FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Leitfaden für die Vorlesung Mikrobiologie und Hygiene WS 2003/2004 Teil 1 von Dipl.-Ing. Dr. Gudrun Nagl Literaturangaben: [1] H. G. Schlegel, 1992. Allgemeine Mikrobiologie. Thieme Verlag Stuttgart, 7. Auflage [2] G. Müller & H. Weber, 1996. Mikrobiologie der Lebensmittel - Grundlagen. Behr`s Verlag GmbH&Co, 8. Auflage [3] J. Krämer, 1987. Lebensmittelmikrobiologie. Eugen Ulmer GmbH & Co [4] M. Weidenbörner, 1999. Lebensmittel-Mykologie. Behr`s Verlag GmbH&Co, 1. Auflage 01FH.DOC 1 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL 1 Einführung Die Mikrobiologie ist ganz allgemein die Lehre von den kleinen und kleinsten Lebewesen, die als Individuen in der Regel nur mikroskopisch sichtbar gemacht werden können. Sie ist neben der Botanik und der Zoologie eine Wissenschaftsdisziplin der Biologie. Nach der Art der Organismen unterscheidet man Phykologie, Mykologie, Bakteriologie, Virologie und Protozoologie (Abb.1). Biologie Botanik Mykologie Mikrobiologie Zoologie Bakteriologie Phykologie Virologie Protozoologie Abb.1: Einordnung und Gliederung der Mikrobiologie Des weiteren gibt es applikationsorientierte Unterteilungen der Mikrobiologie, z. B. in Medizinische Mikrobiologie, Technische Mikrobiologie, Lebensmittelmikrobiologie usw. So beschäftigt sich die Lebensmittelmikrobiologie mit den mikrobiologischen Zusammenhängen, die die Herbeiführung der charakteristischen Gebrauchswerteigenschaften der Lebensmittel bewirken oder mit prägen bzw. die zum Lebensmittelverderb sowie zur Übertragung pathogener Mikroorganismen führen können. Somit stehen mikrobiologische Stoffumwandlungsprozesse, Verfahren zur Haltbarmachung von Lebensmitteln und Untersuchungen zur Bestimmung des am oder im Lebensmittel vorkommenden Keimspektrums unter Berücksichtigung der speziellen mikrobiologischen Aspekte im Mittelpunkt der Betrachtungen. Die Lebensmittelmikrobiologie basiert auf der Allgemeinen Mikrobiologie und behandelt in enger Wechselwirkung zur Technologie Fragestellungen der Lebensmittelindustrie. Von besonderer Bedeutung sind die Bakteriologie, die Mykologie und teilweise die Virologie (Bakteriophagen) als Zweige der Mikrobiologie. Die Lebensmittelmikrobiologie berührt darüber hinaus vielfach andere Wissenschaftsdisziplinen, wie die Verfahrenstechnik, die Lebensmitteltechnologie, die Biotechnik, die Lebensmittelchemie, die Biochemie, die Medizinische Mikrobiologie, die Lebensmittelhygiene, die Molekularbiologie, so daß eine eindeutige Zuordnung eines Problems nicht immer möglich und sinnvoll ist. Diese wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen sind schematisch in Abbildung 2 dargestellt. 01FH.DOC 2 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Abb.2: Lebensmittelmikrobiologie und angrenzende Wissenschaftsdisziplinen Innerhalb der Lebensmittelmikrobiologie lassen sich zwei Hauptrichtungen der Aufgabenstellungen unterscheiden, die sich aus der Stellung der Lebensmittelmikrobiologie zu den anderen Wissenschaftsdisziplinen ergeben. Die erste Richtung beschäftigt sich mit der mikrobiologischen Untersuchung zur Feststellung des mikrobiologischen Zustandes eines Lebensmittels und der daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen. Hierzu zählen die mikrobiologischen Betriebskontrollen, die Untersuchungen auf Infektionsfreiheit und Apathogenität vorhandener Mikroorganismen, die Untersuchungen zum Keimspektrum eines Lebensmittels usw. Diese Untersuchungen werden auf der Grundlage der Arbeitsmethoden der Allgemeinen Mikrobiologie, der Medizinischen Mikrobiologie, gegebenenfalls spezifischer Methoden der Lebensmittelmikrobiologie und der Biochemie durchgeführt. Die zweite Richtung beschäftigt sich hauptsächlich mit den mikrobiologischen Fragen, die in unmittelbarem Zusammenhang zur Realisierung der mikrobiologischen Stoffumwandlung und der Manifestierung eines mikrobiologischen Zustandes stehen. Geht man davon aus, daß eine Vielzahl von Lebensmitteln durch die gezielte Nutzung von nativ vorkommenden bzw. zugesetzten Mikroorganismen hergestellt werden, so wird die besondere Bedeutung dieses Gebietes innerhalb der Lebensmittelmikrobiologie deutlich. Es gibt nur wenige Lebensmittel, bei denen mikrobiologische Aspekte keine Rolle spielen. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge ist deshalb für jeden in der Lebensmittelindustrie beschäftigten Mitarbeiter notwendig, wobei der erforderliche Grad der Kenntnisse durch seine Arbeitsaufgabe bestimmt wird. 01FH.DOC 3 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL 1.1 Mikroorganismen im Dienste des Menschen Der Unbefangene erkennt die praktische Bedeutung der Mikroorganismen zunächst an den Schäden, die sie bei Mensch, Tier und Pflanze verursachen. Mit diesen krankheitserregenden oder pathogenen Mikroorganismen und ihren speziellen Eigenschaften beschäftigen sich die humanmedizinische und veterinärmedizinische Mikrobiologie sowie die Phytopathologie. Obwohl Mikroorganismen noch in anderen Bereichen der Natur und in der Industrie als Schädlinge auftreten, überwiegt ihre Rolle als Nützlinge bei weitem. Mikroorganismen haben sich seit langem einen festen Platz im Haushalt und in der Industrie erobert; ihre Leistungen als "Nutzpflanzen" sind nicht zu entbehren. Ihre Verwendung erstreckt sich von der Veredelung landwirtschaftlicher Primärprodukte bis zur Katalyse diffiziler chemischer Reaktionsschritte. Klassische mikrobielle Verfahren. Am Beispiel der Bier- und Weinbereitung mittels Hefen, der Brotbereitung und der Herstellung von Milchprodukten mit Hilfe von Milchsäurebakterien sowie der Herstellung von Speiseessig durch Essigsäurebakterien wird deutlich, daß Mikroorganismen zu den ältesten "Kulturpflanzen" zählen. In Japan und Indonesien werden seit alters her Sojabohnen mit Hilfe von Schimmelpilzen, Hefen und Milchsäurebakterien aufbereitet. Abgesehen von der Ethanolproduktion sind Mikroorganismen in die industrielle Produktion reiner Verbindungen erst seit sechs Jahrzehnten eingeschaltet worden. Bereits im ersten Weltkrieg wurde eine gesteuerte Hefegärung zur Herstellung von Glycerin ausgenutzt. Die in der Nahrungsmittelindustrie in großen Mengen benötigte Milchsäure und Citronensäure wird mit Hilfe von Milchsäurebakterien bzw. durch den Schimmelpilz Aspergillus niger hergestellt. Aus billigen kohlenhydratreichen Abfällen lassen sich durch Gärungen mit Clostridien und Bazillen Aceton, Butanol, 2-Propanol, Butandiol und andere Grundchemikalien herstellen. Antibiotikaproduktion. Eine neue Epoche der medizinischen Therapie und der Heilmittelindustrie hat die Auffindung der Antibiotika eingeleitet. Der Entdeckung des Penicillins und anderer Ausscheidungsprodukte von Pilzen, Actinomyceten und anderen Bakterien verdankt die Menschheit nahezu unfehlbare Mittel zur Bekämpfung bakterieller Infektionskrankheiten. Die Suche nach neuen Antibiotika ist noch immer erfolgreich. Theoretisch erscheint auch die Bekämpfung von Viruskrankheiten und virusbedingten Tumoren mit Hilfe von