Wahrscheinlichkeit Grundbegriffe Wahrscheinlichkeitsbegriffe (Axiomatische Definition) Rechenoperationen mit Wahrscheinlichkeiten Statistische Unabhängigkeit Numerische Berechnung von Wahrscheinlichkeiten Klassische Bemessung nach Laplace Empirische oder Statistische Wahrscheinlichkeit Subjektive Bemessung von Wahrscheinlichkeiten Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 1 Bibliografie Bleymüller / Gehlert / Gülicher Verlag Vahlen Statistik für Wirtschaftswissenschaftler Bleymüller / Gehlert Verlag Vahlen Statistische Formeln, Tabellen und Programme PowerPointPräsentationen (Prof. Mohr/ Dr. Ricabal) Vorlesungsskript für Statistik I (Dr. Pu Chen) Vorlesungsskript für Statistik II (Prof. Mohr, Private Hanseuniversität Rostock) http://www.wiwi.uni-rostock.de/vwl/statistik/download/ba/ Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 2 Zufallsexperimente Die Basis der Wahrscheinlichkeitsrechung bilden Zufallsexperimente, die tatsächlich oder nur gedanklich durchgeführt werden. Sie besitzen die Eigenschaft, dass ihre Ergebnisse nicht vorausgesagt werden können. Beispiele: Werfen eines Würfels oder eine Münze Ziehen einer Karte oder Lottozahl Drehen eines Rouletterades Überprüfung der Qualität einer Warenlieferung (gut - schlecht) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 3 Ereignismenge Ein Zufallsexperiment wird ferner durch eine Versuchsanordnung und durch die Menge aller möglichen Ausgänge dieses Experiments beschrieben. Die einzelnen nicht weiter zerlegbaren und sich gegenseitig ausschließenden Ergebnisse des Experiments heißen Elementarereignisse w. Die Menge sämtlicher Elementarereignisse heißt die zugehörige Ereignismenge bzw. Ereignisraum Ω. Beispiel: Werfen mit einem Würfel Elementarereignisse: w1= 1, w2= 2, … , w6= 6 Ereignisraum: Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 4 Ereignis Eine Teilmenge der Ergebnismenge heißt Ereignis E. Dieses setzt sich aus Elementarereignissen zusammen. Beispiel: Werfen mit einem Würfel Elementarereignisse: w1= 1, w2= 2, … , w6= 6 Ereignisraum: Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} E1= gerade Augenzahl = {2, 4, 6} E2= Augenzahl größer 4 = {4, 6} Spezielle Ereignisse: Unmögliches Ereignis: Sicheres Ereignis: Prof. Mohr / Dr. Ricabal ø Ω Wahrscheinlichkeitstheorie 5 Verknüpfungen von Ereignissen 1. 2. Symbolik (Mengenschreibweise) Bedeutung (Ereigniskalkül) Vereinigung von Ereignissen A∪B mindestens eines der beiden Ereignisse A oder B tritt ein w∈A∨w∈B A B Durchschnitt von Ereignissen A∩B Sowohl Ereignis A als auch Ereignis B tritt ein w∈A∧w∈B A B 3. Komplementärereignis Ᾱ tritt ein, wenn A nicht (Gegenereignis) eintritt Ᾱ ; Ac ; A‘ w∈Ᾱ⇔w∉A Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie Darstellung im Venn-Diagramm Ω Ω Ω Ᾱ A 6 Verknüpfungen von Ereignissen Symbolik (Mengenschreibweise) Bedeutung (Ereigniskalkül) Differenz von Ereignissen A \ B = A ∩ Bc A, jedoch nicht B tritt ein w∈A∧w∉B Disjunkte Ereignisse A∩B=ø A und B schließen sich gegenseitig aus w∈A⇒w∉B w∈B⇒w∉A Teilereignisse Ereignis A zieht Ereignis B nach sich w∈A⇒w∈B 4. 