Ich will mehr likes

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Ich-Booster im Internet: Ich will mehr
Likes!
Benedikt Müller
Daumen hoch: Die Schülerin Anna-Luisa hält sich bei Facebook eher zurück
Online muss sich heute jeder selbst vermarkten. Richtig Posen und
Ausleuchten gehören dazu. Dem Magazin "Yaez" erklärten Kiara, Paul und
Anna-Luisa, wie viel sie im Web von sich zeigen - und was sie lieber nicht
hochladen.
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Landschaftsaufnahme mit Retro-Filter: 21 Likes. Duckface-Selfie: 45 Likes.
Schnappschuss mit dem Lieblingshund: 62 Likes. Ein Kommentar vom Schwarm:
unbezahlbar.
Jeder, der schon mal auf Facebook Fotos, Videos oder Links gepostet hat, hat nach
kurzer Zeit verstanden, was im Netzwerk gut ankommt, welche Posts also die besten
Chancen haben, mit besonders vielen Likes ausgezeichnet zu werden. Manchen
Leuten ist es sogar richtig peinlich, wenn ihr Foto kein einziges Mal gemocht wird sie löschen es nach einer halben Stunde wieder. Beim nächsten Mal wird sich mehr
Mühe gegeben in der Auswahl des Motivs. Vielleicht war aber auch der Spruch nicht
originell genug.
Keiner kann es leugnen: Wir alle freuen uns über positive Reaktionen, wenn wir
etwas aus unserem Leben teilen. Und sind ein bisschen enttäuscht, wenn es keinen
interessiert. Um nicht immer wieder feststellen zu müssen, dass unsere Bilder oder
Videos von niemandem beachtet werden, lernen wir schnell, was gut ankommt - und
richten unsere "Öffentlichkeitsarbeit" auf die Gesetze der sozialen Aufmerksamkeit
aus. Wir lassen uns konditionieren.
Irgendwann verliert man das Gefühl für sich selbst
Die Regeln sind klar: Je angesagter die Location ist, in die man sich eincheckt, desto
mehr Leute sind beeindruckt. Je stylischer das Outfit auf dem Selfie, desto mehr
begeisterte Kommentare. Also überlegen wir genau, was wir von unserem Leben
preisgeben. Wir wägen ab, selektieren - und präsentieren dann die bestmögliche
Version von uns. "Wir lernen, dass ein Post aus dem Museum weniger für Furore
sorgt als einer von der Kartbahn. Diesen Regeln unterwerfen sich die Nutzer sozialer
Netzwerke. Anstatt also zu leben, macht man sich Gedanken darüber, was man
berichten kann - diese Gefallsucht kann zur Falle werden", sagt Heike Kaiser-Kehl,
Diplom-Psychologin bei dieonlinepsychologen.de. Hier berät die 49-Jährige
Hilfesuchende schriftlich und telefonisch.
Das Problem sieht die Expertin auch darin, dass es irgendwann in Stress ausarten
kann, auch ja etwas Aufregendes aus dem eigenen Leben in die digitale Welt
hinausposaunen zu müssen. Was aber, wenn gar nichts Spannendes passiert? "Man
betrachtet das eigene Leben zunehmend durch die Augen anderer, weil die
Außenwirkung das Allerwichtigste wird", sagt Heike Kaiser-Kehl. "Wer sich für
Facebook und Co ein zweites Ich erschafft, kann in seiner Eigenkreation gefangen
bleiben. Im Extremfall zieht sich derjenige aus der wirklichen Welt zurück, weil er
von den echten Freunden nicht enttarnt werden will", weiß Heike Kaiser-Kehl und
warnt, dass es auch zum Zwang werden kann, sich möglichst hip im Netz zu
präsentieren. Denn an einem gewissen Punkt verliert man das Gefühl für sich selbst.
