Crisis Resource Management Jennifer Borgmann & Anja Herrman Seminar: Trauma & Traumaverarbeitung Crisis Resource Management 29.11.2007 1 Inhalt • • • • • Einleitende Studie (Institut of Medicine „To err is human“) Beispiel aus der Luftfahrt Bestehende Fehlerkultur Crisis Resource Management (CRM) Incident Reporting Systeme Crisis Resource Management 29.11.2007 2 Institut of Medicine: „To err is human“ • • • Fehler in der Medizin gehören zu den 10 häufigsten Todesursachen bei stationär aufgenommenen Patienten vermeidbare Fehler rangieren deutlich vor Todesursachen wie Brustkrebs, AIDS und tödlichen Verkehrsunfällen. „five jears after to err is human” wurden die zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen neuerlich zusammengefasst (Leape et al. 2005) Resultat: das Problem ist größer als 1999 angenommen Crisis Resource Management 29.11.2007 3 Schlüsselbotschaften von „to err is human“ 80% aller Komplikationen und Katastrophen sind auf das Team und/oder Kommunikationsdefizite zurückzuführen kritischen Faktor: herrschende „Fehlerkultur“ • Wir leben in einer Kultur, die Fehler für unmöglich hält „culture of blame“ Crisis Resource Management 29.11.2007 4 „naming, blaming, shaming“ Fehler haben immer noch den Beigeschmack v. Schuld oder Unfähigkeit Management 29.11.2007 oder werden gleich mitCrisis derResource Verurteilung der gesamten Person verknüpft. 5 Beispiel aus der Luftfahrt Die Luftfahrt bietet hinsichtlich der Ursachen von Fehlern einige Parallelen zur Medizin. 1978 stürzte eine Linienmaschine mit 181 Passagieren ab Was war geschehen? defekte Kontrolllampe Der Pilot setzte sich über die Empfehlung des Copiloten weg, dass Flugzeug trotzdem zu landen kreiste über dem Flughafen bis das Flugzeug wegen Treibstoffmangel abstürzte 10 Tote Landung bei nicht ausgefahrenem Fahrwerk i. d. R. ohne Verlust von Menschenleben Crisis Resource Management 29.11.2007 6 möglich Warum können wir mit unseren Fehlern so schlecht umgehen? Anspruch eine komplexe Situation (eine Operation oder das Fliegen) fehlerfrei beherrschen wollen. Fehler sind dabei negativ besetzt führt dazu, dass Fehler nicht bearbeitet, sondern vergessen und verdrängt werden (die Umstände sind schuld) gilt insbesondere für Fehler die folgenlos geblieben sind Crisis Resource Management 29.11.2007 7 „Wir können Fehlern nur adäquat begegnen, wenn wir akzeptieren, dass wir Fehler machen.“ passive Fehler (Unterlassen einer Handlung) in dynamischen Umgebungen wie die der Notfallmedizin gefährlich „nichts tun“ ist auch eine andauernde aktive Entscheidung aktive Fehler kann man nach der Art ihres Entstehens einteilen: ● Fehler auf Ebene des theoretischen Wissens ● Fehler durch Anwendung falscher Regeln ● Fehler auf Ebene der praktischen Fertigkeiten ● sog. Ausrutscher oder Versehen Crisis Resource Management 29.11.2007 8 Fehlerarten Im Hinblick auf präventive Maßnahmen ist auch die Unterscheidung von systematischen und zufälligen Fehlern wichtig. zufällig: ungünstige, einmalige Kombination von Umständen systematisch konstanten, regelmäßig auftretende Konstellationen. Crisis Resource Management 29.11.2007 9 Zwischenfallsentstehung Ein wichtiger Faktor ist die Erkenntnis, dass Zwischenfälle meist nicht plötzlich eintreten, sondern eine Art Evolution hinter sich haben. Diese bezieht sich sowohl auf die Zeit als auch auf die Ursache. (Reason, 1994) Faktor Mensch kann nicht beeinflusst werden jedoch die Bedingungen (Technik Crisis Resource Management 29.11.2007 Organisation) unter denen Menschen arbeiten. 