögliche Silben:


228
Ma, Ge, Ha, Zu, En, To, Ru, De
Ein, Ver, Vor, Men, Mal, Bis, Kri
Testen Sie auch, ob Ihr Kind die folgenden
Buchstabenkombinationen, die einen neuen Laut ergeben,
richtig lesen kann, sofern es diese in der Schule bereits
durchgenommen hat:

ei, äu, eu, sch, ch, ng, st, sp, ph
Sie können diese auch in einem Wort vorgeben, z.B.:

Ei, Häuser, Heu, Schlange, lachen, Hengst, Stolz,
springen, Philip
Notieren Sie, wobei Ihr Kind Mühe hatte:
□
□
□
□
□
□
□
□
□
□
□
Zwei Buchstaben zusammenlauten
Drei Buchstaben zusammenlauten
ei
äu
eu
sch
ch
ng
st
sp
ph
Bei Schwierigkeiten helfen die folgenden Übungen, diese Stufe
zu nehmen. Beherrscht Ihr Kind das Zusammenlauten, können
Sie zu Test 4 weiterspringen.
Übung 3: Buchstaben zusammenlauten
229
Das Zusammenlauten stellt für viele Kinder eine besondere
Schwierigkeit dar und es kann lange dauern, bis sie diese Hürde
überwinden.
Das Üben mit einzelnen Silben stellt hierzu eine gute
Übungsform dar, weil Kinder auf diese Weise dazu angeleitet
werden, diese als Einheiten wahrzunehmen. Können Silben aus
zwei oder drei Buchstaben mit der Zeit auf einen Blick erfasst
werden, erhöht dies das Lesetempo beträchtlich.
Üben Sie das Zusammenschleifen zunächst mit Silben, die aus
zwei Buchstaben bestehen und gehen Sie danach zu solchen mit
drei Buchstaben über.
Nehmen Sie einen Schulbuchtext Ihres Kindes und suchen Sie
sich in einem Abschnitt alle Silben mit zwei Buchstaben heraus
oder wählen Sie selbst einige häufige Silben aus, z.B. Ma, Mu,
Mi, Mo.
Üben Sie mit Ihrem Kind die Silben, bis es diese gut
zusammenlauten und somit relativ fliessend lesen kann. Peter im
folgenden Beispiel macht hier schnell Fortschritte:
Kleinere Schwierigkeiten
Kommentar
M: Lies mal
P: M...A
M: Ja, kannst du es mal
zusammen lesen?
P: MA
M: Sehr gut. Und dieses hier?
P: M....I, MI
M: gut. Und das?
P (schnell): MA
M: und das?
P (schnell): MI
Peters Mutter kann schnell
weitere Kombinationen
hinzu nehmen und ihren
Sohn bald mit Kärtchen üben
lassen, die Silben mit drei
Buchstaben und kürzere
Wörter enthalten.
230
M: Gut, und das?
P: M…U, MU
Manchen Kindern bereitet das Zusammenschleifen dagegen
grosse Schwierigkeiten. Sie müssen diesen Schritt über längere
Zeit täglich üben:
Grössere Schwierigkeiten
Florian hat sehr viel mehr Mühe
mit dem Zusammenziehen.
Obwohl nur Buchstaben
verwendet werden, die zuvor
intensiv geübt wurden, kann er
sie schlecht zusammenlauten.
M: Kannst du das mal lesen?
F: M...A
M: Gut, M und A. Jetzt hast du
es so gelesen M, A
M: Versuch jetzt einmal, es so
zu lesen: MA.
F: MMAA
M: Sehr gut
M: Benutz auch mal die Finger.
F: MA
M: Gut. Jetzt lies sie einmal
einzeln
F: M...A
Kommentar
Die Mutter legt den Finger
auf das M und liest M,
springt dann auf das A und
liest A. Sie zeigt Florian
damit, dass er die Buchstaben
einzeln liest
Jetzt gleitet die Mutter mit
dem Finger in einer
fliessenden Bewegung über
die Buchstaben
Die Mutter leitet Florian an,
mit den Fingern fliessend
über die Buchstaben zu
fahren.
Die Mutter hüpft wieder mit
den Fingern vom A zum M
M: Und jetzt nochmals
231
zusammen
F: MA
Florian lässt die Finger über
die Buchstaben fahren und
schleift sie zusammen
Schreiben Sie auch die Buchstabenkombinationen ei, äu, eu, sch,
ch, ng, st, sp, ph auf Kärtchen und üben Sie diese besonders ein,
da sie einen neuen Laut ergeben.
Mit der Zeit gelingt es den Kindern, häufig geübte
Kombinationen von zwei oder drei Buchstaben auf einen Blick
zu erfassen. Das Wort Mama besteht dann nicht mehr aus vier
einzelnen Buchstaben, sondern aus zwei gut geübten Silben das Lesetempo wird deutlich erhöht. Wenn Sie einige häufige
Silben und kürzere Wörter mit Hilfe des Zettelkastens geübt
haben und Ihrem Kind das Zusammenschleifen relativ gut
gelingt, können Sie zu einfachen Texten übergehen.
Beim Lesen können Sie Ihrem Kind helfen, Wörter in Silben zu
zerlegen, um sie silbenweise statt buchstabenweise zu erlesen.
Hierzu eignet sich eine Lesehilfe. Schneiden Sie dazu ein
Rechteck aus einer Karteikarte aus und decken Sie den Text
Silbenweise auf:
„Nicht aufgeben!“ rief der Va
Das Ravensburger Spiel „Schloss Silbenstein“ kann auch für
diesen Schritt verwendet werden.
Test 4: Lautgetreues Schreiben
232
Beherrschen Kinder die einzelnen Buchstaben, kann mit dem
Schreiben erster Wörter begonnen werden. In dieser Phase des
Schreibens geht es darum, eine grundlegende Fähigkeit für das
Schreiben zu trainieren: Kinder sollen in die Lage versetzt
werden, einzelne Laute aus Wörtern herauszuhören und diese zu
schreiben. In dieser Phase sollte unbedingt darauf geachtet
werden, dass nur lautgetreue Wörter geschrieben werden –
solche Wörter, die so geschrieben werden, wie man sie hört und
nur eine Schreibweise zulassen.
Was bedeutet das genau?
Viele Wörter im Deutschen können nur dann richtig
geschrieben
werden,
wenn
das
Kind
bestimmte
Rechtschreibregeln kennt oder das Schriftbild eines Wortes
auswendig gelernt hat. Kann ein Wort falsch geschrieben
werden und hört es sich beim Lesen dennoch richtig an, handelt
es sich nicht um ein lautgetreues Wort.
So könnte man statt:




Zebra auch Cebra oder Tsebra
lieb auch lib
fühlen auch fülen
stehen auch schteen
schreiben. Dabei haben wir Erwachsene uns oft so an ein
bestimmtes Schriftbild gewöhnt, dass wir glauben, dass die
richtige Schreibweise auch die einzig mögliche sei. Dies birgt
eine Gefahr:
Wir unterliegen als Erwachsene der Illusion, dass man bei
Wörtern, die nur über das Auswendiglernen des Schriftbilds
oder Regelkenntnisse richtig geschrieben werden können,
heraushören kann, wie man sie schreibt. Damit verbunden ist
233
eine der häufigsten und destruktivsten
Aufforderungen beim Schreibenlernen:
Kritiken
oder
„Das hört man doch!“ oder „hör noch mal genau hin!“
Ein Beispiel:
Mutter: „Schreib mal: Er kannte ihn seit zwei Jahren“
Kind (schreibt): Er kante…
Mutter: „Mit zwei n, das hört man doch!“
Tischkante hört sich genau gleich an, wird aber mit einem n
geschrieben! Er kannte… wird mit zwei n geschrieben, weil es
sich von kennen ableitet und nicht, weil es sich so anhört, als ob
es mit zwei n geschrieben wird.
