S. 212/213

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A. Bertrand’sches Sehnenparadoxon, Modellierung V
„Zwei Punkte zufällig im Kreis“ (S. 212/213)
In Abb. 3.58 sind 25 Sehnen gezeichnet, von denen 7 kürzer als die Dreiecksseite
sind. Die relative Häufigkeit ist 0,28. Bei großen Versuchszahlen stabilisiert sich die
relative Häufigkeit bei 0,253. Die theoretische Analyse ist jetzt deutlich komplizierter:
Nachdem der erste Punkt P zufällig gewählt ist, denken wir uns den Kreis geeignet gedreht, so dass eine Lage wie in Abb. 3.59 erreicht ist. Damit die Sehne kürzer als die
Seitenlänge des Dreiecks ABC sein kann, darf P nicht im Inkreis des Dreiecks liegen, es
muss also gelten 0,5 ≤ r := PM ≤ 1. Der zweite Zufallspunkt Q führt nun genau dann zu
einer Sehne, die kürzer als die Dreiecksseite ist, wenn Q in der grauen Fläche A(r) in
Abb. 3.59 liegt, die durch die Tangenten t1 und t2 von P an den Inkreis und durch den
Umkreis definiert sind. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Q zu einer kürzeren Sehne
führt, hängt also von der Lage von P, genauer vom Abstand r ab.
Es sei nun 0,5 ≤ r := PM ≤ 1. Im Koordinatensystem mit Ursprung M und x-Achse
= MA hat P die Koordinaten P(r|0). Der Umkreis des Dreiecks ABC war auf 1 normiert,
der Inkreis hat also den Radius ρ = 0,5, das Dreieck hat die Seitenlänge a = 3 und die
Höhe h = 1,5. Die folgende Abbildung ist eine Spezifizierung von Abb. 3.59.
Berechnung von A(r)
Wir berechnen zuerst den Inhalt der gesamten dunkelgrauen Fläche A(r) in
Abhängigkeit von r = PM : Die beiden Tangenten berühren den Inkreis in den Punkten
D und F, die Strecke DF schneidet die x-Achse in E. Die Tangente t1 schneidet den Umkreis in H, das Lot von H auf die x-Achse schneidet die x-Achse im Punkt G.
Schließlich ist α := AMH der Winkel zwischen der x-Achse und dem Strahl MH. Die
Tangente t2 schneidet vom Kreis einen Kreisabschnitt ab, dessen Inhalt F1 genauso groß
ist wie der durch AB definierte Kreisabschnitt. Es gilt also
F1 =
1
1
3
π
3
⋅ ( Inhalt des Umkreises − Inhalt des Dreiecks) = ⋅ ( π −
3) = −
.
3
3
4
3 4
2
Die hellgraue Fläche mit Inhalt F2 wird gebildet von der x-Achse, der Tangente t1 und
dem Kreis. Damit gilt für den Inhalt A(r) der dunkelgrauen Fläche
A(r) = 2⋅(F1 – 2⋅F2).
Der hellgraue Flächeninhalt F2 berechnet sich als Differenz der Flächeninhalte des Kreissektors AMH mit Öffnungswinkel α und des Dreiecks MPH, also
1
F2 = ⋅ α − MP ⋅ GH .
2
a und b seien die Koordinaten des Punktes H, also H(a|b). Damit gilt weiter
1
F2 = ⋅ ( arcsin(b) − r ⋅ b ) .
2
Zur Berechnung von b sei zunächst D(c|d), also E(c|0). Damit gilt für die Koordinaten c
und d
1
c 2 + d 2 = (da D auf dem Inkreis liegt) und
4
1
+ ( (r − c) 2 + d 2 ) = r 2 (Satz des Pythagoras im Dreieck MDP).
4
Nach kurzer Rechnung und, da d < 0 ist, folgt
1
1
c = , d = − ⋅ 4 ⋅ r2 −1 .
4r
4r
Die Koordinaten a und b von H ergeben sich durch den Schnitt der Gerade t1 und des
Umkreises. Diese Gerade hat den x-Achsenabschnitt r und die Steigung
ED d − 0
1
m=
=
=
.
EP r − c
4 ⋅ r2 −1
Damit erhalten wir für a und b das Gleichungssystem
a 2 + b 2 = 1 , da H auf dem Kreis liegt, und
1
b=
⋅ (a − r) , da H auf der Geraden t1 liegt.
4 ⋅ r2 −1
Einsetzen von b in die erste Gleichung ergibt eine quadratische Gleichung, deren positive
Lösung das gesuchte a ist. Aus der Geradengleichung ergibt sich dann b. Das Ergebnis ist
(
)
3 ⋅ 4 ⋅ r2 −1 +1
3 − 4 ⋅ r2 −1
, b=
.
4⋅r
4⋅r
Damit lässt sich der Flächeninhalt A(r) ausdrücken:
a=
A(r) =
2⋅π
− 2 ⋅ arcsin
3
3 − 4 ⋅ r2 −1
4 ⋅ r2 −1
−
.
