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BZB März 16
Wissenschaft und Fortbildung
Adhäsive postendodontische
Restaurationen
Praxisrelevante Aspekte für die Restauration endodontisch behandelter Zähne
E i n B e i t r a g v o n D r. M a n j a K ö l p i n , D r. O l i v i a Wo l f , D r. G u i d o S t e r z e n b a c h u n d
P r i v. - D o z . D r. K e r s t i n B i t t e r, B e r l i n
Der Verlust gesunder Zahnhartsubstanz, der Zahntyp, das Ausmaß der Ferrule-Präparation sowie die
Restaurationsart sind entscheidende Faktoren im
Hinblick auf die Überlebensrate endodontisch behandelter Zähne. Wurzelkanalstifte sind lediglich
bei einem hohen Zerstörungsgrad der Zähne mit
einer bestehenden Kavitätenwand oder äquigingivalen Defekten indiziert. Bei der Auswahl des Wurzelkanalstifts können faserverstärkte Stifte als bester Kompromiss in Bezug auf die biomechanischen
Eigenschaften, Ästhetik und Befestigungsoptionen
einerseits und die mechanische Stabilität andererseits bezeichnet werden. Durch adhäsive Verfahren
und die Umsetzung mechanischer Maßnahmen
wie die Realisierung des „Ferrule-Designs“ soll im
Rahmen der postendodontischen Versorgung eine
Frakturprophylaxe erzielt werden. Dabei gilt es,
die für jeden Zahn individuellen Parameter auf den
Ebenen des behandelten Endodonts, der verbliebenen Zahnhartsubstanz sowie des Parodonts in die
Therapiestrategie einzubeziehen, um eine adäquate
Versorgung durchführen zu können.
Für den langfristigen Behandlungserfolg endodontisch behandelter Zähne sind neben der suffizienten endodontischen Behandlung eine sofortige und
bakteriendichte koronale Versiegelung des Wurzelkanalsystems sowie die Wiederherstellung der
Kaufunktion entscheidend [38]. Bei der Entscheidung bezüglich der definitiven Versorgung wurzelkanalbehandelter Zähne spielt der Zerstörungsgrad des betroffenen Zahns eine wesentliche Rolle
[39]. Lediglich bei der Rekonstruktion tief zerstörter
endodontisch behandelter Zähne, deren verbliebene koronale Zahnhartsubstanz keine suffiziente
Retention für einen adhäsiven Aufbau bietet, besteht die Indikation für die Insertion eines Wurzelkanalstifts. Dieser trägt nicht zur Stabilisierung der
Wurzel bei [52], sondern dient der Retention des Aufbaus und der koronalen Restauration [43,44,52].
Aufgrund einer nachgewiesenen höheren Frakturgefahr endodontisch behandelter Zähne im Ver-
gleich zu vitalen Zähnen [1], sollte der Aspekt der
Frakturprophylaxe bei der Versorgung wurzelkanalbehandelter Zähne besonders berücksichtigt werden. Veränderte Dentineigenschaften endodontisch behandelter Zähne wie eine erhöhte Sprödigkeit oder Austrocknung nach dem Vitalitätsverlust ließen sich jedoch nicht nachweisen [32,40].
So werden verschiedene Ursachen, wie der Einfluss
der Wurzelfüllungstechnik der lateralen Kondensation [41] oder die Verwendung aggressiver Spüllösungen wie beispielsweise Natriumhypochlorit
in Konzentrationen von mehr als 2,5 Prozent
[25,26], für die erhöhte Frakturanfälligkeit diskutiert. Hauptursache ist jedoch die Destabilisierung
des Zahns durch koronalen und radikulären Substanzverlust [35].
Wann werden Wurzelkanalstifte benötigt?
Das vorrangige Ziel bei der Rekonstruktion endodontisch behandelter Zähne ist die Stabilisierung
der verbliebenen Zahnhartsubstanz. Mit der Restauration des Zahns soll die Frakturresistenz erhöht
und die verbliebene gesunde Zahnhartsubstanz
maximal geschont werden. Wurzelkanalstifte sind
nur notwendig, wenn der koronale Aufbau eine zu
geringe Retentions- beziehungsweise Adhäsionsfläche im Bereich der Kavität zur Verfügung hat.