Ob ein Wort mit ie, h, mit Doppelkonsonanten (nn, mm, ss) etc.
geschrieben wird, lässt sich nicht heraushören.
Beachten Sie, liebe Eltern, deshalb zwei Punkte:
1. Lassen Sie Ihr Kind in dieser Phase nur lautgetreue
Wörter schreiben.
2. Verzichten Sie darauf, mit Ihrem Kind darüber zu
streiten, ob man etwas hören kann oder nicht.
Ob Ihr Kind bereits in der Lage ist, lautgetreue Wörter zu
schreiben, können Sie herausfinden, indem Sie die folgenden
Sätze diktieren:





234
Mama und Papa lesen ein Buch
Lisa baut ein Haus
Peter ist im Kino
Die Maus hört den Hund
Im Garten hat es Blumen





Die Tante kocht Nudeln
Menschen sind klug
Ich schlafe gern
Er ist böse auf Oma
Meine Hose ist rot
235
Übung 4: Lautgetreues Lesen und Schreiben
Damit Sie nicht immer überlegen müssen, ob ein Wort nun
lautgetreu ist oder nicht, benutzen Sie zum Üben des
lautgetreuen Lesens und Schreibens in den Klassen 1 bis 3 am
besten die Unterlagen eines professionell erstellten LeseRechtschreibtrainings. Am besten verwenden Sie dazu eines, das
sich in wissenschaftlichen Untersuchungen als wirksam erwiesen
hat oder zumindest auf der aktuellen psychologischen
Forschung beruht. Gute Trainings sind zum Beispiel:
Jansen und Streit (2007). Lesen und Rechtschreiben lernen nach
dem IntraActPlus-Konzept. Springer-Verlag.
Reuter-Liehr, C. (2006). Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung Band 3. Lerngruppe I: 40 exakte Stundenabläufe je 90
Minuten für die Förderung ab Mitte 3. Klasse. Bochum:
Winkler-Verlag.
Dummer-Schmoch, L. & Hackethal, R. (2001). Kieler
Rechtschreibaufbau. Veris-Verlag
Spielerisch:
Reuter-Liehr, C. (2006). Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung: Die SpielSpirale. Bochum: Winkler
Viele Materialien und Anregungen finden sich in:
Mahlstedt, D. (1999). Lernkiste Lesen und Schreiben:
Fibelunabhängige Materialien zum Lesen- und Schreibenlernen
für Kinder mit Lernschwächen. Beltz-Verlag.
Weiterführende Fertigkeiten trainieren
236
Die ersten vier Tests und die jeweiligen Übungen und
weiterführenden Materialien helfen Ihrem Kind, die
Basisfertigkeiten für die Fächer Lesen und Schreiben zu
entwickeln. Aufbauend auf dieser Basis verbessert sich das Kind
über die gesamte Schulzeit hinweg in den folgenden drei
Bereichen:
1. Lesetempo
2. Rechtschreibung
3. Textverständnis
Die Prüfungen, die Ihr Kind in der Schule schreibt, geben Ihnen
Aufschluss, womit Ihr Kind die grössten Schwierigkeiten hat.
Hat Ihr Kind in einem Bereich grosse Mühe, können Sie es mit
einer der folgenden Übungen unterstützen.
Übungen zur Erhöhung der Lesegeschwindigkeit
Zu langsames Lesen kann ein grosses Problem sein. Kinder, die
zwar richtig lesen, aber im Schneckentempo, werden Bücher
kaum spannend finden und weniger bereit sein, in ihrer Freizeit
zu lesen.
Die Lesegeschwindigkeit hängt davon ab, welche Strategie wir
benutzen und wie gut wir die jeweilige Strategie anwenden
können. Es lassen sich zwei Strategien unterscheiden: Wörter,
die wir nicht kennen oder nur selten gesehen haben, wie z.B.
„drainglufindar“ lesen wir buchstaben- oder silbenweise – als
Erwachsene merken wir dies daran, dass wir langsamer werden.
Häufige Wörter erkennen wir hingegen auf einen Blick. Sie
gehören zu unserem Sichtwortschatz und erlauben es uns, eine
hohe Lesegeschwindigkeit zu erreichen.
Mit der Zeit gelingt es Kindern, mehr und mehr Wörter mit
einem Blick zu erfassen. Wie schnell dies gelingt, ist von Kind
zu Kind unterschiedlich, wobei es auch hier neben der
237
Begabung darauf ankommt, wie viel ein Kind in seiner Freizeit
liest.
Liest Ihr Kind sehr langsam und baut es die Wörter meist noch
Buchstabe für Buchstabe auf, können Sie ihm aktiv dabei helfen,
seinen Sichtwortschatz auszubauen.
Schreiben Sie einige Wörter des Grundwortschatzes auf
Kärtchen. Beginnen Sie mit kürzeren Wörtern wie ich, und, du,
Vater, Haus, ist etc. Sie können hierzu z.B. die Lesefibel der
Schule verwenden und einige häufigere Wörter auswählen. Ein
tolles Buch hierzu ist:
Sennlaub, G. (2006). Von A bis Zett: Wörterbuch für Grundschulkinder. Cornelsen-Verlag.
Ansonsten gibt es auf einer Webseite der Uni Leibzig eine Liste
mit den 100, 1‘000 und 10‘000 häufigsten Wörtern der
deutschen Sprache:
http://wortschatz.uni-leipzig.de/html/wliste.html
Falls Sie wenig Lust haben, die Wörter selbst auf Karteikarten zu
schreiben, empfiehlt es sich, im Buchhandel einen Zettelkasten
mit dem Grundwortschatz der deutschen Sprache zu kaufen.
Diese gibt es für die erste bis vierte Klasse:
Gührs, L. (2008). Grundwortschatz Deutsch: Klasse 1.
(2./3./4.). Sinnverstehend lesen und rechtschreiben. Aol im Aap
Lehrerfachverlag.
Nehmen Sie drei oder vier Kärtchen und lassen Sie Ihr Kind die
Wörter lesen. Mit der Zeit zeigen Sie die Kärtchen für immer
kürzere Zeit, indem Sie sie gleich wieder umdrehen. Üben Sie
die Wörter ein, bis es Ihrem Kind gelingt, diese innerhalb von
einer Sekunde zu erfassen. Sie können durch diese Übung
ähnlich wie beim Addieren im Zehnerraum einen
238
Strategiewechsel initiieren – Ihr Kind entdeckt unbewusst, dass
sich Wörter auch als Ganzes lesen lassen.
Um den Sichtwortschatz aufzubauen ist es notwendig, dass Ihr
Kind die gleichen Wörter in relativ kurzen Abständen immer
wieder liest. Dies lässt sich ausser mit Karteikarten auch mit
anderen Übungen erzielen.
So macht es einigen Kindern Spass, einen Text so lange
einzuüben, bis sie ihn fliessend vorlesen können. Kinder
langweilen sich dabei weniger schnell, als man denkt (will Ihr
Kind auch immer die gleiche Geschichte hören und seine
Lieblingsfilme ein zwanzigstes Mal sehen?).
Geeignete Texte finden Sie beispielsweise in den Lesebänden
„Flüssig lesen lernen“ von Gero Tacke, die jeweils als Lehrerund Elternband für verschiedene Klassenstufen vorliegen.