Klar, für manche kann die Jagd nach der eigenen Optimierung zur Falle werden, für
andere hingegen zum Ansporn, wirklich etwas aus dem eigenen Leben zu machen
und so das Optimum aus sich herauszuholen. "Man erschafft sich einen Schuh, in
den man noch reinwächst - das wäre dann ein positiver Aspekt der digitalen
Selbstoptimierung. Eine Art Motivation, das Beste aus dem eigenen Leben zu machen
und die Dinge anzupacken", gibt Heike Kaiser-Kehl zu bedenken.
Wann die Selbstinszenierung zum Problem wird
Die Selbstdarstellung in sozialen Medien ist also nicht rein negativ aber auch nicht
unbeschränkt positiv. Denn: "Positives Selbstdarstellen ist für jeden ein Anliegen,
nicht nur im Internet. Es ist ganz natürlich, dass man sich einen guten Standpunkt in
der sozialen Gruppe wünscht, bei Jugendlichen ist das sogar noch stärker als bei
Erwachsenen. Generell gilt: Je stärker die Persönlichkeit, desto weniger braucht man
die Bestätigung", sagt Jugendpsychologe Holger Simonszent.
Die Problematik aber ist, dass viele ihre soziale Gruppe im Internet gar nicht kennen,
sich also für Fremde inszenieren. Bedenklich für die Psyche wird diese Sucht zur
Selbstdarstellung, weil man bis zum 25. Lebensjahr die eigene Persönlichkeit
ausbildet. Wer sich also in der Pubertät nur danach richtet, wie die Facebook-
Freunde einen finden, könnte auf dem Holzweg sein. Denn 600 Verbindungen sind
noch lange kein fester Freundeskreis.
Und was, wenn einem klar ist, dass man längst für die Selbstinszenierung im Netz
lebt? "Ich empfehle, erst einmal komplett auszusteigen und wieder ein echtes Leben
zu entwickeln. Eine Übung in Achtsamkeit kann jetzt helfen: Wie würde ich mich
selbst beschreiben, wenn keiner zuhört? Und dann sich eins klarmachen: Jeder reale
Freund ist eine Errungenschaft", erklärt Heike Kaiser-Kehl.
Damit sich keiner Sorgen machen muss: Wer sich über einen netten Kommentar
oder ein paar Likes freut, hockt noch lange nicht in der Selbstoptimierungsfalle. Wer
aber merkt, dass die eigene Stimmung stark von der Bewertung anderer abhängt,
sollte sich mal Gedanken machen. Jeder hat ein Verlangen nach Anerkennung, keine
Frage. Aber wer seinen Tagesablauf danach ausrichtet, wann er welches Foto von
sich bei Instagram teilt, sollte innehalten und überlegen, ob es nicht auch ganz schön
anstrengend ist, sich ständig im Netz von der Schokoladenseite präsentieren zu
müssen.
Vielleicht sollten wir uns alle viel öfter mit einem Eis auf eine schöne Wiese setzen
und das Leben genießen. Einfach so. Ohne davon ein Foto zu machen, ohne uns
einen flotten Spruch zu überlegen, ohne ein Tweet. Einfach nur die Vögel zwitschern
hören, die frische Luft atmen und das Gras streicheln. Nur für uns selbst und
niemanden sonst.
Benedikt Müller
Kiara, 16, besucht die 9. Klasse am Gymnasium
Kiara, wie wichtig ist es dir, in sozialen Medien gut anzukommen?
Ich achte schon darauf, wer meine Posts mit einem "Gefällt mir" markiert. Ich freue
mich dann, wenn es coole Leute sind. Und ich schaue mir ein Bild genau an, bevor
ich es hochlade, aber das passiert schon fast unterbewusst. Auf der anderen Seite
würde ich auch mal etwas posten, für das ich nicht so viele Likes bekomme verbiegen werde ich mich niemals für meine Facebook-Freunde.
Kennst du Leute, die sich richtig einen Kopf um ihr Image im Netz machen?
Die kennt doch jeder! Ich bin mit Leuten bei Facebook befreundet, die in der Schule
total schüchtern sind und dann im Netz ein ganz anderes Bild von sich zeigen. Ganz
extrem ist es bei den Fünftklässlern, ich bin einmal in der Woche als Mediator bei
ihnen. Die Konflikte drehen sich immer wieder um einen Chat, den die ganze Klasse
bei WhatsApp hat. Da werden Fotos und Videos herumgeschickt, was manchen nicht
passt. Alle Streitereien werden über diesen Chat ausgetragen. Die sind alle schon
total süchtig und leben wie in einer Parallelwelt.