Von einer Frakturprophylaxe durch den Einsatz eines Stifts per se kann nicht ausgegangen werden,
da weitere Zahnhartsubstanz infolge der Präparation einer nicht formkongruenten Stiftbettkavität
geopfert werden muss [23]. Weiterhin muss bei der
Indikationsstellung zur Stiftinsertion neben dem
Ausgangsdefekt auch der Verlust von Zahnhartsubstanz bei der Präparation für die geplante Restauration einbezogen werden.
Frontzähne werden vorwiegend Scherkräften ausgesetzt, die unter physiologischem Gebrauch auf sie
einwirken. Bei einem geringen oder mittleren Zerstörungsgrad der Zahnkrone bestehen hier dennoch
die gleichen restaurativen Versorgungsmöglichkeiten wie für vitale Frontzähne mit vergleichbarem
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Destruktionsgrad und schließen direkte Kompositversorgungen sowie indirekte Keramikrestaurationen mit ein. Bei großem Substanzverlust, das heißt,
dem Erhalt einer verbliebenen Kavitätenwand oder
äquigingivalen Defekten, sind im Frontzahnbereich
aufgrund der erwähnten Belastungskomponente
häufiger Wurzelkanalstifte indiziert als im Seitenzahnbereich. Dies begründet sich auch damit, dass
die Kavität nur eine reduzierte Adhäsivfläche für
den plastischen Aufbau bietet. Darüber hinaus wird
im Frontzahnbereich aus ästhetischen Gesichtspunkten häufiger eine Überkronung durchgeführt
als im Seitenzahnbereich, was mit einem zusätzlichen Substanzabtrag verbunden ist.
Eine Kavitätenwand wird dann als fehlend gewertet, wenn sie eine Reststärke von weniger als 1 mm
aufweist, da so keine mechanische Stabilisierung
mehr von ihr ausgehen wird [30]. Die Überlebensraten endodontisch behandelter Zähne konnten bei
einer verbliebenen Restzahnhartsubstanz von zwei
[16] oder weniger Kavitätenwänden [8] durch eine
Stiftinsertion signifikant erhöht werden. In diesem
Zusammenhang ist bei der Präparation zu beachten, dass eine 1,5 bis 2 mm hohe Dentinmanschette
(Ferrule) sichergestellt wird, da dies einen maßgeblichen Effekt auf die Prognose der Zähne sowie die
Frakturresistenz ausübt [29,30]. Kann dies aufgrund
einer tiefen zervikalen Ausdehnung des Defekts
nicht sichergestellt werden, so bieten die Verfahren
der chirurgischen Kronenverlängerung oder der
orthodontischen Extrusion Möglichkeiten für die
Gestaltung eines adäquaten Ferrule-Designs unter
Berücksichtigung der biologischen Breite [18].
Bei Prämolaren mit geringem Substanzverlust – einoder zweiflächigen Kavitäten – ist die Restauration
mit einer intrakoronalen Versorgung durch Kom-
posit oder Keramik ohne zusätzlichen Einsatz eines
Wurzelkanalstifts möglich [22]. Höckerfassende
Restaurationen haben sich bei ausgedehnten modKavitäten hinsichtlich einer adäquaten Frakturprophylaxe bewährt [5]. Hier kommen heute aus
ästhetischen Gründen vermehrt keramische Teilkronen zum Einsatz. Bei der Versorgung mit Kronen muss ein nicht unerheblicher Substanzabtrag
der gegebenenfalls primär noch vorhandenen bukkalen und lingualen Wände in Kauf genommen
werden. In diesen Fällen kann ein Wurzelstift das
Misserfolgsrisiko deutlich reduzieren [15]. Ist ein
Prämolar aufgrund der stark reduzierten koronalen Zahnhartsubstanz oder als Pfeiler für eine Brückenkonstruktion zu überkronen beziehungsweise
eine Neuversorgung der bestehenden Restauration indiziert, ist mit der Präparation ein FerruleDesign herzustellen.
