Arbeitsmarkt- und Ausbildungsentwicklung in Luxemburg Luxemburg lebte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vorwiegend von der Landwirtschaft und war geprägt von einer für luxemburgische Verhältnisse hohen Auswanderungswelle. Viele Luxemburger suchten ihr Glück im fernen Ausland, darunter Länder wie Brasilien, Guatemala und die Vereinigten Staaten. Die Wende kam anfangs des 20. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung des Südens des Landes, welche dem Land zu Reichtum und Wohlstand verhalf. Parallel dazu wuchs die Nachfrage nach Arbeitskräften für die Stahlindustrie, die als Folge eine starke Einwanderungswelle auslöste, die von 1930 bis 1975 hauptsächlich von italienischen Zuwanderern und Anfang der 70er Jahre von portugiesischen Zuwanderern (als Arbeitskräfte für den Bausektor) beherrscht wurde. Nach der Stahlkrise der 70er Jahre erkannte das Land, dass die Stahlindustrie die Luxemburger Wirtschaft auf Dauer nicht aufrecht erhalten konnte. Somit orientierte sich die Entwicklung der Wirtschaft nach dem Aufbau eines neuen Standbeins, welches im Bereich des Dienstleistungssektors zunehmend Form annahm. Dieser Wandel in der Wirtschaft brachte auch eine Änderung des Bedarfs an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt. Die Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitskräften wuchs stark an und konnte nicht komplett mit einheimischen Fachkräften gedeckt werden. Hohe Löhne sowie attraktive Sozialbedingungen zogen viele Grenzgänger an. Die Zahl der Arbeitnehmer aus der nahen Grenzregion wuchs stetig an und beträgt zur Zeit etwa 150.000 Beschäftigte, fast 45% der gesamten arbeitenden Bevölkerung. Diese theoretisch ideale Situation wird mit den Zahlen des Arbeitsmarktes anders wiedergespiegelt. Aktuell beläuft sich die Arbeitslosenquote auf 6,1%. Auf Grund der Wirtschaftskrise der letzten Jahre verzeichnet Luxemburg heute einen relativ starken Anstieg der Arbeitslosenrate von etwa 10% jährlich. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind hauptsächlich die ausländischen Einwanderer, welche in Luxemburg meistens als unqualifizierte Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt tätig sind. Eine Analyse des derzeitigen Arbeitsmarktes und dessen Entwicklung führt zu folgenden Feststellungen: Luxemburg ist im Begriff sich zu deindustrialisieren; immer mehr Betriebe verlagern ihre Produktionen in Länder mit niedrigeren Lohnkosten. Die verbleibenden Industriestrukturen verlangen nach Fachkräften die höher qualifiziert sind. Fachkonferenz des IGR : « Ausbildung und Fachkräftesituation in der Grossregion A. De Carolis Directeur de la Formation Professionnelle au Ministère de l’Education Nationale, Luxembourg 1 Eine Erhebung der Verbände der Industrie, des Finanzsektors und des Handels ergab dass im gesamten Privatsektor eine immer grössere Nachfrage nach spezialisierten Arbeitskräften mit höheren Abschlüssen im Bereich Kommunikation und Informatik besteht. Eine ähnliche Entwicklung ist auch im Handwerk zu verzeichnen. Die Nachfrage nach dem nur praktisch arbeitenden Handwerker sinkt stetig und wird durch einen zunehmenden Bedarf an Handwerkern mit immer grösserem theoretischen Background ersetzt. Dieser schnellen Entwicklung im Fachkräftebedarf folgt das traditionnelle Ausbildungssystem nur schleppend. Der qualifizierte Arbeitskräftebestand im Handwerk setzt sich nicht mehr ausschliesslich aus Meistern und Gesellen zusammen, sondern immer mehr aus eingewanderten bzw. aus der Grenzregion stammenden Fachkräften die nicht das luxemburgische Bildungssystem durchlaufen haben. Eine Umfrage der Handwerkskammer Luxemburg ergab dass der Personalbedarf im Handwerk zu 76% aus qualifizierten Fachkräften und zu 14% aus Fachkräften mit höheren Abschlüssen geschätzt wird. Die Feststellung der Regierung und