Glücksatlas Deutschland 2011 + Reform der Wirtschaftswissenschaften - E-Mail an Frau Kolbe vom 17.10.2011 Sehr geehrte Frau Vorsitzende der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ des Deutschen Bundestages, sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete, liebe Frau Kolbe, vor kurzem hat die Deutsche Post ihre erste Glückstudie, den „Glücksatlas Deutschland 2011“ vorgestellt. Diese Studie wurde vom Institut für Demoskopie Allensbach (Prof. Renate Köcher) und dem Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg (Prof. Raffelhüschen) auf der Grundlage der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und eigens für diese Studie erhobener aktueller Daten erstellt. Weltweit ist diese Glücksstudie – vor allem auch aufgrund der für Deutschland sehr guten Datenlage des SOEP – einzigartig. Wir wissen also, wo uns in Deutschland der „Schuh drückt“. Was hier empirisch vorliegt, deckt sich mit den Erkenntnissen der interdisziplinären Glücksforschung (Interesse vermutend füge ich meinen neuen Aufsatz, „Glücksforschung – Erkenntnisse und Konsequenzen für die Zielsetzung der (Wirtschafts-) Politik“ als Anlage bei. Dieser Beitrag wird demnächst veröffentlicht). Am 13.10.2011 feierte die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg (WiSo) ihr 50jähriges Bestehen. Andreas Pinkwart, Rektor der Handelshochschule Leipzig und früherer FDP-Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, wies in seiner Festrede darauf hin, dass die von Ökonomen erfundenen Modelle und Annahmen sowie die daraus entwickelten Finanzinnovationen, Vergütungssysteme und politischen Handlungsempfehlungen mit zur Finanzkrise 2008 führten. Und sie sind es auch, die nach seiner Überzeugung jetzt verhindern könnten, dass der Schaden begrenzbar bleibt. Pinkwart zitierte Joseph Stiglitz, der 2001 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, mit den Worten: „Wenn die USA ihre Wirtschaft erfolgreich reformieren wollen, dann müssen sie möglicherweise mit einer Reform der Wirtschaftswissenschaften beginnen.“ „Es rächt sich jetzt“, so Pinkwart beispielhaft „dass die Modelle des Kapitalmarktrisikos den Herdentrieb der Makler und Käufer ignorierten“ (in dem Aufsatz „Vermögensblasen und Geldpolitik“, der im Monatsbericht der Europäischen Zentralbank (EZB) im November 2010 erschienen ist, macht auch die EZB auf die Bedeutung des Herdentriebs aufmerksam und führt dazu aus, dass sie künftig mit ihrer Geldpolitik solchen Bewegungen entgegensteuern werde). Den Forderungen von Pinkwart und Stiglitz kann ich mich nur nachdrücklich anschließen. Ich habe mich in den letzten Jahren dazu auch immer wieder klar geäußert: Die Lehre und natürlich auch das, was unter „Forschung“ verstanden wird, muss sich in großen Teilen der Wirtschaftswissenschaften grundlegend (und zwar sowohl (!) dem Ziel („shared value“ statt „shareholder value“ so etwa Michael Porter) als auch dem Inhalt nach) ändern. „Werden die Ursachen für das Scheitern und die Unzulänglichkeiten der bisherigen (ökonomischen) Modelle nicht intensiv aufgearbeitet, scheint mir ein grundlegender Paradigmenwechsel nicht ausgeschlossen zu sein.“, so Pinkwart. „Occupy Wall Street, Frankfurt, Rom, …“ sprechen für sich. 1 Erfundene Modelle und Annahmen (Pinkwart) sind nicht nur aus sozialwissenschaftlicher Sicht (nahezu) nutzlos, sondern sogar höchst gefährlich, wenn sie die Grundlage für politische und unternehmerische Handlungsempfehlungen und Handlungen werden. Die Wirtschaftswissenschaften müssen sich mit dem (tatsächlichen) Menschen beschäftigen und dürfen nicht einfach einen Maschinenmenschen in ihrer Modellwelt unterstellen (zum Einstieg in die Behavioral Economics verweise ich etwa auf meinen Beitrag „Behavioral Economics – Erkenntnisse und Konsequenzen“, der im Juni dieses Jahres in der Zeitschrift WISU erschienen ist. Jochen Mai und Daniel Rettig – beide sind Redakteure der Wirtschaftswoche – haben vor kurzem zu diesem Thema ein Buch mit dem Titel „Ich denke, also spinn ich“ veröffentlicht. Die Deutsche Bundesbank hat im Monatsbericht Januar 2011 zu dieser Thematik mit dem Titel „Anlegerverhalten in Theorie und Praxis“ einen Aufsatz mit Lehrbuchcharakter (!) geschrieben). „Man soll die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht noch einfacher.