Exzerpt_Graf (II) - Friedrich-Schiller

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Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fakultät für Sozial-und Verhaltenswissenschaften
Institut für Soziologie
Seminar: Einführung in die Medizinsoziologie
Dozent: Tobias Franzheld (M.A.)
Mareike Graf
Lehramt JM Sozialkunde/Englisch
Matr.-Nr.: 120740
Exzerpt zu: Foucault, Michel (1991): Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des
ärztlichen Blicks, Frankfurt/M., S. 102 – 137.
Michel Foucault befasst sich in dem oben angegebenen Abschnitt mit Wissensstrukturen und
Machtpositionen der Medizin. Hierbei geht er besonders auf den ärztlichen Blick ein, welcher
manchmal über Leben und Tod eines Patienten entscheiden kann.
Zeichen und Fälle
Die Erwartungen an den ärztlichen Blick sind klar formuliert. So muss ein Arzt die kleinsten
Anomalien, Veränderungen und Variationen sofort erkennen, um Chancen und Risiken für
den Patienten erschließen zu können. Es hat sich vor allem in neuester Zeit die Intensität
geändert, mit der eine Krankheit vom Blick eines Arztes erkannt und wahrgenommen wird.
Dabei lässt sich klar feststellen, dass Theorie und Erfahrungen im ärztlichen Beruf nah
beieinander liegen.
Krankheiten zeigen sich dem Beobachter in erster Linie durch Symptome und Zeichen. Das
Symptom ist die Form, in der sich die Krankheit präsentiert. Ihnen kommt somit eine wichtige
Rolle im Feld der Medizin und des ärztlichen Blicks zu. Das Zeichen zeigt dagegen an, was
eintreten wird, was vorangegangen ist und was sich eben abspielt. Es ist somit prognostisch,
anamnetisch und diagnostisch. In der klinischen Methode knüpfet sich nun der ärztliche Blick
an das Feld der Symptome und Zeichen.
1. Die Symptome bilden eine primäre Schicht der unlöslichen Einheit von Signifikant und
Signifikat.
Alles was uns während der Krankheit gezeigt wird sind Erscheinungen. Die Symptome sind
daher naturgegeben und spielen die wichtige Rolle des souveränen Indikators. Das Symptom
bildet somit den Signifikant der Krankheit (= Ausdrucksseite, Bedeutung). In zweifacher
Hinsicht ist es ebenfalls Signifikat. Denn es beschreibt was die Krankheit beinhaltet
(=Inhaltsseite, Vorstellungsbild). Somit steht das Symptom klar in Beziehung zur explizit
sprachlichen Struktur des Zeichens.
2. Das Eingreifen des Bewusstseins transformiert Symptome zu Zeichen
Das Zeichen sagt eben das, was das Symptom ist. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es
kein Zeichen ohne Symptome gibt. Jedes Symptom ist somit ein Zeichen, aber nicht jedes
Zeichen ein Symptom. Das Symptom wird zum Zeichen und öffnet sich für den ärztlichen
Blick.
3. Das Sein der Krankheit ist in seiner Wahrheit vollständig aussagbar
Krankheiten gibt es nur in Elementen des Sichtbaren (Symptome und Zeichen) und folglich
im Element des Aussagbaren. Aus diesem Grund kann das Gesehene durch Sprache neu
konstruiert werden und ist somit Kommunizierbar. So sind Zeichen und Sprache kohärent.
Doch ein wichtiger Faktor ist die Wahrscheinlichkeit, welche als Spielraum angesehen wird.
Nach CABANIS gibt es allerdings Ungenauigkeiten in diesem Feld. Diese Ungenauigkeiten
sind der Leerraum in dem sich die Wahrnehmung von Fällen ausdehnen kann. Diese zeichnen
sich durch 4 Hauptmomente aus:
1. Die Komplexität der Kombination
Die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der einfachen Formen (zum Bespiel: Fieber,
Husten, Schnupfen) ergeben eine enorme Mannigfaltigkeit mit vielen Nuancen und
Kombinationen.
2. Das Prinzip der Analogie
Die Analogien, auf die sich der klinische Blick stützt, um an verschiedenen
krankheitsbedingten Zeichen und Symptomen festzuhalten, liegen zunächst in der Beziehung
der einzelnen Teile einer einzigen Krankheit. Erst danach wird die Verbindung zwischen einer
bekannten Krankheit zu einer zu erkennenden Krankheit gezogen.
