J. F. Lazenby: The Peloponnesian War. A military study (= Warfare and History), London: Routledge 2003, XVII + 306 S., 14 maps, ISBN 0-415-32615-x, GBP 60,00 Rezensiert von: Karl-Wilhelm Welwei Fakultät für Geschichtswissenschaften, Ruhr-Universität Bochum J. F. Lazenby, Emeritus Professor of Ancient History at Newcastle University, beweist Mut, wenn er nach der monumentalen Darstellung des Peloponnesischen Krieges von Donald Kagan [1] eine neue Monografie über "die größte Erschütterung für die Hellenen und einen Teil der Barbaren" (Thukydides 1,1,2) vorlegt. Er war hierzu nicht zuletzt durch den Erfolg seiner früheren Bücher über bedeutende Epochen der antiken Militärgeschichte [2] motiviert und will vor allem neue Bewertungsmaßstäbe liefern. Bereits im Vorwort weist er darauf hin, dass nach seiner Auffassung die Spartaner in der modernen Historiografie allzu "hart" behandelt werden, weil viele Experten nicht akzeptieren können, dass Sparta im Peloponnesischen Krieg Athen besiegt hat. Lazenby beginnt mit Reflexionen über die militärischen Ressourcen der beiden hellenischen Großmächte (1-15). Er deutet hier schon eine wichtige These seines Buches an, indem er betont, dass die Kriegsgegner angesichts der Kräfteverhältnisse und der Potenziale beider Seiten eigentlich von vornherein bestrebt sein mussten, den Kontrahenten in dessen stärkster Waffengattung zu übertreffen (15). Die Hauptakteure in Athen und Sparta haben dies zu Beginn des Krieges indes offenbar anders gesehen, wie ihre Kriegspläne verdeutlichen. Die Athener suchten den Krieg bekanntlich durch ihre maritime Überlegenheit zu entscheiden, während die Spartaner durch Einfälle ihrer als unbesiegbar geltenden Armee nach Attika den Feind niederzwingen wollten. Im zweiten Kapitel (16-30) bietet Lazenby eine insgesamt abgewogene Erörterung der Kriegsschuldfrage. Nach seiner Überzeugung wäre es für jeden Spartaner unmöglich gewesen, der These des Thukydides (1,23,6) zuzustimmen, dass die Furcht der Lakedaimonioi vor der wachsenden Macht Athens die wahre Kriegsursache gewesen sei (17). Lazenby schließt aber keineswegs aus, dass die Spartaner eben doch die Machtentfaltung Athens mit größter Sorge beobachteten und das Bündnis zwischen Athen und Kerkyra 433 vor Christus als Schwächung ihrer eigenen Position bewerteten (22). Insofern argumentiert Lazenby in seiner Interpretation der Ausführungen des Thukydides zur Kriegsschuldfrage durchaus schlüssig. Allerdings misst er der These des Perikles von der Zwangsläufigkeit eines Konflikts großer Mächte offenbar zu geringe Bedeutung bei, wenn er zur Frage der Entstehung des Krieges abschließend bemerkt (30), dass man nach zweieinhalb Jahrtausenden zwar den Eindruck gewinnen kann, der Krieg sei vermeidbar gewesen, die damaligen Zeitgenossen aber den Vorteil, ex eventu zu urteilen, noch nicht besaßen. Den Archidamischen Krieg behandelt Lazenby in mehreren Kapiteln (31105). Er schildert im ersten Teil das Geschehen bis zum Ende des dritten Kriegsjahres (Sommer 428 vor Christus). Der Einschnitt ist insofern verständlich, als in den ersten Jahren des Kampfes die athenische Kriegführung noch im Zeichen der Planung des Perikles stand, in der Folgezeit aber offenbar in Athen eine neue Strategie konzipiert wurde. Der Wandel wird von Lazenby vor allem durch die Darstellung der militärischen Aktionen der Athener zum Ausdruck gebracht. Hier wären zusätzliche Reflexionen über neue strategische Ziele der Athener wünschenswert gewesen, deren Herrschaft in der Ägäis 428 vor Christus nach dem Abfall von Mytilene nicht mehr unverwundbar zu sein schien. Offenbar intendierte man in Athen eine Ausweitung der Kriegsschauplätze, um hierdurch eine Entscheidung herbeizuführen. Ein bedeutender Initiator neuer Pläne war Demosthenes, der 426 nach Aitolien vorstieß und 425 einen großen Erfolg in Pylos (Koryphasion) verzeichnen