Ausgabe A - Deutsches Ärzteblatt

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MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Guter Stress, schlechter Stress –
die feine Balance in Blutgefäßen
Kirstin Wingler, Harald H. H. W. Schmidt
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Radikale haben wichtige physiologische
Funktionen, zum Beispiel als wesentlicher Schutzfaktor
von Blutgefäßen und für die Immunabwehr. Allerdings sind
Radikale auch potenziell gefährliche Abfallprodukte des
Zellstoffwechsels und werden mit der Entstehung vieler
Krankheiten assoziiert.
Methode: Übersichtsarbeit auf der Basis einer selektiven
Literaturaufarbeitung.
Ergebnisse: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Radikale können bis heute nicht therapeutisch genutzt werden. Bislang wurde das Prinzip favorisiert, bereits gebildete Radikale mittels Antioxidanzien abzufangen. Klinische
Studien hierzu zeigten jedoch mehrheitlich negative Resultate. Daher sind fundamental neue Ansätze erforderlich.
Ziel sollte sein, bereits die Bildung nachweislich schädlicher Radikale zu hemmen oder, wenn eine Schädigung bereits eingetreten ist, diese gezielt zu therapieren. Neuartige Diagnostika haben das Potenzial, die Identifizierung genau der Patienten zu ermöglichen, welche wahrscheinlich
von einer solchen Behandlung profitieren werden und diesen Erfolg nachzuweisen.
Schlussfolgerungen: Ziel einer zukünftigen Generation von
Herz-Kreislauf-Arzneimitteln ist die Prophylaxe beziehungsweise Therapie oxidativ geschädigter Blutgefäße.
Dem neuen Prinzip der individualisierten Medizin folgend,
sollte dies Hand in Hand mit neuartigen Diagnostika erfolgen.
Schlüsselwörter: oxidativer Stress, Antioxidans,
Stickstoffmonoxid, Gefäßdiagnostik, Radikale
Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2009; 106(42): 677–84
DOI: 10.3238/arztebl.2009.0677
Monash University, Department of Pharmacology, Centre for Vascular Health,
Melbourne, Australien: Dr. rer. nat. Wingler, Prof. Dr. med. Schmidt
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 106 | Heft 42 | 16. Oktober 2009
reie Radikale, oxidativer Stress und Antioxidanzien bilden die Grundlage vieler Hypothesen zur
Krankheitsentstehung und -vermeidung. Kernbestandteil ist die Annahme, dass Radikale schädlich
sind und – im Umkehrschluss – ihre Elimination
Krankheiten verhindert oder heilt. Radikale haben jedoch auch essenzielle Funktionen. Bisherige, durchaus plausible Ansätze, Radikale zu entfernen, waren
klinisch überwiegend wirkungslos. Im Folgenden diskutieren die Autoren fünf Kernfragen:
● Was sind Radikale?
● Welche Wirkungen üben sie aus?
● Warum wirken Antioxidanzien nicht?
● Welche alternativen Ansätze gibt es?
● Was ist heute machbar?
Aktuelle Fortschritte auf dem Gebiet der freien Radikale untermauern das Potenzial, über diesen Pathomechanismus für viele Erkrankungen neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten zu erschließen.
Die Individualisierte Medizin wird voraussichtlich ermöglichen, kardiovaskuläre Erkrankungen nicht mehr
symptom- oder populationsbasiert zu therapieren, sondern den einzelnen Patienten und den bei ihm zugrunde
liegenden Krankheitsmechanismus individuell zu behandeln. Neue Arzneimittelentwicklungen therapieren
nicht mehr Labor- oder Normwerte, sondern die für den
individuellen Patienten relevanten Pathomechanismen.
Dies ist in der Tumormedizin teilweise heute schon
Praxis. Daher streift diese Übersicht auch das Thema
der Individualisierten Medizin.
Die Autoren haben eine selektive Literaturrecherche in Medline zu den Suchbegriffen „vascular oxidative stress“, „vascular NADPH oxidases“, „soluble
Guanylate Cyclase activator/stimulator“, „antioxidants“, „diet and nitric oxide“ und „personalized medicine“ durchgeführt. Die Ergebnisse wurden durch
Sichtung der Literaturangaben in den identifizierten
Arbeiten, basierend auf eigener Erfahrung ergänzt
und nach Relevanz für die vorliegende Arbeit selektiert.
F
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GRAFIK 1
Reaktive Sauerstoffspezies (ROS). Sauerstoff kann in mehreren Reduktionsschritten zum Superoxid-Radikal (O -) beziehungsweise
2
Wasserstoffperoxid (H O ) aktiviert werden. Der zweite Schritt kann
2 2
spontan oder katalysiert durch Superoxid-Dismutase (SOD) ablaufen. Wasserstoffperoxid wird durch Katalase (Cat) zu Sauerstoff und
Wasser entgiftet. Aus Superoxid und Wasserstoffperoxid kann durch
Interaktion mit Stickstoffmonoxid (NO) oder Nitrit (NO2 ) Peroxynitrit
(ONOO ) entstehen. Peroxynitrit kann verschiedene Zellkomponenten
oxidieren und Proteine nitrieren. Nitrierte Proteine sind Biomarker für
oxidativen Stress. Rot zeigt krankheitsfördernde Proteine oder Verbindungen an; grün, schützende Faktoren; Pfeile, Reaktionen oder
Umwandlungen; ein Kasten zeigt ein Protein an, zum Beispiel ein
Enzym oder einen Rezeptor. Die innerhalb der grauen Fläche befindlichen Prozesse sind körpereigen. Sauerstoff muss über die Atmung
exogen zugeführt werden.
