2. Vorlesung. Die Theorie der schwarz

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2. Vorlesung. Die Theorie der schwarz-weissen Ketten.
Die Theorie der schwarzen Steinchen haben wir jetzt halbwegs vertanden. Statt mit
schwarzen Steinen wie die Griechen, wollen wir jetzt mit schwarzen und weißen Steinchen
spielen. Mit schwarzen und weißen Steinen köennen wir ganz neue Ketten bilden:
• • •, • ◦ ◦, • ◦ ◦ • • • ◦ ◦ ◦ ◦ ••, . . .
Es entsteht damit etwas völlig Neues. Um das Neue zu sehen, führen wir den Begriff der
”Menge” ein. Dann werde wir sehen, dass man mit schwarzen Ketten nur abzählbare, mit
schwarz-weisse Ketten aber überabzählbar große Mengen bilden kann.
1. Mengenlehre der schwarzen Ketten.
Ebenso wie die griechisch-klassische Mathematik die Lehre vom Geraden und Ungeraden
als Basislehre hatte, so ist für die moderne Mathematik die Lehre vom abzählbar und
überabzählbar Unendlichen fundamental. Man könnte es auch als die Mengenlehre der
schwarzen und die Mengenlehre der schwarz-weissen Ketten bezeichnen.
Wir beginnen mit der Mengenlehre der schwarzen Ketten.
Die Länge einer Kette ist die Anzahl ihrer Steinchen. Es gibt genau eine schwarze Kette
zu jeder Länge. Mit anderen Worten wir haben eine 1-1 Zuordnung
•
l
1
•• • • •
l l
2 3
• • ••
l
4
• • • • • ...
l
...
5
...
Wir bilden jetzt die Mengen
N
:= {
•,
••,
• • •,
• • ••,
• • • • •,
... }
N
:= {
1,
2,
3,
4,
5,
... }
Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5)
2
. Lineare Algebra (L2/L5)
Wir schreiben
x∈N
genau dann wenn x eine Zahl aus N ist.
Die einzelnen Ketten in der Menge N haben endliche Länge, aber wir behaupten, dass
die Menge N selbst unendlich ist.
Frage. Was heißt unendlich?
Hierzu die folgende
Beobachtung von Galilei (1564-1642). Galilei hat die Beobachtung gemacht, dass
man eine 1-1-Zuornung zwischen den Zahlen und ihren Quadraten herstellen kann
x: 1
l
l
2
x : 1
2 3
l l
4 9
4
l
16
5 ...
l ...
25 . . .
und somit eine 1-1-Zuordnung zwischen einer Menge und einer echten Teilmenge. Galilei
hat daraus den weiteren Schluss gezogen, dass je zwei konzentrische Kreise die gleiche Zahl
von Punkten (Atomen) haben müssen.
In der Mengenlehre wird aus dem nicht-definierten Grundbegriff ”Zuordnung” der definierte Begriff ”Abbildung zwischen Mengen”:
Definition. Seien A, B zwei Mengen (endlich oder nicht). Eine Abbildung zwischen
A und B ist eine Zuordnung, die jedem Element von A genau ein Element von B
zuordnet. Bezeichnung: f : A → B.
Definition.
f ist injektiv ⇔ (f(x) = f(y) impliziert x = y)
f ist surjektiv ⇔ zu jedem b ∈ B gibt es mindestens ein a ∈ A mit f (a) = b
f ist bijektiv ⇔ f ist injektiv und surjektiv
Damit können wir jetzt den Satz formulieren und beweisen.
Satz. Die Zuordnung x 7→ x2 definiert eine Abbildung
f : N → N, x 7→ x2 ,
die injektiv, aber nicht surjektiv ist.
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§2 Mengen und Abbildungen
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Beweis.
1. Behauptung. Die Zuordnung definiert eine Abbildung.
Die Zuordnung x 7→ x2 ordnet jeder Zahl x genau ein Quadrat zu, nämlich x2 .
Also: die Zuordnung x 7→ x2 definiert eine Abbildung.
2. Behauptung. f ist injektiv.
Ein Vergleich von Quadraten zeigt, dass zwei Quadrate nur dann die gleich Anzahl von
Steinchen haben, ihre Seiten gleichlang sind:
•
•
•
•
• •
• •
• •
•
•
•
Quadrate sind verschieden
Sei x, y ∈ N mit f (x) = f (y)
⇒ x2 = y 2
⇒ x = y.
Also: f ist injektiv.
3. Behauptung. f ist nicht surjektiv.
12 < 2 und 2 < 22
⇒ x2 6= 2, für alle x ∈ N.
⇒ f (x) 6= 2, für alle x ∈ N.
Also: f ist nicht surjektiv. ♦
Definition. Eine Menge A heißt unendlich, wenn es eine injektive Abbildung f : A →
A gibt, die nicht surjektiv ist. Eine Menge heißt endlich, wenn sie nicht unendlich ist.
Beispiel. { 1, 2, 3, 4 } ist endlich, N und N sind unendlich.
Definition. Die Menge N ist die abzählbar unendliche Standard Menge.