Beispielsweise:
Tacke, G. (2005). Flüssig lesen lernen 2/3. Elternband: Ein
Leseprogramm für die Klasse 2 und 3 der Grundschule. Mit
Hilfe der Eltern. Übungen, Spiele und eine spannende
Geschichte. Klett-Verlag.
Achten Sie darauf, dass das Kind mitliest, auch wenn es den
Text beinahe auswendig kann. Es hilft, wenn es eine Lesehilfe
benutzt – die Karteikarte mit dem Ausschnitt, die den restlichen
Text abdeckt oder einen Stift, mit dem es über den Text fährt.
Die Rechtschreibung verbessern
Die deutsche Rechtschreibung wartet mit vielen Schwierigkeiten
auf. Daran hat auch die halbherzig durchgeführte Rechtschreibreform wenig geändert.
239
Viele Eltern sind unsicher, wie sie ihren Kindern bei der
Verbesserung der Rechtschreibung helfen können. Meistens
wird mit Diktaten geübt. Diktate sind jedoch nicht geeignet, um
die Rechtschreibung zu trainieren – sie dienen lediglich der
Überprüfung des Lernfortschritts. Ich bin immer wieder
erstaunt, wenn mir Eltern erzählen, dass sie bereits seit Monaten
oder Jahren Diktate üben, obwohl sich bisher kaum Fortschritte
eingestellt haben.
Haben Kinder gelernt, den Buchstaben Laute zuzuordnen,
können sie bereits viele Wörter nach Gehör richtig schreiben.
Im Deutschen lassen sich jedoch lediglich etwas über 70% der
Wörter auf diese Weise richtig schreiben, die restlichen
Rechtschreibprobleme unterteilen sich in solche, die über das
Lernen und Einüben von Rechtschreibregeln gelöst werden
können und solche, die sich über das Auswendiglernen des
Schriftbilds einzelner Wörter reduzieren lassen. Wenden wir uns
zunächst dem Einüben der Rechtschreibregeln zu.
Rechtschreibregeln richtig einüben - Fehleranalyse
Es gibt im Deutschen eine grosse Anzahl von
Rechtschreibregeln, die jedoch unterschiedlich ins Gewicht
fallen. Meist sind es einige wenige nicht verstandene oder
mangelhaft eingeübte Rechtschreibregeln, die die meisten Fehler
verursachen. Die folgende Grafik zeigt eine typische
Fehlerverteilung.
Die Mutter brachte dazu alle von der Lehrerin korrigierten
Aufsätze und Diktate sowie einige Diktate, die sie selbst mit
ihrer Tochter geschrieben hatte mit in die Beratung. Insgesamt
wurden 219 Fehler ausgewertet und einzelnen Fehlerkategorien
zugeordnet, die sich wie folgt verteilen:
240
Fehler
100
80
60
40
20
0
…
…
…
…
…
…
…
…
Dehnung
Schärfung
Gross-Klein
Fehler
Die Grafik verdeutlicht, dass ein Grossteil der Fehler, genauer
gesagt 89 von 219, also über 40%, auf die Fehlerkategorie
„Gross- und Kleinschreibung“ entfällt. Die ersten beiden
Fehlerkategorien machen 66% der Fehler aus. Während die
meisten Fehler auf einige wenige unverstandene oder zu wenig
geübte Rechtschreibregeln zurückzuführen sind, fallen die
restlichen Rechtschreibregeln kaum ins Gewicht. Das Kind
macht zwar viele Fehler, bei näherer Betrachtung aber
glücklicherweise nur in wenigen Kategorien. Diese können nun
systematisch aufgearbeitet werden.
Es motiviert Kinder ungemein, wenn aus den vielen einzelnen
Fehlern plötzlich einige wenige Fehlerkategorien werden. Auf
Seiten der Eltern nimmt die Hilflosigkeit ab, sobald klar ist, dass
mit gezielten, auf einzelne Rechtschreibregeln ausgerichteten
Übungen bereits ein bedeutender Teil der Fehler verhindert
werden kann.
Die Fehleranalyse ist etwas mühsam durchzuführen, lohnt sich
aber. Und so gehen Sie vor:
241
1. Informieren Sie sich zuerst mittels der Schulhefte oder
des Deutschbuchs, welche Rechtschreibregeln Ihr Kind
in der Schule bereits durchgenommen hat.
2. Sammeln Sie alle Aufsätze, Diktate etc. Ihres Kindes, die
von der Lehrerin korrigiert wurden. Falls Sie nur wenig
Material haben, ist es günstig, mit dem Kind einige
Diktate zu schreiben – nicht zu Übungszwecken,
sondern um die Fehlerquellen zu finden.
3. Ordnen Sie die Fehler einzelnen Fehlerkategorien zu. Sie
können hierzu das Schema auf der nächsten Seite
verwenden. Machen Sie jeweils einen Strich pro Fehler.
Sie werden bald feststellen, wie ungleich die Fehler
verteilt sind.
Fehlerkategorie
Gross- und Kleinschreibung
Schärfung (Doppel – n,m,s,t,
z.B. kenen statt kennen, Strase
statt Strasse, komen statt
kommen)
Dehnung (ie, h, aa, oo, z.B.
Mer statt Meer, mer statt
mehr, Zige statt Ziege)
Das und dass verwechselt
k und ck verwechselt
z und tz verwechselt
v und f verwechselt
d und t verwechselt
242
Anzahl Fehler
ö, ä, ü, i – Punkte vergessen
Satzzeichenfehler
(Komma
vergessen etc.)
Fehler bei der Zusammenund Getrenntschreibung
Wortstammfehler (Fehler, die
sich verhindern liessen, wenn
Ihr Kind auf den Wortstamm
achten würde. Z.B. helt statt
hält – der Halt, halten)
Fehler,
die
auf
eine
mangelhafte
Übung
des
lautgetreuen
Schreibens
schliessen lassen wie:
 Buchstaben auslassen
 Buchstaben
verwechseln
Rechtschreibregeln richtig einüben
Nach der Fehleranalyse wissen Sie, welche Rechtschreibregeln
zuerst geübt werden sollten.
Beim Üben sollten Sie immer wieder überprüfen, inwieweit Ihr
Kind die Regel anwenden kann. Hierzu können Sie sich die
folgenden Stufen zu Hilfe nehmen:
Stufe 1: Mein Kind kennt die Regel nicht
Erklären Sie Ihrem Kind die Regel. Achten Sie unbedingt
darauf, dass Sie die Regeln auf die gleiche Weise erklären wie die
Lehrerin Ihres Kindes – ansonsten ist der Frust vorprogrammiert. Malen Sie beispielsweise zusammen mit Ihrem
Kind ein Plakat zur Regel, welches es sich im Zimmer
243
aufhängen kann. Schauen Sie dieses zusammen mit Ihrem Kind
vor jeder Übung an.
Stufe 2: Mein Kind kennt die Regel, hat aber Mühe, sie richtig
anzuwenden
Zeigen Sie Ihrem Kind anhand vieler Beispiele, wie die Regel
anzuwenden ist, und fragen Sie es immer wieder nach der Regel.
Beispiel:
Schau dir diesen Satz an: lisa hat sich ein fahrrad gekauft.
Welche Wörter schreibt man gross?
Lisa und Fahrrad
Sehr gut. Wieso? Kannst du die Regel nochmal sagen?
Lisa ist ein Name und bei Fahrrad kann man der, die, das voransetzen.
Sehr gut. Und bei diesem Satz:…?
Stufe 3: Mein Kind kann die Regel anwenden, macht aber dennoch bei
Diktaten und Aufsätzen viele Fehler.