Was sind Radikale?
Radikale sind Verbindungen mit einem ungepaarten und
dadurch sehr reaktiven Elektron. Diese können zum Beispiel in Lipiden, Aminosäuren, Nukleotiden und Sauerstoffverbindungen vorkommen. Sauerstoffradikale sind
von besonderer Bedeutung, da sie für die Entstehung aller anderen Radikale ursächlich sein können. Auch andere sauerstoffhaltige Verbindungen, die chemisch keine
Radikale darstellen, weisen eine hohe Reaktivität mit
biologischen Substanzen auf. Gemeinsam werden diese
Substanzen als reaktive Sauerstoffspezies (ROS; „reactive oxygen species“) zusammengefasst (Grafik 1).
Neben ROS existieren auch Radikale, die zusätzlich ein Stickstoffatom enthalten, beispielsweise
Stickstoffmonoxid (NO). NO kann enzymatisch
durch sogenannte NO-Synthasen (NOS) oder nicht
enzymatisch aus Nitrit (NO -) entstehen. NO erfüllt
2
wichtige Signal- und Schutzfunktionen, für deren
Entdeckung 1998 ein Nobelpreis vergeben wurde.
NO/Nitrit und ROS können wiederum miteinander
reagieren. Dabei entsteht Peroxynitrit (ONOO-), die
wohl reaktivste Verbindung unter den ROS, welches
Proteine, Lipide und Nukleinsäuren oxidieren und nitrieren kann (1)
678
Wie wirken Radikale?
Radikale sind wie ein zweischneidiges Schwert. Zum
einen haben sie wichtige physiologische Funktionen.
Neben NO, das ein wichtiger Schutzfaktor in Blutgefäßen und Neurotransmitter im Nervensystem (2) ist,
sind Sauerstoffradikale beispielsweise essenziell für
die Immunabwehr sowie Regulation des Zellwachstums und der Genexpression (3). Doch zu viel des Guten kann schaden, denn Radikale sind auch potenziell
gefährliche Abfallprodukte des Zellstoffwechsels.
Zu den unerwünschten Wirkungen gehören unter
anderem die Inaktivierung von NO durch direkte chemische Reaktion mit ROS und die oxidative Schädigung von Zellbestandteilen wie DNA und Proteinen
(3). Diese Wirkungen sind möglicherweise an der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Neurodegeneration und Krebs beteiligt (Grafik 2).
Die Entwicklung und Prognose von Herz-KreislaufErkrankungen wird oft mit einer endothelialen Dysfunktion assoziiert. Darunter versteht man eine Funktionsstörung des Gefäßendothels, die durch eine Störung des protektiven NO-Signalwegs verursacht ist
(4). Verschiedene Faktoren können endotheliale Dysfunktionen verursachen, die erhöhte Produktion von
ROS ist vermutlich daran beteiligt. Dabei konnte man
drei Interaktionsmechanismen zwischen ROS und dem
NO-Signalweg nachweisen (Grafik 2):
● ROS inaktivieren NO in einer direkten Reaktion
● ROS schädigen das NO-bildende Enzym NOS
in Endothelzellen
● ROS schädigen den NO-Rezeptor.
Zur NO-Produktion oxidieren NO-Synthasen ein
Stickstoffatom der Aminosäure L-Arginin, wozu sie
unter anderem den empfindlichen Kofaktor Tetrahydrobiopterin (BH ) benötigen. Es existieren drei
4
NOS-Isoformen:
● neuronale (nNOS)
● immunologisch induzierbare (iNOS)
● und endotheliale (eNOS).
Aufgrund ihrer hohen Expression in inflammatorischem Gewebe produziert iNOS NO in Mengen, die toxisch wirken und im sauren Milieu in Nitritperoxide
umgewandelt werden. Eine Inhibition der iNOS kann
dann möglicherweise sinnvoll sein, wenn auch klinische Studien hierzu negativ verlaufen sind (5, e1, e2).
Durch eNOS freigesetztes NO vermittelt gefäßschützende Effekte. So relaxiert es zum Beispiel
Blutgefäße und senkt so den Blutdruck, hemmt die
Thrombozytenaggregation sowie das Wachstum glatter Muskelzellen (2). ROS können den Kofaktor BH
4
oxidieren und so NOS „entkoppeln“ (6), die dann
selbst Sauerstoffradikale bilden (4). Zudem tritt unter oxidativem Stress vermehrt ein methylierter
L-Arginin-Metabolit (asymmetrisches DimethylL-Arginin; ADMA) im Plasma und in den Zellen auf.