10 Zwischenfallsentstehung, begünstigende Faktoren: human factors Bedingungen der Realität Erstmalige Erleben einer Situation Unzureichende Vertrautheit mit der Ausrüstung Müdigkeit & Stress (Studien über psychomotorische Leistungsfähigkeit haben ergeben, dass ein ausgedehntes Schlafdefizit einer nicht unerheblichen Blutalkoholkonzentration gleichzusetzen ist ) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung Heuristiken Geteilte Aufmerksamkeit Konzentration auf eine Aufgabe führt zur vollständigen Blindheit für wichtige Hinweisreize ● Kognitive Anforderungen ● Einfluss der Persönlichkeit (bspw.auf das Fliegen) Crisis Resource Management 29.11.2007 11 Crisis Resource Management (CRM) = Allgemeines Management von Zwischenfällen ● ● David Gaba: Curriculum zum Training an Patientensimulatoren Ziel: Prinzipien und Erkenntnisse der „Human-Factor“- und Fehlerforschung, so am Simulator trainieren, dass sie Eingang in die tägliche Routinearbeit finden Crisis Resource Management 29.11.2007 12 ACRM-Kurse: Prinzipien und Erkenntnisse der „Human-Factor“- und Fehlerforschung am Simulator zu trainieren „nichtfachlichen“ Aspekte der Arbeit wie: - Kommunikation - Teamarbeit - Ausnutzen aller verfügbaren Ressourcen („resourcemanagement“) - Vorausplanen - Absprachen treffen - Aufmerksamkeit geschickt verteilen - rechtzeitiges Anfordern von Hilfe - Vermittlung, wie Fehler entstehen und welche Konstellationen besonders gefahrenträchtig sind - Strategien anbieten, wie man Fehler vermeiden, erkennen und bekämpfen kann Crisis Resource Management 29.11.2007 13 Beispiel: Anästhesiesimulator. • Erscheinungsbildes hochrealistisch • auch wenn bestimmte Reaktionen wie Schweißsekretion oder Änderung des Hautkolorits heute noch nicht simuliert werden können. • Evaluation: Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten Obwohl bisher noch nicht bewiesen ist, geht man derzeitig davon aus, dass die Simulationtechnik hervorragend geeignet ist, nichttechnische Fähigkeiten zu trainieren Crisis Resource Management 29.11.2007 14 Incident Reporting Systeme Die Critical Incident Technik zeichnet sich dadurch aus, dass durch das Sammeln von Informationen über kritische Zwischenfälle Erkenntnisse für Korrekturen ("Schließen von Sicherheitslücken") gewonnen werden künftige Fehler vermeiden Basis : anonyme Meldungen von kritischen Ereignissen Voraussetzung: Abkehr von der 0 Fehler Forderung, Hinwendung zum Fehler Management Crisis Resource Management 29.11.2007 Beispiel: Pasis oder PaSOS (Patienten Sicherheits Optimierungs System) 15 Vorteile Incident Reporting ● Einfacher und breiter Zugang via Internet ● Direktes und anonymes, fallbezogenes Feedback ● Analysen zu den einzelnen Fallberichten ● Rückfragemöglichkeit für das Analyseteam an den Melder ● ● Patienten-SicherheitsOptimierungs-System Meldungen direkt vom Melder zu PaSOS, niemand in der Institution erfährt davon Für PaSOS als Redaktion gilt Presserecht und damit ein Zeugnisverweigerungs-recht und eine Beschlagnahmeeinschränkung für alle Daten ● Eine Sammlung von solchen Ereignissen kann strukturiert untersucht werden, ● betont Elemente, die ein System besonders verletzbar machen ● ermöglicht Einsicht in Bewältigungs- und Vermeidungsstrategien ● Breite online-Visualisierung von bestehenden Incidents: Jeder kann aus Incidents von Anderen lernenCrisis (präventive Wirkung) Resource Management 29.11.2007 16 Nachteile Incident Reporting ● ● ● nur Ereignisse die bewusst realisiert und memoriert werden Voraussetzung: exaktes und wahrheitsgetreues Reporting Die CIT-Technik betont Ereignisse, die eher selten sind während sehr häufige, 'banale' Ereignisse eher untergehen Under-reporting von beinahe Zwischenfällen und Problemen ohne direkte Folgen ("Eisberg-Phänomen) Crisis Resource Management 29.11.2007 17 Krisenintervention ● Begriffsklärung Krisenintervention ● Vorgehen ● Gruppenintervention ● Kontraindikation, Weiterleitung ● Dont`s ● Programm Critical Incident Stress Management ● Diskussion Crisis Resource Management 29.11.2007 18 Krisenintervention Def.: Eingreifen nach dem Höhepunkt einer Gefahr Def. traumat. Krise DSM-IV: Betonung der subjektiven Aspekte „Die Reaktion der Person umfasse intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.