Abb. 1a: Ausgangssituation mit Wurzelfüllung, Stiftkrone und periapikaler Aufhellung
Abb. 1b: Röntgenmessaufnahme nach Revision der alten Wurzelfüllung mit elektrometrisch ermittelter neuer Arbeitslänge
Fall 1: Revision eines bestehenden
Stift-Stumpf-Aufbaus am Prämolaren
Im dargestellten Fall in der Abbildung 1a bis e war
der Zahn bereits mit einem Stift und einer Krone
versorgt. Die bestehende symptomatische chronische Parodontitis apicalis bedurfte einer Therapie.
Das Röntgenbild (Abb. 1a) zeigt die Ausgangssituation, eine 25 Jahre alte Wurzelkanalfüllung und
eine Stiftkrone mit periapikaler Aufhellung. Der
Erfolg einer Therapie durch eine Revisionsbehandlung wird in der Literatur mit 80 Prozent angegeben [31]. Eine alternativ mögliche Wurzelspitzenresektion kann generell zu einer Kompromittierung
des Kronen-Wurzel-Verhältnisses führen, wobei
auch der Zahnhartsubstanzverlust, der durch eine
Stiftentfernung im Rahmen einer orthograden Revisionstherapie auftreten kann, sorgfältig abgewo-
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gen werden sollte. Bei der Entfernung eines Stifts
sollte das koronale Freipräparieren stets mit feinen
Ultraschallspitzen erfolgen und dabei das koronale
Wurzeldentin bestmöglich erhalten werden. Um eine
gute Desinfektion zu gewährleisten, müssen bestehende Wurzelfüllungen restlos entfernt werden. Dabei sollte jedoch das vorhandene Kanallumen bei
ausreichender Initialpräparation im Kanaldurchmesser nicht unnötig erweitert werden, denn mit
zunehmender Kanalerweiterung steigt das Risiko
einer Wurzelfraktur [50].
Ein zur Aufbereitung des Wurzelkanals ausgewählter Glasfaserstift ohne eine weitere Stiftbettpräparation (Abb. 1c) schont das Wurzeldentin. Die mechanische Schwächung, die eine Zahnwurzel durch
eine Wurzelkanalpräparation erfährt, kann nicht
durch eine Stiftinsertion kompensiert werden. Im
dargestellten Fall wurde der Glasfaserstift ohne
erweiternde Stiftbettpräparation in die palatinale
Wurzel inseriert (Abb. 1c). Bei der Stumpfpräparation zur Neuversorgung mit einer Einzelkrone wurde
das Ferrule-Design beachtet (Abb. 1d und e).
Fall 2: Postendodontische Versorgung eines
Molaren mit einer Einzelkrone
Molaren sind überwiegend vertikalen Kraftkomponenten ausgesetzt. Dies verdeutlicht, dass die
Stabilisierung der Höcker eine große Bedeutung
für den Langzeiterfolg endodontisch behandelter
Molaren hat. Direkte Kompositrestaurationen können nur für rein okklusale oder Klasse II-Defekte
mit einer entsprechenden Restdentinwandstärke
empfohlen werden. Adhäsive Restaurationen in
Form von Teilkronen mit entsprechender Höckerfassung oder auch die Versorgung mit Goldteilkronen sind bereits bei Klasse III-Defekten indiziert.
Auch bei der Indikation für eine (Voll-)Krone ist bei
ausreichend vorhandener Restzahnhartsubstanz
keine Stiftinsertion notwendig.
Dies wird im dargestellten Fall der Versorgung des
tief kariös zerstörten Zahns 37 deutlich (Abb. 2a
bis j). Im Rahmen der Kariesexkavation kam es zur
Pulpaeröffnung und die endodontische Behandlung
wurde eingeleitet. Nach Kariesexkavation zeigte
sich im mesialen Bereich ein ausgeprägter zervikaler Defekt, der einen Abstand vom Rand der Aufbaufüllung zum krestalen Knochen von maximal
0,5 mm aufwies und für die definitive Versorgung
des Zahns eine chirurgische Kronenverlängerung
zur Wiederherstellung der biologischen Breite erforderte (Abb. 2d). Der in diesem Fall versorgte Zahn
wurde für die Aufnahme eines Langzeitprovisoriums
zur Reevaluation der Heilung nach chirurgischer
Kronenverlängerung präpariert. Für die Herstellung
des Langzeitprovisoriums für den Zahn 37 wurde
intraoperativ eine optische Abformung (3Shape
Trios POD) genommen. Die Fertigung erfolgte im
CAD/CAM-Prozess aus einem Hochleistungspolymer auf der Basis eines PMMA-Kunststoffs. Weiterhin besteht prothetischer Behandlungsbedarf für
Abb. 1d: Präparation des Zahns unter Berücksichtigung des FerruleDesigns
Abb. 1e: Die Aufsicht des präparierten Zahns zeigt die zirkumferente Dentinmanschette.
