12 Therapie der Verletzungen im Gesichtsbereich

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12.1
Therapie der Verletzungen im Gesichtsbereich
K. L. Gerlach
Einleitung
Verletzungen der Gesichtsweichteile sind vielfältig, neben häufigen Riss-, Stich-, Quetsch- und Schürfwunden sind seltene Explosionsverletzungen und auch Verbrennungen zu behandeln. Dabei
werden ausgedehnte Wunden fast immer im Zusammenhang
mit Gesichtsschädel- und Unterkieferfrakturen festgestellt.
Neben Zerreißungen der Gingiva und der Schleimhäute sind Verletzungen der Muskulatur, der Nerven und Gefäße, der Speicheldrüsen mit ihren Ausführungsgängen und schließlich der Lider
und Tränenwege zu beachten.
Für das spätere funktionelle und im Gesicht besonders wichtige ästhetische Ergebnis sind einmal der Zeitpunkt und zum
anderen die Art der Wundversorgung von großer Bedeutung. Die
Primärversorgung sollte dabei möglichst immer auch zugleich
die definitive Behandlung darstellen. Notwendige spätere Korrekturoperationen an den Weichteilen sind operationstechnisch
häufig schwieriger durchzuführen und lassen sich in der Regel
durch sorgfältige primäre Behandlungsmaßnahmen weitestgehend vermeiden. Zur Erstversorgung zählt, dass zunächst bei
Vorliegen von Frakturen die einzelnen, die Gesichtsweichteile
stützenden und somit die Ästhetik mitbestimmenden Gesichtsschädelfragmente reponiert und fixiert werden und erst nachfolgend die definitive Wundversorgung der Weichteilverletzungen
erfolgt. Dieses therapeutische Ideal ist aber zum Beispiel bei
Patienten mit einem Polytrauma oft nicht durchführbar, da
zeitraubende radiologische Untersuchungsverfahren und die
Versorgung anderer Verletzungen mit hoher Dringlichkeit, wie
z. B. ein schweres Schädel-Hirn-Trauma oder abdominale Blutungen, einen Aufschub der Behandlungen erfordern.
Wegen der ausgezeichneten Durchblutung der Mund-, Kieferund Gesichtsregion besteht eine erhöhte Abwehrlage gegenüber
bakteriellen Infektionen sowie eine sehr gute Heilungstendenz,
sodass ein gutes Behandlungsresultat nach einer definitiven
Wundversorgung auch dann möglich ist, wenn diese erst 24 und
bei Bagatellverletzungen 48 Stunden nach dem Trauma erfolgt
(Davis u. Moss 1994, Schubert 2000).
Eine klinische Notwendigkeit zur Sofortversorgung besteht
aber in der Blutstillung, in der Ruhigstellung mobiler, offener
Kieferfrakturen und schließlich in einer vorläufigen Behandlung
der Weichteilwunden. Kleinere Blutungen werden durch Koagulation, (mono- oder bipolar), größere durch Abklemmung oder
Unterbinden der Gefäße gestillt. Anhaltende Blutungen aus dem
Mittelgesichtsbereich, z. B. bei LeFort-II- oder LeFort-III-Frakturen können durch Bellocq-Tamponaden sowie einer Kompression
des Mittelgesichtes gegenüber der Schädelbasis gestillt werden.
In Einzelfällen ist auch eine notfallmäßige Angiographie mit
gezielter Embolisation der Endäste der A. carotis externa erforderlich. Mobile und nach außen bzw. zur Mundhöhle hin offene
Kieferfrakturen werden durch provisorische Notschienen ruhig
gestellt. Ausgedehntere Weichteilwunden können zunächst mit
Verbänden abgedeckt bzw. mit adaptierenden Wundnähten vorläufig verschlossen werden. Sollte eine definitive Versorgung
innerhalb von 24 – 48 Stunden nicht möglich sein, erfolgt
zunächst auch ein primärer Wundverschluss (Austermann 2002).