Auf dieser Stufe befinden sich viele Kinder mit
Rechtschreibschwierigkeiten. Wenn sie bewusst auf eine Regel
achten, können sie diese anwenden. Müssen sie jedoch bei
einem Aufsatz gleichzeitig auf mehrere Regeln und zusätzlich
auf den Inhalt achten oder werden sie wie bei einem Diktat
Zeitdruck oder Stress ausgesetzt, tauchen die Fehler wieder auf.
Die Regel ist nicht genügend automatisiert, um sie ohne
nachzudenken anwenden zu können - das Kind braucht mehr
Übung. Üben Sie auf dieser Stufe weiter, bis Sie das Gefühl
244
haben, dass Ihr Kind die Regel automatisiert anwenden kann.
Sie erkennen dies an zwei Dingen:

Ihr Kind kann die Regel sehr schnell anwenden (es
braucht z.B. nicht mehr die Hilfsfrage „kann ich der, die,
das davor setzen?“, um herauszufinden, ob ein Wort
gross geschrieben wird. Es hat ein Gefühl dafür
entwickelt). Es kann sich einen Satz wie „lisa hat sich ein
fahrrad gekauft“ ansehen, mit dem Finger über die
einzelnen Wörter fahren und sagen: Gross, klein, klein,
klein, gross, klein!

Ihr Kind muss sich kaum mehr anstrengen, um die
Übungen zu dieser Regel korrekt durchzuführen.
Stufe 4: Mein Kind kann die Regel schnell und sicher anwenden.
Schön! Nun gilt es lediglich, ab und zu darauf zu achten, ob die
Fehler wieder vermehrt auftreten, um in diesem Fall rechtzeitig
repetieren zu können.
Wo erhalte ich geeignetes Übungsmaterial?
Schauen Sie zunächst im Heft Ihres Kindes nach, wie die Regel
erklärt und welche Übungen dazu gemacht wurden. Beginnen
Sie mit diesen Übungen und bitten Sie evtl. die Lehrerin Ihres
Kindes um zusätzliches Material.
Es gibt auch professionell gestaltete Trainings.
Zur Gross-und Kleinschreibung und dem Erkennen der
Wortarten (Nomen/Verben/Adjektive) eignet sich das folgende
Programm:
245
Tacke, G. (2011). Eltern helfen ihrem Kind. Das 10-MinutenRechtschreibtraining: Ein Programm zum Aufbau der
Rechtschreibkompetenz ab Klasse 3 der Grundschule. ... für das
Lernen zu Hause. Grundkurs. Auer-Gmbh.
Der Lernserver-Verlag bietet spezifische Übungsmaterialien zu
einzelnen Rechtschreibregeln zu einem relativ günstigen Preis.
Zum Beispiel :
Schönweiss, P. (2006). Lernserver Fördermappe 7: Gross- und
Kleinschreibung. Lernserver.
Schönweiss, P. (2006). Lernserver Fördermappe 4: Dopplung.
Lernserver.
Schönweiss, P. (2006). Lernserver Fördermappe 6: Dehnung.
Lernserver.
Ein wissenschaftlich fundiertes und auf seine Wirksamkeit hin
überprüftes Rechtschreibprogramm zum regelgeleiteten
Schreiben ist das Marburger Rechtschreibtraining:
Schulte-Körne, G. & Mathwig, F. (2009). Das Marburger
Rechtschreibtraining. Bochum: Winkler.
Einzelschreibungen lernen
Die Schreibweise mancher Wörter lässt sich nicht über Regeln
lernen – sie muss auswendig gelernt werden. Andere lassen sich
über Regeln herleiten. In beiden Fällen lässt sich der
Zettelkasten verwenden. Es kann hilfreich sein, den schwierigen
Teil des Wortes besonders zu kennzeichnen (mit einer anderen
Farbe oder durch Unterstreichen).
Der folgende Ablauf ist dabei besonders hilfreich:
Katrin hat das Wort „Aussehen“ falsch geschrieben – mit nur
einem s. Sie geht nun folgendermassen vor:
246
1. Sie zerlegt das Wort in Silben und spricht es nach
Beim Zerlegen in Silben wird das zweite s deutlich hörbar: Ausse-hen
2. Sie überlegt, wie sie sich die Schreibweise merken könnte
Ihr fällt auf, dass das erste s zur Vorsilbe „aus“ und das andere
zum Verb „sehen“ gehört.
3. Sie markiert die schwierige Stelle
4. Sie schreibt das Wort auf ein Kärtchen. Dann dreht sie die
Karte um und schreibt das Wort nochmals.
5. Sie dreht die Karte wieder um und überprüft, ob sie das
Wort richtig geschrieben hat
6. Sie legt das Wort in ihren Zettelkasten, um es in den
nächsten Tagen nochmals zu wiederholen.
Sie nimmt das nächste Wort, das sie falsch geschrieben hat:
kante. Hier bespricht sie mit ihrer Mutter, wie sie sich das Wort
merken könnte. Und so gehen die beiden vor:
1. Mutter und Kind überlegen, ob es eine Regel gibt oder eine
andere Möglichkeit, sich das Wort einzuprägen.
Die Mutter erklärt Katrin, dass kannte von kennen kommt und
deshalb mit zwei nn geschrieben wird. Die (Tisch)kante
hingegen schreibt sich mit einem n.
2. Sie überlegen, wie sich Karin die Schreibweise merken
könnte.
247
Katrin schreibt dazu das Wort kennen auf eine Karte und setzt
es in die Formen: Ich kenne, ich kannte.
Sie zeichnet einen kleinen Tisch auf die Karte und schreibt das
Wort Tischkante darunter.
3. Sie markiert die schwierige Stellen: ich kannte, Tischkante
4. Sie dreht die Karte um und schreibt beide Wörter nochmals.
Dabei erklärt sie der Mutter, weshalb sie kannte mit zwei n
schreibt.
5. Sie dreht die Karte wieder um und überprüft, ob sie das
Wort richtig geschrieben hat
6. Sie legt das Wort in ihren Zettelkasten, um es in den
nächsten Tagen nochmals zu wiederholen.
Falls Sie mit Ihrem Kind für die Schule ein Diktat vorbereiten
müssen, ist es hilfreich, wenn Sie Fehler mit Ihrem Kind auf
diese Weise besprechen und es das Wort bewusst richtig
schreiben lassen. Schreiben Sie das Diktat erst ein zweites Mal,
wenn Sie davon ausgehen, dass Ihr Kind kaum einen der Fehler
ein zweites Mal machen wird. Wiederholtes Diktieren ohne
genauere Fehleranalyse und ohne Training der schwierigen
Wörter bringt Ihr Kind kaum weiter. Wenn Sie ein Diktat
mehrmals hintereinander diktieren und Ihr Kind jeweils die
gleichen Fehler macht, wird es nur wahrscheinlicher, dass es sich
die falsche Schreibweise einprägt.
Das Textverständnis fördern
Manche Kinder können zwar gut und flüssig lesen, haben aber
Mühe, das Gelesene zu verstehen. Um das Textverständnis zu
fördern, können Sie zwei Dinge tun:
248
1. Den Wortschatz des Kindes vergrössern
2. Die Aufmerksamkeit des Kindes auf den Inhalt des
Textes richten
Wissenschaftliche Untersuchungen konnten immer wieder
zeigen, dass Kinder, die über einen grossen Wortschatz verfügen
auch Texte besser verstehen (sofern sie schnell und gut genug
lesen können). Dabei zeigt sich, dass es eine grosse Rolle spielt,
wie oft Kindern in der Vergangenheit Geschichten vorgelesen
wurden.