5. 6. A⊆B Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie Darstellung im Venn-Diagramm Ω A B Ω A B Ω BᾹ A 7 Beispiel: Verknüpfungen von Ereignissen Werfen mit einem Würfel mit E1={2, 4, 6} und E2={5, 6} E1 ∪ E2 = {2, 4, 5, 6} E1 ∩ E2 = {6} Ē1= {1, 3, 5} „ungerade Augenzahl“ E1 \ E2 = {2, 4} E2 \ E1 = {5} E1 und E3 = {5} sind disjunkt E3 ⊆ E2 Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 8 Rechenregel für Ereignisse* A ∩ Ac = ø A∩ø=ø A ∪ Ac = Ω A∪ø=A A∩Ω=A c A \ B =A ∩ B A∪Ω=Ω (Ac )c = A Konmutativgesetze: A∩B=B∩A A∪B=B∪A Assoziativgesetze: (A ∩ B) ∩ C = A ∩ (B ∩ C)= A ∩ B ∩ C (A ∪ B) ∪ C = A ∪(B ∪ C)= A ∪ B ∪ C Idempotenzgesetze: A∩A=A A∪A=A De Morgansche Gesetze: (A ∩ B)c = Ac ∪ Bc (A ∪ B)c = Ac ∩ Bc * (siehe Mengenlehre) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 9 zweites De Morgansche Gesetz Graphische Darstellung (A ∪ B)c Prof. Mohr / Dr. Ricabal Ac ∩ Bc Wahrscheinlichkeitstheorie 10 Ereignissysteme In der Statistik ist es wichtig, das Zusammenspiel von Ereignissen zu betrachten. Sinnvollerweise verwendet man dazu Ereignissysteme. Die Ereignisse E1, E2, …, Ek bildet eine Partition (Zerlegung) der Ereignismenge Ω, wenn sie paarweise disjunkt sind und ihre Vereinigung Ω ergibt. ¾Ei ∩ Ej = ∅ für i, j = 1, … , k; i ≠ j ¾E1 ∪ E2 ∪ … ∪ Ek = Ω Prof. Mohr / Dr. Ricabal E2 E1 Wahrscheinlichkeitstheorie E4 E3 E6 E5 11 Ereignisalgebra Eine Ereignisalgebra ℇ ist eine Menge von Ereignissen, so dass für jeweils endlich viele Ereignisse auch deren Komplemente, Durchschnitte und Vereinigungen dazugehören. Eine Ereignisalgebra zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein geschlossenes System hinsichtlich der obigen Operationen darstellt. Man bleibt immer innerhalb des Mengensystems. Man kann eine Ereignisalgebra formal wie folgt beschreiben: ¾Ω ∈ ℇ ¾E ∈ ℇ ⇒ Ec ∈ ℇ ¾E1, E2, …, Ek ∈ ℇ ⇒ E1 ∪ E2 ∪ … ∪ Ek ∈ ℇ oder analog ¾E1, E2, …, Ek ∈ ℇ ⇒ E1 ∩ E2 ∩ … ∩ Ek ∈ ℇ Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 12 Ereignis-Sigma-Algebra Eine Ereignis-Sigma-Algebra liegt vor, wenn die Eigenschaften einer Ereignisalgebra auch für abzählbar (unendlich) viele Ereignisse gültig sind. Man kann eine Ereignis-Sigma-Algebra formal wie folgt beschreiben: ¾ ¾ ¾ ¾ Ω∈ℇ E ∈ ℇ ⇒ Ec ∈ ℇ E1, E2 … ∈ ℇ ⇒ E1 ∪ E2 ∪ … ∈ ℇ oder analog E1, E2 … ∈ ℇ ⇒ E1 ∩ E2 ∩ … ∈ ℇ Frage: Warum gehört ∅ auch zur ℇ ? (∅ ∈ ℇ ) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 13 Beispiel: Ereignisalgebra Die kleinste Ereignisalgebra von Ω ist das Mengensystem {∅, Ω }. Die größte Ereignisalgebra von Ω