konnte. Verlauf und Folgen der Kämpfe um den neuen athenischen Stützpunkt an der messenischen Westküste skizziert Lazenby im 5. Kapitel (67-82). Er zeigt, dass die Küstengebiete dort eine Gefahrenzone für Sparta blieben, das spartanische Kernland aber durch feindliche Raids von den Küsten aus nicht bedroht werden konnte. Eine Bestätigung hierfür sieht er in der letzten Phase des Archidamischen Krieges (83-105). Den Nikiasfrieden 421 vor Christus wertet Lazenby in Kapitel 7 (106-130) als unbefriedigend. Zweifellos war die Situation damals weiterhin instabil, zumal vor allem die Korinther als wichtigste Symmachoi der Spartaner die Ergebnisse der Friedensverhandlungen nicht akzeptierten. Die neue Situation bot aber auch die Chance einer langfristigen Kooperation der Spartaner und Athener. Dies wurde nicht zuletzt durch Intrigen des Alkibiades vereitelt, der schließlich auch die treibende Kraft war, als die Athener sich in das Abenteuer der Sizilischen Expedition stürzten. Lazenby behandelt die Ereignisse in Sizilien 415-412 vor Christus in zwei kleineren Kapiteln recht skizzenhaft (131-148; 149-169). Er bezweifelt die Angaben des Thukydides (6,1,1; 6,8,4; 6,15,2), dass die Athener das Ziel verfolgten, Sizilien zu erobern (133). Der eigentliche Auftrag der athenischen Volksversammlung an die mit der Durchführung des Unternehmens beauftragten bevollmächtigten Strategen Alkibiades, Nikias und Lamachos lautete in der Tat primär, dass sie mit ihrer Streitmacht Segesta gegen Leontinoi unterstützen sollten (Thukydides 6,8,2). Gleichzeitig erhielten die Befehlshaber aber auch die Erlaubnis, gegebenenfalls weitere Operationen einzuleiten. Im Hinblick auf diesen Ermessensspielraum vermutet Lazenby, dass die Warnungen des Alkibiades vor einem gegen Athen gerichteten Bündnis zwischen Syrakus und Sparta bei zahlreichen Athenern Glauben fanden. Im Prinzip gab die athenische Ekklesia einem von Alkibiades geforderten Präventivschlag gegen Syrakus ihre Zustimmung, als sie die Expedition beschloss. Eine Realisierung dieses Konzepts überstieg freilich die Kräfte Athens. Zur Erklärung des Scheiterns der Expedition führt Lazenby unter anderem an, dass die Athener es versäumten, Nikias rechtzeitig abzuberufen (168). Ob durch eine entsprechende Maßnahme die Vernichtung der Expeditionsstreitmacht verhindert worden wäre, bleibt indes dahingestellt. Die Reaktion der Athener auf das Desaster in Sizilien, die Gründe für den Wiedereintritt Spartas in den Krieg und die folgende Destabilisierung des Attischen Seebundes durch Erhebungen athenischer Bundesgenossen und durch den oligarchischen Putsch in Athen 411 vor Christus werden von Lazenby gut dargestellt. Es gelingt ihm, die Ziele der Krieg führenden Gemeinwesen und einiger bislang noch neutraler Poleis sowie die Politik des persischen Königshofes zu verdeutlichen und zu zeigen, dass der Krieg für Athen nach den schweren Verlusten in Sizilien noch nicht verloren war (170-216). Die entscheidende Wende wurde erst mit der Ernennung des jungen persischen Prinzen Kyros zum 'Karanos' (Oberbefehlshaber) der Truppen des Großkönigs im westlichen Kleinasien eingeleitet. Lazenby betont zutreffend (219), dass Alkibiades als neuer 'Strategos autokrator' der Athener nunmehr seine Entscheidungen unter Zeitdruck treffen musste und einen fatalen Fehler beging, als er seinem 'Steuermann' und Stellvertreter Antiochos vorübergehend das Kommando über die athenische Flotte in Notion übertrug. Der Absetzung des Alkibiades nach der Niederlage des Antiochos vor Notion misst Lazenby aber zu große Bedeutung bei. Er vermutet, dass Alkibiades als Meister der Intrigen wohl im Stande gewesen wäre, einen Keil zwischen Perser und Spartaner zu treiben (224). Dies bleibt indes bloße Spekulation. In der Schlussbetrachtung wiederholt Lazenby seine bereits in der Einleitung skizzierte These, dass die Spartaner aufgrund