Trauer ist wie ein Garten (DOCX | 19.8 KB) - Barbara Pachl

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Trauer ist ...
Trauer ist wie ein Garten. In diesem Garten gab es noch vor kurzem ein Gemüsebeet, das wir
mit all unserer Liebe pflegten. Die Früchte schmeckten uns besser als alles auf der Welt. Geben
und Nehmen, Säen und Ernten waren im Einklang, und wir waren glücklich.
Der Tod kam, und er ließ Beton regnen, mitten auf unser Beet. Nun stehen wir vor der kahlen
Fläche und wissen nicht, was wir tun sollen. Alles, was wir kannten, hat seinen Sinn verloren. Wir
erstarren fassungslos. Wir verkriechen uns, wollen die Katastrophe nicht sehen. Manchmal holen
wir ein Werkzeug aus dem Schuppen und schlagen schreiend auf den Beton ein, doch das nützt
gar nichts. Wir gießen stundenlang, auch wenn wir wissen, dass es vergebens ist. Wir graben am
Rand des Steins, und wühlen mit bloßen Händen, bis sie bluten.
Wir hungern, weil uns nichts mehr schmeckt, was nicht aus unserem Garten stammt. Wir
verreisen, in der Hoffnung, dass der Beton verschwindet, während wir nicht zu Hause sind. Wir
kommen zurück und sehen, dass sich nichts geändert hat. Wir wollen alles verkaufen,
verschenken, wir wollen flüchten, doch wir wissen nicht wohin. Wir können doch an nichts
anderes denken als an den Beton, der alles zerstört hat, was uns wichtig war.
Irgendwann beginnen wir, uns umzusehen. Wir bemerken, dass unser Garten größer ist als
das trockene Stück Beton. Wir fassen Mut. Wir überlegen, neue Beete zu erschließen, hinter dem
Haus, neben dem Brunnen, dort drüben, am Sonnenplatz.
Die Arbeit ist anstrengend. Sie gelingt nur langsam voran, es braucht viele Pausen. Immer
wieder kehren wir zurück zum Betonfeld, um zu weinen, zu fluchen, zu trampeln oder einfach nur
zu sitzen und in die Luft zu starren. Die Nachbarn rufen uns liebe Worte zu. Wir hören sie nicht
immer, doch ab und zu bedanken wir uns für eine Rübe und ein paar Kartoffen, die man uns
schenkt.
Wir werden kräftiger. Erste Erfolge stellen sich ein. Wir erkennen: der Betonregen hat unser
Beet zerstört, aber es gibt vieles, was er uns nicht nehmen konnte. Immer noch besitzen wir
unsere Werkzeuge – auch wenn einige kaputt gegangen sind, als wir auf den Beton einschlugen.
Wir besitzen die Erfahrung der vielen Jahre, das Wissen darüber, was Pflanzen brauchen, um zu
wachsen, wir kennen unsere Lieblingsfrüchte und wir wissen, wie wir die Samen am besten
aussähen. Wir besitzen Geduld und Vertrauen in die Rhythmen der Erde. Und es gibt noch etwas,
das der Beton nicht umbringen konnte: unsere Sehnsucht. Unsere Träume vom nächsten
Frühling, vom diesem ersten Tag im Mai, an dem der neue Keim aus der Erde schießt, vom
Geschmack der reifen Kirschtomate.
Wir sind Gärnter, immer noch. Wir legen uns auf den Beton und spüren, dass gleich unter ihm
die Erde schläft und mit ihr eine Zeit, für die wir dankbar sind. Die Zeit, die uns alles beigebracht
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hat, was wichtig ist, um weiterzugehen. Die Zeit, die uns für immer träumen und für unsere
Sehnsucht einstehen lässt.
Wir kaufen uns Straßenkreide und malen Blumen auf den Beton. Da, wo kein Garten mehr ist,
blüht jetzt die Phantasie. Daneben keimen neue Pflanzen, aus den Samen, die wir säten, aus der
Erfahrung, die sie nährt und aus dem Regen, dem wir wieder vertrauen.
Ab und zu keimt eine Pflanze, die uns überrascht. Ihre Wurzel hat sich ihren Weg gebahnt, sie
kommt aus der Erde unter dem Beton. Wir staunen über die stille Kraft, die in zarten,
verschütteten Pflanzen steckt und sind gerührt über die kleinen Blätter, die von selbst
auftauchen wie ein Geschenk.
Irgendwann steht auf dem Beton ein Liegestuhl. Die Blumen aus Straßenkreide locken Kinder
an, die weitermalen. Gäste sitzen bei uns und hören zu, wie wir von der Arbeit erzählen, die
hinter uns liegt. Sie beißen in die Paprikaschote, die anders schmeckt als ihre - wir haben neue
Sorten ausgesucht und ein bisschen experimentiert. Nicht jeder Samen ist aufgegangen. Doch
alles, was nun wächst, haben wir selbst gepflanzt.
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