gottheiten in tiergestalt

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GOTTHEITEN IN TIERGESTALT IM ALTEN ÄGYPTEN
In dieser Kolumne lockt das interessante Vorhaben, Götter und Göttinnen sichtbar und anschaulich
zu machen: Um sich dem komplexen "Wesen" von Göttern zu nähern, haben die Ägypter sie oft in
Gestalt von Tieren verehrt.
Nach einer kurzen Einführung werden wir einige dieser göttlichen Gestalten und ihren
Wirkungskreis näher kennen lernen und auch einen dämonisch bedrohlichen Teil der göttlichen
Weltordnung betrachten.
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Einführung zu "Gottheiten in Tiergestalt im Alten Ägypten"
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Apophis und die Reise des Sonnengottes durch die Unterwelt
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Chepre – der Skarabäus als Symbol der Schöpfung und des Neubeginns
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Sechmet – Ambivalenzen einer Göttin
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Selket – die skorpiongestaltige Göttin mit magischen Heilkräften
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Der weise Thot – ein Allrounder unter den Göttern
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Hausgötter 1: Der zwergengestaltige Bes – Gefährte der Götter und Liebling des Volkes
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Hausgötter 2: Die Gefährtinnen des Bes – Beset und die Nilpferdgöttin Thoëris
Eine kurze Einführung
Tiere waren im Leben der Alten Ägypter allgegenwärtig und von einer Bedeutung, die wir uns
heute kaum noch vorstellen können.
Nutztiere wie Rinder und Esel halfen der hauptsächlich von Landarbeit geprägten Bevölkerung bei
der Feldarbeit und dem Einbringen der Ernte. Tiere hatten in der Welt der Götter ihren Platz und
gehörten auch zu den Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tode dazu, wie die
szenische Ausschmückung von Gröbern belegen.
Diese hohe Ansehen von Tieren und der Respekt ihnen gegenüber ist begründet in den
verschiedenen Schöpfungslehren, die das Alte Ägypten hervorgebracht hat: Alle Lebewesen, egal
ob Mensch, Tier, Pflanze, Baum oder Mineral, sind gleichberechtigte Elemente der geschaffenen
Welt. Der Mensch wurde nicht als "Krone der Schöpfung" verstanden, sondern als eine von vielen
Komponenten in der Pluralität des Kosmos.
"Du [der Gott Aton, die lebensspendende Sonne] hast die Erde geschaffen
nach deinem Wunsch, ganz allein, mit Menschen, Vieh und allem Getier,
mit allem, was auf der Erde ist, was auf Füßen umherläuft
und allem, was in der Höhe ist und mit seinen Flügeln fliegt".
(Auszug aus dem großen Aton-Hymnus, Erik Hornung, Altägyptische
Dichtung. – Stuttgart: Reclam 1996, S. 131)
Nach der Vorstellung der Ägypter konnten die Göttinnen und Götter Gestalt annehmen und
sichtbar werden. Sie konnten Tiere als "Gefäße" und Ausdrucksform ihrer Macht auswählen und in
ihnen ihre Kraft und Präsenz zeigen. Die Zeugungskraft des Widders etwa inspirierte die Ägypter
dazu, ihn als symbolisches Bild für die seit Urzeiten vorhandenen schöpferischen und
befruchtenden göttlichen Kräfte zu sehen. Der Widder wurde zur Erscheinungsform bedeutender
Götter wie des Amun-Re oder des Chnum, der alle Lebewesen auf seiner Töpferscheibe formte.
Beide Götter konnten in ihren reinen Tiergestalten abgebildet werden oder als Mischwesen mit
männlichem Körper und Tierkopf.
Der Gott Amun-Re oder Chnum mit Widderkopf, spätzeitliche Bronzestatuette,
Louvre
Das Tier wurde so, neben seiner Alltagsexistenz, auch zum Träger des Göttlichen. Aber nicht
jedes Tier war von sich aus göttlich, und nicht alle Götter und Göttinnen Ägyptens zeigten sich in
Tiergestalt. Einige Gottheiten stellten sich in rein menschlicher Erscheinungsform dar (z.B. Maat,
die Tochter des Sonnengottes und Prinzip der Gerechtigkeit und der Weltenordnung), andere sind
als Mischwesen gezeigt, meist mit menschlichem Körper und Tierkopf, aber auch die umgekehrte
Variante war denkbar. Den Ägyptern war dieses Nebeneinander von Erscheinungsformen des
Göttlichen problemlos vorstellbar.
Im ersten Teil dieser Betrachtungen über tiergestaltige Gottheiten werde ich Ihnen das
bedrohliche Prinzip vorstellen, die unheimliche und in den Tiefen der Finsternis wohnende Macht,
die sich in Gestalt der Riesenschlange Apophis verkörperte. Erfahren Sie, wie dieser kosmische
Widersacher Tag für Tag eine Gefahr für den Sonnengott darstellte, der auf seiner nächtlichen
Fahrt durch die Unterwelt sich stets mit der dunklen Macht der Tiefe auseinandersetzen musste,
um wiedergeboren zu werden.
Als Literaturtipp und Grundlage für diese Einführung dient das schöne und reich illustrierte Buch
von Philippe Germond, Das Tier im Alten Ägypten. – München: Hirmer 2001.
Ich möchte Sie auch auf eine spannende Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums in
Dresden aufmerksam machen: Mensch und Tier. Eine paradoxe Beziehung. Sie war bis zum
10. August 2003 zu sehen, und im Internet kann man unter www.dhmd.de erste Eindrücke
sammeln.
Apophis und die Reise des Sonnengottes durch die Unterwelt
Am Tempel von Esna in Oberägypten finden wir einen Text, der uns über die göttliche Herkunft
des schlangenförmigen Urwesens Apophis informiert. Dort heißt es, er sei aus dem Speichel der
Göttin Neith entstanden, der in den Urozean gefallen war. Daher nennt man ihn "den, der
ausgespuckt wurde". Die anderen Götter und Göttinnen wollten Apophis aber nicht als ihnen
ebenbürtig akzeptieren. Also beschloss die gewaltige Schlange, Göttern und Menschen zu
schaden, indem sie jeden Tag und jede Nacht aufs Neue versuchte, die Fahrt der Sonne über den
Himmel und durch die Unterwelt zu stören.
Die Sonne war für die Ägypter ein ganz wichtiges Gestirn, von ihrem Licht und ihrer Wärme hing
alles Leben ab. Das Licht und die Schöpfungsworte des Re hatten die Macht, auch die Toten für
eine kurze Zeit wiederzuerwecken. Der Sonnengott fuhr nach ägyptischer Vorstellung jeden Tag
in einem Boot über den Himmel und tauchte am Ende des Tages, nun alt und müde geworden, in
die finstere und gefährliche Unterwelt ein.
