Agnes Glaus, PhD, MSc, Pflegeexpertin Onkologie 19. Internationales deso Seminar Onkologische Pflege, fortgeschrittene Praxis, 1./2. Sept. 2016, Universität St. Gallen Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Ausgangslage: Krebs-bezogene Fatigue (CrF) Ursachen-geleitete Interventions-Strategien Interventionen: medikamentös und nicht-medikamentös Zusammenfassung Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Fatigue als Regulator für maximale Belastung (Müdigkeit) versus Fatigue (CrF) als inadäquate Reaktion (Heim 2014) Fatigue nach Krebs nimmt normalerweise über Zeit ab Nach 5 Jahren leidet noch eine Minorität an Fatigue (mehr Ueberlebende (survivors) – mehr Personen mit F.) Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Tumor-Assoziierte Fatigue (N=1994 Tumopat.): 32% bei Spitaleintritt, 40% bei Spitalaustritt, 34% 6 Monate nach Spitalaustritt (Singer 2011) Fatigue bei fortgeschrittener Krebskrankheit (N=103): 87% bei Spitaleintritt (Spichiger 2012) Bei neuer Diagnose Brustkrebs (N=280): 24% nach Chirurgie, 31% bei Chemotherapieende, 6% nach 12 Monaten (Goldstein 2012 – meistens sind andere Ursachen für die Müdigkeit massgebend als Krebs selber) Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Die Krebs-bedingte Fatigue ist eine belastende, anhaltende, subjektive Empfindung von physischer, emotionaler und/oder kognitiver Müdigkeit oder Erschöpfung, verursacht durch die Krebskrankheit oder deren Behandlung, welche sich nicht durch die körperliche Aktivität erklären lässt und welche mit dem gewohnten Funktionieren interferiert. National Comprehensive Cancer Network (NCCN) Guidelines Version 1.2016 www.nccn.org Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Das multidimensionale Konzept FATIGUE (Glaus 1998) 29% 59% Affektive Müdigkeitsempfindung Motivationsverlust Keine Energie haben Traurigkeit Angst Kein Kampfgeist 12% Physische Müdigkeitsempfindungen Reduzierte, physische Leistungsfähigkeit Schwäche, Kraftlosigkeit Unübliches, vermehrtes Schlafbedürfnis Unübliches, vermehrtes Müdigkeitsgefühl Unübliches, vermehrtes Ruhebedürfnis Kognitive Müdigkeitsempfindung Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Konzentrationsstörungen Probleme im Denken Einen „müden Kopf“ haben Schlafprobleme Symptome treten selten isoliert auf, können die gleiche oder verschiedene Ursachen haben (Fan G et al.2007) Definition Cluster: Zwei oder mehr Symptome welche sich gegenseitig beeinflussen Sentinel Symptom (lead Symptom, z. B. Schmerz); wichtig für die Interventionsplanung Beispiel typischer cluster: Fatigue, kognitive Einschränkung, Stimmungsprobleme Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona A Fatigue-Screening für jeden Patienten als Routine B Welches Ziel ist realistisch? Fatigue aktiv verhüten. Bei wem und wann? Fatigue lindern, im Alltag mit dem reduzierten Energiekonto priorisierend umgehen lernen. Energie konservieren Fatigue annehmen lernen – coping – mit Fatigue und der Krankheit leben (sterben) lernen Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Adjuvant oder palliative Situation? Bei welchen Tumorarten und Stadien? Während / oder nach der onkologischen Therapie? Gleich für Erwachsene, Aeltere, Kinder? NCCN 2016: die Krankheitsphase bestimmt die Intervention: 1) während Tumortherapie 2) in Follow-Up Phase (inkl. Antihormonale Therapie), 3) letzte Lebensphase Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Behandlung Tumor-bedingter Ursachen (kausal) Beeinflussung von Mediatoren auf Dauer und Intensität der Fatigue, z.B. Stimmung, Schlafstörung, Schmerz, Bewegungsmangel, kardiale Dysfunktion, weitere Bekämpfung der „Inflammation“; Fatigue als Folge einer inflammatorischen Antwort (Zytokine) auf Krebs und Therapie?, bes. bei Chemo- und Radiotherapie (Druvah 2010); mit zentralen Symptomen