Sie können den Wortschatz Ihres Kindes erweitern, indem Sie
viel mit Ihrem Kind sprechen, ihm vorlesen und mit ihm
gemeinsam lesen. Dabei gilt es eines zu beachten:
„Passen Sie den Wortschatz des Kindes dem Buch an und nicht
den Wortschatz des Buches Ihrem Kind“
Sofern Sie ein altersgerechtes Buch mit Ihrem Kind lesen oder
ihm dieses vorlesen und dabei auf ein Wort stossen, welches Ihr
Kind noch nicht kennt, sollten Sie ihm dieses erklären und ihm
nicht die Geschichte in einfacheren Worten erzählen.
Sie können den Wortschatz während der Schulzeit auch gezielt
aufbauen, indem Sie Ihr Kind neue Wörter auf Karteikarten
notieren lassen, ihm diese erklären und sie ab und zu wieder mit
ihm durchgehen oder im Gespräch einfliessen lassen.
Sie können die Aufmerksamkeit Ihres Kindes auf den Inhalt
richten und das Textverständnis fördern, indem Sie mit ihm
über den Text sprechen. Dabei haben sich die folgenden
Methoden bewährt:

Voraussagen: Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind,
wie sich die Geschichte entwickeln könnte. Die Kinder
lernen auf diese Weise auch den Aufbau typischer
249
Geschichten kennen. So sind beispielsweise viele
Geschichten so aufgebaut, dass sich eine oder mehrere
Personen mit einem Problem konfrontiert sehen und
bestimmte Mittel einsetzen müssen, um ein bestimmtes
Ziel zu erreichen.
o Was meinst du, wie geht es wohl weiter?
o Was passiert wohl als nächstes?
o Wie denkst du, wird die Geschichte ausgehen?

Fragen stellen: Stellen Sie Ihrem Kind immer wieder
Fragen zum Text wie:
o Was meinst du, wer ist der Bösewicht? Wieso?
o Was möchte … erreichen?
o Was würdest du in dieser Situation tun?
o Welche Person in dieser Geschichte magst du
am liebsten?
o Gefällt dir die Geschichte?

Zusammenfassen: Lassen Sie Ihr Kind die Geschichte ab
und zu mündlich zusammenfassen:
o Was ist bis jetzt passiert?
o Was weisst du schon alles über Person x
o Magst du mir die Geschichte einmal in eigenen
Worten erzählen?
Sie können dieselben Fragen auch beim Vorlesen verwenden.
Bücher lesen
Kinder sollten schon bald an das Lesen von sinnvollen Texten
herangeführt werden, wobei darauf zu achten ist, dass sie Lesen
als bereichernde und schöne Freizeitaktivität entdecken.
In diesem Kapitel möchte ich Ihnen einige Wege zeigen, die
Ihnen dabei helfen können, das gemeinsame Lesen angenehm
250
zu gestalten und bei Ihrem Kind Lesen als Freizeitbeschäftigung
zu fördern.
Eine Leseecke einrichten
Wenn Sie mit Ihrem Kind zusammen lesen, können Sie daraus
ein kleines Ritual gestalten. Richten Sie mit ihm zusammen eine
kuschelige Leseecke ein und zünden Sie während des Lesens
eine besondere „Lesekerze“ an.
Gemeinsam lesen
Lesen Sie abwechslungsweise mit Ihrem Kind. Dies ist
insbesondere zu Beginn wichtig, wenn das Lesen für Ihr Kind
noch anstrengend ist, es nur langsam vorankommt und den Sinn
des Gelesenen nur unzureichend erfassen kann. Gerade zu
Beginn sollten Sie die Zeilen, die das Kind gelesen hat, ebenfalls
vorlesen, damit sich das Kind nun auf den Inhalt konzentrieren
kann.
Einige Eltern legen bei dieser Übung die Anzahl der Zeilen fest,
die das Kind jeweils liest („du liest immer die ersten 5 Zeilen,
dann lese ich dir die ganze Seite vor“), andere lassen das Kind
bestimmen, wann die Eltern übernehmen sollen („gib mir
einfach ein Zeichen, wenn du müde wirst, dann übernehme ich,
bis du wieder willst“).
Richtig korrigieren
Eine besondere Bedeutung kommt dem Korrigieren während
des Lesens zu. Um die Motivation des Kindes nicht zu
untergraben und möglichst grosse Lernfortschritte zu erzielen,
ist es gut, wenn Sie einige Punkte beachten:
1. Korrigieren Sie nicht zu häufig. Macht Ihr Kind viele
Fehler, können Sie kleinere Fehler auch überhören und
251
unkorrigiert lassen. Die Motivation ist wichtiger als
fehlerfreies Lesen.
2. Bei einer Korrektur ist es wichtig, nicht einfach die
Lösung vorzugeben, sondern dem Kind die Möglichkeit
zur Selbstkorrektur zu geben. Halten Sie Ihr Kind kurz
an, indem Sie ihm z.B. die Hand auf den Arm legen oder
ihm eine Anweisung geben wie: „Kannst du das Wort
nochmals lesen?“ Ihr Kind kann Ihnen hierbei sagen,
welche Form es weniger stört.
3. Besonders längere oder neue Wörter bereiten Kindern
Schwierigkeiten. Sie können ihm helfen, indem Sie den
Text mit einer Karte oder einem Blatt Papier abdecken
und dann das Wort Silbe für Silbe aufdecken. Die
gleiche Strategie können Sie verwenden, wenn Ihr Kind
Wörter fabuliert, also beispielsweise nur auf die ersten
Buchstaben achtet und versucht, das Wort zu erraten.
4. Wenn es Ihrem Kind innerhalb von ca. 5 Sekunden
nicht gelingt, das Wort zu erlesen, können Sie es ihm
vorlesen, sofern es dies möchte.
Lesen vor dem Schlafengehen
Fast alle Kinder würden abends gerne etwas länger aufbleiben.
Diese Tatsache lässt sich nutzen, um das Lesen bei Kindern zu
fördern. Schlagen Sie Ihrem Kind vor, dass es vor dem
Einschlafen – sofern es dies möchte – noch 15 Minuten das
Licht anlassen und lesen darf. Natürlich gehört ein spannendes,
altersgerechtes Buch oder ein Comics auf das Nachttischchen.
Sie können die Leselust Ihres Kindes zusätzlich steigern, wenn
Sie ihm aus einem Buch vorlesen und dem Kind dann die
Möglichkeit geben, selbst weiterzulesen. Halten Sie dabei feste
Zeiten ein, damit Ihr Kind es nicht als Strafe empfindet, wenn
Sie mit dem Vorlesen aufhören. Stellen Sie den Wecker z.B. auf
10 Minuten und lesen Sie während dieser Zeit vor. Stellen Sie
den Wecker erneut auf 15 Minuten, während denen Ihr Kind
252
selbst weiterlesen darf, sofern es dies möchte. Üben Sie keinen
Druck aus – verlassen Sie sich einfach auf die Neugierde des
Kindes und die Wirkung der spannenden Geschichte.
Dabei sollten Sie zwei Dinge beachten:
1. Wenn das Buch zu schwierig ist und Ihr Kind nicht
fähig ist, den Sinn zu verstehen, wird es nicht lesen
wollen. Bilderreiche Bücher oder Comics eignen sich zu
Beginn besser.
2. Wenn im Kinderzimmer ein Fernseher, eine
Videokonsole oder ein Gameboy steht, ist ein Buch
chancenlos. Solche Geräte gehören nicht ins
Kinderzimmer, sondern ins Wohnzimmer, auch wenn es
etwas lästig ist. Ihr Kind wird Lesen sehr viel schneller
als schöne Freizeitbeschäftigung entdecken, wenn es
sich abends zwischen schlafen und lesen entscheiden
kann und nicht zwischen schlafen, lesen und einem
Videospiel.