Es muss täglich als Greis in die Unterwelt (einen der verschiedenen Jenseitsorte) hinabsteigen,
um aus ihr neu geboren zu werden. In den 12 Stunden der Nacht durchfährt er in seiner Barke,
begleitet von einigen Göttinnen und Göttern, die verschiedenen Bezirke der Unterwelt und bringt
den Bewohnern, vor allem den dort lebenden Toten, Licht und Wärme. Die gerechtfertigten Toten
werden für den kurzen Augenblick der Begegnung mit dem Sonnengott aus ihrem Todesschlaf
gerissen und zu neuem Leben erweckt. Aber die Fahrt der Sonnenbarke durch das Jenseits ist
tückisch, viele Gefahren lauern dort, der Feuersee, Sandbänke und vor allem ... der fürchterliche
Apophis.
Die Reise der Sonne über den Himmel und durch das unterirdische Jenseits wird durch die riesige
Schlange bedroht, die in der Tiefe der Unterwelt haust und die Mächte der Finsternis verkörpert.
Der lebensnotwendige Lauf der Sonne war also nichts Selbstverständliches, sondern musste hart
erkämpft werden.
Apophis, "der mit dem üblen Gesicht", versucht mit allen Mitteln, die Barke des Re an ihrer
Weiterfahrt zu hindern, indem er das Fahrtwasser in sich hineinschlürft. Die Sonnenbarke läuft
auf Grund, Finsternis und Stillstand sind die Folge, der Lauf der Sonne scheint endgültig gestoppt.
Diese nächtliche Fahrt der Sonne und wie der schlangenförmige Apophis überlistet und
unschädlich gemacht wurde, davon berichten die altägyptischen Unterweltsbücher. Die ältesten
sind um 1500 v. Chr. (das Amduat) und um 1400 v. Chr. (das Pfortenbuch) entstanden. An den
Wänden von Königsgräbern des Neuen Reiches findet man zahlreiche Darstellungen der ständigen
Herausforderungen des Apophis, ebenso auf Papyri.
Aus der Zeit des Neuen Reiches
Jeden Tag und jede Nacht stellt sich Apophis der Fahrt der Sonne in den Weg und versucht, die
kosmische Ordnung zu stören. Er, der keine Sinnesorgane besitzt ("Diese Schlange hat keine
Augen, keine Nase und keine Ohren, sie atmet von ihrem Gebrüll und lebt von ihrem eigenen
Rufen", aus dem Pfortenbuch, 6. Stunde), wird von mehreren Göttern und Göttinnnen bekämpft.
Einer davon ist Seth, den wir bereits in der Kolumne über Isis und Osiris kennengelernt haben.
Seth steht am Bug der Sonnenbarke und zielt mit einem Speer auf das Maul des Apophis, der das
eingeschlürfte Wasser wieder ausspucken muss, wodurch die Barke wieder in Fahrt kommt.
Seth. Aus einem Papyrus der 21. Dynastie
Auch die Göttin Isis hilft bei der Überwindung des kosmischen Gegenspielers. Sie hat die
Fähigkeit, den Apophis durch Zaubersprüche orientiertungslos zu machen, so dass er von Helfern
des Re mit Stricken gefesselt oder mit Messern zerstückelt werden kann. Die Texte schildern, wie
der Feind der Sonne besiegt oder vertrieben wird, aber er kann niemals endgültig zerstört
werden, und das kosmische Drama wiederholt sich stets aufs Neue.
Die Schlange hat bei der Vorstellung der Unterweltsfahrt der Sonne sehr unterschiedliche
Bedeutungen:
In Gestalt des Apophis ist sie der Widersacher des Sonnengottes. Die Unterweltstexte sprechen
aber auch von der schützenden und regenerierenden Macht der Schlange: Zusammengerollte
Schlangen galten als Verkörperung des zyklischen Kreislaufes der Sonne und der Ewigkeit: sie
waren ohne Anfang und ohne Ende. Die Schlange Mehen (der "Ringler") legt sich in vielfachen
Windungen um die Kajüte des widderköpfigen Sonnengottes, um ihn auf diese Weise bei seiner
Unterweltsfahrt zu beschützen.
Die Schlange Mehen
Die mehrfach gewundene Schlange namens "Weltumringler" symbolisiert einen Zustand vor der
Schaffung der Welt. In ihrem Leib erneuert sich der Sonnengott jede Nacht (11. Stunde des
Amduat).
Am Ende der Nacht verließ die Barke mit dem nun verjüngten Sonnengott die Unterwelt und
zog erneut ihre Bahnen am Himmel. Wie sich der Sonnengott während seiner Nachtfahrt in
Chepre, die käferförmige Morgengestalt der Sonne, verwandelte, ist das Thema der nächsten
Folge.
Der Skarabäus als Symbol der Schöpfung und des Neubeginns – der
käfergestaltige Gott Chepre
Im Laufe des Tages ändert der Sonnengott, dem die Schöpfung der Welt zugeschrieben w ird,
seine Erscheinungsformen. Er tritt als Morgen-, Mittags- und Abendsonne auf. Aus der feurigen
Mittagssonne am Zenit (Re) wird allmählich die müde und alt werdende Abendsonne (Atum). So
wie die Sonne im Verlauf des Tages ihre Gestalt und ihre Strahlkraft variiert, wird der Sonnengott
in seiner Totalität von drei Gottheiten repräsentiert, wobei jeder einzelne Gott einen Teilaspekt
des Ganzen verkörpert. Hat der Sonnengott bei Tagesanbruch seine nächtliche Fahrt durch die
Unterwelt beendet, ist mit ihm eine Verwandlung geschehen. Er zeigt nun seine schöpferische
Kraft als Morgensonne und taucht in Gestalt eines geflügelten Skarabäus aus der Unterwelt
hervor. Jetzt wird der Sonnengott als Chepre bezeichnet, als der, "der von selbst entstanden ist".
Chepre, die käferförmige Form, die der Sonnengott am Morgen annimmt, kennzeichnet das
Werden der Sonne und ihre Auferstehung am Anfang eines jeden neuen Tages.
Aus dem Paprus der Königin Mutnedjmet, 21. Dyn., British Museum. Der
Skarabäus mit dem Sonnenkind und der Sonnenscheibe
Der nächtliche Abstieg der Abendsonne in die Unterwelt und das allmorgendliche Auftauchen (als
Gott Chepre) aus diesem geheimnisvollen und gefährlichen Ort prägte das Bild der Ägypter von
Tod und Wiedergeburt. Der Sonnengott kehrte jeden Morgen erfrischt und mit neuen Kräften
versehen ins Leben zurück.
Der Sonnenlauf als täglich zu beobachtender kosmischer Zyklus garantierte die Aufrechterhaltung
der Weltenordnung und eine tägliche Erneuerung der Schöpfung. Die Unterwelt wurde im Alten
Ägypten zum Symbol für Regeneration und Wiedergeburt aus der Tiefe, was zugleich eine
Überwindung des Todes bedeutete.