4⋅r
2
Nun können wir einen theoretischen Ansatz für die Wahrscheinlichkeit machen, dass
eine zufällig gezeichnete Sehne kürzer ist als eine Seite eines einbeschriebenen Dreiecks.
Die zufälligen Wahlen des ersten Punkts P und des zweiten Punkts Q sind unabhängig
voneinander. Für die Wahrscheinlichkeit p1 dafür, dass der Punkt P in einen Kreisring mit
Inhalt des Kreisrings
Radien 1 ≤ r1 < r2 ≤ 1 fällt, gilt
. Die Dichtefunktion
Inhalt des Kreises
f :[0;1] → , x
2x bestimmt also diese Wahrscheinlichkeit als
r2
p1 = 2x dx .
r1
3
Wenn wir uns einen „infinitesimalen“ Kreisring mit Radien r und r+∆r denken, fällt,
so ist die Wahrscheinlichkeit p1 =
r +∆r
2x dx durch dieses Integral bestimmt, und die
r
Wahrscheinlichkeit p2 können wir für jeden Punkt im Kreisring als konstanten Wert p2 =
A(r)
ansehen. Damit ist p1⋅p2 die Wahrscheinlichkeit, dass P in den Kreisring fällt und Q
π
dann so gesetzt wird, dass die zugehörige Sehne kürzer als die Dreiecksseite ist. Die gesuchte Wahrscheinlichkeit p für die Modellierung VI können wir also ansetzen als
1
A(r)
p = 2⋅r ⋅
dr ≈ 0, 2531670.
π
0,5
Man könnte für den Integranden eine Stammfunktion suchen, was jedoch hier unnötig ist. Uns hat bei der numerischen Auswertung des Integrals ein Computeralgebrasystem geholfen! Wieder stimmen diese theoretische Wahrscheinlichkeit und der mit dem
frequentistischen Ansatz gewonnene Wahrscheinlichkeitswert gut überein.
B. Beweis zweier Reihenformeln
Wir benötigen die beiden folgenden Reihen-Formeln:
a.
∞
a
n ⋅ an =
b.
für | a |< 1
(1 − a )
∞
a ⋅ (1 − a )
n2 ⋅ an =
für
3
n =1
(1 − a )
2
n =1
| a |< 1
Formel a. wird im Beispiel „Warten auf die erste 6“ (S. 238/239) benötigt. Formel b. wird
beim nachfolgenden Beweis von Satz 25 (S. 261) benötigt. Die Formel a. beweisen wir
zuerst algebraisch, dann zusammen mit Formel b. analytisch.
Algebraischer Beweis von Formel a.
Wir beweisen zunächst die für alle a ∈ \{1} gültige Formel
m
m ⋅ a m+1 − a ⋅ a −1
a −1
n ⋅an =
a
−
1
n =1
m
Mit
s(m):=
m
n =1
n ⋅an
folgt der Beweis aus der folgenden Umformung:
4
s(m) =
a
+
= a + a2 + a3 + …
a2 + a3 + …
a3 + …
2a2
+
+ am–1 + am
+ am–1 + am
+ am–1 + am
3a3
+
+
+
+
+ m am
...
+ am–1 + am +
+ am
a ⋅(1 + a + ... + am–1) +
a2⋅(1+ a + … + am–2) +
a3⋅(1+ a + … + am–3) +
=
am-1⋅(1 + a) +
am
= a⋅
=
a m −1 2 a m −1 −1
a 2 −1 m a −1
+a ⋅
+ ... + a m −1 ⋅
+a ⋅
a −1
a −1
a −1
a −1
a m+1 − a + a m+1 − a 2 + ... + a m+1 − a m−1 + a m+1 − a m
a −1
m ⋅ a m+1 − a − a 2 − ... − a m −1 − a m m ⋅ a
=
=
a −1
=
m ⋅ a m+1 − a ⋅
a −1
m +1
(
− a ⋅ 1 + a + a 2 + ... + a m−1
a −1
)
a m −1
a −1
Für | a | < 1 folgt wie behauptet s(m) →
0 −1
a −1 = a . Für die beiden Randa −1
(a −1)2
0−a⋅
m →∞
fälle a = ±1 ist die Reihe divergent:
a = 1: s(m) =
a = –1:
m
n =1
n=
m ⋅ (m + 1)
→ ∞,
m →∞
2
m
für m gerade
2
n
→ ∞.
s(m) = n ⋅ (−1) = −1 + 2 − 3 + 4... =
m →∞
m +1
n =1
−
− m für m ungerade
2
m
5
Analytischer Beweis von Formel a. und b.
Wir verwenden den „Differenzierbarkeitssatz für Potenzreihen“ (Heuser 1990, Satz 64.2,
S. 368):
∞
Die Potenzreihe f (x) =
n =0
a n ⋅ (x − x 0 ) n sei konvergent für |x – x0| < r. Dann
ist f differenzierbar für |x – x0| < r mit
f '(x) =
∞
n =0
( n + 1) ⋅ a n +1 ⋅ ( x − x 0 )
n
Wir wenden diesen Satz zuerst auf die für | a | < 1 konvergente geometrische Reihe an:
f (a) =
∞
an =
n =0
1
.
