M. Witte: Die Griechen und der Vordere Orient - H-Net

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Markus Witte, Stefan Alkier. Die Griechen und der Vordere Orient: Beiträge zum Kultur- und Religionskontakt zwischen Griechenland und dem Vorderen Orient im 1. Jahrtausend v. Chr. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht, 2003. X + 135 S. EUR 38,00 (gebunden), ISBN 978-3-525-53048-1.
Reviewed by Silke Knippschild
Published on H-Soz-u-Kult (August, 2003)
M. Witte: Die Griechen und der Vordere Orient
hier bezieht (S. 21). Er sieht Homer das Epos zwischen 700
und 680 v.Chr. eigenhändig auf Leder schreiben (S. 21f.),
auch hier ohne stützende Argumentation. Bemerkungen
wie etwa die Aussage, dass Karisch die Gesichtszüge des
Sprechenden zum Entgleisen bringe (S. 11f.), erklären
sich wohl aus dem mündlichen Vortrag. Dies gilt vermutlich auch für die zuweilen fragwürdige Terminologie, etwa für die Bezeichnung “Polisstaaten” für Stadtstaaten
im syro-luwischen bzw. syro-phoinikischen Raum (S. 13).
Peter Högemann (“Das ionische Griechentum und
Maßgebliche Literatur neueren Datums ignoriert der Auseine altanatolische Umwelt im Spiegel Homers”, S. 1- tor, zum Beispiel im Falle der Kontakte zwischen dem Ly24) eröffnet seinen etwas ungewöhnlichen Beitrag mit ei- derkönig Gyges und Assurbanipal von Assur (S. 19). Bornem Abriss der Geschichte Athens vom 7. bis ins 4. Jahr- ger, Rykle, Beiträge zum Inschriftenwerk Assurbanipals,
hundert v.Chr., der Schwerpunkt liegt dabei auf der ex- Wiesbaden 1996.
pansiven Außenpolitik. Es folgt eine Analyse der Rolle,
welche der Stadt von der Forschung zugewiesen wird. Er
Veit Rosenberger (“Reisen zum Orakel. Griechen, Lykontrastiert ionisches und attisches Griechentum, wobei der und Perser als Klienten hellenistischer Orakelstätden Ioniern aufgrund der Vertragsterminologie in der Ili- ten”, S. 25-58) deckt zunächst sein methodisches Voras das Bemühen um friedliche Koexistenz mit den Nach- gehen auf, was einen großen Bonus für den Leser darbarstaaten attestiert wird (S. 4). Ionien betrachtet Höge- stellt (S. 26ff.). Er analysiert ausgewählte Orakelstätten
mann vor allem im Kontext seiner vorderorientalischen in Bezug auf ihre jeweilige Weissagungstechnik und ihNachbarn. Der Autor sieht im kleinasiatischen Raum die ren Einzugsbereich. Des Weiteren betrachtet der Autor
kulturelle Blüte des Griechentums, bevor Milet bald nach Rolle und Wertschätzung der einzelnen Orakel in der al500 v.Chr. seine Rolle an Athen abtrete, welches in Ab- ten Welt. Die untersuchten Stätten sind Delphi, Dodona
grenzung von den Kulturen des Vorderen Orients den eu- und Lebadeia im griechischen Mutterland sowie Didyma
ropäischen (sic!) Sonderweg anbahne (S. 5).
und Klaros in Kleinasien.
Der Band “Die Griechen und der Vordere Orient” geht
aus einem interdisziplinären Symposion hervor, welches
die Projektgruppe “Altorientalisch-hellenistische Religionsgeschichte” der Johann-Wolfgang-Goethe Universität
Frankfurt am Main im April 2002 abgehalten hat (S. VII).
Vier der Vorträge sind hier abgedruckt und von den Herausgebern, Markus Witte und Stefan Alkier, im Vorwort
hilfreicherweise kurz zusammenfasst.