ADMA hemmt eNOS, indem es anstelle von L-Arginin an NOS bindet (7). Da ADMA bei Patienten mit
endothelialer Dysfunktion erhöht ist, wird es als neuartiger Biomarker für kardiovaskuläre Erkrankungen
diskutiert (7).
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GRAFIK 2
Enzymatische Quellen von ROS, deren Wirkungen und pharmakologische Modulation. NO-Synthasen (NOS) bilden aus der Aminosäure Arginin
das Stickstoffmonoxid (NO). NO aktiviert die lösliche Guanylat-Zyklase („soluble guanylate cyclase“; sGC) und wirkt so protektiv. sGC bildet
den zweiten Messenger zyklisches GMP (cGMP). Die Phosphorylierung des cGMP-abhängigen Proteinkinase-Substrats Vasodilatator-stimuliertes Phosphoprotein (VASP) ist ein Biomarker für diesen Signalweg. Angiotensin II (Ang II) induziert oxidativen Stress, indem es NADPH-Oxidasen (NOX) aktiviert. Von NOX gebildete ROS resultieren unter anderem in der Akkumulation von dem Arginin-Derivat asymmetrisches Dimethly-Arginin (ADMA), einem endogenen Hemmstoff der NOS. Weiterhin wird NOS durch ROS oxidiert und „entkoppelt“. Entkoppelte NOS
bildet ROS anstelle von NOX-sGC. Zusätzlich oxidieren ROS den NO-Rezeptor sGC. Zunächst wird dabei die Häm-Gruppe der sGC oxidiert, in
einem weiteren Schritt wird diese Gruppe dann von der sGC abgelöst, sodass Häm-freie (apo-)sGC entsteht. Diese kann nicht mehr durch NO
aktiviert werden. Apo-sGC kann durch sGC-Aktivatoren reaktiviert werden. sGC-Stimulatoren wirken auf nicht oxidierte sGC. Sie ermöglichen
eine maximale sGC-Aktivität auch in Gegenwart verminderter NO-Konzentrationen. Rot zeigt krankheitsfördernde Proteine oder Verbindungen
an; grün, schützende Faktoren; Pfeile, Reaktionen oder Umwandlungen; Pfeile mit +, Stimulation oder Aktivierung; Strich mit Block, Hemmung; ein Kasten zeigt ein Protein an, zum Beispiel ein Enzym oder einen Rezeptor. Die innerhalb der grauen Fläche befindlichen Prozesse
sind körpereigen; die außerhalb befindlichen zeigen exogene Faktoren oder Pharmakotherapeutika an.
Warum wirken Antioxidanzien nicht?
Spezialisierte antioxidative Enzyme (SuperoxidDismutase, Katalase und Peroxidasen) stellen physiologisch ein optimales Gleichgewicht zwischen
ROS-Bildung und -Abbau ein (Grafik 1). Ein Ungleichgewicht kann zu oxidativem Stress führen.
Trotz der Plausibilität der Hypothese, dass oxidativer Stress an der Entstehung und Entwicklung vieler Erkrankungen beteiligt ist, verlief die überwiegende Zahl klinischer Studien zu antioxidativen Therapien negativ (8) (Tabelle). Die Gabe von Vitamin E
oder Betakarotin kann sogar schädlich sein und die
Gesamtmortalität erhöhen (8, 9). Die gesundheitsfördernde Wirkung von Sport kann durch Vitamin C
teilweise aufgehoben werden (10). Bei Sport gebildete Radikale wirken wahrscheinlich langfristig wie
ein Impfstoff gegen oxidativen Stress. Antioxidanzien können diesen Impfeffekt unterdrücken (10).
Eine hoch dosierte prophylaktische Gabe von Vitamin E an Gesunde oder eine therapeutische Gabe für
Patienten mir kardiovaskulären Erkrankungen ist daDeutsches Ärzteblatt | Jg. 106 | Heft 42 | 16. Oktober 2009
her nicht länger zu rechtfertigen (8). Ob eine selektive Supplementierung von Individuen mit nachgewiesenem Vitamin-E-Mangel oder oxidativem Stress
wirksam ist, ist nicht bekannt. Allerdings existiert
kein valider Marker für lokalen oder systemischen
oxidativen Stress (8). Dieses untermauert die Bedeutung der Entwicklung neuer Diagnostika auf dem
Weg zu einer Individualisierten Medizin.
