2. Ergänzung zur Vorlesung “Analysis I” WS08/09 Konstruktion von R In dieser Ergänzung möchte ich eine Konstruktion des Körpers R der reellen Zahlen vorstellen. Ich werde nicht alle Details vorrechnen, aber ich hoffe zumindest die Idee der Konstruktion klar zu machen. Wie Sie sehen werden, werden die Elemente von R in dieser Kontruktion geeignete Teilmengen von Q sein, d.h., wir erhalten R ⊆ P(Q). Wir starten mit Definition. Eine Teilmene S ⊆ Q heißt Dedekindscher Schnitt, falls folgende Bedingungen erfüllt sind: S1 S 6= ∅ und S 6= Q. S2 Ist a ∈ S, so folgt auch b ∈ S für alle b ∈ Q mit b ≥ a. S3 S besitzt kein kleinstes Element. Feststellung: Ist S ⊆ Q ein Dedekindscher Schnitt und ist a ∈ Q \ S, so gilt a < x für alle x ∈ S. Denn wäre x ∈ S mit a ≥ x, so würde aus S2 auch a ∈ S folgen. Beispiel: (a) Jeder rationalen Zahl x ∈ Q können wir auf kanonische Weise einen Schnitt Sx := {y ∈ Q : y > x} zuordnen. Wichtig ist hier, dass wir wirklich y > x fordern. Die Menge {y ∈ Q : y ≥ x} erfüllt sicher die bedingungen S1 und S2, aber nicht die Bedingung S3. (b) Betrachte S = {y ∈ Q : y ≥ 0, y 2 > 2}. Es ist dann leicht zu sehen, dass S die Bedingungen S1,. . . ,S3 erfüllt. Es gilt S 6= Sx für alle x ∈ Q. Denn wäre S = Sx für ein x ∈ Q, so wäre zunächst x ≥ 0, da y ≥ 0 für alle y ∈ S. Ferner wäre x∈ / S, woraus dann x2 < 2 folgen würde (denn x2 = 2 besitzt keine Lösung in Q). Setze ε := 2 − x2 > 0. Da Q archimedisch ist, existiert ein N ∈ N mit N > 2x+1 ε . 1 2 1 < ε und wir erhalten (x + ) < 2, denn wegen ≤ 1 gilt Dann folgt 2x+1 N N N 1 1 x 1 1 2x + 1 < 2 − x2 ⇒ (2x + ) < 2 − x2 ⇒ x2 + 2 + 2 < 2 ⇒ (x + )2 < 2. N N N N N N Aber dann wäre x + 1 N ∈ Sx \ S und wir erhalten einen Widerspruch zu S = Sx . Definition. Wir setzen R := {S ∈ P(Q) : S ist Dedekindscher Schnitt}. Als nächstes müssen wir Addition, Multiplikation und Ordnung auf R erklären. Addition: Sind S, S̃ Schnitte, so setzen wir S + S̃ := {x + y : x ∈ S, y ∈ S̃}. Wir rechnen nach, dass S + S̃ die Bedingungen S1,. . . , S3 erfüllt. S1: Es ist klar, dass S + S̃ 6= ∅, da S, S̃ 6= ∅. Ferner gilt: sind a, b ∈ Q mit a ∈ / S, b ∈ / S̃, so gilt a < x und b < y für alle x ∈ S, y ∈ S̃. Hieraus folgt dann a + b < x + y für alle x ∈ S, y ∈ S̃ und damit a + b ∈ / S + S̃. Es folgt S + S̃ 6= Q. 1 2 S2: Ist x + y ∈ S + S̃ und ist z ∈ Q mit z ≥ x + y, so gilt z − x ≥ y. Da S̃ die Bedimgung S2 erfüllt, folgt z − x ∈ S̃. Aber dann folgt auch z = x + (z − x) ∈ S + S̃. S3: Wäre x0 + y0 ein kleinstes Element in S + S̃, so wäre auch x0 kleinstes Element in S, denn ist x ∈ S beliebig, so folgt x + y0 ≥ x0 + y0 und damit x ≥ x0 . Da S kein kleinstes Element besitzt, ist dies unmöglich! Es ist klar, dass die oben definierte Addition kommutativ und assoziativ ist, da dies auch für die Addition auf Q gilt. Ist S0 = {x ∈ Q : x > 0}, so rechnet man nach, dass S0 + S = S für alle S ∈ R gilt. Damit ist S0 neutrales Element für die Addition. Wir konstruieren nun das inverse Element −S eines Schnittes S. Man beachte: die zunächst übliche Defintion −S = {−x : x ∈ S} macht hier keinen Sinn, denn diese Menge ist kein Schnitt. Zur richtigen Konstruktion definieren wir zunächst S− := {y ∈ Q : y + x > 0 für alle x ∈ S}. Man rechnet dann nach, dass S− die Bedingungen S1 und S2 erfüllt. Aber S− könnte ein kleinstes Element besitzen! Zum Beispiel prüft man leicht nach, dass für alle x ∈ Q (Sx )− = {y ∈ Q : y ≥ −x} gilt. Wir setzen daher −S := S− , falls S− kein kleinstes Element besitzt und −S := S− \ {x0 }, falls x0 kleinstes Element von S− ist. Dann rechnet man schnell nach, dass −S ∈ R mit S + (−S) = S0 gilt. Damit ist −S additives Inverses zu S! Im folgenden schreiben wir auch 0R für das Element S0 und 1R für das Element S1 = {x ∈ Q : x > 1}. Ordnung: Ist S ∈ R, so sagen wir S ≥ 0R , falls x > 0 für alle x ∈ S gilt. Wir sagen S > 0R , falls S ≥ 0R und S 6= 0R . Dies ist äquivalent zur Aussage, dass ein 0 < a ∈ Q existiert, mit a < x für alle x ∈ S. Setzen wir dann R+ = {S ∈ R : S > 0}, so folgt mit der obigen Definition für die Addition, dass R \ {0R } = R+ ∪ −R+ und R+ ∩ −R+ = ∅. und S + S̃ ∈ R+ für alle S, S̃ ∈ R+ . Die nun folgende Definition der Multiplikation liefert dann auch sofort, dass S · S̃ ∈ R+ für alle S, S̃ ∈ R+ , womit dann alle Bedingungen an eine Anordnung auf R erfüllt sind! Übung: Beweisen Sie die folgenden Tatsachen (1) S ≥ S̃ ⇔ S̃ ⊆ S, (2) Sx ≥ Sy ⇔ x ≥ y für alle x, y ∈ Q. Multiplikation: Sind S, S̃ ∈ R mit S, S̃ ≥ 0R , so setzen wir S S̃ := {xy : x ∈ S, y ∈ S̃}. 3 Wie im Fall der Addition rechnet man direkt nach, dass S S̃ wieder ein Dedekindscher Schnitt ist. Sind nun S, S̃ beliebige Elemente von R, so definieren wir die Multiplikation auf R durch S S̃ falls S, S̃ ≥ 0R (−S)(−S̃) falls −S, −S̃ ≥ 0R . S · S̃ := − S(−S̃) falls S, −S̃ ≥ 0R − (−S)S̃ falls −S, S̃ ≥ 0R Mit etwas Geduld rechnet man dann nach, dass (R, +, ·) tatsächlich ein angeordneter Körper ist. Hierbei ist 1R = S1 das neutrale Element für die Multiplikation. Das multiplikative Inverse eines Elementes S > 0R wird wie folgt konstruiert: Setze S ∗ := {y ∈ Q : xy > 1 für alle x ∈ S}. Ähnlich wie im Fall der Kontruktion des additiven inversen Elements, erfüllt S ∗ die Bedingungen S1 und S2, aber S ∗ kann unter Umständen ein kleinstes Element besitzen (z.B. gilt (Sx )∗ := {y ∈ Q : y ≥ x1 } für alle 0 < x ∈ Q). Daher definieren wir S∗ falls S ∗ kein kleinstes Element besitzt −1 S := . S ∗ \ {x0 } falls x0 ∈ Q kleinstes Element von S ∗ ist Man rechnet dann nach, dass S · S −1 = 1R . Ist nun S < 0R , so setzen wir S −1 := −(−S)−1 und erhalten ein multiplikatives Inverses für alle S 6= 0R . Die Verifikation der übrigen Körperaxiome überlassen wir dem Leser als Übung. Vollständigkeit. Um die Vollständigkeit von R zu beweisen, zeigen wir zunächst, dass jede nach unten beschränkte Teilmenge ∅ = 6 M ⊆ R ein Infimum besitzt. Hieraus folgt dann durch Übergang auf −M und den Rechenregeln für Infimum und Supremum, dass jede nach oben beschränkte nichtleere Teilmenge von R ein Supremum besitzt. Wir zeigen dann, dass R archimedisch angeordnet ist. Nach Blatt 4, Aufgabe 2 folgt dann auch, dass jede Intervallschachtelung ein Inneres Element besitzt. Es ist dann gezeigt, dass (R, +, ·) alle in der Vorlesung geforderten Eigenschaften von R besitzt! Sei ∅ 6= M ⊆ R und sei C ∈ R eine untere Schranke von M . Das bedeutet, dass