Zwischen "Fresswelle" und Konsumverzicht Eine vor kurzem von der Gesellschaft für Konsumforschung vorgelegte Studie hat bestätigt : Die Deutschen kaufen so wenig wie seit Jahrzehnten nocht. In einem Beitrag blickt der Kieler Historiker Dr. Jan-Hendrik Dany auf das Kaufverhalten der Deutschen seit dem Zweiten Weltkreig zurück und verdeutlicht, wie ernst die mommentane Lage ist. "Abwarten und auf bessere Zeiten hoffen", so lautet derzeit das Motto der Verbraucher, Die wirtschaftliche und politische Stagnation, aber auch die Ungewissheit über die weitere Entwicklung in der Irak-Frage verunsichert die Deutschen. Zudem befürchten nichtwenige, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Eine Rückkehr früherer Kauflaune ist einer solchen Situation vorerst nicht zu erwarten. Dem Einzelhandel jedoch beschert die Konsumzurückhaltung dramatische Umsatzeinbrüche. Ein Rückblick auf das Verbraucherverhalten in Deutschland seit 1945 zeigt, dass die Stimmung selten so schlecht war wie zu Zeit. Die Stunde Null: Kampf ums Überleben Nach der "Stunde Null " 1945 konnte von Konsum im heutigen Sinne keine Rede sein; an den Kauf von Luxusgütern war im nicht entferntesten denken zu. Stattdessen ging es ums nackte Überleben. Nur mit wenig Improvisationstalent und Leidensfähigkeit gelang es den Deutschen, sich in den Krümmern der Nachkriegsjahre zu behaupten. Ausbombung, Wohnungsnot, gigantische Flüchtlingsströme und Zeit. Hungersnöte bestimmten die damalige Viele Deutsche waren unterernährt- bis hin zu Hungerödemen. Heute längst selbstverständliche Genussmittel wie Zigaretten oder Schokolade konnten sich die wenigsten leisten. So mancher Deutsche war sich nicht zu schade, Zigarettenkippen der Besatzungssoldaten aufzulesen, um wenigsten zwei, drei Züge rauchen zu können. Denn die "Hamsterfahrten" sicherten die Existenz mehr schlecht als recht. "Kohlenklau" wurde vielerorts von der Polizei geduldet, anderenfalls wären die Menschen schlichtweg erfroren. Wie überhaupt viele Güter wegen des dramatischen Werteverfalls der Reichsmark nur noch auf Schwarzmärkten erhältlich waren. Der Tauschhandel blühte. Doch das Zusammenwirken von Marschallplan, Marktwirtschaft und der Währungsreform 1984 verbesserte den allgemeinen Lebensstandard schnell und beträchtlich. Butter, Fleisch, Kaffee, Früchte, Bier und Wein, in den 1. Nachkriegsjahren unbezahlbare Mangelwaren, wurden allmählich zu Produktendes täglichen Bedarfs. Auch die Zahl der zugelassenen Privatwagen vervielfachte sich in den "goldenen Fünfzigern". Elektroherde, Radios und ein eigenes Bad begannen sich ebenso zu verbreiten wie die ersten Kühlschränke. Wachstumsraten von über zehn Prozent und der zügige Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft schufen den Mythos vom "Wirtschaftswunder". Ökonomen sehen dagegen im schnellen Wiederaufbau einer zuvor nahezu vollkommen zerstörten Volkswirtschaft einen normalen Prozess und kein Wunder. In der Geschichtswissenschaft wird der Begriff "Wirtschaftswunder" abgelehnt. Etliche Historiker sprechen jedoch mit Blick auf den ausgiebigen Konsum in Deutschland der fünfziger Jahre ein wenig abfällig vonder "Fresswelle". Die Intensität des Genuß orientierten Konsums jener Jahre lässt sich, bedenkt man die Entbehrungen der vierziger Jahre, aber auch als - allzu verständlicher- Nachholeffekt auffassen. Wohlstand für alle in den 60er Jahren In den 60er Jahren stieg der allgemeine Lebensstandart weiter. Ludwig Erhards Verheißung