Bücher schenken
Als wir Kinder waren, mussten mein Bruder und ich uns
Computerspiele und andere Spielsachen von unserem
Taschengeld kaufen. Bücher und Comics bekamen wir jedoch
immer geschenkt – am Kiosk konnten wir einfach fragen:
„Dürfen wir ein Comics?“ und uns eines aussuchen.
Ich möchte dieses Vorgehen nicht generell als Tipp vorschlagen,
ich kann nur aus eigener Erfahrung sagen, dass die leichte
Verfügbarkeit von Lesestoff das Lesen bei mir und meinem
Bruder sehr gefördert hat. Hätten wir uns zwischen einem
Computerspiel und einem Buch entscheiden müssen, hätte das
Spiel immer gewonnen. Und hätten wir jedesmal den Weg zur
Bibliothek auf uns nehmen müssen, um uns Bücher zu
besorgen, hätten wir höchstwahrscheinlich viel weniger gelesen.
253
Die Frage ist: Wie leicht gelangen Ihre Kinder an Lesestoff, der
sie wirklich interessiert? Jede Hürde („ich möchte nicht, dass
mein Kind Comics liest, sondern richtige Bücher“, „ich würde
schon in die Buchhandlung mitgehen, wenn mich meine Kinder
darum bitten würden und ich gerade Zeit hätte…“) verringert
die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Kind liest. Bücher als
Geschenk, spannende Geschichten auf dem Nachttisch, Comics
und Witzbücher auf dem Klo, häufige Besuche von
Buchhandlungen – Ihr Kind sollte von Büchern richtiggehend
umzingelt sein.
Zwingen Sie Ihr Kind nie, ein Buch zu Ende zu lesen, das ihm
keine Freude bereitet – auch wenn es sich das Buch selbst
ausgesucht hat. Die Bücher und das Lesen sollen ihm Freude
bereiten und kein Ausdauertraining darstellen.
Welche Bücher eignen sich?
Welche Bücher eignen sich nun für Kinder? Sicher haben auch
Sie Ihre Favoriten aus der Kindheit, die Sie Ihrem Kind
empfehlen können. Ansonsten gibt es viele Möglichkeiten, sich
über gute Kinderbücher zu informieren. Die Verkäuferinnen in
Buchhandlungen wissen teilweise gut darüber Bescheid, welche
Bücher von Kindern gerne gelesen werden. Ansonsten finden
Sie auf Amazon jeweils gute Empfehlungen. Geben Sie einfach
ein Buch ein, das Ihr Kind gerne gelesen hat und Amazon
empfiehlt Ihnen Bücher, die ähnlich sind.
Ansonsten hilft Ihnen vielleicht der folgende Literaturtipp
weiter, in dem 100 gute Kinderbücher – nach Alter sortiert –
vorgestellt werden:
Gaschke, S. (2002). Hexen, Hobbits und Piraten: Die besten
Bücher für Kinder. Deutsche Verlags-Anstalt.
254
Lernstrategien für Jugendliche
Effektiv und mit Freude lernen zu können, ist eine Fertigkeit,
die das ganze Leben positiv beeinflusst. Es lohnt sich, in diese
Fertigkeit zu investieren. Mit unserem Newsletter erhalten Sie
monatlich einen Tipp und gleichzeitig eine Erinnerung, um auf
dem Weg zu bleiben.
Auf unserer Webseite www.mit-kindern-lernen.ch finden Sie
unter anderem:

Das Buch „effektiv denken – effektiv lernen“ für
Jugendliche als kostenlosen Download:

Monatlich neue Artikel mit Lernmethoden für Kinder
und Jugendliche.
 Videos
 Den kostenlosen online-Kurs „Mit Kindern lernen“ für
Eltern und Lehrkräfte
 Unsere Seminare und Vorträge
255
Persönliches Schlusswort des Autors
Es gibt Kinder, denen alles leicht fällt. Als Eltern kann man
ihnen zuschauen, wie sie sich entwickeln und sich darüber
freuen, wie sie jede Hürde meistern, interessiert und aus eigenem
Antrieb lesen und schreiben lernen und die Aufgaben im
Rechenbuch spielend lösen.
Leider trifft dies nicht auf alle Kinder zu. Viele Kinder haben
Mühe und brauchen Unterstützung.
Wenn ich auf meine eigene Schulzeit zurückschaue, dann sehe
ich einige Schwierigkeiten. Obwohl ich aufgrund meiner
Verträumtheit ein zusätzliches Jahr den Kindergarten besuchen
durfte, hatte ich in der ersten Klasse einige Startschwierigkeiten.
Im ganzen ersten Jahr weigerte ich mich standhaft, etwas zu
lesen und war überzeugt davon, das Lesen nie lernen zu können.
Auf die beruhigenden Worte meiner Mutter: „Fabian, es sind
doch nur 26 Buchstaben, das lernst du schon“ erwiderte ich
„Nein! Es sind 52, es gibt grosse und kleine, ich habe sie genau
gezählt, das lerne ich nie!“
Ich lernte es dann doch noch. Meinen Schwierigkeiten
begegneten meine Eltern und meine Erstklasslehrerin mit viel
Unterstützung, Geduld, Humor und Ermutigung und
regelmässigen, kurzen und von mir nicht immer mit
Begeisterung aufgenommenen Leseübungen in der zweiten
Klasse. Anfang dritter Klasse las ich mein erstes Comics – von
da an war es eher ein Problem, mich vom Lesen abzuhalten:
„Fabian, jetzt bleibt das Licht aus, du musst morgen um 7 Uhr
aufstehen.“
Man hört viele Geschichten von Erwachsenen, die eine
schreckliche Schulzeit erlebt haben. Seltener hört man von den
wahrscheinlich viel zahlreicheren schönen Geschichten. Ich
selbst hatte das Glück, bei meinen Lehrerinnen und Lehrern
256
während der gesamten Schulzeit immer wieder auf wunderbare
Menschen zu stossen, die mich ermutigt haben, mir mit
Wertschätzung und Respekt begegnet sind und denen man
anmerkte, dass sie ihren Beruf gerne ausüben.
Meine Eltern haben mir beigebracht, dass Schwierigkeiten mit
Geduld und in kleinen Schritten gemeistert werden können.
Ihnen allen möchte ich für die liebevolle Unterstützung und die
guten Schulstunden danken. Ich kann auf meine Schulzeit
zurückschauen und – vom frühen Aufstehen einmal abgesehen
– sagen, dass es eine schöne Zeit war.
Mit diesem Buch möchte ich einen Beitrag dazu leisten, dass
möglichst viele Kinder, die heute zur Schule gehen, später
zurückblicken und das Gleiche sagen können.
257
Literaturverzeichnis
Empfohlene Literatur
Einige Bücher möchte ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser,
gerne empfehlen. Sie beruhen auf einem ähnlichen Konzept wie
dieses Buch und eignen sich besonders, wenn Sie Ihr Wissen in
bestimmten Bereichen noch vertiefen möchten. Sie werden
beim Lesen feststellen, dass viele Methoden und Ideen dieser
Autoren in mein Buch eingeflossen sind.
Armin Born und Claudia Oehler (2007). Lernen mit ADSKindern – ein Praxishandbuch für Eltern, Lehrer und
Therapeuten. Kohlhammer-Verlag.