wie Schlafund Gedächtnisstörungen Individuelle Ursachen und Fatigue-Schwelle über Zeit, oft ungeklärt Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Erfolgreiche Tumor-Therapie (Reduktion der Fatigue bei Tumorrückgang möglich) Bekämpfung der Anämie (tumorbedingte Ursachen): bei Hämoglobin unter 10-11g/dl; ErythrozytenStimulierende Agents (ESA) bei therapiebedingtem Erythropoietin-Mangel mit Anämie, evtl. Transfusion? Substitution, z.B. Schilddrüsenunterfunktion (Kontrolle bei Therapie mit Immunmodulatoren, z.B. Sorafinib) Lebensgestaltung aus dem Lot, Aktivitäts-Ruhebalance Depression behandeln (Müdigkeit Kernsymptom) Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Depressionen bleiben leider oft unerkannt Hinweise auf Depression: Schuldgefühle, Wertlosigkeit, Lustlosigkeit, Trauer, Suizidgedanken Zwei-Fragen-Test für depressive Störungen: 1. Fühlten Sie sich im letzten Monat oft niedergeschlagen, traurig, deprimiert oder hoffnungslos? 2. Verspürten Sie im letzten Monat deutlich weniger Freude an den Aktivitäten die Sie normalerweise gerne tun? Depression besser behandelbar als Fatigue Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Psycho-Edukation für Alle: Wissen hilft Information von Patienten und Angehörigen über Zusammenhänge Fatigue-Krankheit-Therapie und das bekannte, häufige Vorkommen der Fatigue Damit den Angst-machenden Fantasien vorbeugen Der Bagatellisierung (durch Angehörige) vorbeugen Den Beschwerden einen Namen geben, Patienten fühlen sich verstanden (Glaus A et al. 2004) Broschüren als Hilfsmittel und Backup abgeben Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Psychologische Ebene Kognitive Verhaltenstherapie (CBT): adaptive, maladaptive Einstellungen reflektieren, Umgang mit Stress und Belastungen, Aengsten; Einzel- oder Gruppensetting. Wirksamkeit bewiesen (Eichler C, 2015 u a.) Psychotherapeutische Interventions-Ansätze bewusster Umgang mit Gefühlen (FIBS de Vries et al. 2013) Ablenkung, Ausdrucks-Kunst, Natur, Musik, Berührung Entspannung Müde sein dürfen, Sinnfindung Selbstmanagement (Befähigung): gezielte Verwaltung des täglichen Energiekontos Online intervention vs Faltblatt-Anleitung zum Selbstmanagement: RESTORE study (UK, läuft) Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Yoga (Iyengar-Yoga, restorativ): wirksam, aber nicht wirksamer als physische Aktivität (Lötzke D et al. 2016); reduziert entzündliche Aktivität (GenExpression) bei Brustkrebs-Survivors mit chronischer Fatigue (Bower J et al. 2014) Qigong; Massagen und verwandte Methoden, wenig Evidenz Neurotherapie: elektromagnetisches biofeedback; minütige, stimulierende Hirn-Wellen (Nelson DV 2016), Fallbericht Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Patienten in aktiver Krebsbehandlung: A Erhaltung des optimalen Aktivität-Levels (einschränkende Faktoren beachten) NCCN V. 1.2016 B Start / Aufrechterhaltung Training-Programm erwägen, Ausdauer- und Kraft, nach medizinischer Einschätzung C Ueberweisung zur Rehabilitation? Patienten nach Krebsbehandlung (+Antihormone): A Erhaltung des optimalen Levels an Aktivität Einschränkende Faktoren beachten, Spezialisten beiziehen bei Neuro-, Cardio-myopathie, Lymphödem B Ueberweisung zur Rehabilitation? Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Reduktion der Fatigue in der Behandlungsphase: beeinflusst Entwicklung von Fatigue in der postBehandlungsphase positiv? (Macmillan 2013) Einfache, regelmässige Bewegungsprogramme während der Therapie: beste Wirksamkeit und potentiell Verhütung späterer, chronischer Fatigue? (Minton 2015) Stufenweiser Aufbau (Bower 2014) Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Stufenweiser Aufbau (Bower 2014): 1) Reduktion „sedentary time“ (herumliegen/ -sitzen) 2) Aerobic Bewegung,150 Minuten pro Woche, im 10 Min. Intervall, moderate