Vor Beginn einer definitiven Versorgung ist immer eine
sorgfältige klinische und radiologische Untersuchung erforderlich. Gesichtsschädelfrakturen und Verletzungen der Zähne müssen diagnostiziert oder ausgeschlossen werden. Fremdkörper,
wie z. B. Glas- und Lacksplitter, werden entfernt, gelegentlich
ist bei kleineren Fragmenteinlagerungen auch eine sparsame
Umschneidung notwendig. Grundsätzlich sollten die Wunden
durch Spülungen mit physiologischer Kochsalz- bzw. 3 %iger
H2O2-Lösung sowie ggf. mechanisch (Bürsten) gereinigt werden.
Wichtig ist auch eine sorgfältige Überprüfung, inwieweit Verletzungen der Drüsenausgänge und der Nerven vorliegen.
12.2
Allgemeine Regeln zur
Wundversorgung
Prinzipiell gelten für die Behandlung der Gesichtsweichteilwunden die bereits im Kap. 7 aufgeführten Regeln der Wundversorgung, doch sind verschiedene, nachfolgend aufgeführte,
abweichende Hinweise im Hinblick auf ein gutes Behandlungsergebnis bei Verletzungen im Gesichtsbereich zu beachten.
Trotz bestehender Kontamination der Wunden ist die
Durchführung der Wundrandausschneidung nach Friedrich
(1898) insbesondere wegen der guten Durchblutung der
Gesichtsweichteile nicht erforderlich. Es sollte hingegen die
Erhaltung aller, auch kleinster, gestielter Gewebeteile angestrebt
werden, insbesondere im Bereich der Augenlider, des Naseneingangs sowie der Mundspalte (Abb. 12.1). Ausnahmen stellen
ausgedehnte Quetschwunden und Explosionsverletzungen sowie
nekrotische oder stark schmutztätowierte Gewebeteile und auch
Bissverletzungen dar; nur in diesen Fällen ist eine sparsame
Gewebeumschneidung angezeigt. Dadurch möglicherweise entstehende Gewebedefekte werden durch die Anwendung lokaler
Transpositionslappen und seltener sekundär durch freie Transplantate ersetzt.
Für kombinierte Knochen- und Weichteilverletzungen gilt die
bereits von Ganzer (1943) aufgestellte Regel „von innen nach
außen“. Das bedeutet, die äußeren Gesichtsweichteile werden
erst dann versorgt, wenn zuvor die Kontur des Gesichtsschädels
und des Unterkiefers durch korrekte Reposition und Fixierung
(Schienung bzw. Osteosynthese) erfolgt ist. Dies gilt auch für die
Versorgung luxierter oder frakturierter Zähne. Erst anschließend
werden die vorhandenen intraoralen Wunden (Gingiva, Schleim-
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12.3 Versorgung spezifischer Verletzungen
Anästhesie. Isolierte Weichteilverletzungen der Mundhöhle
sowie des Gesichtes können in örtlicher Betäubung versorgt werden, wobei eine Leitungsanästhesie bevorzugt werden sollte. Bei
ausgedehnteren Verletzungen, z. B. bei einer voraussichtlichen
Operationsdauer von mehr als 1 Stunde, insbesondere auch
wenn zusätzliche Frakturen des Gesichtsschädels behandelt werden müssen, ist eine Intubationsnarkose angezeigt; dies gilt auch
generell für die Versorgung von verletzten Kindern. Die zusätzliche Anwendung von Lokalanästhetika mit Vasokonstriktorenzusatz im Bereich der Wundränder erleichtert die Hämostase und
vermindert zudem in der Aufwachphase nach Beendigung des
Eingriffes den zu erwartenden Wundschmerz (Eppley u. Bhuller
2003).
