Ereignisse und Wahrscheinlichkeiten

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Kapitel 1
Ereignisse und
Wahrscheinlichkeiten
In der Stochastik werden zufallsabhängige Phänomene mathematisch modelliert und
analysiert. (z.B. würfeln)
Ω = Ergebnisraum (z.B. Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6})
A ⊂ Ω Ereignis (z.B. A={2,4,6} =
ˆ gerade Zahl fällt)
Ist ω ∈ Ω, so heißt {ω} Elementarereignis
Beispiel 1.1
a) Zuerst wird eine Münze geworfen. Fällt Kopf, wird mit einem Würfel geworfen,
fällt Zahl so wird nochmal mit der Münze geworfen.
Ω = {K1, K2, K3, K4, K5, K6, ZZ, ZK}
b) Rotierender Zeiger
Θ = 2πx, 0 ≤ x < 1 sei der Winkel beim Stillstand
Ω = [0, 1)
A = (0, 41 ) ist das Ereignis: “Zeiger stoppt im I. Quadranten“
Verknüpfungen von Ereignissen werden durch mengentheoretische Operationen beschrieben.
Definition 1.1
a) Seien A, B ⊂ Ω Ereignisse. So heißt
A ∩ B = AB = {ω ∈ Ω|ω ∈ A und ω ∈ B} = {ω ∈ Ω|ω ∈ A, ω ∈ B} Durchschnitt von A und B.
A ∪ B = {ω ∈ Ω|ω ∈ A oder ω ∈ B} Vereinigung von A und B.
Sind A und B disjunkt, dh. A ∩ B = ∅ dann schreiben wir auch A + B
A\B = {ω ∈ Ω|ω ∈ A, ω ∈
/ B}
Gesprochen: A ohne B. Spezialfall A = Ω Dann ist Ω\B = B c
B c heißt Komplement von B.
1
2
KAPITEL 1. EREIGNISSE UND WAHRSCHEINLICHKEITEN
b) Sind Ω1 , Ω2 , . . . , Ωn Ergebnisräume, so ist
Ω1 × Ω2 × · · · × Ωn = {(a1 , . . . , an )|ai ∈ Ωi , i = 1, . . . , n} das Kartesische
Produkt.
Beispiel 1.2 2x würfeln
Ω = {(i, j) ∈ {1 . . . 6}}
A = Erster Würfel ist eine 6 = {(6, 1), (6, 2), (6, 3), (6, 4), (6, 5), (6, 6)} = {(6, j)|j ∈
{1 . . . 6}}
B = Augensumme ist max 4 = {(i, j)|i + j ≤ 4} = {(1,1),(1,2),(1,3),(2,2),(3,1)}
A∩B = ∅
B c = Augensumme ist mindestens 5
Mit P(Ω) bezeichnen wir die Potenzmenge von Ω, d.h. die Menge aller Teilmengen
von Ω. (dazu gehören auch Ω und ∅). Wir wollen nun Ereignissen Wahrscheinlichkeiten zuordnen.
Es sei A ⊂ P(Ω) die Menge aller Mengen (Ereignisse) denen wir Wahrscheinlichkeiten zuordnen wollen. Um eine sinnvolle math. Theorie zu bekommen, können wir
im Allgemeinen nicht A = B\Ω wählen. Jedoch sollte das Mengensystem A gewisse
Eigenschaften haben.
Definition 1.2
a) A ⊂ P(Ω) heißt Algebra über Ω, falls gilt:
(i) Ω ∈ A
(ii) A ∈ A ⇒ Ac ∈ A
(iii) A1 , A2 ∈ A ⇒ A1 ∪ A2 ∈ A
b) A ⊂ P(Ω) heißt σ-Algebra über Ω, falls A eine Algebra ist und
S
(iv) A1 , A2 , . . . ∈ A ⇒ ∞
i=1 Ai ∈ A
Bemerkung 1.1
a) Das Paar (Ω, A) mit A σ-Algebra über Ω heißt Messraum
b) P(Ω) ist stets eine σ-Algebra. Ist Ω endlich oder abzählbar unendlich, so kann
A = P(Ω) gewählt werden. Ist Ω nicht abzählbar (siehe Beispiel 1.1), so muss
eine kleinere σ-Algebra betrachtet werden. (Kapitel 4).
Wir wollen noch die folgenden Mengenverknüpfungen betrachten.
