ANDROLOGY LETTER Christian Sigg Nahrungsmittelergänzungen in der Andrologie In der modernen andrologischen Literatur finden sich zunehmend mehr Publikationen zu positiven Effekten auf mehrere Spermienparameter durch Nahrungsmittelergänzungen wie Vitamin E, A, C, Arginin, Carnitene, Gluthathion, Coenzym 10, Selene und Zink (allein oder in Kombination). Die Studiendesigns weichen aber erheblich voneinander ab und die Resultate sind keineswegs konsistent. Dennoch zeichnet sich hier eine zusätzliche, kausal angreifende Therapie der idiopathischen männlichen Infertilität ab, die bereits heute im therapeutischen Instrumentarium ihren festen Platz hat Männliche Infertilität wird durch zahlreiche Ursache ausgelöst wie Varikozele, Kryptorchismen, Testicular Dysgenesis Syndrome, genetische Störungen und exogene Faktoren. 30-40% aller Fälle aber bleiben immer noch ungeklärt. Diese so genannte idiopathische Infertilität ist definiert durch ein OAT Syndrom ohne einschlägige Anamnese oder Befunde. In erster Linie Endocrine disruptors , genetische und epigenetische Variationen und der negative Einfluss reaktiver Sauerstoffspezies ROS gelten als Ursachen. Hohe ROS Konzentrationen und vermehrter oxidativer Stress korrelieren mit dem DNA Schaden, verminderter Motilität, gestörter Fertilisierung und Embryoentwicklung. ROS stören die Spermienfunktionen durch ‐ Beschädigung der Membranlipide ‐ Aminosäuren ‐ Carbohydrate ‐ Proteine ‐ DNA. Obschon im menschlichen Ejakulat normalerweise endogene Antioxidation vorkommen, sind diese gerade bei männlicher Infertilität nachgewiesener Massen in der Wirkung und Konzentration eingeschränkt. Zahlreiche Behandlungsansätze wurden entwickelt, um diese antioxidative Kapazität der Spermien und vor allem des Seminalplasma wiederherzustellen oder zu verbessern: ‐ pflanzliche Substrate ‐ Vitamine ‐ Nahrungsmittelergänzungen. Seitdem sich in den immer zahlreicher werdenden Studien eindeutig positive Ansätze einer Supplementierung erkennen lassen, sollte der Einsatz solcher Substanzen bei nachgewiesener verminderter antioxidativer Kapazität im Therapiekonzept einer männlichen Infertilität berücksichtigt werden. Dabei sind – wie immer in der modernen Andrologie – zwei Aspekte einer Therapie zu berücksichtigen: Verbesserung der Spermienparameter als auch die Schwangerschaftsrate. Leider weisen die meisten der einschlägigen Studien den Mangel auf, nicht doppelblind Plazebo-kontrolliert durchgeführt worden zu sein. Die Durchsicht zahlreicher Untersuchungen ergibt, dass Nahrungsmittelergänzungen vor allem die Spermienbeweglichkeit verbessern und wenig Einfluss auf Morphologie und Gesamtspermienzahl haben. Immerhin finden sich in 6 von 10 Studien, die die Schwangerschaftsrate als Studienendpunkt hatten, durchaus sehenswerte Prozentzahlen. Carnitine Carnitine – aus Lysin und Methionin – sind an der Regulation der Glykolyse und des Fettstoffwechsels in den Sertolizellen massgeblich beteiligt. Besonders wichtig dürfte ihr antioxidativer Schutzmechanismus sein. L-Carnitene finden sich zur Hauptsache im Nebenhoden, zusätzlich aber auch im Seminalplasma und innerhalb der Spermien. Zahlreiche Studien haben sich mit den Wirkungen der verschiedenen Carnitenen auf die Spermienparameter befasst. Offenbar sind es vorwiegend die Motilitätsfunktionen, die durch eine Verabreichung von 2g L-Carniten und 1g L-Acetyl-carniten während mindestens 60 Tagen erreicht werden kann. Auch die Spermienmorphologie soll aber günstig sich verändern unter Carnitenen. Wie weit diese Supplementation auch die