3. Die Wahrnehmung der Frequenz
Das Fundament der medizinischen Gewissheit liegt nicht in der vollständigen Beobachtung
der Individualität, sondern in einer zur Gänze durchlaufenen Vielfalt individueller Fakten.
4. Der Kalkül der Gewissheitsgrade
Der Gewissheitsgrad hat von Beginn an einen hohen Rang an Geltung, da er zugleich das
Prinzip ihrer Analyse in konstituierende Elemente und die von Frequenzen ausgehende
Induktionsmethode ist. Sie kann als logische Zerlegung und als Arithmetik der Annäherung
auftreten.
Frage: Warum bezieht man hier nicht den Patienten mit ein und versucht gemeinsam zu
Handeln? Warum wird der Patient als eigentlicher Fall außen vor gelassen?
Sehen und Wissen
Im Denken des Klinikers ist das Beobachten an ein gewisses Schweigen gebunden. So ist es
paradoxer Weise so, dass der Blick (ohne die Sprache) tiefere Einblicke gewährt. Dinge
werden vernommen, weil sie gesehen werden. Aus diesem Grund kann man den Blick auch
als analytisch beschreiben. Wenn der klinische Bereich für alle Möglichkeiten der Sprache
und des Blickes offen sind, so bedeutet dies, dass es keine Grenzen oder Organisation gibt.
Grenzen und Formen gibt es nur wenn gemeinsame Codes den Begegnungsort des Arztes und
des Kranken definieren. Es werden 3 Methoden angewendet um diesen Ort zu bestimmen:
1. Das Wechselspiel von gesprochenen und wahrgenommenen Momenten in der
Beobachtung.
Der erste Moment gehört dem Auge, der zweite Moment der Sprache und der dritte Moment
der Wahrnehmung.
2. Der Versuch der Herstellung einer festen Korrelation zwischen dem Blick und der
Sprache.
Die sichtbare Symptomalogie der Krankheit und deren sprachliche Analyse bilden eine
Einheit.
3. Das Ideal einer erschöpfenden Beschreibung.
Die Sprache hat 2 Funktionen: die Exaktheit und die Benennungsfunktion. Nur durch einen
richtigen syntaktischen und semantischen Gebrauch der Sprache kann eine operationale
Herrschaft über die Dinge gewonnen werden.
Der klinische Blick ist somit ein horchender und sprechender Blick. Er ist immer ein
Stückweit an Sprache und Kommunikation gebunden und muss den Aspekt der
Wahrscheinlichkeit immer berücksichtigen.
4 epistemologische Mythen (Erkenntnis)
1. Alphabetische Struktur der Krankheit.
Bei einem pathologischen Zustand gibt es immer nur eine kleine Anzahl von
Grundphänomenen. Die Ordnung, in der sie auftauchen ist die Hervorbringung aller
verschiedenen Arten von Krankheiten.
2. Der klinische Blick unterwirft das Sein der Krankheit einer nominalistischen Reduktion.
Die Krankheit ist das Zusammentreffen der Umstände, die sie konstituieren.
3. Der klinische Blick unterwirft die pathologischen Erscheinungen einer chemischen
Reduktion.
Beim Vergleichen der ärztlichen Arbeit mit einer chemischen Reduktion wird deutlich, dass
die einzelnen Elemente isoliert werden müssen, damit die Zusammensetzung definiert und mit
anderen Verbindungen verglichen werden kann, um so auf das Gesamtbild zu schließen.
4. Die klinische Erfahrung identifiziert sich mit einer schönen Sinnlichkeit.
Die Analyse entfaltet sich auf der Ebene der Ästhetik. So hängt in der Medizin fast alles von
einem Blick oder einem glücklichen Instinkt ab. Der prüfende Blick der der Klinik setzt ein
offenes Feld voraus, er registriert und totalisiert, er rekonstruiert Schritt für Schritt. Seine
Welt ist die Sprache, denn nur so kann ihm Ausdruck verliehen werden. Somit verbindet er
sich mit Hören und Sprechen und fügt die beiden fundamentalen Aspekte des Sagens (was
vernommen wird und sagt) zusammen.
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