Wundversorgung. Zur Vereinigung der verschiedenen Strukturen werden unterschiedliche Nahtmaterialien angewendet. Bei
intraoralen Schleimhautwunden sind nichtresorbierbare Einzelfäden (4-0) indiziert, für die Muskulatur werden resorbierbare
Nahtmaterialien (4-0 bzw. 3-0) verwendet und schließlich für die
Hautnähte monofile, atraumatische Nähte der Stärke 5-0 – 6-0,
dabei sind Einzelknopfnähte zu bevorzugen. Bei ausgedehnten
Wunden kann auch eine fortlaufende Naht angebracht sein.
Intraorale Fäden werden zwischen 7 und 10 Tagen, die Nähte der
äußeren Haut nach 5 – 7 Tagen entfernt. Je nach Ausmaß der erlittenen Verletzungen ist zumindest für 24 Stunden die Applikation
einer Redon-Saugdrainage angezeigt, primär infektionsgefährdete Wunden nach vorausgegangener starker Verschmutzung
werden für 1 – 2 Tage mit eingelegten Kunststoffröhrchen drainiert.
Verletzungen in einzelnen anatomischen Regionen werden im
Folgenden besprochen, wenn in diesen Fällen besondere Maßnahmen zu beachten sind.
12.3
Versorgung spezifischer
Verletzungen
Schürfwunden
Abb. 12.1a–c Multiple Glassplitterverletzungen im Bereich des
rechten Oberlides sowie der Stirn.
a Ausgangsbefund.
b Z. n. Fremdkörperentfernung und primärem Wundverschluss
mit atraumatischen Nähten.
c Situs nach erfolgter Abheilung, 8 Monate postoperativ.
haut, Zunge, Gaumen) versorgt und nachfolgend die Muskulatur
und schließlich die äußere Gesichtshaut. Nur bei Beachtung dieser Grundregel kann ein funktionell und ästhetisch befriedigendes Resultat erwartet werden, da einerseits eine für die Heilung
erforderliche Ruhigstellung gewährleistet werden kann und
andererseits nach erfolgter Weichteilversorgung bei der erforderlichen späteren intraoralen Frakturversorgung die primär
verschlossenen Weichteilwunden nicht wieder eröffnet werden
müssen.
Ausgedehntere Schürfwunden der Gesichtshaut werden nach der
Säuberung mit physiologischer Kochsalzlösung mit Fett-GazeVerbänden abgedeckt, auf diese Weise ist nach kurzer Zeit eine
narbenlose Ausheilung zu erwarten. Von besonderer Bedeutung
sind aber Wunden mit Schmutzeinsprengungen: Hier ist eine
Entfernung der in die Haut eingedrungenen Fremdkörper durch
Ausbürsten der Wunde mit einer sterilen Nylonbürste erforderlich. Als Spülflüssigkeit werden eine 3 %ige H2O2 – oder Polyvidon-Iod-Lösung verwendet. Tiefer in die Dermis eingedrungene
Partikel, wie z. B. bei einer Explosionsverletzung, werden zusätzlich mit feinen Küretten oder einem 11er Skalpell entfernt, gelegentlich kann auch eine Dermabrasion mit einer rotierenden Diamantkugel angezeigt sein (Abb. 12.2). Diese Behandlungen sollten besonders sorgfältig und kompromisslos erfolgen, da eine
leichte Entfernung aller Schmutzpartikel nur während der Primärversorgung möglich ist, später notwendige Korrekturen sehr
mühsam und auch nur unter sekundärer Narbenbildung möglich
sind (Eppley u. Bhuller 2003).
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12 Therapie der Verletzungen im Gesichtsbereich
unteren Ast der R. marginalis mandibulae wieder vereinigt werden. Allerdings bedürfen Verletzungen anterior einer vertikalen
Linie ausgehend vom lateralen Kanthus keiner Versorgung. Weiter proximal lokalisierte Durchtrennungen erfordern zunächst
die Identifizierung der Hauptäste und unter mikrochirurgischer
Technik eine primäre Nervennaht. Die peripheren Fazialisäste
sind mono- oder oligofaszikulär ( X 5 Faszikel), nach vorsichtiger
Anfrischung der Nervenenden mit einer feinen Schere kann
daher mit guten Erfolgsaussichten jeweils eine epineurale Vereinigung der Nervenenden in Abhängigkeit vom Durchmesser mit
jeweils 2 – 6 Nähten (10-0) durchgeführt werden (Abb. 12.3d–f).