Armin Born und Claudia Oehler (2008). Kinder mit
Rechenschwäche erfolgreich fördern: Ein Praxishandbuch für
Eltern, Lehrer und Therapeuten. Kohlhammer-Verlag.
Armin Born und Claudia Oehler (2009). Lernen mit
Grundschulkindern: Praktische Hilfen und erfolgreiche
Fördermethoden für Eltern und Lehrer. Kohlhammer-Verlag.
Fritz Jansen und Uta Streit (2006). Positiv lernen. SpringerVerlag.
Fritz Jansen und Uta Streit (2007). Lesen und Rechtschreiben
lernen nach dem IntraActPlus-Konzept. Springer-Verlag
258
Verwendete Literatur
Aunola, K., Stattin, H. & Nurmi, J. E. (2000). Parenting styles
and adolescents` achievement strategies. Journal of
Adolescence, 23, 205-222.
Baumrind, D. (1968). Authoritarian vs. authoritative parental
control. Adolescence, 3(11), 255-272.
Betz, D. & Breuninger, H. (1998). Teufelskreis Lernstörungen:
Theoretische Grundlegung und Standardprogramm. Weinheim:
Beltz.
Born, A. & Oehler, C. (2007). Lernen mit ADS-Kindern – ein
Praxishandbuch für Eltern, Lehrer und Therapeuten. Stuttgart:
Kohlhammer.
Born, A. & Oehler, C. (2008). Kinder mit Rechenschwäche erfolgreich
fördern: Ein Praxishandbuch für Eltern, Lehrer und
Therapeuten. Stuttgart: Kohlhammer.
Born, A. & Oehler, C. (2009). Lernen mit Grundschulkindern:
Praktische Hilfen und erfolgreiche Fördermethoden für Eltern und
Lehrer. Stuttgart: Kohlhammer.
Bornstein, M. H. & Zlotnik, D. (2007). Effects of parenting
styles. In M. M. Haith & J. Benson (Eds.), Encyclopedia of
Infant and Early Childhood Development (pp. 497-509).
Oxford: Elsevier.
Breitenbach, E. & Weiland, K. (2010). Förderung bei LeseRechtschreibschwäche. Stuttgart: Kohlhammer.
259
Bus, A. G. & van Ijzendoorn, M. H. (1999). Phonological
awareness and early reading: A meta-analysis of
experimental training studies. Journal of Educational
Psychology, 91, 403-414.
d’Ailly, H. (2003). Children’s autonomy and perceived control in
learning: A model of motivation and achievement in
Taiwan. Journal of Educational Psychology, 95, 84-96.
Darling, N. (1999). Parenting style and its correlates. Eric Digest.
Champaign IL: ERIC Clearinghouse on Elementary and
Early Childhood Education.
Dummer-Schmoch, L. & Hackethal,
Rechtschreibaufbau. Kiel: Veris.
R.
(2001).
Kieler
Dweck, C. (2007). Selbstbild: Wie unser Denken Erfolg und Niederlage
bewirkt. Frankfurt: Campus.
Einsiedler, W., Frank, A., Kirschhock, E.-M., Martschinke, S. &
Treinies, G. (2002). Der Einfluss verschiedener
Unterrichtsformen auf die phonologische Bewusstheit
sowie auf Lese-Rechtschreibleistungen im ersten
Schuljahr. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 49, 194209.
Epstein, S. (1990). Cognitive-experiental self-theory. In L.A.
Pervin (Ed.), Handboock of personality: Theory and research.
(pp. 165 – 192). New York: Guilford.
Fuhrer, U. (Hrsg.). (2009). Lehrbuch Erziehungspsychologie (2. Aufl.).
Bern: Hans Huber.
Fuligni, A. J., Yip, T. & Tseng, V. (2002). The impact of family
obligation on the daily activities and psychological well260
being of Chinese American
Development, 73, 302–314.
adolescents.
Child
Ganser, B. (2001). Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten: Diagnose –
Förderung – Materialien. Donauwörth: Auer.
Gaschke, S. (2002). Hexen, Hobbits und Piraten: Die besten Bücher für
Kinder. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt.
Gasteiger-Klicpera, B., Klicpera, C. & Schabmann, A. (2007).
Legasthenie: Modelle, Diagnose, Therapie und Förderung.
Stuttgart: Reinhardt Utb.
Ginsburg, G. S. & Bronstein, P. (1993). Family factors related to
children’s intrinsic/extrinsic motivational orientation and
academic performance. Child Development, 64, 1461-1474.
Gonzalez, A., Greenwood, G. & Wenhsu, J. (2001).
Undergraduate students’ goal orientations and their
relationship to perceived parenting styles. College Student
Journal, 35, 182-192.
Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.
Grolimund, F. (2007). Effektiv denken – effektiv lernen. Lulu-Verlag.
Grolnick, W. S., Ryan, R. M. & Deci, E. L. (1991). Inner
resources for school achievement: Motivational
mediators of children’s perceptions of their parents.
Journal of Educational Psychology, 83, 508–517.
Gührs, L. (2008). Grundwortschatz Deutsch: Klasse 1. (2./3./4.).
Sinnverstehend lesen und rechtschreiben. Buxtehude: Aol.
Gurland, S. T. & Grolnick, W. S. (2005). Perceived threat,
parental
control, and children’s achievement
orientations. Motivation and Emotion, 29, 103-121.
261
Heckhausen, H. (1972). Die Interaktion der Sozialisationsvariablen in der Genese des Leistungs-motivs. In C. F.
Graumann (Hrsg.), Handbuch der Psychologie (Vol. 7/2,
S.955-1019). Göttingen: Hogrefe.
Heckhausen, H. (1975).Fear of failure as a self-reinforcing
motive system. In I. G. Sarason & Spielberger (Eds.),
Stress and Anxiety (Vol. II, pp. 117-128). Washington,
DC: Hemisphere.
Heckhausen,
H.
(1978).
Selbstbewertung
nach
erwartungswidrigem Leistungsverlauf: Einfluss von
Motiv, Kausalattribution und Zielsetzung. Zeitschrift für
Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psycho-logie, 10, 191216.
Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln. Berlin: Springer.
Heider, F. (1958). The psychology of interpersonal relations. New York:
Wiley.
Hokoda, A. & Fincham, F. D. (1995). Origins of children’s
helpless and mastery achievement patterns in the family.
Journal of Educational Psychology, 87, 376-385.
Jansen, F. & Streit, U. (2006). Positiv lernen. Heidelberg: Springer.
Jansen, F. & Streit, U. (2007). Lesen und Rechtschreiben lernen nach
dem IntraActPlus-Konzept. Heidelberg: Springer.
Jodl, K. M., Michael, A., Malanchuk, O., Eccles, J. S. &
Sameroff, A. (2001). Parents’ roles in shaping early
adolescents’ occupational aspirations. Child Development,
72, 1247–1265.
Joussemet, M., Koestner, R., Lekes, N. & Landry, R. (2005). A
longitudinal study of the relationship of maternal
262
autonomy support to children’s adjustment and
achievement in school. Journal of Personality, 73, 12151235.
Kindler, H. (2006a). Was ist über die Folgen von
Vernachlässigung bei Kindern bekannt? In Kindler,
Lillig, Blüml, Meysen und Werner (Hrsg.), Handbuch
Kindeswohlgefährdung nach § 1666 und Allgemeiner Sozialer
Dienst
(ASD).
München:
Verlag
Deutsches
Jugendinstitut.
Klicpera C. & Gasteiger-Klicpera, B. (1998). Psychologie der Leseund Rechtschreibschwierigkeiten. Entwicklung, Ursachen,
Förderung. Weinheim: Beltz.