Abb. 1c: Neue Wurzelfüllung (Guttapercha) und Glasfaserstiftsetzung in palatinaler Wurzel
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Abb. 2a: Ausgangsbild des Zahns 37. Der Zahn ist nach der Entfernung eines Gold-Inlays provisorisch mit einer insuffizienten Füllung
aus Glasionomerzement versorgt, die sich in der mesialen Transluzenz zervikal des Füllungsrands im Röntgenbild zeigt.
Abb. 2b: Dargestellt ist ein dreiflächiger Defekt infolge von Sekundärkaries. Aufgrund der zentralen Ausdehnung der Karies kommt
es zur Eröffnung der Pulpa. Eine endodontische Therapie wird eingeleitet.
Abb. 2c: Adhäsive Aufbaufüllung nach Wurzelfüllung
Abb. 2d: Kontrollbild nach Wurzelfüllung und adhäsivem koronalen
Verschluss. Die Defektausdehnung mesial verläuft epikrestal und lässt
eine Versorgung aufgrund des Unterschreitens der biologischen
Breite nicht zu. Im Rahmen der präprothetischen Therapie ist eine
chirurgische Kronenverlängerung indiziert.
den Zahn 36, dessen bestehende Krone okklusal
perforiert ist und infolge von Sekundärkaries erneuert werden muss (Abb. 2b). Nach der Abheilungsphase der kronenverlängernden Maßnahme
sollen die Zähne 36 und 37 definitiv mit Einzelkronen versorgt werden. Die Verwendung von Wurzelkanalstiften ist nur bei tief zerstörten Molaren indiziert, bei denen die Retention für den koronalen
Aufbau erhöht werden und anschließend eine Kronenversorgung mit einer entsprechenden Berücksichtigung des Ferrules erfolgen muss. Im vorliegenden Fall konnte daher auf die Insertion eines
Wurzelstifts verzichtet werden.
Insgesamt sind die Faktoren Erhalt von Zahnhartsubstanz, Gewährleistung eines Ferrule-Designs
und die adhäsive Befestigung des Wurzelkanalstifts
entscheidend für den Langzeiterfolg postendodontischer Rekonstruktionen [17].
zelkanalstifte aus Metall (Titan) oder aus nichtmetallischen Materialien zur Verfügung. Dabei
kann es sich um faserverstärkte Wurzelkanalstifte
mit einer Epoxidharz- oder Kompositmatrix und eingelagerten Glas- oder Quarzfasern handeln sowie
um Stifte aus Zirkonoxid-Keramik. Für letztere besteht derzeit nur eine limitierte Anzahl von Publikationen klinischer Langzeitdaten und die Ergebnisse von In-vitro-Daten führen zu unterschiedlichen
Empfehlungen [3,13,28,42].
Bei der Verwendung von metallischen Wurzelstiften
mit einem höheren E-Modul (Titan circa 117 GPa)
wird angenommen, dass es zur Spannungsübertragung an das Dentin mit einem geringeren E-Modul (20 bis 25 GPa) [21] kommt. Hieraus können
Wurzelfrakturen resultieren. Die dentinähnlichen
Eigenschaften des Faserstifts sowie eines Bis-GMAbasierten Befestigungskomposits hinsichtlich des
E-Moduls sollen das Risiko für Wurzelfrakturen reduzieren. Begründet wird dies durch eine mögliche
positive Beeinflussung des biomimetischen Verhaltens dieser Stifte auf die Spannungsverteilung im
Welche Wurzelstifte stehen zur Verfügung?