Antibiotika aussichtsreich. Neue mikrobielle Verfahren. Die klassischen Gärungen werden durch neue mikrobielle Produktionen und Umsetzungen ergänzt. Carotinoide und Steroide werden aus Pilzen gewonnen. Seit der Entdeckung, daß Corynebacterium glutamicum aus Zucker und Ammoniumsalz mit hoher Ausbeute Glutaminsäure produziert, sind Mutanten isoliert und Verfahren entwickelt worden, nach denen sich viele Aminosäuren, Nucleotide und Biochemikalien im großen Maßstab herstellen lassen. Mikroorganismen werden vom Chemiker zur Katalyse von Teilprozessen in lange Syntheseketten eingeschaltet; mikrobielle Umsetzungen übertreffen chemische an Spezifität und Ausbeute; Amylasen zur Stärkehydrolyse, Proteinasen zur Lederbereitung, Pectinasen zur Fruchtsaftklärung und andere industriell angewandte Enzyme werden aus Mikroorganismenkulturen gewonnen. Monopolstellung der Mikroorganismen. Es ist hervorzuheben, daß einige in besonders großen Mengen verfügbare Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas oder Cellulose nur von Mikroorganismen verwertet und entweder zu Zellmaterial (Biomasse) oder Zwischenprodukten, die von den Zellen ausgeschieden werden, umgesetzt werden können. 01FH.DOC 4 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Mikrobielle Biomasse besteht aus Kohlenhydraten, Lipiden und Nucleinsäuren. Diese Inhaltsstoffe können nach Aufschluss der Zellen gewonnen werden und in den verschiedensten Produkten Anwendung finden. Das Hauptinteresse gilt dem Proteinanteil der Biomasse. Aus diesem Grund werden diese Produkte fälschlicherweise mit Einzellerprotein (SCP) bezeichnet, obwohl damit nicht nur der Proteinanteil, sondern der ganze Zellinhalt gemeint ist. Mikroorganismen haben daher bei der "Veredelung" der unkonventionellen Rohstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle eine Monopolstellung. Die Erschließung dieser Rohstoffe durch biologische Verfahren hat gerade erst begonnen. Moderne genetische Techniken. Die Aufklärung der Mechanismen der Genübertragung bei Bakterien und der Beteiligung von extrachromosomalen Elementen haben Möglichkeiten zur Übertragung von Fremd-DNA in Bakterien eröffnet. Die genetische Manipulation macht es möglich, kleine Stücke der Träger genetischer Information, beispielsweise des Menschen, in Bakterien einzuführen und in ihnen die entsprechenden Proteine synthetisieren zu lassen. Es ist durchaus möglich, Hormone, Antigene, Antikörper und andere Proteine mit Hilfe von Bakterien herzustellen. Es wird auch versucht, die Fähigkeit, Stickstoff zu fixieren, auf Pflanzen zu übertragen oder auf biochemischen Defekten beruhende Krankheiten zu heilen. Unmittelbare Anwendbarkeit grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse. Es würde zu weit führen, hier alle Verfahren und Produkte der industriellen Mikrobiologie aufzuzählen und über die Möglichkeiten weiterer Anwendungen zu spekulieren. Die Beziehungen zwischen Grundlagenforschung und Praxis sind in der Mikrobiologie wie in allen Naturwissenschaften sehr eng. 1.2 Bedeutung der Mikroorganismen in der Natur Stoffkreisläufe Entsprechend ihrer Bedeutung und Funktion im Haushalt der Natur ordnet man die Lebewesen in drei Gruppen ein: Produzenten, Konsumenten und Destruenten. - Produzenten sind die grünen Pflanzen, die unter Verwertung von Sonnenenergie und Kohlendioxid organische Substanz (Biomasse) produzieren. - Konsumenten sind die Tiere, die einen Teil der Biomasse zum Aufbau körpereigener, organischer Substanz verbrauchen. - Destruenten sind die Mikroorganismen, insbesondere Pilze und Bakterien, die die organische Substanz - Tiere und Pflanzen - zu anorganischen (mineralischen) Verbindungen abbauen. Dieser Vorgang, bei dem die Bioelemente Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel in Form anorganischer Verbindungen entstehen, nennt man Mineralisation. Die anorganischen Verbindungen stehen den Produzenten erneut zum Aufbau der Biomasse zur Verfügung. Die Bioelemente gehen demzufolge in Kreislaufprozesse ein: Kohlenstoff-, Stickstoff-, Phosphor- und Schwefel-Kreislauf. Nützliche Mikroorganismen Dies sind Mikroorganismen mit bekannten Eigenschaften und Stoffwechselleistungen. Man benutzt sie beispielsweise um Milch zu säuern (Joghurt, Dickmilch, Sauerrahm ....). In der Käserei bauen sie Inhaltsstoffe der rohen Käse ab. Es entsteht das genußfähige, typische 01FH.DOC 5 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Produkt. Derartige Mikroorganismen werden in der Regel als Reinkulturen gezüchtet. Ihre Leistungsfähigkeit und ihre Unbedenklichkeit muß durch ständige Kontrolle im Labor und in der Anwendung gewährleistet sein. Schädliche Mikroorganismen Wir verstehen darunter "Verderbniserreger". Sie mindern Produkte in ihrem Genuß- oder Gebrauchswert. Durch ihre Stoffwechselaktivität kann Butter ranzig, Milch süßlich faul schmecken, Käse gebläht werden. Diese "Schadkeime" sind im betroffenen Produkt meist in riesigen Zahlen nachweisbar. Gefährliche Mikroorganismen Das sind Mikroorganismen, die beim Menschen Erkrankungen verursachen oder Giftstoffe in Lebensmitteln bilden können. Krankheitserreger, auch als pathogene Keime bezeichnet, können den Verzehr eines Lebensmittels riskant machen, selbst wenn nur wenige Zellen enthalten sind, da sie imstande sind sich im Körper zu vermehren. Giftstoffbildende, auch toxinogene Keime genannt, müssen sich in der Regel im Lebensmittel oder den Ausgangsstoffen stark vermehrt haben, damit relevante Toxingehalte entstehen können. Dennoch muß ein toxinhaltiges Produkt nicht zwangsläufig viele toxinogene Keime enthalten, da diese bereits abgestorben sein können. Alle Maßnahmen bei der Gewinnung, Herstellung, Lagerung und Inverkehrbringung von Nahrungsmitteln müssen darauf gerichtet sein, Kontamination mit Schadkeimen möglichst gering zu halten, ihr Wachstum zu verhindern oder zu verlangsamen, sie durch geeignete Bearbeitungsschritte zu beseitigen. Pathogene Keime müssen mit Sicherheit abgetötet, Giftstoffbildung muß unterbunden werden. Saprophyten - Parasiten - Symbionten Diese Begriffe kennzeichnen die Tätigkeit und die Beziehungen von Lebewesen zu anderen Lebewesen. Saprophytische Mikroorganismen sind "Zersetzer und Mineralisierer". Sie decken ihren Nährstoffbedarf durch den Abbau toten organischen Materials (sapros = verfault; phyton = Pflanze). Parasiten befallen lebende Organismen und entziehen ihnen die Stoffe die diese "Schmarotzer" zu ihrem Lebensunterhalt benötigen. Parasiten sind deshalb zu beachten, weils sie ihren Wirtsorganismus unter Umständen schwer schädigen ja sogar abtöten können. Parasiten die nicht schädigend wirken, heißen Kommensalen, ("Mit-Esser"). Als Symbionten gelten Organismen die zum gegenseitigen Nutzen zusammenleben (mutualistische Symbiose). Der Partner Knöllchenbakterium versorgt Leguminosen mit Stickstoff den er aus dem Luftstickstoff fixiert. Dafür stellt die Pflanze den Bakterien Nährstoff zur Verfügung. Pathogenität und Virulenz Unter Pathogenität versteht man die grundsätzliche Eigenschaft einer Erregerart, Krankheit auslösen zu können. Pathogenität hängt zumeist von mehreren Faktoren eines Mikroorganismus ab. Als Virulenz bezeichnet man den Grad der Pathogenität einer Population (eines Stammes) von Mikroorganismen: So kann es z.B. sowohl hochvirulente als auch avirulente Stämme einer pathogenen Spezies geben. Die Virulenz kann durch Bestimmen der Letaldosis im Tierversuch gemessen werden. Die Begriffe Pathogenität und Virulenz werden oft nicht im Sinne der obigen Definition, sondern synonym verwendet. Über Faktoren der Pathogenität und Virulenz der Mikroorganismen ist noch recht wenig bekannt. Am meisten weiß man über die Mechanismen der Pathogenität der Bakterien. 