vom "Wohlstand für alle" beschrieb die Entwicklung angemessen. Den durch Vollbeschäftigung, ständige Lohnzuwächse und großzügig ausgeweitete Sozialleistungen waren alle Deutschen in der Lage, kräftig Geld auszugeben. Nun stiegen die Ansprüche bei Autos, Mobiliar, Kleidung, Elektrogeräten und auch beim Urlaub. War in den 50er Jahren eine Campingreise an die Nordsee oder nach Bayern Standard, so wurde nun am Gardasee gezeltet oder nach Spanien gefahren. Der Einkommensanteil, der für Vergnügungen und Luxusartikel ausgegeben werden konnte, stieg weiter. Auch wohnten immer mehr Deutsche in komfortablen Neubauwohnungen, manche bauten. Da alle in jenen Boomjahren profitierten und viele Industrieprodukte normiert waren, ließen sich Status-Unterschiede in der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft nicht mehr auf den ersten Blick erkennen. Der Soziologe Helmut Schelsky prägte den Begriff von der "nivellierten Mittelstandsgesellschaft". Die Mehrheit verfügte nun über ein familiengerechtes Auto, ein Telefon, einen Fernseher, mehrere Elektrogeräte. Diese erleichterten das Erledigen der Hausarbeit. Doch immer blieb noch Geld übrig, das zurückgelegt werden konnte, die Sparquote verdoppelte sich in den 60er Jahren. Der Umstand, dass die Menschen in Folge der der Arbeitszeitverkürzungen und Verlängerungen des Urlaubs immer mehr Freizeit hatten, heitzte den Konsum zusätzlich an. Zumal es den Bundesregierungen und der Bundesbank bis in die siebziger Jahre hinein gelang, die Inflationsrate trotz des jahrhundertelangen Aufschwungs niedrig zu halten. Inflation und Massenarbeitslosigkeit in den 70er Jahren Obwohl die sogenannte "Demokratisierung des Konsums" weiter ihren Lauf nahm, und am Ende des Jahrzehnts fast alle Bundesbürger einen (Farb-)Fernseher, eine komfortable Haushaltsausstattung, eine Fotoausrüstung, mindestens ein Telefon und erste Erfahrungen mit Flugreisen hatten, markierte die erste Ölkrise von 1973 eine Zäsur, eine Art Riss. Nach 25 Jahren ununterbrochener Steigerung des Lebensstandards, nach 25 Jahren Kaufffreudigkeit führt die durch das Preisdiktat der opec-Staaten ausgelöste Energiekrise zum Umdenken. Zwangsverordnete "autofreie Sonntage", der sprunghafte Anstieg der Teuerungsrate und die Kombination von vorübergehendem "Minuswachstum" und einer erschreckenden Zunahme der Arbeitslosigkeit veränderten die Einstellung zum Geldausgeben bei vielen Deutschen schlagartig. Als der Konsum in die Kritik gerät Hinzu kam, das die damalige Politisierung nahezu aller Lebensbereiche auch den Bereich Konsum einschloss. Die HippieKultur bewussten mit Abkehr ihrer von der Gesellschaft lehnte Konsum ohnehin ab. Doch auch in rechtsliberalen bürgerlichen Kreisen geriet das Kaufen, das ständige Ausweiten des persönlichen Besitzes in die Kritik. Die "Konsumgesellschaft" führe zu einer Sinnentlerung, allzu viele Menschen ließen sich, so die Kritik, von der Werbung künstliche Bedürfnisse aufoktoyieren. Darüberhinaus widersprachen Statussymbole dem seinerzeit populären Gedanken der Einebung sozialer Unterschiede. Dann war es eben kein Mercedes, Symbol konservativer Bürgerlichkeit, sondern ein Volvo oder Citroen. Marion Gräfin Dönhoff rief damals in der ZEIT zu "Selbstbescheidung und Konsumdisziplin" auf. Ein neuer Lebensstil sei nötig, um nicht die geistigen und moralischen Werte der Gesellschaft zu verlieren. Gleichwohl wussten auch Linksintellektuelle Gruppenzugehörigkeit und feine Unterschiede