“ Albert Einstein Im Juni 2007 fand in Siena (Italien) eine Tagung zur Glücksforschung statt. Der kanadische Ökonom John Helliwell hielt dort einen Vortrag, den er mit „Happiness Research meets Behavioral Economics“ überschrieb. Er sagte, beide Ansätze zusammen haben das Potential die Wirtschaftswissenschaften zu revolutionieren. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat ab August 2007 dann als Beschleuniger gewirkt. Wir leben sozusagen in „revolutionären Zeiten“. In der aktuellen Ausgabe der „Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik“ (Nr. 129, September 2011, S. 45-48) der Ludwig-Erhard-Stiftung Bonn, findet sich hierzu ein interessanter Bericht über die Tagung zur „Neuaufstellung oder Erweiterung der Ökonomie?“, die die Evangelische Akademie Tutzing und die Politische Akademie Tutzing zusammen im Mai dieses Jahres veranstaltet haben (http://www.ludwig-erhard-stiftung.de/files/orientierungen_0129.pdf). Am 5.9. hielt Erst Fehr von der Universität Zürich, der seit einiger Zeit schon als potenzieller Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften gehandelt wird, auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik – der größten deutschsprachigen Ökonomenvereinigung - in Frankfurt die diesjährige Thünen-Vorlesung zum Thema „Neuroökonomische Grundlagen wirtschaftlichen Verhaltens“. Die Financial Times Deutschland (ftd) berichtete über diese Vorlesung unter der Überschrift „Neuroökonom Fehr hebt gängige Lehre aus den Angeln“ (http://www.ftd.de/wirtschaftswunder/index.php?op=ViewArticle&articleId=2758&blogId=1 0) Hochschulen für angewandte Wissenschaften (Fachhochschulen) waren allerdings traditionell aufgrund ihres starken Bezugs zur und des Herkommens der ProfessorInnen aus der Wirtschaft weniger anfällig für „rein ausgedachte“ Modelle und Annahmen. Das Erfordernis einer mehrjährigen verantwortungsvollen Tätigkeit in der Wirtschaft nach der Promotion hat zumeist vor einer solchen Art des „Theoretisierens“ im und für den luftleeren Raum geschützt. Es ist keine Theorieferne , sondern vielmehr Realitätsnähe, wenn man (aus sozialwissenschaftlicher) Sicht Theorie als etwa begreift, was die Realität verstehen helfen soll. Da hilft eine Kunstlehre im „luftleeren Raum“, bei der sich die Ergebnisse rein logisch aus den Annahmen ergeben, nicht wirklich weiter. In den Wirtschaftswissenschaften, die Teil der Sozialwissenschaften sind, ist eine solche Kunstlehre vielmehr gefährlich, wenn daraus Handlungsempfehlungen für die reale Welt abgeleitet werden (so auch Pinkwart). Handlungsempfehlungen für die reale Welt, für reale Probleme sind jedoch gerade die Aufgabe der Sozialwissenschaften. 2 Dieter Kempf, der Vorstandsvorsitzende der in Nürnberg beheimateten Datev, der derzeit auch als Bitkom-Präsident der Branche der gesamten Informations- und Kommunikationsindustrie in Deutschland vorsteht , setzte sich bei der Veranstaltung zum 50jährigen Bestehen der WiSo nachhaltig dafür ein, dass den StudentInnen an den Hochschulen die Übernahme von „gesellschaftlicher Verantwortung“ beigebracht wird (ein ausführlicher Bericht zu diesem Festakt findet sich unter dem Titel „Korrektur muss in den Hörsälen beginnen“ in den Nürnberger Nachrichten vom 14.10., und zwar im Wirtschaftsteil). In der Fakultät Betriebswirtschaft der Georg-Simon-Ohm Hochschule sind wir den Gedanken der Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Verantwortung traditionell verbunden. Bereits in den 90er Jahren haben wir den Schwerpunkt „Umweltorientierte Unternehmensführung“ eingeführt und darüber hinaus Fragen der Nachhaltigkeit in eigenen Pflichtveranstaltungen (des Grundstudiums) thematisiert. Erinnern möchte ich auch an unsere diesjährigen Erstsemester-Einführungstage (EET), an denen Anfang Oktober über 500 Erstsemestern teilgenommen haben. Die zweitägigen EET standen unter dem Motto des „Ehrbaren Kaufmanns“. Die IHK Nürnberg für Mittelfranken und ihr Präsident, Dirk von Vopelius, haben uns hierbei massiv unterstützt. Mit den besten Grüße aus Nürnberg Ihr Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel Professur für Makroökonomie, insbesondere Geld- und Währungspolitik sowie Psychologische Ökonomie und interdisziplinäre Glücksforschung an der Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg, Fakultät Betriebswirtschaft www.ruckriegel.org PS: Am 28. November wird um 16.00 Uhr in Bayern Alpha, dem Bildungskanal des Bayerischen Rundfunks, ein Film zum Glück/ zur Glücksforschung gesendet. An diesem Film haben vonseiten der Wissenschaft der Neurobiologe Manfred Spitzer und ich mitgewirkt. 3