ist die zugehörende Potenzmenge (Menge aller Teilmengen von Ω). Dabei bestehet die Potenzmenge aus dem Mengensystem aller Teilmengen von Ω. Z. B. für Ω = {w1, w2, w3}: Anzahl Elementarereignisse j Mögliche Ereignisse 0 ∅ 1 {w1}, {w2}, {w3} 2 {w1, w2}, {w1, w3}, {w2, w3} 3 Ω={w1, w2, w3} Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 14 Wahrscheinlichkeiten Zufallsexperimente lassen sich nicht exakt voraussagen. Aber unter bestimmten Bedingungen lassen sich für die Ausgänge des Experiments Wahrscheinlichkeiten angeben. Zunächst werden die Bedingungen behandelt, damit man sinnvoll mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten kann. Im zweiten Teil wird dargestellt, wie man numerisch diese Wahrscheinlichkeiten berechnen kann. Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 15 Axiomatische Definition von Wahrscheinlichkeit 1. Kolmogoroff hat ein Axiomensystem mit drei Axiomen für eine Ereignis-Sigma-Algebra definiert, die erfüllt sein müssen, damit man widerspruchfrei mit den zugehörigen Wahrscheinlichkeiten arbeiten kann: 0 ≤ W(E) für E ∈ ℇ (jedem Ereignis E wird eine nichtnegative Wahrscheinlichkeit zugeordnet; sog. Nichtnegativitätsaxiom) 2. W(Ω) = 1 (Das sichere Ereignis erhält die maximale Wahrscheinlichkeit 1; sog. Normierungsaxiom) 3. Seien E1, E2, … ∈ ℇ eine Folge paarweise disjunkter abzählbar vieler Ereignisse. Dann gilt: W(E1 ∪ E2 ∪ … ) = W(E1) + W(E2) +… (Die Wahrscheinlichkeit für die Vereinigung disjunkter Ereignisse ist gleich der Summe ihrer Einzelwahrscheinlichkeiten; sog. Additionsaxiom) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 16 Sätze zur Wahrscheinlichkeitsrechnung Aus 1. und 2. folgt: 0 ≤ W(E) ≤ 1 für alle E ∈ ℇ Satz von der Gegenwahrscheinlichkeit: W(Ᾱ)=1-W(A) Satz der Monotonie: A ⊆ B ⇒ W(A) ≤ W(B) Allgemeiner Additionssatz • • • Für 2 Ereignisse: W(A ∪ B) = W(A) + W(B) - W(A ∩ B) Für 3 Ereignisse: W(A ∪ B ∪ C) = W(A) + W(B) +W(C) - W(A ∩ B) - W(A ∩ C) - W(B ∩ C) + W(A ∩ B ∩ C) Für n Ereignisse analog A1 A2 Ω W(A1 ∪ A2)= W(A1)+W(A2) - W(A1 ∩ A2) (Sonst würde A1 ∩ A2 doppelt gezählt werden.) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 17 Beispiel: Sätze für die Wahrscheinlichkeitsrechnung Werfen mit zwei Münzen (Zahl=1 und Wappen=2) ⎛ 11 12 ⎞ ⎟⎟ = {11, 12, 21, 22} Ω = ⎜⎜ ⎝ 21 22 ⎠ (Alle Kombinationen haben die Wahrscheinlichkeit ¼) B: Summe der Realisationen ist gerade Ai: Der erste Wurf zeigt die Augenzahl i (i=1, 2); Ai bilden eine Zerlegung von Ω W(B) = W({11, 22}) =1/2; W(A1) = W({11, 12}) =1/2; W(A2) =W({21, 22}) =1/2 1 1 = 2 2 1 1 1 1 1 3 W(A1 ∪ B) = W(A1 ) + W(B) - W(A1 ∩ B) = + − W ({11}) = + − = 2 2 2 2 4 4 W(B) = 1 − W (B) = 1 − Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 18 Zerlegungssatz Bilden A1, A2, … , Ak eine Zerlegung von Ω, so gilt für ein beliebiges Ereignis B: B A2 