Als Ursache für die fehlende Wirkung von Antioxidanzien wird diskutiert, dass deren Bioverfügbarkeit genau dort, wo ROS-Konzentrationen erhöht
sind, zu gering ist. Auch ist oxidativer Stress meist
kein systemisches Phänomen, sondern auf einzelne
Organe, Gewebe und Zellen oder sogar subzelluläre
Kompartimente beschränkt. Supplementierte Antioxidanzien hingegen wirken eher systemisch. Ist es
überhaupt möglich, dass nach oraler Applikation jede Zelle des Körpers die optimale Konzentration des
Antioxidanz zur richtigen Zeit enthält, um jedes pathologische Radikal abzufangen, dabei aber die physiologisch notwendigen zu belassen? Fraglich ist es
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TABELLE
Ausgewählte Übersichtsartikel und Metaanalysen über die Effekte von Antioxidanzien-Supplementen
Publikation
Studientyp
Untersuchte Antioxidanzien
Ziele und Endpunkte
Schlussfolgerung
Vivekananthan, et al. 2003
(e15)
Metaanalyse
β-Karotin und Vitamin E
Effekte von Vitamin E und BK
auf HKE-assoziierte und GesamtMortalität und -Morbidität
keine Evidenz für Effekte von Vitamin E auf Morbidität oder Mortalität, BK wahrscheinlich schädlich
Bjelakovic, et al. 2004
(e16)
Metaanalyse
β-Karotin, Vitamine A, C, E,
Selen
Effekte einer AO-Supplementierung auf Kolonkrebs-Inzidenz und
-Mortalität
Selen eventuell vorteilhaft zur
Krebsprävention; hohe VitaminE-Dosen erhöhen wahrscheinlich
Mortalität; andere AO weder
schädlich noch vorteilhaft
Kris-Etherton, et al. 2004
(e17)
Übersichtsartikel
Vitamin E, β-Karotin und
AO-Cocktail
Zusammenfassung der Effekte
von AO auf primäre und sekundäre Prävention von HKE
Daten rechtfertigen keine Supplementierung von AO in höherer Dosierung als empfohlene Nährstoffzufuhr
Miller, et al. 2005 (e18)
Metaanalyse
Vitamin E allein und in
Kombination
Evaluierung der Dosis-WirkungsSupplementierung von hoch doEffekte von Vitamin-E-Supplemen- siertem Vitamin E erhöht wahrten auf Mortalität
scheinlich die Mortalität und sollte
daher vermieden werden
Shekelle, et al. 2004
(e19)
Metaanalyse
Vitamin E
Evaluierung der KHK-assoziierten
Endpunkte und Lipidspiegel
Vitamin-E-Supplementierung hat
keinen Einfluss auf KHK-assoziierte Endpunkte
Eidelman, et al. 2004
(e20)
Metaanalyse
Vitamin E allein und in
Kombination
Evaluierung der Odds Ratio KHKassoziierter Endpunkte
Vitamin-E-Supplementierung
weder vorteilhaft noch schädlich
Bjelakovic, et al. 2007
(e21)
Metaanalyse
β-Karotin, Vitamine A, C, E
und Selen
Evaluierung der Gesamt-Mortalität
und Lebensqualität
Supplementierung von BK, Vitamin A und Vitamin E erhöht wahrscheinlich Mortalität
Dotan, et al. 2007 (8)
Markov-Modell
Vitamin E allein und in
Kombination
Evaluierung der Effekte einer Vitamin-E-Supplementierung auf
Morbidität und Lebensqualität
nicht selektive Gabe von hoch
dosiertem Vitamin E ist nicht vorteilhaft
Gallicchio, et al. 2008 (9)
Übersichtsartikel
Karotinoide
Evaluierung der Assoziation
zwischen Karotinoiden und
Lungenkrebs
BK-Supplementierung resultiert
nicht in reduziertem Risiko für
Lungenkrebs und erhöht das
Risiko für Raucher
AO, Antioxidanz; V, Vitamin; BK, β-Karotin; HKE, Herz-Kreislauf-Erkrankungen; KHK, koronare Herzkrankheit
zudem, ob einmal gebildete ROS durch chemische
Reaktionen entfernt werden können, bevor schädliche Wirkungen eintreten. Und was würde nach solch
einer Reaktion passieren? Antioxidanzien können
selbst zu Radikalen werden, die neue Radikalkettenreaktionen initiieren (11).
Diese Überlegungen und die negativen klinischen
Daten lassen zunächst vermuten, dass die „Oxidativer-Stress-Hypothese“ nicht zutrifft. Möglicherweise sind aber auch ganz andere Ansätze zur Behandlung von oxidativem Stress notwendig.
Alternative Ansätze
Die Quellen der Radikale hemmen
Oxidativer Stress wird meist durch eine erhöhte Produktion von ROS verursacht, seltener durch deren
verminderten Abbau (3). Daher wird der Hemmung
von ROS-Quellen mit dem Ziel, oxidativen Stress erst
gar nicht entstehen zu lassen oder rückgängig zu machen, ein großes Potenzial für die zukünftige Therapie
von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zugeschrieben.
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Bisher ist nur eine Enzymfamilie bekannt, deren
einzige Funktion es ist, ROS zu bilden: NADPHOxidasen (Grafik 2) (3). Andere Enzyme, die ROS
generieren (Xanthinoxidase, Cyclooxygenasen, Lipoxygenasen, entkoppelte NO-Synthase, CytochromP450-Enzyme und Enzyme der mitochondrialen Atmungskette), haben primär andere biochemische
Funktionen und bilden ROS nur als Nebenprodukt
oder in einem dysfunktionellen Zustand. Interessanterweise produzieren NADPH-Oxidasen „zündende“
Radikale, welche eNOS entkoppeln und Xanthinoxidasen hoch regulieren (e3). Die Cytochrom-Isoform
CYP 2C9 generiert vasodilatatorisch wirkende Eicosanoide in gesunden Gefäßen und verwandelt sich
anscheinend in eine ROS-Quelle in Gefäßen von Patienten mit koronarer Herzerkrankung (12).