Gute Ergebnisse werden dann erzielt, wenn die Versorgung
innerhalb von 24 Stunden nach dem Unfall vorgenommen werden kann. Falls eine primäre Nervnaht nicht durchführbar sein
sollte, müssen zumindest die Nervenstümpfe aufgesucht und zur
Erleichterung bei einem aufgeschobenen späteren Eingriff mit
gefärbten, nichtresorbierbaren Fäden markiert werden (Schliephake 2003).
Während parallel zu den Spannungslinien der Haut verlaufende Narben bei direkter Wundvereinigung zu guten ästhetischen Ergebnissen führen, ist bei quer zu diesen Linien lokalisierten Wunden die Anlage einer oder mehrerer Z-Plastiken angezeigt (Abb. 12.4).
Abb. 12.2a u. b Oberflächliche Hautabschürfungen mit Schmutzimprägnierung nach Zerbersten eines Ölschlauches.
a Ausgangsbefund.
b Situs 10 Monate postoperativ nach Bürstenbehandlung und
Spülung mit 3 %iger H2O2-Lösung.
Tiefgehende Verletzungen des seitlichen Gesichtes
Derartige Verletzungen erfordern zunächst die Überprüfung,
inwieweit die Hauptäste des N. facialis sowie der Ductus parotideus verletzt sind (Abb. 12.3a). Zur Feststellung einer Kontinuitätsunterbrechung des Ausführungsganges wird von intraoral
her eine Knopfsonde in den Gang eingeführt, bei dessen Durchtrennung erscheint das Ende der Sonde in der Wunde, das proximale Ende des Ganges ist leicht aufzufinden, ggf. durch Massage
der Glandula parotidea. Es wird dann von intraoral ausgehend
ein Silikonröhrchen eingeführt und schließlich in das proximale
Ende des Duktus weitergeleitet. Mithilfe der Lupenbrille bzw.
dem Operationsmikroskop erfolgt die zirkuläre Vereinigung der
Wundränder mit atraumatischer Naht (6-0). Von intraoral wird
das Röhrchen mit einer Naht an der Schleimhaut fixiert und etwa
10 Tage postoperativ entfernt. Bei Verletzungen der Drüse werden deren Kapselränder mit resorbierbaren Fäden vereinigt und
nachfolgend ein schichtweiser Verschluss des subkutanen Gewebes und der Haut vorgenommen. In der Regel sind nachfolgend
keine Probleme zu erwarten, postoperative Speichelbildungen in
der Wunde sistieren meist nach mehrmaliger Aspiration (Abb.
12.3b u. c). Bei Kontinuitätsunterbrechungen des N. facialis
sollten zumindest vom oberen Ast die den M. orbicularis oculi
versorgenden Äste (Rr. zygomatici, ggf. Rr. buccales) und vom
Nasenverletzungen
Isolierte und perforierende Weichteildefekte der Nase werden
häufig am Übergang des knöchernen zum knorpeligen Nasenskelett gefunden. Die Wundversorgung erfordert die akkurate
Vereinigung aller 3 Schichten, der Schleimhaut (Vicryl 4-0), der
Knorpelanteile (PDS 5-0 oder 6-0) und schließlich der Haut mit
atramautischen, nichtresorbierbaren Fäden (5-0 oder 6-0) (Abb.
12.5, 12.6).
Ausgedehntere Verletzungen mit Nasenbeinfrakturen setzen
zudem eine Reposition und nachfolgend zumindest eine interne
Schienung durch intranasale Tamponaden voraus. Je nach Ausmaß der Weichteilwunde wird es möglich sein, einen Heftpflasterverband anzulegen, der auch die Applikation eines Nasengipses erlaubt.