01FH.DOC 6 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE 1.3 Die Stellung der Mikroorganismen in der Natur DR. NAGL [1] S.1 ff 1.3.1 Die drei Reiche: Tiere, Pflanzen und Protisten Die Unterschiede in der Gestalt und im Aufbau von Tier und Pflanze, die die Einteilung der Lebewesen bis ins vorige Jahrhundert begründeten, sind offenkundig. Diese Unterschiede lassen sich auf die grundsätzlichen Verschiedenheiten in der Ernährungsweise zurückführen. Die Tiere ernähren sich von fertigen organischen Substanzen (C-heterotroph), die im Innern des Körpers, im Darmkanal, aufbereitet, verdaut und resorbiert werden. Der Embryonalentwicklung kann man entnehmen, daß diese Körperhöhlung durch Einstülpung der Blastula entsteht. Die tierische Entwicklung zielt auf die Schaffung resorbierender Innenflächen ab. Dieses Bauprinzip ist von den Hohltieren (Hydrozoa; Beispiel: Süßwasserpolyp) bis zu den höchsten Wirbeltieren verwirklicht. Dem völlig andersartigen (C-autotrophen) Ernährungstypus entsprechend sind die Pflanzen grundverschieden gestaltet. Sie bilden die zum Aufbau ihres Körpers nötigen Substanzen aus anorganischen Stoffen selbst und nutzen das Sonnenlicht als Energiequelle. Die photosynthetisch tätigen, mit den absorbierenden Pigmenten (Chlorophyllen und Carotinoiden) ausgestatteten Zellen und Gewebe sind nach außen hin orientiert und bilden weite Außenflächen. Weitere durchgängige Unterschiede zwischen Tieren und Pflanzen betreffen das Vorhandensein von Zellwänden, die Befähigung zur aktiven Bewegung und Ortsveränderung und das Synthesevermögen für bestimmte Substanzen. Pflanzen- und Tierreich waren weitgehend scharf voneinander abzugrenzen, solange über Mikroorganismen wenig bekannt war (Abb.3). Sogar die Pilze hatten so viele Merkmale mit den Pflanzen gemeinsam, daß man sie ungeachtet ihrer heterotrophen Ernährungsweise zu den Pflanzen zählen konnte. Schwieriger war zu entscheiden, welchem Organismenreich die Bakterien, Schleimpilze und andere Einzeller zuzuordnen waren. Für das dritte Reich der Lebewesen wurden die Kollektivnamen "Protisten", "Erstlinge" oder "Urwesen" geprägt (HAECKEL 1866). Das Reich der Protisten umfaßt Organismen, die sich von Tieren und Pflanzen durch eine geringe morphologische Differenzierung unterscheiden; die meisten sind einzellig. Die Protisten lassen sich auf Grund ihrer Zellstruktur in zwei scharf voneinander abgrenzbare Gruppen unterteilen: die höheren Protisten ähneln bezüglich ihres Zellaufbaus den Tieren und Pflanzen; sie sind Eukaryoten. Zu ihnen gehören die Algen, Pilze und Protozoen. Zu den niederen Protisten zählen die Bakterien und Cyanobakterien (Blaualgen); sie sind Prokaryoten und unterscheiden sich hinsichtlich ihres Zellaufbaus von allen anderen Organismen beträchtlich. In die Gruppe der Bakterien sind auch die als obligat intrazelluläre Parasiten bekannten Rickettsien einzubeziehen. Die Bezeichnung Mikroorganismen hebt auf die geringen Abmessungen der genannten Organismen ab und entspricht dem Bedeutungsinhalt nach der Bezeichnung Protisten. Die Viren sind als nicht-zelluläre Teilchen allen Organismen gegenüberzustellen; sie können sich nicht selbst vermehren, sondern sie bedürfen lebender Zellen zu ihrer Vermehrung (Reproduktion). 01FH.DOC 7 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Abb.3: Die drei Reiche, Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen und die Unterscheidung von Eukaryoten und Prokaryoten [1] S4. 1.3.2 Prokaryoten und Eukaryoten Die physikalische Grundeinheit der Organismen ist die Zelle; sie ist die kleinste lebensfähige Einheit. Die stoffliche Zusammensetzung ist allen Lebewesen gemeinsam. Desoxyribonucleinsäure (DNA), Ribonucleinsäure (RNA), Proteine, Lipide und Phospholipide sind die Grundbestandteile der Zelle. Das Studium der Feinheiten der stofflichen Zusammensetzung und der Feinstruktur verschiedener Zelltypen hat jedoch bemerkenswerte Unterschiede zwischen Bakterien und Cyanobakterien auf der einen Seite und Tieren und Pflanzen einschließlich ihrer mikroskopisch kleinen Vertreter auf der anderen Seite erkennen lassen. Diese Unterschiede sind so tiefgreifend, daß man beide Gruppen als Prokaryoten und Eukaryoten einander gegenüberstellt. In den Prokaryoten hat man Relikte aus der Frühzeit der organismischen Evolution zu sehen, und ihre Entwicklung zu den Eukaryoten stellt die größte Diskontinuität in der Evolution der Organismen dar. Die Eukaryoten verfügen über einen echten Kern (karyon oder nucleus). Er enthält den größten Teil des Genoms der eukaryotischen Zelle. Das Genom ist auf einen Satz von Chromosomen verteilt, der nach Verdoppelung durch einen als Mitose bezeichneten Vorgang getrennt wird. In den Chromosomen liegt die DNA in Assoziation mit Histonen vor. Im Gegensatz zu den Prokaryoten ist der durch eine Kernmembran vom Cytoplasma abgegrenzt. Die eukaryotische Zelle enthält Organellen, die Mitochondrien und (bei Pflanzen) die Chloroplasten; diese enthalten einen anderen, sehr kleinen Teil des Genoms, und zwar in Form ringförmig geschlossener DNA-Moleküle. Die Ribosomen sind groß (80S). Das Proteinsynthesesystem ist bei den Eukaryoten komplexer als das der Prokaryoten, besonders hinsichtlich der Anzahl der ribosomalen Komponenten und der Initationsfaktoren des Translationsprozesses. 01FH.DOC 8 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Den Prokaryoten fehlt ein von einer Membran umgebener Kern. Die DNA liegt als ringförmig geschlossener Strang frei im Cytoplasma. Dieses Bakterien-Chromosom enthält die gesamte zur Vermehrung der Zelle notwendige Information (Chromosomenzahl ist 1). Daneben können kleine ringförmig geschlossene DNA-Moleküle vorliegen, die Plasmide; sie sind jedoch entbehrlich. Die prokaryotische Zelle enthält keine Organellen; die Unterteilung der Zelle in klare, deutliche Räume ist weniger ausgeprägt als bei der eukaryotischen Zelle. Die Ribosomen sind klein (70S). Die Natur der Ribosomen und der an der Proteinsynthese beteiligten Enzyme sowie die Zusammensetzung der prokaryotischen Zellwand sind die Ursache für die spezifische Wirkung mehrerer Antibiotika. Weitere Unterschiede werden in Tabelle 1 dargelegt. Die Prokaryoten sind morphologisch relativ wenig differenziert. Der Gestalt nach lassen sich nur wenige Formen unterscheiden, die sich durchweg auf die Kugel sowie gerade und gekrümmte Zylinder als Grundformen