NADPH-Oxidasen wurden in phagozytierenden
Zellen entdeckt, wo sie den sogenannten „respiratory
burst“ verursachen, die Freisetzung großer ROSMengen durch Immunzellen während der Immunantwort (3, 13). Später hat man nicht phagozytäre
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NADPH-Oxidasen in fast allen Organen identifiziert, darunter Blutgefäße. Dort sind sie an einer
Vielzahl physiologischer Prozesse beteiligt, zum
Beispiel der Signalübertragung, der Regulation der
Genexpression und der Zelldifferenzierung (3).
NADPH-Oxidasen bestehen aus mehreren Untereinheiten. Die katalytischen Untereinheiten (NOX) sind
Membranproteine, die Elektronen von NADPH auf
Sauerstoff übertragen und so ROS freisetzen. Es
existieren fünf NOX-Isoformen (NOX1–5) (13). Von
besonderem Interesse ist NOX5, die einzige Isoform,
deren Aktivität direkt durch Calcium reguliert wird
(3). Durch sie könnte eine Calcium-Überladung von
Blutgefäßzellen direkt mit oxidativem Stress gekoppelt sein. Die Menge an NOX5-Protein ist beispielsweise in Koronararterien von Patienten mit koronarer Herzerkrankung erhöht (14).
Eine im Vergleich zur Gabe von Antioxidanzien
möglicherweise erfolgreichere Strategie besteht darin, definierte ROS-Quellen wie NADPH-Oxidasen
zu hemmen. Spezifische pharmakologische Inhibitoren für NADPH-Oxidasen sind derzeit in sehr frühen
Entwicklungsstadien, dies ist also noch Zukunft. Gegenwärtig ist es eine ärztliche Herausforderung, die
Folgen von jahrelangem oxidativem Stress bei HerzKreislauf-Patienten zu therapieren. Diese Therapien
sollten idealerweise individuell und je nach Erkrankungsphase unterschiedlich sein.
Schützendes NO erhöhen
Eine Strategie zur Korrektur verminderter NO-Synthese ist die Supplementierung des NOS-Substrats
L-Arginin. Eine kurzfristige Supplementierung von
L-Arginin (mindestens 3 g pro Tag) verbesserte die
Endothelfunktion (gemessen als flussvermittelte Gefäßerweiterung der Arteria brachialis; FMD) der Patienten, bei denen eine Endotheldysfunktion vor
Therapiebeginn messbar war (15). Dies resultierte
zum Beispiel bei Patienten mit peripherer Verschlusserkrankung in verbesserter Belastungskapazität (e4). Dieser Befund passt in das Konzept der Individualisierten Medizin, bei der zunächst das Vorhandensein eines relevanten Pathomechanismus
(hier Endotheldysfunktion) bei jedem Patienten gemessen werden sollte, bevor eine hierauf abgezielte
Therapie beginnt. Derzeit fehlen jedoch akkurate Bestimmungsmethoden der Endothelfunktion, die relevante biochemische Marker im Blut quantifizieren.
Die einzige Studie zu den Langzeiteffekten einer
L-Arginin-Gabe war allerdings negativ (16), was auf
die Entwicklung einer „Arginin-Resistenz“ hindeutet. Möglicherweise lässt sich die NO-Synthese auch
durch Gabe des Kofaktors BH weiter verbessern
4
(17).
Ein alternativer Ansatz zur Erhöhung der NOSynthese sind NOS-Enhancer, welche die eNOS-Expression verstärken. Ein solches Molekül, AVE
9488, schützt gegen Ischämie-Reperfusions-Schäden
im Mausmodell (18), ist aber noch nicht klinisch erprobt.
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Es geht auch mit wenig NO
Viele physiologische Funktionen von NO werden
durch den NO-Rezeptor „lösliche Guanylat-Zyklase“
(„soluble guanylate cyclase“; sGC) vermittelt.
sGC ist ein Häm-haltiges Enzym, welches den intrazellulären Botenstoff zyklisches Guanosin-Monophosphat (cGMP) aus GTP bildet, wenn NO an sGC
bindet (19).
Die pharmakologische Aktivierung von sGC
durch organische Nitrate, welche NO freisetzen, ist
ein über 100 Jahre altes Therapiekonzept für die
Akuttherapie von Angina pectoris und Herzinsuffizienz. Der chronische Einsatz von Nitraten wird allerdings durch die Entwicklung von Nitrattoleranzen
limitiert. Nitrate induzieren die ROS-Produktion,
möglicherweise durch NADPH-Oxidasen, resultierend in einer eNOS Entkopplung (20).
Eine neue, in klinischer Entwicklung befindliche
Strategie zur Erhöhung von cGMP sind sGC-Stimulatoren.
Diese neuartige Substanzklasse bindet an sGC und
potenziert die Aktivierung Häm-haltiger sGC durch
NO (19). So wird sGC auch bei verminderten NOKonzentrationen maximal stimuliert. Der sGC-Stimulator Riociguat (BAY 63-2521) befindet sich in
Phase III der klinischen Entwicklung für die orale
Therapie der pulmonalen Hypertonie. In einer vorausgegangen Phase II Studie verbesserte Riociguat
beispielsweise die Belastungskapazität, das Schlagvolumen des Herzens und den Widerstand der Lungengefäße (21).