Der Beitrag trägt deutlich die Züge eines mündlichen
Vortragsmanuskriptes. So erklärt Högemann, dass die
Versuche ins Leere liefen, die Ilias bis ca. 650 v.Chr. herabzudatieren, ohne sich dazu zu äußern, worauf er sich
Besonders interessante Aspekte greift Rosenberger
gezielt heraus. In Delphi analysiert er die Beeinflussung
der Tagespolitik durch die pythischen Priester am Beispiel der Sizilischen Expedition Athens. In Dodona be-
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handelt er Inschriften auf Orakeltäfelchen und vergleicht
sie mit der literarischen Überlieferung. Im Fall von Didyma geht Rosenberger besonders auf die Geschichte des
Orakels, seine Blüte vor der Perserzeit, die Zerstörung im
Rahmen der Niederschlagung des Ionischen Aufstandes
durch die Perser und sein erneutes Hervortreten seit der
Alexanderzeit ein. Ihren Ruf verdanke die Orakelstätte
mit vorwiegend lokalem Einzugsbereich vor allem Milet.
Bei Klaros stellt Rosenberger einen weiteren Einzugsbereich als im Falle von Didyma fest: Auch aus dem Binnenland und aus Gebieten außerhalb Kleinasiens werden
Anfragen an das Orakel gerichtet.
den unternommenen Reise einholten.
Rosenbergers spannender Beitrag ist anschaulich und
klar strukturiert. Das Thema behandelt er systematisch
und übersichtlich. Durch die Verwendung literarischer
wie epigraphischer Quellen erreicht er große Breite. Der
Beitrag ist mit 10 Karten und systematischen Literaturangaben zu den behandelten Orakeln versehen.
Der Raub griechischer Kultbilder durch den Perserkönig Xerxes und ihre Verbringung nach Susa, Ereignisse,
von denen uns Pausanias berichtet, sind Gegenstand des
Beitrags von Tanja Susanne Scheer (“Die geraubte ArIn einer Zwischenbilanz hält der Verfasser fest, dass temis. Griechen, Perser und die Kultbilder der Götter”,
S. 59-86). Scheer fragt, ob diese Behauptungen stimmen
Anfragen an griechische Orakel vorwiegend aus der griekönnten, und was Xerxes zu diesem Raub veranlasst hachischen Welt stammten, während Kleinasien weniger
vertreten sei. Als nicht-griechisches Orakel spiele vor al- ben könne. Damit beschreitet sie mutig einen gefährlilem die Oase Siwa eine Rolle. Berichte über die Grün- chen Weg, was den Leser mit Spannung die weitere Ardung von Orakeln oder über Orakelsprüche werden als gumentation erwarten lässt.
Quelle für die Beziehungen zwischen Griechenland, dem
Die Autorin verfolgt die Geschichte der Kultbilder der
Vorderen Orient und Ägypten untersucht. Interessanter- Artemis von Brauron und des Apollon von Didyma. Sie
weise findet Rosenberger zum Beispiel einen Mythos von fragt, ob sich die Chronologie ihres Verschwindens mit
der Gründung Dodonas durch Ägypten, aber keine Nach- Xerxes als Täter vereinbaren lässt. Im Anschluss unterrichten über etwaige Orakelgründungen aus Kleinasien. sucht sie die mythologische Bedeutung der beiden BildDelphi wird als vom Gott Apollon höchstselbst gegründet nisse, die ihrer Ansicht nach zur Regierungszeit des Xerangesehen. Lebadeia, Klaros und Didyma binden sich in xes weder über eine besondere Berühmtheit noch über eiihren Gründungsmythen an Delphi. Der Autor interpre- ne ungewöhnliche mythische Provenienz verfügten, weltiert diese Nachrichten als Reflex der griechischen Vor- che die Mühe, sie zu rauben, rechtfertigen würden. Dies
stellung von der Kolonisation. Er sieht hier eine Selbst- wirft nach Ansicht der Autorin Zweifel an der Überliefedefinition durch Absetzung und eine Identitätssicherung rung auf. Sie stellt nun die Frage, warum Pausanias von
der Griechen unter persischer Oberhoheit. Anders liege diesem Raub berichtet. Hierbei untersucht sie die Einstelder Fall bei Ägypten: Hier sei in Anbetracht der anders lung der Perser zur Unverletzbarkeit von Heiligtümern
gearteten politischen Situation keine Abgrenzung nötig, im Allgemeinen und von Kultstätten aufständischer Unwährend Hochachtung vor dem Alter der ägyptischen tertanen im Besonderen. Sie stellt Dareios I. und Xerxes
Kultur und der gute Ruf ägyptischer Orakel eine Grün- gegenüber und beleuchtet die Deutung moderner Fordung von dort attraktiv erschienen ließen.