klassische Varikozelenorchipathie behebt, ist noch nicht klar – es finden sich aber starke Hinweise auf eine Normalisierung der gestörten Membranfunktionen. Die dabei eingesetzten Therapien umfassen neben Carnitenen auch Cinnoxicam. Der Zusatz von Carnitenen zu NSA bei abakterieller Prostatavesikulopathie wird in der Literatur ausführlich und positiv dokumentiert. Erwartungsgemäss finden sich auch Studien, die Carnitene in Kombination mit Fruktose, Selen, CoE 10,Zink, Vitamin C, Cyanocobalamin und Folsäure verwenden und dabei in erster Linie Motilitätsparameter der Spermien zu verbessern scheinen. Arginin Arginin ist ein NO - Vorläufer und für die Putrescin-, Spermidin- und Spermiensynthese wichtig. Alle diese Substanzen sind an der Spermienmotilität beteiligt. Zudem bewirkt Arginin eine Ammoniumentgiftung und Immunmodulation. Die Wirkung von Arginin kann bis heute nicht definitiv beurteilt werden, sind doch die Studien sehr widersprüchlich: von positiven Auswirkungen auf die Beweglichkeit bis zu fehlenden Effekten inklusive Steigerung der Schwangerschaftsraten in anderen Analysen. Resveratrol Das Stilbenderivat findet sich vornehmlich in Trauben aller Art und übersteht den Gärungsprozess. Es fördert die Expression des „Sir Gens“ zur Lebensverlängerung der Zellen und fördert wesentlich die Apoptose von Krebszellen. Neben seiner neuroprotektiven Wirkung sollen die antioxidativen Effekte auch die Lebensfähigkeit der Spermien verbessern. Eigentliche doppelblinde Studien liegen allerdings auch hier noch nicht vor. Dennoch wird Resveratrol in zahlreichen Antioxidantion-Cocktails zur Fertilitätssteigerung angeboten. N-Acetylsystein Dieser Glutathionpräkursor hat nachgewiesener Massen Effekte als ROSFänger und verbessert die Spermienmotilität. Doppelblind angelegte Studien kommen zum Ergebnis, N-AC würde das Ejakulatvolumen, Viskosität und Spermienbeweglichkeit verbessern bzw erhöhen. Dabei genügen Dosierungen von 600mg/pro Tag. Besonders interessant die Tatsache, dass der Zusatz von Selen auch zu einer höheren Spermienkonzentration und verbesserten Morphologie der Spermien führen soll – dies im Sinne eines synergistischen Effektes. Selen Im Ablauf antioxidativer Prozesse nimmt Selen eine Schlüsselstellung ein und scheint notwendig zu sein für eine normale Hodenentwicklung, Spermatogenese und Kapazitation. Besonders die Kombination mit anderen Substanzen führt zu erhöhten Spermienzahlen, Beweglichkeiten und besserer Morphologie: NAC, Vitamin E sind hier aufzuführen. Die optimale Dosis liegt in mehreren Studien bei 100-210 mg täglich. Vitamin A Dieses fettlösliche Vitamin hat eine seit langer Zeit bekannte antioxidative Wirkung und wurde allein oder in Kombination mit Vitamin C, E, Zink und Selenium eingesetzt. In zwei Studien konnten Verbesserungen der Spermienmotiliät bis zu 30% gefunden werden, ebenso erhebliche Verbesserungen nach Varikozelenoperationen. Vitamin C Dieses wasserlösliche Antioxidans ist an der Synthese von (u.a.) Kollagen, Proteoglykanen und intrazellulärer Matrix beteiligt. Leider gibt es keine Studien über den Einfluss von Vitamin C allein auf die Spermien. Vielmehr wird Vitamin C fast ausschliesslich zusammen mit Vitamin E, Karoten, Zink, Selen und anderen Stoffen eingesetzt. Dabei zeigten sich eindrückliche Schutzmechanismen gegen oxidativen Stress und damit verbundene DNA Fragmentationen. Besonders bei schweren Rauchern ist dieser Effekt ausgeprägt und der Einsatz von Antioxidantien heute kaum mehr aus dem therapeutischen andrologischen Spektrum wegzudenken. Vitamin E