ROS können auch sGC schädigen, indem sie die
sGC-Hämgruppe oxidieren (ox-sGC). Daraus resultiert eine Abspaltung des Häms. Sowohl ox-sGC als
auch Häm-freie sGC (apo-sGC) sind bei kardiovaskulären Erkrankungen, die mit oxidativem Stress
einhergehen, erhöht (19). Apo-sGC ist nicht durch
NO aktivierbar und somit für die physiologische
NO-Signalübertragung verloren.
Diese Entdeckung führte zur Entwicklung sogenannter sGC-Aktivatoren. Im Gegensatz zu sGCStimulatoren, welche mit NO synergieren, aktivieren sGC-Aktivatoren sGC unabhängig von NO und
zwar ausschließlich die NO-insensitive apo-sGC
Form. Gemeinsam mit NO-Donoren gegeben wirken sie additiv (19). Die sGC-Aktivatoren wirken
also nur, wenn sGC oxidativ geschädigt ist. Die Entwicklung einer Messmethode für apo-sGC sollte es
also ermöglichen, gezielt die Patienten zu selektieren, bei denen eine Therapie mit sGC-Aktivatoren
wirkt.
Mit einer anderen, membrangebundenen Guanylat-Zyklase ist ein bereits etablierter Biomarker
(BNP; B-Typ natriuretisches Peptid) funktionell verknüpft. BNP misst den Schweregrad der Herzinsuffizienz. Zum therapiebegleitenden Monitoring ist BNP
aber wahrscheinlich nicht einsetzbar (e5, e6).
Tatsächlich ist die durch einen sGC-Aktivator vermittelte Relaxation isolierter Gefäße von Diabetikern stärker als die der Gefäße gesunder Probanden
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KASTEN
Individualisierte Medizin
Ein individualisierter Ansatz in der Medizin ermöglicht es, bei jedem Patienten den individuell relevanten Krankheitsmechanismus zu behandeln. Beispielsweise ist eine Gabe von L-Arginin wahrscheinlich nicht für jeden Patienten mit KHK oder PAVK sinnvoll, sondern nur für solche mit erhöhten
ADMA-Werten; die Gabe von sGC-Aktivatoren nur dann indiziert, wenn sGC oxidativ geschädigt ist; und schließlich NADPH-Oxidase-Hemmer nur
dann, wenn tatsächlich oxidativer Stress in der Gefäßwand vorliegt und NADPH-Oxidasen die relevante Quelle sind. Plasma-Nitrotyrosin und andere
Biomarker könnten für diese Diagnose wichtig werden.
Und was unterscheidet die pharmakologische Aktivierung der sGC beispielsweise von einer pharmakologischen Blockade des Beta-Adrenorezeptors? Von beiden Arzneistoffklassen kennt man einen definierten pharmakologischen Mechanismus, aber nur sGC-Aktivatoren behandeln einen klar
definierten Krankheitsmechanismus. Die Aktivierung von sGC funktioniert nur dann, wenn sGC oxidativ geschädigt ist. Dies kommt zwar auch in einem gewissen Umfang physiologisch vor, ist aber unter Krankheitsbedingungen vermehrt der Fall. Dadurch entsteht eine Krankheits-Spezifität, und
der Pathomechanismus (Oxidation, Hämverlust, Verlust der NO-Sensitivität, verminderte cGMP-Spiegel) wird durchbrochen: sGC-Aktivatoren erhöhen cGMP-Spiegel unter Bedingungen, bei denen NO wirkungslos ist. Demgegenüber weiß man zwar, dass Beta-Adrenorezeptor-Blocker spezifisch
blockieren, über welchen Mechanismus sie wirken, ist unklar. Ebenso ist nicht bekannt, ob Beta-Adrenorezeptoren unter Krankheitsbedingungen
überhaupt überstimuliert werden. Nur dann würden Beta-Adrenorezeptor-Blocker jedoch direkt mit einem Krankheitsmechanismus interferieren.
Lediglich solche Arzneimittel, die über einen klar definierten Krankheitsmechanismus wirken, ermöglichen es – in Kombination mit passenden Diagnostika – zu bestimmen, ob dieser Pathomechanismus im individuellen Fall relevant und das Medikament somit für diesen Patienten indiziert ist.
Ist der untersuchte Pathomechanismus nicht relevant, ist beispielsweise sGC nicht vermehrt oxidiert, weiß man im Voraus, dass ein sGC-Aktivator
wahrscheinlich nicht die optimale Therapie für den Patienten darstellt. Für Beta-Adrenorezeptor-Antagonisten existieren noch keine individuellen Einoder Ausschlusskriterien. Doch auch das könnte sich in Zukunft ändern. Kürzlich wurden aktivierende Antikörper des Beta-Adrenorezeptors im Blut
von Herz-Kreislauf-Patienten nachgewiesen (e22). Die Bestimmung dieser Antikörper könnte also in Zukunft die Wirkung von Beta-AdrenorezeptorBlockern individuell vorhersagen. Auch kann die Entdeckung dieser Autoimmunantikörper zur Entwicklung neuer mechanismusbasierter Therapiestrategien führen, nämlich der Neutralisierung dieser Antikörper.