Lippenverletzungen
Eine funktionelle und ästhetisch erfolgreiche Wundversorgung
bei ausgedehnten Lippenverletzungen setzt eine korrekte Vereinigung des durchtrennten M. orbicularis oris sowie des Vermillions voraus. Zunächst wird an beiden Wundrändern exakt die
Lippenrot-/-weiß-Grenze identifiziert und mit einer mit Tusche
versehenen Nadel tätowiert. Die Lippe wird dann schließlich in
3 Schichten versorgt, die Schlüsselnaht stellt dabei die exakte
Annäherung des Überganges vom Lippenrot zum Lippenweiß
dar. Nachfolgend Verschluss der intraoralen Schleimhaut, des
Muskel und des Lippenweißes (Abb. 12.7, 12.8). Wie bei allen
Verletzungen müssen etwaige vorhandene Frakturen des Unterkiefers bzw. dentoalveoläre Schäden zunächst durch dental
fixierte Schienen oder einer Osteosynthese versorgt werden.
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12.3 Versorgung spezifischer Verletzungen
Abb. 12.3a–f Tief gehende Schleifscheibenverletzung im Bereich
des linken Gesichtes mit Zertrümmerung des Jochbeinbogens sowie
2facher Unterkieferfraktur.
a Ausgangsbefund.
b Nach erfolgter Frakturreposition und durchgeführter Osteosynthese Darstellung des Ductus parotideus mit eingeführten Silikonröhrchen vom anterioren zum proximalen Ende. Der Faden
unterhalb dient zur Identifizierung eines durchtrennten Stammes
des N. facialis.
c Situs nach zirkulärer Naht des durchtrennten Ductus parotideus.
Im oberen Bildanteil Osteosyntheseplatte zur Rekonstruktion des
Jochbogens.
d Situs nach epineuraler Naht des R. zygomaticus sowie des R. buccalis des N. facialis, im mittleren Bildanteil wiederum die beschriebene Osteosyntheseplatte.
e u. f Vollständige Wiederherstellung der Funktion des N. facialis 10
Monate postoperativ.
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12 Therapie der Verletzungen im Gesichtsbereich
Abb. 12.4a–c Horizontale Schleifscheibenverletzung im mittleren Gesichtsdrittel mit Eröffnung der Kieferhöhle und des seitlichen Nasenbeines.
a Ausgangsbefund.
b Situs nach schichtweisem Wundverschluss unter Anlage einer
Z-Plastik im Verlauf der senkrechten Spannungslinien. Subkutane Nähte sowie fortlaufende Hautnaht.
c Situs nach Abheilung der Wunde 5 Monate postoperativ.
Abb. 12.5a u. b
Riss-Quetsch-Wunde
im vorderen Anteil
der Nase mit beidseitiger Separierung der
Weichteile.
a Ausgangsbefund.
b Wundheilung 10 Tage postoperativ.
Defektwunden
Gesichtsverletzungen mit Gewebeverlusten werden im Rahmen
der Primärversorgung vergleichbar mit den aus der Tumorbehandlung im Gesichtsbereich bewährten Rekonstruktionsverfahren versorgt. Bei den häufiger auftretenden kleineren Defekten
sind lokale Transpositionslappen aus der Umgebung zu bevorzugen, da diese zum Beispiel in der Hautdicke und besonders im
Hautkolorit dem zu ersetzenden Gewebeabschnitt weitgehend
entsprechen. Ausgedehntere Defekte erfordern die Anwendung
von myokutanen Insellappen und insbesondere von mikrovaskulär anastomosierten freien Haut-Muskel-Lappen.