Wo siehst du hier die größte Gefahr?
Die ganze Klasse definiert sich darüber, was andere im Chat über einen schreiben.
Da wird eine Schülerin beleidigt und fühlt sich angegangen. Ich versuche dann
herauszufinden, warum die Mitschüler das geschrieben haben, und möchte den
Konflikt aufklären. Oft hilft es, miteinander zu reden. Wahrscheinlich wäre man
schon ein Stück weiter, wenn nicht alle Fünftklässler ein Smartphone hätten.
Benedikt Müller
Paul, 19, studiert im ersten Semester
Paul, wie wichtig ist es dir, was andere im Netz über dich denken?
Heute ist es mir ehrlich gesagt egal, ich bin da entspannter geworden. Irgendwann
weiß man ja, wer man selbst ist. Und wenn man sich mag, hat man auch nicht das
Bedürfnis, sich selbst anders darzustellen.
Und wie war das früher?
Als ich jünger war, so mit 14, war das anders. Da habe ich auch Bilder hochgeladen
und genau darauf geachtet, wie viele Likes es dafür gibt. Heute nutze ich Facebook
eher wie einen Newsstream. Mich interessiert, welche News und Artikel mein
Netzwerk empfiehlt. Und klar achte ich darauf, dass keine üblen Partybilder von mir
gepostet werden - was soll denn mein zukünftiger Arbeitgeber denken?
Kennst du auch Leute, bei denen das anders ist?
Ja klar, bei denen ist das wie eine Sucht. Da gibt's jede Woche ein Selfie, und
dauernd hängen sie in einem anderen tollen Restaurant ab. Ich glaube: Mit je mehr
Leuten man auf Facebook befreundet ist, die einen im wahren Leben nicht kennen,
desto mehr kann man diese Spielchen spielen. Weil die dann ja nicht checken, dass
das alles Inszenierung ist. Deine echten Freunde nehmen dir deine Scheinidentität
aber nicht ab. Die zeigen dir höchstens einen Vogel.
Benedikt Müller
Anna-Luisa, 15, besucht die 10. Klasse am Gymnasium
Anna-Luisa, hast du dich selbst schon einmal dabei erwischt, dein Leben für
die Leute im Netz toller darzustellen?
Eigentlich nicht, ich bin nämlich eher passiv auf Facebook. Es interessiert mich mehr,
was andere posten. Mir ist es wichtig, dass sich die Menschen persönlich ein Bild von
mir machen. Deshalb gebe ich nicht so viel von mir im Internet preis. Und wenn ich
mein Essen jemandem zeigen will, schicke ihm einfach ein Foto.
Wie kam es zu deiner Einstellung?
Die war nicht von Anfang an da, auch ich kenne diese Verführung, sich im Internet
präsentieren zu wollen. Aber meine Eltern haben mir immer gesagt, wie wichtig es
ist, man selbst zu sein und erst mal in Ruhe herauszufinden, wer man ist. Sie wollen,
dass ich mich unabhängig davon mache, was andere denken und tun. Ich sehe das
wie ein Projekt, mich von anderen nicht beeinflussen zu lassen.
Beobachtest du also auch, wie andere sich inszenieren?
Ich finde es total interessant zu sehen, wie sich Leute darstellen. So bekommt man
ein Gefühl dafür, wie sie sich ihr Leben erträumen und wer sie gern wären. Bei
manchen spürt man eine richtige Sucht nach Anerkennung und Aufmerksamkeit.
Wenn ich die Person dann mal wieder im echten Leben treffe, bin ich manchmal
enttäuscht, weil man sich über nichts mehr austauschen kann - ich weiß ja schon
alles über Facebook.
Von Kira Brück (Text) und Benedikt Müller (Fotos) für das
Jugendmagazin "Yaez"
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