scher, die Dareios oft als tolerant in religiösen AngeleIn der Folge untersucht Rosenberger vergleichend die genheiten und persönlich den griechischen Göttern verOrakeltests des Lyderkönigs Kroisos und des Perserkö- bunden sehen, seinen Nachfolger hingegen als intolerannigs Xerxes. Hinter den Berichten über Kroisos’ Anfra- ten Götterfeind deuten. Anhand einer Untersuchung der
hierfür gemeinhin herangezogenen Quellen belegt sie,
ge sieht er die Bestätigung der Verlässlichkeit von Deldass beides nicht aufrechtzuerhalten sei. Im Anschluss
phi und Oropos durch eine externe Partei und somit eine Legitimierung der Orakelstätten durch neutrale Drit- geht sie auf antike Quellen ein, in denen sich dieser vorte. Xerxes’ Anfragen wertet er als Kommunikation zwi- eingenommene Blickwinkel bereits finde.
schen Großkönig und seinen griechischen Verbündeten
Die Verfasserin geht nun der Frage nach, wie antiauf religiöser Ebene.
ke Quellen die persischen Übergriffe auf griechische HeiDer Autor erinnert an alternative Divinationstechni- ligtümer begründen, und stößt auf drei Erklärungen: die
Rache ihrer eigenen Götter (für das beim Ionischen Aufken, betrachtet Legendenbildung und Wechselwirkung
stand abgebrannte Kybele-Heiligtum von Sardeis), die
mit der Geschichte. Längere Reisen zu Orakeln würden
eher von Gemeinwesen durchgeführt, während Privat- Befreiung der in Tempel eingesperrten Götter und die
personen Anfragen im Rahmen einer aus anderen Grün- Tatsache, dass die Perser gottlose Barbaren seien, von
denen man nichts anderes erwarten könne. Diese Argu2
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mente entkräftet Scheer und macht deutlich, dass sich
hier Ratlosigkeit angesichts des Verhaltens der Perser offenbare.
setzung des Judentums mit seiner hellenistischen Umwelt, wobei die namengebende Stadt Athen auf je eine
kurze Erwähnung in Einleitung und Schluss beschränkt
wird. Kaiser eröffnet seinen Diskurs mit EntsprechunScheer greift im folgenden die Frage nach den Moti- gen der Religionen und des Rechts bei Griechen und Juven der Perser wieder auf. Aus heutiger Sicht richte sich den. Es folgt ein Abriss der Kulturkontakte, den er mit
religiöse Toleranz oder Intoleranz der Perser nach dem
dem Erscheinen griechischer Söldner in Judäa im frühen
Verhalten der betreffenden Untertanen oder Fremdvöl6. Jahrhundert v.Chr. eröffnet, wobei die Rezeption grieker: Gefügigkeit bedeute Duldung, Rebellion habe har- chischer Kunst hervorgehoben wird. Die Ausgangsbasis
tes Durchgreifen auch in Bezug auf Kultstätten zur Folge. für die tatsächliche Begegnung von Judentum und HelSie verweist auf die zahlreichen orientalischen Parallelen lenismus sieht Kaiser in der Besetzung Palästinas durch
der Strategie, Gegner durch Eingriffe in ihre Religions- Alexander. Es folgt ein historischer Abriss von der Diaausübung zu schwächen. Diese im Orient übliche Praxis
dochenzeit bis zum Ende des zweiten Jüdischen Aufstansei den Griechen unbekannt: Heiligtümer würden auch
des unter Bar Kochba 135 n.Chr. Das Verhältnis zwischen
in Kriegszeiten in der Regel respektiert, um eine Rache Herrscher und regiertem jüdischen Volk untersucht der
der Götter zu vermeiden. Somit würden die Perser als Autor am Beispiel der Ptolemäer, wobei er auch auf die
Volk gesehen, welches den Zorn der Götter provoziere, Sonderrolle des alexandrinischen Judentums eingeht. Die
ein Bild, das bis zur Alexanderzeit fortwirke.