Der Skarabäus galt in Ägypten als ein Symbol der Selbstschöpfung. Aus der riesigen Mistkugel
des Käfers, die in der Erde verschwindet, schlüpfen neue Käfer und steigen aus der Erde heraus.
Der Skarabäus ist scheinbar "von selbst" entstanden, ganz ohne Zeugungsakt.
Das Verschwinden der Mistkugel in der Erde hat die Ägypter an den allabendlichen Untergang der
Sonne erinnert. Beide tauchen in die Erde ein und beide werden von ihr wieder verjüngt
"entlassen". Das Hervorbrechen der jungen Käfer aus den langen unterirdischen Gängen stand für
das tägliche Wiedererscheinen der jungen Sonne nach ihrer nächtlichen Reise. Der Mistkäfer
verkörperte so die Macht der Selbsterneuerung der Sonne und des Lebens.
Die Ägypter vermuteten noch eine weitere Analogie zwischen dem Verhalten des Skarabäus und
dem Lauf der Sonne: der Käfer schiebt seine riesige Mistkugel vor sich her und rollt auch die
Sonnenkugel über den Himmel.
Aus dem Papyrus des Anhai
Der Skarabäus ist ein Symbol für Lebenskraft und Fähigkeit zur ständigen Selbsterneuerung,
daher war er ein beliebtes Grabamulett bei den Ägyptern. Besonders das Herz, das einziges
Organ, das bei der Mumifizierung im Körper des Toten verblieb, wurde von Chepre beschützt. Der
"Herzskarabäus" war ein großes Amulett, das direkt über dem Herzen des Verstorbenen aufgelegt
und fest in die Bandagen der Mumie eingewickelt wurde. Es wurde aus grünen oder aus dunklen
Materialien hergestellt, etwa aus Hämatit oder Obsidian und seine Unterseite mit einem Spruch
aus dem Totenbuch beschrieben.
Ein Herzskarabäus aus dem Neuen Reich
"Oh mein Herz, das ich auf Erden besaß. Sprich dich nicht gegen mich aus, wenn es um meine
Taten geht." Dieser Spruch sollte verhindern, dass das Herz beim Totengericht Schlechtes über
den zu beurteilenden Toten von sich gibt. Das Herz musste sich nämlich vor dem Eingehen eines
Menschen in das Jenseits vor den Göttinnen und Göttern rechtfertigen. Dazu wurde es
(stellvertretend für den Verstorbenen) auf eine Waagschale gelegt und gegen die Feder der Göttin
Maat abgewogen. Hat der Verstorbene in seinem Leben schwerwiegende Missetaten begangen,
ging die Seite mit dem Herzen nach unten und ihm war für immer das Jenseits verwehrt. Seine
Existenz wurde endgültig vernichtet.
Sechmet – Ambivalenzen einer Göttin
Die Göttin Sechmet ("die Mächtige") wurde in Ägypten während der gesamten Zeit des
Pharaonenreiches verehrt. Bereits sehr früh tritt sie in Gestalt einer Löwin oder als löwenköpfige
Frau auf, die ihre Heimat in der menschenfeindlichen und bedrohlichen Wüste hat.
Als die bekannteste Löwengöttin Ägyptens trägt Sechmet sehr ambivalente Züge: Sie ist die
sanfte und fürsorgliche Muttergöttin, die Behüterin des Königtums. Die ältesten religiösen Texte
Ägyptens, die Pyramidentexte, kennen Sechmet als göttliche Mutter des amtierenden Pharaos,
den sie beschützt und mit ihrer Milch säugt.
Aber sie ist auch gefährlich, wild und angriffslustig. Ihre zerstörerischen und vernichtenden
Aspekte spielen ab dem Neuen Reich eine immer größere Rolle. Als Kriegsgöttin führt sie den
Pharao in den Kampf und hilft ihm dabei, die Feinde des Reiches zu besiegen. Ihre Waffen sind
tödliche Pfeile, mit denen sie "die Herzen durchschießt", ihr Atem gleicht dem heißen
Wüstenwind. Mit der Feuersbrunst bringt sie Tod und Verderben jedem Feind. Blut und Feuer sind
ihre machtvollen Ausdrucksformen.
Die sitzende Göttin Sechmet mit Löwenkopf, 18. Dynastie, schwarzer Granit
Aber Sechmet brachte nicht nur Tod und Schrecken über die Feinde des Pharao, sondern sollte
auch zu einer Gefahr für die gesamte Menschheit werden. Eine heilige Erzählung berichtet uns
davon, der Mythos von der Vernichtung der Menschheit. Der Mythos handelt von der Bestrafung
der Menschen durch die Götter: der Sonnengott Re lebte vor undenklich langer Zeit als Herrscher
unter den Menschen. Aber er wurde alt und gebrechlich und erfuhr eines Tages, dass sich die
Menschen gegen ihn verschworen hatten und einen Aufstand gegen ihn planten. In seiner Wut
beschloss Re, die Menschheit durch die blutrünstige Göttin Sechmet vernichten zu lassen. Er gab
Sechmet den Auftrag, alle Menschen auf der Erde zu töten. Aber dann wurde der alte Sonnengott
mitleidig mit den Menschen und wollte die entfesselte Kraft der Göttin stoppen, die es liebte, in
Menschenblut zu baden.
Re griff zu einer List: er ließ sich große Mengen von "Didi" besorgen, Erde mit Eisenoxid bzw.
Hämatit, und vermischte das Mineral mit Bier, bis es aussah wie menschliches Blut. Diese
Vermengung aus Alkohol und tiefrotem Mineral füllte Re in 7000 Bierkrüge und ließ sie auf ein
Feld verteilen, bis sich ein großer See bildete. Als sich die Göttin Sechmet näherte, um ihr
Vernichtungswerk gegen die Menschheit durchzuführen, ließ sie sich durch den Anblick des roten
Bieres täuschen. Sie glaubte, es sei Menschenblut, geriet in Ekstase und trank es so schnell, dass
sie betrunken wurde. Sie "kehrte heim und erkannte die Menschen nicht".
Die List des Re hatte die Menschheit vor der Vernichtung der Göttin Sechmet gerettet. Re zog
es aber vor, künftig nicht mehr unter den Menschen zu leben. Er ließ sich auf dem Rücken einer
Kuh in den Himmel tragen und war von da an von den Menschen getrennt und unerreichbar. Teile
dieses Mythos wurden in fünf Gräbern im Tal der Könige gefunden, aus der Zeit der 18. bis 20.
Dynastie.