Definition. Eine Menge M heißt abzählbar unendlich, wenn es eine bijektive Abbildung f : M → N gibt.
Bemerkung. Wir haben eingangs gesehen, dass die Menge aller schwarzen Ketten abzählbar ist.
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4
. Lineare Algebra (L2/L5)
Wir haben den Begriff ”Menge” bisher recht naiv verwendet. Wir wollen jetzt den Umgang
mit Mengen etwas stärker präzisieren.
Definition. Eine Menge ist eine Zusammenfassung einer Ansammlung von wohlunterschiedenen Objekten (Elementen) zu einer Einheit. Die Objekte heißen Elemente der
Menge. Schreibweise: a ∈ M .
Bemerkung. Eine Menge N heißt Teilmenge einer Menge M , wenn x ∈ N ⇒ x ∈ M .
Bemerkung. Wichtig ist hier, dass Mengen selbst wieder Objekte sind, die zu neuen
Einheiten zusammengefaßt werden können. Das Element Zeichen schafft eine Hierarchie
in der Bildung dieser Mengen: Z.B.
{ 2, 7, +, ∗ } = Menge, {1, 2, 1, 3, 1} = keine Menge, { 2, {2}, {2, {2}}} = Menge
Weiter ist
2 ∈ {0, 2, 4, 6, 8, 10}, 2 6∈ {1, 3, 5, 7, 9}, 2 6∈ {{2}, {2, {2}}}
Bemerkung. Wir spielen jetzt mit schwarzen Steinchen auf einem neuen Niveau. Statt
lediglich Ketten zu bilden, können wir jetzt Mengen von Mengen von Ketten usw. bilden.
Das sieht im Augenblick vielleicht eher künstlich und gewollt aus, aber das täuscht. Wir
werden in dieser Vorlesung sehen, dass im Gegenteil mit diesem Trick der Hierarchisierung
eine Revolution in der Mathematik erreicht ist.
Mengenbildungen. Seien A, B Mengen. Dann sind auch
A ∪ B := { x | x ∈ A oder x ∈ B } (Vereinigungsmenge)
A ∩ B := { x | x ∈ A und x ∈ B } (Durchschnittsmenge)
P(A) := {B | B ⊂ A } (Potenzmenge)
wieder Mengen.
Satz. Jede Teilmenge von N ist entweder endlich oder abzählbar unendlich.
Beweis. Man ordne die Zahlen aus N wie folgt:
1 < 2 < 3 < 4 < ...
Sei nun A ⊂ N. Dann gibt es in dieser Ordnung ein 1., 2., 3. usw. Element aus A.
Dann ist entweder A endlich oder die Zuordnung
n 7→ n-tes Element aus A
definiert eine injektive Abbildung f : N → A. ♦
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§2 Mengen und Abbildungen
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2. Mengenlehre der schwarz-weissen Ketten.
Wir wollen jetzt mit schwarzen und weißen Steinchen spielen. Wir bilden also Ketten der
Form
• • •, • ◦ ◦, • ◦ ◦ • • • ◦ ◦ ◦ ◦ ••, . . .
Uns fällt sofort auf, dass es zu jeder Länge mehr als eine Kette gibt. Tatsächlich wächst
die Anzahl dieser Ketten sehr schnell mit ihrer Länge.
•
••
•••
...
••◦
◦
•◦
◦•
•◦• •◦◦ ◦••
◦•◦
#Ketten
= 2 = 21
◦◦
= 4 = 22
◦ ◦ • ◦ ◦ ◦ = 8 = 23
Tatsächlich ist das Wachstum exponentiell, d.h. explosionsartig:
Satz. Es gibt 2n schwarz-weisse Ketten der Länge n.
Beweis. (durch Induktion)
Induktions Anfang. Es gibt 2 Ketten der Länge 1.
Induktions Annahme. Angenommen es gibt 2n Ketten der Länge n.
Induktions Schluss. Jede Kette der Länge n gibt Anlass zu zwei Ketten der Länge
n + 1 denn man kann ja die Kette entweder mit einem schwarzen oder mit einem weissen
Stein verlängern.
Also gibt es insgesamt 2 · 2n = 2n+1 Ketten der Länge n + 1. ♦
Bemerkung. Wir bezeichnen
R := Menge aller schwarz-weissen Ketten
N := Menge aller schwarzen Kette
Bezeichnen wir weiter
Rn := Menge aller schwarz-weissen Ketten der Länge n
Nn := Menge aller schwarzen Ketten der Länge n
,
dann gilt
R := R1 ∪ R2 ∪ . . . und N := N1 ∪ N2 ∪ . . .
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. Lineare Algebra (L2/L5)
Die Mengen Nn wachsen polynomiell und die Mengen Rn wachsen exponentiell. Da
also Mengen von schwarz-weissen Ketten viel schneller wachsen als Mengen von schwarzen
Ketten allein, könnte man die Vermutung haben, dass die Menge aller schwarz-weissen
Ketten viel ”größer” ist als die Menge aller schwarzen Ketten (in dem Sinne dass es keine
bijektive Abbildung
N →R
gibt). Sowohl R als auch N ist abzählbar unendliche Vereinigung von endlichen Mengen.