Besteht die Indikation zur Wurzelstiftinsertion, stehen heute zunehmend passive, konfektionierte Wur-
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Abb. 2e und f: Scan der intraoperativen optischen Abformung (3Shape Trios POD) zur Aufnahme eines Langzeitprovisoriums (links Oberkiefer, rechts Unterkiefer)
Abb. 2g: Nahtlegung nach Kronenverlängerung
Abb. 2h: Modell gefertigt aus dem Scan-Datensatz
Abb. 2i: Langzeitprovisorium auf dem Modell
Abb. 2j: Langzeitprovisorium in situ
Wurzeldentin bei Kaubelastung [14,47]. Faserverstärkte Wurzelkanalstifte zeigten in Finite-Element-Analysen im Vergleich zu metallischen Stiften eine vierfach reduzierte Zug- und Scherspannung im Bereich der Grenzschicht zwischen Stift
und Befestigungsmaterial. Dies erhöht das Risiko
von Stiftdezementierungen und Mikrospaltentwicklungen auch bei adhäsiv befestigten Metallstiften
deutlich [36].
Der Einfluss des Stiftmaterials auf die Überlebensraten postendodontischer Restaurationen in vivo
kann aktuell nicht auf Basis systematischer Über-
sichtsarbeiten zufriedenstellend beantwortet werden [12,48]. Daten einer randomisierten kontrollierten klinischen Studie über den Einfluss des Stiftmaterials (glasfaserverstärkte Wurzelkanalstifte
oder Titanstifte) auf die Überlebensraten endodontisch behandelter Zähne zeigen nach sieben Jahren
in beiden Gruppen eine Überlebensrate von über
90 Prozent und der Unterschied zwischen den beiden Interventionsgruppen war nach dem angegeben Untersuchungszeitraum nicht signifikant [45].
In der Studie wurde bei der Präparation konsequent
auf eine adäquate Ferrule-Präparation geachtet und
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Fall 3: Postendodontische Versorgung eines
Molaren mit Aufbaustift und Einzelkrone
Im vorliegenden klinischen Fallbeispiel der Abbildungen 3a bis l wurde ein epoxidharzbasierter
Glasfaserstift verwendet (Dentin Post, Komet Dental), da infolge des ausgedehnten Substanzverlusts
die Indikation zur Stiftinsertion gegeben war. Die
Fasern sind bei faserverstärkten Wurzelkanalstiften verantwortlich für die Frakturresistenz des Stifts,
während die Kunststoffmatrix Kompressionskräften entgegenwirkt. Die parallel verlaufenden Fasern
können entweder aus Karbon, Quarz oder Glas zusammengesetzt sein, die in eine Kunststoffmatrix
eingebettet sind. Die Kunststoffmatrix besteht zumeist aus Epoxidharz oder methacrylatbasierten
Kompositen. Im Rahmen der adhäsiven Befestigung
faserverstärkter Wurzelkanalstifte gilt es, einen optimalen Verbund zwischen Befestigungskomposit und
Wurzelkanaldentin sowie zwischen Befestigungskomposit und Stiftoberfläche zu etablieren.
Die Hauptfaktoren für den Verbund zwischen Stiftoberfläche und Befestigungskomposit sind einerseits der chemische Verbund in Form von Kopolymerisation oder Diffusion in die Polymerstruktur
sowie andererseits der mikromechanische Verbund,
der durch die Oberflächenmorphologie der Faserstifte beeinflusst wird [20]. Eine Modifikation der
Oberflächenmorphologie kann durch Sandstrahlen zur Steigerung der Rauhtiefe (50 µm Aluminiumoxid bei 2,5 bar und 30 mm Abstand für circa
5 s [2]) erreicht werden und die Retention erhöhen.
Jedoch besteht hierbei die Gefahr der Oberflächenbeschädigung und Desintegration der Faserstifte,
wodurch die Frakturfestigkeit verringert werden
kann. Eine Ätzung mit Flusssäure wirkt sich aufgrund des stark korrosiven Effekts an der Glasphase
ebenso nachteilig auf die Integrität der Stifte aus.