A4 A3 A1 A6 Ω Aus der Graphik sieht man: B ∩ A1 ; A5 B ∩ A 2 ;L; B ∩ A k sind disjunkt. Es gilt: k W(B) = W (A1 ∩ B) + W (A 2 ∩ B) + L + W ( A k ∩ B) = ∑ W ( A i ∩ B) i =1 Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 19 Beispiel: Zerlegungssatz Beispiel: Werfen mit zwei Münzen (Zahl=1 und Wappen=2) ⎛ 11 12 ⎞ ⎟⎟ Ω = ⎜⎜ ⎝ 21 22 ⎠ (Alle Kombinationen haben die Wahrscheinlichkeit ¼) B: Summe der Realisationen ist gerade Ai: Der erste Wurf zeigt die Augenzahl i (i=1, 2) W(B)=1/2, W(A1)=1/2; W(A2)=1/2 Ai bilden eine Zerlegung von Ω 2 W(B) = ∑ W (A i ∩ B) = W (A1 ∩ B) + W (A 2 ∩ B) i =1 = W ({11}) + W ({22}) = Prof. Mohr / Dr. Ricabal 1 1 1 + = 4 4 2 Wahrscheinlichkeitstheorie 20 Bedingte Wahrscheinlichkeit Seien A und B zwei Ereignisse und sei B|A das Ereignis B unter der Bedingung, dass das Ereignis A eintritt (eingetreten ist). Die zugehörige bedingte Wahrscheinlichkeit sei W(B|A). Dann gilt: W (B | A) = W (A ∩ B) W (A) falls W(A) > 0 ¾ Man beachtet, dass die bedingte Wahrscheinlichkeit völlig analog zu den bedingte Häufigkeiten in der deskriptive Statistik formuliert sind. ¾ Im Spezialfall W(A) = 0 setzt man W(B|A) = 0. Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 21 Beispiel: Bedingte Wahrscheinlichkeit (Werfen mit einem Würfel) U: ungerade Augenzahl mit W(U) = 1/2 wi: Augenzahl i (i = 1, 2, … , 6) mit W(wi) = 1/6 für i = 1, 2, …, 6 Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit die Augenzahl wi zu realisieren, unter der Bedingung, dass das Ereignis U eintritt (eingetreten ist)? W ( w1 | U) = 1 3 W ( w2 | U ) = 0 Prof. Mohr / Dr. Ricabal W ( w3 | U) = 1 3 W ( w4 | U ) = 0 Wahrscheinlichkeitstheorie W ( w5 | U) = 1 3 W ( w6 | U) = 0 22 Multiplikationssatz Der sog. Multiplikationssatz folgt unmittelbar aus der Definition der bedingten Wahrscheinlichkeit: W (A ∩ B) = W (A) ⋅ W (B | A ) = W (B) ⋅ W (A | B) W (B | A) = W (A ∩ B) ⇒ W (A ∩ B) = W (A) ⋅ W (B | A) W (A) W (A | B) = W (A ∩ B) ⇒ W (A ∩ B) = W (B) ⋅ W (A | B) W (B) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 23 Wahrscheinlichkeits-Baumdiagramm Bedingte Wahrscheinlichkeiten treten in mehrstufigen Zufallsexperimenten auf, die sich in einem Wahrscheinlichkeits-Baumdiagramm veranschaulichen lassen. Dabei schreibt man an die Äste des Baumes die Wahrscheinlichkeiten auf die entsprechende Stufe. Somit lässt sich damit auch der Multiplikationssatz graphisch darstellen. Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 24 Beispiel: Baumdiagramm für Wahrscheinlichkeiten In einer Urne befinden sich 4 rote, 3 schwarze und 1 grüne Kugel. Es werden (nacheinander) 2 Kugel ohne Zurücklegen und mit Beachtung der Reihenfolge gezogen. 