Vor der aggressiven Seite der löwengestaltigen Sechmet mussten sich die Alten Ägypter
besonders an den letzten fünf Tagen des Jahres in Acht nehmen. Diese fünf Zusatztage wurden
den 12 Monaten zu je 30 Tagen angefügt, um dem Kalender an das Sonnenjahr anzunähern. Sie
galten als besonders gefährlich, es waren die Tage der Dämonen. In dieser Zeit am Ende des
Jahreszyklus zogen Sechmet und ihre Helfer aus, um die Menschen mit Messern und Pfeilen zu
verletzen. Im Auftrag der Göttin verbreiteten die Helfer Krankheiten, Seuchen und den Tod. Mit
Geschenken und Gesängen musste die Göttin beschwichtigt werden.
Die gefährlich-aggressiven Züge der Sechmet waren aber nur ein Aspekt ihres Wesens. Sechmet
galt als eine der Töchter des Sonnengottes Re und somit als das Auge der Sonne. Sie verkörperte
als "die Flammende" das feurige Auge ihres Vaters, die intensivste Sonnenstrahlung, die Re die
Aussendung seiner Lebensenergie ermöglichte und damit die menschliche Existenz sicherte.
Durch das Aussenden seines Auges bis an die Grenzen der Welt konnte der Sonnen- und
Schöpfergott Re die Finsternis, die die Sonne besiegen wollte, weit von sich entfernt halten. Als
das "zornige Auge des Re" vernichtet Sechmet die Feinde der Sonne und verhindert, dass sich die
Mächte des Chaos manifestieren können. Auch die riesige Unterweltsschlange Apophis unterliegt
ihr.
Die Sonnentöchter vereinten in sich ganz gegensätzliche Wesenszüge: sie waren Zerstörerinnen
und Erhalterinnen der Schöpfung, bedrohlich und friedliebend zugleich. Auch Sechmet trägt
diesen Doppelaspekt in sich. In ihrer Löwengestalt bringt sie ihre unberechenbaren und
schrecklichen Eigenschaften zum Ausdruck, als sanfte und schützende Göttin ist sie Bastet, die
katzengestaltige Schutzherrin des Hauses und der Geburten.
Bronzestatue der mit Schmuck verzierten Göttin Bastet, 30 v. Chr.
Beide, Sechmet und Bastet, sind zwei unterschiedliche Erscheinungsformen der "Mächtigen".
Diese Dualität von Wildheit und Sanftheit als Gegensatzpaar ist nötig, um die Göttin in ihrer
Ganzheit zu begreifen.
Selket – die Skorpiongöttin mit magischen Heilkräften
Bereits der Name der Göttin Selket (eine Abkürzung des ägyptischen "serqet hetit", "die die Kehle
atmen läßt") weist deutlich auf ihren beschützenden Charakter hin: Wer von einem Skorpion
gestochen wird, kann Atemschwierigkeiten erleiden und Selkets Aufgabe war es, gefährliche
Stiche von Skorpionen und Insekten zu verhüten und vor Giftbissen von Schlangen und Reptilien
zu schützen.
Selket wurde gewöhnlich als Frau mit einem Skorpion auf dem Kopf dargestellt oder als Skorpion
mit Frauenkopf
Die Göttin Selket mit der Krone der Hathor: die
Sonnenscheibe, die von zwei Kuhhörnern eingerahmt wird (Spätzeit, Louvre)
oder nur als Skorpion. Sie gehörte zu den heilkräftigen Schutzgöttinnen, sie und ihre Priester
brachten den Menschen das Wissen um die "notwendige Kunst ", wie die Ägypter die Medizin
bezeichneten. Die Priester der Selket waren auch als Ärzte tätig, die sich mit der Behandlung von
Stichen und Bissen durch giftige Insekten,
Schlangen und Skorpione auskannten, wie etwa der Cherep Selket, ein Spezialist auf diesem
Gebiet. Skorpionbisse waren im Alten Ägypten sehr gefürchtet, wir kennen zahlreiche
Heilungssprüche, die das Gift aus dem Körper nach einem Skorpionbiss vertreiben sollten.
Eine mythologische Erzählung aus dem Sagenkreis um die Göttin Isis und ihren Sohn Horus
berichtet uns von der Gefährlichkeit von Skorpionstichen und deren Heilungsmöglichkeiten:
Isis mußte ihren noch ungeborenen Sohn Horus, der von Osiris gezeugt war, vor den
Nachstellungen seines Onkels Seth beschützen, der dem göttlichen Kind nach dem Leben
trachtete. Isis konnte aus dem Gewahrsam des Seth fliehen und bat die Göttin Selket um
Begleitung von sieben Skorpionen zum Schutz für sie und ihr Kind, bis sie ein sicheres Versteck
gefunden hatte. Die kleine Gruppe kam an einen Ort im Nildelta in die "Stadt der zwei
Schwestern ", aber niemand wollte Isis Obdach gewähren, weil sich die Menschen vor den
Skorpionen fürchteten, die die Göttin umgaben. Eine reiche Frau verschloss ihre Tür vor Isis,
daraufhin schworen die sieben Skorpione Rache. Sechs von ihnen spritzten ihr Gift in den Stachel
des siebten Skorpions, des Tefun, der unter der Haustür durchkroch und das Kind der reichen
Frau stach. Ein armes Mädchen bot Isis und ihren Schutzskorpionen unterdessen eine Herberge in
ihrem bescheidenen Haus an. Das Weinen der reichen Frau um ihr sterbendes Kind erweichte das
Herz der Isis jedoch und sie vergaß, dass die Frau ihr eine Zuflucht verweigert hatte. Die Göttin
heilte den kleinen Jungen, indem sie die Namen der sieben Skorpione aussprach und folgenden
Zauberspruch aufsagte : "Gift des Tefun, komm, fließe auf den Boden. Kreise nicht herum und
dringe nicht ein in den Körper. Gift des Befun, komm und fliesse auf den Boden. Ich bin Isis, die
Göttin, die Herrin des Zaubers ... Tropfe herab, Gift der Mostet. Sause nicht herum, Gift des
Mostetef. Steige nicht auf, Gift der Pitet und der Titet. Wandere nicht herum, Gift der Matat ... ".
Durch diese magische Bannung des Giftes verließ das Skorpiongift den Körper des Kindes, das
wieder ganz gesund wurde.
Diese Erzählung und der Zauberspruch der Isis befinden sich auf der sog. Metternichstele, die
in der 30. Dynastie (4. Jhr. v. Chr.) aufgestellt wurde. Die Stele (eine freistehende Säule, die mit
Reliefs oder Inschriften versehenen ist) enthält eine Sammlung von Mythen, Hymnen an die
Götter, Gebete und Zaubersprüche. Auf dieser Stele befindet sich noch eine weitere mythische
Geschichte, die göttliche Hilfe bei Stichen von Skorpionen oder Schlangen verspricht:
Isis hat ihren Sohn Horus nun zur Welt gebracht und verbirgt ihn in den Sümpfen des Nildeltas,
so dass Seth ihn nicht finden kann. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, muss Isis das Kind
verlassen, um zu arbeiten oder zu betteln. Bei ihrer Rückkehr findet sie Horus, der gebissen
wurde und nun Gift von einem Skorpion oder eine Schlange in sich trägt. Isis wehklagt und Selket
gibt ihr folgenden Rat: "O Isis, bete doch zum Himmel, dann wird die Bootsmannschaft des Re
anhalten und das Schiff des Sonnengottes wird nicht weiterfahren, solange Dein Sohn Horus auf
der Seite liegt ".