zurückführen lassen. Dieser "Einförmigkeit" steht aber eine stoffwechselphysiologische Vielseitigkeit und Flexibilität gegenüber. Während Tiere und Pflanzen durchweg Sauerstoff benötigen, sind mehrere Gruppen der Prokaryoten in der Lage, unter Luftabschluß (unter anaeroben Bedingungen) zu leben und die zum Wachstum notwendige Energie durch Gärung oder anaerobe Atmung zu gewinnen. Andere Gruppen vermögen Lichtenergie zu nutzen und ihre Zellsubstanz entweder aus organischen Verbindungen oder aus Kohlendioxid aufzubauen. Wieder andere Bakterien sind zur Energiegewinnung durch Oxidation anorganischer Verbindungen oder Elemente befähigt. Weit verbreitet ist auch das Vermögen, molekularen Stickstoff zu fixieren. Dieser physiologischen Vielseitigkeit und Flexibilität, den hohen Syntheseraten und dem raschen Wachstum, dem einfachen Zellaufbau sowie der unkomplizierten Struktur des genetischen Materials ist es zuzuschreiben, daß die Prokaryoten seit mehreren Jahrzehnten zu den bevorzugten Objekten der allgemeinen Biologie geworden sind. Dieser Umstand und der beschränkte Raum begründen hinreichend, daß sich die vorliegende Einführung in die Mikrobiologie vorwiegend mit der Biologie der Bakterien beschäftigt. 01FH.DOC 9 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Tabelle 1: Wesentliche Unterscheidungsmerkmale prokaryotischer und eukaryotischer Zellen [2] S 24 Merkmal Prokaryoten Eukaryoten Kernmembran fehlt doppelschichtige Membran Nucleolus, ER, Mitochondrien fehlen vorhanden Proteinsynthesesystem wenig komplex komplex Energiegewinnung/-transformation in Plasmamembran lokalisiert in Mitochondrien und Plastiden Plasmamembran nicht zu interzellulären kommunikativen interzelluläre kommunikative Wechsel- Wechselwirkungen befähigt wirkungen, so daß differenzierte Zellverbände entstehen können genetische Information auf ein DNA-Molekül konzentriert auf verschiedene Chromosomen verteilt Realisierung genetischer Programme auf Transkriptionsebene regulierbar auf posttranskriptioneller Ebene regulierbar Stoffwandlungsprozesse/ durch Komponenten der durch Stofftransport Plasmamembran (endoplasmatische Retikulum, Golgi-Apparat, verschiedene Lyosomen, Vesikeltypen) Chloroplasten fehlen können vorhanden sein Geschlechtliche Vermehrung selten und unvollständig üblich und vollständig 01FH.DOC 10 Membransysteme FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL 2 Einteilung der Mikroorganismen: Als Mikroorganismen oder Mikroben werden vorwiegend einzellige, niedere Organismen bezeichnet, die gewöhnlich nur mit Hilfe des Mikroskops sichtbar sind. Dazu gehören im wesentlichen folgende Gruppen: Bakterien, Actinomyceten, Pilze, Algen, Protozoen und bedingt auch die Viren, die jedoch keine echten Lebewesen darstellen. 2.1 Klassifizierung und Systematik der Mikroorganismen:[2] S39 ff Wie in der Botanik und der Zoologie wird auch in der Mikrobiologie angestrebt, die Organismenarten aufgrund ihrer Verwandtschaftsbeziehungen zu ordnen und in systematische Kategorien (Taxa) einzuteilen: Reich (Regnum) Abteilung (Divisio) Klasse (Classis) Ordnung (Ordo) Familie (Familia) Gattung (Genus) Art (Species) Die wichtigste systematische Grundeinheit zur Klassifizierung ist die Species. Zu einer Species rechnet man alle Organismen, einschließlich ihrer Vorfahren und Nachkommen, die untereinander in allen „wesentlichen“ Merkmalen übereinstimmen. Mehrere Species, die eine Reihe gemeinsamer Merkmale aufweisen, faßt man in der nächst höheren Gruppe, der Gattung zusammen. Aufgrund internationaler Nomenklaturregeln wird jede Organismenart (Species) mit einem lateinischen Artnamen bezeichnet, dieser setzt sich aus 2 Wörtern zusammen „binäre Nomenklatur“ Bspl: Bacillus subtilis = Gattung und Art Hier findet eine künstliche Klassifikation von Mikroorganismen aufgrund von Ähnlichkeit von morphologischen und stoffwechselphysiologischen Merkmalen statt. Das Standardwerk der Bakterienklassifizierung ist „Bergey`s Manual of Systematic Bacteriology“ Vol. I bis IV. In diesem Werk wird das Reich Procaryotae in 4 Abteilungen unterteilt: Gracilicutes Gramnegative Bakterien Firmicutes Grampositive Bakterien Tenericutes Ohne feste Zellwand Mendosicutes Ohne Peptidoglycan Die Klassifizierung der Pilze bereitet aufgrund des großen Formenreichtums und der wenig geklärten verwandtschaftlichen Beziehungen erhebliche Schwierigkeiten. Es gibt gegenwärtig kein einheitliches System, das international von allen Mykologen anerkannt wird. Differenzierung der Zellen Während bei den einzelligen Lebewesen die Lebensäußerungen von eben dieser Zelle erbracht werden müssen, besitzen "höhere Lebewesen" Zellen, die auf bestimmte Leistungen (Ausscheidung, Struktur, Vermehrung ....) spezialisiert sind. Derartige Zellen sind oft zu 01FH.DOC 11 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Geweben zusammengeschlossen. Verschiedene sich unterstützende Gewebe bilden Organe. Auch die "niederen Lebewesen" wie Mikroorganismen zeigen Ansätze der Differenzierung wie die Bildung von Sporen oder Geißeln bei Bakterien oder die Sporenbildung und Produktion von Fruchtkörpern bei Schimmelpilzen. Allgemeine Lebensäußerungen der Zellen - Kennzeichen der Lebewesen Als Kennzeichen der Lebewesen (des Lebendigen) gelten: - Aufbau oder Besitz von Struktur Stoffwechsel (Nahrungsaufnahme, Verdauung, Ausscheidung) Austausch von Energie mit der Umgebung Wachstum Vermehrung (selbständig) Reaktion auf Reize Regulationsfähigkeit und Anpassung an die Umwelt Bewegung Die Morphologie beschäftigt sich mit den Formen und der Gestalt der Mikroorganismen sowie deren Veränderungen als Folge des Nährstoffangebotes und der Wachstumsbedingungen. 2.2 Bakterien Morphologische Merkmale von Bakterien: [2 S7ff] • • • • • • • • • • Prokaryoten mikroskopisch kleine einzellige Organismen Vermehrung durch Zellteilung (Spaltung) Grundformen der Bakterienzelle (Abb.6): Kokken, Stäbchen, Spirillen Kapsel; vorhanden oder nicht Geißel; vorhanden oder nicht Endosporenbildung Gramfärbung leben vorwiegend als Saprophyten haben Plasmide Die kugelförmigen Bakterien werden als Kokken bezeichnet und können unterteilt werden in Mikrokokken, Diplokokken, Streptokokken, Staphylokokken, Tetrakokken und Sarcinen. Die Stäbchen unterteilt man in sporenbildende und nichtsporenbildende Bakterien. Es treten von kokkoiden Stäbchen, 1 - 3 µm (z.B. Escherichia coli) bis zu langen Stäbchen, 6 - 10 µm (z.B. Lactobacillus helveticus) nahezu alle Größen auf. Morphologische Veränderungen infolge atypischer Züchtungs- bzw. Umweltparameter sind bei diesen Bakterien am häufigsten. Unter bestimmten Bedingungen treten sogenannte L-Formen auf. In diesen Fällen ist die Zellwandsynthese gestört, so daß es zu starken Formveränderungen kommt. Man kennt L-stabile und L-instabile Formen. 