Ist so etwas abzählbar? Sind unendliche Vereinigungen überhaupt statthaft?
Satz. Die Menge aller endlichen schwarz-weissen Ketten ist abzählbar.
Beweis. Es gibt verschiedene Möglichkeiten dies zu beweisen. Z.B. kann man jeder
endlichen schwarz-weisse Kette z ∈ R eine Gödel Nummer g(z) ∈ N wie folgt zuordnen
•
↓
g(z) 2
z=
◦
↓
3
◦ •
↓ ↓
3 5
• •
↓ ↓
5 5
◦ ◦
↓ ↓
7 7
= 21 · 32 · 52 · 73 = 110.250
1. Behauptung. Die Zuordnung z 7→ g(z) ist eine Abbildung g : R → N.
Es gibt beliebig viele Primzahlen. Sind nämlich
p1 , p2 , . . . , pn
Primzahlen, dann ist
pn+1 = p1 · p2 · . . . · pn + 1
eine Primzahl verschieden von allen Primzahlen p1 , . . . pn .
Also ist jeder beliebig langen schwarz-weissen Kette wie oben genau eine Gödelzahl g(z)
zugeordnet.
Demnach ordnet die Zuordung z 7→ g(z) jeder Zeichenkette genau eine Zahl aus N
zu.
Die Zuordnung ist somit eine Abbildung.
2. Behauptung. Die Abbildung g : R → N ist surjektiv.
Sei n ∈ N.
mn
1 m2
⇒ n = pm
1 p2 · . . . · pn , denn jede Zahl n hat mindestens eine Primzahlzerlegung.
Sei z die schwarz-weisse Kette, die abwechselnd aus m1 schwarzen, m2 weissen, m3
schwarzen usw. Steinen besteht.
mn
1 m2
⇒ g(z) = pm
1 p2 · . . . · pn = n (nach Konstruktion)
Also: g : R → N ist surjektiv.
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§2 Mengen und Abbildungen
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3. Behauptung. Die Abbildung R → N ist injektive.
Seien z1 , z2 ∈ R zwei Zeichenketten mit
g(z1 ) = g(z2 )
Dann gilt für die entsprechenden Primzahlzerlegungen
n1 n2
nv
mu
1 m2
pm
1 p2 . . . pu = g(z1 ) = g(z2 ) = q1 q2 . . . qv , mi , ni ∈ N.
Die Primzahlzerlegung ist aber eindeutig, d.h. u = v und nach Umsortierung pi = qi ,
für alle 1 ≤ i ≤ u.
Also: die Zeichenketten z1 und z2 sind gleich. ♦
Bemerkung. Wir haben hier einige Tatsachen zu Primzahlzerlegungen benutzt, die wir
uns in der nächsten Vorlesung noch genauer ansehen müssen.
Hier ist noch eine weitere eigenartige Idee.
Es gibt einen eigenartigen Zusammenhang zwischen endlich langen schwarz-weisse Ketten
und Teilmengen von schwarzen Ketten.
Beispiel. Das nächste Beispiel zeigt wie man der Teilmenge {3, 6, 7, 9, 10, 11} genau eine
schwarz-weisse Kette zuordnet.
{
{
1 2
l l
◦ ◦
3,
↓
3 4
l l
• ◦
6,
↓
5 6
l l
◦ •
7,
↓
7 8
l l
• ◦
9, 10,
↓
↓
9 10
l
l
•
•
11
↓
11
l
•
}
}
Wir haben also 1-1-Zuordnung von endlich langen schwarz-weisse Ketten und endlichen
Teilmengen von N. Wir wissen bereits, dass die Menge der endlich langen schwarz-weisse
Ketten abzählbar ist. Also folgt:
Satz. Die Menge aller endlichen Teilmengen von N ist abzählbar. ♦
Auf der anderen Seite gilt:
Satz. Die Menge P(N) aller Teilmengen von N ist nicht abzählbar.
Bemerkung. Der Beweis nutzt die griechische Idee des indirekten Beweises in einer
extremen Form aus.
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. Lineare Algebra (L2/L5)
Beweis des Satzes. (durch Widerspruch)
Wir sollen zeigen, dass es keine bijektive Abbildung N → P(N) geben kann.
Annahme. Es gibt eine surjektive Abbildung f : N → P(N).
Definiere
M := {x ∈ N | x 6∈ f (x) }
Dann ist M ⊂ N, also M ∈ P(N).
Da f surjektiv ist, gibt es ein z ∈ N mit
f (z) = M
1. Fall. z ∈ M .
z ∈ M = f (z) ⇒ z ∈ f (z) ⇒ z 6∈ M (nach Definition von M ).
2. Fall. z 6∈ M .
z 6∈ M = f (z) ⇒ z 6∈ f (z) ⇒ z ∈ M (nach Definition von M ).
Wir bekommen also einen Widerspruch.
Damit ist die Annahme widerlegt und der Satz folgt. ♦
Literatur.
K. Appell, J. Appell: Mengen-Zahlen-Zahlbereiche, Spektrum, Elsevier (2005)
Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5)
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