ihrer zielgerichteten und energischen Kriegführung und durch den Aufbau einer eigenen, effektiv eingesetzten Flotte den Sieg militärisch gesehen verdient haben. Die Athener hätten die Chancen, die sich ihnen boten, nicht oder zumindest nicht immer zur rechten Zeit genutzt. Ob sie im Stande gewesen wären, mit der Strategie des Perikles Sparta entscheidend zu schlagen, vermag indes im Nachhinein niemand zu sagen. Perikles' Kriegführung war aber keineswegs auf eine reine Defensive zu Lande beschränkt, und nach seinem Tod haben die Athener ausgreifende Operationen auf dem griechischen Festland eingeleitet. Es ist zudem fraglich, ob Perikles überhaupt intendierte, Sparta als Großmacht auszuschalten. Der Nikiasfrieden wiederum bot durchaus die Perspektive einer Koexistenz und effektiven Kooperation der beiden griechischen Großpoleis. Diese Chance wurde nicht zuletzt infolge der Desavouierung einer spartanischen Gesandtschaft in Athen durch einen perfiden Trick des Alkibiades vertan. Eine langfristige Folge seines weiteren Intrigenspiels war die Niederlage einer beachtlich starken antispartanischen Koalition bei Mantineia 418 vor Christus. Lazenby nimmt freilich an, dass die Athener nur damals aufgrund ihrer Koalition mit den Argivern einem Sieg über Sparta nahe gewesen sind. Es ist aber auch in diesem Fall nicht möglich, eventuelle Auswirkungen einer militärischen Schlappe Spartas abzuschätzen. Spartas Armee war 418 schlagkräftiger als 371 bei Leuktra und zudem bei Mantineia natürlich noch nicht mit der Taktik eines Epameinondas konfrontiert. Im Übrigen blieben auch nach dem Scheitern der Sizilischen Expedition die athenischen Flottengeschwader den peloponnesischen Einheiten an Kampfkraft überlegen. Selbst ein Lysander wagte vor Aigospotamoi keine offene Seeschlacht gegen die athenische Flotte. Lazenby kommt zwar zu dem Schluss, es sei keineswegs sicher, dass Sparta nur dank der persischen Subsidien den Sieg errang. Demgegenüber wäre aber eher zu konstatieren, dass es durchaus nicht sicher ist, ob die Spartaner ohne den Leichtsinn der athenischen Strategen bei Aigospotamoi gesiegt hätten. Die später verbreitete Behauptung, dass dort auf athenischer Seite Verrat im Spiel war, geht wohl auf eine Art Dolchstoßlegende zurück (vergleiche Xenophon, Hellenika 2,1,32; Lysias 14,38; Demosthenes 19,191; Plutarch, Alkibiades 37,1). Im letzten Satz seines Buches bezweifelt Lazenby, ob ein Sieg der Athener für die griechische Welt besser gewesen wäre. Auch diese Frage muss natürlich offen bleiben. Nicht zu bezweifeln ist aber das historische Faktum, dass Sparta nach dem Ende des Krieges nicht in der Lage war, das durch die athenische Niederlage entstandene Machtvakuum in der Ägäis dauerhaft auszufüllen. Lazenbys unkonventionelle Interpretationen und Thesen lassen das Buch zu einer spannenden Lektüre werden. Der Verfasser hat es verstanden, für weitere Diskussionen über sein Thema eine Fülle von Anregungen zu geben. Anmerkungen: [1] Donald Kagan: The Outbreak of the Peloponnesian War, 3. Aufl., Ithaca / London 1994; ders.: The Archidamian War, 3. Aufl., Ithaca / London 1996; ders.: The Peace of Nicias and the Sicilian Expedition, 3. Aufl., Ithaca / London 1996; ders.: The Fall of the Athenian Empire, 3. Aufl., Ithaca / London 1992; ders.: The Peloponnesian War, New York 2003. [2] J. F. Lazenby: Hannibal's War, Warminster 1978; ders.: The Spartan Army, Warminster 1985; ders.: The Defence of Greece, 490-479 BC, Warminster 1993; ders.:, The First Punic War, London 1996. Redaktionelle Betreuung: Mischa Meier Empfohlene Zitierweise: Karl-Wilhelm Welwei: Rezension von: J. F. Lazenby: The Peloponnesian War. A military study, London: Routledge 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 1 [15.01.2005], URL: <http://www.sehepunkte.historicum.net/2005/01/7338.html> Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.