01FH.DOC 12 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Abb. 4: Grundformen der Bakterienzelle; A Kokken, B Diplokokken, C Streptokokken, D Staphylokokken, E Sarcinen, F Stäbchen, G Vibrionen, H Corynebakterien, I Sporen zentral (1,2), terminal (3), subterminal (4), Anschwellung der Mutterzelle (2,3); K Spirillen, L peritriche Begeißelung, M monopolar monotriche Begeißelung (1), monopolar polytriche Begeißelung (2) 2.2.1 Struktur und Aufbau der Mikroorganismen Stoffliche Zusammensetzung der Einzeller: Das Naß- oder Frischgewicht (die Frischmasse) von Einzellern bestimmt man nach Abzentrifugation der Zellen aus ihrer Nährlösung. Die sedimentierte Zellmasse hat einen Wassergehalt von 70 - 85 %; die Trockenmasse beträgt also 15 - 30 % von der Frischmasse. Enthalten die Zellen große Mengen von Reservestoffen (Lipide, Polysaccharide, Polyphosphate oder Schwefel), so ist die Trockenmasse prozentual höher. Die Trockensubstanz der Bakterien (in Prozent von der Trockenmasse) besteht hauptsächlich aus Polymeren: Protein 50, Zellwand 10 - 20, RNA 10 - 20, DNA 3 - 4 sowie aus Lipiden 10. Die zehn Bioelemente sind etwa in folgenden Mengen (in Prozent) an der Zusammensetzung der Bakterien beteiligt: Kohlenstoff 50, Sauerstoff 20, Stickstoff 14, Wasserstoff 8, Phosphor 3, Schwefel 1, Kalium 1, Calcium 0,5, Magnesium 0,5 und Eisen 0,2. Bau der Mikroorganismenzelle: Zellen sind die kleinsten biologischen Einheiten, die zu einem selbstständigen Leben befähigt sind. Sie sind Träger der genetischen Informationen, durch die ihre identische Replikation gewährleistet wird. Die Hauptbestandteile der Zelle sind der Zellkern sowie extrachromosomale Desoxyribonucleinsäure (DNA), das Cytoplasma mit Cytoplasmamembran und Mesosomen, die Zellwand, die Ribosomen und teilweise Geißeln, Fimbrien, Kapsel bzw. Schleimschicht. Darüber hinaus sind im Cytoplasma verschiedene Einlagerungen zu erkennen. 01FH.DOC 13 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Zellkern: Der Zellkern speichert die Erbinformationen und ist oberstes Steuerzentrum der Bakterienzelle für alle Lebensvorgänge. Obwohl es bisher nur bei einigen Bakterienarten nachgeprüft wurde, geht man davon aus, daß das Erbmaterial der Bakterien in Form eines ringförmigen Fadens angeordnet ist. Dieser Ring, das "Bakterien-Chromosom", kann einen Umfang von einem Millimeter und mehr aufweisen (z.B. bei E. coli: 1,4 mm). Das Chromosom muß daher, um in der Bakterienzelle Platz zu finden, verwunden und geknäuelt sein. Auf dem Chromosom liegen die Gene der Bakterienzelle. Wie bei den anderen Lebewesen besteht das Erbmaterial aus Desoxyribonucleinsäure DNA, D steht für Desoxyribose einem Zucker. NA heißt nucleic acid (= Nukleinsäure; chemisch gesehen sind dies Basen). In der DNA kommen die Basen Adenin (Abkürzung A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T) vor. Die genannten Bausteine sind folgendermaßen verbunden. An jeder Desoxyribose hängt eine der vier Basen. Die Desoxyribosen ihrerseits sind durch Phosphorsäurereste (P) zu langen "Strängen" verbunden. Die DNA liegt im kompletten Erbmaterial als "Doppelstrang" vor. Bindung erhalten die "Einzelstränge" über die Basen. Die Base A bildet mit T ein Basenpaar. Die Base C mit G sind das andere Paar. (A und T, C und G nennt man komplementäre Basen.) Die komplementären Basen sind durch Wasserstoffbrücken-Bindung verknüpft. Im Chromosom von E. coli sind zum Beispiel rund vier Millionen Basenpaare enthalten. Der DNADoppelstrang ist spiralig zur α-Helix verwunden. Nucleinsäuren sind die Träger der genetischen Information jeder Zelle. Sie sind hochpolymere Makromoleküle und bestehen aus einem Molekül Ribose oder Desoxyribose, einem Phosphorsäurerest und einer Stickstoffbase (Adenin, Guanin, Cytosin und Uracil bzw. Thymin). Wie sich bei Wörtern und Sätzen der Sinn durch die Reihenfolge der Buchstaben ergibt, so sind durch die Abfolge der Basen auf dem DNA-Strang die Inhalte der Erbinformation verschlüsselt. Der komplementäre Strang birgt quasi spiegelbildlich die gleiche Information. So kann bei der Querteilung der Bakterien, ihrer üblichen Art der Vermehrung jede Tochterzelle die komplette Erbinformation erhalten. Der DNA-Doppelstrang wird dazu an den Basenpaaren durch Enzyme getrennt und die fehlende Hälfte mit einem neu gebildeten, komplementären Strang ergänzt. Aus diesem Verdoppelungsmechanismus läßt sich ableiten, daß die Nachkommen einer Bakterienzelle die gleiche DNA wie die Mutterzelle besitzen werden. Sie müssen also völlig identische Eigenschaften besitzen, ein Sachverhalt der beim Erkennen und der Verwendung von Bakterien von großer Bedeutung ist. Allerdings ist zu beachten, daß Fehler beim "Ablesen" oder "Kopieren" der Erbinformation zu veränderten Eigenschaften (= Mutationen) führen können. Zum Zweiten tragen viele Bakterien zusätzliche Eigenschaften auf sogenannte Plasmiden. Ihre DNA wird unabhängig von der "Zellkern DNA" vermehrt. Bestimmung des GC Anteils Das Verhältnis der Mole der Basen GC zu der Summe der Mole der Basen insgesamt ist artspezifisch und wird als Differenzierungskriterium genutzt. Die Basen GC sind durch dreifache Wasserstoffbrückenbindung gebunden. Sie "haften" fester aneinander und benötigen eine höhere Temperatur (Schmelztemperatur) um getrennt zu werden, als die nur zweifach gebundenen Basen AT. Je höher nun der GC-Anteil ist, desto höher ist die Schmelztemperatur der gesamten DNA. 01FH.DOC 14 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Extrachromosomale DNA Neben der chromosomalen DNA haben sowohl die meisten prokaryotischen als auch die eukaryotischen Zellen extrachromosomale DNA. Das sind bei den Bakterien Plasmide und bei den eukaryotischen Zellen Mitochondrien und Plastiden. Plasmide sind extrachromosomale ringförmige DNA-Doppelstränge, die in der Mikroorganismenzelle zur autonomen Replikation fähig sind. Sie stellen genetische Systeme dar, die die Variabilität der Bakterienzellen wesentlich erhöhen, so daß sie sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen können. Plasmide sind im Verlauf der Evolution somit als zusätzliche genetische Information zwangsläufig entstanden, um das Überleben der Art zu garantieren. Ähnlich den Bakteriophagen sind Plasmide von einer Zelle auf andere übertragbar. Dadurch wird die Anpassungsfähigkeit der Bakterienpopulation bei veränderten Umweltbedingungen garantiert. Entsprechend der Aufgabe der Plasmide, eine hohe Variabilität zu garantieren, sind Plasmide gegenüber anderen Plasmidreplikons kompatibel. Das trifft jedoch auf Plasmidmoleküle gleicher Replikationsherkunft zu, da die Plasmidhäufigkeit (Kopienzahl) durch Kontrollgene limitiert wird. D.h., bei gleichartigen Plasmidreplikons besteht eine Inkompatibilität. Plastiden sind in eukaryotischen Zellen vorkommende Organellen, die zur autonomen Replikation fähig sind, jedoch nicht mit der Reduplikation der chromosomalen DNA synchronisiert ist. Der Anteil der Plastiden-DNA an der Gesamt-DNA der Pflanzenzelle beträgt nur etwa 1 - 10 %. Sie liegen als zirkuläre doppelsträngige DNA mit etwa 150 000 Basenpaaren vor und können bis zu etwa 100 verschiedene Proteine codieren. Die Plastiden enthalten sowohl Gene mit Introns als auch ungespaltene Gene. Plastiden leiten sich von Blaualgen ab und sind der Sitz der Energiegewinnung (Photosynthese). Mitochondrien sind in eukaryotischen Zellen vorkommende Organellen von rundlicher oder länglicher Form, deren DNA zur autonomen Replikation fähig ist. Der Anteil der mitochondrialen DNA an der Gesamt-DNA beträgt nur etwa 1 - 2 %. In einem Mitochondrium können bis zu 1000 DNA-Moleküle vorkommen. Im allgemeinen ist die mitochondriale DNA ringförmig und doppelsträngig. Diese DNA codiert verschiedene RNATypen und etwa 5 - 10 % der mitochondrialen Proteine. Die Mitochondrien besitzen Enzyme, die der Atmung und der Synthese von ATP in der Zelle dienen. Sie haben somit eine entscheidende Bedeutung für die Energiegewinnung der Zelle. Cytoplasma: Die nur im Lichtmikroskop homogen erscheinende Grundsubstanz des Cytoplasmas, das Grundplasma, besteht aus Wasser, Stoffwechselprodukten und hauptsächlich aus Eiweiß, das zum größeren Teil in Form von Enzymen vorliegt. Das Grundplasma ist ein kolloidales dynamisches System, das sich in ständiger Bewegung befindet (Plasmaströmung) und in dem Stoffwechselprozesse ablaufen. Das Cytoplasma wurde lange Zeit als homogene Proteinlösung angesehen. Nach Einführung moderner Untersuchungsverfahren, wie der Elektronenmikroskopie, wurden als Grundelemente Membransysteme erkannt. Die Cytoplasmamembran, sie wird auch Plasmalemma genannt, begrenzt den Protoplasten gegen die Zellwand. Sie setzt sich bei manchen Bakterien in Form von Einstülpungen als intraplasmatische Membran in den Protoplasten fort und bildet teilweise Vesikel. Eine Unterteilung des Cytoplasmas (Kompartimentierung) in verschiedene Reaktionsräume wie bei den Eukaryoten ist aber deutlich geringer ausgeprägt. Auf Ultradünnschnitten mancher, aber 01FH.DOC 15 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL nicht aller Bakterienzellen lassen sich elektronenmikroskopisch die Mesosomen sichtbar machen. Das sind mehr oder weniger spiralförmig aufgerollte, zusammengeballte oder flächige tubuläre Membransysteme, die aus Einstülpungen der Cytoplasmamembran hervorgehen. Sie liegen häufig in der Nähe von Querwänden. Ihre Funktion ist umstritten. Sie ist vielleicht mit der Chromosomverankerung und -teilung sowie der Querwandbildung verbunden. Bezogen auf Trockensubstanz besteht die Cytoplasmamembran etwa aus 50 % Proteinen und 15 - 20 % Kohlenhydraten (Hexosen). Der Rest sind Lipide, besonder Phospholipide, die eine wichtige Membransubstanz darstellen. Etwa 70 - 80 % der Gesamtlipide einer Zelle sind in der Membran enthalten. Nach der Elementar-Membran- (unit membrane) Hypothese wird angenommen, daß die Cytoplasmamembran aller Organismen einen grundsätzlich gleichen Aufbau hat. In eine Lipiddoppelschicht sind Proteine eingelagert, die erstere teilweise oder als Brückenprotein vollständig durchdringen. Weitere Proteine sind ein- oder beidseitig außen auf die Lipiddoppelschicht aufgelagert. Die hydrophilen Teile der Phospholipide zeigen sämtlich nach außen und die hydrophoben Enden nach innen. Durch diese Polarisierung wird die Membran stabilisiert. Die Cytoplasmamembran hat zahlreiche wichtige Funktionen: • Sie ist eine semipermeable Membran und reguliert die Aufnahme von Nährstoffen und die Abgabe von Stoffwechselprodukten. Sie ist der Sitz von Permeasen, substratspezifischer aktiver Transportsysteme, die den Stofftransport entgegen einem Konzentrationsgefälle durchführen können. Die Permeasen sind offenbar in den Brückenproteinen lokalisiert. • Die Cytoplasmamembran der Bakterien ist der Ort der Energieproduktion. Hier erfolgen die oxydativen Phosphorylierungen (ADP → ATP) durch die entsprechenden Enzyme. Cytochrome und andere Komponenten des Elektronentransports sind hier zu finden. • Die letzten Stufen der Synthese von Zellwand- und Kapselbestandteilen einschließlich Pili und Fimbrien, die hier ansitzen, sowie die Ausscheidung von Exoenzymen sind ebenfalls an die Cytoplasmamembran gebunden. • Wahrscheinlich ist hier auch das Zentrum der Replikation der DNA gelagert. Ribosomen. Das Bakteriencytoplasma weist im elektronenmikroskopischen Bild Ribosomen auf. Das sind 16 nm x 18 nm große Teilchen, die aus zwei ungleichen durch eine Furche getrennten Untereinheiten bestehen. In der Ultrazentrifuge sedimentieren die Ribosomen der Bakterien bei einer Sedimentationskonstanten von 70 SVEDBERG-Einheiten, deshalb werden sie als 70-S-Ribosomen bezeichnet. Die Untereinheiten sind je eine 30-S- und 50-S-Partikel. Die Eukaryoten haben im Gegensatz zu Bakterien, von wenigen Ausnahmen abgesehen, stets die etwas größeren 80-S-Ribosomen. Sie bestehen aus etwa 65 % Ribonucleinsäure und 35 % Protein. Ribosomen enthalten ungefähr 80-85 % der RNA der Bakterienzelle und sind die Biosynstheseorte der Eiweiße. Während ruhende Bakterienzellen nur etwa 5 000 Ribosomen enthalten, steigt die Zahl bei wachsenden auf Werte um 50 000 an. Sie sind dann perlschnurartig zu Polysomen (Polyribosomen) aufgereiht. In der exponentiellen Phase der Vermehrung können die Ribosomen bis zu 40 % der Trockenzellmasse ausmachen. Speicherstoffe. Im Cytoplasma können verschiedene Speicher- oder Reservestoffe, wie Polysaccharide, Fette, Polyphosphate und teilweise auch Schwefel, in Form von Granula abgelagert werden. Sie liegen als wasserunlösliche Substanzen vor, werden aber bei Bedarf wieder abgebaut und als Zellsubstanzen und/oder Energielieferanten in den Stoffwechsel einbezogen. In Abhängikeit von den Kultivierungsbedingungen können Speichergranula bis zu 50 %, in Extremfällen sogar bis zu 80 %, der Bakterientrockenmasse ausmachen. 01FH.DOC 16 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL • Polysaccharide. Die für Pflanzen als Reservestoff typische Stärke wird z.B. bei einigen Clostridium- und Acetobacter-Arten gefunden. Das als Speicherstoff aus der Leber von Tieren bekannte und dem Amylopectin der Stärke ähnliche Glycogen kommt häufig bei verschiedenen Bakteriengruppen, z.B. einigen Enterobacteriaceae (Escherichia coli, Salmonella spec.), Bacillaceae (Bacillus polymyxa), vor. Beide Substanzen können mit Hilfe von LUGOLscher Lösung nachgewiesen werden und ergeben eine blaue (Stärke) bzw. braune (Glycogen) Farbreaktion. • Lipide. Kugelförmige Lipidgranula sind häufig in Bakterienzellen und noch besser in den größeren Pilzzellen mikroskopisch an der starken Lichtbrechung zu erkennen. Bei allen Mikroorganismen sind Neutralfette (Triglyceride) verbreitet. Speziell typisch für Bakterien ist die Poly-β-hydroxybuttersäure. Sie macht bei aeroben Bakterien bis zu 80 % der Trockenmasse aus, kommt aber auch bei den anaeroben Clostridium-Arten vor. Sie kann mit Chloroform, aber nicht mit Ether extrahiert werden. Poly-β-hydroxybuttersäure ist eine für Bakterien typische Energie- und Kohlenstoffspeichersubstanz und kommt bei Eukaryoten nicht vor. Wachse sind u.a. bei Vertretern der Gattungen Actinomyces und Mycobacterium verbreitet. • Polyphosphate. Die bis zu 0,5 µm großen Volutingranula, die nach dem ersten Fundort bei Spirillum volutans benannt wurden, sind langkettige Polyphosphate. Bei Serratia marcescens bilden sie die Polkörperchen. Sie