Direkte Bisshebung des Erosionsgebisses mit Adhäsivtechnik Durch das Konsumverhalten unserer Jugend, bedingt durch die teilweise extreme Aufnahme z. B. von sauren Softdrinks etc., kommt es vermehrt zum Verlust der Hartsubstanz der Zähne. Durch minimal invasive Präparation können in vielen Fällen mittels der direkten Adhäsivtechnik - Rekonstruktionen herbeigeführt werden. Keywords: Erosion, Attrition, Nanohybrid, Minimalinvasive Präparation, Bisshebung, Reflux, Bulimie, Sport, Multifaktorielles Geschehen Sowohl im jugendlichen als auch im erwachsenen Gebiss kommt es durch multifaktorielle Geschehen immer mehr zu Erosionen. Nicht nur durch die Aufnahme von sauren Softdrinks und Süßigkeiten, sondern auch durch die altersbedingte Abnutzung (Attrition) des Gebisses. In der heutigen Zeit ist die Totalversorgung mit Inlays und Onlays bzw. Kronen möglich, aber für den Großteil der Bevölkerung kommt diese Art der Versorgung aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Vorteile der direkten Adhäsivtechnik sind neben des finanziellen Aspekts die minimalinvasive Präparation und die Reparaturmöglichkeit.1,2 In den letzten Jahren wurde versucht ein universelles Restaurationsmaterial zu entwickeln, welches die physikalischen Eigenschaften der Hybrid Composite und die guten Poliereigenschaften der Mikrofüller Composite besaß. Diese Weiterentwicklung führte zu den Nanohybrid Composites. Diese bestehen aus Füllkörpern, deren mittlere Partikelgröße 0,6µm beträgt. Die Vorteile dieser neuen Composite sind unter anderem eine sehr gute Polierbarkeit und hohe mechanische Eigenschaften. So zeigte Palaniappan3 in seiner Studie eine höhere Abrasionsstabilität von Nanohybrid Compositen im Vergleich zu konventionellen Hybrid Compositen. Hier möchte ich einen Fall einer Bisshebung vorstellen, der mit der direkten Adhäsivtechnik mit Nanohybrid Composites durchgeführt worden ist. 1 Christensen G. A new technique for restoration of worn anterior teeth. J Am Dent Assoc 1995; 126: 1543-1547 2 Hemmings KW. Tooth wear treated with direct composite restorations at an increased vertical dimension: results at 30 months. J Prosthet Dent. 2000; 83(3):287-93. 3 Palaniappan S. Nanohybrid and microfilled hybrid versus conventional hybrid composite restorations: 5-year clinical wear performance. Clin Oral Invest 2012; 16: 181-190 (Palaniappan Senthamaraiselvi, Department of Conservative Dentistry, Catholic University of Leuven) Seite 1 Anamnese: Patient S.H. kam in die Ordination mit dem Wunsch die Abrasion: allgemein mechanisch verursachter abradierten Frontzähne aus ästhetischen Gründen zu Zahnhartsubstanzverlust verlängern. Sein Wunsch war die Wiederherstellung der Demastikation: Verlust von Zahnhartsubstanz ursprünglichen Bisshöhe besonders im sichtbaren Bereich der durch Nahrungszerkleinerung Front. Es wurde zuerst eine klinische Untersuchung Keilförmige Defekte: am Übergang an der durchgeführt, wobei festgestellt wurde, dass keine Karies Dentinschmelzgrenze durch exzentrische vorhanden war, sondern ein stark abradiertes Gebiss ohne Belastung der Zähne und/oder inadäquate Putztechnik Eckzahnführung. (Abb. 1+2) Beim Patienten wurden in einer vorherigen Behandlung als Sofortmaßnahme palatinale Plateaus Erosion: Substanzverlust ohne bakteriellen Einfluss meist durch Säureeinwirkung. nach Dahlprinzip4,5 angebracht. Es wurden keine Substanzverlust geht von außen nach innen. Kiefergelenksbeschwerden festgestellt. Bei dem Röntgenstatus Remineralisation ist nicht möglich. wurde als Zufallsbefund am Zahn 31 eine CAP (Chronische Attrition: Verlust der Zahnhartsubstanz durch Apikale Parodontitis) diagnostiziert. Seine Beschwerden lassen Kontakt mit anderen Zähnen sich auf eine einseitige Ernährung - 3l Coca-Cola (pH 2,66) und eine Tafel Schokolade pro Tag – sowie psychischen Stress zurückführen. Ziel: Herstellung von Funktion und Ästhetik durch direkte minimale Adhäsivtechnik