0 4|3|0 3/7 4/7 g r|s|g 1/8 4|3|1 Start 4|2|1 4/8 3/7 3/7 Prof. Mohr / Dr. Ricabal 3/56 W ( Z1 = s ∧ Z 2 = r ) 3/56 s 6/56 r 12/56 g 1/7 r s g 2/7 4/7 3|3|1 0 r 4/56 1/7 s 3/8 g = W ( Z1 = s) ⋅ W ( Z 2 = r | Z1 = s) 3 4 12 3 = ⋅ = = 8 7 56 14 4/56 s 12/56 r 12/56 Wahrscheinlichkeitstheorie 25 Satz von der totalen Wahrscheinlichkeit Bilden die Ereignisse A1, A2, ..., Ak eine Zerlegung von Ω, so gilt für jedes Ereignis B: Ω B A2 A4 A3 A1 k k i =1 i =1 W(B) = ∑ W (A i ∩ B) = ∑ W (B | A i ) ⋅ W (A i ) A6 A5 Aus der Graphik sieht man: B ∩ A1 ; B ∩ A 2 ;L; B ∩ A k k sind disjunkt: k B = U (B ∩ A i ) ⇒ W (B) = W (U W (B ∩ A i )) = W (B ∩ A1 ) + L + W (B ∩ A k ) i =1 i =1 k k i =1 i =1 W (B) = ∑ W (B ∩ A i ) = ∑ W (B | A i ) ⋅ W (A i ) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 26 Beispiel: Satz von der totalen Wahrscheinlichkeit In einer Urne befinden sich 4 rote, 3 schwarze und 1 grüne Kugel. Es werden (nacheinander) 2 Kugel ohne Zurücklegen und mit Beachtung der Reihenfolge gezogen. Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die zweite Kugel schwarz wird. Seien: B: Die zweite Kugel ist schwarz. A1: Die erste Kugel ist grün, A2: Die erste Kugel ist schwarz und A3: Die erste Kugel ist rot B = B ∩ A1 + B ∩ A 2 + B ∩ A 3 ⇒ W (B) = W (B ∩ A1 ) + W (B ∩ A 2 ) + W (B ∩ A 3 ) = W (B | A1 ) ⋅ W (A1 ) + W (B | A 2 ) ⋅ W (A 2 ) + W (B | A 3 ) ⋅ W (A 3 ) = 3 1 2 3 3 4 21 3 ⋅ + ⋅ + ⋅ = = 7 8 7 8 7 8 56 8 Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 27 Formel von Bayes Bilden die Ereignisse A1, A2, ..., Ak eine Zerlegung von Ω, so gilt für jedes Ereignis B mit W(B)>0: W(A | B) = 142i 4 3 a posteriori W (A i ∩ B) = W (B) priori 6444a 7 4448 W (B | A i ) ⋅ W (A i ) k ∑ W (B | A ) ⋅ W (A ) i =1 i i mit W (A i ∩ B) = W (B | A i ) ⋅ W (A i ) = W (A i | B) ⋅ W (B) und W(B) = ∑ W (B | A i ) ⋅ W (A i ) k i =1 Die Formel von Bayes folgt unmittelbar aus dem Multiplikationssatz und dem Satz von der totalen Wahrscheinlichkeit! Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 28 Beispiel: Satz von der totalen Wahrscheinlichkeit In einer Urne befinden sich 4 rote, 3 schwarze und 1 grüne Kugel. Es werden (nacheinander) 2 Kugel ohne Zurücklegen und mit Beachtung der Reihenfolge gezogen. Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die erste Kugel grün ist, wenn die zweite Kugel schwarz ist. Seien: B: Die zweite Kugel ist schwarz. A1: Die erste Kugel ist grün, A2: Die erste Kugel ist schwarz und A3: Die erste Kugel ist rot W (A1 ∩ B) = W(A1 | B) = 1424 3 W (B) a posteriori 3 1 3 ⋅ 1 7 8 56 = = = k 3 1 2 3 3 4 21 21 ⋅ + ⋅ + ⋅ W (B | A i ) ⋅ W (A i ) ∑ 7 8 7 8 7 8 56 i =1 priori 6444a 7 4448 W ( B | A1 ) ⋅ W ( A1 ) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 29 Beispiel: A priori und a posteriori Wahrscheinlichkeiten Es wird ein zweistufiges Experiment mit zwei Urnen durchgeführt, die jeweils schwarze und weiße Kugeln enthalten. Auf der erste Stufe wird eine Urne ausgewählt, für die erste (zweite) Urne