Intensität; oder 75 Minuten vigoros 3) Plus Kraftübungen für Muskelaufbau (2 x pro Woche) 4) Plus1-2 Gleichgewichtsübungen (Bower 2014) I.d. Regel ungefährlich, sicher; kein Stress-Test empfohlen Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Alle Patienten ermutigen, so früh und so aktiv wie möglich zu sein / zu bleiben (vor Krankheit aktiv? Präferenzen, Möglichkeiten) NCCN 2016 Bei substantieller Dekonditionierung: leichte Uebungen, nach Wohlbefinden, Symptome, Donelly C, 2008 Individuell zugeschnittene Bewegungs-Programme (Fitness, Co-morbidität): van Weert 2008 Walking, 30 Min. 3-5 x pro Woche, Mock 2005 Fahrrad-Treten für Pat. mit KMT, Dimeo 1998 Krafttraining (resistance, leicht) bei Prostatak.(Dimeo) Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Ernährung (ohne Wirksamkeitsnachweis) Unges.Fettsäuren, Mineralstoffe, Evidenz bisher ungenügend Vollkornprodukte, viel Gemüse, grünes Blattgemüse und Tomaten: Hinweis auf positive Wirkung zu prüfen (Zick SM et al. 2013); Vitamin D; antiinflammatorische, antioxidierende Wirkung Schlafhygiene Gleichzeitige, andere Symptome bekämpfen (LeadSymptom erkennen) Lichttherapie: 10‘000 Lux, 30-90 Minuten morgens (abends bei Nachtarbeit) Evidenzstufe tief (Sinclair 2014) Medikamentenliste überprüfen Ko-morbiditäten beachten Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Methylphenidat (Ritalin): Teilweise wirksam bei Patienten mit fortgeschrittener Krankheit; widersprüchliche Daten Antidepressiva: Einsatz nicht mehr empfohlen (nur bei Depression mit Fatigue) Modafinil (Narkolepsie-Mittel); widersprüchliche Datenlage, kein Effekt als langwirksame Medikation Steroide (Dexamethason): nur bei fortgeschrittener Krankheit einsetzbar Epoetin alpha: wiksam bei kognitiver Fatigue (Chan RJ 2015); medizinisch umstrittene Therapie Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Ginseng: lange Tradition, neuere Studien teilweise positiv; Amerikanischer und Koreanischer Ginseng, frei verkäuflich, in höheren Dosen wirksam (2000mg/d über 8 Wochen) (Barton 2013). Nebenwirkungen? Ermutigende Daten, weitere Forschung nötig Guarana (Pflanze aus Brasilien, Hauptwirkstoff Coffein), Wirksamkeit in kleiner Studie positiv (Campos 2011) Coenzyme Q10, L-Carnitine, bisher ohne überzeugende Daten Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Langandauernde Symptome, wie Fatigue, stellen eine Barriere für die Rückkehr an den Arbeitsplatz dar Im Gegensatz dazu erleichtert der baldige Wiedereinstieg am Arbeitsplatz und der offene Dialog über Krankheit und Therapie das Verbleiben an der Stelle ( Dorland HF, 2016) Rehabilitations-Programme sind bei einem Drittel der Pat. mit Brustkrebs (und Fatigue) nicht wirksam um rasch an den Arbeitsplatz zurückzukehren ( Rapid Return to Work, Thorsen L 2016) Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Was liegt dieser (seltenen) Entwicklung bis hin zur Invalidität zu Grunde? Maladaption? Knick / Depression? Psychosoziale Vorgeschichte; Persönlichkeit? Biologische, genetische, physische, soziopsychologische Folgen von Krise Krankheit, Therapie, Hormonentzug? Viele Forschungsfragen Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona Fatigue-Screening für jeden Patienten Information, Edukation, Beratung: in der RoutineVersorgung etablieren; Zugang Psycho-Onkologie Klinisches Assessment zur Erfassung therapierbarer Ursachen: Krankheits- und Therapiestatus, Anämie, Schlaf, Schmerz, phys. Aktivität, Psychische Verfassung, Ernährungsstatus, Medikamentenliste, Komorbiditäten Nicht-medikamentöse und medikamentöse Interventionen: Ursachen-spezifisch und im Kontext des Behandlungsstatus Physische Aktivität zeigt bisher die höchste Wirksamkeit, vor allem bei Frauen mit Brustkrebs Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St.Gallen, Chur, Rapperswil-Jona