Definition 1.3 Seien A1 , A2 , . . . ⊂ Ω Dann heißt
lim sup An = lim sup An :=
n→∞
n→∞
∞ [
∞
\
k=1 n=k
An
3
der Limes Superior der Folge {An } und
lim inf An = lim inf An :=
n→∞
n→∞
∞ \
∞
[
An
k=1 n=k
heißt der Limes Inferior der Folge {An }
Bemerkung 1.2 Es gilt:
ω ∈ lim sup An ⇔ ∀ k ∈ N ∃n ≥ k : w ∈ An ⇔ |{n ∈ N|ω ∈ An }| = ∞
n→∞
lim sup An ist das Ereignis “unendlich viele An ’s treten ein“
n→∞
ω ∈ lim inf An ⇔ ∃ k ∈ N ,so dass ∀ n ≥ k ω ∈ An
n→∞
lim inf An ist also das Ereignis “alle bis auf endlich viele der An ’s treffen ein¡‘
n→∞
Lemma 1.1 Seien A1 , A2 , . . . , ⊂ Ω.
a) Falls {An } wachsend ist, d.h. A1 ⊂ A2 ⊂ . . ., dann gilt:
lim sup An = lim inf An =
n→∞
n→∞
∞
[
An
n=1
b) Falls {An } fallend ist, d.h. A1 ⊃ A2 ⊃ . . ., dann gilt:
lim sup An = lim inf An =
n→∞
n→∞
∞
\
An
n=1
Bemerkung 1.3
a) Für A1 ⊂ A2 ⊂ A3 ⊂ . . . schreiben wir An ↑, für A1 ⊃ A2 ⊃ . . . schreiben wir
An ↓
b) Falls
lim sup An = lim inf An schreiben wir kurz: lim An
n→∞
n→∞
Beweis
n→∞
a) Sei
A :=
∞
[
An
n=1
Es gilt
∞
[
An = A
n=k
Andererseits:
∞
\
n=k
∀ k ∈ N ⇒ lim sup An = A
n→∞
An = Ak , d.h. lim inf An = A
n→∞
4
KAPITEL 1. EREIGNISSE UND WAHRSCHEINLICHKEITEN
b) analog
Ereignissen ordnen wir jetzt Zahlen zwischen 0 und 1 zu, die wir als Wahrscheinlichkeiten interpretieren. Damit dies sinnvoll ist, soll die Zuordnung gewissen Axiomen
genügen.
Definition 1.4 (Axiomensystem von Kolmogorov 1933)
Gegeben sei ein Messraum (Ω, A). Eine Abbildung P : A → [0, 1] heißt Wahrscheinlichkeitsmaß auf A, falls
(i) P (Ω) = 1 “Normiertheit“
(ii)
∞
∞
X
X
P(
Ai ) =
P (Ai )
i=1
(d.h. Ai ∩ Aj = ∅
∀ paarweise disjunkten A1 , A2 , . . . ∈ A
i=1
∀i 6= j) “σ − Additivität“
(Ω, A, P ) heißt Wahrscheinlichkeitsraum.
Beispiel 1.3
Ist Ω 6= ∅ eine endliche Menge und A = P (Ω), so wird durch P (A) = |A|
|Ω| ∀A ⊂ Ω
ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω, A) definiert.
(Ω, A, P ) nennt man Laplace‘schen Wahrscheinlichkeitsraum. Jedes Elementarereig1
nis hat hier die gleiche Wahrscheinlichkeit |Ω|
.
Wir betrachten den gleichzeitigen Wurf zweier Würfel. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Augensumme 11 bzw. 12 ist?
2 Würfel
Ω = {(i, j)|i, j = {1 . . . 6}}
|Ω| = 36
A = Augensumme 11
B = Augensumme 12
2
P(A) = P({(5,6),(6,5)}) = 36
1
P(B) = P({(6,6)}) = 36
Satz 1.2
Sei (Ω, A, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum und A, B, A1 , A2 , . . . ∈ A. Dann gilt:
a) P (Ac ) = 1 − P (A)
b) Monotonie: A ⊂ B ⇒ P (A) ≤ P (B)
c)
Endliche AdditivitätP (
n
X
k=1
Ak ) =
n
X
(P (Ak )) für paarweise disjunkte A1 . . . An
k=1
=AB
z }| {
d) P (A ∪ B) = P (A) + P (B) − P (A ∩ B)
5
e) Boole‘sche Ungleichung:
P(
n
[
Ak ) ≤
k=1
Beweis
n
X
∀n ∈ N
P (Ak )
k=1
a) Es gilt:
(ii)
1 = P (Ω) = P (A+Ac ) = P (A+Ac +∅+∅ . . .) = P (A)+P (Ac )+P (∅)+P (∅) . . .