der Sozialpartner, dass das Berufsbildungswesen in Luxemburg veraltet war und nicht mehr den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes gerecht werden konnte, führte 2008 zu einer grundsätzlichen Reform der Berufsbildung. Ziele dieser Reform sind es: 1. Eine bessere Verzahnung zwischen der schulischen und der betrieblichen Ausbildung zu haben 2. Modular aufgebaute Rahmenlehrpläne zu erstellen, die den Änderungen des Arbeitsmarktes schneller und flexibler folgen können 3. Die Curricula aller Ausbildungsgängen nach Kompetenzen aufzubauen (also mit sogenannten learning outcomes zu beschreiben) 4. Ein kohärentes System des Life Long Learnings aufzubauen. So wurde z.B. mit diesem Gesetz die Anerkennung von informel und nicht formal erlangten Lernen eingeführt; Somit wird es dadurch möglich, Menschen mit einer langjährigen Erfahrung zu einer nationalen Qualifikation zu verhelfen. Zahlen belegen, dass Kompetenzen welche vom Arbeitsmarkt verlangt werden, sich schnell wandeln und nicht über die Erstausbildung gedeckt werden können, hauptsächlich über spezialisierte und vom Staat subventionierte Weiterbildungsmassnahmen gezielt abgedeckt werden. Einige Konstellationen von Weiterbildungsangeboten herauskristallisiert wovon zwei hier herausgegriffen werden: haben sich Fachkonferenz des IGR : « Ausbildung und Fachkräftesituation in der Grossregion A. De Carolis Directeur de la Formation Professionnelle au Ministère de l’Education Nationale, Luxembourg 2 Viele Betriebe (kleine, mittlere wie auch Grossbetriebe) bieten gezielte Weiterbildungslehrgänge für ihr Personal an; sei es innerbetrieblich oder extern in anderen spezialisierten Institutionen. Im Bausektor und im Bankensektor bildeten sich sektorielle Weiterbildungsinstitute, die von den Betrieben des jeweiligen Sektors finanziert wurden und die Nachfrage an spezialisierten Fachkräften abdecken. Der Industriesektor denkt auch über die Errichtung eines ähnlichen sektoriellen Institut nach. Um die Qualität und Effizienz des Bildungs- und Berufsbildungssystems zu verbessern, bedarf es einer immer feineren Analyse des Bildungs- und wirtschaftlichen Umfeldes, mit dem Ziel, den Bedarf an Qualifikation, die ein in ständigem Wandel sich befindenden Arbeitsmarkt verlangt, an die vom Bildungssystem (sei es Erstausbildung oder Weiterbildung) gelieferten Qualifikationen anzupassen. Mit dem Observatorium der Bildungsgänge (Observatoire de la formation) hat sich Luxemburg ein Instrument gegeben, das es den öffentlichen und privaten Entscheidungsträgern ermöglichen sollte, eine effizientere Bildungs- bzw. Weiterbildungspolitik zu betreiben. Ziele dieses Observatoriums sind unter anderem die Sachkenntnis in der Thematik Lebenslanges Lernen zu vertiefen; diese Sachkenntnis an die öffentlichen Instanzen, Betriebe und Arbeitnehmer weiterzuleiten; Partenariate zwischen öffentlichem Dienst und Privatsektor zu fördern um einen Austausch von Daten, Ergebnissen, aber auch von Methoden und “best practices” zu ermöglichen Zukunftsforschung zu betreiben um neu auftauchende Qualifikationen oder zu entwickelnde Kompetenzen aufzuspüren/aufzudecken. Desweiteren hat das Arbeitsministerium Ende 2011 ein Observatorium Beschäftigung (das sogenannte Observatoire de l’emploi) geschaffen. Dessen Ziele sind: die Situation und Evolution des Arbeitsmarktes besser zu kennen und zu verstehen; die im Bereich Arbeitsmarkt betriebene Politik und umgesetzte Massnahmen zu evaluieren; effiziente Massnahmen zu entwerfen und umzusetzen mit der Bestrebung, den Arbeitsmarkt und die Einwanderung in Luxemburg zu bestärken bzw weiter zu entwickeln. 4. Dezember 2012 Fachkonferenz des IGR : « Ausbildung und Fachkräftesituation in der Grossregion A. De Carolis Directeur de la Formation Professionnelle au Ministère de l’Education Nationale, Luxembourg 3