(22). Demnach ist apo-sGC in pathologisch veränderten Gefäßen erhöht, wo sGC-Aktivatoren wahrscheinlich selektiv wirken. Die potenziell klinische
Effizienz des sGC-Aktivators Cinaciguat für die
Therapie einer Herzinsuffizienz wurde in einer nicht
Placebo-kontrollierten Phase-IIb-Studie untermauert.
Beispielsweise verbesserte sich das Herzzeitvolumen
(23). Der sGC-Aktivator Ataciguat (HMR1766) befindet sich in klinischer Entwicklung für die Therapie
neuropathischer Schmerzen.
Was ist heute machbar?
Statine und RAS-Hemmer
Interessant ist, dass eine Vielzahl bekannter pathologischer Stimuli, darunter Angiotensin II, Glucose und
oxidiertes LDL (3), NADPH-Oxidasen in Blutgefäßzellen aktivieren (Grafik 2). Möglicherweise beruht
ein Teil der klinischen Wirksamkeit von „angiotensin
converting enzyme“(ACE)-Inhibitoren und Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten auf der Hemmung
von NADPH-Oxidasen (3). Experimente zeigten,
dass eine Deletion des NOX1-Gens den AngiotensinII-induzierten Bluthochdruck in Mäusen vermindert
(3). Weiterhin könnten die pleiotropen, nicht über
Cholesterinsenkung erklärbaren Wirkungen von Statinen teilweise über eine NADPH-Oxidase-Hemmung vermittelt sein, denn Statine reduzieren die Isoprenylierung einer NADPH-Oxidase-Proteinuntereinheit (24).
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PDE-Hemmer
Eine weitere Therapieoption sind PDE5-Inhibitoren.
Diese verstärken NO-Effekte, indem sie den Abbau von
cGMP hemmen. Die Therapie mit dem PDE5-Hemmer
Sildenafil ist beispielsweise bei pulmonaler Hypertonie
klinisch erprobt. Allerdings ist Sildenafil nicht bei allen
Patienten wirksam. Eine mögliche Ursache sind so stark
verminderte NO-Spiegel, dass cGMP durch Sildenafil
nicht ausreichend erhöht werden kann (21).
Rote Beete, Rotwein und dunkle Schokolade
Einige Nahrungsmittel vermitteln möglicherweise einen zusätzlichen Schutz, der auf Interaktionen mit Radikalen basieren soll. Dazu gehört nitratreiches Gemüse. So senkt zum Beispiel Rote-Beete-Saft akut den
Blutdruck gesunder Probanden, verhindert eine durch
akute Ischämie des Unterarms induzierte Endotheldysfunktion und vermindert die Plättchenaggregation (e7).
Diese Wirkungen des Nitrats werden der Umwandlung
in Plasma-Nitrit und letztlich in NO zugeschrieben (e7,
e8). Möglicherweise ist dies vielleicht sogar ein Mechanismus, der kardioprotektive Effekte von Gemüse
vermittelt (e7, e9). Dies ist noch hypothetisch, und
Langzeitdaten liegen nicht vor. Ob eine chronisch hohe
Nitratzufuhr toxisch ist, wird kontrovers diskutiert.
Epidemiologische Studien haben allerdings keine Korrelation zwischen diätetischem Nitrat/Nitrit und Magenkrebs nachgewiesen (e9). Dunkle, flavonoidreiche
Schokolade hat ebenfalls eine blutdrucksenkende WirDeutsches Ärzteblatt | Jg. 106 | Heft 42 | 16. Oktober 2009
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kung, die (zumindest teilweise) NO-vermittelt ist (e10,
e11). Dafür reicht schon ein moderater Verzehr von
30 g dunkler Schokolade pro Tag (e10). Das Ausmaß
des blutdrucksenkenden Effekts von kakaohaltigen Lebensmitteln ist klinisch relevant, nämlich vergleichbar
mit der Monotherapie mit einem Betablocker oder Angiotensin-Konversionsenzym-Hemmer (e12).
Polyphenole in roten Trauben stimulieren ebenfalls
die NO-Produktion und hemmen NADPH-Oxidasen,
zumindest in Tier- und Zellmodellen. Diese Effekte
könnten die kardioprotektive Wirkung eines moderaten
Rotweinkonsums erklären (e11). Unwahrscheinlich ist,
dass alle diese Wirkungen durch antioxidative Effekte
der Lebensmittelinhaltsstoffe vermittelt werden, denn
die Gabe isolierter Antioxidanzien wirkt akut nicht
blutdrucksenkend. Weiterhin hat Tee wahrscheinlich
keine blutdrucksenkende Wirkung, obwohl dieses Getränk ebenso reich an antioxidativen Inhaltsstoffen ist
(e12). Vielmehr beeinflussen einige, aber eben nicht alle der als Antioxidanzien eingestuften Inhaltsstoffe die
Expression protektiver beziehungsweise schädigender
Gene (e11, e13). Auch lassen sich die Wirkungen und
komplexen Interaktionen verschiedener Lebensmittelinhaltsstoffe nicht in eine Tablette pressen.