Re hielt auf Bitte der Isis die Fahrt der Sonnenbarke an und die Erde wurde in Finsternis
getaucht. Der Gott Thot entstieg der Barke und vertrieb durch Zaubersprüche das Gift aus dem
Körper des Horus.
"O lebe Kind. Möge Horus für seine Mutter Isis gesund werden, möge jeder Kranke ebenso
gesund werden ". Daraufhin verließ das lebensbedrohliche Gift den Körper des Kindes und die
Sonnenbarke zog weiterhin ihre Bahnen über den Himmel.
Die mythische Rolle des göttlichen Kindes Horus, das Dank magischer Sprüche und göttlichen
Beistandes die Gefahr tödlicher Giftbisse überwindet, nahmen die Alten Ägypter als Vorbild, um
selbst vor Angriffen giftiger Tiere geheilt zu werden. Jeder Gebissene wurde zum mythischen
Horus. Man fertigte so genannte Horusstelen an, die Schlangenbiss und Skorpionstich abwehren
sollten.
Horusstele aus Schiefer, frühe Ptolemäerzeit, um 300 v. Chr.
Auf den Horusstelen ist das göttliche Kind abgebildet, das gefährliche Tiere bezwungen hat und
nun vor deren Angriffen geschützt ist. Auf der Rückseite befinden sich Lobpreisungen an Horus, in
denen seine Übel abwehrenden Qualitäten beschrieben werden:
"Du wehrst für mich alle Löwen in der Wüste
Skorpione, alle Insekten, die mit ihrem Maul
Gewürm, das in seinen Höhlen sticht ". Wurden
magisches Getränk eingenommen oder auf dem
ab, alle Krokodile im Fluss, alle Schlangen und
beißen und mit ihrem Schwanz stechen, alles
die Stelen mit Wasser übergossen, konnte es als
Körper verstrichen werden.
Nicht nur im Bereich der Lebenden war der Einfluss der Göttin Selket groß, er war auch
unverzichtbar für die Jenseitsvorstellungen der Alten Ägypter. Man glaubte, dass die Göttin die
vier Quellen des Nils bewachte, die als Eingang in die Unterwelt galten. Dort in dem
unterirdischen Ozean war Selket dafür verantwortlich, die riesige Schlange Apophis
zu fesseln und gefangen zu halten, nachdem diese von den Helfern des Re besiegt worden war.
Selket war auch für den Schutz der Verstorbenen zuständig. Gemeinsam mit drei weiteren
ägyptischen Göttinnen (Isis, Nephthys und Neith) bildete sie ein Göttinnenquartett, das mit
ausgebreiteten Armen den Kanopenschrein des Pharao umfing.
Vollplastik der Selket vor dem Eingeweideschrein des Tut-Ench-Amun (18.
Dynastie, Ägyptisches Museum in Kairo)
Als "Kanopen" werden spezielle Gefäße bezeichnet, in denen die Eingeweide von Verstorbenen
aufbewahrt wurden. Bei der Mumifizierung wurden in der Regel die inneren Organe Lunge, Leber,
Magen, Milz, Darm und die Unterleibsorgane entfernt und anschließend in Leinen eingewickelt, in
Kanopen gelegt und mit harzigem Salböl übergossen. Nur das Herz verblieb im Körper, das
Gehirn fand keine Beachtung und wurde weggeworfen. Die Eingeweidegefäße bestanden stets aus
einem Set von vier Krügen, die mit Deckeln verschlossen wurden, die seit der 19. Dynastie die
Gestalt der Köpfe der vier Söhne des Gottes Horus erhielten. Die vier Horussöhne sorgten für das
leibliche Wohl des Verstorbenen, bewahrten ihn vor Hunger und Durst.
Die Kanope mit der Leber wurde dem menschenköpfigen Amset anvertraut, Hapi mit dem Kopf
eines Pavians schützte Lunge und Milz, in die Kanope mit dem schakalköpfigen Duamutef kamen
Magen und Lunge und Qebsenuf mit dem Falkenkopf oblag der Schutz der Unterleibsorgane.
Ein vollständiges Kanopenset aus der Spätzeit /5./4. Jh. v. Chr.,
Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim)
Die Eingeweidegefäße mit den inneren Organen wurden teilweise in Kästen oder Schreine gestellt
und gehörten zur Grabausstattung. Dieser göttliche Schutz sollte die menschlichen Organe vor
der Verwesung bewahren, ohne ihn war auch die beste Balsamierungstechnik wirkungslos. Im
Neuen Reich wurde noch zusätzlich an den vier Seiten der Kanopenkästen die vier
Schutzgöttinnen Selket, Isis, Nephthys und Neith dargestellt. Sie wachten ebenfalls mit ihren weit
ausgebreiteten Flügeln über den Inhalt. Gemeinsam mit dem falkenköpfigen Horussohn Qebsenuf
wachte Selket über die Unversehrtheit des Darmes und der Unterleibsorgane des Toten.
Der weise Thot – ein Allrounder unter den Göttern
Der ägyptische Gott Dschehuti (uns bekannt als Thot oder Thoth) war der Hauptgott des 15.
Gaues Chmunu, dem späteren Hermopolis magna in Mittelägypten. Dort verschmolz er mit dem
Paviangott hez-ur ("Großer Weißer"), dem Schutzpatron der Schreiber und Herrn der heiligen
Schriften und nahm dessen Gestalt an. Seine Herkunft ist unbekannt, die Priester der Stadt
Hermopolis behaupteten jedoch, Thot habe sich selbst gezeugt und sei bei Anbeginn der Zeit auf
einer Lotusblume erschienen.
Der Ibis und der Pavian sind die heiligen Tiere des Thot, sie sind die Erscheinungsformen des
Gottes in Tiergestalt, der auch als Mischwesen mit männlichem Körper und Tierkopf auftreten
kann. Thot war ein sehr vielseitiger Gott mit zahlreichen Funktionen und Beziehungen zu anderen
Göttern. Er galt vor allem als Erfinder der Schrift. Durch sein Wissen um die Schreibkunst war er
besonders bei den ägyptischen Schreibern und Beamten sehr beliebt, denn die Schreibkunst
wurde nur von sehr wenigen Ägyptern beherrscht. Neben Verwaltungsaufgaben kam den
Schreibern die wichtige Aufgabe zu, die Namen und Taten der Verstorbenen für die Ewigkeit zu
bewahren. Hieroglyphen und andere schriftliche Zeugnisse galten als mit Leben erfüllt und
unvergänglich.