1− a
Für diese Reihe gilt nach obigem Satz:
f '(a) =
∞
n =0
( n + 1) ⋅ a n =
1 ′
1
.
=
2
1− a
(1 − a )
Hieraus folgt weiter
∞
∞
n ⋅ an = a ⋅
n =1
n ⋅ a n −1 =a ⋅
n =1
∞
n =0
( n + 1) ⋅ a n = a ⋅
1
(1 − a )
2
=
a
(1 − a )
2
,
was die Formel a. beweist.
Jetzt wenden wir den Differenzierbarkeitssatz an auf
g(a) =
∞
n ⋅an =
n =1
a
für | a | < 1.
(1 − a) 2
Also gilt
g '(a) =
∞
n ⋅ n ⋅ a n −1 =
n =1
′
a
1+ a
=
für | a | < 1.
2
(1 − a)
(1 − a)3
Damit folgt weiter
∞
n2 ⋅ an = a ⋅
n =1
∞
n =1
n 2 ⋅ a n −1 =
a ⋅ (1 + a)
für | a |< 1,
(1 − a)3
und Formel b. ist bewiesen.
C. Beweis zu Satz 24 (S. 259), hypergeometrische Verteilung
Die Varianz berechnen wir mit Hilfe des Verschiebungssatzes V(X) = E(X2) – E(X)2
(Satz 20.a auf S. 245).
6
Es gilt
M N−M
M N−M
⋅
k
⋅
⋅
n
n
k
n
−
k
k
n−k
= k⋅
E(X 2 ) = k 2 ⋅
N
N
k =0
k =1
n
n
Eine kurze Nebenrechnung ergibt:
k⋅
M
M −1
M ⋅ (M −1) ⋅ ... ⋅ (M − k + 1)
(M − 1) ⋅ ... ⋅ (M − k + 1)
= k⋅
= M⋅
= M⋅
k!
(k −1)!
k
k −1
N N ⋅ (n −1) ⋅ ... ⋅ (N − n + 1) N (N −1) ⋅... ⋅ (N − n + 1) N N − 1
=
= ⋅
= ⋅
n
n!
n
(n −1)!
n n −1
Mit k = (k – 1) + 1 gilt damit weiter
E(X 2 ) =
n
k =1
M⋅
k⋅
M −1 (N −1) − (M − 1)
⋅
k −1
(n −1) − (k − 1)
N N −1
⋅
n
n −1
M −1 (N −1) − (M − 1)
M −1 (N −1) − (M − 1)
⋅
⋅
k −1
(n −1) − (k − 1)
(n −1) − (k − 1)
M n
M n k −1
= n ⋅ ⋅ (k − 1) ⋅
+n⋅ ⋅
N k =1
N k =1
N −1
N −1
n −1
n −1
Die erste Summe ist der Erwartungswert für n – 1, N – 1 und M – 1, die zweite Summe ist
1, da über alle Wahrscheinlichkeiten für n – 1 summiert wird. Zusammen folgt
E(X 2 ) = n ⋅
M
M −1
M
M −1
⋅ (n −1) ⋅
+ n ⋅ = n ⋅ p ⋅ (n −1) ⋅
+1
N
N −1
N
N −1
Damit folgt für die Varianz
V(X) = n ⋅ p ⋅ (n −1) ⋅
M −1
M −1
M
+ 1 − (n ⋅ p)2 = n ⋅ p ⋅ (n −1) ⋅
+1− n ⋅
N −1
N −1
N
7
= n ⋅p⋅
(n −1) ⋅ (M −1) ⋅ n + (N −1) ⋅ N − n ⋅ M ⋅ (N − 1)
(N − 1) ⋅ N
= n ⋅p⋅
(N − M) ⋅ (N − n)
N−n
= n ⋅ p ⋅ (1 − p) ⋅
,
N ⋅ (N −1)
N −1
was zu beweisen war.
D. Beweis zu Satz 25 (S. 261), geometrische Verteilung
Mit Hilfe des Verschiebungssatzes V(X) = E(X2) – (E (X))2 ((Satz 20.a auf S. 245) und
des Ergebnisses von a. muss nur noch E(X2) bestimmt werden. Es gilt
E(X 2 ) =
∞
n =0
= p⋅
∞
n 2 ⋅ p ⋅ (1 − p) n −1 = p ⋅
n 2 ⋅ (1 − p) n −1
n −1
n ⋅ (1 − p)
2
∞
n
=
1− p
n =1
p
1− p
⋅
∞
n 2 ⋅ (1 − p) n
n =1
Nach Teil A. „Beweis zweier Reihenformeln“ auf dieser Homepage gilt
∞
n2 ⋅ an =
n =1
a ⋅ (1 + a)
für 0 < a < 1.
(1 − a)3
Für a = 1 – p und 0 < p < 1 ist die Voraussetzung für die Anwendung der Formel erfüllt.
Also folgt
E (X 2 ) =
p
1− p
⋅
(1 − p) ⋅ (1 + (1 − p))
(1 − (1 − p))
3
=
und damit folgt schließlich wie behauptet
V(X) =
2−p
p
2
−
1
p
2
=
1− p
p2
.
2−p
p2
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