“ Reaktionen: leichte Reaktionen ohne Krankheitswert bis PTBR Def.: Psychologische Krisenintervention (Hallenberger): Bereitstellung aufsuchender Verhaltens- und Erlebnisorientierter Hilfe für alle Beteiligten einer Krise. Im Verlauf der Krisenintervention soll die Stresssymptomatik reduziert und der psychische Zustand der Betroffenen diagnostiziert werden. Sie beginnt mit der Psychischen Ersten Hilfe und endet mit der Nachsorge bzw. einer Überleitung an eine psychotherapeutische oder eine psychiatrische Fachkraft. Crisis Resource Management 29.11.2007 19 Wichtig: ● Auf Einsatzkräfte zugehen. Personen in Notsituationen sind häufig nicht in der Lage, ihre Not selbst zu bemerken, zu beschreiben und aktiv nach Hilfe zu suchen. Crisis Resource Management 29.11.2007 20 Wichtig ● ● ● Alle Beteiligten einer Krise im Blick behalten, auch die berufliche und die soziale Umwelt. Arbeit an den Auswirkungen des Traumas Nachsorge! Crisis Resource Management 29.11.2007 21 Ziele psychologischer Krisenintervention 1. Bereitstellung aufsuchender psychologischer Hilfe für alle Beteiligten 2. Verringerung der Stresssymptomatik 3. Diagnostik und gegebenenfalls Weiterleitung an Fachkräfte Crisis Resource Management 29.11.2007 22 Diagnostik in der Krisensituation ● Viele Krisenhelfer nicht psychologisch geschult ● Kenntnis der Symptome (ABR, PTBR) ● Einteilung potentiell traumatisierter Betroffener: – Selbsterholungsgruppe – Wechslergruppe – Risikogruppe ● Suizidgefährdung abklären! ● Problematisch: Motivation zu Therapie Crisis Resource Management 29.11.2007 23 Hilfreiches Vorgehen Dosierte Konfrontation Gedanken ordnen Unterstützen, nicht Bemuttern Von der Seele reden ? kognitive und affektive Restrukturierung Gewinn von Kontrolle über die traumatische Erfahrung Crisis Resource Management 29.11.2007 24 Hilfreiches Vorgehen Wissen, dass die erlebten Reaktionen zu den üblichen Folgen des Erlebten gehören Symptome sind „normale Reaktion auf eine unnormale Situation“ Erklären der Symptome als Überlebensmechanismen Rückkehr zu kognitiver Informationsverarbeitung. Erleichterung,Crisis nicht verrückt zu sein Resource Management 29.11.2007 25 Bewältigungsstrategien aktive Bewältigungsformen Problemlöseorientiert Flucht/ Vermeidung führt zu weiteren Leiden Positive Neubewertung Selbstbeschuldigung Konstruktiver Ausdruck und die Mitteilung von Gefühlen Abwehr von Unterstützung Crisis Resource Management 29.11.2007 26 Hilfreiche soziale Unterstützung Emotionale Unterstützung Informationen Soziale Begleitung Instrumentelle Unterstützung Austausch mit Kollegen: - Ist das meine Schuld? - Hab ich was falsch gemacht? - Hätte ich vielleicht Crisis Resource Management 29.11.2007 mehr tun können? 27 Krisenintervention in Gruppen Direkte Lerneffekte duch Interaktionen Wohlbefinden mit anderen erleben Orientierungshilfe für Bewältigung erhalten Gemeinschaftserfahrung Information (PE) und Vorbereitung für weitere Therapie Achtung : in Gruppen keine stark belastete Personen wegen Gefahr der Retraumatisierung Crisis Resource Management 29.11.2007 28 Take Up and Back Up Zuhören, Sprechen Psychoedukation Ressourcenorientierung und Bewältigung Soziale Unterstützung Crisis Resource Management 29.11.2007 29 Kontraindikationen ● ● ● ● ● ● Personen mit hoher prätraumatischer Belastung Personen mit schweren dissoziativen Symptomen Typ 2 Traumen Substanzmissbrauch Mangelnde Distanzierungsfähigkeit zum traumatischen Ereignis Instabile psychosoziale und körperliche Situation Crisis Resource