⇒ P (∅) = 0 und P (Ac ) = 1 − P (A)
=B∩Ac ∈A
z }| {
b) P (B) = P (A + B\A) = P (A) + P ( B\A ) ≥ P (A)
|
{z
}
≥0
c) Setze An+1 = An+2 = · · · = ∅ und verwende die σ − Additivität.
d) Es gilt: A ∪ B = A + B\A ⇒ P (A ∪ B) = P (A) + P (B\A)
=AB
z }| {
B = B\A + A ∩ B ⇒ P (B) = P (B\A) + P (A ∩ B)
Es folgt: P (A ∪ B) = P (A) + P (B) − P (AB)
e) Für n=2 folgt die Aussage aus Teil d), da P (AB) ≥ 0
Induktion: n → n + 1:
n+1
[
P(
Ak ) = P (
k=1
n
[
Ak ∪ An+1 ) ≤ P (
k=1
n
[
Ak ) + P (An+1 ) ≤
k=1
n
X
P (Ak ) + P (An+1 )
k=1
Satz 1.3 (Siebformel)
Sei (Ω, A, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum, dann gilt für A1 . . . An ∈ A:
P(
n
[
k=1
Ak ) =
n
X
k=1
(−1)k−1 ·
X
P (Ai1 ∩ · · · ∩ Aik )
1≤i1 ≤i2 ···≤ik ≤n
Bemerkung 1.4
a) Die Formel ist auch unter dem Namen: Formel von Poincare-Sylvester oder
Formel des Ein- und Ausschließens bekannt.
b) n=2 P (A1 ∪ A2 ) = P (A1 ) + P (A2 ) − P (A1 ∩ A2 )
Die σ-Additivität ist äquivalent zu einer gewissen Stetigkeit des Wahrscheinlichkeitsmaßes.
Satz 1.4 Sei (Ω, A) ein Messraum und sei P : A → [0, 1] eine beliebige additive
Mengenfunktion, d.h. P (A + B) = P (A) + P (B) gelte für disjunkte A, B ∈ A.
Außerdem sei P (Ω) = 1. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:
6
KAPITEL 1. EREIGNISSE UND WAHRSCHEINLICHKEITEN
a) P ist σ-additiv (und damit ein Wahrscheinlichkeitsmaß)
b) P ist stetig von unten, d.h. für An ∈ A mit An ↑ gilt:
lim P (An ) = P ( lim An )
n→∞
n→∞
c) P ist stetig von oben, d.h. für An ∈ A mit An ↓ gilt:
lim P (An ) = P ( lim An )
n→∞
n→∞
d) P ist stetig in ∅, d.h. für An ∈ A mit An ↓ ∅ gilt:
lim P (An ) = 0
n→∞
Beweis a) ⇒ b) Es sei A0 := ∅. Dann gilt:
L.1.1
P ( lim An ) = P (
n→∞
∞
[
∞
∞
X
X
Ak ) = P ( (Ak \Ak−1 )) =
P (Ak \Ak−1 ) =
k=1
= lim
k=1
∞
X
n→∞
k=1
P (Ak \Ak−1 ) = lim P (An )
n→∞
k=1
b) ⇒ c) An ↓⇒ Acn ↑ und
b)
lim P (An ) = lim 1−P (Acn ) = 1− lim P (Acn ) = 1−P (
n→∞
n→∞
n→∞
∞
[
Acn )
d‘Morgan
=
n=1
P(
∞
\
n=1
Mit Lemma 1.1 folgt die Behauptung
c) ⇒ d) klar (d) Spezialfall von c))
d) ⇒ a) Seien A1 , A2 , . . . ∈ A paarweise disjunkt. Dann gilt
∞
[
Ak ↓ ∅
für n → ∞
k=n+1
Also
P(
∞
X
k=1
n
∞
X
X
Ak ) = P (
Ak +
Ak )
k=1
k=n+1
∞
X
Für n → ∞ gilt: P (
{z
Bn
=
n
X
P (Ak ) + P (
k=1
Ak ) → 0 und die Behauptung folgt.
k=n+1
|
P endl. Add.
}
∞
X
Ak )
k=n+1
An )
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