Thot wurde u.a. als Bruder oder auch Gemahl der Göttin Seschat angesehen, der Göttin der
Schreibkunst und des Messwesens, der "Herrin der Bücher". Sie war die Chronistin des Pharao
und kerbte seine Lebenszeit auf einem Palmenzweig ein, den sie immer mit sich trug. Dargestellt
wurde sie mit einem Leopardenfell bekleidet und mit der Feder und Farbtafel der Schreiber in der
Hand. Um schreiben zu können, wurden die Enden der Binsen vorne schräg angeschnitten und
dann zu Pinseln weich gekaut. In Gestalt eines Pavians als Schreiber und Protokollant beim
Totengericht wird Thot auf einem Papyrus aus der 21. Dynastie dargestellt: Er trägt die
Mondsichel und die Sonnenscheibe auf seinem Kopf.
Aus dem Totenbuch des Herihor, London, Britisches Museum
Eine enge Verbindungen hat Thot zu dem Sonnengott Re: Er gilt als Herz des Re und als dessen
Zunge und ist Mitglied der Mannschaft, die die Götterbarke des Sonnengottes bei ihrer
nächtlichen Fahrt durch die Unterwelt vor ihren Feinden beschützte, besonders vor Apophis. Thot
war es auch, der die Göttin Tefnut, die Tochter des Re und Verkörperung seines Auges, wieder
zurückbrachte, als sie in die nubische Wüste geflohen war. Re sendet Thot und Schu, den Bruder
der Tefnut, aus, um sein Auge zurückzuholen. Durch Schmeicheleien und Versprechungen gelingt
es Thot, Tefnut zur Rückkehr zu bewegen und das Sonnenauge wieder dem Re zurückzuführen.
Als Dank für diese Tat hat Re für Thot den Mond erschaffen und ihn als Herr des Mondes
eingesetzt, wodurch Thot auch die Zeitrechnung und den Kalender beherrschte.
Im Jenseits kam Thot die Aufgabe des Totenführers zu: er geleitete die Verstorbenen zum
Totengericht, bei dem das Herz auf einer großen Waage gegen die Feder der Göttin Maat (der
Gerechtigkeit) abgewogen wurde. War das Herz leichter als die Feder, war der Tote gerechtfertigt
und damit würdig, unter den Göttern im Jenseits zu leben. Thot nahm das Wiege-Ergebnis auf
und hielt es auf seinen Schreibtafeln fest.
Links neben der Waage des Totengerichts steht der Gott Thot mit einem Ibiskopf. Totenpapyrus des
Chonsu-mes, 21. Dynastie, Kunsthistorisches Museum Wien
Thot war auch als Konfliktschlichter unter den Göttern sehr angesehen. Im Streit der Götter
Horus und Seth um das Erbe des Osiris kam es zu heftigen Handgreiflichkeiten zwischen den
beiden. Thot kam herbei, heilte ihre Verletzungen und stiftete Frieden unter ihnen. Gab es
Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gottheiten, wurde eine Götterversammlung
einberufen, die mehrere Jahre tagen konnte. In langen Diskussionen wurde eine Entscheidung
herbeigeführt und es war die Aufgabe des Thot, das Urteil der Götter zu protokollieren, bekannt
zu geben und für seine Umsetzung zu sorgen. Er wurde damit zum Herrn der Gottesworte und
Schreiber der Wahrheit der Götterschaft. Durch die Verwaltung des Wissens und der Schreibkunst
kam Thot die Schirmherrschaft über viele Arbeitsbereiche zu. Er war der Schutzherr der
Architektur, der Heilkunde und der Mathematik. Er wurde sogar zum Lehrer der Isis, die er in
magische Rituale einweihte. Mit Hilfe der Zaubersprüche des Thot gelang es der großen Göttin,
ihren toten Gatten Osiris für kurze Zeit ins Leben zurückzuholen und von ihm ihren Sohn Horus
zu empfangen. Die Heilkunst, die Horus als kleines Kind vor den tödlichen Auswirkungen der
Bisse giftiger Tiere schützte, hatte die Göttin Isis bei Thot gelernt.
Die Griechen und Griechinnen sahen in Thot ihren Gott Hermes und näherten die beiden
aneinander an. Da Thot der Verfasser eines 42-bändigen Werkes gewesen sein soll, das das
gesamte Wissen der Menschheit enthalten hat, wurde er dem Hermes Trismegistos gleichsetzt.
Der "Dreimal größte Hermes" galt als Weiser und Gesetzgeber und Urheber der "hermetischen"
Schriften". Diese Bücher, die in den Tempeln von den Priestern aufbewahrt wurden, enthielten
geheime Kenntnisse der ägyptischen Naturphilosophie, Heilkunde, Astrologie, Alchemie, aber
auch Zauberformeln und Beschreibungen magischer Rituale. Die Originalschriften sind verloren
gegangenen und uns durch den Gnostiker Zosimos (4. Jahrhundert nach Christus) bekannt. Das
Corpus Hermeticum wurde von Alchemisten benutzt und auch von heutigen Esoterikern und
Esoterikerinnen.
Der zwergengestaltige Bes – Gefährte der Götter und Liebling des
Volkes
Bes war in Ägypten eine populäre Schutzgottheit und spielte eine herausragende Rolle im
Volksglauben. Er bewahrte die Menschen im Alltag vor allen negativen Einflüssen, zählte aber nie
zu den großen Göttern der altägyptischen Welt.
Statue des Bes aus Sandstein, Ägyptisches Museum Kairo. Sie wurde gefunden in Dendera, im Bereich des
Tempels der Göttin Hathor und stammt aus der Zeit zwischen 100 vor und 100 nach Christus.
Das lässt darauf schließen, dass Bes ursprünglich ein Löwengott war oder weist auf das Tierfell
hin, das der Gott trug. Vermutlich stammte er ursprünglich aus dem ostafrikanischen Raum. Bes
ist eng verwandt mit einem Dämon namens Aha ("der Kämpfer"), der eine ähnliche Erscheinung
wie er aufweist. Ab dem Neuen Reich werden beide unter dem Namen Bes verehrt, wobei Bes
besonders den Bereich der Frauen schützte, über Empfängnis und Schwangerschaft, Geburt und
Kindbett wachte.
Der beliebte Hausgott galt als Beschützer gegen alle möglichen Gefahren, die das tägliche Leben
mit sich bringen konnte. Als kämpferischer Gott vertrieb Bes die bösen Geister und sorgte dafür,
dass keine giftigen Tiere wie Schlangen und Skorpione ins Haus kamen. Dabei half nicht nur sein
erschreckendes Aussehen, sondern auch die Attribute, die er in seinen Händen hielt, Messer oder
Schlangen, eine große sa-Hieroglyphe (dem Symbol für "Schutz") oder ein Musikinstrument,
gewöhnlich eine Trommel oder ein Tambourin.