jüdische Literatur präsentiert er anhand verschiedener
Abschließend kehrt Scheer zu Pausanias und den bei- Beispiele als hellenistisch beeinflusst. Die Theologie beden Kultbildern zurück. Sie geht davon aus, dass Pausa- fasst sich nach Kaiser vor allem mit der Frage nach der
nias die lokale Tradition betreffs der Kultbilder kannte Gerechtigkeit Gottes, was auf den Einfluss griechischer
und von der (vermeintlichen? ) Auffindung der Bildnisse Philosophie zurückgehe.
durch Seleukos I. Nikator wusste. Sie deutet Xerxes als
Der Autor betont in diesem Beitrag nachdrücklich
Negativ-Vorbild, von dem man sich durch Wiedergutma- die Beeinflussung des Judentums durch seine hellenistichung der Frevel positiv absetzen könne, auch dies eine sche Umwelt. Etwaige entgegengesetzte Fälle fehlen leiStrategie mit langer orientalischer Tradition. Zusammender gänzlich. Absetzungen wären aber hilfreich, um das
fassend resümiert die Autorin die divergierenden EinstelBild zu vervollständigen und die Rolle griechischer Kullungen von Griechen und Persern zur Rolle der Heilig- tur im Judentum einzuschätzen. Es findet sich eine Reitümer in Kriegszeiten und zum Weiterleben des darauf he kleinerer Inkonsistenzen bei der Rechtschreibung von
basierenden Perserbildes als Vorwand für Alexanders Er- Fachbegriffen, z. B. Koele-Syrien (S. 95) bzw. Koile-Syrien
oberungszug.
(S. 96) oder Procuratoren (S. 100) bzw. Prokuratoren (S.
101).
Scheers Beitrag ist klar und in sich schlüssig. Die Einordnung des Verhaltens der Perser in seinen altorientalischen Rahmen halte ich für verdienstvoll, bleibt sie doch
durch die Fächergrenzen oft unbeachtet. Durch ihre prononcierten Fragestellungen gelingt es der Autorin, den
Leser mit Spaß bei der Sache zu halten.
Der Band enthält vier Abbildungen, welche den Kulturaustausch zwischen Griechen und Vorderem Orient
verdeutlichen sollen (S. VII). Abbildungen 1 und 3 zeigen tatsächlich orientalische Motive. Bei Abbildungen 2
und 4 handelt es sich um attische rotfigurige Gefäße mit
Die Städte Athen und Jerusalem stehen in Otto Kai- gut griechischen Motiven, deren Bezug zu den folgenden
sers Beitrag (“Athen und Jerusalem. Die Begegnung des Artikeln eher als dünn zu bezeichnen ist. Bildunterschrifspätbiblischen Judentums mit dem griechischen Geist, ih- ten fehlen ganz, kurze Angaben zum Dargestellten finre Voraussetzungen und ihre Folgen”, S. 87-120) für Frei- den sich im Abbildungsverzeichnis (S. 135). Abgeschlosheit, Dichtung und Philosophie bzw. als Symbol für den sen wird der Band durch eine Bibliografie (S. 122-134),
Glauben an Gott. Der Autor behandelt die Auseinander- welche eine Auswahl weiterführender Literatur beinhaltet.
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Citation: Silke Knippschild. Review of Witte, Markus; Alkier, Stefan, Die Griechen und der Vordere Orient: Beiträge
zum Kultur- und Religionskontakt zwischen Griechenland und dem Vorderen Orient im 1. Jahrtausend v. Chr. H-Soz-uKult, H-Net Reviews. August, 2003.
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