haben generell die Funktion eines Phosphatspeichers und nicht eines Energiespeichers. • Schwefel wird in flüssiger Form von vielen Bakterien gespeichert, die ihn als Energiequelle nutzen. Zellwand: Die Zellwand gibt der Zelle die Form. (Stäbchenform, Kokkenform ...) Sie widersteht dem Innendruck, den das Protoplasma ausübt und verhindert, daß die Zellmembran zerrissen wird. Sie weicht elastisch Druck und Stößen aus. Der für die Stabilität wichtige Teil der Zellwand ist ein Netzwerk aus Quer- und Längsfäden. Es umhüllt die Zelle wie ein Sack. Da es aus Murein besteht, spricht man vom MureinSacculus. Murein besitzen ausschließlich die Bakterien. Bausteine des Mureins sind die Muraminsäure (N-Acetylmuraminsäure) und das Glucosamin (N-Acetylglucosamin). Sie sind einander abwechselnd zu Längsfäden verknüpft (β-1,4glykosidische Bindung). Die Längsfäden werden durch Ketten aus Aminosäuren quer vernetzt. Die Aminosäuren sind peptidisch gebunden. In diese "Querfäden" sind Aminosäuren eingebaut, die in Proteinen nicht vorkommen (z.B. D-Aminosäuren und Diaminopimelinsäure). In Abbildung 5 wird das Mureinnetz dargestellt. Abb.5: Vereinfachtes Schema des Mureinnetzes 01FH.DOC 17 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Unterschiedliche Zellwandtypen Bei gramnegativen Bakterienfamilien ist das Mureinnetz ein- oder maximal zweischichtig; auf dem Mureinnetz sind aber noch weitere Schichten aufgelagert. Diese Schichten können bis zu 90% der Trockenmasse (10% der TS ist Mureinanteil) der gesamten Zellwand ausmachen. Sie enthalten in relevanten Mengen das diagnostisch wichtige Lipopolysaccharid. Die äußeren Schichten der Zellwand ähneln in Aufbau und Funktion einer Membran, so daß sie auch als "äußere Membran" bezeichnet wird. Bei grampositiven Bakterienfamilien ist das Mureinnetz vielschichtig (bis zu 40 Schichten; 30-70% der TS ist Mureinanteil). Eine äußere Membran fehlt. Da der Aufbau der Zellwand erblich ist, können die angeführten Unterschiede zum Differenzieren (= Unterscheiden) von Bakterien genutzt werden. Vergleiche: Gramfärbung; KOH-Test; LAP-Test; Test auf Lipopolysaccharide. Die Zellwand als Ansatzpunkt zum Bekämpfen (Abtöten) von Bakterien Die Zellwand von Prokaryoten (Bakterien und Cyanobakterien) bietet Angriffspunkte die bei Eukaryoten fehlen. Substanzen, die die Bakterienzellwand zerstören oder ihren Aufbau behindern, sollten für Eukaryoten unschädlich wirken. Lysozym: Lysozym (z.B. im Eiklar, Tränenflüssigkeit, Speichel) löst die Verbindung Muraminsäure – Glucosamin und spaltet so die Polysaccharidketten zu Disacchariden (AMSAGA). Penicillin: Penicillin verhindert bei wachsenden Bakterien eine peptidische Quervernetzung der Peptidseitenketten. Dadurch wird das Längen- und Seitenwachstum der Bakterienzellwand gestört und es entstehen unregelmäßig geformte Riesenzellen. Beide Substanzen wirken erheblich stärker auf grampositive Bakterien. Das Murein gramnegativer Bakterien scheint durch die "äußere Membran" weitestgehend abgeschirmt zu sein. Dagegen erweisen sich Gramnegative in der Regel empfindlicher gegen Hitzeeinwirkung. Geißeln Zahlreiche Bakterien haben Geißeln. Sie dienen der Fortbewegung in flüssigen oder halbflüssigen Medien. Es sind monomolekulare Proteinfäden (Flagellin) mit einer Dicke von etwa 20 nm. Der Geißelfaden ist hohl. Man kann drei Teile des Geißelapparates unterscheiden: Basalkörper, Geißelhaken und Geißelfilament. Der Basalkörper ist in der Zelle verankert und reicht bis an die Cytoplasmamembran heran. Er besteht aus mehreren Ringen, wobei gramnegative Bakterien ein zusätzliches Ringpaar haben. Als Geißelhaken bezeichnet man den gekrümmten Teil, der sich unmittelbar an den Basalkörper anschließt und aus der Zelle herausragt. Er besteht, wie die Geißel selbst, aus Protein. Der Geißelhaken geht direkt in das Geißelfilament über. Das Geißelfilament besteht aus mehreren Flagellinsträngen, die in gewundener Anordnung einen Hohlzylinder bilden. Die helikalen Geißelfilamente können mit etwa 3000 U/min um die eigene Achse rotieren. Sie wirken ähnlich wie eine Schiffsschraube, und die Bakterienzellen schwimmen wie ein Schiff. Außer schnellen Schubbewegungen sind durch Umkehr der Rotationsrichtung der Geißeln auch langsame, taumelnde Zugbewegungen möglich. Bei polytrich begeißelten Bakterien ist eine koordinierte Geißelrotation unerläßlich. Die Bakterienzellen selbst rotieren ebenfalls um die eigene Achse, aber langsamer als die Geißelfilamente und in einer der Geißelrotation entgegengesetzten Richtung. Die Fortbewegung erreicht Geschwindigkeiten von 20 - 200 µm je Sekunde. Bei der lokalen Verbreitung in flüssigen oder halbflüssigen Medien, z.B. auf mit 01FH.DOC 18 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL einem Kondenswasserfilm überzogenen Fleisch, sind begeißelte Bakterien den unbegeißelten überlegen. Sie bilden Schwärmkolonien, die sich in kurzer Zeit auf großen Fleischteilen ausbreiten. Die Begeißelung ist bei den Bakterienspecies variabel. Danach unterscheidet man: - atrich (ohne Geißel) - monotrich (eine polar angeordnete Geißel) - amphitrich (Geißel an beiden Polen) - lophotrich (büschelförmig an den Polen) - peritrich (über die ganze Zelloberfläche angeordnet) In Abbildung 6 ist die Geißelanordnung schematisch dargestellt. Die Art der Begeißelung bestimmt auch die Art der Fortbewegung des Bakteriums. Abb.6: Schema der wichtigsten Begeißelungstypen Fimbrien, Pili Bei Enterobacteriaceen gibt es noch eine zweite Sorte von fädigen Protein-Organellen, die Fimbrien oder Pili, von denen 100 - 500 Stück als dichter Saum die Zelle peritrich umgeben. Die Fimbrien sind zarte Gebilde von 0,1 bis 1,5 µm Länge und 4 - 8 nm Dicke, für deren Darstellung also das Elektronenmikroskop nötig ist. Auch Fimbrien sind nicht essentiell für das Bakterium und existieren unabhängig von Begeißelung oder Bekapselung. Sie werden nur in flüssigen Kulturen bei 37o C, nicht bei 18o C gebildet, eine Tatsache, die für die Herstellung von Fimbrien-spezifischen Antiseren beachtet werden muß. Fimbrien sind für adhäsive Vorgänge verantwortlich, z.B. sind fimbrientragende Stämme von Escherichia, Salmonella, Klebsiella, Shigella, Proteus und Serratia hämagglutinierend. Diese Hämagglutination wird bei gewissen Fimbrientypen durch Mannose gehemmt, bei anderen nicht. Bei gewissen enteropathogenen Colitypen ist der Besitz von Fimbrien die Voraussetzung für die Haftung des Erregers an den Darmepithelien, was wiederum die Bedingung ist für die Kolonisation des betreffenden Darmabschnittes. Viele gramnegative Stäbchen sind befähigt, sogenannte konjugative Pili zu formieren. Sie sind kräftiger strukturiert als die Fimbrien und tragen Rezeptoren für RNS-Phagen. Diese Konjugationspili sind hohl, wodurch die Penetration der Phagen-RNS in die Zelle gewährleistet ist. Sie sind die Organellen, die die Konjugation zwischen zwei Zellen 01FH.DOC 19 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL ermöglichen, ein Mechanismus, bei dem genetische Information in Form von DNS der pilustragenden