Zusammen mit anderen Antioxidantien kann das fettlösliche Vitmanin E die Lipidperoxidation verbessern und Schäden an Zellmembranen auf diese Weise verhindern. ROS in Seminalplasma werden reduziert und Vitamin E kann allein schon einen steigernden Einfluss auf die Spermienbeweglichkeit ausüben. Positive Wirkungen auf den DFI werden in Kombination mit Vitamin C und Q 10 erreicht, wobei in einer 2014 erschienen Publikation auch eine erheblich (28%) verbesserte Schwangerschaftsrate berichtet wird. Leider wurde in dieser grossen Studie keine Kontrollgruppe geführt. Coenzym Q 10 Coenzym Q 1o ist in den mitochondrialen Energiehaushalt eingebunden, der für die Samenzellreifung entscheidend ist. In drei Studien finden sich Steigerungen der Spermienzahl und der Beweglichkeit, nicht aber eine höhere Schwangerschaftsrate. Zusammen mit der reduzierten Form des Coenzym 10, dem Ubiquinol, wurde eine grosse Placebo - kontrollierte Studie durchgeführt. Dabei konnten höhere Katalasewerte, höhere Inhibin B Werte und tiefere FSH Konzentrationen im Vergleich zur Placebo Gruppe ermittelt werden. Eine weitere Untersuchung belegt eine deutlich (34%) gesteigerte Schwangerschaftsrate bei idiopathischen OAT Syndromen – leider ohne Kontrollgruppe. Q 10 scheint über den Mitochondrien weg eine günstige Wirkung auf mehrere Spermienfunktionen zu haben. Glutathion Glutathion hat einen wichtigen schützenden Effekt auf das Keimepithel, Nebenhodenepithel und die ejakulierten Spermien. In der Leber produziert ist Glutathion eines der stärksten Antioxidans unseres Körpers. In Studien wurde Glutathion sowohl per os als auch intramuskulär verabreicht und soll eine verbesserte Samenzellbeweglichkeit bewirken. Dieser Effekt konnte bezeichnenderweise vor allem bei Varikozelenträgern erkannt werden. Zink ist in die testikuläre Steroigenese, Hodenentwicklung, Sauerstoff verbrauch der Spermien, Chromatinkondensation, Akrosomenreaktion, Akrosomenaktivität, Chromatinstabilität und Konversion von Testosteron zu DHT involviert. Mehr als 200 Enzyme benötigen Zink als Cofaktor, so u.a. die DNA Transkription und die Proteinsynthese. Ein Zinkmangel verursacht Oligozoospermie, Hypogonadismus und beeinträchtigt das Immunsystem. Vor allem bei Patienten mit Diabetes mellitus verursachen Zinkmangelzustände OAT Syndrome. Eine prospektive Studie mit Zink, Folsäure belegte den wichtigen Einfluss auf die Spermienqualität, Protamingehalt und akrosomale Integrität, vor allem nach Varikozelenligatur. Diese Kombination wird deshalb vor und nach einer Varikozelenoperation verschrieben. Aber auch bei idiopathischem OAT Syndrom sind in Studien Verbesserungen der Funktionen nach Zink und Folsäure Gabe beschrieben. Schlussfolgerungen In einem grossen Cochrane Collabroation Review wurde die Antioxidative Behandlung der männlichen Infertilität intensiv untersucht. Primär konzentrierte man sich dabei auf die Frage, welche Supplemente die Spermienqualität verbessern und erst sekundär auf die Frage nach der gesteigerten Schwangerschaftsrate unter Supplementen. Leider sind die verfügbaren Untersuchungen von einer derart variierenden Qualität, dass definitive Aussagen nicht möglich sind. Immerhin steht heute fest, dass nicht ein einzelnes Supplement bessere Spermienqualität oder bessere Schwangerschaftsraten erzielt als andere. Besonders aufregend aber ist die Tatsache, dass antioxidative Behandlungen in speziellen andrologischen Situationen exzellente Steigerungen der Erfolgsrate aufweisen können: Die Supplementtherapie allein benötigt 7.8 NNT (numbers needed to