Idealerweise werden derartige Rekonstruktionen im Rahmen
der Primärversorgung durchgeführt. Insbesondere dann, wenn
die Konstitution des Patienten mit Vorliegen weitere lebensbedrohlichen Verletzungen die Durchführung einer mehrstündigen
Operation nicht erlaubt, werden derartige Rekonstruktionen oft
erst nach Tagen bzw. Wochen durchgeführt werden können
(Eppley u. Coleman 2003, Gerlach u. Pape 1995, von Domarus
1995, Horch u. Herzog 1990). Eine Alternative bei der Rekonstruktion von extrem ausgedehnten Gewebedefekten stellt auch
der Rundstiellappen dar, der zur Spätversorgung des in Abb. 12.9
demonstrierten Falles verwendet wurde. Hier lag eine völlige
Ablederung der zentralen Gesichtsweichteile einschließlich
Nase, Oberlippe, rechter Mundwinkel und Verlust des rechten
Auges vor. Eine auftretende Infektion nach der Primärversorgung
sowie insbesondere die Entwicklung eines lebensbedrohlichen
„Platzbauches“ gestatteten keine Primärversorgung, sodass die
endgültige Rehabilitation in mehreren Operationsschritten nach
der Anlage eines im Brustbereich lokalisierten Wundstiellappen
erfolgen konnte.
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12.3 Versorgung spezifischer Verletzungen
Abb. 12.6a u. b Schrägverlaufende, perforierende Riss-Quetsch-Wunde der Nase.
a Ausgangsbefund.
b Situs 6 Monate postoperativ.
Abb. 12.7a–d Schleifscheibenverletzung im unteren Gesichtsdrittel mit Verletzung der Nase,
Durchtrennung der Ober- und Unterlippe.
a Ausgangsbefund.
b Der intraorale Situs zeigt die Avulsion des seitlichen Schneidezahnes im Oberkiefer und des
Eckzahnes im Unterkiefer, Unterkieferfraktur und Durchtrennung des Oberkieferalveolarfortsatzes.
c Situation nach Schienung des Zahnbogens im Ober- und Unterkiefer, Durchführung einer
Miniplattenosteosynthese, intraoraler Muskelnaht und extraoraler Wundversorgung mit
Einzelknopfnähten. Weiterhin ist die applizierte Redon-Saugdrainage erkennbar.
d Abgeschlossene Wundheilung 3 Monate postoperativ.
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Abb. 12.8a u. b Ausgedehnte Riss-Quetsch-Wunde im Bereich des
rechten Mundwinkels mit Ober- und Unterlippenverletzung sowie
Trümmerfraktur des Unterkiefers nach einer Verletzung durch eine
explodierende Gasflasche.
a Situation nach Schienung der Zahnbögen und adaptierende
Ruhigstellung der Knochenfragmente mit Drähten.
b Situs direkt postoperativ nach Stabilisierung der Unterkieferfraktur und mehrschichtiger Wundverschluss mit Rekonstruktion des
Mundwinkels unter Beachtung der jeweiligen Lippenrot-/-weißGrenze.
Abb. 12.9a–d Ausgedehnter Weichteildefekt mit Verlust des rechten Mundwinkels,
der Oberlippe, der Nase und der Stirnhaut
mit perforierender Verletzung des Auges.
a Ausgangsbefund.
b Z. n. der Behandlung lebensbedrohlicher
abdominaler Verletzungen und ausgedehnter Infektionen im Gesichtsbereich
nach primärer Versorgung. Auf dem freiliegenden Stirnbein ZNO-Verband.
c Z. n. Readaptation der Weichteile und Versorgung des Stirnhautdefektes mit einem
Vollhauttransplantat.
d Rehabilitation des Patienten nach Anwendung eines Rundstiellappens, der primär
im Bereich der linken Brust angelegt und
nach Verpflanzung zur Stirn mehrfach zur
Rekonstruktion von Nase, Oberlippe und
Mundwinkel segmentiert wurde. Zusätzlich Einpassung einer Augenendothese.
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12.3 Versorgung spezifischer Verletzungen
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Lippert, Wundatlas (ISBN 3131408324), © 2006 Georg Thieme Verlag
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