Donorzellen in eine pilus-negative Rezipientenzelle übertritt. Schleime und Kapseln Zahlreiche Bakterienarten sind in der Lage, Schleimsubstanzen zu bilden. Diese haften auf der äußeren Zellwand als mehr oder weniger dicke, wasserreiche gallertige Schicht, die Kapsel, und werden teilweise auch in die umgebende Nährlösung abgegeben. Bakterienkapseln bestehen entweder aus hochmolekularen Polysacchariden oder Polypeptiden bzw. aus beiden Substanzen zugleich. Stark schleimbildende Bakterien sind mit bloßem Auge an Hand des Koloniebildes zu erkennen. Bei Leuconostoc mesenteroides, das besonders große Kapseln aus Dextran, einem GlucosePolymer aus α-D-Glucose in 1,6-Bindung bildet, kann der Durchmesser der Schleimschicht größer als der Zelldurchmesser sein. Das Bakterium wird zur industriellen Dextrangewinnung eingesetzt. Der Karieserreger Streptococcus salivarius bildet Laevan, eine Polyfructose, die auf den Zähnen haftet und in der sich Stoffwechselprodukte, wie Milchsäure, anreichern. Acetobacter-Arten können große Mengen Cellulose bilden, wie sie sonst bei Bakterien kaum vorkommen. Schleimschichten aus Polypeptiden sind vor allem bei einigen Bacillus-Arten verbreitet. Außer von der Mikroorganismenart hängt die Kapselbildung in starkem Maße von der chemischen Zusammensetzung des Nährmediums ab, z.B. bildet Leu. mesenteroides nur in saccharosehaltigen Medien Dextran, dagegen nicht in glucosehaltigen. In der Zuckerindustrie kann das Aufkommen von Dextranbildnern zu hohen Saccharoseverlusten und zur Verstopfung von Filtern und Rohrleitungen führen. Kapseln bieten den Bakterien besonderen Schutz gegen physikalische und chemische äußere Einflüsse. Das relativ gehäufte Vorkommen von kapselbildenden Bakterien im Erdboden und anderen natürlichen Standorten wird u.a. auf die hohe Resistenz gegen Austrocknen und gegen die chemischen Abwehrsysteme höherer Pflanzen und niederer Organismen, z.B. Antibiotika zurückgeführt. Interessant ist die Tatsache, daß kapsellose Mutanten einiger humanpathogener Bakterien avirulent sind, da sie im Gegensatz zu den bekapselten Stämmen von den weißen Blutkörperchen (Phagocyten) vernichtet werden. Schleimbildende Bakterien neigen zur Bildung von Zellketten. Durch Färbetechniken mit Tusche können die Bakterienkapseln im Mikroskop sichtbar gemacht werden. Sporen Gewisse Keime sind zur Bildung einer Endospore befähigt, die dem Organismus eine stark erhöhte Überlebenszeit unter erschwerten Umständen garantiert. Im Gegensatz zu den Pilzsporen sind Bakteriensporen nicht Fruktifikationsorgane, sondern Resistenzorganellen. Zu den Sporenbildnern gehört die Gattung der aeroben Bazillen (einziger pathogener Vertreter Bac. anthracis, allenfalls B. cereus als Lebensmittelvergifter) und der anaeroben Clostridien (Erreger von Gasbrand, Tetanus, Botulismus, ferner Fäulniskeime). Es wird oft behauptet, die Umwandlung des vegetativen Keimes zum versporten Organismus erfolge "unter ungünstigen Lebensbedingungen", bzw. werde durch diese ausgelöst. Dies scheint eine unzulässige Verallgemeinerung zu sein, z.B. versport B. anthracis, der Erreger des Milzbrandes, innerhalb des Kadavers nicht, sondern erst außerhalb bei Luftzutritt. Auch Austrocknung führt nicht zur Sporulierung. Die Bedingungen der Sporenbildung müssen für jede Bakterienspecies gesondert studiert werden. Eine vorsichtigere Formulierung müßte deshalb lauten: Die Sporenbildung erfolgt unter bestimmten, für die betreffende Species charakteristischen Bedingungen. Die oben zitierte Eigenart von B. anthracis hat übrigens erhebliche Konsequenzen für die Epidemologie und Desinfektion: Bleibt der Kadaver des toten Tieres ungeöffnet, so können die vegetativen Bazillen mitsamt dem Tier leicht vernichtet werden. Tritt aber ante oder post mortem Blut aus und imprägniert die Umgebung, so wird man nach eingetretener Versporung mit der Desinfektion Mühe haben. 01FH.DOC 20 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Durch Einschnürung der Zellmembran (Abb.7 a-e) wird ein Teil des Genoms abgetrennt und der Sporenprotoplast wird sukzessive von Membran umhüllt. Die Membran der Mutterzelle umwächst darauf die primitive Spore. Die innere Membran scheidet nun zellwandartiges Material ab, und die Mutterzelle bildet die äußere Sporenhülle. Zwischen beiden Sporenhüllen liegt jetzt die Rinde (Cortex). Bei einigen Bakterienarten lagert die Mutterzelle außerdem außen noch ein sog. Exosporium an, eine relativ lose Hülle. Abb.7: Schema der Sporenbildung bei Bakterien; a Beginn der Protoplastteilung, b Sporulationssepte geschlossen, c Umhüllung des Sporenprotoplasten, d Bildung der Sporenwand, des Cortex und der äußeren Sporenhülle, e Sporangium mit reifer Spore; 1 äußere Sporenhülle, 2 Cortex, 3 Sporenzellwand, 4 Sporenprotoplast Alle Bakteriensporen enthalten große Mengen von Ca-Dipicolinat, das den vegetativen Formen fehlt. Mit der Anwesenheit dieser Substanz und der Abwesenheit freien Wassers wird die Thermoresistenz von Sporen erklärt. Außerdem sind die Sporenhüllen derb und undurchdringlich. Die Auskeimung erfolgt, wenn das Nährmilieu dies gestattet, wobei durch Wasseraufnahme eine Quellung eintritt. Während der Auskeimung, die durch leichte Hitzebehandlung auf 60oC stimuliert werden kann, sind die Keime maximal empfindlich auf äußere Einwirkung. Bedeutung der Sporenbildung a) Epidemologie: Die Tenazität der Sporenbildner, d.h. die Überlebenszeit unter definierten Umweltbedingungen ist sehr stark erhöht und ist bei B. anthracis praktisch unbegrenzt. Die Versporung erschwert die Desinfektion erheblich, und für eine Sterilisation ist Autoklaventemperatur oder Kochen zusammen mit einem Desinfektionsmittel unerläßlich. Versporte Gasbrandkeime und Cl. tetani können in 70 % Alkohol überleben, der früher zur "Sterilhaltung" von Spritzen und Instrumenten gebraucht wurde. Iatrogener Gasbrand wurde demzufolge bei Mensch und Tier mehrfach beschrieben. Sporen sind außerdem resistenter gegen Desinfektionsmittel und Strahlung als ihre vegetativen Formen. b) Diagnose: Die Sporen einer jeden Species haben eine charakteristische Form und Lagerung, die mikroskopisch-diagnostisch berücksichtigt wird. Die Spore ist rund oder oval, gleich dick wie die Bakterienzelle oder dicker, sie ist zentral, subterminal oder terminal gelagert (Abb.8). 01FH.DOC 21 FH-MIKROBIOLOGIE UND HYGIENE DR. NAGL Abb.8: Schema der wichtigsten Sporen- und Sporangienformen der Bacillaceae (1) Spore oval, zentral (2) oval, terminal (3) oval, terminal, Sporangium angeschwollen (Bac. macerans) (4) wie 3 jedoch rund (5) oval, zentral, Sporangium angeschwollen; Im gewöhnlichen Grampräparat färben sich Sporen nicht an, werden aber als hell ausgesparte Körperchen erkannt. Für die Sporenfärbung müssen Hitzeimprägnations-Färbemethoden angewendet werden. Für die Isolierung von pathogenen Sporenbildnern aus stark kontaminiertem Material wird deren Hitzeresistenz ausgenützt, indem das Material während 10-30 Minuten bei 80oC pasteurisiert wird, wodurch alle Nicht-Sporenbildner zugrunde gehen. 01FH.DOC 22