S ⊆ C für alle S ∈ M (wobei wir hier S und C als Teilmengen von Q betrachten). Wir setzen [ I := S ⊆ C. S∈M Man rechnet dann nach, dass I wieder ein Schnitt ist, also I ∈ R. Wegen S ⊆ I für alle S ∈ M , gilt I ≤ S für alle S ∈ M . Aus der Konstruktion folgt aber auch, dass C ≥ I für jede untere Schranke C von M gilt. Damit ist gezeigt, dass I eine größte untere Schranke von M ist. Wir zeigen schließlich, dass R archimedisch angeordnet ist. Dafür müssen wir zeigen, dass zu jedem R ∈ R ein N ∈ N existiert mit R < N , wobei wir ein N ∈ N (bzw, x ∈ Q) mit dem Schnitt SN = {x ∈ Q : x > N } ∈ R (bzw. Sx ∈ R) identifizieren. Wir können sicher annehmen, dass R > 1, da sonst R ≤ 1 < 2 gelten 4 würde. Dann gilt ∅ = 6 M := {n ∈ N : n ≤ R}. Da R obere Schranke von M ist, existiert S := sup(M ) ≤ R. Da S die kleinste obere Schranke von M ist, existiert ein n ∈ M mit n > S − 21 . Dann folgt n + 1 > S + 21 > S, also insbesondere n + 1 6= M . Aber das bedeutet, dass N := n + 1 > R gilt. Wir haben nun die Konstruktion der reellen Zahlen erfolgreich durchgeführt! Wir wollen schließlich noch den folgenden Satz beweisen: Satz. Ist (K, +, ·) ein vollständiger, archimedisch angeordneter Körper, so ist K isomorph zu R, d.h., es existiert eine bijektive Abbildung Φ : K → R, so dass Φ(x + y) = Φ(x) + Φ(y), Φ(xy) = Φ(x)Φ(y) und Φ(x) ≥ Φ(y) ⇔ x ≥ y für alle x, y ∈ K gilt. Beweis: In der Vorlesung haben wir gesehen, dass sich die rationalen Zahlen kanon n·1 nisch in den Körper K durch m 7→ m·1 einbetten lassen. Wir fassen also nun Q auf diese Weise als Teilmenge von K auf. Für ein a ∈ K setzen wir nun Sa := {x ∈ Q : x > a}. Da K archimedisch angeordnet ist, folgt Sa 6= ∅, und aus den Körper- und Ordnungsaxiomen folgt dann leicht, dass Sa ⊆ Q ein Dedekindscher Schnitt ist. Damit erhalten wir eine Abbildung Φ : K → R; Φ(a) = Sa . Man rechnet dann direkt nach, dass Φ Addition und Multilikation auf K in Addition und Multiplikation auf R überführt, und wegen a ≤ b ⇔ Sb ⊆ Sa ⇔ Sa ≤ Sb erhält Φ auch die Ordnung. Es bleibt zu zeigen, dass Φ bijektiv ist. Für die Injektivität genügt es zu zeigen, dass a < b auch Sa < Sb impliziert. Dies ist aber dann der Fall, wenn wir zeigen können, dass für alle a, b ∈ K mit a < b ein x ∈ Q existiert mit a < x < b, denn dann ist x ∈ Sa \ Sb und daher Sa 6= Sb . Die Existenz eines x ∈ Q mit a < x < b wird aber in Blatt 3, (schriftliche) Aufgabe 2 gezeigt. Wir müssen jetzt nur noch zeigen, dass Φ surjektiv ist. Sei dazu S ⊆ Q ein Schnitt. Da wegen S2 jedes x ∈ Q mit x ∈ / S eine untere Schranke von S ist, und da wegen S 6= Q ein solches x immer existiert, ist S nach unten beschränkt. In der Vorlesung wurde nun gezeigt, dass aus den vorausgesetzten Eigenschaften von K folgt, dass jede nach unten beschränkte nichtleere Teilmenge von K ein Infimum besitzt. Ist daher S ∈ R ein beliebiger Dedekindscher Schnitt, so ist S ⊆ Q ⊆ K eine nach unten beschränkte Teilmenge von K und besitzt daher ein Infimum a := inf(S) in K. Man prüft dann leicht nach, dass S = Sa = Φ(a) gilt. Damit ist Φ dann auch surjektiv, und der Beweis des Satzes ist vollendet. Übung: Ergänzen Sie alle noch fehlenden Details des obigen Beweises!