mittels eines Nanohybrid Composites Behandlungsplan: 1. Herstellung von Studienmodellen 2. Bestimmung der vertikalen Dimension und Bissnahme mit ATB 3. Diagnostisches Wax-Up + Herstellung eines Duplikatmodells 4. Herstellung einer Schiene mit der definitiven Höhe, welche der Patient für ca.1-3 Monate tragen sollte 5. Herstellung einer Durasoft® Schiene für die Weiterführung der adhäsiven Versorgung Der Patient wurde darüber aufgeklärt, dass es nur möglich ist, die Front in die ursprüngliche Lage zurück zu versetzen, wenn auch im Seitzahnbereich eine Bisshebung durchgeführt wird. 4 Dahl BL, Krogstad O. The effect of a partial bite raising splint on the occlusal face height. An x-ray cephalometric study in human adults. Acta Odontol. Scand. 1982;40(1):17–24 5 Poyser NJ, Porter RWJ, Briggs PFA, Chana HS, Kelleher MGD. The Dahl Concept: past, present and future. Br Dent J. 2005;198(11):669–676 6 Lussi Adrian, Jaeggi Thomas. Dentale Erosionen – Von der Diagnose zur Therapie. 2009; S. 43 Seite 2 Der Behandlungsplan wurde dem Patienten vorgestellt und mit dem Einverständnis des Patienten zur Vorgehensweise, wurden Abdrücke für die Herstellung von Studienmodellen angefertigt. Der Patient wurde angewiesen einen Tag vor der Bissnahme einen Aqualizer™ (high, 3mm Bisshöhe) zu tragen. Es wurde ein anatomischer Transferbogen (ATB) mit Bite Tab™ Compound Disks auf der Bissgabel angelegt und der Biss mittels Polyvinylsiloxan (Futar®) in definitiver Höhe genommen. Die gewünschte Bisshebung betrug für den Ober- und Unterkiefer insgesamt 4mm. Im zahntechnischen Labor wurde ein diagnostisches Wax-Up erstellt und Duran® Schienen (Scheu Dental) angefertigt. Der Patient wurde angewiesen diese Schienen für 6 Wochen zu tragen. Die Schienenkontrollen erfolgten regelmäßig in 14tägigem Abstand. Da der Patient die Schienen in definitiver Bisshöhe und neu aufgestellter Eckzahnführung gut vertrug und keine Probleme auftraten, konnten weitere Termine für die endgültige Versorgung mit direkter Adhäsivtechnik vereinbart werden. Anhand der duplierten Wax-Up Modelle wurden zwei neue Durasoft® Schienen mit je 1,8mm Stärke für die Anwendung der direkten Adhäsivtechnik hergestellt. Okklusale vertikale Dimension Durch Erosion/Abrasion kommt es zum Absinken der vertikalen Dimension. Bei der Senkung der Bisslage kommt es meist zu einer Kondylusverlagerung nach hinten oben. Schmerzen werden durch den Druck auf das Genu vasculosum verursacht. Wichtig: Wissenschaftliche Untersuchungen unterstützen NICHT die Hypothese, dass Änderungen der Vertikaldimension für das stomatognathe System schädlich sind. 7 Grundbegriffe der Funktionslehre : • Bisshebungen können ohne negative Konsequenzen für das Kiefergelenk durchgeführt werden • Bei Bisshebungen größer als Ruheschwebelage: Schienen-Vorbehandlung notwendig 7 Rivera-Morales W. Mohl ND Relationship of vertical Dimension to the health of the masticatory system. 1991.; J.Prosthet Dent.65:547-553 Seite 3 Procedere 1. Sitzung: OK Seitzahnbereich Gabe von Lokalanästhesie minimalinvasiver Beschliff des Oberkieferseitzahnbereiches mit Präparation von Mikroretentionen regio 14-16 und 24-26 mittels Diamantschleifkörper, Airscaler mit Präparationsaufsätzen, sowie Eva Winkelstück für das Finieren der Ränder Anlegen des Kofferdams Isolierung der Nachbarzähne mittels Teflonband (Abb. 3) Schmelz- und Dentinkonditionierung mit Syntac® Bonding System Füllen der Durasoft® Schiene mit Nanohybrid Composite, Aufsetzen der Schiene auf präparierten Zahn (Abb. 4+5) Lichthärtung für 1-2s, Entfernen der Überschüsse, erneute Lichthärtung für 40s mit Polymerisationslampe (Valo® LED bis 3.200mW/cm2, Ultradent) Abnahme der Schiene Ausarbeitung und Politur (Abb. 6) Wiederholung des Vorgangs mit restlichen Seitzähnen des Oberkiefers 2. Sitzung: UK Seitzahnbereich Gabe von Lokalanästhesie Vorgang für Unterkieferseitzahnbereich (34-36, 44-46) analog zu 1.Sitzung 3. Sitzung: UK Front Gabe von Lokalanästhesie Abformung des duplierten Wax-Up Modells mittels Polyvinylsiloxan (zB. RSVP™) minimalinvasiver Beschliff UK regio 33-43 Abformung mit Polyäther (zB. Impregum™ Penta Soft, 3M) für Anfertigung von e-max Keramikveneers im zahntechnischen Labor Herstellung der Provisorien mit Polyvinylsiloxan Schiene und dualhärtendem Kunstharz (zB. Tuff-Temp Plus™) 4. Sitzung: a. UK Front Gabe von Lokalanästhesie Abnahme der Provisorien Schmelz- und Dentinkonditionierung mit Syntac® Bonding System Ätzung des Keramikveneers mit Flusssäure für 40s Befestigung des Keramikveneers mit dualhärtendem Composite Entfernen der Zementüberschüsse Lichthärtung für 40s Ausarbeitung und Politur (Abb. 7+9) Seite 4 b. OK Front Abformung des duplierten Wax-Up Modells mittels Polyvinylsiloxan (RSVP™) minimalinvasiver Beschliff OK regio 13-23 Auswahl passender Componeer® Verblendschalen (Coltene) Schmelz- und Dentinkonditionierung mit Syntac® Bonding System Befestigung der Componeer® Verblendschalen mittels Composite Entfernung der Compositeüberschüsse Lichthärtung für 40s Ausarbeitung und Politur (Abb. 8+9) Recall: Der Patient wurde über die korrekte Durchführung der Mundhygiene informiert (2-3x tgl. Zähneputzen, Interdentalraumpflege, fluoridhaltige Zahnpasta). Weiters sollte der Patient über notwendige regelmäßige Kontrollen in 4-6 monatigem Intervall, sowie eine empfohlene Umstellung der Ernährungsgewohnheiten aufgeklärt werden. z.B.: Vermeidung säurehältiger Getränke (siehe Tabelle) und nach einer Einnahme Neutralisierung mit Wasser, Milch, Käse etc. – erst frühestens nach einer halben Stunde Zähne putzen! Zahnschonende Kaugummis zur Stimulierung der Speichelfließrate. Weitere eventuelle Maßnahmen: Änderung der Zahnputztechnik, Refluxbekämpfung, Stressabbau, Psychotherapie, Schiene beim Sport Tabelle: pH-Wert verschiedener Getränke und Nahrungsmittel, titrierbare Basenmenge bis pH 7,0 („Pufferkapazität“) und die Härteveränderung in vitro (→ keine Erweichung oder geringe Härtezunahme. ↓ geringe Abnahme der Härte. ↓↓ deutliche Abnahme der Härte).8 Coca Cola Ice Tea Mineralwasser Gatorade Isostar Vodka Wein (rot) Apfelsaft Karottensaft Milch Kaffee Essig 8 Mmol OH-/l bis pH 7,0 17 26 14 47 56 50 77 72 70 40 3 741 pH 2,6 3,0 5,3 3,3 3,8 3,1 3,4 3,4 4,2 7,0 5,8 3,2 Härteveränderung ↓↓ ↓↓ → ↓↓ ↓ ↓↓ ↓↓ ↓↓ ↓ → → ↓↓ Lussi Adrian, Jaeggi Thomas: Dentale Erosionen – Von der Diagnose zur Therapie. 2009; S. 43 Seite 5 Diskussion: Durch die heutige stark verbesserte Adhäsivtechnik, besonders durch die Nanohybrid Composites, können Erosionsschäden ≥ 2mm behandelt werden (bis max. 4mm). Indirekte Restaurationen, die mittels keramischer Werkstoffe durchgeführt werden, sind zwar nicht abzulehnen, sind aber für ein bestimmtes Patientenklientel ganz einfach nicht leistbar. Weiters können bei diesen keramischen Werkstoffen sehr schwer Korrekturen bzw. Aufbauten direkt durchgeführt werden. Bei Composites (Nanohybrid) sind diese Verbesserungsarbeiten relativ leicht durchzuführen. Außerdem ist die schädliche Komponente in Bezug auf das Kiefergelenk nicht so groß wie bei den keramischen Füllstoffen (Keramiken sind härter als natürlicher Schmelz). Einer der größeren Probleme, die wir sicher in der nächsten Zeit in der Zahnheilkunde erleben werden, ist nicht nur die Periimplantitis, sondern auch craniomandibuläre Dysfunktionen. Besonderen Dank möchte ich Prof.Dr. Attin und OA Dr. Blunck aussprechen, deren Seminar „ Bisshebung des Erosionsgebisses mit direkter Adhäsivtechnik“ die Grundlage für diesen Bericht darstellt. Prof. Dr. Thomas Attin Universität Zürich Klinik für Präventivmedizin, Parodontologie und Kariologie OA Dr. Uwe Blunck Charité- Universitätsmedizin Berlin Charité Centrum 3 für ZMK, Abt. f. Zahnerhaltung und Präventivmedizin Seite 6 Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Seite 7 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Seite 8