Auch eine Silanisierung der Stiftoberfläche zeigte
teilweise widersprüchliche Ergebnisse [6,7,34,51],
da ein chemischer Verbund lediglich zwischen den
funktionellen Monomeren des Silans und anorganischen Bestandteilen an der Stiftoberfläche (Glasfasern und Füllkörper) zu erwarten ist. Hauptfaktor für einen positiven Effekt der Silanisierung der
Stiftoberfläche ist somit eine erhöhte Benetzbarkeit
der Stiftoberfläche [51]. Dies kann jedoch auch durch
die Verwendung eines Adhäsivs erreicht werden.
Eine aktuelle Studie bescheinigt der Kombination
aus einer Silanisierung der Stiftoberfläche und der
anschließenden Applikation eines Adhäsivs verbesserte Haftwerte im koronalen und mittleren Bereich der Stiftbettkavität [24]. Im vorliegenden Fall
wurde der Stift mit Alkohol entfettet und anschließend zur Erhöhung der Benetzbarkeit mit Monobond Plus silanisiert (Abb. 3e).
Die adhäsive Befestigung von Wurzelkanalstiften
stellt eine besondere Herausforderung dar, da die
korrekte Anwendung der techniksensitiven Adhäsivtechnik in tiefen und engen Wurzelkanälen
schwierig zu kontrollieren und damit als eher ungünstig einzustufen ist. Sowohl der hohe C-Faktor
Abb. 3a: Ausgangsbild des Zahns 46. Indikationsstellung zur Revision der Wurzelfüllung. Zu erkennen sind apikale Transluzenzen im
Bereich der mesialen und distalen Wurzelspitzen bei nicht vollständig
gefüllten Wurzelkanalbereichen im unteren Wurzeldrittel.
Abb. 3b: Klinische Ausgangssituation des Zahns 46
in Abhängigkeit von der Ausgangssituation wurde
in 13 Fällen eine chirurgische Kronenverlängerung
zur Wiederherstellung der biologischen Breite vorgenommen. Somit scheint der Einfluss des Stiftmaterials auf die Überlebensraten und Bruchlasten
postendodontischer Restaurationen bei konsequenter Einhaltung einer 1,5 bis 2 mm breiten FerrulePräparation eher vermindert zu sein [19]. Zähne
mit faserverstärkten Aufbaustiften zeigen im Sinne
der Wiederversorgbarkeit günstigere Frakturmuster, da das Versagen oftmals im zervikalen Wurzelbereich auf Höhe des Limbus alveolaris eintritt.
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Abb. 3c: Der Kofferdam wurde gelegt und die Kavität dargestellt.
Der distale Kanal ist für die Stiftinsertion vorgesehen.
Abb. 3d: Nach der Stiftbettpräparation wird der Stift einprobiert.
Im Anschluss erfolgt die Abschlussspülung mit Ethanol 99 %.
Abb. 3e: Benetzung des Aufbaustifts mit
einem Silan (Monobond Plus, Ivoclar Vivadent)
Abb. 3f: Applikation des selbsthaftenden
Befestigungskomposits (RelyX Unicem,
3M Espe) mit einem Elongation-Tip
Abb. 3g: Initiale Lichthärtung des Befestigungsmaterials
Abb. 3h: Adaptierte Frasaco-Krone (Frasaco)
zur Formgebung für den adhäsiven Aufbau
Abb. 3i: Aufbaufüllung gelegt und Stift
eingekürzt vor der Abdeckung mit niedrig
viskösem Komposit
Abb. 3j: Röntgenkontrolle der Wurzelfüllung
und Stiftsetzung vor der weiteren prothetischen Therapie
[46] und die schlechte Einsicht als auch verbliebene
Sealer- und Guttaperchareste [33] sowie irreguläre
Dentinstrukturen [27] können die Ausbildung der
Adhäsivschicht negativ beeinflussen.