Musik vertrieb nicht nur böse Geister, sondern versetzte die Menschen auch in eine fröhlichere
und weniger angstvolle Stimmung. Bes war bei Geburten anwesend und bannte durch seinen
Tanz und Gesang und das Schlagen der Tamburine die gefährlichen Mächte, die im Augenblick
der Geburt für Unheil sorgen wollten und Mutter und Kind bedrohten. Seine Schutzfunktion war
bei den einfachen Gebärenden genau so geschätzt wie bei der Geburt von Königen. Zu diesem
Zweck ist er auf den so genannten Zaubermessern des Mittleren Reiches und beispielsweise in
den Geburtshäusern (Mammisi), unter anderem in Dendera, abgebildet.
Besonders in der Spätzeit war Bes sehr beliebt und wurde gerne auf Gegenständen des
Hausgebrauches abgebildet, wie Spiegeln, Parfümfläschchen oder Schminkgefäßen.
Ein Schminkgefäß aus Holz in Gestalt des Bes, 14. Jhr v. Chr., Leihgabe im Basler Antikenmuseum
Magie und Schönheit waren in Ägypten eng miteinander verbunden. Make-up diente nicht nur
dekorativen Zwecken, sondern ihm wurde heilende und Übel abwehrende Kräfte zugesprochen.
Die Gefäße mit den Salben und Pasten hatten daher oft die Gestalt von Schutzgottheiten wie des
Bes. Man erhoffte sich, dass die Wirkung der Gottheiten auf die Inhalte über gingen und so ihre
Trägerinnen und Träger vor Krankheiten und bösen Geistern bewahren sollten.
Der nackte Zwerg Bes gehörte auch zum Gefolge der Göttin Hathor, der ihr mit Leier und
Tamburin aufspielte und besänftigte und die zur grimmigen Löwin gewordenen Göttin aus der
Fremde heimholte. Und Bes war einer der mythischen Helfer des Sonnengottes Re, dem er bei
seiner gefährlichen Fahrt durch die 12 Nachtstunden beistand. So wurde Bes auch zu einer
Schutzgottheit für alles, was mit der Nacht verbunden wurde. Schlafmöbel wie Betten oder
Kopfstützen tragen oft eine Darstellung des Bes oder seiner Partnerin Thoëris. Im Schlaf, wenn
die Menschen sich dessen, was um sie herum vorgeht, nicht bewusst waren, waren sie allen
Gefahren der Nacht ausgesetzt. Man glaubte, dass Bes nachts umherging und alles Böse von den
Schlafenden vertrieb. Und Bes wurde auch zum Schutzgott der Toten, die runden Kopfstützen der
Mumien waren oft mit seinem Bild verziert. Magie und Schönheit waren in Ägypten eng
miteinander verbunden. Make-up diente nicht nur dekorativen Zwecken, sondern ihm wurde
heilende und Übel abwehrende Kräfte zugesprochen. Die Gefäße mit den Salben und Pasten
hatten daher oft die Gestalt von Schutzgottheiten wie des Bes. Man erhoffte sich, dass die
Wirkung der Gottheiten auf die Inhalte übergingen und so ihre Trägerinnen und Träger vor
Krankheiten und bösen Geistern bewahren sollten.
Bes wurde gerne auf Objekten und an Orten abgebildet, wo Gefahr drohte. In den
Privathaushalten der Ägypterinnen und Ägypter sind zahlreiche Statuen aus Keramik oder
Terrakotta gefunden worden, auch magische Stelen, die Bes in Verbindung mit dem Götterkind
Horus bringen. Diese zeigen den jugendlichen Horus, der selbst ein Sieger über gefährliche Tiere
wie Schlangen und Krokodile war. Fast immer ist das Gesicht des Bes über Horus abgebildet. Die
Texte verdeutlichen, dass Bes hier als der alte Sonnengott betrachtet wird, der sich in dem
Sonnenkind verjüngt. Wollte man sich vor dem Angriff wilder oder giftiger Tiere schützen, trank
man von dem Wasser, in das die Stele vor ihrem Aufstellen unter Sprechen von Zauberformeln
getaucht worden war.
Soviel man weiß, hatte Bes keinen eigenen Kultbezirk. Er ist jedoch als "Gastgottheit" in den
Tempeln anderer Götter und Göttinnen vertreten, seine Bilder und Statuen haben Eingang in die
Heiligtümer der Muttergöttinnen Hathor und Isis gefunden.
Manchmal wurde er auch als Orakel befragt. Die Gläubigen wollten von ihm Dinge des täglichen
Lebens erfragen, ob sie einen Ehepartner finden würden, ob sie eine Reise antreten sollten oder
lieber nicht, ob ihre beruflichen Aktivitäten von Erfolg gekrönt sein würden. In einer der
Nebenkammern des Tempels von Pharao Sethos I. in Abydos sind viele dieser Besucherinschriften
auf Papyrus oder Pergament an Bes gerichtet. Hier kamen die Leute auch zusammen, um im
Tempelbezirk zu übernachten und ihre Träume von Bes deuten zu lassen.
Über Amulette, die als Abwehrmaßnahmen gegen den Einfluss des Bösen um den Hals oder am
Körper getragen wurden und über die Gefährtinnen des Bes, die Beset und die Nilpferdgöttin
Thoëris, berichte ich in der nächsten Ausgabe.
Die Gefährtinnen des Bes – Beset und die Nilpferdgöttin Thoëris
Der Schutzgott Bes war bei seinen Aufgaben nicht allein. Die Ägypterinnen und Ägypter kannten
ein weibliches Pendant zu ihm, die Beset.
In Funktion und Erscheinungsbild ist Beset dem Bes außerordentlich ähnlich. Auch sie war für den
gesamten Schutz des Hauses und der Familie zuständig, vor allem aber für Frauen und deren
Kinder.
Ostrakon aus Kalkstein, Umzeichnung des Originals aus der 19. Dynastie, im Besitz des Antikenmuseums
Basel. Als "Ostraka" werden die Scherben von Tongefäßen oder flache Kalksteinstücke bezeichnet. Sie dienten
in der Antike als preiswertes Schreibmaterial etwa für Übungstexte, Protokolle oder Bildentwürfe von
Künstlern.
Auf einem Bildostrakon aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. steht Beset nackt und auf stämmigen
Beinen da, mit Löwenohren und einem gut sichtbaren Löwenschwanz zwischen ihren Beinen. Sie
trägt (wie Bes) ebenfalls eine Federkrone, ihr Gesicht mit heraushängender Zunge weist auf ihr
Übel abweisendes Wesen hin. Mit ihren ausgestreckten geflügelten Armen, in denen sie zwei
Papyruspflanzen hält, scheint sie ihren zwei Söhnen guten Schutz zu geben. Sie bietet ihnen ihre
mit Milch gefüllten Brüste an, nach denen die beiden Kinder eifrig greifen.
