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22. Durum- und Teigwaren-Tagung
Kohlenhydrate und Glykämischer Index
Bedeutung für die menschliche Ernährung
Prof. Dr. Helmut Heseker
Fakultät für Naturwissenschaften
Universität Paderborn
Kernfragen
Gibt es eine Ernährungsform,
die bei überreichlichem
Nahrungsangebot und chronischem Bewegungsmangel
die Neubildung von Fettgewebe minimiert, die das
Erreichen einer ausgeglichenen Energiebilanz erleichtert
und die vor Typ 2-Diabetes
mellitus schützt?
Übergewichtsprävalenz nach Alter (BMI > 25)
Mikrozenzus 1999 und 2003, n ~380 000
80
Männer 1999
Männer 2003
Frauen 1999
Frauen 2003
70
Prävalenz [%]
60
50
40
30
20
10
Statistisches Bundesamt, 2000 und 2004
>7
5
70
-75
65
-70
60
-65
55
-60
50
-55
45
-50
40
-45
35
-40
30
-35
25
-30
20
-25
18
-20
0
Adipositasprävalenz nach Alter (BMI > 30)
Mikrozenzus 1999 und 2003, n ~380 000
25
Männer 1999
Männer 2003
Frauen 1999
Frauen 2003
Prävalenz
[%]
20
15
10
5
Statistisches Bundesamt, 2000 und 2004
>7
5
70
-75
65
-70
60
-65
55
-60
50
-55
45
-50
40
-45
35
-40
30
-35
25
-30
20
-25
18
-20
0
Diabetes-Prävalenz in Deutschland
(Windler, 2002)
Richtwerte für die Kohlenhydratzufuhr
(DGE et al., 2000)
z
z
z
z
Ein Richtwert von mindestens 50 % der Nahrungsenergie ist dadurch
begründet, dass bei geringerer Zufuhr mit einer kompensatorisch
höheren Aufnahme von Fetten zu rechnen ist.
„Insgesamt ist ein hoher Kohlenhydratverzehr angezeigt, sofern es
sich bevorzugt um stärkehaltige und ballaststoffreiche Lebensmittel
handelt, die auch essentielle Nährstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe
enthalten.“ (= Stärke im botanischen Verbund)
Den Lebensmitteln zugesetzte isolierte Kohlenhydrate, insbesondere
Mono- und Disaccharide sowie raffinierte und modifizierte Stärken
(z.B. Maltodextrine) enthalten keine essentiellen Nährstoffe.
„Eine sehr hohe Zufuhr [isoliert zugesetzter Kohlenhydrate], welche
die Nährstoffdichte gefährdet, sollte deshalb vermieden werden.“
(2005 US-Dietary Guidelines: Acceptable Macronutrient Distribution Range
for carbohydrate: 45-65 % of total calories; 14 g fiber/1000 kcal)
Empfehlungen für die Zufuhr von
Kohlenhydraten
Empfehlenswert ist ein hoher Kohlenhydratverzehr von
>50 % in Form komplexer Kohlenhydrate, z.B. Vollkornbrot,
-nudeln, … Gemüse, Obst und Kartoffeln.
z Diese Lebensmittel liefern neben Vitaminen sekundäre
Pflanzenstoffe und Ballaststoffe und tragen zur Magenfüllung
und Sättigung bei.
z Bei geringer Kohlenhydratzufuhr ist mit einer kompensatorisch
höheren Aufnahme von Fetten zu rechnen.
z Durch den verlangsamten Einstrom von Kohlenhydrate aus
den o.g. Lebensmitteln ins Blut werden hohe Blutglukosespiegel vermieden und der Insulinstoffwechsel weniger
belastet.
>> Demnach entsprechen die Empfehlungen der DGE einer Kost
mit niedrigem Glykämischen Index.
z
(DGE-Info, 2004)
Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauchs
KH-reicher Lebensmittel in Deutschland
250
kg/Kopf/Jahr
200
Getreide
Kartoffeln
Zucker/Glukose
150
100
50
0
1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005
Kohlenhydratzufuhr
(Energieprozent; NVS-Studie)
2 .0 0 0
KH-Anteil
H äu fig k eit
1 .5 0 0
< 30
3,5 %
30-40
39,1 %
40-50
48,7 %
> 50
8,8 %
1 .0 0 0
500
M e a n = 4 1 ,3 1 5 7
S td . D e v . = 6 , 4 7 1 4 4
N = 2 3 .2 0 9
0
2 0 ,0 0
4 0 ,0 0
6 0 ,0 0
8 0 ,0 0
K o h l e n h y d r a t z u f u h r ( E n e r g ie % )
Der Glykämischer Index (GI)
Der GI vergleicht die Blutglukose-Wirksamkeit
von
50 g Kohlenhydraten aus einem Lebensmittel
mit der von
50 g Traubenzucker oder 50 g Weißbrot.
Bestimmung des Glykämischer Index (GI)
GI-Test mit 50 g Kohlenhydate
Einfluß von Eiweiß und Fett auf den GI
von Kartoffeln bzw. Spaghetti
Mengen: 25g KH + 25g EW + 25g F
Kartoffeln alleine
Kartoffeln mit EW
Kartoffeln mit EW+F
Spaghetti alleine
Spaghetti mit EW
Spaghetti mit EW+F
Gulliford et al., Am J Clin Nutr 1989;50:773-7
GI von ausgewählten Lebensmitteln
Lebensmittel
GI (%)
Kategorie
Glukose
Kartoffeln
Cola, Limonaden
Weißbrot, Knäckebrot
Obstsäfte
Kochzucker
Kürbis, Melone
Reis
Nudeln, Kuchen
Banane
Gebäck
Vollkornbrot
Apfel, Obst
Müsli
Milch
Linsen, Hülsenfrüchte
Vollmilchschokolade
Gemüse, Salat, Erdnüsse
100
60-80
70
60-70
60-70
60
70-75
50-60
50-60
40-50
40-50
40
30-40
30
30
30
25-30
10-20
hoch
mittel
niedrig
Glykämischer Index
Einfluß des Ballaststoffgehalts
z
Ein hoher Gehalt an löslichen Ballaststoffen
(Pektin, Hemizellulose, Guargummi etc.) ist
invers mit dem GI eines KH-haltigen
Lebensmittels assoziiert (Riccardi et al., 2003).
z
Im natürlichen botanischen Verbund schließen
Ballaststoffe die Stärkekörnchen ein und stellen
eine Barriere gegen Verdauungsenzyme dar.