Lifestyle
Zur Prophylaxe ist ein engagierter Arzt wichtig, der
den Patienten immer wieder davon überzeugt und dazu
ermuntert, sich ausgewogen zu ernähren, Sport zu treiben, das Gewicht im Zaum zu halten und nicht zu rauchen (e14). Die Hypothese der Autoren ist, dass kein
Arzneistoff den hiervon ausgehenden Schutz und Nutzen jemals wird übertreffen können.
Zusammenfassung
sGC-Stimulatoren und -Aktivatoren sind zukünftige
Ansätze zur Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nicht das Symptom sondern der krankheitsauslösende Mechanismus steht im Vordergrund. Im Gegensatz zu organischen Nitraten scheint mit diesen neuen
Substanzen eine chronische Therapie möglich. Darüber
hinaus ist die Hemmung von NADPH-Oxidasen eine
im Vergleich zu Antioxidanzien möglicherweise wirksamere Strategie zur Prophylaxe und Therapie von oxidativem Stress und daraus resultierenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der klinische Nachweis ist allerdings noch nicht erbracht. Pathomechanismen (hier
oxidativer Stress) für den einzelnen Patienten als relevant zu identifizieren und anschließend gezielt zu therapieren, ist ein Beispiel für zukünftige Anwendungsoptionen der Individualisierten Medizin: Neue Arzneimittel werden in Kombination mit neuartigen Diagnostika
die für den individuellen Patienten relevanten Pathomechanismen therapieren und so den therapeutischen Erfolg erhöhen (Kasten). Dieses Therapiekonzept steht im
Gegensatz zur gegenwärtigen „one drug fits all“-Therapie mit „blockbuster drugs“ und deren Limitierungen
und finanziellen Risiken (25).Unanhängig von diesen
zukünftigen Arzneimittelentwicklungen gilt jedoch
weiterhin: Vorbeugen ist besser als heilen.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 106 | Heft 42 | 16. Oktober 2009
KLINISCHE KERNAUSSAGEN
● Radikale und reaktive Sauerstoffspezies sind physiologisch und pathophysiologisch relevant. Dies könnte erklären, warum supplementierte Antioxidanzien, welche
Radikale unspezifisch abfangen, klinisch keinen Nutzen
bieten.
● Neue Konzepte sind erforderlich, um oxidativen Stress
zu behandeln. Hierzu gehören neuartige Arzneimittel,
die am Pathomechanismus ansetzen, anstatt lediglich
pathologische Symptome oder Laborparameter zu normalisieren.
● Beispiele einer zukünftigen Generation Mechanismusbasierter Arzneimittel sind neuartige Vasodilatatoren,
welche die durch oxidativen Stress beeinträchtigte
cGMP-Synthese stimulieren beziehungsweise aktivieren.
● Weitere Beispiele solcher Arzneimittel sind Hemmstoffe
Radikal-bildender Enzyme, welche die Entstehung
schädlicher Radikale verhindern, die jedoch noch nicht
klinisch erprobt sind.
● Besser als Arzneimittel zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf- und anderen chronischen Erkrankungen ist eine
gesunde Lebensweise. Dies umfasst eine ausgewogene Ernährung, ausreichende Bewegung sowie das Vermeiden von Übergewicht und Rauchen.
Interessenkonflikt
Dr. Wingler war Mitarbeiterin der Vasopharm GmbH. Prof. Schmidt war für die
Vasopharm GmbH und für BayerHealthcare beratend tätig und erhielt Forschungsmittel von BayerHealthcare und Servier.
Manuskriptdaten
eingereicht: 7. 9. 2009, revidierte Fassung angenommen: 22. 9. 2009
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Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Harald H. H. W. Schmidt
Monash University
Department of Pharmacology
Centre for Vascular Health
Melbourne (Clayton), VIC 3800
Australien
E-Mail: [email protected]
SUMMARY
Good Stress, Bad Stress—The Delicate Balance in the
Vasculature
Background: Radicals have important physiological functions, for example, in immune defense and vasoprotection. However, they are also potentially dangerous waste products of cellular metabolism and they can
contribute to the development of many different diseases.
Method: Selective literature review.
Results: The scientific understanding of radicals has not yet led to any
therapeutic application. For many years, scavenging already formed radicals with antioxidants was considered to be the most promising therapeutic approach, but clinical trials based on this principle have yielded
mostly negative results. Thus, entirely new approaches are needed. The
goal should be to prevent the formation of harmful radicals, or to treat
radical-related damage if it has already occurred. New diagnostic tools
have the potential to identify those patients that are most likely to benefit from this form of treatment, as well as to document its success.
Conclusions: A new generation of cardiovascular drugs is being developed for the prevention or the mechanism-based treatment of vascular
damage caused by oxidative stress. This new therapy should go hand in
hand with new diagnostics, in accordance with the principle of individualized medicine.
Key words: oxidative stress, antioxidants, nitric oxide,
vascular diagnostics, radicals
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Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2009; 106(42): 677–84
DOI: 10.3238/arztebl.2009.0677
@
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit4209
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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