treat) im Vergleich mit der Varikozelentherapie (NNT 6.3) Die Kombination von Varikozelenbehandlung mit Nahrungsmittelergänzungen aber weist einen NNT von 2.6 auf und die Kombination von Supplementen mit IVF einen NNT von 4.0. Damit besteht ein eindeutiger Trend zum erfolgreichen Einsatz von Nahrungsmittelergänzungen – auch und gerade wenn wieder einmal mehr der Beweis erbracht ist, dass Andrologie enorm polyätiologisch ist und die Endpunkte „Bessere Spermien“ und „Schwangerschaftsrate“ im Studiendesign zu kurz greifen müssen. Wichtig in der Behandlung: Patienteninformation: beeinflusst wird die Konzentration von Reaktiven Sauerstoffspezies ROS Patientenerwartungen richtig ein- und zuordnen Kenntnisse welche Supplemente und weshalb Dosisunterschiede von 0 mg bis Konzentrationen des Hodengewebes weit über die physiologischen Unterschiedlichste Kombinationen und Konzentrationen Anhang: In der Behandlung der idiopathischen männlichen Infertilität eingesetzte Nahrungsmittelergänzungen. Kombinationen sind möglich. (Andrologie Zentrum Zürich) ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ L –Cystein L- Glutamin Melatonin Hesperidin L – Carnitene Vitamin C Vtamin E Vitamin A Coenzym Q 10 Zink Vitamin B9 Vitamin B12 Selen Arginin N - Acetylcystein Auswahl aktuell verfügbarer Produkte (unvollständige Liste) Super Man Hood; SpermGen; SpermPlus;PollenPlus; Spermfit; Fertilovit; Menevit; Fertalin; SpermSpeed; ProXeed; Orthomil Fertil; Hysteria; FertilMan; FertilHealth; iForcre Nutrition; All-Natural Herb; Semen Pills; Semenax; Fertico; FertilAid; Natural Harvest; Nutrition Facts; Spirulina; Speman; FertilityBlend; Actisperm; FertaMax; Espermaplus; Food-state Fertility; Spermax; Volume Pills; Conception XR; Damiana; Nutra Ingredients; B-Daddy; Pure Fit Nutritions; Vitamen-Zita west; Episode 7; Men’s Essential; Neo Tablets; BabyTone; Nervitone; ChiroMan; Wellman Conception; menev-1; Complete Man; FertilAid; Vitamenz; Strong Star; Chiroman Mögliche Nebenwirkungen von Nahrungsmittelergänzungen (modifiziert nach Arcanilo D. et al Arch Ital Urol Androl 2014; 86) Vitamin E Muskelschwäche, Kopfschmerzen,Blutungsstörungen, kardiovaskuläre Komplikationen (siehe auch oben) Vitamin C >2000mg/d Dyspepsie, Kopfschmerzen, Nephrolithiasis Vitamin A>50’000IU/d Schwindel, Sehstörungen, Anorexie, Arthralgie, Hepatotoxizität, Müdigkeiten Arginin Blutdrucksenkung, Niereninsuffizienz, Blutungen, Verschlechterung von Asthma, erhöhte Blutzucker – spiegel Carnitine >4g/d Verdauungsbeschwerden Coenzyme Q 10 Verdauungsbeschwerden, Appetitlosigkeit, Kopf – schmerzen, Hautausschläge Glutathion Absorptionsstörungen N-Acetyl-Cystein Fieber, Kopfschmerzen, Blutdruckabfälle, Lebertoxizität Selen Müdigkeit, Haarverlust, Nagelveränderungen, Tremor, Flush, Nieren- und Leberinsuffizienz (siehe auch oben) Zink >200mg/d Verdauungsstörungen, Appetitlosigkeit, Kopfschmer – zen, Rash, Magenulzera Myalgie, >450mg/d Beta-Carotene Eisenstoffwechselsörungen, verminderte Kupfer – spiegel, Sideroblastische Anämie, verminderte Immunfunktionen, verminderte HDL Spiegel siehe oben Gefährdungspotential: 1. zu hohe Dosierungen können gegenteilige Effekte haben 2. Selenium und Vitamin E zeigten in Präventionsstudien bei gewissen Populationen erhöhtes Prostatakarzinom-Risiko 3. Beta-Carotene sind bei Rauchern strikt kontraindiziert wegen Lungenkrebsgefahr (Literatur auf Wunsch) ANDROLOGY LETTER 2015 Dr.Christian Sigg Leitender Arzt Andrologie Zentrum Zürich Regensbergstrasse 91 8050 Zürich 0041 44 312 47 57 0041 44 311 21 27 F [email protected]