Zur adhäsiven Befestigung faserverstärkter Stiftsysteme stehen selbstkonditionierende sowie Etchand-Rinse-Systeme zur Verfügung. Selbstkonditionierende Systeme lassen sich noch einmal eintei-
len in selbsthaftende Befestigungskomposite und
Befestigungskomposite, bei denen zuvor ein selbstkonditionierender Primer angewendet wird. Selbsthaftende Befestigungssysteme zeigten in den Ergebnissen von In-vitro-Untersuchungen zufriedenstellende Haftwerte, die zum Teil über den Werten von
Systemen lagen, die mit der Etch-and-Rinse-Technik
angewendet werden [4,9,11]. Ein Erklärungsansatz
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Abb. 3k: Präparation zur Aufnahme einer metallkeramischen Krone,
Ansicht von bukkal
Abb. 3l: Krone in situ nach Befestigung mit Glasionomerzement
hierfür ist die höhere Techniksensitivität von Etchand-Rinse-Systemen bei den gegebenen ungünstigen Bedingungen im Wurzelkanal. Darüber hinaus
belegt eine aktuelle Meta-Analyse zur adhäsiven
Befestigung von Faserstiften einen positiven Effekt
selbsthaftender Befestigungskomposite auf die Retention von Wurzelkanalstiften [37].
Im dargestellten Fall erhielt der endodontisch und in
seiner Zahnhartsubstanz kompromittierte Zahn 46
eine Revisionsbehandlung. Koronal wurde er abschließend mit einer metallkeramischen Krone versorgt. Aufgrund des erheblichen Zerstörungsgrads
des Zahns mit einer residualen bukkalen Kavitätenwand wurde zur verbesserten Retention des Aufbaus
ein Glasfaserstift mit dem selbsthaftenden Befestigungskomposit RelyX Unicem (3M Espe) befestigt.
Der Aufbau wurde aus dem Komposit Luxacore
dual (DMG) gefertigt. Die Umsetzung des FerruleDesigns wurde durch eine epi- und subgingivale
Präparation angestrebt. Eine chirurgische Kronenverlängerung konnte aufgrund des Risikos einer Furkationsfreilegung nicht durchgeführt werden.
Nach der Präparation der Stiftbettkavität mit einem
genormten Vorbohrer sowie der Einprobe des Stifts
(Abb. 3d) erfolgte eine ultraschallaktivierte Spülung
mit 1 % Natriumhypochlorit für eine Minute, gefolgt von einer Zwischenspülung mit Aqua dest und
einer Abschlussspülung mit Ethanol 99 %. Die
Ergebnisse unserer Arbeitsgruppe deuten darauf
hin, dass dieses Spülprotokoll bei der Anwendung
eines selbsthaftenden Befestigungskomposits sowie
bei einem Etch-and-Rinse-Adhäsivsystem zu signifikanten Haftwerterhöhungen im Wurzelkanal
führen kann [4].
Im Anschluss erfolgte die Applikation des selbsthaftenden Befestigungskomposits RelyX Unicem
mithilfe eines Elongation-Tips als Einbringhilfe
(Abb. 3f). Diese Applikationsmethode zeigte auch
in In-vitro-Studien eine blasenfreie Applikation des
Befestigungskomposits [49]. Nach der Stiftinsertion
wurde eine konfektionierte lichtdurchlässige Frasaco-Krone mit koronaler Perforation zur Aufnahme
des Aufbaukomposits adaptiert (Abb. 3h und i).
Nach der Präparation (Abb. 3k) wurde der Stift zum
Schutz vor Flüssigkeitsaufnahme mit einem niedrig
viskösen Komposit abgedeckt.
Fazit für die Praxis
· Mit der Restauration eines endodontisch behandelten Zahns soll die verbliebene Zahnhartsubstanz maximal geschont und gleichzeitig eine
Frakturprophylaxe angestrebt werden.
· Bei einem hohen Zerstörungsgrad mit einer verbliebenen Kavitätenwand oder äquigingivalen
Defekten ist die Insertion eines Aufbaustifts indiziert.
· Die Präparation des Ferrule-Designs trägt entscheidend zur Frakturprophylaxe bei.
· Adhäsiv befestigte, faserverstärkte Aufbaustifte
vereinen biomechanische und ästhetische Anforderungen.
· Die Anwendung der Befestigungsmaterialien für
adhäsiv befestigte Aufbaustifte erfordert die Einhaltung empfohlener Protokolle. Selbsthaftende
Befestigungkomposite zeigten sowohl in vivo als
auch in vitro akzeptable Ergebnisse und können
somit für die Stiftbefestigung empfohlen werden.
Korrespondenzadresse:
Priv.-Doz. Dr. Kerstin Bitter
Abteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin
CharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Straße 4-6, 14197 Berlin
[email protected]
Literatur bei den Verfassern
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