ist die Wahrscheinlichkeit 0,1 (0,9). Die erste Urne enthält 70% schwarze Kugeln, die zweite 40%. Auf der zweite Stufe wird eine Kugel gezogen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine schwarze Kugel aus Urne 1 stammt? A1 ≡ Urne 1; A 2 ≡ Urne 2; B ≡ s = schwarze Kugel Gegeben: W(A1 ) = 0,1; W(A 2 ) = 0,9; W(B | A1 ) = 0,7; W(B | A 2 ) = 0,4 W (B) = W (B | A1 ) ⋅ W (A1 ) + W (B | A 2 ) ⋅ W (A 2 ) = 0,43 W(A1 | B) = W (B | A1 ) ⋅ W (A1 ) 2 ∑ W (B | A ) ⋅ W (A ) i =1 Prof. Mohr / Dr. Ricabal i i = 0,07 W(A 2 | B) = 0,837 = 0,163 0,43 Berechnen Sie die a posteriori c Wahrscheinlichkeit W(Ai|B )! Wahrscheinlichkeitstheorie 30 Statistische Unabhängigkeit von Ereignissen Zwei Ereignisse A und B (mit W(A)>0 und W(B)>0 sind statistisch (stochastisch) unabhängig, wenn gilt: W (A ∩ B) = W ( A) ⋅ W ( B) In diesem Fall gilt gleichwertig: W (A | B) = W (A ∩ B) W (A) ⋅ W (B) = = W (A) W (B) W (B) Hier sieht man, dass das Ereignis B keinen Einfluss auf A hat. Analog: W(B|A)=W(B) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 31 Klassische Bemessung nach Laplace Idee von Bernoulli Laplace (1812) Voraussetzungen: ¾ Endliche Ergebnismenge bzw. Ereignisraum Ω ¾ Alle Elementarereignisse gleichwahrscheinlich Sei A ein Ereignis mit A⊆ Ω. Dann gilt: W (A) = Anzahl aller für A güngstigen Elementarereignisse | A | = Anzahl aller für Ω möglichen Elementarereignisse | Ω | Diese Bestimmung ist nicht empirisch orientiert. Man kann die Wahrscheinlichkeiten ohne Experimente oder vor einem geeigneten Experiment durchführen. Daher spricht man auch von a priori Wahrscheinlichkeiten. Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 32 Beispiel: Klassische Bemessung von Wahrscheinlichkeiten ¾ Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit beim dreimaligen Werfen mit einer Münze mindestens einmal die Ausprägung Zahl zu erhalten? |A| 1 7 W (A) = 1 − W ( A) = 1 − = 1− = |Ω| 8 8 Ereignis Ᾱ: kein mal Zahl, d. h. Ᾱ= {(w , w, w)} Ω enthält 8 gleichwahrscheinliche Elementarereignisse Ω = {(z, z, z); (z, z, w); (z, w, z); (z, w, w); (w, z, z); (w, z, w); (w, w, z); (w, w, w)}; |A| = 7; |Ᾱ| = 1; |Ω|= 8 ¾ Wahrscheinlichkeit für zwei mal Zahl? W (B) = | B| 3 = |Ω| 8 Prof. Mohr / Dr. Ricabal B = {(z, z, w); (z, w, z); (w, z, z)}; |B|=3 Wahrscheinlichkeitstheorie 33 Klassische Definition - Voraussetzungen ¾ Für die Bestimmung der entsprechenden Elementarereignisse benötigt man häufig Kenntnisse in Kombinatorik. (Exkurs) ¾ Als Begründung der zweite Annahme (Gleichwahrscheinlichkeit der Elementarereignisse) , verwendet man das Prinzip des unzureichenden Grundes. Dieses besagt, dass diese Annahme erfüllt ist, wenn es keinen hinreichenden Grund gibt, dass bestimmte Elementarereignisse bevorzugt sind. ¾ Typische Beispiele sind Experimente mit Münzen, Würfeln oder Urnen. ¾ Kritik: Nicht anwendbar, wenn i. es sich nicht um endlich viele Elementarereignisse handelt ii. die Elementarereignisse nicht gleichwahrscheinlich sind Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 34 Empirische oder statistische Wahrscheinlichkeit Idee: R. von Miss (1928) Bestimmung der Wahrscheinlichkeit als relative Häufigkeit in einem Zufallsexperiment. Voraussetzung: i. Wiederholbarkeit eines Zufallsexperiments unter konstanten Rahmenbedingungen für eine große Anzahl von Versuchen ii. Rechnen mit relativen Häufigkeiten, wobei eine statistische Stabilität vorausgesetzt wird W (A ) = lim f n (A), n→∞ mit f n (A) = h (A) n ¾ Motivation für diesen Ansatz ist die Erfahrung, dass mit zunehmenden Umfang der Versuche, die relative Häufigkeit sich um einen Grenzwert p stabilisiert. (Empirische Gesetze der großen Zahlen) Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 35 Beispiel: Empirische bzw. statistische Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeit für Knabengeburten Jahrgang 1964 1965 1966 1967 1968 Knaben 547 979 536 930 539 492 523 634 498 202 2 646 237 Prof. Mohr / Dr. Ricabal Relative Häufigkeit Insgesamt (kumuliert) 1 065 437 547 979/1 065 437 1 044 328 1 084 909 /2 109 765 1 050 345 1 624 401/3 160 110 1 019 459 2 148 035/4 179 569 969 825 2 646 237/5 149 394 5 149 394 Wahrscheinlichkeitstheorie = = = = = fn(K) 0,5143 0,5142 0,5140 0,5139 0,5139 36 Beispiel: Empirische bzw. statistische Wahrscheinlichkeit p 0,515 * 0,514 * * * 0,513 1 2 3 4 Da man nicht unendlich viele Versuchen durchführen kann, bricht man nach einer genügend * hohen Anzahl ab und verwendet den Wert als Schätzung. 5 Mill. W(K) ≈ 0,514. Kritik: Rahmenbedingungen können bisweilen nicht konstant behalten werden Versuche sind nicht hinreichend oft wiederholbar Insbesondere bei Einzelergebnissen lassen sich beide bisher diskutierten Ansätze (Klassische Bemessung und Statistische Wahrscheinlichkeit) nicht anwenden. Dafür benötigt man subjektive Methoden Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 37 Subjektive Bemessung von Wahrscheinlichkeit Idee. De Finetti, Savage, Borel (1926) Die Wahrscheinlichkeit W(A) lässt sich als subjektive Einschätzung einer Person (Experte) ermitteln, die mit dem Hintergrund das Zufallsexperiments vertraut ist. Beispiel: Dabei wird folgende (fiktive) Wette durchgeführt: Wetteneinsatz: e ⎧a Auszahlung : ⎨ ⎩o falls A eintritt falls A eintritt Man wird diese Wette annehmen, sofern der erwartete Gewinn G positiv ist: G = W (A) ⋅ a + W (A ) ⋅ 0 − e = W (A) ⋅ a − e > 0 Die Große emax/a heißt maximaler Wettquotient. Nach dieser Methode arbeitet z. B. die Internet-Wahlbörse oder auch Wettbörsen für Sportereignisse. Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 38 Beispiele: Subjektive Bemessung von Wahrscheinlichkeiten im ökon. Bereich Im ökon. Bereich kommen subjektive Methoden häufig zur Anwendung: Bei der Beurteilung der Konjunkturentwicklung für das nächste Jahr werden Experten (Sachverständigenrat, 5 Weise) oder Unternehmen (IFO Konjunkturtest) nach ihrer Einschätzung befragt. Dabei gibt es die Ereignisse +, =, -, d. h. (Aufsteigen, Gleichbleiben, Fallen) und man bestimmt aus den Befragungen die subjektiven Wahrscheinlichkeiten p+, p=, p-. Mögliche Reaktionen eines Anbieters auf die Preissenkung eines Konkurrenten um 0,30 Euro pro Einheit für ein bestimmtes Gut (z. B. Kaffe). Alternativ i 1 Preisänderung 0,10 W(wi) 0,01 Prof. Mohr / Dr. Ricabal 2 0,00 0,30 3 -0,10 0,04 4 -0,20 0,05 5 -0,30 0,40 Wahrscheinlichkeitstheorie 6 -0,40 0,15 7 -0,50 0,05 39 Subjektive Bemessung von Wahrscheinlichkeiten Vorteile: keine Experimente erforderlich keine statistische Regelmäßigkeit nötig Nachteile: Nicht intersubjektiv nachprüfbar → Konsensmeinung sinnvoll Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 40 Schlussbemerkung Die klassische, die statistische und die subjektive Bemessung von Wahrscheinlichkeiten stehen nicht in Gegensatz zum Axiomensystem von Kolmogoroff. Keines dieser drei Konzepte ist jedoch als formale Basis für die Wahrscheinlichkeitsberechnung geeignet. In der Praxis werden sie jedoch sinnvoll eingesetzt, wenn ihre Anwendungsvoraussetzungen mit der Realität vereinbar sind. Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 41 Interpretation von Wahrscheinlichkeiten „Die Regenwahrscheinlichkeit beträgt morgen 30%“ Psychologen untersuchten weltweit (Informationsdienst Wissenschaft, 12.09.03, idw-online.de), welche Vorstellungen mit dieser Aussage verbunden sind. Vorgegebene Vorstellungen waren: 1. Morgen regnet es auf 30% der Fläche 2. Morgen regnet es 30% der Zeit 3. Es wird an 30% der Tage regnen, welche die gleiche Wetterlage wie der morgige haben. Während die New Yorker mehrheitlich auf die 3. Option tippten, kam gerade diese Interpretation den europäischen Befragten besonders unsinnig vor. Sie favorisierten eher die zweite Möglichkeit, also die Zeit, die es regnen würde. Das wirkliche Ausmaß der Unklarheit kam durch eigene Erläuterungen ans Tageslicht: Einige Teilnehmer in New York und in Berlin interpretierten die Regenwahrscheinlichkeit als eine Art Abstimmungsergebnis unter den Wetterexperten; sie erklärten, dass von zehn Meteorologen drei davon überzeugt seien, dass es morgen regnen wird! Die Mehrdeutigkeit der Aussage blieb unerkannt. Aber der Wahrscheinlichkeitsaussage oben fehlt die Angabe, worauf sie sich bezieht, ob auf die Fläche, die Zeit oder eben die Tage mit identischer Wetterlage. Die Zahl allein kann fehlinterpretiert werden, wenn die Kategorien der Statistik das Messkonzept nicht eindeutig belegen. Prof. Mohr / Dr. Ricabal Wahrscheinlichkeitstheorie 42