Klicpera, C., Schabmann, A. & Gasteiger-Klicpera, B. (2007).
Legasthenie. Modelle, Diagnose, Therapie und Förderung.
München: Ernst Reinhardt.
Krampen, G. (1987). Differential effects of teacher comments.
Journal of Educational Psychology, 79, 137 – 146.
Küspert, P. & Schneider, W. (2006). Hören, lauschen, lernen –
Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht.
Küspert, P. & Schneider, W. (2007). Hören, lauschen, lernen –
vorgespielt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Lamborn, S. D., Mounts, N. S., Steinberg, L. & Dornbusch, S.
M. (1991). Patterns of competence and adjustment
among adolescents from authoritative, authoritarian,
indulgent, and neglectful families. Child Development, 62,
1049-1065.
Landerl, K. & Kaufmann, L. (2008). Dyskalkulie: Modelle,
Diagnostik, Intervention. Stuttgart: Reinhardt Utb.
263
Largo, R. H. & Beglinger, M. (2010). Schülerjahre: Wie Kinder besser
lernen. München: Piper Taschenbuch.
Lauth G. W., Grünke, M. & Brunstein, J. C. (2003). Interventionen
bei Lernstörungen: Förderung, Training und Therapie in der
Praxis. Göttingen: Hogrefe.
Leemann-Ambroz,
K.
(2006).
Rechtschreibkompetenz:
Aneignungsstrategien auf der Basis des morphematischen Prinzips.
Bern: Haupt.
Liebenwein, S. (2008). Erziehung und soziale Milieus. Elterliche
Erziehungsstile
in
milieuspezifischer
Differenzierung.
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Lüdtke, P. & Köller, O. (2002). Individuelle Bezugsnormorientierung
und
soziale
Vergleiche
im
Mathematikunterricht: Der Einfluss unterschiedlicher
Referenzrahmen auf das fachspezifische Selbstkonzept
der Begabung. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und
Pädagogische Psychologie, 34, 156-166.
Mahlstedt, D. (1999). Lernkiste Lesen und Schreiben:
Fibelunabhängige Materialien zum Lesen- und Schreibenlernen
für Kinder mit Lernschwächen. Weinheim: Beltz.
Meyer, W. U. (1973). Leistungsmotiv und Ursachenerklärung von
Erfolg und Misserfolg. Stuttgart: Klett.
Pomerantz, E. M., Grolnick, W. S. & Price, C. E. (2005). The
role of parents in how children approach school: A
dynamic process perspective. In A. J. Elliot & C. S.
Dweck (Hrsg.), The handbook of competence and motivation
(pp. 259-278). New York: Guilford.
264
Pomerantz, E. M., Wang, Q. & Ng, F. F. (2005). Mothers’ affect
in the homework context: The importance of staying
positive. Developmental Psychology, 41, 414–427.
Pomerantz, E. M., Ng, F. & Wang, Q. (2006). Mothers’ masteryoriented involvement in children’s homework:
Implications for the well-being of children with negative
perceptions of competence. Journal of Educational
Psychology, 98, 99–111.
Pomerantz, E. M., Moorman, E. A. & Litwack, S.D. (2007). The
How, Whom, and Why of Parents’ Involvement in
Children’s Academic Lives: More Is Not Always Better.
Review of Educational Rearch, 77 (3), 373-410.
Reuter-Liehr, C. (2006). Lautgetreue Lese-Rechtschreib-Förderung
(Band 3). Lerngruppe I: 40 exakte Stundenabläufe je 90
Minuten für die Förderung ab Mitte 3. Klasse. Bochum:
Winkler.
Reuter-Liehr, C. (2006). Lautgetreue Lese-Rechtschreib-förderung: Die
SpielSpirale. Bochum: Winkler.
Rheinberg, F. (2002). Motivation. Stuttgart: Kohlhammer.
Rheinberg, F. & Krug, S. (1999). Motivationsförderung im Schulalltag
(2. Auflage). Göttingen: Hogrefe.
Ricken, G. & Fritz-Stratmann, A. (2008). Rechenschwäche.
Stuttgart: Reinhardt Utb.
Rumberger, R. W., Ghatak, R., Poulos, G., Ritter, P. L. &
Dornbusch, S. M (1990). Family influences on dropout
behavior in one california high school. Sociology of
Education, 63, 283-299.
265
Schnabel, K. (1998). Prüfungsangst und Lernen: empirische Analysen
zum Einfluss fachspezifischer Leistungsängstlichkeit auf
schulischen Lernfortschritt. Münster: Waxmann.
Schneewind, K. (2003). Freiheit in Grenzen. Begründung eines
integrativen Medienkonzepts zur Stärkung elterlicher
Erziehungskompetenzen. München: Department für
Psychologie der LMU.
Schneewind, K. & Böhmer, B. (2009). Kinder im Grundschulalter
kompetent erziehen. Der interaktive Elterncoach „Freiheit in
Grenzen“. Bern: Hans Huber.
Schneider, W. (2001). Training zur phonologischen Bewusstheit.
In K. J. Klauer (Hrsg.), Handbuch Kognitives Training (2.
Aufl.; S. 69-95). Göttingen: Hogrefe.
Schönweiss, P. (2006). Lernserver Fördermappe 4: Dopplung.
Münster: Lernserver.
Schönweiss, P. (2006). Lernserver Fördermappe 6: Dehnung.
Münster: Lernserver.
Schönweiss, P. (2006). Lernserver Fördermappe 7: Gross- und
Kleinschreibung. Münster: Lernserver.
Schulte-Körne, G. (2004). Elternratgeber Legasthenie: Frühzeitig
erkennen, optimal fördern, gezielt therapieren, liebevoll begleiten.
München: Knaur.
Schulte-Körne, G. & Mathwig, F. (2009). Das Marburger
Rechtschreibtraining. Bochum: Winkler.
Sennlaub, G. (2006). Von A bis Zett: Wörterbuch für Grundschulkinder. Berlin: Cornelsen.
266
Simon, H. & Grünke, M. (2010). Förderung bei Rechenschwäche.
Stuttgart: Kohlhammer.
Sommer-Stumpenhorst, N. (2006). Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten: Vorbeugen und überwinden. Berlin: Cornelsen.
Spera, C. (2005). A review of the relationship among parenting
practices, parenting styles, and adolescent school
achievement. Educational Psychology Review, 17, 125-146.
Spitzer, M. (2007). Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens.
München: Spektrum.
Tacke, G. (2005). Flüssig lesen lernen 2/3. Elternband: Ein
Leseprogramm für die Klasse 2 und 3 der Grundschule. Mit Hilfe
der Eltern. Übungen, Spiele und eine spannende Geschichte.
Stuttgart: Klett.
Tacke, G. (2011). Eltern helfen ihrem Kind. Das 10-MinutenRechtschreibtraining: Ein Programm zum Aufbau der
Rechtschreibkompetenz ab Klasse 3 der Grundschule. ... für das
Lernen zu Hause. Grundkurs. Donauwörth: Auer.
Warnke, A., Hemminger, U., Roth E. & Schneck, S. (2002).
Legasthenie. Leitfaden für die Praxis: Begriff, Erklärung,
Diagnose, Behandlung, Begutachtung. Göttingen: Hogrefe.
Weber, J. (2003). Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und Legasthenie.
Verursachungsfaktoren und Fördermöglichkeiten. Hamburg:
Kovac.
Weiner, B., Frieze, I. H., Kukla, A., Reed, L., Rest, S. &
Rosenbaum, R. M. (1971). Perceiving the causes of succes and
failure. New York: General Learning Press.
267
Herunterladen