Glykämischer Index
Bedeutung des Amylose/Amylopektin-Verhältnisses
z
Amylose (besonders in Getreide) ist wegen seiner
linearen Molekülstruktur schlechter durch
Verdauungsenzyme spaltbar als Amylopektin.
z
Amylopektin (besonders in Kartoffeln) wird wegen der
stark verzweigten Struktur rasch hydrolysiert
(=gespalten) und absorbiert.
z
Wegen des unterschiedlichen Amylose/AmylopektinVerhältnisses kann der GI von Reis zwischen 27
(Bangladeshi rice, traditionally parboiled, 27 % Amylose)
und 83 (geschälter Reis, wenig Amylose, Türkei, Australien)
variieren.
Probleme des GI
z
z
z
z
z
z
z
Fehlen eines definierten Standards
(50 g Weißbrot oder 50 g Glukose)
Große Unterschiede zwischen den Testpersonen
(schlanke Probanden, Typ 2 Diabetiker, Prädiabetiker)
Hohe Tag-zu-Tag-Variabilität bei den gleichen Testpersonen
(bis 50 %)
Tageszeitabhängigkeit
Gilt nur für das bewertete Einzellebensmittel
Es kann nicht der GI von zusammengesetzten Lebensmitteln
oder Gerichten berechnet werden.
Anwesenheit von Fetten und Proteinen beeinflusst den GI
erheblich (Magenentleerung)
Definitionen
Für den Stoffwechsel entscheidend ist die
Glykämische Last (Petersilienphänomen):
Glykämische Last (GL)
= Maß der Qualität und Quantität der Blutglukose-steigernden
Wirkung von verwertbaren Kohlenhydraten
Glykämischer Index x KH-Menge (g/Portion)
GL =
100
Eine Glykämische Last von 25 bedeutet
GL, Ballaststoffzufuhr und Diabetesrisiko bei Frauen
Nurses´ Health Study
Salmeron J et al., JAMA 1997; 277:472-477
GL, Ballaststoffzufuhr und Diabetesrisiko bei Männern
Health Professional Study
Salmeron J et al., Diabetes Care 1997; 20:545-550
Glykämischer Index und Typ 2 Diabetes mellitus
Hohe „Glykämische Last“: Risikofaktor für die Gesundheit?
Bislang gibt es nur Daten aus prospektiven Kohortenstudien mit uneinheitlichen Ergebnissen:
z
2 Studien zeigen eine schwach positive Beziehung
(Nurses´ Health Study, Health Professionals´ Study)
z
2 Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen GI
bzw. GL und Diabetesrisiko
(Iowa Womens´ Health Study, Atherosclerosis Risk in
Communities Study)
Zusammenfassung der Evidenz für Faktoren,
die eine Gewichtszunahme und Adipositas fördern
oder verhindern (WHO, 2003)
Evidenz
reduziertes
Risiko
keine
Assoziation
erhöhtes
Risiko
überzeugend
- regelmäßige,
körperliche Aktivität
- hohe Ballaststoffzufuhr
- überwiegend sitzender Lebensstil
- hohe Energiedichte
wahrscheinlich
- längere Zeit
gestillt
- hoher Verzehr von
Softdrinks
- niedriger Sozialstatus
möglich
- niedriger GI
- hohe Proteinzufuhr
- große Portionen
unzureichend
- erhöhte Mahlzeitenfrequenz
- Alkohol
Zusammenfassung der Evidenz für Faktoren,
die eine Entstehung von Diabetes mellitus (Typ 2)
fördern oder verhindern (WHO, 2003)
Evidenz
reduziertes
Risiko
keine
Assoziation
erhöhtes
Risiko
überzeugend
- freiwilliger Gewichtsverlust bei Adipositas
- körperliche Aktivität
- Adipositas
- abdominale Adipositas
- körperlich Inaktivität
wahrscheinlich
- Ballaststoffe
- gesättigte Fette
möglich
- ω3 Fettsäuren
- niedriger GI
- ausschließlich gestillt
- Gesamtfettzufuhr
- Transfettsäuren
unzureichend
- Vitamin E
- Magnesium
- Chrom
- hohe Alkoholzufuhr
Glykämischer Index und Glykämische Last
Zusammenfassung
z
z
z
z
Es gibt bisher keine überzeugenden Belege,
dass eine Kost mit niedrigem GI bzw. niedriger GL
vor Adipositas, Typ 2 Diabetes mellitus, koronarer
Herzkrankheit oder Krebs schützt.
Es ist daher nicht ausreichend begründbar, das Konzept
des glykämischen Index in die aktuellen Ernährungsempfehlungen aufzunehmen.
Es fehlen außerdem plausible und validierte Ansätze, um
das Konzept des GI in der Ernährungsberatung verständlich
zu vermitteln.
Die bisherigen Empfehlungen der DGE entsprechen einer
Kost mit niedrigem GI.
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