zu symbolisieren. In den 80er Jahren war die Tendenz, Konsum zu achten, wie weggeblasen. Im Gegenteil wurde nun in der Redaktion auf die 70-er Jahre und flankiert von einer auf Status und Ästhetik fixierten Jugendkultur mehr konsumiert als je zuvor. Hatten Feministinnen in den 70er Jahren Mode noch als Ausdruck des "patriarchalischen Systems" verdammt, und an Schulen und Universitäten Parkas und Patchwork-Pullover dominiert, zeigten sich "Yuppies" und "Popper" nun in feinstem italienischen Tuch. Auch die breite Masse entwickelte ein ausgeprägtes Modebewusstsein. "Hedonismus" nannten Gesellschaftswissenschaftler die Genussbereitschaft der 80er Jahre, in denen nach einer vollständigen Deckung deskomfortabel veranschlagten - Grundbedarfs nun Luxusprodukte und technische Neuerungen dem gesättigten Markt neue Impulse verliehen. Schallplattenspieler wurden ausgemustert und durch CD-Player ersetzt, Fernsehgeräte mussten fortan eine Fernbedienung haben, Videorecorder fanden reißenden Absatz. Zu lässiger Coolness gehörte für viele neben teurer Markenkleidung, bei der Herstellername oft unübersehbar aufgetickt war, neben einem Designerparfum und Trendhaarschnitt fortan eine äußerst aufwendig eingerichtete, durchgestylte Wohnung. Die 90er Jahre Der Trend zu immer mehr Prestigebewustsein und Komfortbedürfnis bestimmte auch die 90er Jahre. Nun waren es wieder neue High-Tech-Produkte, die gekauft wurden: ausgereifte CDs, Handys, DVD-Player und Digitalkameras. Die so genannte "Event-Kultur" sorgte dafür, dass viele Deutsche bereit waren, für außergewöhnlichen Unterhaltungsveranstaltungen und Reisen in exotische Länder tief in die Tasche zu greifen. Die Automobilindustrie verzeichnete einen "Cabrio-Boom". Ein wesentlicher weiterer Impuls für den Einzelhandel lag nach der deutschen Einheit zudem im gewaltigen Konsum-Nachholbedarf der Ostdeutschen, der durch die Währungsumstellung und durch verführerische Finanzierungsangebote angefacht wurde. Aber bereits 1992 /93 und 1997 zeigten die bundesbürger angesichts einer auch damals prekären wirtschaftlihcen Lage ein untrügliches Gespür für den Zeitpunkt, an dem es geboten schien, sich mit Neuanschaffungen zurück zuhalten. Mit den folgenden Aufschwüngen kehrte die Kauflust jeweils zurück. Eine solche zykliche Entwicklung ist mittelfristig auch für dieses oder für nächstes zu erwarten. Resümee Zweierlei führt den Blick auf das Kaufverhalten der letzten Jahrzehnte vor Augen. Zweierlei führt den Blick auf das Kaufverhalten der letzten Jahrzehnte vor Augen. Zum einen vollzieht sich die gegenwärtige Konsumflaute auf hohem Niveau: Ob, wie in den späten 40er Jahre, Lebensmittel rationiert wurden, oder ob die Anschaffung eines Dvd-Players verschoben wird, macht einen erheblichen Unterschied. Zum anderen zeigt die Sättigung des Basisbedarfs seit den 70er Jahren, Dass es den Verbrauchern leichter fällt zu sparen, da eine solide Grundausstattung ist vorhanden längst. Nichtsdestotrotz ist ein Großteil unserer Wirtschaft,eben weil es längst nicht mehr in erster Linie um Grundbedarfsdeckung geht, darauf ausgerichtet, dass Luxusprodukte gekauft werden obwohl ihre Anschaffung alles andere als überlebensnotwendig ist. Doch die Ausrichtung vieler Wirtschaftszweige auf Luxuskonsum macht den August der Lage aus, viele Betriebe und somit viele Arbeitspläzte sind durch die Kaufzurückhaltung akut gefährdet. Aus: Flensburger Nachrichten vom 1. März 2003 Zeitgeschehen Jan-Hendrik Dany