So wie Beset ihre eigenen Kinder schützt und säugt, ist sie auch bei menschlichen Geburten für
die Versorgung der Neugeborenen zuständig. Sie garantierte, dass Mütter genügend Milch für ihre
Säuglinge hatten und dass kein Unheil Mutter und Kind zu nahe kommen sollte. Da die
Kindersterblichkeit ein nicht zu unterschätzendes Risiko und auch die Schwangerschaft eine
gefahrvolle Zeit für Mutter und Kind war, begleiteten die Schwangerschaftsmonate, die Geburt
und frühe Kindheit zahlreiche Riten und magische Gegenstände. Der Hauch eines Gottes oder
einer Göttin, der Einfluss der Toten oder Dämonen konnten die Gesundheit von Mutter und Kind
bedrohen. Von Zaubersprüchen und magischen Beschwörungsformeln auf Schutzamuletten oder
Ritualgegenständen erhoffte man sich wirksame Abwehrmechanismen.
Ein machtvolles Abwehrinstrument gegen schädliche Einflüsse war das "Zaubermesser", das
sehr wahrscheinlich der schwangeren Frau zum Schutz ihres noch ungeborenen Kindes auf den
Bauch gelegt wurde.
Diese Zaubermesser sind für gewöhnlich aus dem Zahn eines Nilpferdes gearbeitet, daher auch
ihre gebogene, halbmondförmige Gestalt. Als plastische Gravur tragen sie die Abbildungen
verschiedener Schutz- und Fruchtbarkeitsgötter und Schutzsymbole. Inschriften weisen auf ihre
Verwendung als magische Utensilien für eine Geburt ohne Komplikationen hin.
Zaubermesser aus Nilpferdzahn, Umzeichnung des Originals aus der 12. Dynastie, im Besitz des
Antikenmuseums Basel.
Auf diesem Gegenstand sind Bes (5. von rechts) und Beset (2. von rechts) gemeinsam
dargestellt, Bes als zwergengestaltiger Gott mit Schlangen in den Händen, Beset hält ebenfalls
sich windende Schlangen. Die 5. Figur von links stellt Thoëris dar, eine weibliche
nilpferdgestaltige Göttin. Sie galt als eine der einflussreichsten Verbündeten gegen böse Mächte
und stand jeder Schwangeren zur Seite. Einige ihrer Namen weisen auf ihre Funktion als
"Nährende" oder "Sau" hin, also auf Fruchtbarkeit. Thoëris wird gewöhnlich in einer Mischgestalt
aus Nilpferd, Krokodil und Löwe dargestellt, alles Tiere, die in der Magie mit Schutzfunktionen für
den Menschen besetzt waren. Als trächtiges Nilpferd mit dickem Bauch und hängenden Brüsten,
auf den Hinterbeinen einer Löwin stehend und mit einem Krokodilschwanz versehen, war Thoëris
die Schutzgöttin der Wöchnerinnen. An der Seite des Bes war Thoëris anwesend, um das
Neugeborene willkommen zu heißen.
Schieferstatue der Thoëris, 26. Dynastie, Ägyptisches Museum Kairo.
Als Gefährtin des Bes war Thoëris eine beliebte Hausgottheit. Beide waren im Geburtszimmer
anwesend, Thoëris beschütze sogar die Geburt der königlichen Hatschepsut, die sich später zur
Herrscherin Ägyptens machte. In Deir-el-Bahari besaß Thoëris sogar einen eigenen Tempel als
Ort der Verehrung.
Die große Beliebtheit und die Allgegenwärtigkeit des Bes und der Thoëris beim Volk zeigt sich
auch in der hohen Anzahl von Amuletten, die ihre Gestalt aufweisen. Als Schmuck am Körper
getragen, konnten die Menschen ihre Schutzgottheiten mit sich führen, in Hausaltären, in Form
von Keramikgefäßen, Möbeldekoration und Wandschmuck umgaben sich die Ägypter und
Ägypterinnen mit ihnen. Aus der Arbeiter- und Handwerkersiedlung Deir-el-Medina am
thebanischen Westufer, deren Bewohner während der Zeit des Neuen Reiches mit dem Herstellen
königlicher Felsgräber beschäftigt waren, sind Häuserreste mit Wandmalereien gefunden worden,
die Bes und Thoëris zeigen. In den Wohngebieten wurden Hohlfiguren in Gestalt der Thoëris aus
Terrakotta und Fayence ausgegraben. Diese Statuen haben Brüste, von denen eine ein winziges
Loch aufweist, das mit einem Korken verschlossen wurde. Vermutlich waren die Hohlfiguren mit
Milch gefüllt und sollten der Besitzerin einen regelmäßigen Milchfluss beim Stillen ihres Säuglings
garantieren.
Amulette waren Gegenstände, die den Träger oder die Trägerin gegen Unglücksfälle schützen
oder ihm bestimmte Kräfte verleihen oder Hilfe garantieren sollten. Sowohl die Lebenden als auch
die Toten konnten von Amuletten profitieren. Die Lebenden trugen gewöhnlich Amulette an einer
Schnur um den Hals, die Toten erhielten Amulette, die an ihrem Körper befestigt oder in die
Mumienbinden gewickelt wurden. Abnutzungsspuren zeigen, dass die Amulette bereits zu
Lebzeiten in Gebrauch waren. Amulette erhielten ihre wirksamen Kräfte, indem ein Zauberspruch
über ihnen aufgesagt wurde. Auch das Material, aus dem sie bestanden und die verwendeten
Farben unterstützen ihre Wirksamkeit.
Fayence, ein glänzendes Material und ein Symbol der Wiedererneuerung, war besonders in der
Spätzeit ein beliebtes Material für Amulette. Grün, die Farbe der Vegetation und Erneuerung,
wurde häufig verwendet, Rot galt als Farbe der Sonne über dem Horizont und des Blutes, aber
auch des Feindes. Neben gegenständlichen Amuletten wurden den Verstorbenen oft Listen mit bis
zu 75 verschiedenen Amuletten mitgegeben.
Die Ägypter und Ägypterinnen sahen in der Verehrung von Bes, Beset und Thoëris eine
Möglichkeit, ihre persönliche Frömmigkeit auszudrücken, ihre alltäglichen religiösen Bedürfnisse
zu leben. Diese persönliche Frömmigkeit existierte neben den offiziellen Tempelkulten und bot die
Chance, ganz intime Gefühle wie Angst, Sorgen und Kummer, aber auch Dankbarkeit und Glück
sehr individuell und direkt an die Götter und Göttinnen weiterzugeben.
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