Management 29.11.2007 30 Kontraindikationen ● Mangelnde Affekttoleranz ● Unkontrolliert autoaggressives Verhalten ● Akute Suizidalität ● Psychotisches Erleben ● In diesen Fällen Weiterleitung an Spezialisten indiziert Crisis Resource Management 29.11.2007 31 Dont´s der Krisenintervention ● Nicht traumaadaptierte Techniken ● Frühkindliche Deutung ● Alleinige Pharmakotherapie ● Passive Helfer- (Therapeuten) Haltung ● ● Alleinige unvorbereitete Traumakonfrontation ohne Einbettung in Behandlungsplan Drängen auf Katharsis Crisis Resource Management 29.11.2007 32 Critical Incident Stress Management (CISM), Mitchell & Everly 2002 Crisis Resource Management 29.11.2007 33 Critical Incident Stress Management (CISM), Mitchell & Everly 2002 Intervention Ziele 1. Vorbereitung auf Krise Erwartungen aufbauen, Stressbewältigung verbessern Symptomlinderung, Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit Info, Beratung, Psych. Dekompression, Stressmanagement Symptomlinderung, möglicherweise Abschluss 2. Indiv. KI, „eins zu eins“ 3. Demobilisierung, Hinweise, Gruppeninformationen 4. Defusing Crisis Resource Management 29.11.2007 34 Interventionen Ziele 5. Critical Incident Stress Debriefing (CISD) Psychischen Abschluss ermöglichen, Symptomlinderung 6. Systeme (Familie, Organisationen) Kommunikation und Unterstützung fördern, Abschluss wenn möglich oder Überweisung 7. Nachsorge, Überweisung Einschätzung des psychischen Status, Betreuung durch Spezialistem veranlassen Crisis Resource Management 29.11.2007 35 Defusing - innerhalb der ersten 12 h ● ● ● 1. Einleitung – Vorstellung – Grund und Ziele der Intervention – Grundregeln – Erwartungen 2. Exploration bezüglich Art und Auswirkungen der Krise Information zu Stress und Bewältigungsmöglichkeiten Crisis Resource Management 29.11.2007 36 Critical Incident Stress Debriefing nach 1-10 Tagen 1. Einleitungsphase: Teamvorstellung, Vorgehen, Erwartungen, Regeln 2. Faktenphase: Schilderung des Ereignis 3. Gedankenphase: gedankliche Reaktionen 4. Reaktionsphase: Identifizierung der am stärksten traumatisierenden Aspekte desVorfalls, kathartische Entlastung ermöglichen Crisis Resource Management 29.11.2007 37 Critical Incident Stress Debriefing nach 1-10 Tagen 5. Symptomphase Identifizierung aller Symptome von Stress oder psychischer Anspannung 6. Informationsphase Normalisierung und Entpathologisierung der Reaktionen, Vermittlung einfacher persönlicher Stressbewältigungsmöglichkeiten 7. Rückorientierungsphase Abschluss, Beantwortung aller Fragen, Bedarf an Nachsorge abklären Crisis Resource Management 29.11.2007 38 Einblick in die Praxis: Crisis Resource Management 29.11.2007 39 Diskussion „Psychologische Krisenintervention beginnt schon vor Eintritt der Verletzung. Zum einen dadurch, dass das Hilfsmittel psychologische Krisenintervention unverzüglich genutzt werden kann. Zum anderen können schon im Vorfeld Maßnahmen durchgeführt werden, die das Auftreten von Hilflosigkeit, Furcht, Entsetzen oder Tiefgreifender Verzweiflung beeinflussen.“ Frank Hallenberger, 2006 Crisis Resource Management 29.11.2007 40 Literatur ● ● ● ● ● Hallenberger, Frank (2006). Psychologische Krisenintervention für Einsatzkräfte. Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft. Grube, C. et al. (2002). Man at Risk. Aktuelle Strategien zum Risikomanagement in der Anästhesie. Anaesthesist, 51: 239-247. Rall, M. et al. (2002). Neue Trainingsformen und Erhöhung der Patientensicherheit. Sicherheitskultur und integrierte Konzepte. Unfallchirurgie, 105: 1033-1042. Müller, M.P. et al. (2006). Vom Fehler zum Zwischenfall – Strategien zur Erhöhung der Patientensicherheit in der Anästhesie. Anästhesie und Intensivmedizin, 47: 13-25. World Wide Web Crisis Resource Management 29.11.2007 41